Bildlexikon Leipzig

Schwabe, Uwe

Bürgerrechtler, Sammlungssachbearbeiter, Vorstand Bürgerarchiv | geb. am 4. Mai 1962 in Leipzig

Sein großer Traum ist es, zur See zu fahren. Doch der bleibt ihm in der DDR verwehrt. Als junger Mann verpflichtet sich Uwe Schwabe zwar drei Jahre bei der Nationalen Volksarmee, wo er als Schlosser Flugzeuge repariert. Doch es gibt immer wieder Ärger, da er sich dem militärischen Disziplinierungssystem nicht unterordnen kann. Ihm wird bescheinigt, für den „grenzüberschreitenden Verkehr nicht geeignet“ zu sein. Er schlägt sich in verschiedenen Jobs durch und wird eines der Leipziger Gesichter der Friedlichen Revolution. Uwe Schwabe, der Ex-Bürgerrechtler, wird für seine Verdienste während der Friedlichen Revolution vielfach geehrt. Ob mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse oder der „Goldenen Henne“: Schwabe. der Vorstandsvorsitzende des Archivs Bürgerbewegung Leipzig e.V., arbeitet heute im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig.

Ohne Scheuklappen in der Jungen Gemeinde


Geboren wird er am 4. Mai 1962 in Leipzig. Er wächst mit drei Geschwistern im Leipziger Osten auf, die Mutter ist im Dreischichtsystem tätig. Zunächst lebt die Familie in Portitz, in einem Einfamilienhaus der Großmutter. Doch das ist baufällig, die Kosten sind nicht mehr zu tragen. „Es war für mich ein Schock, von der ländlichen Idylle in die Großstadt zu kommen“, erinnert er sich. Plötzlich lebt die Familie in einer Zweiraumwohnung in einem baufälligen Haus, wie überall im Leipziger Osten. Schwabe kümmert sich um die bettlägerige Großmutter, die er pflegt. Zur Schule geht er in die 16. Polytechnische Oberschule in der Konradstraße.

Zwischen 1978 und 1980 absolviert er eine Lehre zum Instandhaltungsmechaniker beim VEB Wasserversorgung und Abwasserwirtschaft Leipzig. Anschließend wird er zur Nationalen Volksarmee eingezogen. Dort lernt er Udo Hartmann kennen, der ihn mit in die Junge Gemeinde der Nikolaikirche nimmt. „Das war für mich so faszinierend, weil ich das erste Mal erlebt habe, wie Leute offen politisch ohne Scheu, ohne Scheuklappen diskutieren“, bekennt er später. Und er begegnet Christian Führer, dem engagierten Pfarrer der Nikolaikirche. „Sein Ziel war es, offene Diskussionen zuzulassen. Und er hat uns junge Leute angeregt, uns kritisch mit vielen Themen auseinandersetzen.“ Ab 1984 engagiert Uwe Schwabe sich in der Umweltgruppe der Kirche.

Eine Anzeige wegen Umweltverschmutzung


Beruflich geht der Instandhaltungsmechaniker nach der Armee zurück an die Werkbank. Zunächst bei der Wasserwirtschaft, später beim VEB Baumaschinenkombinat Süd. 1987 hat er die Nase voll. Er wird schikaniert, weil er seinen Betrieb wegen Umweltverschmutzung anzeigt. Der Grund: Ölfässer werden mitten im Naturschutzgebiet des
Kulkwitzer Sees ohne Auffangwanne einfach auf die Wiese gestellt. Er kündigt, ist arbeitslos, nimmt Jobs wie auf dem Leipziger Weihnachtsmarkt an. Schließlich wird er Pfleger im Albert-Schweitzer-Haus, einem evangelischen Pflegeheim, und kümmert sich dort um alte Menschen, die in großen Sälen mit Bett und Stuhl leben müssen.

Auch das prägt ihn, beschleunigt die Entwicklung zum Revolutionär. Er nutzt die Möglichkeiten der geistigen Freiheit, die die Nikolaikirche den jungen Leuten bietet, ohne sich zum Glauben bekehren zu lassen. 1987 gründet er schließlich eine eigenständige Initiativgruppe „Leben“, die sich auch um Menschenrechtsfragen, Fragen des Wehrersatzdienstes oder der Wehrdienstverweigerung kümmert. Er verweigert selbst den Reservistendienst, wird daher zum einfachen Soldaten degradiert. Ab 1988 beteiligt Schwabe sich an verschiedenen Demonstrationen, organisiert etwa den Pleiße-Gedenkmarsch. Im Januar 1989 ruft er anlässlich der staatlichen Liebknecht-Luxemburg-Demo zum Gegenprotest auf. Weil er Flugblätter verteilt, wird er zehn Tage lang inhaftiert. Auch beim Leipziger Straßenmusikfestival ist er dabei.

Gründungsmitglied beim Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.


In der Zeit der Friedlichen Revolution setzt er sich für das Neue Forum ein. Einer Partei tritt der Bürgerbewegte aber nicht bei. Ihm ist es wichtig, Erinnerungsarbeit für die Friedliche Revolution zu leisten. Deshalb gründet er mit Gleichgesinnten das
Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.. Heute ist er Vorsitzender des Vereins, der seinen Sitz im Haus der Demokratie in Connewitz hat. Seit 1994 ist Uwe Schwabe Mitarbeiter im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. Dort ist er Sammlungssachbearbeiter, sucht gezielt nach Gegenständen für die Wechselausstellungen und macht die Fotorecherche. Besonders spannend: Er besorgt für eine Ausstellung ein selbstgeknüpftes Netz aus der Ukraine. Frauen haben es aus Stoffresten als Tarnnetz für Panzer geknüpft. „Das war sehr abenteuerlich und für mich ein emotionaler Moment.“

Schwabe ist gefragt als Zeitzeuge. „Wir sind Präsident“ – jubiliert er 2015 in Berlin. Damals wird Joachim Gauck zum Bundespräsidenten gewählt. Schwabe ist als einer der Wahlmänner dabei. „Er ist der richtige Mann für dieses Amt.“ Nach wie vor mischt sich der ehemalige Bürgerrechtler Schwabe in Debatten ein. Etwa wenn es um ein Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig geht.

Mit Gleichgesinnten gründet er 1994 den Verein Europamaidan Leipzig, der Vorträge und Bildungsgebote anbietet, aber auch Psychologen unterstützt, die sich um ukrainische Flüchtlinge kümmern. Außerdem ist er aktiv im Stiftungsbeirat der Bundesstiftung Forum Recht sowie bei der Entwicklung des Forums für Freiheit und Bürgerrechte bei der Neugestaltung des Matthäikirchhofes. Geehrt wird er mehrfach, darunter 2014 mit dem Nationalpreis der Deutschen Nationalstiftung, gemeinsam mit Pfarrer Christian Führer, Pfarrer Christoph Wonneberger und dem Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V..

Stand: 13.03.2024

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Lange, Bernd-Lutz

Kabarettist, Autor, Germanist | geb. am 15. Juli 1944 in Ebersbach (Sachsen)

Es fällt schwer, ihn zu beschreiben: Buchhändler, Kabarettist, Sänger, Autor, Forscher, Sammler, Sachse: Auf Bernd-Lutz Lange trifft eigentlich alles zu. Er hat schon viele Menschen zum Lachen gebracht und sogar ein Stück Weltgeschichte mitgeschrieben. Er gehört neben Gewandhauskapellmeister Kurt Masur und dem Theologen Peter Zimmermann zu den Leipziger Sechs, die am 9. Oktober 1989 vor der entscheidenden Montagsdemonstration den Aufruf zur Gewaltlosigkeit verfasst haben. Bereits am 14. Oktober leitet er beim Kabarett academixer einen ersten politischen Dialog – über DDR-Medienpolitik und Pressefreiheit und macht Mut zu Veränderungen. Von der Kabarettbühne hat er 2014 Abschied genommen. Seitdem ist es nicht ruhiger geworden: Bernd-Lutz Lange ist bei Lesungen zu erleben und schreibt auch weiterhin Bücher: Sein aktuelles Buch „Cafe Continental“ wird im Oktober 2024 Premiere haben. Darin erzählt der Kaffeehausliebhaber Geschichten und Plaudereien an Marmortischen aus 60 Jahren. Dabei verwendet der Autor erstmals eine fiktive Figur, kann seine persönlich erlebten Geschichten ausbauen. Wobei eigene Dinge, wie einst die Studentenzeit im alten Café Corso – laut SED ein Hort der Konterrevolution – einfließen.

Aus Gärtner wird ein Buchhändler


Geboren wird Bernd-Lutz Lange am 15. Juli 1944 im sächsischen Ebersbach. Er wächst in Zwickau auf, wo er auch die Polytechnische Oberschule besucht. „Wir hatten eine schöne Kindheit, weil wir uns nicht nach irgendetwas sehnten, allein schon deshalb, weil wir es gar nicht kannten“, schreibt er später darüber in seinem Buch „Magermilch und lange Strümpfe“. Nach der Schule macht er eine Lehre zum Gärtner. In der Stadtgärtnerei kann er aber nicht bleiben, weil es keine Stelle gibt. Er landet im Gemüsekombinat der LPG „Sieg des Sozialismus“ bei Zwickau. Erste Erfahrungen als Künstler hat Lange als Sänger in Amateurkapellen. Eigentlich wollte er immer Buchhändler werden, was jungen Männern damals aber zunächst verwehrt wurde. 1963 wird er Hilfskraft an der Volksbuchhandlung Gutenberg in Zwickau. Nebenbei macht er Abitur und seinen Facharbeiter Buchhandel.1965 zieht er nach Leipzig. Hier studiert er an der Fachschule für Buchhändler und arbeitet schließlich im
Leipziger Kommissions- und Großbuchhandel. An die Hochschule wollte er nicht: Dort gibt es für seinen Geschmack „zu viel Marxismus-Leninismus. Das widersprach meinen politischen Ansichten.“

Brillant als Kabarettist in vielen Rollen


In dieser Zeit gründet er gemeinsam mit
Gunter Böhnke, Christian Becher und Jürgen Hart 1966 das Studentenkabarett academixer der Karl-Marx-Universität (heute Universität Leipzig). Es ist das einzige Kabarett in der DDR, bei dem die Künstler nicht das sonst obligatorische Schauspielstudium abschließen müssen, wie Lange erzählt. Er brilliert dennoch in vielen Rollen. 1972 wird er schließlich Redakteur beim „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel“.

1979 wird aus dem Ensemble ein Berufskabarett. „Wir bekamen als Kollektiv den Berufsausweis.“ Das Kabarett academixer pflegt auch das Mundart-Programm im „scheensdn Säggs’sch“. So wird die bis dahin in der DDR vergessene sächsische Mundartdichterin Lene Voigt aus der Versenkung geholt. „Dr Saggse – Mänsch und Miedos“ hat im November 1980 im neu eröffneten academixer-Keller in der Kupfergasse seine Premiere. 1988 hört er dort auf, kommt nur noch als Freischaffender zu Gastauftritten. Etwa zu Duo-Auftritten mit Gunter Böhnke.

Mit der Friedlichen Revolution verändert sich auch das Kabarett. Zu DDR-Zeiten müssen die Kabarettisten Pointen so formulieren, dass sie auf der Bühne noch sagbar bleiben. Das Publikum ist es gewohnt, auf die Töne zwischen den Zeilen zu hören. Es gibt einen regelrechten Durst nach kritischen Texten. Das ändert sich plötzlich, weil die Medien freier agieren können. Als Duo kommen Gunter Böhnke, mit der Figur des kleinen, pfiffigen Dicken, sowie Lange, der sich teilweise intellektuell gibt und dumm stellt, beim Publikum gut an. Es ist wohl die richtige Mischung aus Politik und Unterhaltung, die überzeugt. Darauf wird auch der Mitteldeutsche Rundfunk aufmerksam, der verschiedene Sendungen mit dem Duo produziert. 2004 endet die Zusammenarbeit mit Böhnke. „Es war geplant, dass wir zum 60. aufhören“, sagt Lange. Danach tritt er zehn Jahre mit Vollblutkomödiantin und Sängerin Katrin Weber auf, die er vier Jahre vorher bei Dreharbeiten kennenlernt. „Wir mussten unterbrechen, weil wir uns vor Lachen nicht halten konnten und sofort gemerkt haben, die Chemie stimmt.“ Diese Zusammenarbeit hat er bis zu seinem 70. Geburtstag beschränkt. Er wollte die Kabarettbühne verlassen, wenn die Leute es noch bedauern. „Deshalb mache ich jetzt nur noch maximal zwei Lesungen im Monat.“

Viel Interesse für das jüdische Leipzig


Schon seit seiner Studentenzeit beschäftigt sich Bernd-Lutz Lange sehr intensiv mit der jüdischen Kultur und dem jüdischen Leben in Leipzig. Im September 1986 erscheint sein Beitrag „Juden in Leipzig“ in den
Leipziger Blättern. Es war der erste Text in der DDR zu diesem Thema. „Wir waren zwar mit den Fakten vertraut, dass sechs Millionen Juden ermordet worden sind. In der gesamten DDR gab es aber keine regionale Aufarbeitung. Ich wollte einfach wissen, was hier in Leipzig passiert ist.“ Er bekommt einen Schein mit einem Auftrag vom Rat des Bezirkes, dass er recherchieren darf, um keinen Ärger mit der Staatssicherheit zu bekommen. Er schreibt einen weiteren Beitrag zum Novemberpogrom. 

1988 wird die vielbeachtete Ausstellung über Juden in Leipzig im Krochhochhaus gezeigt. Durch seine Veröffentlichungen erhält Lange Kontakte zu ehemaligen Leipzigern in der ganzen Welt, bekommt Post aus Israel, den USA, Kanada. „Sie haben sich gefreut, dass ihr Schicksal in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.“ Er wird sogar vom Verband ehemaliger Leipziger nach Israel eingeladen. Weder jüdische Wurzeln noch in der Partei, kann er sich nicht vorstellen, eine Erlaubnis zu bekommen. Doch SED-Parteichef Erich Honecker wollte unbedingt ins Weiße Haus zum Staatsempfang eingeladen werden, hoffte dabei auf die Unterstützung von Juden. Ab 1987/88 wird daher vom Staat offiziell jüdische Kultur gefördert. „Ich durfte im März 1989 nach Israel zu Recherchen und drei Vorträgen zu jüdischen Spuren in Leipzig“, erzählt er. 1993 erscheint im Forum-Verlag sein Buch dazu. Mit seinem jüdischen Freund und Kollegen Küf Kaufmann, der nach der Wende nach Leipzig kommt, macht er später das Programm „Fröhlich und meschugge“ mit jüdischem Witz. Die Leute können sich vor Lachen kaum halten.

Vom Schreiben nahezu besessen


Mehr als 20 Bücher hat er inzwischen geschrieben. Sein Leben steht darin. Etwa wie in „Magermilch und lange Strümpfe“ seine Erlebnisse der Kindheit. Oder in „Mauer, Jeans und Prager Frühling“ die Jugend- und Studentenzeit in der DDR. Sein Lieblingsbuch? „Magermilch und lange Strümpfe“, sagt er spontan, da ihm sehr viel an seiner Kindheit liegt. „Es ist aber auch ein Privileg, ein Buch gemeinsam mit dem eigenen Sohn zu schreiben.“ Zum 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution entsteht mit Sohn Sascha das Buch „David gegen Goliath“. Historiker
Sascha Lange betrachtet die Ereignisse aus geschichtlicher, Vater Bernd-Lutz aus seiner persönlichen Sicht. „Freie Spitzen“ heißt ein weiteres Buch, bei dem er einen Streifzug im gesamten Ostblock durch die vielfältige Landschaft des politischen Witzes unternimmt. 2014 wird Lange mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Im Januar 2019 wird er Ehrenbürger von Zwickau.

Ob es weitere Bücher gibt, hält er sich offen. Er beobachtet gern, lässt sich in seinem Lieblingslokal Café Grundmann inspirieren. Das ist „mein zweites Wohnzimmer“, sagt er. Aber auch das Café Maître mag er. Er nimmt sich Zeit für Freunde, den Stammtisch „Goglmosch“, pflegt Freundschaften. Bernd-Lutz Lange ist einer, der das Leben genießt. „Ich pflege den produktiven Müßiggang“ ist sein Motto.

Stand: 11.04.2024

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Kaufmann, Christoph

Diplomhistoriker, Museologe, Fotoarchivar | geb. am 14. September 1955 in Markranstädt

Eigentlich hätte er auch Detektiv werden können. Es ist schon viel Spürsinn vonnöten, um historische Fotos exakt zuzuordnen und ihr genaues Aufnahmedatum zu bestimmen. Christoph Kaufmann, der die Fotothek des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig aufbaut und bis September 2000 leitet, hat da oft Geschick bewiesen. Etwa als er nachweisen kann, dass Bertha Wehnert-Beckmann, die erste Berufsfotografin Europas, sich auch mit Aktfotografie beschäftigt hat. Wehnert-Beckmann richtet sich in einem Stadtpalais in der Elsterstraße 38 ihr Atelier ein. Und dort entstehen auch „Delikatessen“ der frühen Aktfotografie, für die selbstverständlich nicht öffentlich geworben werden darf. Kaufmann weist nach, dass die zwei Aufnahmen im Atelier Wehnert-Beckmanns entstanden sind. So hat er akribisch Tischdecken, Stühle oder Vorhänge mit jenen auf den offiziell aufgenommenen Porträts verglichen.

Geboren wird Christoph Kaufmann am 14. September 1955 in Markranstädt. Er ist aber Ur-Miltitzer, wie er sagt. Nach der Polytechnischen Oberschule in Miltitz hat der eineiige Zwilling zunächst „null Ahnung“, wie es beruflich weitergeht. Er bewirbt sich als Reprofotograf beim VEB Reprotechnik. Als er hört, wie schlecht das bezahlt wird, entscheidet er sich anders. Bruder Hans-Georg will Betriebsmess-, Steuerungs- und Regelungstechnik (BMSR) erlernen. Christoph Kaufmann entschließt sich kurzerhand, auch diese Lehre zu machen und schließt sie auch ab. Fünf Jahre fährt er auf Montage. Seine letzte Baustelle wird das Gewandhaus zu Leipzig, das die Firma mit Klimatechnik ausstattet.

Eine Sonderschau zur Völkerschlacht


Beim Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee 1979 kommt er ins Grübeln, wie es danach weitergeht. In einer Zeitung wird der Christ auf die
Fachschule für Museologie in Leipzig aufmerksam und bewirbt sich noch während der Armeezeit. Er hat Glück, wird zum Studium in der Musikvilla in der Grassistraße angenommen. Seine erste Stelle danach erhält er auf dem Schloss in Weißenfels. Er will aber nach Leipzig zurück und bewirbt sich immer wieder im Museum für Geschichte der Stadt Leipzig. Schließlich gelingt es ihm, im Mai 1987 eine Stelle in der damaligen Abteilung Sozialismus zu ergattern, die eigentlich nicht mehr wirklich existiert. Die ideologisch einseitige Ausstellung „Leipzig – gestern, heute, morgen“ ist bereits im Abbruch und wird „als nicht mehr tragbar“ angesehen. Als erste Aufgabe beginnt Kaufmann gemeinsam mit Kollegen die Sonderschau im Pavillon am Völkerschlachtdenkmal aufzubauen, die es heute nicht mehr gibt.

1988 bis 1992 absolviert er ein Fernstudium in Berlin. An der Humboldt-Universität wird er zum Diplomhistoriker ausgebildet. Übrigens gemeinsam mit Steffen Poser, dem späteren Leiter des Völkerschlachtdenkmals.

Die Liebe zu historischen Bildern


Direktor
Klaus Sohl schafft 1990 eine Stelle für die Fotothek im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig, wie es nun heißt. Vorher herrscht „das Prinzip Zigarrenkiste“, sagt Kaufmann schmunzelnd. Die Wissenschaftler betreuen Fotos eher nebenbei und recht stiefmütterlich. Obwohl er keine fotografische Ausbildung hat, entdeckt Christoph Kaufmann, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, rasch seine Liebe zu historischen Bildern. „Die Aufgabe ist mir zugewachsen“, bekennt der Miltitzer, der sich danach über viele Jahre einen Ruf als „Herr der Bilder“ erwirbt. An ihm kommt kaum einer vorbei, der für eine Publikation oder eine Ausstellung über das alte Leipzig ein Bild braucht.

Im Herbst 1989 sammelt er, ebenso wie Fotografin Evelyn Richter, abgestellte Plakate der Montagsdemonstranten vor dem Neuen Rathaus für das Museum. Eine digitale Datenbank wird seit Mitte der 1990er-Jahre systematisch aufgebaut, zunächst gemeinsam mit dem Verein Pro Leipzig sowie ABM-Kräften. Spannend wird die Ausstellung „Verwundungen“ 1994, die sich mit der Zerstörung Leipzigs im Zweiten Weltkrieg beschäftigt. Kaufmann unternimmt seine erste und letzte internationale Dienstreise, kann in englischen Archiven an Originalquellen forschen sowie Fotos im Lee-Miller-Archiv und im Public Record Office, dem britischen Nationalarchiv, auswerten.

Der „gläserne Schatz“ von Hermann Walter


Christoph Kaufmann forscht und publiziert zur Situation der Jungen Gemeinde im Spannungsjahr 1953, zur Baugeschichte des Neuen Gewandhauses und zur Trümmerbahn in Leipzig. Er veröffentlicht mehrere Publikationen zum Lebenswerk des berühmten Stadtfotografen
Hermann Walter und dem von Familienangehörigen fortgeführten Atelier. Das Stadtgeschichtliche Museum besitzt einen wahren Schatz an Glasnegativen: Karl Walter, der Sohn und Nachfolger des 1909 verstorbenen Fotografen Hermann Walter, muss im Juli 1935 das Atelier nach einer schweren Erkrankung dichtmachen. Und übergibt das Plattenarchiv der Firma mit rund 4.000 Aufnahmen an das Museum. Auf kleinen Karteikarten werden die Fotos von Hermann Walter grob inventarisiert. Im Alten Rathaus gelagert, haben die Platten wie durch ein Wunder den Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschadet überstanden.

Viele Jahre bleiben die nur der Fachwelt bekannten Aufnahmen der Öffentlichkeit verborgen, bevor sie Wolfgang G. Schröter neu entdeckt, es 1987 zu einer ersten Ausstellung sowie einem Buch kommt. Vom Atelier Walter mit etwa 1.000 Platten – die die moderne Stadt mit der Industrie in den 1920er Jahren in Leipzig dokumentieren – sind hingegen wenig Infos bekannt, die Sammlung wird detailliert erforscht. Kaufmann verfasst zur Ausstellung 2002 mit Wolfgang G. Schröter das Buch „Der gläserne Schatz“ über Hermann Walter. Beteiligt ist Kaufmann ebenso am Fotoband „Der gefrorene Augenblick“, der die Geschichte der Daguerreotypie in Sachsen 1839-1860 erzählt. „Mit Volldampf durch die Stadt: Die Leipziger Trümmerbahnen 1944-1956“ heißt ein weiteres Werk von Kaufmann. Im Museum widmet er sich ebenso etwa 2.000 Negativen von Johannes Widmann, der das zerstörte Leipzig sowie den Beginn des Wiederaufbaus dokumentiert.

Die Befreiung Leipzigs und das Capa-Haus


Wichtig ist Kaufmann die Befreiung Leipzigs durch die US-Armee im April 1945, wozu er das Bildmaterial sichtet. Der amerikanische Kriegsfotograf
Robert Capa (1913-1954) begleitet die Militärs und schießt eine berühmte Serie mit Fotos. Sie entsteht bei Kämpfen zwischen der anrückenden Infanteriedivision der US Army und deutschen Soldaten, die am Elsterflutbecken letzten Widerstand leisten. Kaufmann hat dazu viel geforscht. Vier Jahre lang unterhält er einen engen Kontakt zu Joe Lipsius, dem 2015 verstorbenen Begründer der Veteranen-Assoziation. Die hält Erinnerungen an die 69. Infanteriedivision wach. Ebenso wie der Leipziger Kabarettist Meigl Hoffmann, Historiker Volker Külow sowie Ulf-Dietrich Braumann gehört Kaufmann der Bürgerinitiative Capa-Haus an, die die Rettung des Gründerzeithauses in der Jahnallee 61 vorantreibt. Das Capa-Haus mit der Ausstellung im Erdgeschoss ist inzwischen ein Ort gelebter Erinnerung, in der es auch regelmäßig Veranstaltungen gibt. Kaufmann selbst hat dort kürzlich einen Vortrag zu weiteren Fotografen wie Lee Miller gehalten, die die Befreiung Leipzigs festgehalten haben.

Nach wie vor guckt Christoph Kaufmann regelmäßig im Internet, etwa bei eBay, ob neue Leipzig-Bilder auftauchen. Engagiert ist der Ruheständler ebenso, um den Nachlass von Armin Kühne im Universitätsarchiv der Universität Leipzig aufzuarbeiten.

Stand: 10.03.2024

Bildergalerie - Kaufmann, Christoph

Jacobs, Stephanie

Kunsthistorikerin, Museumsdirektorin, Buchwissenschaftlerin | geb. am 21. Februar 1963 in Unna/Westfalen

Wohlbehütet als drittes von vier Kindern wächst Stephanie Jacobs am Niederrhein auf. Das prägt sie als Familienmensch. Nach dem Abitur am Ricarda-Huch-Gymnasium in Krefeld, das sie von 1969 bis 1982 besucht, engagiert sie sich beim freiwilligen sozialen Dienst und arbeitet knapp zwei Jahre in einem Kinderheim. „Das war für mich ein Einschlag, weil ich viele harte Schicksale von Kindern und auch Elend erleben musste“, so die heutige Direktorin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig. Zunächst wollte sie in Bamberg Sozialarbeit studieren, „um die Welt ein wenig besser zu machen“. Doch noch bei der Immatrikulation 1984 – lediglich der Stempel im Studienbuch fehlt noch – entscheidet sie sich spontan um. Sie hat das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Die 19-Jährige schreibt sich ein für Philosophie, Psychologie und Kunstgeschichte, studiert in Bonn, Berlin und in Perugia in Italien. Sie erhält Stipendien an der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, der Bibliothèque National in Paris und vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft. Nach einem ausführlichen Ausflug in den Journalismus weiß sie inzwischen, dass es die Museumsarbeit ist, für die sie brennt. Sie kann beispielsweise an der Bibliothèque nationale de France in Paris sowie am Mellon Center der Yale University in New Haven, Connecticut, forschen und beendet ihre Dissertation 1997. Sie promoviert mit einer Arbeit über Konzepte der Moderne im 19. Jahrhundert, die unter dem Titel „Auf der Suche nach einer neuen Kunst“ an der Freien Universität Berlin entsteht.

Ein neuer Job in der „Wunderkammer“


Parallel arbeitet sie am Institut für Auslandsbeziehungen in Bonn. Später wechselt sie zum Haus der Geschichte der BRD in Bonn. Es folgt die Geburt der beiden Töchter und sie betreibt gemeinsam mit ihrem Mann das „jacobs & paul Büro für Geschichte“. Als historischer Dienstleister unterstützt es öffentliche Institutionen wie Museen, Archive und Gedenkstätten dabei, Ausstellungen zu organisieren, Publikationen zu veröffentlichen oder recherchiert für Filme und Theater. Stephanie Jacobs übernimmt im März 2007 die Leitung des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek. Die Sammlungen sind für sie „Wunderkammer und Zukunftswerkstatt zugleich“, wie sie in einer Rede anlässlich des 125. Jahrestages des Museums formuliert, das 1884 in Leipzig gegründet wurde.

Die damalige Dauerausstellung des Museums „Merkur und die Bücher“ muss 2007 aufgrund notwendiger Bauarbeiten schließen. Zudem hat sich die hauptsächlich auf die Buchstadt Leipzig und ihre Verlage gerichtete Schau im Lauf der Jahre inhaltlich überholt. Die Deutsche Nationalbibliothek plant zu diesem Zeitpunkt ihren vierten Erweiterungsbau. Ihre Depots platzen damals aus allen Nähten. Immerhin sammelt, dokumentiert und archiviert das in Leipzig und Frankfurt/Main beheimatete „Gedächtnis der Nation“ alle Werke in Schrift und Ton, die seit 1913 in Deutschland und weltweit über Deutschland oder in deutscher Sprache veröffentlicht werden. Da sind die Regale in den Depots rasch gefüllt. Im 2011 eröffneten Erweiterungsbau besteht die Chance, das Buch- und Schriftmuseum in modernen Räumen völlig neu zu konzipieren sowie die einmaligen Sammlungen fürs Internet-Zeitalter fit zu machen. „Das war ein Glückfall für das Museum, aber auch für mich persönlich, denn wann bekommt man schon einmal die Chance, ein Museum inklusive Neubau völlig neu aufzustellen“, erzählt Jacobs.

Die Menschheitsgeschichte der Medien


Während Anfang der 2000er Jahre so manches Museum schließen muss oder durch drastische Etatkürzungen beschränkt wird, bekommt das Buchmuseum hingegen einen Neubau. Dort
kann es seine Bestände erstmals nach der Zerstörung des alten Museums im Zweiten Weltkrieg neu und angemessen präsentieren. Nahezu fünf Jahre bleiben Zeit, mit dem Team eine Konzeption zu entwickeln. Es ist eine Zeit, in der viele glauben, das Buch sei durch die rasante Entwicklung neuer Medien am Ende. Deshalb entsteht die Idee, die neue Dauerschau in die Menschheitsgeschichte von Medien einzubetten. Schwerpunkt: Schrift, Buchdruck und digitale Netzwelten. Es folgt eine logistische Meisterleistung. Beim Umzug werden die Sammlungen in den Depots durchforstet, vieles neu entdeckt. Die Sonderschau wird gemeinsam mit vielen externen Wissenschaftlern aus verschiedenen Einrichtungen und Instituten entwickelt. „Bei einem so breit aufgestellten Thema wie der 5.000-jährigen Mediengeschichte der Menschheit ist es wichtig, Expertise einzuholen“, so die engagierte Museumschefin.

Heute ist klar, dass die Buchbranche trotz vieler Schwierigkeiten stabil ist. Und es auch in Leipzig keinen Grund gibt, dem Mythos der alten Buchstadt Leipzig mit ihren verlorenen großen Verlagen nachzutrauern. Hier hat sich eine junge Verlags- und Buchkunstszene etabliert, wie auch Jahr für Jahr auf der Leipziger Buchmesse zu sehen ist. „Wir schauen mit Optimismus nach vorne“, sagt Jacobs und freut sich, dass vor allem Gruppen von Kindern und Jugendliche regelmäßig ins Museum kommen und die vielfältigen Angebote nutzen. Die sind oft überrascht, dass auch Themen wie Graffiti oder Tattoo eine Rolle spielen und viele Dinge in eigenen Veranstaltungsformaten spielerisch ausprobiert werden können. Zusätzliche Stellen bieten die Chance, enger mit der Wissenschaft zusammen zu arbeiten. Unter ihrer Führung gelingt es, die Sammlungen beständig zu erweitern. Pop Up Bücher, Underground Comics oder Buchtüten, die der Leipziger Verleger Mark Lehmstedt zusammenträgt, kommen beispielsweise hinzu.

Schöffin will Gesellschaft vieles zurückgeben


Stephanie Jacobs arbeitet zudem ehrenamtlich als Schöffin am
Landgericht Leipzig. „Dort lerne ich, wie schwer es ist, die Menschen am prekären Rand der Gesellschaft für Demokratie, aber auch für Kultur zu interessieren.“ Es sei ihr stärkster Impuls, das Museum für alle Menschengruppen zu öffnen, niemanden aus dem Blick zu verlieren. Sie möchte mit der spannenden Sammlung nicht nur ein Fachpublikum ansprechen. „Wir haben als Kulturinstitution eine gesellschaftliche Verantwortung“, bekennt sie. Deshalb bietet das Museum auch ein breites Spektrum von Veranstaltungen zu politischen Themen an, ohne aber parteipolitisch Position zu beziehen. Darüber hinaus gibt es vielfältige Sonderausstellungen, auch zu kontrovers diskutierten Themen. Für Jacobs und ihr Team ist das eine Neuorientierung der letzten beiden Jahre. Mit der Schöffentätigkeit möchte sie zudem helfen, der Gesellschaft „für mein Luxusleben in der Kultur“, wie sie sagt, etwas zurückgeben.

In der Freizeit wandert sie gern, würde auch nach wie vor gerne im Barockchor Junge Kantorei singen. Die Sänger aus Marburg, Bonn und Heidelberg treffen sich zweimal pro Jahr zu Projektwochen. Es entstehen auch CD-Musikaufnahmen. Doch das ist derzeit nicht zu schaffen, bedauert die vielbeschäftigte Museumsleiterin, die in vielen Gremien mitarbeitet. Dazu gehören unter anderem das Literaturhaus Leipzig, die Kulturstiftung, die Association of European Printing Museums, der Internationale Arbeitskreises Druck- und Mediengeschichte, die Jury des Gutenberg-Preises der Städte Leipzig und Mainz.

Stand: 21.02.2024

Bildergalerie - Jacobs, Stephanie

Hocquél, Wolfgang

Architekturhistoriker, Denkmalpfleger, Autor | geb. am 25. September 1947 in Osterfeld

Ruhestand scheint Wolfgang Hocquél aus seinem Wortschatz gestrichen zu haben: Der Architekturhistoriker und Denkmalpfleger, der viel Sympathie für alte Häuser hat, arbeitet unermüdlich an Publikationen: Der „Architekturführer Leipzig – Von der Romanik bis zur Gegenwart“ ist sicherlich das Highlight. Das komplett überarbeitete Buch stellt auf 416 Seiten die wichtigsten der 15.000 Kulturdenkmale Leipzigs vor. Erschienen ist es 2023 im Leipziger Passage-Verlag in vierter Auflage. „Leipzig – Baumeister und Bauten“ heißt der ebenso bekannte Vorläufer. „Ich habe immer viel publiziert, weil es mir Spaß macht“, sagt Hocquél. „Bei jedem Denkmal, jeder historischen Persönlichkeit kann ich etwas Neues lernen.“ Schließlich müsse jeder Denkmalpfleger wissen, was er aus welchem Grund erhalten muss. Öffentlichkeitsarbeit sei da unverzichtbar. „Schließlich müssen wir ein Bewusstsein für Denkmale schaffen, die Menschen aufklären.“

Ein Herz für die Denkmalpflege


Seit mehr als einem halben Jahrhundert lebt Hocquél in Leipzig. Geboren wird er in Osterfeld in Sachsen-Anhalt. In Merseburg wächst er auf, wo er 1966 auch das Abitur ablegt. Nach der Armeezeit bei der Nationalen Volksarmee studiert er 1968 bis 1972 an der Hochschule für Bauwesen in Leipzig. „Ich bin nach Leipzig gekommen, als die
Universitätskirche schon gesprengt war“, so der spätere Bauingenieur. Er arbeitet in den unterschiedlichsten leitenden Funktionen als Denkmalpfleger. Zunächst in der Abteilung Kultur beim Rat der Stadt. 1984 wird er Bezirksdenkmalpfleger beim Rat des Bezirkes, später ein Jahr lang Direktor des Büros für architekturbezogene Kunst und Denkmalpflege des Bezirks Leipzig.

Schon damals stört ihn der ruinöse Zustand vieler Gebäude. Die DDR erlässt zwar 1975 ihr erstes Denkmalschutzgesetz. „Das war fachlich sehr gut“, so der Experte. Aber wegen fehlender Finanzen und Bauressourcen bleibt es wie ein Kampf gegen Windmühlen. Kleine, private Baubetriebe sind kaum noch vorhanden. Die Großen, wie das Leipziger Baukombinat, konzentrieren sich darauf, Plattensiedlungen auf der grünen Wiese zu errichten.

Wiederaufbau von Schloss Machen wird erstes Projekt


In den 1980er Jahren will er es noch einmal wissen. Er belegt Kunstgeschichte an der damaligen
Karl-Marx-Universität (heute Universität Leipzig), wo er 1987 auch promoviert. „Leipziger Kaufmannshöfe, Messehäuser und Passagen“ heißt die auch als Buch veröffentlichte Arbeit. Sein erstes größeres Projekt wird der Wiederaufbau des Ostflügels vom Schloss Machern, der 1981 bei einem Brand zerstört wurde. 1982 gehört Hocquél zu den Mitbegründern der Kulturzeitschrift Leipziger Blätter.

Am Ende der DDR hat die Belastung der Umwelt sowie die Zerstörung der Bausubstanz nahezu unerträgliche Ausnahme angenommen. Zum Glück kommt die Friedliche Revolution, die Menschen gehen auf die Straße. Auch Hocquél handelt. Mit Mitstreitern gründet er die Kulturstiftung Leipzig.

Auslöser ist ein Treffen von 14 Künstlern, Wissenschaftlern und Geistlichen am 26. Januar 1990 im historischen Lokal Zum Arabischen Coffe Baum. Neben Hocquel sind unter anderem Heinz-Jürgen Böhme, Gunter Böhnke, Werner Heiduczek, Bernd-Lutz Lange, Friedrich Magirius, Wolfgang Mattheuer, Bernd Weinkauf und Gewandhauskapellmeister Kurt Masur dabei. 1991 wird die Kulturstiftung Leipzig als Nummer 1 ins Stiftungsverzeichnis des Regierungspräsidiums Leipzig eingetragen. Masur wird ihr erster Präsident. Bei Benefizkonzerten in Frankfurt am Main sowie in Köln spielt er mit dem Gewandhausorchester Geld fürs Stiftungskapital ein. Die Stiftung beantragt bereits im März 1990 beim damaligen Runden Tisch, ihr einige Baudenkmale zu überlassen, damit sie diese sanieren kann. Sie bekommt schließlich die marode Alte Nikolaischule per Erbbaupacht übertragen. 1992 bis 1994 werden dort 13,9 Millionen Deutsche Mark investiert. Das ist nur möglich, weil Leipzigs Partnerstadt Frankfurt/Main stolze 8,9 Millionen DM beisteuert.

Eine Wende in der Baupolitik


Im Januar 1990 ist Wolfgang Hocquél Initiator der ersten demokratischen Volksbaukonferenz, die im Januar 1990 auf dem
agra Messepark in Markkleeberg stattfindet. Die Konferenz leitet eine Wende in der Baupolitik Leipzigs ein. Hocquéls Credo: Mit jedem Neubau auf der Grünen Wiese geht die Altstadt ein bisschen mehr kaputt. Deshalb müsse Schluss sein, die historische Substanz zu zerstören. „Die Gründerzeitstruktur macht Leipzig aus. Sie möglichst zu erhalten, ist kein Luxus“, betont er. 1992 wird er dann Leiter der Höheren Denkmalschutzbehörde beim Regierungspräsidium Leipzig. Dort setzt er auch Fördermittel gezielt ein, um die Sanierung maroder Gebäude voranzubringen und kann etliche Erfolge vorweisen. Auf eigenen Wunsch verlässt er die Denkmalschutzbehörde 2008. Das ist eine Auswirkung der sächsischen Verwaltungsreform.

Hocquél wird schließlich Geschäftsführer der Kulturstiftung Leipzig. Sein größter Coup ist eine Ausstellung „made in Leipzig“ über die sogenannte Leipziger Schule in Torgau. Dort präsentiert die Kulturstiftung Leipzig von Anfang April bis Ende Oktober 2007 Arbeiten von 29 Künstlern und spricht damit 20.000 Besucher an. Es ist eine Zeit, in der die Welt über die neue Kunst aus Leipzig spricht. Die Idee, die Privatsammlung Essl aus Klosterneuburg in Torgau zu präsentieren, hat er gemeinsam mit Kunsthistoriker Richard Hüttel. Im Museum der bildenden Künste Leipzig kommt diese Ausstellung damals nicht zustande.

Ein neues Buch über Leipziger Villen


Bei der Kulturstiftung bleibt er bis 2015 – seitdem setzt er freiberuflich als Autor und Gutachter für Denkmalschutz verschiedene Projekte um. Manchmal auch außerhalb Leipzigs. Er hat nach etwa einem Dutzend Büchern und Publikationen noch große Pläne. Neuestes Projekt ist ein Bildband über Leipziger Villen, den er gemeinsam mit Richard Hüttl schreibt. Das verzögert sich, weil der Verlag Faber & Faber Insolvenz angemeldet hat. Die Idee, seine Geschichten und Erlebnisse rund um die Denkmalpflege in Leipzig aufzuschreiben, hat er ebenfalls. „Da gibt es viele interessante Details zu erzählen.“ Und hin und wieder ärgert sich der Denkmalbewahrer auch: Mit dem „Aufbau“ der
Hauptpost am Augustusplatz kann er sich nicht richtig anfreunden. „Was für die Renaissance das Alte Rathaus, ist für die ‚Ostmoderne‘ die Hauptpost. Mit ihr hätte man sich mehr Mühe geben müssen“, findet er.

Stand: 08.03.2024

Bildergalerie - Hocquél, Wolfgang

Lehmstedt, Mark

Verleger, Autor, Vorsitzender Geschichtsverein | geb. am 11. Februar 1961 in Berlin

Er hat ein Herz für Leipzigs Stadtgeschichte. Das beweist Mark Lehmstedt nicht nur mit seinem Verlag, der sich auf die Kulturgeschichte Mitteldeutschlands, (Schwarzweiß-)Fotografie sowie Reiseführer spezialisiert hat. Seit 2019 leitet er als Vorsitzender den Leipziger Geschichtsverein. Lehmstedt – dieser Name steht für eine Leipziger Erfolgsgeschichte, seit der gebürtige Berliner seinen Verlag hier am 1. März 2003 gründet. Dieser hat sein Domizil seit 2021 in Barthels Hof unweit des Markts.

Zur Bewährung in der Braunkohle


Geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist Mark Lehmstedt in Ost-Berlin. Dort besucht der Sohn einer Professorin für Klavierpädagogik zunächst eine Russisch-Schule, später die 2. Erweiterte Oberschule, bekannt als Gymnasium „Graues Kloster“. Vier Wochen vor den Abiturprüfungen wird er im Jahre 1979 allerdings relegiert. Der Grund: Er hat eine Kulturwoche organisiert und in der Schülerzeitung einen Artikel geschrieben, der sich gegen Missstände im Bildungssystem der DDR wendet. Er fliegt, ohne dass sich jemand um seine Zukunft kümmert. Es gibt aber eine Patenbrigade im Braunkohlenkombinat Bitterfeld, die Arbeitskräfte sucht. Der junge Mann steigt in den Zug nach Bitterfeld und landet noch am gleichen Tag als Hilfskraft „zur Bewährung“ für gut anderthalb Jahre in der Produktion. Dort schließt er eine Ausbildung zum Facharbeiter für Anlagen und Geräte, Spezialisierungsrichtung Tagebaugroßgeräte, ab. Er darf schließlich an der Volkshochschule das Abitur machen. Es folgt der Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee. 

Der Meister aus der Braunkohle schreibt ihm eine Super-Beurteilung, deshalb klappt danach das Studium der Germanistik an der Karl-Marx-Universität in Leipzig sowie der Humboldt-Universität in Berlin. Von 1987 bis 1991 unterrichtet Lehmstedt als Assistent am Lehrstuhl für deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts in Leipzig. Dort kann er 1990 mit einer Studie über den Verleger Philipp Erasmus Reich promovieren. Sein Zeitvertrag an der Universität Leipzig endet. Die Deutsche Nationalbibliothek will ihn übernehmen. Doch das funktioniert nicht, da die beiden Nationalbibliotheken in Leipzig und Frankfurt/Main fusionieren und daher Einstellungsstopp herrscht. In den folgenden Jahren ist er bei verschiedenen Forschungsprojekten tätig, darunter als Fellow des Wissenschaftskollegszu Berlin. Von 1999 bis 2002 arbeitet er als Lektor bei Directmedia Publishing in Berlin. Dort wird eine „Digitale Bibliothek“ aufgebaut.

Ein erstes Buch über Hungerjahre in Leipzig


Doch auch diese Tätigkeit endet. Er besinnt sich auf Leipzig, das er gut kennt. Schon der Großvater betreibt im nahen Weißenfels ein Schreibwarengeschäft. Von dort fährt er regelmäßig mit dem Auto in die Messestadt zum Einkauf beim Großhändler. In den Ferien durfte Enkel Mark mit und ist schon damals von der Stadt begeistert. Prägend ist für den Schüler 1978 der FDJ-Studentensommer in Leipzig. Er konnte an Lesungen in der noch nicht fertig gestellten
Moritzbastei teilnehmen, im Innenhof der Universität als Liedermacher auftreten und Diskussionsrunden lauschen. 

2003 gründet Mark Lehmstedt schließlich seinen eigenen Verlag. Sein erstes Buch ist „Hungerjahre in Leipzig“ mit Briefen des Studenten Jean Paul. „Als Unternehmer habe ich es immer in der Hand, was ich mache. Das kann zwar schiefgehen. Aber dann bin ich daran selbst schuld“, sagt er im Interview. „Diese Freiheit schätze ich.“ Viel ist nicht schiefgegangen, obwohl nicht jedes Buch ein wirtschaftlicher Erfolg wird.

Knapp 350 Titel sind seitdem im Lehmstedt-Verlag erschienen. Mittlerweile beschäftigt der Verlag, der 2019 mit dem Deutschen und 2020 mit dem Sächsischen Verlagspreis ausgezeichnet wurde, eine Grafikerin und Gestalterin sowie eine Lektorin. Die künstlerische Leitung verantwortet der Berliner Buchgestalter und Publizist Mathias Bertram, der auch zahlreiche Fotobücher für den Verlag herausgegeben hat.

Ein führender Verlag für Reiseführer


Mit mehr als 100 Reiseführern wird Lehmstedt zugleich der führende Reisebuchverlag Ostdeutschlands. Er veröffentlicht nicht nur Bücher zu den Touristenzentren, sondern auch zu kleineren Städten. Sein bisher erfolgreichstes und wichtigstes Buch heißt „Leipzig an einem Tag“ von
Doris Mundus. Mittlerweile gibt es einen „Stadtführer für einen Tag“ für mehr als 110 Städte in ganz Deutschland. Das sind von Flensburg über Zittau, Kamenz, Freiberg, Quedlinburg bis Konstanz beliebte Reiseziele, die bei den großen Verlagen keine Chance haben. „Das war so nicht geplant. Es ist die unerwartete Wirkung des Leipzig-Buches“, sagt Lehmstedt. Für Leipzig kommen noch einige Stadtteilführer sowie Spezialführer zur Musikstadt Leipzig oder zum Südfriedhof hinzu, die sich vor allem ans heimische Lesepublikum wenden. 

Lehmstedt hat ein Gespür für Themen, die die Leute interessieren. Ein Spitzentitel ist auch „Das ungebaute Leipzig“ von Arnold Bartetzky, das auf der Leipziger Buchmesse 2024 präsentiert wird. Darin geht es um architektonische Pläne, kühne Visionen und Luftschlösser rund um Messetürme, Wolkenkratzer und Flugplätze, die in Leipzig nicht verwirklicht wurden.

Ganz nebenbei gönnt er sich „Herzensprojekte“. Oft weiß er von vornherein, dass die Erlöse alles andere als üppig sind. Dazu gehört sein geplantes sechsbändiges Lexikon zur „Buchstadt Leipzig“. Dafür forscht er in vielen Archiven. Erschienen ist derzeit ein Band, der den Zeitraum 1420–1539 behandelt. Der Wissenschaftler hat sich 1825 als Grenze seiner Forschungen gesetzt, da in jenem Jahr in Leipzig der Börsenverein des Deutschen Buchhandels gegründet wurde. Weil die Corona-Pandemie ihn ausbremst, Archive viele Monate nicht zugänglich sind, wird das Lexikon bis zum Themenjahr Buchstadt Leipzig 2025 allerdings nicht komplett fertig, wie einst gehofft. Im Herbst 2024 erscheint zunächst der zweite Band. Nebenbei arbeitet er an einem Projekt, bei dem er als Autor die Entstehung des Gebrauchtbuchhandels und der Antiquariate im 17./18. Jahrhundert thematisiert.

Lehmstedt ist es wichtig, sein Wissen weiterzugeben. An der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz habilitierte er 2012 über „Comics und Zensur in der DDR“. Eine Weile unterrichtete er dort am Institut für Buchwissenschaft. 2019 wurde er als Privatdozent für Buch- und Mediengeschichte am Historischen Seminar der Universität Leipzig tätig.

Die Industriegeschichte Leipzigs als Wunschprojekt


Wünsche für künftige Publikationen hat der rührige Verleger noch viele. Ein großer Traum wäre ein wissenschaftlicher Abriss zur Industriegeschichte Leipzigs von den Anfängen bis hin zum
Porsche Werk und BMW Werk in Leipzig. „Da gibt es eine Fülle von Betrieben, die letztlich zur Basis vieler Unternehmen geworden sind, die wie die Bleichert Werke zu Weltkonzernen werden“, erklärt er. Diese Vielfalt sei nur wenigen bewusst. So ein Projekt sei aber nur mit einer Gruppe interessierter Leute sowie Forschungen der Universität Leipzig möglich. Auch eine gut recherchierte und erzählte Biografie über Karl Heine schwebt Mark Lehmstedt vor. Wichtig ist ihm auch der Leipziger Geschichtsverein. Hier fördert er ebenso eigene Forschungen und Tagungen, wie in verschiedenen anderen Arbeitskreisen rund ums Buch und die Buchwissenschaft.

Stand: 29.01.2024

Bildergalerie - Lehmstedt, Mark

Liebich, Angela

Fotografin, Fotokünstlerin, Geschichtenerzählerin | geb. 1966 in Leipzig

Die Architektur ihrer Stadt beflügelt ihre Fantasie. Angela Liebich ist eine Architektur-Geschichtenerzählerin. Dabei inszeniert die Fotokünstlerin bekannte oder weniger bekannte Bauwerke als eine Art „lebendiges Stillleben“. Das Fotokunstprojekt „Fantastisches Leipzig“ dokumentiert seit nunmehr acht Jahren die Architektur der Stadt, deren Vielfalt über Jahrhunderte gewachsen ist und heute einen wesentlichen Aspekt der hiesigen Lebensqualität darstellt. Es widmet sich dem architektonischen und kulturhistorischen Erbe Leipzigs.

Ihr Anliegen ist es, Leipzig auf eine einzigartige Weise darzustellen, die nicht nur die kulturelle Vielfalt, sondern auch die nachhaltige Entwicklung der Stadt in den Fokus rückt. Projektbegleitend erscheint der limitiert aufgelegte Fotokunstkalender „Fantastisches Leipzig“, den Angela Liebich seit 2017 im Eigenverlag herausgibt und der inzwischen ein begehrtes Sammelobjekt geworden ist.

Betrachter wird durch surreale Bilder berührt


Die Fotografien der Leipziger Fotokünstlerin zeichnen sich durch eine unverwechselbare Bildsprache aus, die klassisches Kulturerbe und die Modernität Leipzigs bündelt. Was ihre Bilder besonders macht, ist ihre Fähigkeit, den Betrachter durch beinahe surreale Bildgeschichten zu faszinieren und emotional zu berühren. Durch ungewöhnliche Blickwinkel und fantastische Bildchoreografien wird der Geist der Bauwerke quasi überhöht und dadurch auf eine gänzlich neue Weise sichtbar gemacht. Zusätzlich zu den beeindruckenden Fotografien werden historische Aufnahmen und sorgfältig recherchierte Texte präsentiert, auch in englischer Übersetzung. Dabei stützen sich Angela Liebich und ihr Projektteam vor allem auf die fachliche Unterstützung des
Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig

Leipzigs Zauber betrachtet sie mit ihrer Kamera aus ungewöhnlicher Perspektive. So lässt sie auf der Könneritzbrücke, die in Plagwitz über die Weiße Elster zum ehemaligen Fabrikgebäude des Wäsche- und Versandhandels Mey & Edlich führt, junge Artisten ein gewagtes Kunststück vollführen. Eine junge Dame in hohen Schuhen platziert sie zwischen den Säulen der Sächsischen Aufbaubank, deren futuristisch anmutendes Architekturensemble an der Gerberstraße ein Hingucker in Leipzig ist. Eine ältere Dame und ein Mann mit Gartenzwerg posieren in der historischen Kleingartenanlage Dr. Schreber als Laubenpieper. Eine Tänzerin und zwei Tänzer im Schwanensee-Tutu stehen lächelnd auf einem Tisch und vor Sesseln im Opernhaus. Kinder mit Bauhelmen, Schaufel und Spielzeugbagger sitzen auf dem Schaufelradbagger im Bergbau-Technik-Park am Störmthaler See. Auf dem Rand des Mendebrunnens platziert sie eine kleine Nymphe. Andrea Liebich widmet sich ebenso verfallenen Häusern, wie dem Ringlokschuppen am Bayerischen Bahnhof. Ihr Ideenreichtum scheint nahezu unendlich. Im Jahr 2026 feiert das Fotokunstprojekt sein zehnjähriges Bestehen, das mit einer großen Ausstellung und Bildband seinen Abschluss finden wird.

Das Handwerk von der Pike auf gelernt


„Ich inszeniere sehr gern und bin dazu wohl von meiner Mutter angeregt worden“, erzählt die Fotografin, die für Verlage und Magazine, aber auch in der Werbung für Firmenkunden arbeitet. Sie ist in eine Künstlerfamilie hineingeboren worden. Ihre Mutter ist die international bekannte Puppengestalterin
Hannelore Liebich. Ihr Vater Klaus Liebich war Dozent für Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Der Fotograf, Dozent und Buchautor ist im Januar 2023 gestorben. Er hinterlässt der Stadt bedeutende fotografische Stadtansichten aus den 1950er und 1960er Jahren. Darunter Aufnahmen von Leipziger Gebäuden, die unwiederbringlich verloren gingen.

Dazu gehören das Gebäude des Zweiten Gewandhauses an der Beethovenstraße und der wertvolle frühbarocke Bau von Deutrichs Hof zwischen Reichsstraße und Nikolaistraße. Auch der mit jungen Jahren bereits verstorbene Bruder Andreas, der ein international bekannter Jazzfotograf war, weckt bei Angela Liebich das Interesse und die Neugier.

Dass sie als Fotografin in die Fußstapfen des Vaters tritt, ist ihr keineswegs in die Wiege gelegt worden. Er besteht darauf, dass sie ihr Handwerk von der Pike auf lernt. Daher beginnt Angela Liebich zunächst mit einer Fotografenlehre im sächsischen Meißen. Danach arbeitet sie als wissenschaftliche Fotografin an der Leipziger Universitätsklinik für Augenkrankheiten. 1988 wechselt sie als Bildjournalistin zum „Sächsischen Tageblatt“ und taucht mit ihrer Kamera ein in eine spannende Zeit voller Umbrüche, die mit der Friedlichen Revolution auch für sie viel Freiheit bringt.

Liebich studiert schließlich von 1989 bis 1991 Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Dort begegnet sie Helmut Newton, einem weltweit bekannten Fotografen. Jener Meister der Inszenierungen wird ein Vorbild, das sie begeistert. Inspiriert wird sie ebenso von den Stadtansichten, die Hermann Walter im 19. Jahrhundert aufnahm. Das war eine Zeit, in der Leipzig sich rasant von der alten Messe- und Handelsstadt zur modernen Großstadt entwickelte. Der gebürtigen Leipzigerin ist es ein Bedürfnis, fotografische Traditionen wiederzubeleben und sich den städtebaulichen Errungenschaften ihrer Stadt künstlerisch zu widmen.

Von kulinarischer Entdeckungsreise zu eigenen Projekten


Nach dem Studium ist Angela Liebich freischaffend als Werbe-, Mode- Produktfotografin tätig. Zwölf Jahre lang porträtiert sie in ganz Ostdeutschland Menschen mit ihren persönlichen Geschichten. Es sind inzwischen ca.15 Bücher erschienen. Darunter auch die Buchreihe eine „Kulinarische Entdeckungsreise“ sowie „Faszination Welterbe“. Sie will aber weg von den Auftragswerken, ihr Talent richtig einsetzen und eigene Projekte verwirklichen. Das gelingt das erste Mal mit dem eigenen Buch „Grand Schlemm“, einer kulinarischen Strandwanderung auf Usedom. Und seit 2017 überzeugt das „Fantastische Leipzig“-Projekt. Es ist verbunden mit dem Verkauf des projektbegleitenden Kalenders. In der Adventszeit bietet sie ihre Arbeit unter anderem in einem eigens gemieteten Ladengeschäft im
Specks Hof und im Hansa-Haus an.

Stand: 25.2.2024

Bildergalerie - Liebich, Angela

Maul, Michael

Musikwissenschaftler, Autor, Intendant | geb. am 15. Februar 1978 in Leipzig

Mittlerweile gibt es am Störmthaler See sogar einen Bach-Wald. Auf einer Fläche von rund 29 Hektar wächst in den nächsten Jahren ein Mischwald aus dann rund 130.000 Bäumen und Sträuchern. Die Idee dazu stammt von Michael Maul, dem Intendanten vom Bachfest Leipzig. Das Festival ist Leipzigs Aushängeschild. Viele der eingeladenen Künstler sowie fast die Hälfte des Publikums reist eigens aus dem Ausland an, sehr viele aus den USA. Da lassen sich Flugreisen, die bekanntlich für einen sehr hohen CO2-Ausstoß sorgen, nicht vermeiden. „Das ist in Zeiten der Klimaerwärmung ein ernstzunehmendes Problem. Aus diesem Dilemma können wir uns nur durch Kompensation befreien“, bekennt Maul. Daher sei die Idee entstanden, durch Anpflanzen eines Waldes wenigstens etwas gegenzusteuern. Der Intendant will das keineswegs als Feigenblatt verstanden wissen. Es ist ein ernsthafter Versuch, die Internationalität des Festivals zu erhalten. Was für die Wagnerianer Bayreuth ist, soll Leipzig für die Bachfans aus aller Welt sein. Was ihn freut: Der Bach-Wald hat bereits Modellcharakter, andere Festivals und Orchester nutzen die Idee nach.

Der Klassikliebhaber Michael Maul lebt seinen Traum. Einst unsicher, ob der Studiengang Musikwissenschaft wirklich zu ihm passt, vermarktet er heute als Intendant des Bachfestes seine Heimatstadt. Im Jahr 2015 wird Maul zunächst Dramaturg des Bachfest Leipzig, bevor er im Mai 2018 zum Intendanten gewählt wird. „Leipzig durch überraschende Festival-Konzeptionen einmal jährlich ins ,Bayreuth Bachs’ zu verwandeln, betrachte ich als meine zentrale Aufgabe“, sagt Maul in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung.

Die Suche in Archiven nach Bach


Geboren im Februar 1978, wächst Michael Maul in Engelsdorf auf. Dort besucht er die Polytechnische Oberschule „Friedrich Engels“ und macht am König-Albert-Gymnasium in
Czermaks Garten sein Abitur. In den späten 1990erJahren studiert Maul an der Universität Leipzig. Dort belegt er bis 2002 Musikwissenschaft, als Nebenfächer Journalismus und Betriebswirtschaftslehre. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bach-Archiv Leipzig durchforstet er weitere Archive in Mitteldeutschland und Osteuropa systematisch nach Bezügen zu Johann Sebastian Bach. Dabei stößt er beispielsweise 2001 in Vilnius/Litauen auf die älteste erhaltene deutschsprachige Oper Bachs, die Pastorello musicale. Datiert ist die Handschrift aus Königsberg mit 1663.

International bekannt wird Maul, als er 2005 in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar die Bach-Arie: „Alles mit Gott und nichts ohn’ ihn“ entdeckt. Bis dahin war das ein unbekanntes Vokalwerk des Komponisten. Und es war die erste Neuentdeckung seit etwa 70 Jahren. Ein Jahr später findet Maul ebenfalls in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zuvor unbekannte Notenhandschriften Bachs, die sogenannte Weimarer Orgeltabulatur mit Abschriften der Choralfantasien.

Maul promoviert 2006 in Freiburg im Breisgau an der Albert-Ludwigs-Universität mit einer Arbeit über die Barockoper in Leipzig. 2013 erfolgt die Habilitation an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die eine vielbeachtete Arbeit zur Geschichte des Leipziger Thomaskantorats ist und ausgezeichnet wird. Er ist außerplanmäßiger Professor im Fach Musikwissenschaft in Halle-Wittenberg, unterrichtet auch an der Universität Leipzig sowie der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“.

Der Lebenslauf der Alumnen


Der Wissenschaftler wird auch im
Stadtarchiv Leipzig fündig. So erforscht er das Album Alumnorum Thomanorum mit Handschriften von Bachs Schülern. Der Inhalt des fast 700-seitigen Bandes ist zwar bekannt. Das Original gilt allerdings lange Zeit als verschollen und schlummert seit den 1960er-Jahren nahezu unbeachtet mit anderen Dokumenten aus der Thomasschule im Stadtarchiv. Das Besondere: Alle 650 Alumnen, die von 1729 bis 1800 neu in die Thomasschule aufgenommen worden waren, haben dort eigenhändig einen Kurzlebenslauf eingetragen. Das wiederum liefert der Wissenschaft neue Hinweise zur Datierung der Bach-Werke. Denn damals können die Noten nicht einfach so kopiert werden. Bach setzt daher zahlreiche seiner Schüler ein, die die Noten für die Aufführungen abschreiben müssen.

Eine große Biografie über den Menschen Bach


Seit vielen Jahren beschäftigt sich der Musikwissenschaftler mit dem Musikgenie Bach. Über den Menschen Bach hingegen ist wenig bekannt. Anders als
Beethoven hat er der Nachwelt kaum persönliche Schriften hinterlassen. Mit seiner zweisprachig auf Deutsch und Englisch im Lehmstedt-Verlag erschienenen Biografie versucht Maul, Licht ins Dunkel zu bringen und hat dafür viele Dokumente ausgewertet. Selbst auf Noten auf vergilbtem Papier entdeckt er durch Bach verfasste Randnotizen, die dann faszinierende Einblicke in dessen Arbeitsweise geben.  Der Thomaskantor komponiert zwar Gebrauchsmusik für Gottesdienste. „Doch diese war teilweise so anspruchsvoll, dass viele Musiker und Sänger zeitweilig überfordert waren. Auch der Thomanerchor“, so Maul.

Bachs Leben sei ein Lückentext, schreibt der Forscher im Vorwort seiner bebilderten Chronik. Bekannt sind Zwistigkeiten Bachs mit seinem Arbeitgeber, der Stadt Leipzig. Für die ist er keineswegs erste Wahl. Die wollen lieber Georg Philipp Telemann, der damals schon eine europäische Berühmtheit ist und lieber in Hamburg bleibt.

Podcast und Bach-Hörbiografie für Musikliebhaber


Kompetenzstreitigkeiten mit Funktionsträgern von Schule, Kirche oder Stadt führen dazu, dass sich Bach den Ruf eines streitbaren Zeitgenossen erwirbt, der einige Male ins
Alte Rathaus zitiert wird. Bach ärgert sich immer wieder über die „wunderliche und der Music wenig ergebene Obrigkeit“. Für den Bachforscher Maul bleibt das Musikgenie eine unendliche Geschichte, bei der es noch viel zu entdecken gibt. Regelmäßig ist Maul bei MDR Klassik zu hören. In einem Podcast nimmt er gemeinsam mit Bernhard Schrammek jeweils eine Kantate genauer unter die Lupe. „Mir ist wichtig, meine Ergebnisse nicht nur mit der Forscher-Community zu teilen. Ich will sie in verschiedenen Formaten einer musikinteressierten Öffentlichkeit vermitteln.“ Neben dem Podcast gibt es beim Deutschlandfunk Kultur die XXL Hörbiografie über Bach mit 33 Folgen. In der Insel-Bücherei nimmt er im Buch „Wie wunderbar sind deine Werke“ Interessierte charmant in die Welt der Kantaten mit.

Darüber hinaus ist Familienvater Maul sehr sportlich unterwegs. Für Ideen wie „Bach – We are family!“, die Chöre aus aller Welt zum Bachfest nach Leipzig holte, bekommen Maul und sein Team 2022 den Leipziger Tourismuspreis. Im Jahr 2024 erhält er die Leipziger Lerche, die begehrte Trophäe des Wirtschaftsvereins „Gemeinsam für Leipzig“. „Mir macht es Spaß, immer wieder neue Konzepte zu entwickeln, um die Welt in Leipzig zu Gast zu haben“, sagt der Professor. Und man darf sich gewiss sein, das Maul, der heimliche Popstar in Sachen Klassik, noch viele Überraschungen hat.

Stand: 04.02.2024

Bildergalerie - Maul, Michael

Speck von Sternburg, Wolf-Dietrich

Kunstmäzen, Hotelier | geb. am 17. Februar 1935 in Stolp (damals Pommern)

Er ist Nachfahre eines Wollhändlers und Schafszüchters: Wolf-Dietrich Freiherr Speck von Sternburg, der sich in Leipzig längst einen Namen als der Kunstmäzen gemacht hat, stammt aus einer alten Leipziger Kaufmannsfamilie. Deren Name ist noch heute mit dem Rittergut in Lützschena, dem Schlosspark Lützschena, dem Handelshaus Specks Hof und deren wunderbar gestaltete Passage sowie dem Sternburg Bier verbunden. Und vor allem mit der Maximilian-Speck-von-Sternburg-Stiftung, die dem Museum der bildenden Künste Leipzig eine ihrer wertvollsten Sammlungen als Dauerleihgabe anvertraut.

Handelsherr begründet eigene Schafszucht


Und diese Geschichte beginnt eigentlich mit
Napoleon. Der Franzosenkaiser verfügt im November 1806 eine Kontinentalsperre über die britischen Inseln. Das hat auch Auswirkungen auf den Leipziger Handelsherrn Maximilian Speck (1776-1856), der daraufhin keine Wolle mehr kaufen kann. Der umtriebige Geschäftsmann, der aus einfachen Verhältnissen stammt, beschließt, auf dem Rittergut Lützschena selbst Edelschafe in großem Stil zu züchten. Die Merinoschafe haben wegen ihrer begehrten Feinwolle eine große wirtschaftliche Bedeutung. Davon hört sogar Zar Alexander I., der Maximilian Speck einlädt, die russische Landwirtschaft zu fördern. Der Zar ernennt ihn 1825 zum Ritter von Speck, der bayerische König Ludwig I. macht ihn um 1829 schließlich zum Freiherrn von Sternburg.

Wie alle wohlhabenden Leipziger Handelsherren sammelt der Tuchhändler Kunst. Da er Handelshäuser auf der ganzen Welt unterhält, reist er viel und hat bei seiner Rückkehr nicht selten ein Gemälde im Gepäck. Verheiratet mit der wohlhabenden Tochter eines Leipziger Bürgermeisters, trägt er mit ihr über viele Jahre eine erlesene Sammlung von Gemälden und grafischen Blättern zusammen. Ehefrau Charlotte ist selbst Kupferstecherin.

Sein Enkel Hermann Speck von Sternburg ist Botschafter des Deutschen Kaiserreiches in den USA und China. Auch von dort gibt es viele Kunstschätze, einige davon sind in der Sammlung des GRASSI Museums für Völkerkunde zu finden. Ur-Ur-Enkel Wolf-Dietrich, dem Haupterben Maximilians, ist der Kunstsinn daher schon in die Wiege gelegt worden.

Hotelkaufmann zieht es hinaus in die Welt


Geboren wird Wolf-Dietrich Speck von Sternburg in Stolp, das damals zu Hinterpommern (heute: Słupsk in Polen) gehört. Dort verlebt er eine glückliche Kindheit und die Volksschulzeit. Die Familie wird nach 1945 vertrieben und kommt zunächst nach Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern. Später siedelt sie sich im hessischen Wiesbaden an. Wolf-Dietrich Freiherr Speck von Sternburg macht schließlich eine Ausbildung zum Hotelkaufmann in Bad Reichenhall. Es zieht ihn hinaus in die Welt, nach Ecuador, Peru und in die USA. Dort arbeitet er als Kellner und Concierge. An der Cornell University in Ithaca im Bundesstaat New York absolviert er ein Studium zum Hotelmanager. Bis zur Pensionierung im Jahr 1996 ist er Prokurist bei einer Münchner Hotelgesellschaft.

Die Familie hat die Sammlungen verwaltet, später nicht mehr durch Neukäufe ergänzt. Der Älteste als Majoratsherr ist jeweils der Erbe, muss aber für die Familie sorgen, die Älteren unterstützen, die Ausbildung für die Jüngeren bezahlen. Dadurch ist auch die Sammlung vereint geblieben. Im Roman „Der Wollhändler“ von Susan Hastings wird die Familiengeschichte verarbeitet.

Zum Kirchentag und zur Messe in Leipzig


Zu DDR-Zeiten wird die Sammlung enteignet. Zu ihr gehören Meisterwerke von
Lucas Cranach dem Älteren, Rubens und Caspar David Friedrich, Johan Christian Dahl, Conegliano und zahlreiche Werke holländischer Meister. Die mehr als 200 Werke werden im Museum der bildenden Künste aufbewahrt und teilweise gezeigt. Als 19-Jähriger kommt der Freiherr im Jahr 1954 erstmals nach Leipzig – damals zum Evangelischen Kirchentag. Er wohnt bei der Tante in einer Dachkammer der Villa Sternburg. Im Schloss darf sie schon lange nicht mehr wohnen. Heimlich besichtigt er den verwilderten Schlosspark und macht Fotos. „Es war ein trauriger Anblick. Der Park, den meine Familie über Jahrhunderte gepflegt hat, Friedhof und Mausoleum waren verwildert“, erinnert er sich. Mit Hilfe der Fotos konnten nach der Wende viele Statuen und Monumente rekonstruiert werden.

Doch zunächst wird die Mauer errichtet. Leipzig und Lützschena rücken für den jungen Mann in weite Ferne. In den 1970er und 1980er Jahren kommt er zur Leipziger Messe. Dort besichtigt er auch das Museum der bildenden Künste, das damals im ehemaligen Reichsgericht untergebracht ist. Und sieht auch das Schild unter einigen Gemälden: „Erworben 1945“. Das stößt zwar bitter auf, doch insgesamt freut er sich, dass die Sternburg-Sammlung überhaupt noch existiert. „Das positive Denken und Handeln habe ich meiner Mutter zu verdanken – trotz aller Tragik in ihrem Leben“, sagt er. Die Eltern habe er nie jammern gehört.

Nach der Friedlichen Revolution fürchten der Freistaat Sachsen und die Stadt Leipzig, dass die Familie Speck von Sternburg ihren rechtlich verbrieften Eigentumsanspruch geltend macht und die Bilder zurückfordert. Wolf-Dietrich wird als Vertreter der Familie nach Leipzig geschickt, um sich um das Erbe zu kümmern. Er fühlt sich verpflichtet, die Sammlung in Leipzig zu belassen. Maximilian Speck verfügte einst, dass seine Sammlung an die Stadt Leipzig fallen solle, sobald es keine männlichen Namensträger mehr gäbe. Das ist zwar nicht der Fall. „Ich habe mir gedacht, Maximilian hat diese Sammlung eigentlich der Stadt Leipzig übergeben wollen“, so der Nachfahre. „Und da war die beste Lösung eine Stiftung.“

Stiftung gegründet – Gemälde sollen zugänglich bleiben


Die Stiftung wurde am 12. November 1996 in Leipzig gegründet. Sie überlässt dem Museum die 202 Gemälde, rund 700 Grafiken und eine Kunstbibliothek als Dauerleihgabe. Anstatt einige der Bilder in seinen Wohnungen in München und Leipzig oder in Räumen im Lützschenaer Schloss aufzuhängen, betrachtet er diese lieber im Museum. „Es ist die Erinnerung an Maximilian und seinen letzten Willen, die Gemälde für die Öffentlichkeit zu erhalten“, begründet er mit viel Respekt vor dem berühmten Vorfahren.

Parallel kümmert er sich um das Schloss in Lützschena, das die Familie ebenso wie den enteigneten und in 34 Parzellen geteilten Park zurückkauft. „Ich wollte nie Parkbesitzer sein. Aber es war die einzige Möglichkeit, den Park für Lützschena zu erhalten und handlungsfähig zu bleiben.“ Im Schloss war damals eine Schule für behinderte Kinder untergebracht. Mit wie viel Liebe sie betreut worden sind, habe ihn sehr berührt, sagt er. Und es ist wohl der Ansporn, das Kinderhospiz Bärenherz in Markkleeberg, das erste Kinderhospiz in Mitteldeutschland, zu unterstützen. Dort ist er Mitglied im Kuratorium.

Auf Stiftermosaik im Bildermuseum verewigt


Wolf-Dietrich Speck von Sternburg lebt heute abwechselnd in München und Leipzig. Und hat sich den Ruf eines „Außenministers“ der Messe- und Handelsstadt erworben. Mehrfach ist er ausgezeichnet worden, darunter mit dem Verdienstorden des Freistaates Sachsen und der Ehrenmedaille der Stadt Leipzig. 2010 erhielt er vom damaligen Bundespräsidenten
Christian Wulff das Bundesverdienstkreuz I. Klasse. Porträtieren lassen für ein Gemälde hat er sich nie. Doch Wolf-Dietrich Speck von Sternburg ist auf dem Stiftermosaik verewigt, das der Münchner Künstler Stephan Huber fürs Foyer des Museums der bildenden Künste geschaffen hat.

Stand: 20.2.2024

Bildergalerie - Speck von Sternburg, Wolf-Dietrich

Hartinger, Anselm

Musikwissenschaftler, Historiker, Museumsleiter | geb. am 6. Juni 1971 in Leipzig

Bei besonderen Anlässen dichtet er sogar: Für die Eröffnung eines barrierefreien Zugangs zum Forum 1813 sowie zu den Servicebereichen Kasse und Shop am Völkerschlachtdenkmal hat Anselm Hartinger Friedrich Schillers Glocke in „Die Rampe“ umgedichtet und vorgetragen. Das passt zu seinem Credo: „Museum darf gern auch Spaß machen.“ Der Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, zu dem auch das Völkerschlachtdenkmal als eine von sieben Institutionen gehört, steckt voller Ideen und Herzblut, um den Besuchern die reichhaltige Geschichte seiner Heimatstadt nahezubringen. Der gebürtige Leipziger hat einfach Spaß und Lust, seine Gäste zu inspirieren. Und schreibt auch gern Limericks.

Am 6. Juni 1971 wird er als Sohn der Literaturwissenschaftler Christel und Walfried Hartinger geboren, die an der Karl-Marx-Universität (heute Universität Leipzig) lehren. Er besucht die Leibnizschule und macht sein Abitur auf der Thomasschule, wo sich die Liebe des späteren Musikwissenschaftlers zu Johann Sebastian Bach festigt. Und wo er versucht, die Thomaner beim Fußballspielen zu besiegen.

Eine große Liebe zu Bach


An der Universität Leipzig studiert er Mittlere und Neue Geschichte sowie Historische Musikwissenschaft und einige Semester Philosophie. In den 1990er Jahren wohnt er in
Connewitz, in der Nähe der Kultkneipe Frau Krause und jobbt auch in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung. Mit einer Arbeit über die Bach-Aufführungen und den Strukturwandel im Leipziger Kultur- und Musikleben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts promoviert er. Seinen ersten Job bekommt er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bach-Archiv Leipzig und ist auch für die Neukonzeption des Bachmuseums Eisenach verantwortlich. Als Dozent zieht es ihn 2006 nach Basel an die Schola Cantorum Basiliensis. 

Nach wie vor ist der bekennende Weinliebhaber mit der Schweiz sehr verbunden, hat gelegentlich Sehnsucht nach den Bergen. Er begleitet als musikwissenschaftlicher Berater die J.S. Bach-Stiftung, die in St. Gallen beheimatet ist. 2024 will er eine „Ratswahlkantate“ texten, so wie sie einst Bach komponiert haben könnte. Der Thomaskantor hat jedes Jahr zum Bartholomäustag im August eine Festmusik für den Leipziger Rat vertont. Die hypothetische Version, für die Hartinger das Libretto verfasst, wird zu den Bachtagen 2024 in St. Gallen aufgeführt. „Ich bemühe mich, die Bachwelten in Leipzig und der Schweiz zu verknüpfen.“ Er spielt Cembalo und Orgel, singt und leitet eine Zeitlang einen gemischten Chor in Engelsdorf. Viel Freude hat er einst auch beim Thomasius Consort. „Dieses Ensemble entsteht, weil ich damals in der Thomasiusstraße wohnte“, blickt er zurück. Konzerte spielte er damals beispielsweise gemeinsam mit dem heutigen Bachfest-Intendanten Michael Maul.

2012 zieht es ihn als Kurator an das Landesmuseum Württemberg in Stuttgart, wo er bis 2014 die Sammlung historischer Musikinstrumente betreut. „Wir haben ein Haus der Musik daraus gemacht.“ Danach geht er für viereinhalb Jahre in die thüringische Landeshauptstadt, wo er die Geschichtsmuseen Erfurt leitet. Doch dann kehrt er als Nachfolger von Volker Rodekamp nach Leipzig zurück, wird im April 2019 Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig

„Wir haben den Mut, uns auf einen Weg zu begeben, dessen Ende wir noch nicht kennen“, sagte Hartinger damals. Ziel sei es, das Museum bürgernäher, pluraler und attraktiver für die unterschiedlichsten Zielgruppen zu machen. Da ist das Museum inzwischen auf einem guten Weg, es wird viel mehr draußen für die Stadtgesellschaft angeboten. „Museum on tour“ – die Präsenz mit einem Lastenfahrrad und Objekten bei Stadtteilfesten ist ein Beispiel dafür. Es gibt inzwischen mehr Vorträge und Begegnungen. „Bei der Vorbereitung von Ausstellungen arbeiten wir viel mehr mit Experten aus der Bürgerschaft zusammen“, betont Hartinger. 

„… oder kann das weg?“ wird ein Projekt genannt, bei dem Sammelobjekte wie Napoleons Nachttopf, Walter Ulbrichts Küchenstuhl und Tante Martas Taufkleid, die das Tageslicht seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben, gezeigt werden. In vergnüglicher Weise wird in einer Ausstellung die Frage gestellt, warum Museen sammeln und worin die einzigartige Aura und Relevanz auch scheinbar alltäglichster Objekte liegen kann. Gezeigt werden auch Objekte, die dem Museum geschenkt werden – etwa in der Schau „Ehrenplatz“, bei der es um das Sportmuseum Leipzig geht. Einen Besucherbeirat gibt es auch.

Ein kritisches Nachdenken über Leipzig


Das
Schillerhaus, die Literatur-Gedenkstätte in Gohlis, ist inzwischen neu konzipiert und wird als Nachbarschaftsmuseum in Kooperation mit dem Bürgerverein Gohlis zum Begegnungsort weiterentwickelt. „Mir ist wichtig, immer wieder kritisch darüber nachzudenken, was Leipzig eigentlich ausmacht“, betont der Museumschef. Sein Ziel ist, Leipzig unter aktuellen Gesichtspunkten zu befragen. Ob Klimawandel, die Geschichte der Kohle oder die spannenden Umbrüche in den 1990er Jahren – Themen gibt es dafür zuhauf. Dabei will Hartinger möglichst unterschiedliche Perspektiven zulassen. 

Daneben ist Hartinger auch Bauherr. Etwa im Museum „Zum Arabischen Coffee Baum“, das im Herbst 2024 wiederöffnet wird. Oder im Sportmuseum, das dringend eine Dauerschau braucht. Dieses Problem wollen Hartinger und sein Team in diesem Jahrzehnt endlich lösen.

Anselm Hartinger ist auch Geschäftsführer der Stiftung Völkerschlachtdenkmal. Nach der grundhaften Sanierung des Völkerschlachtdenkmals bleibt die Herausforderung, die Bausubstanz sowie die technischen Anlagen dauerhaft zu erhalten. Dafür sind weiterhin viele Investitionen und Reparaturen nötig. Ziel ist auch, das Denkmal inhaltlich als Magnet für Touristen weiterzuentwickeln sowie die Erinnerung an die grausame Völkerschlacht bei Leipzig auf eine modernere Art und Weise wachzuhalten. So soll das Forum 1813 weiter entwickelt werden, es viel mehr Vorträge und Veranstaltungen geben.

Wenig Zeit für eigene Forschungen


Hartinger hat viele Fachbeiträge, Bücher und Artikel verfasst. Dazu gehört das 2005 erstmals in der Edition Leipzig erschienene Buch „Bach, Mendelssohn und Schumann“. Die Arbeit als Wissenschaftler ruht derzeit. „Für grundhafte, eigene Forschung habe ich momentan kaum noch Zeit“, sagt Hartinger. Als Direktor müsse er „seine Museen“ repräsentieren und inhaltlich mit seinem Team weiterentwickeln. „Das Spektrum der Themen im Stadtgeschichtlichen Museum ist riesig. Da kann ich nicht überall Experte sein. Aber ich kann mich bemühen, alle Themen zu durchdringen und mein Team bei den Forschungen unterstützen.“ Er konzentriere sich da eher auf konzeptionelle Arbeit, auch im Deutschen Museumsbund.

Stand: 10.01.2024

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