Bildlexikon Leipzig

Bowlingtreff

Wilhelm-Leuschner-Platz | Ortsteil: Zentrum-Süd

Eine Zukunft ist dem ehemaligen Bowlingtreff auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz gewiss. Er wird das neue Naturkundemuseum, mit dessen Ausstrahlung Leipzig weit über die Stadtgrenzen hinaus in der Champions League spielen will. Museumschef Ronny Maik Leder hat eine vielbeachtete Konzeption vorgelegt, die noch vor ihrer Realisierung mit dem sächsischen Museumspreis 2021 ausgezeichnet worden ist. Bis 2029 soll das neue Museum öffnen. Die Baukosten für die Sanierung und Erweiterung werden nach derzeitiger Prognose auf gut 77 Millionen Euro veranschlagt. 

Die Bauarbeiten in der ehemaligen Freizeitstätte, die seit 1997 leer steht, haben im März 2023 begonnen. Als erster Schritt wird das Gebäude entkernt, alles schadstoffbelastete Material entfernt, um eine „Gesundatmung“ des Gebäudes zu ermöglichen. Dort sind im Stahlbeton im unterirdischen Komplex größere Mängel als gedacht gefunden worden. Die bis zu 15 Metern in die Tiefe reichende Immobilie entstand 1925/26 als Umspannwerk und wurde 1986/87 zu einer Freizeitsportstätte samt oberirdischem Oktagon umgebaut. 

Als elektrisches Umformwerk Mitte diente das Vorgängergebäude einst dazu, die Innenstadt – einschließlich der Straßenbahn – stabil mit Gleichstrom zu versorgen. Die Anlage war bis 1965 in Betrieb. Danach wurde sie stillgelegt und in den folgenden Jahren als Lagerraum genutzt. Mitte der 1970er Jahre gab es erste Pläne, sie zur Freizeitstätte auszubauen. Doch die scheiterten. Mitte der 1980er Jahre erhielt der Aufbaustab des damaligen Rates des Bezirkes den Auftrag, das Projekt neu zu beleben.

Freizeittreff entsteht als „Schwarzbau“


Im Frühjahr 1985 wird ein interner Wettbewerb ausgerufen, bei dem sich der Leipziger Architekt
Winfried Sziegoleit mit seinem Entwurf durchsetzen kann. Die Ausführung entsteht als Gemeinschaftswerk. So übernimmt Volker Sieg die Projektleitung und konzipiert auch den Umbau der unterirdischen Gebäudeteile. Es ist ein Projekt der Superlative und wird gewissermaßen als „Schwarzbau“ vorbei an den DDR-Oberen in Ostberlin initiiert. Die konzentrierten sich damals gerade auf die für 1987 geplante 750-Jahrfeier Berlins, für die Bauarbeiter aus der gesamten DDR in die Hauptstadt abgezogen wurden. Die Baustelle in Leipzig wird im Oktober 1986 zum Jugendobjekt der Freien Deutschen Jugend (FDJ) erklärt und Wettbewerbe unter allen beteiligten Bau- und Ausrüstungsbetrieben organisiert.

Bowling statt Kegeln ist zu jener Zeit ein Novum. Wie prächtig der Bowlingtreff wird, erfährt die DDR-Staatsführung erst kurz vor der Eröffnung. Der Bowlingtreff wird im Juli 1987 – zum VIII. Deutschen Turn- und Sportfest der DDR in Leipzig und der Kinder- und Jugendspartakiade – eingeweiht. Entstanden sind 14 Bowlingbahnen – Leipzig hat damit mehr als der Palast der Republik in Berlin (acht Bahnen). Ein Novum ist auch: Der Bowlingtreff beherbergt Leipzigs erstes Fitnessstudio.

Lichtdurchflutete Eingangshalle ist einladend


Der architektonische Anspruch ist hoch: Die lichtdurchflutete Eingangshalle mit achteckigem Grundriss wirkt einladend, soll kein „angsteinflößender Einstiegsschacht“ in die „Unterwelt“ sein, wie es
Wolfgang Hocquél in seinem im Passage Verlag erschienenen Architekturführer betont. Das Oktagon mit vier vom Keller bis zum Dach reichenden Säulen sowie dem Marmorboden wirkt durchaus luxuriös. Neben den Bowlingbahnen gibt es ein Café sowie Gastronomie mit 310 Plätzen, Billardtische, Spielcomputer, eine Skatklause sowie Büroräume. Geöffnet ist täglich, 2.000 bis 2.500 Gäste werden dann meist empfangen. Das Haus schließt 1997, denn es ist nicht mehr ganz zeitgemäß. Investoren ziehen sich zurück.

Danach verfällt der Bowlingtreff an der wichtigen zentralen Einstiegsstelle für den öffentlichen Nahverkehr zusehends. Er wird mit Graffiti verunstaltet. Die Stadtverwaltung tut sich viele Jahre schwer, eine neue Nutzung zu finden und will das Objekt zwischenzeitlich sogar verkaufen. Doch dann entscheidet der Stadtrat, das Haus als Naturkundemuseum fortzuführen und beauftragt Planungen. „Ich bin überzeugt, dass das Projekt ein Leuchtturm mit überregionaler Ausstrahlung und einem großen Mehrwert für die Stadt Leipzig wird“, sagte Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke im November 2022 bei der Vorstellung der Pläne. Das Leipziger Büro Weis & Volkmann Architekten konnte sich beim Wettbewerb durchsetzen. Es favorisiert einen „öffnenden Schwung“ hin zum Eingangsgebäude, gestaltet die bislang flachen Dächer über den unterirdischen Hallen um. Die Osthalle des Ex-Bowlingtreffs wird für Sonderausstellungen genutzt. Die Westhalle beherbergt die Dauerschau. Ihre Decke wird angehoben, um Platz für größere Sammlungsobjekte zu schaffen. Auf der Ostseite wird Material aufgeschüttet, um Einblicke ins Museum von außen zu bieten. So entsteht ein gläsernes Schaufenster.

Naturkundemuseum widmet sich Kunst der Präparation


Museumschef Ronny Maik Leder hat das Ausstellungskonzept mit 430 Themenkomplexen entwickelt. Er rückt unter anderem prähistorische Lebenswelten, die Kunst der Präparation sowie das beeindruckende Spektrum Leipziger Wissenschaftshistorie in verschiedenen Inszenierungen ins Blickfeld. Dazu gehören die Tiefseeexpedition, die der Leipziger Zoologie-Professor
Karl Chun 1898 mit dem Forschungsschiff Valdivia startet sowie Herman Ter Meer als Wegbereiter der modernen Tierpräparation.

Stand: 10.03.2024

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GRASSI Museum für Angewandte Kunst

Johannisplatz 5-11 | Ortsteil: Zentrum-Südost

Es hat einen exzellenten Ruf: Deshalb bekommt das GRASSI Museum für Angewandte Kunst von Sammlern aus aller Welt immer wieder etwas geschenkt. Wie ein Glasfenster von Adolf Hölzel, einem der bedeutendsten Glasgestalter des 20. Jahrhunderts, aus dem Jahr 1934. Das jetzt im Bauhaus-Raum gezeigte Fenster befand sich einst im Treppenhaus des Haushaltwarengeschäftes Maercklin in Stuttgart. Und es reiht sich gut in die brillanten Sammlungen ein, die die Besucher im GRASSI wie ein visuelles Feuerwerk erwarten. Auf zwei Etagen können sie eine Zeitreise erleben, die ihnen Kunsthandwerk und Design von der Antike bis ur Gegenwart nahebringt.

Zu sehen sind herausragende Objekte der Kunst- und Kulturgeschichte Europas, wie Gefäße aus der griechischen und römischen Antike sowie spätgotische Schnitzplastiken und Flügelaltäre. Die Besucher treffen ebenso auf chinesische Gewänder und Teeschalen aus der Qing-Dynastie. Keramik, Porzellan, Glas, Textil, Gold- und Silberarbeiten, Zier- und Gebrauchszinn, unedle Metalle, Schmiedeeisen, Skulpturen aus Holz und Stein, Möbel und Holzgerät, Münzen, Medaillen und Plaketten und vieles mehr gehören zur Sammlung. Die gilt als eine der bedeutendsten für angewandte Kunst in Europa. Antike bis Historismus, asiatische Kunst mit Impulsen für Europa sowie Jugendstil bis Gegenwart werden in drei Bereichen vorgestellt.

Kleine Irritationen schärfen den Blick


Die Sammlung umfasst derzeit 230.000 Unikate und Stücke aus serieller Fertigung. Beim Gang durch die Ausstellungsbereiche setzt das Museum zunehmend auf kleine Irritationen. Einst wurden die Künste, ob nun Bilder, Skulpturen oder Kunstgewerbe, fein säuberlich getrennt. Inzwischen sind neue Objekte als Interventionen unter sie gemischt worden. „Diese kleine Würze, diese kleine Irritation schärft den Blick“, sagt
Olaf Thormann, der Museumsdirektor. So steht die hölzerne Figur eines jungen Mannes von Stephan Balkenhol in der Nachbarschaft einer holländischen Kanzel aus dem 18. Jahrhundert. Kunstinteressierte können sich so als Betrachter des Betrachtenden neu entdecken. Das Gemälde „Die drei Fähigkeiten“ des Leipziger Malers Hans Aichinger wiederum passt ideal in die Galerie der textilen Spitzen des Museums. 15 zeitgenössische Kunstwerke sind derzeit im Rundgang platziert.

Datenbank erläutert Objekte


Nahezu alle Objekte, die in den ständigen Ausstellungen zu sehen sind, können online mit zusätzlichen Informationen abgerufen werden. Derzeit sind es 5.350. Die herausragendsten Stücke sind auf der Internetseite des Museums unter der Rubrik Museum digital verfügbar. Ziel ist es, das Museum weiter als lebendigen Alltagsort für alle zu öffnen – deshalb ist der Eintritt für die Dauerschau seit Januar 2024 frei. Die Menschen sollen animiert werden, bei Lust und Laune auch mal in der Mittagspause kurz vorbeizuschauen. Im Sommer lädt der Grassi-Innenhof zum Verweilen ein. Wer möchte, kann dann dort sogar Tischtennis spielen. „Wir sind glücklich, wenn wir sehen, wie das Museum von den Menschen in Beschlag genommen wird“, sagt Leipzigs Kulturbürgermeisterin
Skadi Jennicke. 2023 wurden 92.000 Besucher gezählt. Das ist seit mehr als zehn Jahren Rekord. Lediglich 2013 waren es deutlich mehr, da damals die Ausstellung „STARKER AUFTRITT. Experimentelles Schuh-Design“ alle Rekorde brach. 

Da sich das traditionsreiche Museum durch die vielen herausragenden Sonderausstellungen um die touristische Attraktivität Leipzigs verdient gemacht hat, erhielt es im Dezember 2023 einen zweiten Platz beim Tourismuspreis. Dieser würdigt ebenso die Neubelebung der international bekannten Grassimesse seit 1997 mit mittlerweile riesigem Erfolg. Zur Grassimesse im Oktober 2023 mit etwa 140 Ausstellern kamen tausende Besucher aus aller Welt.

Pfeilerhalle ist einer der schönsten Räume des Art déco


Das Museum öffnete am 25. Oktober 1874 als zweites Kunstgewerbemuseum in Deutschland für Publikum. Sein Domizil ist zunächst in der ersten Etage der Alten Post am
Thomaskirchhof. Doch rasch werden die Räume zu eng, denn die von der Leipziger Bürgerschaft zusammengetragene Sammlung wächst schnell. Das Museum zieht in einen Neubau am Königsplatz, welcher aus dem Vermögen des Leipziger Bankiers Franz Dominic Grassi finanziert wird. Doch auch im alten Grassimuseum (heute: Stadtbibliothek am Wilhelm-Leuschner-Platz) kann sich die Einrichtung nicht entfalten. 1929 zieht das Museum schließlich an den Johannisplatz, wo es 2024 als GRASSI Museum für Angewandte Kunst den 150. Jahrestag der Eröffnung feiert. Ein architektonisches Kleinod ist die rekonstruierte Pfeilerhalle mit blattvergoldeten Brüstungsgittern. Sie ist einer der schönsten Innenräume des deutschen Art déco. 48 Vitrinen, die in zwölf Pfeiler eingelassen sind, werden für Sonderausstellungen genutzt. Die in rot-blau-goldener Farbpracht gehaltene Pfeilerhalle dient auch als Veranstaltungssaal. Berühmt sind die rekonstruierten 18 Josef-Albers-Fenster. Dabei handelt es sich um die größte Flachglasarbeit eines Künstlers der Dessauer Bauhauszeit.

Seit 2020 können die Museumsbesucher per Mediaguide mit Leihgeräten oder einer App auf eigenem Smartphone auf Deutsch und Englisch verschiedene Touren durch die Dauerschau unternehmen. Dabei kann jeder selbst entscheiden, ob er sich auf besondere Objekte beschränkt oder spielfreudig „Schau genau hin“ ausprobiert. Eigene Touren gibt es für Blinde und Sehbehinderte, in Gebärdensprache sowie in leichter Sprache. 360-Grad-Raumaufnahmen, Clips, Illustrationen, Animationen, Filme und Fotos aus der ständigen Ausstellung werden per Mediaguide angeboten. Ein sehr aktiver Freundeskreis bietet sogar Kunstreisen, Besuche in Künstlerateliers sowie Ausstellungspreviews an.

Museum blickt auf die Zukunft des Designs


Bei einer interaktiven Rauminstallation – ein Experiment am Ende des Rundganges in der ständigen Ausstellung – werden alle eingeladen, sich in einem computergenerierten Raum zu bewegen und dort das gerade Erlebte zu reflektieren. Die Computer-Animationen reagieren direkt auf die Bewegungen im Raum.

Immer wieder stellt das Museum das Thema Design in große gesellschaftliche Zusammenhänge und spekuliert ein wenig in die Zukunft. Die Sonderschau „Zukünfte. Materialien und Design von morgen“ (2025) blickt auf Positionen, die sich an den Schnittstellen von Biologie, Design, Kunst und Industrie bewegen. Lampen aus Orangenschalen, Glas aus Asche der Müllverbrennung, T-Shirts aus Bananenfasern, Stühle aus recycelten Laubabfällen, Kleidung oder Lampen aus dem aus Pilzmyzel gewonnen Werkstoffes „Mylo“ – vieles könnte möglich werden.

Stand: 20.2.2024

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Historisches Bildmaterial - GRASSI Museum für Angewandte Kunst

Lehmstedt, Mark

Verleger, Autor, Vorsitzender Geschichtsverein | geb. am 11. Februar 1961 in Berlin

Er hat ein Herz für Leipzigs Stadtgeschichte. Das beweist Mark Lehmstedt nicht nur mit seinem Verlag, der sich auf die Kulturgeschichte Mitteldeutschlands, (Schwarzweiß-)Fotografie sowie Reiseführer spezialisiert hat. Seit 2019 leitet er als Vorsitzender den Leipziger Geschichtsverein. Lehmstedt – dieser Name steht für eine Leipziger Erfolgsgeschichte, seit der gebürtige Berliner seinen Verlag hier am 1. März 2003 gründet. Dieser hat sein Domizil seit 2021 in Barthels Hof unweit des Markts.

Zur Bewährung in der Braunkohle


Geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist Mark Lehmstedt in Ost-Berlin. Dort besucht der Sohn einer Professorin für Klavierpädagogik zunächst eine Russisch-Schule, später die 2. Erweiterte Oberschule, bekannt als Gymnasium „Graues Kloster“. Vier Wochen vor den Abiturprüfungen wird er im Jahre 1979 allerdings relegiert. Der Grund: Er hat eine Kulturwoche organisiert und in der Schülerzeitung einen Artikel geschrieben, der sich gegen Missstände im Bildungssystem der DDR wendet. Er fliegt, ohne dass sich jemand um seine Zukunft kümmert. Es gibt aber eine Patenbrigade im Braunkohlenkombinat Bitterfeld, die Arbeitskräfte sucht. Der junge Mann steigt in den Zug nach Bitterfeld und landet noch am gleichen Tag als Hilfskraft „zur Bewährung“ für gut anderthalb Jahre in der Produktion. Dort schließt er eine Ausbildung zum Facharbeiter für Anlagen und Geräte, Spezialisierungsrichtung Tagebaugroßgeräte, ab. Er darf schließlich an der Volkshochschule das Abitur machen. Es folgt der Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee. 

Der Meister aus der Braunkohle schreibt ihm eine Super-Beurteilung, deshalb klappt danach das Studium der Germanistik an der Karl-Marx-Universität in Leipzig sowie der Humboldt-Universität in Berlin. Von 1987 bis 1991 unterrichtet Lehmstedt als Assistent am Lehrstuhl für deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts in Leipzig. Dort kann er 1990 mit einer Studie über den Verleger Philipp Erasmus Reich promovieren. Sein Zeitvertrag an der Universität Leipzig endet. Die Deutsche Nationalbibliothek will ihn übernehmen. Doch das funktioniert nicht, da die beiden Nationalbibliotheken in Leipzig und Frankfurt/Main fusionieren und daher Einstellungsstopp herrscht. In den folgenden Jahren ist er bei verschiedenen Forschungsprojekten tätig, darunter als Fellow des Wissenschaftskollegszu Berlin. Von 1999 bis 2002 arbeitet er als Lektor bei Directmedia Publishing in Berlin. Dort wird eine „Digitale Bibliothek“ aufgebaut.

Ein erstes Buch über Hungerjahre in Leipzig


Doch auch diese Tätigkeit endet. Er besinnt sich auf Leipzig, das er gut kennt. Schon der Großvater betreibt im nahen Weißenfels ein Schreibwarengeschäft. Von dort fährt er regelmäßig mit dem Auto in die Messestadt zum Einkauf beim Großhändler. In den Ferien durfte Enkel Mark mit und ist schon damals von der Stadt begeistert. Prägend ist für den Schüler 1978 der FDJ-Studentensommer in Leipzig. Er konnte an Lesungen in der noch nicht fertig gestellten
Moritzbastei teilnehmen, im Innenhof der Universität als Liedermacher auftreten und Diskussionsrunden lauschen. 

2003 gründet Mark Lehmstedt schließlich seinen eigenen Verlag. Sein erstes Buch ist „Hungerjahre in Leipzig“ mit Briefen des Studenten Jean Paul. „Als Unternehmer habe ich es immer in der Hand, was ich mache. Das kann zwar schiefgehen. Aber dann bin ich daran selbst schuld“, sagt er im Interview. „Diese Freiheit schätze ich.“ Viel ist nicht schiefgegangen, obwohl nicht jedes Buch ein wirtschaftlicher Erfolg wird.

Knapp 350 Titel sind seitdem im Lehmstedt-Verlag erschienen. Mittlerweile beschäftigt der Verlag, der 2019 mit dem Deutschen und 2020 mit dem Sächsischen Verlagspreis ausgezeichnet wurde, eine Grafikerin und Gestalterin sowie eine Lektorin. Die künstlerische Leitung verantwortet der Berliner Buchgestalter und Publizist Mathias Bertram, der auch zahlreiche Fotobücher für den Verlag herausgegeben hat.

Ein führender Verlag für Reiseführer


Mit mehr als 100 Reiseführern wird Lehmstedt zugleich der führende Reisebuchverlag Ostdeutschlands. Er veröffentlicht nicht nur Bücher zu den Touristenzentren, sondern auch zu kleineren Städten. Sein bisher erfolgreichstes und wichtigstes Buch heißt „Leipzig an einem Tag“ von
Doris Mundus. Mittlerweile gibt es einen „Stadtführer für einen Tag“ für mehr als 110 Städte in ganz Deutschland. Das sind von Flensburg über Zittau, Kamenz, Freiberg, Quedlinburg bis Konstanz beliebte Reiseziele, die bei den großen Verlagen keine Chance haben. „Das war so nicht geplant. Es ist die unerwartete Wirkung des Leipzig-Buches“, sagt Lehmstedt. Für Leipzig kommen noch einige Stadtteilführer sowie Spezialführer zur Musikstadt Leipzig oder zum Südfriedhof hinzu, die sich vor allem ans heimische Lesepublikum wenden. 

Lehmstedt hat ein Gespür für Themen, die die Leute interessieren. Ein Spitzentitel ist auch „Das ungebaute Leipzig“ von Arnold Bartetzky, das auf der Leipziger Buchmesse 2024 präsentiert wird. Darin geht es um architektonische Pläne, kühne Visionen und Luftschlösser rund um Messetürme, Wolkenkratzer und Flugplätze, die in Leipzig nicht verwirklicht wurden.

Ganz nebenbei gönnt er sich „Herzensprojekte“. Oft weiß er von vornherein, dass die Erlöse alles andere als üppig sind. Dazu gehört sein geplantes sechsbändiges Lexikon zur „Buchstadt Leipzig“. Dafür forscht er in vielen Archiven. Erschienen ist derzeit ein Band, der den Zeitraum 1420–1539 behandelt. Der Wissenschaftler hat sich 1825 als Grenze seiner Forschungen gesetzt, da in jenem Jahr in Leipzig der Börsenverein des Deutschen Buchhandels gegründet wurde. Weil die Corona-Pandemie ihn ausbremst, Archive viele Monate nicht zugänglich sind, wird das Lexikon bis zum Themenjahr Buchstadt Leipzig 2025 allerdings nicht komplett fertig, wie einst gehofft. Im Herbst 2024 erscheint zunächst der zweite Band. Nebenbei arbeitet er an einem Projekt, bei dem er als Autor die Entstehung des Gebrauchtbuchhandels und der Antiquariate im 17./18. Jahrhundert thematisiert.

Lehmstedt ist es wichtig, sein Wissen weiterzugeben. An der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz habilitierte er 2012 über „Comics und Zensur in der DDR“. Eine Weile unterrichtete er dort am Institut für Buchwissenschaft. 2019 wurde er als Privatdozent für Buch- und Mediengeschichte am Historischen Seminar der Universität Leipzig tätig.

Die Industriegeschichte Leipzigs als Wunschprojekt


Wünsche für künftige Publikationen hat der rührige Verleger noch viele. Ein großer Traum wäre ein wissenschaftlicher Abriss zur Industriegeschichte Leipzigs von den Anfängen bis hin zum
Porsche Werk und BMW Werk in Leipzig. „Da gibt es eine Fülle von Betrieben, die letztlich zur Basis vieler Unternehmen geworden sind, die wie die Bleichert Werke zu Weltkonzernen werden“, erklärt er. Diese Vielfalt sei nur wenigen bewusst. So ein Projekt sei aber nur mit einer Gruppe interessierter Leute sowie Forschungen der Universität Leipzig möglich. Auch eine gut recherchierte und erzählte Biografie über Karl Heine schwebt Mark Lehmstedt vor. Wichtig ist ihm auch der Leipziger Geschichtsverein. Hier fördert er ebenso eigene Forschungen und Tagungen, wie in verschiedenen anderen Arbeitskreisen rund ums Buch und die Buchwissenschaft.

Stand: 29.01.2024

Bildergalerie - Lehmstedt, Mark

Liebich, Angela

Fotografin, Fotokünstlerin, Geschichtenerzählerin | geb. 1966 in Leipzig

Die Architektur ihrer Stadt beflügelt ihre Fantasie. Angela Liebich ist eine Architektur-Geschichtenerzählerin. Dabei inszeniert die Fotokünstlerin bekannte oder weniger bekannte Bauwerke als eine Art „lebendiges Stillleben“. Das Fotokunstprojekt „Fantastisches Leipzig“ dokumentiert seit nunmehr acht Jahren die Architektur der Stadt, deren Vielfalt über Jahrhunderte gewachsen ist und heute einen wesentlichen Aspekt der hiesigen Lebensqualität darstellt. Es widmet sich dem architektonischen und kulturhistorischen Erbe Leipzigs.

Ihr Anliegen ist es, Leipzig auf eine einzigartige Weise darzustellen, die nicht nur die kulturelle Vielfalt, sondern auch die nachhaltige Entwicklung der Stadt in den Fokus rückt. Projektbegleitend erscheint der limitiert aufgelegte Fotokunstkalender „Fantastisches Leipzig“, den Angela Liebich seit 2017 im Eigenverlag herausgibt und der inzwischen ein begehrtes Sammelobjekt geworden ist.

Betrachter wird durch surreale Bilder berührt


Die Fotografien der Leipziger Fotokünstlerin zeichnen sich durch eine unverwechselbare Bildsprache aus, die klassisches Kulturerbe und die Modernität Leipzigs bündelt. Was ihre Bilder besonders macht, ist ihre Fähigkeit, den Betrachter durch beinahe surreale Bildgeschichten zu faszinieren und emotional zu berühren. Durch ungewöhnliche Blickwinkel und fantastische Bildchoreografien wird der Geist der Bauwerke quasi überhöht und dadurch auf eine gänzlich neue Weise sichtbar gemacht. Zusätzlich zu den beeindruckenden Fotografien werden historische Aufnahmen und sorgfältig recherchierte Texte präsentiert, auch in englischer Übersetzung. Dabei stützen sich Angela Liebich und ihr Projektteam vor allem auf die fachliche Unterstützung des
Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig

Leipzigs Zauber betrachtet sie mit ihrer Kamera aus ungewöhnlicher Perspektive. So lässt sie auf der Könneritzbrücke, die in Plagwitz über die Weiße Elster zum ehemaligen Fabrikgebäude des Wäsche- und Versandhandels Mey & Edlich führt, junge Artisten ein gewagtes Kunststück vollführen. Eine junge Dame in hohen Schuhen platziert sie zwischen den Säulen der Sächsischen Aufbaubank, deren futuristisch anmutendes Architekturensemble an der Gerberstraße ein Hingucker in Leipzig ist. Eine ältere Dame und ein Mann mit Gartenzwerg posieren in der historischen Kleingartenanlage Dr. Schreber als Laubenpieper. Eine Tänzerin und zwei Tänzer im Schwanensee-Tutu stehen lächelnd auf einem Tisch und vor Sesseln im Opernhaus. Kinder mit Bauhelmen, Schaufel und Spielzeugbagger sitzen auf dem Schaufelradbagger im Bergbau-Technik-Park am Störmthaler See. Auf dem Rand des Mendebrunnens platziert sie eine kleine Nymphe. Andrea Liebich widmet sich ebenso verfallenen Häusern, wie dem Ringlokschuppen am Bayerischen Bahnhof. Ihr Ideenreichtum scheint nahezu unendlich. Im Jahr 2026 feiert das Fotokunstprojekt sein zehnjähriges Bestehen, das mit einer großen Ausstellung und Bildband seinen Abschluss finden wird.

Das Handwerk von der Pike auf gelernt


„Ich inszeniere sehr gern und bin dazu wohl von meiner Mutter angeregt worden“, erzählt die Fotografin, die für Verlage und Magazine, aber auch in der Werbung für Firmenkunden arbeitet. Sie ist in eine Künstlerfamilie hineingeboren worden. Ihre Mutter ist die international bekannte Puppengestalterin
Hannelore Liebich. Ihr Vater Klaus Liebich war Dozent für Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Der Fotograf, Dozent und Buchautor ist im Januar 2023 gestorben. Er hinterlässt der Stadt bedeutende fotografische Stadtansichten aus den 1950er und 1960er Jahren. Darunter Aufnahmen von Leipziger Gebäuden, die unwiederbringlich verloren gingen.

Dazu gehören das Gebäude des Zweiten Gewandhauses an der Beethovenstraße und der wertvolle frühbarocke Bau von Deutrichs Hof zwischen Reichsstraße und Nikolaistraße. Auch der mit jungen Jahren bereits verstorbene Bruder Andreas, der ein international bekannter Jazzfotograf war, weckt bei Angela Liebich das Interesse und die Neugier.

Dass sie als Fotografin in die Fußstapfen des Vaters tritt, ist ihr keineswegs in die Wiege gelegt worden. Er besteht darauf, dass sie ihr Handwerk von der Pike auf lernt. Daher beginnt Angela Liebich zunächst mit einer Fotografenlehre im sächsischen Meißen. Danach arbeitet sie als wissenschaftliche Fotografin an der Leipziger Universitätsklinik für Augenkrankheiten. 1988 wechselt sie als Bildjournalistin zum „Sächsischen Tageblatt“ und taucht mit ihrer Kamera ein in eine spannende Zeit voller Umbrüche, die mit der Friedlichen Revolution auch für sie viel Freiheit bringt.

Liebich studiert schließlich von 1989 bis 1991 Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Dort begegnet sie Helmut Newton, einem weltweit bekannten Fotografen. Jener Meister der Inszenierungen wird ein Vorbild, das sie begeistert. Inspiriert wird sie ebenso von den Stadtansichten, die Hermann Walter im 19. Jahrhundert aufnahm. Das war eine Zeit, in der Leipzig sich rasant von der alten Messe- und Handelsstadt zur modernen Großstadt entwickelte. Der gebürtigen Leipzigerin ist es ein Bedürfnis, fotografische Traditionen wiederzubeleben und sich den städtebaulichen Errungenschaften ihrer Stadt künstlerisch zu widmen.

Von kulinarischer Entdeckungsreise zu eigenen Projekten


Nach dem Studium ist Angela Liebich freischaffend als Werbe-, Mode- Produktfotografin tätig. Zwölf Jahre lang porträtiert sie in ganz Ostdeutschland Menschen mit ihren persönlichen Geschichten. Es sind inzwischen ca.15 Bücher erschienen. Darunter auch die Buchreihe eine „Kulinarische Entdeckungsreise“ sowie „Faszination Welterbe“. Sie will aber weg von den Auftragswerken, ihr Talent richtig einsetzen und eigene Projekte verwirklichen. Das gelingt das erste Mal mit dem eigenen Buch „Grand Schlemm“, einer kulinarischen Strandwanderung auf Usedom. Und seit 2017 überzeugt das „Fantastische Leipzig“-Projekt. Es ist verbunden mit dem Verkauf des projektbegleitenden Kalenders. In der Adventszeit bietet sie ihre Arbeit unter anderem in einem eigens gemieteten Ladengeschäft im
Specks Hof und im Hansa-Haus an.

Stand: 25.2.2024

Bildergalerie - Liebich, Angela

Maul, Michael

Musikwissenschaftler, Autor, Intendant | geb. am 15. Februar 1978 in Leipzig

Mittlerweile gibt es am Störmthaler See sogar einen Bach-Wald. Auf einer Fläche von rund 29 Hektar wächst in den nächsten Jahren ein Mischwald aus dann rund 130.000 Bäumen und Sträuchern. Die Idee dazu stammt von Michael Maul, dem Intendanten vom Bachfest Leipzig. Das Festival ist Leipzigs Aushängeschild. Viele der eingeladenen Künstler sowie fast die Hälfte des Publikums reist eigens aus dem Ausland an, sehr viele aus den USA. Da lassen sich Flugreisen, die bekanntlich für einen sehr hohen CO2-Ausstoß sorgen, nicht vermeiden. „Das ist in Zeiten der Klimaerwärmung ein ernstzunehmendes Problem. Aus diesem Dilemma können wir uns nur durch Kompensation befreien“, bekennt Maul. Daher sei die Idee entstanden, durch Anpflanzen eines Waldes wenigstens etwas gegenzusteuern. Der Intendant will das keineswegs als Feigenblatt verstanden wissen. Es ist ein ernsthafter Versuch, die Internationalität des Festivals zu erhalten. Was für die Wagnerianer Bayreuth ist, soll Leipzig für die Bachfans aus aller Welt sein. Was ihn freut: Der Bach-Wald hat bereits Modellcharakter, andere Festivals und Orchester nutzen die Idee nach.

Der Klassikliebhaber Michael Maul lebt seinen Traum. Einst unsicher, ob der Studiengang Musikwissenschaft wirklich zu ihm passt, vermarktet er heute als Intendant des Bachfestes seine Heimatstadt. Im Jahr 2015 wird Maul zunächst Dramaturg des Bachfest Leipzig, bevor er im Mai 2018 zum Intendanten gewählt wird. „Leipzig durch überraschende Festival-Konzeptionen einmal jährlich ins ,Bayreuth Bachs’ zu verwandeln, betrachte ich als meine zentrale Aufgabe“, sagt Maul in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung.

Die Suche in Archiven nach Bach


Geboren im Februar 1978, wächst Michael Maul in Engelsdorf auf. Dort besucht er die Polytechnische Oberschule „Friedrich Engels“ und macht am König-Albert-Gymnasium in
Czermaks Garten sein Abitur. In den späten 1990erJahren studiert Maul an der Universität Leipzig. Dort belegt er bis 2002 Musikwissenschaft, als Nebenfächer Journalismus und Betriebswirtschaftslehre. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bach-Archiv Leipzig durchforstet er weitere Archive in Mitteldeutschland und Osteuropa systematisch nach Bezügen zu Johann Sebastian Bach. Dabei stößt er beispielsweise 2001 in Vilnius/Litauen auf die älteste erhaltene deutschsprachige Oper Bachs, die Pastorello musicale. Datiert ist die Handschrift aus Königsberg mit 1663.

International bekannt wird Maul, als er 2005 in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar die Bach-Arie: „Alles mit Gott und nichts ohn’ ihn“ entdeckt. Bis dahin war das ein unbekanntes Vokalwerk des Komponisten. Und es war die erste Neuentdeckung seit etwa 70 Jahren. Ein Jahr später findet Maul ebenfalls in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zuvor unbekannte Notenhandschriften Bachs, die sogenannte Weimarer Orgeltabulatur mit Abschriften der Choralfantasien.

Maul promoviert 2006 in Freiburg im Breisgau an der Albert-Ludwigs-Universität mit einer Arbeit über die Barockoper in Leipzig. 2013 erfolgt die Habilitation an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die eine vielbeachtete Arbeit zur Geschichte des Leipziger Thomaskantorats ist und ausgezeichnet wird. Er ist außerplanmäßiger Professor im Fach Musikwissenschaft in Halle-Wittenberg, unterrichtet auch an der Universität Leipzig sowie der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“.

Der Lebenslauf der Alumnen


Der Wissenschaftler wird auch im
Stadtarchiv Leipzig fündig. So erforscht er das Album Alumnorum Thomanorum mit Handschriften von Bachs Schülern. Der Inhalt des fast 700-seitigen Bandes ist zwar bekannt. Das Original gilt allerdings lange Zeit als verschollen und schlummert seit den 1960er-Jahren nahezu unbeachtet mit anderen Dokumenten aus der Thomasschule im Stadtarchiv. Das Besondere: Alle 650 Alumnen, die von 1729 bis 1800 neu in die Thomasschule aufgenommen worden waren, haben dort eigenhändig einen Kurzlebenslauf eingetragen. Das wiederum liefert der Wissenschaft neue Hinweise zur Datierung der Bach-Werke. Denn damals können die Noten nicht einfach so kopiert werden. Bach setzt daher zahlreiche seiner Schüler ein, die die Noten für die Aufführungen abschreiben müssen.

Eine große Biografie über den Menschen Bach


Seit vielen Jahren beschäftigt sich der Musikwissenschaftler mit dem Musikgenie Bach. Über den Menschen Bach hingegen ist wenig bekannt. Anders als
Beethoven hat er der Nachwelt kaum persönliche Schriften hinterlassen. Mit seiner zweisprachig auf Deutsch und Englisch im Lehmstedt-Verlag erschienenen Biografie versucht Maul, Licht ins Dunkel zu bringen und hat dafür viele Dokumente ausgewertet. Selbst auf Noten auf vergilbtem Papier entdeckt er durch Bach verfasste Randnotizen, die dann faszinierende Einblicke in dessen Arbeitsweise geben.  Der Thomaskantor komponiert zwar Gebrauchsmusik für Gottesdienste. „Doch diese war teilweise so anspruchsvoll, dass viele Musiker und Sänger zeitweilig überfordert waren. Auch der Thomanerchor“, so Maul.

Bachs Leben sei ein Lückentext, schreibt der Forscher im Vorwort seiner bebilderten Chronik. Bekannt sind Zwistigkeiten Bachs mit seinem Arbeitgeber, der Stadt Leipzig. Für die ist er keineswegs erste Wahl. Die wollen lieber Georg Philipp Telemann, der damals schon eine europäische Berühmtheit ist und lieber in Hamburg bleibt.

Podcast und Bach-Hörbiografie für Musikliebhaber


Kompetenzstreitigkeiten mit Funktionsträgern von Schule, Kirche oder Stadt führen dazu, dass sich Bach den Ruf eines streitbaren Zeitgenossen erwirbt, der einige Male ins
Alte Rathaus zitiert wird. Bach ärgert sich immer wieder über die „wunderliche und der Music wenig ergebene Obrigkeit“. Für den Bachforscher Maul bleibt das Musikgenie eine unendliche Geschichte, bei der es noch viel zu entdecken gibt. Regelmäßig ist Maul bei MDR Klassik zu hören. In einem Podcast nimmt er gemeinsam mit Bernhard Schrammek jeweils eine Kantate genauer unter die Lupe. „Mir ist wichtig, meine Ergebnisse nicht nur mit der Forscher-Community zu teilen. Ich will sie in verschiedenen Formaten einer musikinteressierten Öffentlichkeit vermitteln.“ Neben dem Podcast gibt es beim Deutschlandfunk Kultur die XXL Hörbiografie über Bach mit 33 Folgen. In der Insel-Bücherei nimmt er im Buch „Wie wunderbar sind deine Werke“ Interessierte charmant in die Welt der Kantaten mit.

Darüber hinaus ist Familienvater Maul sehr sportlich unterwegs. Für Ideen wie „Bach – We are family!“, die Chöre aus aller Welt zum Bachfest nach Leipzig holte, bekommen Maul und sein Team 2022 den Leipziger Tourismuspreis. Im Jahr 2024 erhält er die Leipziger Lerche, die begehrte Trophäe des Wirtschaftsvereins „Gemeinsam für Leipzig“. „Mir macht es Spaß, immer wieder neue Konzepte zu entwickeln, um die Welt in Leipzig zu Gast zu haben“, sagt der Professor. Und man darf sich gewiss sein, das Maul, der heimliche Popstar in Sachen Klassik, noch viele Überraschungen hat.

Stand: 04.02.2024

Bildergalerie - Maul, Michael

GRASSI Museum für Völkerkunde

Johannisplatz 5-11 | Ortsteil: Zentrum-Südost

Es ist ein Museum in Bewegung, das sich gerade neu erfindet. „Reinventing Grassi“ ist die intensive Selbstbefragung und Umstrukturierung des GRASSI Museums für Völkerkunde am Johannisplatz überschrieben. Die Institution krempelt alle bisherigen Ausstellungsteile um und beendet so die gewohnte Reise rund um eine Welt, die einst verschiedene Länder und Kontinente in den Vordergrund rückte. Ziel ist es, das ethnologische Museum in die Zukunft zu geleiten und die eigene museale und koloniale Geschichte kritisch aufzuarbeiten.

Karl Weule und die Makonde-Masken


Der Weg dazu ist umstritten und gelegentlich mit einem Aufschrei verbunden. Etwa als mit
Karl Weule (1864-1926) einer der berühmten Direktoren vom Sockel geholt und seine Stele im Treppenaufgang regelrecht „zermörsert“ wird. Weules Name ist eng mit den Makonde-Masken verbunden. Einige Sammelstücke sind berühmt, waren schon in New York, Berlin und London ausgestellt. Weule, der erste Professor für Völkerkunde in Deutschland, hat sie bei einer Expedition in die damaligen deutschen Kolonialgebiete 1906 nach Leipzig geholt. Und das ist das Problem. Die Museen wollen nicht mehr wegschauen, wie ihre Exponate in die Sammlungen gekommen sind. Ob geraubt, gekauft, getauscht – es gibt viele Fragen, die nicht immer leicht zu beantworten sind, da etliche Objekte undatiert sind. Der Großteil ist aber korrekt erworben.

Das Museum wird 1869 von der Leipziger Bürgerschaft gegründet. Die Sammlung des Dresdner Hofrats und Bibliothekars Gustav Klemm legt dabei den Grundstock. 1874 erfolgt die offizielle Eröffnung im ehemaligen Johannishospital. Weil die Anzahl der Exponate rasch zunimmt, wird für ihre Präsentation ein eigenes Gebäude benötigt. Im Grassimuseum am Königsplatz (heute Stadtbibliothek am Wilhelm-Leuschner-Platz) erhält die Sammlung 1895 eine erste Heimstatt. 1929 erfolgt der Umzug ins heutige Domizil im damals neuen Grassimuseum am Johannisplatz, das 1925 bis 1929 errichtet wird. Beim größten Luftangriff auf Leipzig wurde es 1943 weitestgehend zerstört, etwa 30.000 Objekte gingen in den Flammen unwiederbringlich verloren.

1947 begann der Wiederaufbau, 1954 öffnete mit den Abteilungen Ozeanien/Australien sowie Indonesien die erste Dauerschau nach dem Zweiten Weltkrieg. 1981 verursachte eine Havarie an der Heizungsanlage eine Schließung der Ausstellungen, erst 1985 konnte die Dauerschau wieder besucht werden.

Ein Neuanfang mit Lektion im Anti-Kolonialismus


1991 geht das Völkerkundemuseum in die Regie des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst über. 2004 fusionieren die Völkerkundemuseen Leipzig, Dresden und Herrnhut zu den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen. Das Grassimuseum wird schließlich 2001 bis 2005 saniert. Schrittweise wird die Dauerausstellung „Rundgänge in einer Welt“ eröffnet, die im November 2005 zum 140. Geburtstag des Museums für Völkerkunde zunächst Südasien vorstellt. Weitere Länder und Kontinente folgen – doch die bisherige Ausstellungspraxis wird in Frage gestellt. Es beginnt eine Neuausrichtung als Lektion in Anti-Kolonialismus.

Ein Beispiel sind die wertvollen Benin-Bronzen, einst das Aushängeschild der Leipziger Völkerkunde-Sammlung, die etwa 200.000 Objekte und 100.000 Archivalien zählt. Die Benin-Bronzen stammen größtenteils aus den Plünderungen der britischen Royal Navy 1897 im Königreich Benin, dem heutigen Nigeria. Der afrikanische Staat will die Bronzen wiederhaben. Sachsen hat bereits einige Objekte zurückgegeben. Das Museum macht dies in der Ausstellung zum Thema. Dabei kommt es auch zum Perspektivwechsel. Künstlerin Mary Osaretin Omorgie aus Lagos erzählt die Geschichte Benins aus der Sicht von Frauen, um bis heute geltende patriarchalische Strukturen zu durchbrechen.

Meyers Gipfelraub am Kilimandscharo


Selbst ein Stück der Zugspitze lagert in einer Art Geiselhaft im Museum. PARA, ein Künstlerkollektiv, hat am 16. September 2021 die obersten sechs Zentimeter der Zugspitze entfernt. Der höchste Berg Deutschlands, heißt es, wäre nun nicht mehr ganz 2962 Meter hoch. Mitbekommen hat das wohl kaum einer. Der entfernte Stein lagert in einem angeketteten Tresor in der Ausstellung in Leipzig und kann mit Hilfe einer Kamera betrachtet werden. Erinnert wird damit an den Gipfel-Raub, den der Leipziger Geograf und Kolonialpolitiker
Hans Meyer 1889 verübt, als er Gestein aus der Spitze des Kilimandscharo entnimmt und als Trophäe aus Tansania, damals Deutsch-Ostafrika, in die Heimat mitbringt.

Meyer, ein Förderer des Museums, soll den Stein zersägt haben. Eine Hälfte überreicht er Kaiser Wilhelm II., die andere nutzt er der Legende nach als Briefbeschwerer. Jenes Stück, von einem Nachfahren Meyers angekauft, liegt inzwischen im Wiener Antiquariat Kainbacher und soll für 35.000 Euro zurückerworben werden. Ziel ist es, den Stein an Tansania zurückzugeben. Selbst die Bausubstanz des Grassimuseums wird ein wenig zerbröseln. Aus jenem Material sind Repliken hergestellt, die dann in einer Crowdfunding-Kampagne erworben werden können.

Ein Blick auf Völkerkunde in der DDR


Die Dauerausstellung im Museum kann seit Anfang 2024 kostenfrei besichtigt werden. Sie bietet sich als Diskussionsforum an – im Gegensatz zum einst etwas autoritären Bildungstempel. Im Mittelpunkt stehen Aspekte, die Leipzig mit der Welt verbinden. Ein neuer Ausstellungsteil Völkerfreundschaft ermöglicht einen Blick zurück in die Ethnologie in der DDR vor 1990. In Vitrinen stehen beispielsweise diplomatische Geschenke an die Staats- und Parteiführung der DDR, die ans Museum weitergereicht wurden: eine Riesenvase aus Vietnam mit Erich Honeckers Konterfei oder ein Pionier-Halstuch aus Nordkorea. Zu sehen sind auch eine Friedenspfeife aus der Prärie, ein mexikanischer Bauarbeiterhelm oder eine Kaffeekanne aus Bagdad sowie ein aus Gras geflochtener Bus. Damals konnten die DDR-Bürger nicht frei reisen. Museen wurden zu Sehnsuchtsorten, an denen sie an einem Tag „die Welt erleben“ konnten.

Am Beispiel der vielen „Indianistik“-Klubs zeigt eine Präsentation, welchen Einfluss die Völkerkunde auf das Privatleben, die Nischen- und Popkultur in der DDR hatte. Federhauben oder Tomahawks von amerikanischen Indianer-Stämmen sind zwar derzeit in der Ausstellung nicht mehr zu sehen. Doch es werden auch Fragen diskutiert, ob man eigentlich überhaupt noch Indianer sagen darf? Eine einfache Antwort, einen für alle Interessengruppen und Situationen funktionierenden Begriff gibt es darauf nicht – das Museum wirbt dafür, sich vor allem mit Respekt zu begegnen. Überall auf der Welt!

Stand: 25.2.2024

Stadtgründung Leipzig / Stadtbrief

Stadtarchiv Leipzig / Stadtgeschichtliches Museum Leipzig | Ortsteil: Zentrum-Südost / Zentrum

Wie alt ist eigentlich Leipzig? Im Dezember des Jahres 1015, so steht es in der von Thietmar von Merseburg angefertigten Chronik, reist der Meißner Bischof Eid nach Merseburg. Dort soll er den Kaiser treffen, um ihm über die wohl erfolgreichen Friedensverhandlungen mit den polnischen Nachbarn zu berichten. Doch sein Ziel erreicht er nicht. Notiert ist: „in urbe Libzi vocata“ stirbt der kirchliche Würdenträger. Das ist ein Ort, der Leipzig genannt wird. Näheres zu Größe und vor allem dem Aussehen des Ortes notiert er nicht. Die Chronik ist eine der zentralen Quellen zur hochmittelalterlichen Geschichte Deutschlands. Und völlig nebenbei hat der Merseburger Bischof mit dieser Notiz die älteste schriftliche Erwähnung Leipzigs formuliert.

Für Leipzig ist dies der Anlass, im Jahre 2015 die 1000. Wiederkehr der schriftlichen Erwähnung mit einem ganzen Festjahr zu begehen. Rund um das Ereignis gibt es viele Forschungen, die in einer neuen vierbändigen wissenschaftlichen Stadtgeschichte münden. Herausgeber sind Enno Bünz, Detlef Döring, Susanne Schötz sowie Ulrich von Hehl.

Neue Erkenntnisse durch archäologische Grabungen


Natürlich ist Leipzig nicht erst 1015 entstanden, sondern viel älter, was mit archäologischen Ausgrabungen in der Leipziger Innenstadt von 1990 an bis etwa 2015 detaillierter nachgewiesen werden kann. Grabungen an der
Hainstraße und an der Großen Fleischergasse beweisen, dass der Ort mit der Burg bereits vor 1015 bestand. Archäologe Thomas Westphalen und seine Kollegen vom Landesamt für Archäologie Sachsen haben an der aus Erdwällen und Baumstämmen errichteten Burg „urbs libzi“ eine Vorstadt nachgewiesen. Und dabei einen etwa 30 Meter langen und über sechs Meter breiten Graben entdeckt, der nicht zu den Befestigungsanlagen der Burg gehört. Bereits Herbert Küas, ein früher Pionier der Leipziger Stadtarchäologie, hat das Areal um die im Krieg zerstörte Matthäikirche untersucht und Reste der Burg sowie eines vorgelagerten Grabens freigelegt. Nach wie vor bleiben viele Fragen, etwa wie der Ort ausgesehen hat, offen. Nachgewiesen ist aber, dass es sich bei dem vier Hektar großen Gebiet um eine abgeriegelte Siedlung mit städtischem Charakter handelt, keineswegs nur um eine befestigte Burganlage. Der trockene Graben wird dem Landesamt für Archäologie Sachsen zufolge im Laufe des 11. Jahrhunderts aufgefüllt. Die heutige Stadt nimmt im 12. Jahrhundert Gestalt an – ein Straßenraster mit Markt, Kirchen, Klöstern entsteht. Ein Vorteil ist die Lage am Schnittpunkt der beiden Handelsstraßen Via regia sowie Via imperii. An diese erinnert seit 2017 die bronzene Bodentafel Leipzig im Schnittpunkt alter Handelsstraßen auf dem Markt, gegenüber der Alten Waage.

Stadtgründung lässt sich nicht exakt datieren


Das Jahr 1165 gilt als Datum der Stadtgründung. Deshalb wurde auch 1965 eine 800-Jahr-Feier veranstaltet. Historisch lässt sich die Stadtgründung allerdings nicht exakt belegen.
Markgraf Otto der Reiche von Meißen verleiht Leipzig zwischen 1156 und 1170 sowohl Stadtbrief als auch Marktprivileg. Das Dokument ist aber undatiert. Die entsprechende, später schriftlich ausgefertigte Urkunde stammt aus der Zeit um 1215. Das Jahr 1165 wird festgelegt – ebenso als Gründungsdatum der Leipziger Messe. Um jene Zeit bezeugt der Markgraf Leipzig seine Gunst, indem er bestimmt, dass „innerhalb einer Meile von der Stadt gelegen kein der Stadt schädlicher Jahrmarkt abgehalten werden dürfe.“ Die Urkunde trägt zwar das Siegel des Markgrafen. Einige Historiker sehen das Papier trotzdem als Fälschung an. Leipziger Bürger könnten es nachträglich selbst angefertigt haben, heißt es. Die Entwicklung nachzuvollziehen, bleibt schwierig, da die Quellenlage spärlich ist. Viele Hoffnungen ruhen dabei auf der Archäologie.

Stadtbrief wird im Stadtarchiv aufbewahrt


Das fragile Dokument wird im
Stadtarchiv Leipzig auf der Alten Messe in einem Archivschrank aus Massivholz aufbewahrt, den der erste Direktor Gustav Wustmann im Jahr 1886 anfertigen ließ. Weil der Stadtbrief so zerbrechlich ist, sind kaum Forschungen am Original möglich.

Im Stadtarchiv Leipzig wird auch das Stadtsiegel von 1287 und das von Kaiser Maximilian I. 1497 ausgestellte und dann 1507 erweiterte Messeprivileg behütet. Im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig im Alten Rathaus sind jeweils Faksimiles zu sehen. Möglich ist dort auch ein Blick auf einfache Gebrauchsgegenstände. Diese Funde erzählen, wie sich Leipzig von der slawischen Siedlung im 7./8. Jahrhundert zur mittelalterlichen Stadt entwickelt.

Stand: 25.01.2024

Bildergalerie - Stadtgründung Leipzig / Stadtbrief

Stele – Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung (STIGA) von 1897

Anton-Bruckner-Allee / Clara-Zetkin-Park | Ortsteil: Zentrum-West

Etwas versteckt steht die Stele am Weg nordwestlich des Bassins in der Anton-Bruckner-Allee. Sie wurde am 24. April 2022 enthüllt und erinnert an die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung (STIGA) in Leipzig. Die umfassende Leistungsschau Mitteldeutschlands zog von April bis Oktober 1897 nahezu 2,4 Millionen Besucher an. Die Gäste und Einheimischen kamen, um die neueste Technik zu bestaunen oder um sich zu vergnügen. Die STIGA war für Leipzig ein großes Volksfest. Aus dieser Leistungsschau ging ein Teil des heutigen Clara-Zetkin-Parkes hervor. Platziert in der wichtigen Etappe Leipzigs, in dem es sich von der reinen Handels- zur Industriestadt wandelte, war die STIGA eine Schau der Superlative.

Völkerschau mit 47 Afrikanern


1897 ist Leipzig eine Stadt mitten im Wandel – die
Leipziger Messe entwickelt sich rund ums Jubiläumsjahr zur modernen Musterschau. Es gibt aber auch dunkle Seiten, wie der offen zur Schau gestellte Kolonialismus bei der integrierten Deutsch-Ostafrika-Ausstellung (DOAA), bei der 47 Menschen aus den damaligen deutschen Kolonien in Afrika zur Schau gestellt werden. Hinter einem doppelten Zaun zeigen sie inszenierte alltägliche Handlungen sowie angeblich traditionelle Tänze und Schaukämpfe. Die sogenannte Völkerschau sollte für die „koloniale Sache“ in der Bevölkerung sowie in Unternehmen in Mitteldeutschland werben. Für 30 Pfennig Eintritt konnten die Besucher einen Rundgang entlang von Nachbauten kolonialer Gebäude und vorbei an den afrikanischen Menschen, die einer angeblich überlegenen deutschen Kultur gegenübergestellt wurden, unternehmen.

Leipzig arbeitet Kolonialismus auf


Die Organisatoren um den Kolonialoffizier
Kurt Blümcke haben die Ausstellung nach der Vorstellung einer erfolgreichen und friedlichen Musterkolonie aufbauen lassen. Sie orientieren sich dabei an den vom Deutschen Reich kontrollierten Gebieten im heutigen Tansania, Ruanda, Burundi und dem Kionga-Dreieck im nördlichen Mosambik (damals „Deutsch-Ostafrika”). Hintergrund: Für einen Großteil der Menschen sind damals Urlaubs- oder gar Fernreisen unerreichbar. Dadurch soll die Schau ihre Neugier auf das „Fremde“ wecken. Die Gegenüberstellung von vermeintlich „zivilisiert“ und „unzivilisiert“ hätte nicht stereotyper sein können. Über die Biografien der 47 Menschen ist bisher kaum etwas bekannt. Unklar bleibt, ob alle Männer und Frauen überhaupt überleben konnten. Die Stadt Leipzig ist dabei, den Kolonialismus aufzuarbeiten. 

In seiner Gestaltung kopierte das STIGA-Ausstellungsgelände damals ein wenig die Weltausstellungen in London, Paris, New York oder Wien. Die Attraktionen sind auf einer Karte auf der zweiseitigen Stele sichtbar, die leider häufig mit Graffiti beschmiert ist. Die Stele befindet sich nordwestlich des Bassins in der Anton-Bruckner-Allee – dem Ort, an dem 1897 die STIGA eröffnet wurde und an die die Stadt Leipzig im Rahmen des Themenjahrs „2022 – Freiraum für Bildung“ mit einem umfangreichen Programm erinnerte. Auf der einen Seite der Stele wird die STIGA allgemein dargestellt, auf der anderen die darin integrierte Deutsch-Ostafrika-Ausstellung (DOAA). Die neue Informationstafel für die STIGA ergänzt dauerhaft die unweit davon 2018 aufgestellte Stele zur Geschichte des Clara-Zetkin-Parks.

Stand: 24.2.2024

Bildergalerie - Stele – Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung (STIGA) von 1897

Speck von Sternburg, Wolf-Dietrich

Kunstmäzen, Hotelier | geb. am 17. Februar 1935 in Stolp (damals Pommern)

Er ist Nachfahre eines Wollhändlers und Schafszüchters: Wolf-Dietrich Freiherr Speck von Sternburg, der sich in Leipzig längst einen Namen als der Kunstmäzen gemacht hat, stammt aus einer alten Leipziger Kaufmannsfamilie. Deren Name ist noch heute mit dem Rittergut in Lützschena, dem Schlosspark Lützschena, dem Handelshaus Specks Hof und deren wunderbar gestaltete Passage sowie dem Sternburg Bier verbunden. Und vor allem mit der Maximilian-Speck-von-Sternburg-Stiftung, die dem Museum der bildenden Künste Leipzig eine ihrer wertvollsten Sammlungen als Dauerleihgabe anvertraut.

Handelsherr begründet eigene Schafszucht


Und diese Geschichte beginnt eigentlich mit
Napoleon. Der Franzosenkaiser verfügt im November 1806 eine Kontinentalsperre über die britischen Inseln. Das hat auch Auswirkungen auf den Leipziger Handelsherrn Maximilian Speck (1776-1856), der daraufhin keine Wolle mehr kaufen kann. Der umtriebige Geschäftsmann, der aus einfachen Verhältnissen stammt, beschließt, auf dem Rittergut Lützschena selbst Edelschafe in großem Stil zu züchten. Die Merinoschafe haben wegen ihrer begehrten Feinwolle eine große wirtschaftliche Bedeutung. Davon hört sogar Zar Alexander I., der Maximilian Speck einlädt, die russische Landwirtschaft zu fördern. Der Zar ernennt ihn 1825 zum Ritter von Speck, der bayerische König Ludwig I. macht ihn um 1829 schließlich zum Freiherrn von Sternburg.

Wie alle wohlhabenden Leipziger Handelsherren sammelt der Tuchhändler Kunst. Da er Handelshäuser auf der ganzen Welt unterhält, reist er viel und hat bei seiner Rückkehr nicht selten ein Gemälde im Gepäck. Verheiratet mit der wohlhabenden Tochter eines Leipziger Bürgermeisters, trägt er mit ihr über viele Jahre eine erlesene Sammlung von Gemälden und grafischen Blättern zusammen. Ehefrau Charlotte ist selbst Kupferstecherin.

Sein Enkel Hermann Speck von Sternburg ist Botschafter des Deutschen Kaiserreiches in den USA und China. Auch von dort gibt es viele Kunstschätze, einige davon sind in der Sammlung des GRASSI Museums für Völkerkunde zu finden. Ur-Ur-Enkel Wolf-Dietrich, dem Haupterben Maximilians, ist der Kunstsinn daher schon in die Wiege gelegt worden.

Hotelkaufmann zieht es hinaus in die Welt


Geboren wird Wolf-Dietrich Speck von Sternburg in Stolp, das damals zu Hinterpommern (heute: Słupsk in Polen) gehört. Dort verlebt er eine glückliche Kindheit und die Volksschulzeit. Die Familie wird nach 1945 vertrieben und kommt zunächst nach Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern. Später siedelt sie sich im hessischen Wiesbaden an. Wolf-Dietrich Freiherr Speck von Sternburg macht schließlich eine Ausbildung zum Hotelkaufmann in Bad Reichenhall. Es zieht ihn hinaus in die Welt, nach Ecuador, Peru und in die USA. Dort arbeitet er als Kellner und Concierge. An der Cornell University in Ithaca im Bundesstaat New York absolviert er ein Studium zum Hotelmanager. Bis zur Pensionierung im Jahr 1996 ist er Prokurist bei einer Münchner Hotelgesellschaft.

Die Familie hat die Sammlungen verwaltet, später nicht mehr durch Neukäufe ergänzt. Der Älteste als Majoratsherr ist jeweils der Erbe, muss aber für die Familie sorgen, die Älteren unterstützen, die Ausbildung für die Jüngeren bezahlen. Dadurch ist auch die Sammlung vereint geblieben. Im Roman „Der Wollhändler“ von Susan Hastings wird die Familiengeschichte verarbeitet.

Zum Kirchentag und zur Messe in Leipzig


Zu DDR-Zeiten wird die Sammlung enteignet. Zu ihr gehören Meisterwerke von
Lucas Cranach dem Älteren, Rubens und Caspar David Friedrich, Johan Christian Dahl, Conegliano und zahlreiche Werke holländischer Meister. Die mehr als 200 Werke werden im Museum der bildenden Künste aufbewahrt und teilweise gezeigt. Als 19-Jähriger kommt der Freiherr im Jahr 1954 erstmals nach Leipzig – damals zum Evangelischen Kirchentag. Er wohnt bei der Tante in einer Dachkammer der Villa Sternburg. Im Schloss darf sie schon lange nicht mehr wohnen. Heimlich besichtigt er den verwilderten Schlosspark und macht Fotos. „Es war ein trauriger Anblick. Der Park, den meine Familie über Jahrhunderte gepflegt hat, Friedhof und Mausoleum waren verwildert“, erinnert er sich. Mit Hilfe der Fotos konnten nach der Wende viele Statuen und Monumente rekonstruiert werden.

Doch zunächst wird die Mauer errichtet. Leipzig und Lützschena rücken für den jungen Mann in weite Ferne. In den 1970er und 1980er Jahren kommt er zur Leipziger Messe. Dort besichtigt er auch das Museum der bildenden Künste, das damals im ehemaligen Reichsgericht untergebracht ist. Und sieht auch das Schild unter einigen Gemälden: „Erworben 1945“. Das stößt zwar bitter auf, doch insgesamt freut er sich, dass die Sternburg-Sammlung überhaupt noch existiert. „Das positive Denken und Handeln habe ich meiner Mutter zu verdanken – trotz aller Tragik in ihrem Leben“, sagt er. Die Eltern habe er nie jammern gehört.

Nach der Friedlichen Revolution fürchten der Freistaat Sachsen und die Stadt Leipzig, dass die Familie Speck von Sternburg ihren rechtlich verbrieften Eigentumsanspruch geltend macht und die Bilder zurückfordert. Wolf-Dietrich wird als Vertreter der Familie nach Leipzig geschickt, um sich um das Erbe zu kümmern. Er fühlt sich verpflichtet, die Sammlung in Leipzig zu belassen. Maximilian Speck verfügte einst, dass seine Sammlung an die Stadt Leipzig fallen solle, sobald es keine männlichen Namensträger mehr gäbe. Das ist zwar nicht der Fall. „Ich habe mir gedacht, Maximilian hat diese Sammlung eigentlich der Stadt Leipzig übergeben wollen“, so der Nachfahre. „Und da war die beste Lösung eine Stiftung.“

Stiftung gegründet – Gemälde sollen zugänglich bleiben


Die Stiftung wurde am 12. November 1996 in Leipzig gegründet. Sie überlässt dem Museum die 202 Gemälde, rund 700 Grafiken und eine Kunstbibliothek als Dauerleihgabe. Anstatt einige der Bilder in seinen Wohnungen in München und Leipzig oder in Räumen im Lützschenaer Schloss aufzuhängen, betrachtet er diese lieber im Museum. „Es ist die Erinnerung an Maximilian und seinen letzten Willen, die Gemälde für die Öffentlichkeit zu erhalten“, begründet er mit viel Respekt vor dem berühmten Vorfahren.

Parallel kümmert er sich um das Schloss in Lützschena, das die Familie ebenso wie den enteigneten und in 34 Parzellen geteilten Park zurückkauft. „Ich wollte nie Parkbesitzer sein. Aber es war die einzige Möglichkeit, den Park für Lützschena zu erhalten und handlungsfähig zu bleiben.“ Im Schloss war damals eine Schule für behinderte Kinder untergebracht. Mit wie viel Liebe sie betreut worden sind, habe ihn sehr berührt, sagt er. Und es ist wohl der Ansporn, das Kinderhospiz Bärenherz in Markkleeberg, das erste Kinderhospiz in Mitteldeutschland, zu unterstützen. Dort ist er Mitglied im Kuratorium.

Auf Stiftermosaik im Bildermuseum verewigt


Wolf-Dietrich Speck von Sternburg lebt heute abwechselnd in München und Leipzig. Und hat sich den Ruf eines „Außenministers“ der Messe- und Handelsstadt erworben. Mehrfach ist er ausgezeichnet worden, darunter mit dem Verdienstorden des Freistaates Sachsen und der Ehrenmedaille der Stadt Leipzig. 2010 erhielt er vom damaligen Bundespräsidenten
Christian Wulff das Bundesverdienstkreuz I. Klasse. Porträtieren lassen für ein Gemälde hat er sich nie. Doch Wolf-Dietrich Speck von Sternburg ist auf dem Stiftermosaik verewigt, das der Münchner Künstler Stephan Huber fürs Foyer des Museums der bildenden Künste geschaffen hat.

Stand: 20.2.2024

Bildergalerie - Speck von Sternburg, Wolf-Dietrich

Torhaus Dölitz und Zinnfigurenmuseum

Helenenstraße 24 | Ortsteil: Dölitz-Dösen

Das Kartenspiel „Rommé Bonaparte“ erzählt viele Details rund um die Epoche des Franzosenkaisers Napoleon und der Völkerschlacht bei Leipzig anno 1813. Der Verband Jahrfeier Völkerschlacht 1813 lässt sich immer wieder etwas einfallen, um die Erinnerung an die Geschehnisse der blutigen Schlacht wachzuhalten. Die tobt 1813 auch am Torhaus Dölitz, das seit vielen Jahren das Zinnfigurenmuseum beherbergt. Am Torhaus verhindern die mit Napoleon verbündeten Polen unter dem Kommando von Fürst Józef Antoni Poniatowski, dass die Österreicher die Pleiße überqueren und somit dem französischen Kaiser Napoleon Bonaparte in den Rücken fallen.

Das älteste Bauwerk in Dölitz


Als Herrensitz hat das
Rittergut Dölitz eine lange Geschichte. 1348/49 wird der Ort Dölitz erstmals urkundlich erwähnt. Einen Herrensitz gibt es da schon. 1550 – Dölitz hat damals etwa 200 Einwohner – wird das Renaissanceschloss erbaut. Knapp ein Jahrhundert später werden Schloss und Rittergut an den Leipziger Kaufmann Georg Winckler verkauft, der es bis 1640 erneuern und umbauen lässt. 1670 bis 1672 wird dann das Torhaus als Übergangsbau im Stil des holländischen Barocks errichtet.1927 kauft die Stadt Leipzig schließlich den Gutskomplex Dölitz. Im Zweiten Weltkrieg wird das Dölitzer Schloss stark beschädigt, die Reste des Gebäudes werden schließlich 1947 gesprengt. Heute ist das Torhaus das älteste Bauwerk in Dölitz. In der Ausstellung ist ein Modell des ehemaligen Rittergutes zu sehen. Anhand von alten Zeichnungen, Fotografien und Grundrissen sind alle Gebäude in Miniatur rekonstruiert. Dazu gehört selbstverständlich das nur noch auf Bildern existierende Schloss. Vom Rittergut sind neben dem Torhaus noch ein baufälliges Verwaltungsgebäude sowie ein von Vereinen genutztes Stallgebäude übrig. Das Modell wird für die museumspädagogische Arbeit genutzt.

Start mit Ehrenamtlichen vom Kulturbund der DDR


Bereits 1957 beginnt eine Gruppe des Kulturbundes der DDR im Torhaus eine Zinnfigurenausstellung einzurichten. Sie knüpft an die Tradition der Leipziger Sammlerschaft an. 1924 hat sich in der Messestadt die Klio gegründet, die Deutsche Gesellschaft der Freunde und Sammler kulturhistorischer Zinnfiguren. Anfangs umfasst die Schau etwa 15 Dioramen, die die Ereignisse der Völkerschlacht, der Stadtgeschichte und des Zeitalters des Preußenkönigs
Friedrich II. darstellen. 1963, zum 150. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig, kommen vor allem Schaubilder zu diesem historischen Ereignis hinzu. Bis 1990 bleibt die Ausstellung eine ehrenamtliche Einrichtung, die von Vereinsmitgliedern geleitet, ausgebaut und erweitert wird. Dabei obliegt ihnen nicht nur die inhaltliche Betreuung, sondern sie müssen sich auch um die Bausubstanz des Hauses kümmern. Am 1. Dezember 1990 werden die kulturhistorischen Zinnfiguren dem Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig zugeordnet. In den folgenden Jahren finden umfangreiche konzeptionelle und bauliche Maßnahmen statt. So wird das Gebäude 1991 bis 1995 trockengelegt und verputzt, das Dach neu gedeckt.

Neuer Schwung durch Verband Jahrfeier Völkerschlacht 


Das Gebäude bleibt allerdings nicht lange in Regie des Museums. Weil die Stadt Leipzig sparen muss, übergibt sie das Torhaus Dölitz 1998 an einen Verein, der mit Fördermitteln aus dem städtischen Haushalt unterstützt wird. Das ist zunächst die AG „Befreiungskrieg 1813“ Finsterwalde, die es in Erbbaupacht übernimmt und eine Betreibergesellschaft gründet. Sie meldet nach einigen Jahren Insolvenz an und löst sich Ende November 2013 auf. Neuer Betreiber wird der Verband Jahrfeier Völkerschlacht bei Leipzig 1813, der dem Torhaus sowie dem Museum neuen Schwung verleiht. Der Verband zieht als Mieter in das städtische Gebäude ein.

Großdiorama zur Völkerschlacht ist Highlight


Das Haus wird mit Hilfe des Vereins Zinnfigurenfreunde betrieben, der dort Figuren und Dioramen verschiedener Epochen zeigt. Mittlerweile gehört das Zinnfigurenmuseum zu den größten seiner Art in Europa. Auf drei Etagen werden über 100.000 Zinnfiguren präsentiert. Ein Highlight ist das 25 Quadratmeter umfassende Groß-Diorama mit vielen Tausend Figuren. Es zeigt die Kampfhandlungen am 18. Oktober 1813 auf dem südlichen Schlachtfeld der Völkerschlacht rund um die Ortschaften Dölitz, Probstheida und Holzhausen. Thema der Dioramen ist aber nicht nur die Völkerschlacht. Zu sehen sind beispielsweise Figurengruppen und Einzelfiguren zu Babylon, von Rittern, der türkischen Belagerung Wiens 1683, selbst zum Rokoko. Neu ist ein Diorama mit der Schlacht bei
Connewitz am 16. Oktober 1813. Eine Bilderleiste, um das ehemalige Dorf heute verorten zu können, ist noch im Entstehen.

Eine Rolle spielt ebenfalls die Geschichte Leipzigs sowie die des ehemaligen Dorfes Dölitz, das im Jahr 1910 nach Leipzig eingemeindet wurde. Bei der Gestaltung des Raumes hat der Bürgerverein Dölitz geholfen. Wie Zinnfiguren hergestellt werden, ist ebenso wie ein Ausflug in ihre Geschichte zu bewundern. Regelmäßig gibt es Sonderschauen zu verschiedenen Themen. Dabei werden besondere Dioramen, wie eine Leipziger Trümmerbahn auf dem Augustusplatz, aus dem Fundus geholt. Diese zeigt, wie nach dem Zweiten Weltkrieg die Kriegsschäden beseitigt werden.

Gelände rund ums Torhaus wird entwickelt


Der Verband Jahrfeier Völkerschlacht bei Leipzig 1813 hat große Pläne, will auch das Gelände rund ums Torhaus entwickeln. Das erweist sich sowohl finanziell als auch durch das Naturschutzgebiet als schwierig. Das Stallgebäude soll zum kombinierten AusstelIungsgebäude mit Vortragsraum ausgebaut werden. Jährlich im Oktober wird das Areal regelmäßig für Biwaks genutzt. Integriert ist das Torhaus Dölitz
auch ins alljährliche Wave-Gotik-Treffen. Der agra-Park mit seinem Campingplatz dient als Unterkunft der Anhänger der schwarzen Szene. Für sie wurde 2023 erstmals eine edle Künstler-Spielkartenedition „Fantastic Mystic Gothic Rommé“ herausgegeben. Wie das Kartenspiel „Rommé Bonaparte“ hat dieses der Leipziger André Martini gestaltet. Vor dem Torhaus entstehen alljährlich zum Wave-Gotik-Treffen ein Heidnisches Dorf sowie ein großer mittelalterlicher Markt. Die Zinnfigurenfreunde bereiten ein Wave-Gotik-Diorama vor, das 2025 fertig sein soll.

Gearbeitet wird auch an einem „virtuellen Diorama“. Die Idee wurde während der Corona-Schließzeit ausgetüftelt, in der die Einnahmen wegbrachen. Nun wird zu Patenschaften für 12.126 Figuren aufgerufen – so viel hat das große Völkerschlacht-Diorama. Im Oktober 2023 waren es bereits knapp 10.700 Figuren. Geplant ist, ein großes Wimmelbild mit Zinnfiguren aus verschiedenen Epochen vor einem Leipziger Gebäude und eine Tafel mit Namen der Spender zu erstellen. Das Torhaus Dölitz arbeitet in einem Museumsbund mit dem Sanitäts- und Lazarettmuseum Seifertshain, dem Körnerhaus Leipzig-Großzschocher sowie dem Museum Torhaus Markkleeberg.

Stand: 10.01.2024

Bildergalerie - Torhaus Dölitz und Zinnfigurenmuseum

Historisches Bildmaterial - Torhaus Dölitz und Zinnfigurenmuseum

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