Für die Leipziger Notenspur hat sie gerade den Telemann-Soundwalk mitentwickelt, der im November 2023 präsentiert wurde: Eszter Fontana, die in Ungarn gebürtige Musikwissenschaftlerin, ist unermüdlich im Ehrenamt, um Leipzig voranzubringen. „Ich habe ein großes Herz, da passen viele rein“, sagt sie ein wenig schelmisch. Die Gesellschaft brauche das Ehrenamt, gerade jetzt. Jener Telemann-Soundwalk ist Bestandteil der Notenspuren-App, bei der der Schumann-Verein Leipzig und der Notenspur Leipzig e.V. mit dem Kulturamt der Stadt Leipzig kooperieren. Ziel ist es, interessierte Musikliebhaber auf die Spuren berühmter Komponisten und mit ihnen verbundener authentischer Orte zu schicken.
Das wiederum ist Professorin Fontana, die viele Jahre lang das Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig geleitet hat, sehr wichtig. Voller Leidenschaft kann sie erzählen, um Menschen die reichhaltigen Musiktraditionen Leipzigs nahezubringen. Sie spielt Cello, tritt mit dem Leipziger Lehrerorchester auf. Wichtig ist ihr ebenfalls das Projekt „Europäische Notenspuren“. Dafür hat sie die Ausstellung „Reisende Musiker“ sowie didaktisches Material für die Arbeit in Schulen entwickelt. Hintergrund: Künstler reisen viel von Auftritt zu Auftritt. Das war schon früher so, als es noch keine Flugzeuge und keinen Intercity gab. Clara Schumann beispielsweise hat pro Jahr – so hat sie ermittelt – bis zu 9.000 Kilometer zurückgelegt. „Mit der Kutsche! Das ist eine unglaubliche Leistung mit den Reisemöglichkeiten von damals“, gerät die Professorin ins Schwärmen. Ein wichtiger Antrieb, ob nun als Wissenschaftlerin oder Ehrenamtlerin, ist stets ihre Neugier.
Internationale Preise fürs Lebenswerk
Für ihr Lebenswerk wird sie 2021 von der renommierten Amerikanischen Musikinstrumenten-Gesellschaft mit dem Curt Sachs Award ausgezeichnet. Damit würdigt die Gesellschaft die herausragenden Leistungen der Professorin um die wissenschaftliche Erforschung von Musikinstrumenten. Geehrt wird sie 2013 von der Galpin Society in Oxford mit dem Anthony Baines Memorial-Preis. Seit 2004 ist sie zudem Vorstandsmitglied der Ständigen Konferenz Mitteldeutsche Barockmusik, mittlerweile die Vizechefin. Zum Ehrenamt gehört auch die langjährige Präsidentschaft des Internationalen Verbandes der Musikinstrumentenmuseen.
Die in einer Musikerfamilie geborene Ungarin interessiert sich schon als Kind für alte Instrumente.1966 kommt sie nach Leipzig. Hier beginnt sie eine vierjährige Ausbildung als Restauratorin für Musikinstrumente am Musikinstrumentenmuseum in Leipzig. Nach dem Studium kehrt sie zurück nach Budapest, um am Ungarischen Nationalmuseum zu arbeiten. Dort leitet sie die Sammlung für Musikinstrumente und Uhren. Sie gibt auch Seminare für Restauratoren, Instrumentenbauer und Musikstudenten in Budapest. Fontana promoviert 1993 an der Franz-Liszt-Musikakademie ihrer Heimatstadt.
25 Jahre später kehrt sie zurück nach Leipzig, um ab 1995 als Direktorin das Musikinstrumentenmuseum zu leiten. Das wird eine spannende Zeit.
Die Aufgabe, die legendäre Sammlung konzeptionell ins neue Jahrtausend zu führen, neu zu erschließen und Personalprobleme zu lösen, bringt viel Arbeit. Wichtig ist ihr, die Sammlung einer breiten Bevölkerung zugänglich machen. „Ein Museum ohne Besucher ist kein Museum“ wird zu ihrem Credo. Das gelingt ihr zusehends, auch durch das von ihr entwickelte Klanglabor. Gemeinsam mit ihren Kollegen Eva-Maria Hoyer (Museum für Angewandte Kunst) und Claus Deimel (Museum für Völkerkunde) wird sie gar als Bauherrin aktiv, um die komplexe Sanierung des Grassimuseums am Johannisplatz voranzubringen. Dabei hilft ihr das technische Wissen, das sie schon als Restauratorin erworben hat.
Bei den „Wunderfindern“ für Kinder engagiert
Bis zu ihrer Emeritierung 2013 unterrichtet sie Organologie, Akustik und Paläographie an der Universität Leipzig. Nahezu zehn Seiten lang ist die Liste ihrer Bücher und Beiträge in Sammelwerken als Autorin, Co-Autorin oder Herausgeberin. Besonders stolz ist sie, dass das als Co-Autorin verfasste Fachbuch „Historische Lacke und Beizen auf Musikinstrumenten in deutschsprachigen Quellen bis 1900“ bereits in fünfter Auflage erscheint. Der Leipziger Musikgeschichte ist die Publikation „600 Jahre Musik an der Universität Leipzig“ gewidmet. Der Begräbniskapelle des Freiberger Domes heißt ein weiteres, ihr sehr wichtiges Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse bereits in zweiter Auflage publiziert sind.
Sie ist Gründungsmitglied des Notenspur Leipzig e.V., dort die Stellvertreterin von Werner Schneider. Eszter Fontana engagiert sich außerdem bei der Stiftung Bürger für Leipzig, vor allem beim Projekt „Wunderfinder“. Das kümmert sich mit einer individuellen Bildungspatenschaft darum, dass Kinder aus schwierigen Verhältnissen ihre Startchancen verbessern können. „Schon im Museum habe ich mich bemüht, Kindern altersgerecht Musik nahezubringen. Doch viele haben zu Hause kein Instrument oder keinerlei Berührung dazu“, erzählt sie. Auch in ihrer Heimat bleibt sie aktiv: Dort will sie mit einem Verein den ehemaligen Gasthof zum „Schwarzen Adler“ in Székesfehérvár (Stuhlweißenburg) vor den Verfall bewahren, damit dieser künftig wieder für vielfältige kulturelle Veranstaltungen genutzt werden kann.
Als Wissenschaftlerin sehr gefragt
Eszter Fontana genießt ihren Ruhestand, der alles andere als ruhig ist. Sie war bis 2002 mit einem Ingenieur verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter. „Langeweile kenne ich nicht“, sagt sie. Und als Wissenschaftlerin ist sie nach wie vor international gefragt. So leitet Fontana eine Forschergruppe mit 25 Menschen in ganz Europa, die den Lebensweg von Paul de Wit (1852-1925) erforscht. Der Musikverleger und Sammler hat maßgeblich dazu beigetragen, den Grundstock für das Leipziger Musikinstrumentenmuseum zu legen. Das Team hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kenntnisse über Leben und Werk de Wits neu zu bewerten. Das Fachbuch soll im Dezember 2025 erscheinen.
Stand: 17.12.2023