Bildlexikon Leipzig

Lange, Bernd-Lutz

Kabarettist, Autor, Germanist | geb. am 15. Juli 1944 in Ebersbach (Sachsen)

Es fällt schwer, ihn zu beschreiben: Buchhändler, Kabarettist, Sänger, Autor, Forscher, Sammler, Sachse: Auf Bernd-Lutz Lange trifft eigentlich alles zu. Er hat schon viele Menschen zum Lachen gebracht und sogar ein Stück Weltgeschichte mitgeschrieben. Er gehört neben Gewandhauskapellmeister Kurt Masur und dem Theologen Peter Zimmermann zu den Leipziger Sechs, die am 9. Oktober 1989 vor der entscheidenden Montagsdemonstration den Aufruf zur Gewaltlosigkeit verfasst haben. Bereits am 14. Oktober leitet er beim Kabarett academixer einen ersten politischen Dialog – über DDR-Medienpolitik und Pressefreiheit und macht Mut zu Veränderungen. Von der Kabarettbühne hat er 2014 Abschied genommen. Seitdem ist es nicht ruhiger geworden: Bernd-Lutz Lange ist bei Lesungen zu erleben und schreibt auch weiterhin Bücher: Sein aktuelles Buch „Cafe Continental“ wird im Oktober 2024 Premiere haben. Darin erzählt der Kaffeehausliebhaber Geschichten und Plaudereien an Marmortischen aus 60 Jahren. Dabei verwendet der Autor erstmals eine fiktive Figur, kann seine persönlich erlebten Geschichten ausbauen. Wobei eigene Dinge, wie einst die Studentenzeit im alten Café Corso – laut SED ein Hort der Konterrevolution – einfließen.

Aus Gärtner wird ein Buchhändler


Geboren wird Bernd-Lutz Lange am 15. Juli 1944 im sächsischen Ebersbach. Er wächst in Zwickau auf, wo er auch die Polytechnische Oberschule besucht. „Wir hatten eine schöne Kindheit, weil wir uns nicht nach irgendetwas sehnten, allein schon deshalb, weil wir es gar nicht kannten“, schreibt er später darüber in seinem Buch „Magermilch und lange Strümpfe“. Nach der Schule macht er eine Lehre zum Gärtner. In der Stadtgärtnerei kann er aber nicht bleiben, weil es keine Stelle gibt. Er landet im Gemüsekombinat der LPG „Sieg des Sozialismus“ bei Zwickau. Erste Erfahrungen als Künstler hat Lange als Sänger in Amateurkapellen. Eigentlich wollte er immer Buchhändler werden, was jungen Männern damals aber zunächst verwehrt wurde. 1963 wird er Hilfskraft an der Volksbuchhandlung Gutenberg in Zwickau. Nebenbei macht er Abitur und seinen Facharbeiter Buchhandel.1965 zieht er nach Leipzig. Hier studiert er an der Fachschule für Buchhändler und arbeitet schließlich im
Leipziger Kommissions- und Großbuchhandel. An die Hochschule wollte er nicht: Dort gibt es für seinen Geschmack „zu viel Marxismus-Leninismus. Das widersprach meinen politischen Ansichten.“

Brillant als Kabarettist in vielen Rollen


In dieser Zeit gründet er gemeinsam mit
Gunter Böhnke, Christian Becher und Jürgen Hart 1966 das Studentenkabarett academixer der Karl-Marx-Universität (heute Universität Leipzig). Es ist das einzige Kabarett in der DDR, bei dem die Künstler nicht das sonst obligatorische Schauspielstudium abschließen müssen, wie Lange erzählt. Er brilliert dennoch in vielen Rollen. 1972 wird er schließlich Redakteur beim „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel“.

1979 wird aus dem Ensemble ein Berufskabarett. „Wir bekamen als Kollektiv den Berufsausweis.“ Das Kabarett academixer pflegt auch das Mundart-Programm im „scheensdn Säggs’sch“. So wird die bis dahin in der DDR vergessene sächsische Mundartdichterin Lene Voigt aus der Versenkung geholt. „Dr Saggse – Mänsch und Miedos“ hat im November 1980 im neu eröffneten academixer-Keller in der Kupfergasse seine Premiere. 1988 hört er dort auf, kommt nur noch als Freischaffender zu Gastauftritten. Etwa zu Duo-Auftritten mit Gunter Böhnke.

Mit der Friedlichen Revolution verändert sich auch das Kabarett. Zu DDR-Zeiten müssen die Kabarettisten Pointen so formulieren, dass sie auf der Bühne noch sagbar bleiben. Das Publikum ist es gewohnt, auf die Töne zwischen den Zeilen zu hören. Es gibt einen regelrechten Durst nach kritischen Texten. Das ändert sich plötzlich, weil die Medien freier agieren können. Als Duo kommen Gunter Böhnke, mit der Figur des kleinen, pfiffigen Dicken, sowie Lange, der sich teilweise intellektuell gibt und dumm stellt, beim Publikum gut an. Es ist wohl die richtige Mischung aus Politik und Unterhaltung, die überzeugt. Darauf wird auch der Mitteldeutsche Rundfunk aufmerksam, der verschiedene Sendungen mit dem Duo produziert. 2004 endet die Zusammenarbeit mit Böhnke. „Es war geplant, dass wir zum 60. aufhören“, sagt Lange. Danach tritt er zehn Jahre mit Vollblutkomödiantin und Sängerin Katrin Weber auf, die er vier Jahre vorher bei Dreharbeiten kennenlernt. „Wir mussten unterbrechen, weil wir uns vor Lachen nicht halten konnten und sofort gemerkt haben, die Chemie stimmt.“ Diese Zusammenarbeit hat er bis zu seinem 70. Geburtstag beschränkt. Er wollte die Kabarettbühne verlassen, wenn die Leute es noch bedauern. „Deshalb mache ich jetzt nur noch maximal zwei Lesungen im Monat.“

Viel Interesse für das jüdische Leipzig


Schon seit seiner Studentenzeit beschäftigt sich Bernd-Lutz Lange sehr intensiv mit der jüdischen Kultur und dem jüdischen Leben in Leipzig. Im September 1986 erscheint sein Beitrag „Juden in Leipzig“ in den
Leipziger Blättern. Es war der erste Text in der DDR zu diesem Thema. „Wir waren zwar mit den Fakten vertraut, dass sechs Millionen Juden ermordet worden sind. In der gesamten DDR gab es aber keine regionale Aufarbeitung. Ich wollte einfach wissen, was hier in Leipzig passiert ist.“ Er bekommt einen Schein mit einem Auftrag vom Rat des Bezirkes, dass er recherchieren darf, um keinen Ärger mit der Staatssicherheit zu bekommen. Er schreibt einen weiteren Beitrag zum Novemberpogrom. 

1988 wird die vielbeachtete Ausstellung über Juden in Leipzig im Krochhochhaus gezeigt. Durch seine Veröffentlichungen erhält Lange Kontakte zu ehemaligen Leipzigern in der ganzen Welt, bekommt Post aus Israel, den USA, Kanada. „Sie haben sich gefreut, dass ihr Schicksal in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.“ Er wird sogar vom Verband ehemaliger Leipziger nach Israel eingeladen. Weder jüdische Wurzeln noch in der Partei, kann er sich nicht vorstellen, eine Erlaubnis zu bekommen. Doch SED-Parteichef Erich Honecker wollte unbedingt ins Weiße Haus zum Staatsempfang eingeladen werden, hoffte dabei auf die Unterstützung von Juden. Ab 1987/88 wird daher vom Staat offiziell jüdische Kultur gefördert. „Ich durfte im März 1989 nach Israel zu Recherchen und drei Vorträgen zu jüdischen Spuren in Leipzig“, erzählt er. 1993 erscheint im Forum-Verlag sein Buch dazu. Mit seinem jüdischen Freund und Kollegen Küf Kaufmann, der nach der Wende nach Leipzig kommt, macht er später das Programm „Fröhlich und meschugge“ mit jüdischem Witz. Die Leute können sich vor Lachen kaum halten.

Vom Schreiben nahezu besessen


Mehr als 20 Bücher hat er inzwischen geschrieben. Sein Leben steht darin. Etwa wie in „Magermilch und lange Strümpfe“ seine Erlebnisse der Kindheit. Oder in „Mauer, Jeans und Prager Frühling“ die Jugend- und Studentenzeit in der DDR. Sein Lieblingsbuch? „Magermilch und lange Strümpfe“, sagt er spontan, da ihm sehr viel an seiner Kindheit liegt. „Es ist aber auch ein Privileg, ein Buch gemeinsam mit dem eigenen Sohn zu schreiben.“ Zum 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution entsteht mit Sohn Sascha das Buch „David gegen Goliath“. Historiker
Sascha Lange betrachtet die Ereignisse aus geschichtlicher, Vater Bernd-Lutz aus seiner persönlichen Sicht. „Freie Spitzen“ heißt ein weiteres Buch, bei dem er einen Streifzug im gesamten Ostblock durch die vielfältige Landschaft des politischen Witzes unternimmt. 2014 wird Lange mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Im Januar 2019 wird er Ehrenbürger von Zwickau.

Ob es weitere Bücher gibt, hält er sich offen. Er beobachtet gern, lässt sich in seinem Lieblingslokal Café Grundmann inspirieren. Das ist „mein zweites Wohnzimmer“, sagt er. Aber auch das Café Maître mag er. Er nimmt sich Zeit für Freunde, den Stammtisch „Goglmosch“, pflegt Freundschaften. Bernd-Lutz Lange ist einer, der das Leben genießt. „Ich pflege den produktiven Müßiggang“ ist sein Motto.

Stand: 11.04.2024

Bildergalerie - Lange, Bernd-Lutz

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Mathias Orbeck
Der in Leipzig-Connewitz geborene und aufgewachsene Journalist ist leidenschaftlicher Radfahrer und Naturliebhaber. 35 Jahre lang arbeitete der Lokalpatriot als Redakteur und Reporter bei der Leipziger Volkszeitung. Inzwischen als freier Autor tätig, gilt sein Interesse nach wie vor Leipzigs Historie sowie den schönen Seiten seiner Heimatstadt, deren Attraktionen er gern Gästen zeigt.