Bildlexikon Leipzig

Maul, Michael

Musikwissenschaftler, Autor, Intendant | geb. am 15. Februar 1978 in Leipzig

Mittlerweile gibt es am Störmthaler See sogar einen Bach-Wald. Auf einer Fläche von rund 29 Hektar wächst in den nächsten Jahren ein Mischwald aus dann rund 130.000 Bäumen und Sträuchern. Die Idee dazu stammt von Michael Maul, dem Intendanten vom Bachfest Leipzig. Das Festival ist Leipzigs Aushängeschild. Viele der eingeladenen Künstler sowie fast die Hälfte des Publikums reist eigens aus dem Ausland an, sehr viele aus den USA. Da lassen sich Flugreisen, die bekanntlich für einen sehr hohen CO2-Ausstoß sorgen, nicht vermeiden. „Das ist in Zeiten der Klimaerwärmung ein ernstzunehmendes Problem. Aus diesem Dilemma können wir uns nur durch Kompensation befreien“, bekennt Maul. Daher sei die Idee entstanden, durch Anpflanzen eines Waldes wenigstens etwas gegenzusteuern. Der Intendant will das keineswegs als Feigenblatt verstanden wissen. Es ist ein ernsthafter Versuch, die Internationalität des Festivals zu erhalten. Was für die Wagnerianer Bayreuth ist, soll Leipzig für die Bachfans aus aller Welt sein. Was ihn freut: Der Bach-Wald hat bereits Modellcharakter, andere Festivals und Orchester nutzen die Idee nach.

Der Klassikliebhaber Michael Maul lebt seinen Traum. Einst unsicher, ob der Studiengang Musikwissenschaft wirklich zu ihm passt, vermarktet er heute als Intendant des Bachfestes seine Heimatstadt. Im Jahr 2015 wird Maul zunächst Dramaturg des Bachfest Leipzig, bevor er im Mai 2018 zum Intendanten gewählt wird. „Leipzig durch überraschende Festival-Konzeptionen einmal jährlich ins ,Bayreuth Bachs’ zu verwandeln, betrachte ich als meine zentrale Aufgabe“, sagt Maul in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung.

Die Suche in Archiven nach Bach


Geboren im Februar 1978, wächst Michael Maul in Engelsdorf auf. Dort besucht er die Polytechnische Oberschule „Friedrich Engels“ und macht am König-Albert-Gymnasium in
Czermaks Garten sein Abitur. In den späten 1990erJahren studiert Maul an der Universität Leipzig. Dort belegt er bis 2002 Musikwissenschaft, als Nebenfächer Journalismus und Betriebswirtschaftslehre. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bach-Archiv Leipzig durchforstet er weitere Archive in Mitteldeutschland und Osteuropa systematisch nach Bezügen zu Johann Sebastian Bach. Dabei stößt er beispielsweise 2001 in Vilnius/Litauen auf die älteste erhaltene deutschsprachige Oper Bachs, die Pastorello musicale. Datiert ist die Handschrift aus Königsberg mit 1663.

International bekannt wird Maul, als er 2005 in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar die Bach-Arie: „Alles mit Gott und nichts ohn’ ihn“ entdeckt. Bis dahin war das ein unbekanntes Vokalwerk des Komponisten. Und es war die erste Neuentdeckung seit etwa 70 Jahren. Ein Jahr später findet Maul ebenfalls in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zuvor unbekannte Notenhandschriften Bachs, die sogenannte Weimarer Orgeltabulatur mit Abschriften der Choralfantasien.

Maul promoviert 2006 in Freiburg im Breisgau an der Albert-Ludwigs-Universität mit einer Arbeit über die Barockoper in Leipzig. 2013 erfolgt die Habilitation an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die eine vielbeachtete Arbeit zur Geschichte des Leipziger Thomaskantorats ist und ausgezeichnet wird. Er ist außerplanmäßiger Professor im Fach Musikwissenschaft in Halle-Wittenberg, unterrichtet auch an der Universität Leipzig sowie der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“.

Der Lebenslauf der Alumnen


Der Wissenschaftler wird auch im
Stadtarchiv Leipzig fündig. So erforscht er das Album Alumnorum Thomanorum mit Handschriften von Bachs Schülern. Der Inhalt des fast 700-seitigen Bandes ist zwar bekannt. Das Original gilt allerdings lange Zeit als verschollen und schlummert seit den 1960er-Jahren nahezu unbeachtet mit anderen Dokumenten aus der Thomasschule im Stadtarchiv. Das Besondere: Alle 650 Alumnen, die von 1729 bis 1800 neu in die Thomasschule aufgenommen worden waren, haben dort eigenhändig einen Kurzlebenslauf eingetragen. Das wiederum liefert der Wissenschaft neue Hinweise zur Datierung der Bach-Werke. Denn damals können die Noten nicht einfach so kopiert werden. Bach setzt daher zahlreiche seiner Schüler ein, die die Noten für die Aufführungen abschreiben müssen.

Eine große Biografie über den Menschen Bach


Seit vielen Jahren beschäftigt sich der Musikwissenschaftler mit dem Musikgenie Bach. Über den Menschen Bach hingegen ist wenig bekannt. Anders als
Beethoven hat er der Nachwelt kaum persönliche Schriften hinterlassen. Mit seiner zweisprachig auf Deutsch und Englisch im Lehmstedt-Verlag erschienenen Biografie versucht Maul, Licht ins Dunkel zu bringen und hat dafür viele Dokumente ausgewertet. Selbst auf Noten auf vergilbtem Papier entdeckt er durch Bach verfasste Randnotizen, die dann faszinierende Einblicke in dessen Arbeitsweise geben.  Der Thomaskantor komponiert zwar Gebrauchsmusik für Gottesdienste. „Doch diese war teilweise so anspruchsvoll, dass viele Musiker und Sänger zeitweilig überfordert waren. Auch der Thomanerchor“, so Maul.

Bachs Leben sei ein Lückentext, schreibt der Forscher im Vorwort seiner bebilderten Chronik. Bekannt sind Zwistigkeiten Bachs mit seinem Arbeitgeber, der Stadt Leipzig. Für die ist er keineswegs erste Wahl. Die wollen lieber Georg Philipp Telemann, der damals schon eine europäische Berühmtheit ist und lieber in Hamburg bleibt.

Podcast und Bach-Hörbiografie für Musikliebhaber


Kompetenzstreitigkeiten mit Funktionsträgern von Schule, Kirche oder Stadt führen dazu, dass sich Bach den Ruf eines streitbaren Zeitgenossen erwirbt, der einige Male ins
Alte Rathaus zitiert wird. Bach ärgert sich immer wieder über die „wunderliche und der Music wenig ergebene Obrigkeit“. Für den Bachforscher Maul bleibt das Musikgenie eine unendliche Geschichte, bei der es noch viel zu entdecken gibt. Regelmäßig ist Maul bei MDR Klassik zu hören. In einem Podcast nimmt er gemeinsam mit Bernhard Schrammek jeweils eine Kantate genauer unter die Lupe. „Mir ist wichtig, meine Ergebnisse nicht nur mit der Forscher-Community zu teilen. Ich will sie in verschiedenen Formaten einer musikinteressierten Öffentlichkeit vermitteln.“ Neben dem Podcast gibt es beim Deutschlandfunk Kultur die XXL Hörbiografie über Bach mit 33 Folgen. In der Insel-Bücherei nimmt er im Buch „Wie wunderbar sind deine Werke“ Interessierte charmant in die Welt der Kantaten mit.

Darüber hinaus ist Familienvater Maul sehr sportlich unterwegs. Für Ideen wie „Bach – We are family!“, die Chöre aus aller Welt zum Bachfest nach Leipzig holte, bekommen Maul und sein Team 2022 den Leipziger Tourismuspreis. Im Jahr 2024 erhält er die Leipziger Lerche, die begehrte Trophäe des Wirtschaftsvereins „Gemeinsam für Leipzig“. „Mir macht es Spaß, immer wieder neue Konzepte zu entwickeln, um die Welt in Leipzig zu Gast zu haben“, sagt der Professor. Und man darf sich gewiss sein, das Maul, der heimliche Popstar in Sachen Klassik, noch viele Überraschungen hat.

Stand: 04.02.2024

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Mathias Orbeck
Der in Leipzig-Connewitz geborene und aufgewachsene Journalist ist leidenschaftlicher Radfahrer und Naturliebhaber. 35 Jahre lang arbeitete der Lokalpatriot als Redakteur und Reporter bei der Leipziger Volkszeitung. Inzwischen als freier Autor tätig, gilt sein Interesse nach wie vor Leipzigs Historie sowie den schönen Seiten seiner Heimatstadt, deren Attraktionen er gern Gästen zeigt.
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