Es ist das letzte Gebäude, das vom einst prächtigen Rittergut Kleinzschocher geblieben ist: Das Schösserhaus am Kantatenweg steht seit vielen Jahren leer und verfällt zusehends. Der Name geht auf Schösser zurück, die damals für die adligen Gutsherren die Steuern einnehmen. Das ehemalige Rittergut liegt zwischen Taborkirche und Volkspark Kleinzschocher. Es gehört der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB), die es nun zu neuem Leben erwecken will. Ziel ist es, einen Nachbarschaftstreff für das ganze Viertel zu etablieren. Bekannt ist das Gebäude bei Musikfreunden, da Johann Sebastian Bach dort im Jahr 1742 seine Bauern-Kantate uraufführte. Daran erinnert die Gedenktafel Bauernkantate Kleinzschocher, die an einem Torpfeiler eingelassen ist. Der Verein Notenspur Leipzig e.V. plant, das Schösserhaus in seine Tour Leipziger Notenrad zu integrieren, die per Rad auf die Spuren berühmter Musiker und Komponisten führt.
Eine Kantate für den sächsischen Kammerherrn
Schloss und Rittergut Kleinzschocher werden erstmals 1350 urkundlich erwähnt. Sie zählen zu den größten Anwesen ihrer Art mit Stallungen und Wirtschaftsgebäuden in der Leipziger Umgebung. Erste Besitzer sind die Familie von Hahn (in älterer Schreibweise von Hayn). Das 1748 errichtete Schösserhaus ist Teil dieser Anlage. Über die Jahrhunderte wechselt das Rittergut mehrmals die Besitzer.
Ab 1649 gehört das Gut der Familie von Dieskau. Zum 36. Geburtstag des Gutsherren Carl Heinrich von Dieskau, eines kurfürstlich-sächsischer Kammerherrn, wird am 30. August 1742 die Bauernkantate (Cantate Burlesque) von Johann Sebastian Bach uraufgeführt. Darin spotten ein Bauer und eine Magd über die Machenschaften der Steuereinnehmer sowie die Verletzung des Fischereirechts. Der Text von Christian Friedrich Henrici, genannt Picander, ist volkstümlich-derb, leicht ironisch und enthält sogar sächsische Mundart. Bach verwendet für seine Kantate volkstümliche Melodien und populäre Tanzformen. An einer Säule des Eingangsportals neben dem Gebäude erinnert ein Medaillon an das Ereignis. Die Kantate Bachs gibt der Straße später ihren Namen als Kantatenweg.
Schloss und Rittergut werden im Krieg zerstört
Das Schösserhaus wird Anfang des 19. Jahrhunderts zum Verwalterhaus. 1812 erwirbt der Kaufmann David Johann Förster das Schloss Kleinzschocher. Er hat die Idee, aus dem nahe gelegenen Hahnholz einen öffentlichen Park zu machen. Inzwischen gehört dieser zum heutigen Volkspark Kleinzschocher. 1848 wechselt das Gebäude ins Eigentum von Verleger und Buchhändler Freiherr von Tauchnitz, der das Gut zur Hochzeit geschenkt bekommt. Sohn Christian Karl Bernhard von Tauchnitz übernimmt nach dem Tod des Vaters 1895 das Rittergut. Kurz bevor er 1921 verstirbt, verkauft er 1920 den Besitz an die Stadt Leipzig.
Das Schloss wird im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstört, das Rittergut teilweise. Das Schösserhaus bleibt unversehrt. Zu DDR-Zeiten ist es bewohnt und wird von Gewerbetreibenden genutzt. Es wird zusehends marode, geht nach der Friedlichen Revolution ins Eigentum der LWB über. Seit Ende der 1990er Jahre steht das Gebäude leer – verfällt zusehends. Die beiden Säulen des ehemaligen Eingangs zum Gut sind noch erhalten. Einst sitzen steinerne Löwen auf dem Portal, die 1999 jedoch entwendet werden.
LWB planen einen Nachbarschaftstreff
Nun will die LWB das Schösserhaus sanieren und mit Hilfe von Städtebaufördermitteln zu neuem Leben erwecken. Entstehen soll ein Nachbarschaftstreff im denkmalgeschützten Haus. Potenzielle Bewerber für die soziokulturelle Nutzung von Ober- und Dachgeschoss werden gesucht. Das Erdgeschoss sowie ein Großteil der Außenanlagen mitsamt Freisitz soll an einen Gastronomen verpachtet werden. Für das Areal zwischen Kantatenweg, Bauernwinkel und Miekeweg, zu dem auch das Schösserhaus gehört, erarbeitet die Stadt einen neuen Bebauungsplan. Wohnungen und ein Kindergarten sind vorgesehen – das Vorhaben ist aber nicht unumstritten. Naturschützer wie der Verein Ökolöwe protestieren gegen die Bebauung, da sich die Natur die Freiflächen längst zurückerobert hat. Das ehemalige Gut sei ein Rückzugsraum für Insekten und Singvögel geworden, argumentiert der Umweltbund.
Stand: 12.11.2024