Sprink, Rolf

Bürgerrechtler, Verleger, Ex-Volkshochschuldirektor | geb. am 16. April 1950 in Görlitz

Er ist eigentlich immer auf Entdeckungsreise: Rolf Sprink ist ein neugieriger Mensch, der noch heute gerne die Welt erkundet. Der ehemalige Bürgerrechtler ist aktiv. Wie in seiner Zeit als Direktor der Volkshochschule Leipzig, die er entwickelt und für die er mit seinem Team immer neue Angebote ausbrütet. So oft es geht im Jahr, bereist er mit seiner Frau andere Länder. Ob nun mit dem Auto durch Südosteuropa, mit dem Schiff auf der Donau, mit dem Flugzeug in Asien oder Amerika. Aber auch innerhalb Deutschlands ist er unterwegs.

Zeit des Suchens – Prägende Jahre


Geboren wird Rolf Sprink am 16. April 1950 in Görlitz. Mit drei Geschwistern wächst er in Görlitz, Berlin und Dresden auf, macht sein Abitur in Bautzen. Die Familie kommt viel herum, der Vater ist Kulturwissenschaftler, arbeitet als Intendant und Dramaturg an verschiedenen Theatern. Die Affinität Rolf Sprinks für fremde Kulturen kommt auch von häufigen Besuchen im
Karl-May-Museum Radebeul. Nach Leipzig kommt er zum Studium. An der Karl-Marx-Universität belegt er ab 1968 Ethnologie und Soziologie. Prägend wird für ihn in dieser Zeit die Sprengung der Leipziger Universitätskirche am 30. Mai 1968. Aber auch der Prager Frühling, der brutal niedergeschlagen wird, führt dazu, dass er den SED-Staat immer mehr ablehnt. Beflügelt wird das durch die evangelische Kirche, in der er viele Gleichgesinnte trifft. Schon im Studium will er in die Tropenmedizin wechseln, doch das wird ihm verwehrt. Ethnologie ist ihm allerdings zu akademisch. „Ich wollte raus, andere Kulturen und Ländern erleben. In der Entwicklungshilfe arbeiten.“

Nach dem Studium folgt der Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee in Weißenfels. „547 Tage, das hat sich bei mir eingeprägt“, sagt er. Anschließend arbeitet er zunächst als Lektor im Brockhaus-Verlag. Später wechselt er dann als Lektor und Fachbereichsleiter in den Tourist-Verlag Berlin/Leipzig. 1975 heiratet er, seine Frau ist im Diakonissenkrankenhaus als Krankenschwester sowie später in der Pflegedienstleitung tätig. Das Paar bekommt zwei Kinder und hat heute drei Enkel.

Engagement für demokratische Kultur und Rechtsstaatlichkeit


Ab 1985 nimmt Rolf Sprink wahr, wie immer mehr Menschen aus seinem Umfeld in den Westen ausreisen. Er ist Mitglied im Kirchenvorstand der
Nathanaelkirche. Im Umfeld der evangelischen Kirche in Leipzig knüpft er Kontakte zu Bürgerrechtlern. Warum stellt er nicht ebenfalls einen Ausreiseantrag? Er spricht vom starken Familienzusammenhalt, aber auch vom Austausch mit vielen Kollegen aus anderen Leipziger Verlagen, einem Netzwerk kritischer Geister. Mit ihnen versucht er, mitzugestalten und bekommt die nötige Energie, um trotz aller Widrigkeiten weiterzumachen. „Ich wollte hier eine demokratische Kultur mitentwickeln.“ Er schreibt zahlreiche Eingaben an die SED, um mehr Rechtsstaatlichkeit einzufordern.

1989 wird er Zeuge, wie der Pleiße-Gedenkmarsch vor der Paul-Gerhard-Kirche in Connewitz zerschlagen wird. Schon seit 1986 führt er Tagebuch. Und er wird oft ermuntert, dieses vielleicht mal zu veröffentlichen. Gleich nach Gründung des Neuen Forums engagiert er sich in der neuen Bewegung. Ab Mitte Oktober 1989 wird er Mitglied der Redaktionsgruppe mit Reinhard Bohse und Ulla Heise, die den Forum-Verlag Leipzig aufbaut. Die Gruppe verfasst ebenfalls die wöchentlichen Informationsblätter und Demonstrationsaufrufe mit.

Beim Forum-Verlag wird Sprink schließlich geschäftsführender Verleger und Gesellschafter. Das erste große Werk heißt „Jetzt oder nie – Demokratie! Leipziger Herbst ’89“. Enthalten sind Interviews, Zeitzeugenberichte und Zeitungsausschnitte. Die Friedrich-Ebert-Stiftung zeichnet es mit dem Sonderpreis für das „Politische Buch des Jahres“ aus. Gleich am ersten Tag werden 6.000 Exemplare verkauft. Die Leute haben in der Publikation ihre eigene Geschichte gesehen, erinnert er sich. „Für mich ist das biografisch die spannendste Zeit, eine absolute Zäsur, von der Geburt meiner Kinder und Enkel einmal abgesehen“, sagt Sprink. „Wir waren Mitgestalter einer Revolution.“

Volkshochschule wird Plattform für bürgerschaftlichen Dialog


1992 beginnt Sprink als Referent der Ökumenischen Stadtakademie Leipzig bei den Kirchenbezirken Leipzig-Ost und Leipzig-West. Dort kümmert er sich um evangelische Erwachsenenbildung. Und er sucht eine neue Herausforderung, bewirbt sich 1996 auf die Direktorenstelle bei der Volkshochschule. Die schätzt er wegen ihrer Tradition, zu DDR-Zeiten wäre ein Job im Bildungswesen für ihn aber nie infrage gekommen. Zu groß sind damals die politischen Beeinflussungen. „Das war ein No Go für mich.“

Knapp 20 Jahre hat er die Volkshochschule geleitet, aus ihr ein innovatives Haus mit großer Ausstrahlung über die Stadtgrenzen hinaus gemacht. „Wir sind eine Volkshochschule mitten in der Stadt“, sagt Rolf Sprink und betrachtet das als seinen größten Erfolg. Das ist keineswegs nur örtlich gemeint mit dem historischen Gebäude in der Löhrstraße, das über viele Jahre neben dem Lehrbetrieb saniert wird. „Rekonstruktion mit Augenmaß“ heißt es. Doch das ist alles andere als einfach. Für viele Kursteilnehmer oft sogar eine Zumutung.

Die Volkshochschule entwickelt sich als Treffpunkt und zur Plattform für den bürgerschaftlichen Dialog. Die Leute werden angeleitet, für Stadtgestaltungs- und Mitbestimmungsprozesse befähigt. Beispiele dafür sind das Forum Bürgerstadt oder die vielen offenen Diskussionsforen. Sprink moderiert, gestaltet, versteht sich als Netzwerker, verankert die VHS in der Branche in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Und er publiziert viel, darunter über die „Leipziger Richtung“ der Erwachsenenbildung, die 1933 zerschlagen wird. Zum Sächsischen Volkshochschulverband hat er nach wie vor gute Kontakte.

Rolf Sprink ist auch im Ruhestand Mitglied in zahlreichen Vereinen. Dazu gehören beispielsweise die Stiftung „Bürger für Leipzig“, das Kuratorium Stiftung Friedliche Revolution, der Richard-Wagner-Verband, der Freundeskreis Gewandhaus sowie die Hieronymus-Lotter-Gesellschaft, die das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig fördert.

Stand: 17.07.2024

Bildergalerie - Sprink, Rolf

Poser, Steffen

Historiker, Denkmalsleiter | geb. am 20. Juli 1962 in Leipzig

Vom Eingang an der Straße bis zur Aussichtsplattform des Völkerschlachtdenkmals sind es 500 Stufen, die vor allem oben ziemlich eng werden. Wie oft Steffen Poser diese Stufen erklommen hat, vermag er nicht konkret zu sagen. Mehrere tausend Male bestimmt. Seit 1991 Jahren leitet er das Völkerschlachtdenkmal. Dort hat er inzwischen sein halbes Leben verbracht und erlebt, wie der nach der Friedlichen Revolution zunächst ungeliebte Koloss in neuem Glanz erstrahlt. Anfang der 1990er-Jahre wollen einige Leipziger das jahrelang der Industrieabluft ausgesetzte kaputte, schwarze Denkmal einem „kontrollierten Verfall“ aussetzen, damit dieses nicht weiter das Stadtbild „verschandelt“ und verschwindet. Doch es kommt zum Glück anders, auch dank des Engagements vieler Bürger im Förderverein Völkerschlachtdenkmal.

„Es ging uns auch um eine moralische Sanierung“, so Poser. Zur Einweihung in der Kaiserzeit 1913 dürfen es die Besucher lediglich demutsvoll anschauen. Erst später wird es Aussichtspunkt, jedoch sowohl im Nationalsozialismus als auch in der DDR ideologisch missbraucht. Heute sind alle willkommen und eingeladen, sich mit dem Koloss auseinanderzusetzen. „Das Völkerschlachtdenkmal ist eingeschränkt barrierefrei für alle Besucher da“, so der Denkmalschef. Lediglich ganz nach oben auf die Plattform schaffen es nicht alle, da hier in die engen Wände kein Fahrstuhl eingebaut werden kann.

Statt Zahnarzt wird er Fremdenführer


Geboren wird Steffen Poser im Juli 1962 in Leipzig. Er wächst in
Reudnitz auf, besucht die Nikolaischule am Täubchenweg, macht 1981 sein Abitur an der Thomas-EOS. Schon als Schüler arbeitet er bei einem Ferienjob im Völkerschlachtdenkmal. Am Gymnasium der meist kirchlich geprägten Thomaner trifft er auf besonders linientreue Lehrer, wie er sagt. „Das war schwer zu verkraften.“ Er hat den Wunsch, Zahnarzt zu werden. Nach dem Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee im Jahr 1983 wartet er auf einen Studienplatz, doch der wird ihm verwehrt. In der Studienlenkung bietet man ihm lediglich ein Studium als Hochschullehrer für Marxismus-Leninismus an – er lehnt ab.

Poser arbeitet da schon beim Museum für Geschichte der Stadt Leipzig (heute: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig) als Fremdenführer, erklärt seinen Gästen das Denkmal in Probstheida. Das Museum delegiert ihn schließlich zum Fernstudium an die Humboldt-Universität in Berlin. Dort macht er gemeinsam mit seinem langjährigen Kollegen Christoph Kaufmann seinen Abschluss als Historiker. Mit der Friedlichen Revolution beginnt eine spannende Zeit – auch am Denkmal. Das Team hält zusammen, repariert auch mal am Wochenende kaputte Stufen, damit es keine Unfälle gibt. Eine Herausforderung wird nicht nur die Sanierung. „Niemand hat sich intensiv mit der wirklichen Geschichte des Denkmals beschäftigt“, erinnert sich Poser. In der DDR ist es geprägt von der deutsch-russischen Waffenbrüderschaft sowie progressiven Traditionen des deutschen Volkes. Historische Unterlagen gibt es im Völkerschlachtdenkmal kaum noch, fast alles ist wohl schon bei der Befreiung Leipzigs durch die US-Armee verschwunden, der Rest dann in der DDR-Zeit. „Deshalb war es nötig, in verfügbaren Archiven Wissen zu sammeln und zu erklären, was das Denkmal mit der Völkerschlacht bei Leipzig zu tun hat“, so Poser. Zunächst wird eine Ausstellung in der Ruhmeshalle entwickelt, um aufzuklären. Und es wird diskutiert, ob die millionenschwere Sanierung des Denkmals – das mehr als ein Aussichtsturm sein muss – überhaupt sinnvoll ist. Das Ergebnis ist bekannt, das Völkerschlachtdenkmal zieht jährlich tausende Leute aus nah und fern an. So kamen im Jahr 2023 über 290.000 Besucher ins Völkerschlachtdenkmal und 96.000 weitere in das angeschlossene FORUM 1813.

Historiker erklärt die Völkerschlacht


Steffen Poser ist ein fleißiger Mensch. Er hat verschiedene Bücher rund um die Völkerschlacht und den steinernen Riesen geschrieben. Sein Hauptwerk ist das vom Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig herausgegebene dicke Buch über das Denkmal. Poser erklärt zudem in einem weiteren Buch „In Schutt und Asche begraben“ den historischen Verlauf der Schlacht. Wer mit Feldherren, Gefechtsorten, Waffen sowie militärischen Begriffen durcheinanderkommt, kann weiterhin eine Art kleines Lexikon nutzen, das unter dem Titel „Völkerschlacht in Stichworten“ erschienen ist. Darin sind beispielsweise die umliegenden Dörfer verzeichnet, die unfreiwillig ins Zentrum des blutigen Gemetzels rückten. Erworben werden kann ein Schuber mit fünf Büchern, in dem ebenfalls ein Kurzführer durchs Denkmal sowie eine Beschreibung der Exponate des im Jahr 1999 eröffneten Forum 1813 enthalten ist. Der Historiker Poser hat ebenfalls Texte transkribiert, um sie für die Nachwelt verständlich zu machen. „Erinnerungen aus meinem Leben“ geht dabei auf Schilderungen von
Walter Bartsch zurück, der am 18. Oktober 1913 seine Eindrücke zur Hundertjahrfeier der Schlacht schildert. Herausgekommen ist eine Beschreibung, wie die Leipziger Innenstadt sowie die Feststraße zum Völkerschlachtdenkmal für die Einweihung aufwändig herausgeputzt werden, ergänzt um historische Fotos.

Ganz wichtig ist Poser das neue Besucherzentrum sowie die Ausstellungen im Denkmalsinneren, darunter die zur jüngsten Baugeschichte in den Katakomben, die derzeit nur für Gruppen zugänglich ist. Persönlich genießt er die Konzerte im Völkerschlachtdenkmal, die aufgrund der Akustik sehr besonders sind. Dort tritt nicht nur der Denkmalchor auf, es gibt auch musikalische Intermezzi. Wie zur Museumsnacht Halle und Leipzig im Jahr 2024 die Performance des Leipziger Schlagzeugensembles Improvising Percussion Sextett.

Kurator für Waffen und Münzen


Natürlich kümmert sich Steffen Poser nicht nur ums Völkerschlachtdenkmal. Im Museum ist er als Kurator Militaria und Numismatik tätig. Zur Militaria-Sammlung gehören 1.500 Objekte inklusive Orden und Ehrenzeichen. Grundstock dafür ist der Fundus des 1827/28 aufgelösten städtischen Zeughauses. Es sind auch Waffen dabei, darunter aus der Völkerschlacht, die gut gesichert aufbewahrt werden. Münzen und Medaillen, Aktien und Wertpapiere gilt es ebenfalls zu betreuen. 10.000 Objekte von Ende des 13. Jahrhunderts bis zur Gegenwart sind im Depot.

Steffen Poser hat ebenfalls die Ausstellung im Schillerhaus neu konzipiert, die am 1. April 2023 eröffnet wurde. Die Idee: Viele Menschen haben kaum noch einen Bezug zu Friedrich Schiller und seinen Werken. Doch der kommt 1785 in einer schwierigen Lebenssituation nach Leipzig-Gohlis. Er ist krank, hat seinen verhassten Job hingeworfen, Behörden sind ihm auf den Fersen, er hat Schulden, Pech mit den Frauen. „Das ist eine Lebenskrise, die jeder nachvollziehen kann“, so Steffen Poser. Doch Schiller hat Glück, lernt Gleichgesinnte um Gottfried Körner kennen, die ihn fördern und so für jenen schönen Sommer in der Landidylle im damaligen Dorf Gohlis sorgen. „Die unverhoffte Freundschaft reißt ihn aus seiner unbefriedigenden Lebenssituation und versetzt ihn in eine Hochstimmung des Glücks. Dieser beseligende Rausch inspiriert ihn im Sommer 1785 zu seiner berühmten Ode ‚An die Freude’, die später von Beethoven in seiner 9. Sinfonie vertont wurde“, sagt Poser. 

Kürzlich hat sich Steffen Poser auch intensiv mit dem Tod auseinandergesetzt. „R.I.P. – Die letzte Adresse“ heißt eine im Jahr 2024 eröffnete Sonderschau im Haus Böttergäßchen, die er gemeinsam mit Ulrike Dura kuratiert hat. Der ledige Historiker ist leidenschaftlicher Kleingärtner, der sich in seiner Parzelle in der „Grünen Gasse“ entspannt.

Stand: 07.05.2024

Bildergalerie - Poser, Steffen

Kühne, Armin

Fotograf, Bildreporter | geb. am 24. September 1940 in Leipzig, gest. am 25. Mai 2022 in Leipzig

Er mochte es gar nicht, fotografiert zu werden. Dabei ist der Bildreporter Armin Kühne mehr als 40 Jahre selbst mit der Kamera unterwegs, um seine Stadt Leipzig im Bild festzuhalten. Im Mai 2022 verstirbt er im Alter von 81 Jahren. Doch der „Negativ-Millionär“, wie er oft bezeichnet wird, hat seiner Stadt ein bleibendes Geschenk hinterlassen. Das sind Zehntausende von Bildern, auf denen Armin Kühne die Entwicklung der Stadt Leipzig festgehalten hat. Und natürlich seine gemeinsam mit Niels Gormsen herausgegebenen Bücher über den Wandel der Stadt nach der Friedlichen Revolution. Sein Fotoschatz, Millionen Fotos aus der Zeit ab 1967 bis kurz vor seinem Tod, wird heute im Universitätsarchiv der Universität Leipzig aufbewahrt.

Kühne ist gebürtiger Leipziger, wächst in Schönefeld und Gohlis mit zwei Brüdern auf, und hat immer in „seiner Stadt“ gelebt. Die Fotografie fesselt ihn seit frühen Jahren, als er im Wäscheschrank der Eltern hinter Bettlaken und Tischdecken eine Agfa-Box mit Rollfilmen entdeckt. Sein Weg nach der Schulzeit führt ihn zunächst in die sozialistische Produktion. Er macht eine Lehre als Stahlbauschlosser und studiert anschließend Maschinenbau. Als Ingenieur landet er beim Wirtschaftsrat des Bezirkes Leipzig sowie schließlich als Direktor für Forschung und Entwicklung im VEB Famos, der Werkzeuge und Spielwaren produzierte. Doch die Leitungsebene behagt ihm nicht. Nach einem Misstrauensantrag im Betrieb steigt er 1979 dort aus und stürzt sich in das Abenteuer, seine bislang als Hobby betriebene fotojournalistische Tätigkeit zum Beruf zu machen. Die Fotografie gibt ihm neuen Halt.

Er hat Kontakt zu vier Lokalzeitungen in Leipzig, an die er regelmäßig Fotos verkaufen kann. Für 15 DDR-Mark pro Foto, wie er später sagt. Das klingt zwar wenig, bei einer Miete von 44 DDR-Mark kann er davon aber auskömmlich leben. „Da ich kein Telefon hatte und sich nie die Chance bot, eins zu bekommen, wurden mir viele meiner Aufträge per Telegramm mitgeteilt. Fast jeden Tag klingelte der Bote“, erinnert sich Kühne später in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung (LVZ). Wenigstens einen Trabi ergattert er nach Fürsprache durch die Zeitungsredaktionen – nach immerhin „nur“ sechs Jahren Wartezeit.

Kopfschütteln für Fotos mit verfallenen Häusern


Die Chefredakteure von Sächsischem Tageblatt, Die Union, Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten unterstützen Kühnes Antrag auf Zulassung als freiberuflicher Fotoreporter. Er fotografiert auch für die Leipziger Volkszeitung. Anfänglich steht dort oft Volkskorrespondent unter seinen gedruckten Bildern. Seine Filme entwickelt Armin Kühne daheim in Küche und Bad. Und er baut Beziehungen zum Fachgeschäft „Foto – Kino – Optik“ in der
Hainstraße auf, um regelmäßig an die hochempfindlichen Filme zu kommen. Denn die waren in der Mangelwirtschaft ebenso wie neue Technik nicht so ohne Weiteres erhältlich.

Bereits in den 1980er-Jahren beginnt er, den Verfall Leipzigs mit der Kamera festzuhalten. Wohlwissend, dass diese Bilder in der LVZ, damals Bezirkszeitung der SED, nicht gedruckt werden. Doch er möchte den Alltag ungeschönt dokumentieren. In Leipzig gibt es nicht nur die Neubaugebiete wie Grünau und Paunsdorf. Kühne erntet manches Kopfschütteln, warum er das Grau und die verfallen Häuser in Leipzig ablichtet. „Ruinen schaffen ohne Waffen“ ist damals ein weit verbreiteter Slogan, mit dem die Opposition den Zustand beschreibt. An vielen Gebäuden sind Dächer kaputt, an den Fassaden bröckelt der Putz, in Wohnungen breitet sich der Schimmel aus.

Ein Buch über den Wandel Leipzigs


Die Bilder erweisen sich im Nachhinein als Schatz. Leipzig ist im Bauboom. Kühnes große Stunde kommt, als der pensionierte Baubürgermeister
Niels Gormsen bedauert, dass er den früheren Zustand der Häuser nicht mehr zeigen könne. Fünf Jahre ist Gormsen damals Baustadtrat und hat die Idee, die sanierte Stadt mit dem Zustand der Stadt zu seiner Amtsübernahme 1990 zu vergleichen. Doch von dieser Zeit gebe es keine oder kaum Bilder? Wenig später schleppt Fotochronist Armin Kühne Kisten mit Aufnahmen in Papier ins Gästehaus der Stadt in der Wächterstraße, in welchem Gormsen wohnt. Gormsen möchte ein Buch machen und findet zunächst keinen Verlag. Daher geht er das Risiko ein und finanziert das Buch aus eigener Tasche. Das ist der Beginn eines Bestsellers. Zur Expo 2000 gelangt das Buch „Leipzig. Den Wandel zeigen“ in die Regale der Buchhandlungen. Zahlreiche Neuauflagen und ein Nachfolgebuch gibt es seitdem – mittlerweile im Leipziger Passage-Verlag erschienen.

Kühne hat für viele Bücher Fotos beigesteuert. Und hat auch im betagten Alter Lust, ein weiteres Buch zu machen. Dafür klettert er sogar auf Kirchtürme, Wohnhäuser und Hügel und fotografiert Leipzig „aus halber Höhe“. Sogar vor einem „Stundenzimmer“ in einem Hotel scheut er nicht zurück, um die richtige Perspektive für die Kamera zu haben. Entstanden sind 180 Perspektiven, die man in dieser Dichte so vorher noch nicht gesehen hat und bei denen selbst viele Leipzig-Kenner überlegen müssen, von wo sie aufgenommen worden sind. „Leipzig aus halber Höhe“ erscheint im Lehmstedt-Verlag. Wieder mit einem Text von Niels Gormsen.

Fotosammlung geht ans Universitätsarchiv


Leipzigs Universität versuchte derweil, Lücken in der Bilddokumentation ihrer Geschichte zu schließen. Mit Kühne wird verhandelt, Fotos aus den 1990er Jahren anzukaufen. Und der Archivdirektor staunt nicht schlecht, was Kühne für einen Negativschatz bewahrt. Und konnte nicht widerstehen, diesen für das Universitätsarchiv zu sichern. 2013 kauft das
Universitätsarchiv Leipzig die umfangreiche Fotosammlung des Leipziger Pressefotografen. Diese umfasst rund 2,5 Millionen Fotos aus der Zeit von 1967 bis in die Gegenwart. Kühne fotografiert auf Rollfilm. Die Negative hat er nach dem Entwickeln in Streifen geschnitten, in Fototaschen aus Pappe gesteckt und beschriftet. Das Archiv will sie alle digitalisieren.

Bis über seinen 80. Geburtstag hinaus hat Kühne weiter fotografiert – auch für die LVZ. Natürlich längst mit diversen digitalen Kameras. Er hatte immer eine dabei, und sei es nur die Kleine in der Jackentasche. Nach schwerer Krankheit und einer Amputation des Unterschenkels stirbt Armin Kühne im Mai 2022. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Gohlis. Und wer in der Grünanlage zwischen Hauptbahnhof und Seaside Park-Hotel genau schaut, findet eine Platane, die ihm die Familie schon zum „80.“ gepflanzt hat.

Stand: 16.05.2024

Bildergalerie - Kühne, Armin

Junhold, Jörg

Zoodirektor, Tierarzt, Marketingfachmann | geb. am 25. März 1964 in Ortrand (Brandenburg)

Er krempelt die Ärmel hoch und scheut sich nicht vor gigantischen Projekten. Und es mag sich der ein oder andere gedacht haben, ob er nicht einfach ein wenig übertreibt. Doch Jörg Junhold, der seit 1997 Direktor des Zoos Leipzig ist, hat seine Visionen Wirklichkeit werden lassen. Die meisten Teile seines Masterplans „Zoo der Zukunft“ sind inzwischen realisiert. Ganesha Mandir, Makasi Simbar, die Tropenerlebniswelt Gondwanaland im Zoo Leipzig und Co. sind zu kleinen Paradiesen für die Tiere sowie zu einem Magneten für Besucher geworden. Die enge Käfighaltung von Tieren gehört längst der Vergangenheit an. Und die Leipziger Einrichtung katapultiert sich dank Junhold und seinem Team regelrecht an die internationale Spitzengruppe der Zoolandschaft.

Geboren wird Jörg Junhold 1964 in Ortrand (Landkreis Oberspreewald-Lausitz). Die Polytechnische Oberschule besucht der Tierarztsohn in Bönitz. Es folgt von 1980 bis 1983 eine Ausbildung an der Betriebsschule des BMK Kohle und Energie in Riesa, die er als Baufacharbeiter und mit dem Abitur verlässt. Eigentlich will er Architekt werden, entscheidet sich dann aber doch lieber für einen Berufsweg als Veterinär. Nach dem Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee absolviert er ab 1985 ein fünfjähriges Studium der Veterinärmedizin an der Universität Leipzig. Ein Jahr danach hat er die Approbation als Tierarzt in der Tasche, tritt ein Forschungsstudium an der Chirurgischen Tierklinik der Universität Leipzig an. 1994 wird er promoviert.

Als „unbeschriebenes Blatt“ zum Zoodirektor


Weil er sich neben dem Studium etwas dazuverdienen möchte, bereist er als Tierfuttervertreter mit Probebeuteln von Whiskas, Frolic und Co. den Osten Deutschlands. Sein Verkaufstalent und Geschick fallen auf, er bekommt schließlich einen Job in der westdeutschen Zentrale der Effem GmbH Verden. Bei der Tochter der Firma Mars bleibt er bis 1997 und erledigt Aufgaben als Marketingmanager in verschiedenen Positionen. „Management liegt mir einfach, ich habe schon immer gerne organisiert“, erzählt er später im Interview. Das hätte so weiter gehen können, auch in der großen weiten Welt. Doch ein Leipziger Freund ruft an, erzählt von der Suche nach einem neuen Zoodirektor. In Leipzig sei jemand gefragt, der sich sowohl mit Tieren als auch mit Marketing auskennt. 

Junhold zögert nicht und bewirbt sich. Er ist ebenso in der Fachwelt wie in der Leipziger Politik ein eher unbeschriebenes Blatt. Der promovierte Tierarzt überzeugt jedoch alle mit seinen Ideen. Im November 1997 beginnt sein Abenteuer Zoo als Direktor und Geschäftsführer der Zoo Leipzig GmbH.

Neubeginn mit naturnahen Gehegen


Leipzigs einstiger Besuchermagnet befindet sich in dieser Zeit in einem Sinkflug. Die Gehege sind zu klein, veraltet und die Haltung der Tiere hinter Gittern alles andere als zeitgemäß. Das ist auch an den Besucherzahlen zu spüren. Waren es 1989 noch 1,56 Millionen Gäste im Jahr, zählte man gerade mal noch 687.000 im Jahr 1996. Tierfreunde können inzwischen weit reisen und sich vielen interessanten Zielen in aller Welt zuwenden. Ein großer Neubeginn hin zu naturnahen, großzügigen Gehegen ist das Gebot der Stunde. Den Neustart liefern Junhold und sein Team mit dem Masterplan zum „Zoo der Zukunft“, der sechs große Themenbereiche beeinhaltet.

Die Idee hat allerdings die Konsequenz, dass die Artenvielfalt drastisch reduziert werden muss. Schließlich soll für einzelne Tierarten wesentlich mehr Platz geschaffen werden. Nur so kann für sie ein Lebensraum modelliert werden, der einem Leben in der Natur zumindest nahekommt. Mit seinem Team trifft Junhold sich zur „Spinnstunde“ an einer Art Rundem Tisch, um Ideen zu entwickeln. Das Konzept vom „Zoo der Zukunft“ wird im Jahr 2000 erstmals öffentlich vorgestellt und im Juni 2000 einstimmig vom Stadtrat beschlossen.

Pongoland begeistert Fachwelt und Besucher


Bis das gelingt, muss Junhold mit der Stadtverwaltung und der Politik viel reden, sich Verbündete suchen und Geld einwerben. Der Umbau des Zoos ist immerhin millionenschwer. Doch auch
Oper, Gewandhaus, bröckelnde Häuser etc. benötigen dringend Geld und werden so zur Konkurrenz. Dann kommt allerdings ein wenig Glück ins Spiel: Leipzig erhält den Zuschlag, mit Geld vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, eine neue Menschenaffenanlage samt Forschungsstation zu bauen. Pongoland, die weltweit einzigartige Menschenaffenanlage, wird am 1. April 2001 eröffnet. Die Fachwelt und die Besucher sind begeistert, gleich im ersten Jahr kann der Zoo wieder mehr als eine Million Besucher zählen. Die Menschenaffen-Anlage etabliert sich als Arbeitsplatz für Wissenschaftler aus der ganzen Welt.

Das neue Zoogefühl wird dank Junhold „gitterfrei, naturnah, großzügig.“ Und die Tierlandschaft entwickelt sich zum Naturerlebnispark, angereichert mit Gastronomie, Shops und Veranstaltungsflächen. Weitere Bereiche wie Tiger-Taiga, die Kiwara-Savanne und der Elefantentempel Ganesha Mandir folgen in den nächsten Jahren. Das Prunkstück des Masterplanes wird Gondwanaland, die Riesentropenhalle. Sie verschlingt allein gut 70 Millionen Euro. Die nicht nur im Winter gut besuchte Dschungellandschaft erweist sich als Joker für den Zoo. Die ehemalige Bärenburg wird zum Abenteuerspielplatz für Kinder. Am Ende ist Junhold mit seiner Erfolgsgeschichte noch lange nicht. Nach dem Aquarium wird 2024 das Terrarium saniert.

Weitere Bereiche wie das Feuerland, eine spektakuläre Wasserwelt, mit dem 140 Meter langen, weitgehend verglasten Unterwassertunnel sind noch im Entstehen. Ist diese Wasserwelt fertig, können die Besucher dann den Robben beim Tauchen zuschauen und zwischen Pinguinen schlendern.

Asiatische Inselwelten sind in Planung


Planer arbeiten bereits an den Asiatischen Inselwelten, dem letzten Vorhaben aus dem Masterplan zum „Zoo der Zukunft“. „Unser Ziel ist es, 2028 zum 150. Geburtstag des Zoos komplett fertig zu sein“, kündigt Junhold an, der seit 2013 Honorarprofessor der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig ist. Seit September 2005 gehört der Leipziger, der mit seiner Familie in
Panitzsch lebt, dem Vorstand des Weltverbandes der Zoos und Aquarien (WAZA) an. Vier Jahre später, im Oktober 2009, wird er in St. Louis (USA) bereits Vizepräsident und zugleich als kommender Präsident für die Amtszeit von 2011 bis 2013 bestätigt. Zwei Jahre leitet er den Weltverband der Zoos und Aquarien mit 326 Mitgliedern. Dieses Spitzenamt hat ihn auf fast alle Kontinente geführt.

Hat er jemals Angst vor der eigenen Courage bekommen? „Ich hatte immer Respekt vor dieser Riesenaufgabe“, sagt Visionär Junhold. Aber eben auch Grundvertrauen in das gesamte Zooteam, mit dem diese Aufgabe zu bewältigen ist. Der Erfolg gibt ihm recht: 2023 kommen wieder 1,9 Millionen Besucher, 2022 waren es mit 1,87 Millionen nur geringfügig weniger. Im April 2024 verlängerte der Aufsichtsrat des Zoos den Vertrag Junholds, dessen Lieblingstiere die Elefanten sind, bis 2031.

Parallel zur Umsetzung des Masterplans hat der Professor den Zoo Leipzig nicht nur zu einem touristischen Anziehungspunkt weit über die Stadtgrenzen hinaus entwickelt, sondern ihn auch als Natur- und Artenschutzzentrum etabliert. Das Engagement für bedrohte Arten und Lebensräume reicht vom regionalen Projekt für den vom Aussterben bedrohten Feldhamster bis zum internationalen Schutz hochbedrohter Primaten in Vietnam. „Der Zoo der Zukunft‘ ist ein Ort der Bildung, des Artenschutzes und der Freizeitgestaltung. Er ist Teil der Lösung bei der Rettung bedrohter Tierarten und er ist Brücke in die natürlichen Lebensräume, die es zu kennen und zu schützen gilt. „In den kommenden Jahren wollen wir den Artenschutz und die wissenschaftliche Forschung weiter ausbauen“, formuliert Junhold die Ziele auf diesem Gebiet.

Junhold wird Fußballbotschafter


Als Botschafter der UEFA EURO 2024 ist Jörg Junhold das Gesicht des Spielortes Leipzig. Er wirbt dafür, bei einer Waldmeisterschaft für jedes der vier Leipziger Spiele 2024 Bäume zu pflanzen. Hintergrund: Die deutschen Wälder leiden stark unter Stürmen, Trockenheit und Schädlingen. Das Vorhaben gelingt und der Leipziger Zoodirektor ist mit rund 8.100 Setzlingen der größte Baumpflanzer Sachsens geworden – und möchte das Engagement mit weiteren Pflanzungen fortsetzen. Junhold ist Fußballfan. Kein Wunder, dass sich der Konzertgarten vom Leipziger Zoo zur Fußball-EM in ein sogenanntes „Stadion der Träume“ verwandelte. Träumen kann Junhold. Und er schafft es auch, diese in die Tat umzusetzen.

Stand: 15.07.2024

Bildergalerie - Junhold, Jörg

Diebitz, René

Tierpräparator | geb. am 14. Dezember 1959 in Leipzig

15 Meter hoch ist die Skulptur, die aus etwa 50 großen Tierpräparaten bestehen wird. Sie wird der Hingucker im neuen Naturkundemuseum sein, das bis 2029 im ehemaligen Bowlingtreff auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz entstehen soll. Dort müssen zwar erst die Bauleute anrücken. Doch Tierpräparator René Diebitz ist mit seinen Kollegen längst dabei, eine Installation namens „Tour de ter Meer“ vorzubereiten. Die erinnert an Hermann H. ter Meer, den Begründer der modernen Präparationstechnik. Im Naturkundemuseum, das mit 233 wertvollen Exponaten seine weltgrößte Sammlung besitzt, wird dieser liebevoll „der Meister“ genannt. Doch Diebitz ist inzwischen ebenfalls ein Meister seines Fachs, da er bei internationalen Wettbewerben wie den Weltmeisterschaften der Präparatoren sechs Goldmedaillen holte.

Geboren wird René Diebitz in Leipzig. Er wächst in Lindenau auf, geht in die 144. Polytechnische Oberschule in der Demmeringstraße. Schon als Kind hat er daheim Tiere, um die er sich kümmert. Vater Heinz hält Waldvögel in Volieren im Garten. Mit zehn Jahren bekommt der Junge ein Frettchen, ein Eichhörnchen wird zuhause mit der Flasche aufgezogen … Durch den Vater und eine Kulturbund-Gruppe bekommt er frühzeitig Kontakt zum Leipziger Naturkundemuseum, da Ausstellungen mit lebenden Vögeln organisiert werden. Der Vater kennt zudem einen Präparator, der biologische Lehrmittel anfertigt. „Das hat mich fasziniert. Ich wollte immer einen Beruf ergreifen, der etwas mit Tieren zu tun hat“, erzählt er, „und will auch mit den Händen arbeiten, ein Ergebnis sehen.“ Auch für Pferde hat er sich interessiert. Doch er entscheidet sich für eine Arbeit beim VEB Biologische Lehrmittel, absolviert schließlich eine Ausbildung zum Facharbeiter für zoologische Präparation im Naturkundemuseum Berlin.

Elf Jahre arbeitet er im Leipziger Betrieb, der vor allem Unterrichtsmittel anfertigt. Im Fernstudium macht er den Fachabschluss für Präparation an der Berliner Humboldt-Universität. Von der Anfertigung von Schauobjekten für den Unterricht hat er irgendwann die Nase voll, macht sich daher am 1. September 1990 selbstständig. Er findet einen Gewerberaum in der GuthsMuthstraße, die Firma will weitere Mitarbeiter einstellen. Das zerschlägt sich. Mit einem Partner zieht die Werkstatt schließlich nach Holzhausen, seit 2002 arbeitet Diebitz wieder allein. Die Werkstatt betreibt er nach wie vor – fertigt Präparate fürs Naturkundemuseum Erfurt oder das Meeresmuseum in Stralsund an.

Als Präparator im Naturkundemuseum


2008 kann er eine zunächst auf zwei Jahre befristete Stelle im Naturkundemuseum Leipzig antreten. Nach dem altersbedingten Ausscheiden seines Vorgängers
Horst Spicale ist diese mehr als fünf Jahre unbesetzt. Aus Kostengründen soll der Zweijahresvertrag dann nicht verlängert werden. Das führt zu Protesten beim Freundeskreis des Museums sowie bei Stadträten, zumal das Museum mit Hilfe von Mitteln aus dem Konjunkturpaket eine moderne Präparationswerkstatt einrichten kann. In ihr gibt es genügend zu tun: Die Kühltruhen mit diversen naturkundlichen Belegen, die das Museum sammeln, pflegen, konservieren und für die nächsten Generationen bewahren muss, sind voll. Es gilt zudem, neue Exponate für die Ausstellungen anzufertigen, aber auch die bestehende Sammlung konservatorisch zu betreuen. Sieben Monate dauert es, bis er zurück ins Museum darf.

Oft muss René Diebitz erklären, dass seine Tiere nicht „ausgestopft“ werden, was ein weit verbreiteter Irrtum ist. Die Tierkörper werden keineswegs wie ein Sofakissen gefüllt. Ter Meer hat die Methode entwickelt, Dermoplastiken anzufertigen. Danach wird die gegerbte Haut oder das Fell eines Tieres auf die vorgeformte Plastik geklebt. Ter Meer selbst operierte noch mit Gips, Ton und Maschendraht. Heute gibt es genormte Hartschaumkörper, die auch per Katalog zu haben sind. Wichtig ist es, die Anatomie und natürliche Haltung des Tieres nachzuempfinden.

Ein Handwerker mit künstlerischem Anspruch


„Ich habe einen handwerklichen Beruf mit künstlerischem Anspruch“, sagt Diebitz. Denn er möchte Tiere realitätsnah für die Ewigkeit bewahren. Das schränke die künstlerische Freiheit ein. „Ich versuche aber, die Illusion eines lebenden Tieres zu schaffen.“ Bevor ein Präparat fertig ist, gibt es verschiedene praktische Arbeitsschritte zu erledigen.

Zunächst wird das Objekt mit Fundort, Funddatum und Finder wissenschaftlich erfasst, vermessen und gewogen. Die Präparation beginnt mit einem Körperschnitt. Die äußere Hülle mit Haut, Fell bzw. Federkleid wird dabei vom Körper getrennt und von allen Fleisch-, Bindegewebs- und Fettteilen befreit sowie anschließend gewaschen und aufbereitet. Außerdem entsteht ein künstlicher Körper aus Polyurethan-Schaum, notwendige Stützdrähte werden ebenfalls vorbereitet. Dann erfolgt die Montage von Haut und neuem Körper. Wichtig ist, Schädel und die Augenhöhlen mit Ton zu füllen und künstliche Glasaugen einzusetzen. „Wenn der Blick des präparierten Tieres nicht stimmt, kann die Darstellung den Betrachter nicht überzeugen“, nennt er ein weiteres Beispiel.

Das ist Diebitz bestens gelungen. Davon zeugen neben den Meisterschaftstiteln viele Ausstellungen. „Greif zu! Greifvögel aus aller Welt“ heißt beispielsweise eine Sonderschau, bei der 2017 er eindrucksvoll einen Sperber präparierte, der im Flug Sperlinge jagt. Dafür hat er auch historische Präparate, etwa Kondor, Sekretär oder Harpyie von Ter Meer, restauriert und überarbeitet.

Goldmedaillen bei der Weltmeisterschaft in Salzburg


In der Sonderschau 2012 „Fast für die Ewigkeit“ sind ein Kormoran, eine Schleiereule und spielende Füchse von Diebitz zu sehen. Es sind seine preisgekrönten Exponate von der Weltmeisterschaft in Salzburg 2012. Dort hat er seine Künste mit etwa 140 Teilnehmern aus 25 Nationen gemessen. Von dort bringt er drei Siege in den Kategorien große Vögel, kleine Vögel und kleine Säugetiere mit. „Weltmeister bin ich aber nicht“, erklärt er.  Denn er sei in der Professional-Class angetreten. Weltmeistertitel vergibt nur die Master-Class. Dennoch kann er auf sechs Goldmedaillen verweisen.

Welche Herausforderungen alte Objekte haben können, haben die Museumsleute bei einer Schau in einem Laborzelt gezeigt. So müssen Schutzanzug und Maske angezogen werden, da ein Teil der historischen Präparate kontaminiert sein kann. „Sie sind sehr unterschiedlich geschädigt. So kann es passieren, dass die Haut teilweise gerissen ist. Dann muss sie neu verklebt, retuschiert und eventuell koloriert werden“, erklärt er. Staub und Umwelteinflüsse haben den Exponaten oft zugesetzt und Schäden verursacht, die nicht alle zu reparieren sind. So bekomme man nicht alle Federn wieder weiß wie beim Original, nennt er ein Beispiel. „Der eigene Anspruch erfüllt sich meist nicht. Gestalterisch kann ich nichts machen – es geht um den Erhalt der Objekte.“

Tierplastik für neues Museum ist Herausforderung


Die nächste Herausforderung ist die große Tierplastik für das neue Naturkundemuseum im ehemaligen Bowlingtreff am Leuschnerplatz. Dafür werden selbstverständlich die Ter-Meer-Präparate nicht verwendet. „Die sind schließlich Kulturgut“, sagt Diebitz. Sie werden in Vitrinen um die Installation gruppiert. Bei der neuen Tierplastik werden Haut und Panzer von verstorbenen Zootieren verklebt. Sie wird Elemente der natürlichen Nahrungskette darstellen und viele Arten berücksichtigen – darunter Gnus, die von einem Nilkrokodil angefallen werden, und Löwen. Ein Jaguar nimmt es mit einem Kaiman auf, überrascht den kleinen Alligator hinterrücks und erlegt ihn mit einem kräftigen Biss ins Genick. Die Idee dazu stammt ebenso wie das Konzept für die Neuausrichtung des Museums von Direktor
Ronny Maik Leder.

René Diebitz stehen bei der Arbeit Markus Ranf sowie Louisa Bosse zur Seite. Die anstehenden Arbeiten bei der Überarbeitung bestehender Dermoplastiken sind sehr umfangreich. Deshalb werden Experten aus anderen deutschen Naturkundemuseen der Mannschaft vor dem Umzug ins moderne Haus am Leuschnerplatz ein wenig unter die Arme greifen.

Stand: 16.07.2024

Bildergalerie - Diebitz, René

Schwabe, Uwe

Bürgerrechtler, Sammlungssachbearbeiter, Vorstand Bürgerarchiv | geb. am 4. Mai 1962 in Leipzig

Sein großer Traum ist es, zur See zu fahren. Doch der bleibt ihm in der DDR verwehrt. Als junger Mann verpflichtet sich Uwe Schwabe zwar drei Jahre bei der Nationalen Volksarmee, wo er als Schlosser Flugzeuge repariert. Doch es gibt immer wieder Ärger, da er sich dem militärischen Disziplinierungssystem nicht unterordnen kann. Ihm wird bescheinigt, für den „grenzüberschreitenden Verkehr nicht geeignet“ zu sein. Er schlägt sich in verschiedenen Jobs durch und wird eines der Leipziger Gesichter der Friedlichen Revolution. Uwe Schwabe, der Ex-Bürgerrechtler, wird für seine Verdienste während der Friedlichen Revolution vielfach geehrt. Ob mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse oder der „Goldenen Henne“: Schwabe. der Vorstandsvorsitzende des Archivs Bürgerbewegung Leipzig e.V., arbeitet heute im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig.

Ohne Scheuklappen in der Jungen Gemeinde


Geboren wird er am 4. Mai 1962 in Leipzig. Er wächst mit drei Geschwistern im Leipziger Osten auf, die Mutter ist im Dreischichtsystem tätig. Zunächst lebt die Familie in Portitz, in einem Einfamilienhaus der Großmutter. Doch das ist baufällig, die Kosten sind nicht mehr zu tragen. „Es war für mich ein Schock, von der ländlichen Idylle in die Großstadt zu kommen“, erinnert er sich. Plötzlich lebt die Familie in einer Zweiraumwohnung in einem baufälligen Haus, wie überall im Leipziger Osten. Schwabe kümmert sich um die bettlägerige Großmutter, die er pflegt. Zur Schule geht er in die 16. Polytechnische Oberschule in der Konradstraße.

Zwischen 1978 und 1980 absolviert er eine Lehre zum Instandhaltungsmechaniker beim VEB Wasserversorgung und Abwasserwirtschaft Leipzig. Anschließend wird er zur Nationalen Volksarmee eingezogen. Dort lernt er Udo Hartmann kennen, der ihn mit in die Junge Gemeinde der Nikolaikirche nimmt. „Das war für mich so faszinierend, weil ich das erste Mal erlebt habe, wie Leute offen politisch ohne Scheu, ohne Scheuklappen diskutieren“, bekennt er später. Und er begegnet Christian Führer, dem engagierten Pfarrer der Nikolaikirche. „Sein Ziel war es, offene Diskussionen zuzulassen. Und er hat uns junge Leute angeregt, uns kritisch mit vielen Themen auseinandersetzen.“ Ab 1984 engagiert Uwe Schwabe sich in der Umweltgruppe der Kirche.

Eine Anzeige wegen Umweltverschmutzung


Beruflich geht der Instandhaltungsmechaniker nach der Armee zurück an die Werkbank. Zunächst bei der Wasserwirtschaft, später beim VEB Baumaschinenkombinat Süd. 1987 hat er die Nase voll. Er wird schikaniert, weil er seinen Betrieb wegen Umweltverschmutzung anzeigt. Der Grund: Ölfässer werden mitten im Naturschutzgebiet des
Kulkwitzer Sees ohne Auffangwanne einfach auf die Wiese gestellt. Er kündigt, ist arbeitslos, nimmt Jobs wie auf dem Leipziger Weihnachtsmarkt an. Schließlich wird er Pfleger im Albert-Schweitzer-Haus, einem evangelischen Pflegeheim, und kümmert sich dort um alte Menschen, die in großen Sälen mit Bett und Stuhl leben müssen.

Auch das prägt ihn, beschleunigt die Entwicklung zum Revolutionär. Er nutzt die Möglichkeiten der geistigen Freiheit, die die Nikolaikirche den jungen Leuten bietet, ohne sich zum Glauben bekehren zu lassen. 1987 gründet er schließlich eine eigenständige Initiativgruppe „Leben“, die sich auch um Menschenrechtsfragen, Fragen des Wehrersatzdienstes oder der Wehrdienstverweigerung kümmert. Er verweigert selbst den Reservistendienst, wird daher zum einfachen Soldaten degradiert. Ab 1988 beteiligt Schwabe sich an verschiedenen Demonstrationen, organisiert etwa den Pleiße-Gedenkmarsch. Im Januar 1989 ruft er anlässlich der staatlichen Liebknecht-Luxemburg-Demo zum Gegenprotest auf. Weil er Flugblätter verteilt, wird er zehn Tage lang inhaftiert. Auch beim Leipziger Straßenmusikfestival ist er dabei.

Gründungsmitglied beim Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.


In der Zeit der Friedlichen Revolution setzt er sich für das Neue Forum ein. Einer Partei tritt der Bürgerbewegte aber nicht bei. Ihm ist es wichtig, Erinnerungsarbeit für die Friedliche Revolution zu leisten. Deshalb gründet er mit Gleichgesinnten das
Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.. Heute ist er Vorsitzender des Vereins, der seinen Sitz im Haus der Demokratie in Connewitz hat. Seit 1994 ist Uwe Schwabe Mitarbeiter im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. Dort ist er Sammlungssachbearbeiter, sucht gezielt nach Gegenständen für die Wechselausstellungen und macht die Fotorecherche. Besonders spannend: Er besorgt für eine Ausstellung ein selbstgeknüpftes Netz aus der Ukraine. Frauen haben es aus Stoffresten als Tarnnetz für Panzer geknüpft. „Das war sehr abenteuerlich und für mich ein emotionaler Moment.“

Schwabe ist gefragt als Zeitzeuge. „Wir sind Präsident“ – jubiliert er 2015 in Berlin. Damals wird Joachim Gauck zum Bundespräsidenten gewählt. Schwabe ist als einer der Wahlmänner dabei. „Er ist der richtige Mann für dieses Amt.“ Nach wie vor mischt sich der ehemalige Bürgerrechtler Schwabe in Debatten ein. Etwa wenn es um ein Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig geht.

Mit Gleichgesinnten gründet er 1994 den Verein Europamaidan Leipzig, der Vorträge und Bildungsgebote anbietet, aber auch Psychologen unterstützt, die sich um ukrainische Flüchtlinge kümmern. Außerdem ist er aktiv im Stiftungsbeirat der Bundesstiftung Forum Recht sowie bei der Entwicklung des Forums für Freiheit und Bürgerrechte bei der Neugestaltung des Matthäikirchhofes. Geehrt wird er mehrfach, darunter 2014 mit dem Nationalpreis der Deutschen Nationalstiftung, gemeinsam mit Pfarrer Christian Führer, Pfarrer Christoph Wonneberger und dem Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V..

Stand: 13.03.2024

Bildergalerie - Schwabe, Uwe

Lange, Bernd-Lutz

Kabarettist, Autor, Germanist | geb. am 15. Juli 1944 in Ebersbach (Sachsen)

Es fällt schwer, ihn zu beschreiben: Buchhändler, Kabarettist, Sänger, Autor, Forscher, Sammler, Sachse: Auf Bernd-Lutz Lange trifft eigentlich alles zu. Er hat schon viele Menschen zum Lachen gebracht und sogar ein Stück Weltgeschichte mitgeschrieben. Er gehört neben Gewandhauskapellmeister Kurt Masur und dem Theologen Peter Zimmermann zu den Leipziger Sechs, die am 9. Oktober 1989 vor der entscheidenden Montagsdemonstration den Aufruf zur Gewaltlosigkeit verfasst haben. Bereits am 14. Oktober leitet er beim Kabarett academixer einen ersten politischen Dialog – über DDR-Medienpolitik und Pressefreiheit und macht Mut zu Veränderungen. Von der Kabarettbühne hat er 2014 Abschied genommen. Seitdem ist es nicht ruhiger geworden: Bernd-Lutz Lange ist bei Lesungen zu erleben und schreibt auch weiterhin Bücher: Sein aktuelles Buch „Cafe Continental“ wird im Oktober 2024 Premiere haben. Darin erzählt der Kaffeehausliebhaber Geschichten und Plaudereien an Marmortischen aus 60 Jahren. Dabei verwendet der Autor erstmals eine fiktive Figur, kann seine persönlich erlebten Geschichten ausbauen. Wobei eigene Dinge, wie einst die Studentenzeit im alten Café Corso – laut SED ein Hort der Konterrevolution – einfließen.

Aus Gärtner wird ein Buchhändler


Geboren wird Bernd-Lutz Lange am 15. Juli 1944 im sächsischen Ebersbach. Er wächst in Zwickau auf, wo er auch die Polytechnische Oberschule besucht. „Wir hatten eine schöne Kindheit, weil wir uns nicht nach irgendetwas sehnten, allein schon deshalb, weil wir es gar nicht kannten“, schreibt er später darüber in seinem Buch „Magermilch und lange Strümpfe“. Nach der Schule macht er eine Lehre zum Gärtner. In der Stadtgärtnerei kann er aber nicht bleiben, weil es keine Stelle gibt. Er landet im Gemüsekombinat der LPG „Sieg des Sozialismus“ bei Zwickau. Erste Erfahrungen als Künstler hat Lange als Sänger in Amateurkapellen. Eigentlich wollte er immer Buchhändler werden, was jungen Männern damals aber zunächst verwehrt wurde. 1963 wird er Hilfskraft an der Volksbuchhandlung Gutenberg in Zwickau. Nebenbei macht er Abitur und seinen Facharbeiter Buchhandel.1965 zieht er nach Leipzig. Hier studiert er an der Fachschule für Buchhändler und arbeitet schließlich im
Leipziger Kommissions- und Großbuchhandel. An die Hochschule wollte er nicht: Dort gibt es für seinen Geschmack „zu viel Marxismus-Leninismus. Das widersprach meinen politischen Ansichten.“

Brillant als Kabarettist in vielen Rollen


In dieser Zeit gründet er gemeinsam mit
Gunter Böhnke, Christian Becher und Jürgen Hart 1966 das Studentenkabarett academixer der Karl-Marx-Universität (heute Universität Leipzig). Es ist das einzige Kabarett in der DDR, bei dem die Künstler nicht das sonst obligatorische Schauspielstudium abschließen müssen, wie Lange erzählt. Er brilliert dennoch in vielen Rollen. 1972 wird er schließlich Redakteur beim „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel“.

1979 wird aus dem Ensemble ein Berufskabarett. „Wir bekamen als Kollektiv den Berufsausweis.“ Das Kabarett academixer pflegt auch das Mundart-Programm im „scheensdn Säggs’sch“. So wird die bis dahin in der DDR vergessene sächsische Mundartdichterin Lene Voigt aus der Versenkung geholt. „Dr Saggse – Mänsch und Miedos“ hat im November 1980 im neu eröffneten academixer-Keller in der Kupfergasse seine Premiere. 1988 hört er dort auf, kommt nur noch als Freischaffender zu Gastauftritten. Etwa zu Duo-Auftritten mit Gunter Böhnke.

Mit der Friedlichen Revolution verändert sich auch das Kabarett. Zu DDR-Zeiten müssen die Kabarettisten Pointen so formulieren, dass sie auf der Bühne noch sagbar bleiben. Das Publikum ist es gewohnt, auf die Töne zwischen den Zeilen zu hören. Es gibt einen regelrechten Durst nach kritischen Texten. Das ändert sich plötzlich, weil die Medien freier agieren können. Als Duo kommen Gunter Böhnke, mit der Figur des kleinen, pfiffigen Dicken, sowie Lange, der sich teilweise intellektuell gibt und dumm stellt, beim Publikum gut an. Es ist wohl die richtige Mischung aus Politik und Unterhaltung, die überzeugt. Darauf wird auch der Mitteldeutsche Rundfunk aufmerksam, der verschiedene Sendungen mit dem Duo produziert. 2004 endet die Zusammenarbeit mit Böhnke. „Es war geplant, dass wir zum 60. aufhören“, sagt Lange. Danach tritt er zehn Jahre mit Vollblutkomödiantin und Sängerin Katrin Weber auf, die er vier Jahre vorher bei Dreharbeiten kennenlernt. „Wir mussten unterbrechen, weil wir uns vor Lachen nicht halten konnten und sofort gemerkt haben, die Chemie stimmt.“ Diese Zusammenarbeit hat er bis zu seinem 70. Geburtstag beschränkt. Er wollte die Kabarettbühne verlassen, wenn die Leute es noch bedauern. „Deshalb mache ich jetzt nur noch maximal zwei Lesungen im Monat.“

Viel Interesse für das jüdische Leipzig


Schon seit seiner Studentenzeit beschäftigt sich Bernd-Lutz Lange sehr intensiv mit der jüdischen Kultur und dem jüdischen Leben in Leipzig. Im September 1986 erscheint sein Beitrag „Juden in Leipzig“ in den
Leipziger Blättern. Es war der erste Text in der DDR zu diesem Thema. „Wir waren zwar mit den Fakten vertraut, dass sechs Millionen Juden ermordet worden sind. In der gesamten DDR gab es aber keine regionale Aufarbeitung. Ich wollte einfach wissen, was hier in Leipzig passiert ist.“ Er bekommt einen Schein mit einem Auftrag vom Rat des Bezirkes, dass er recherchieren darf, um keinen Ärger mit der Staatssicherheit zu bekommen. Er schreibt einen weiteren Beitrag zum Novemberpogrom. 

1988 wird die vielbeachtete Ausstellung über Juden in Leipzig im Krochhochhaus gezeigt. Durch seine Veröffentlichungen erhält Lange Kontakte zu ehemaligen Leipzigern in der ganzen Welt, bekommt Post aus Israel, den USA, Kanada. „Sie haben sich gefreut, dass ihr Schicksal in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.“ Er wird sogar vom Verband ehemaliger Leipziger nach Israel eingeladen. Weder jüdische Wurzeln noch in der Partei, kann er sich nicht vorstellen, eine Erlaubnis zu bekommen. Doch SED-Parteichef Erich Honecker wollte unbedingt ins Weiße Haus zum Staatsempfang eingeladen werden, hoffte dabei auf die Unterstützung von Juden. Ab 1987/88 wird daher vom Staat offiziell jüdische Kultur gefördert. „Ich durfte im März 1989 nach Israel zu Recherchen und drei Vorträgen zu jüdischen Spuren in Leipzig“, erzählt er. 1993 erscheint im Forum-Verlag sein Buch dazu. Mit seinem jüdischen Freund und Kollegen Küf Kaufmann, der nach der Wende nach Leipzig kommt, macht er später das Programm „Fröhlich und meschugge“ mit jüdischem Witz. Die Leute können sich vor Lachen kaum halten.

Vom Schreiben nahezu besessen


Mehr als 20 Bücher hat er inzwischen geschrieben. Sein Leben steht darin. Etwa wie in „Magermilch und lange Strümpfe“ seine Erlebnisse der Kindheit. Oder in „Mauer, Jeans und Prager Frühling“ die Jugend- und Studentenzeit in der DDR. Sein Lieblingsbuch? „Magermilch und lange Strümpfe“, sagt er spontan, da ihm sehr viel an seiner Kindheit liegt. „Es ist aber auch ein Privileg, ein Buch gemeinsam mit dem eigenen Sohn zu schreiben.“ Zum 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution entsteht mit Sohn Sascha das Buch „David gegen Goliath“. Historiker
Sascha Lange betrachtet die Ereignisse aus geschichtlicher, Vater Bernd-Lutz aus seiner persönlichen Sicht. „Freie Spitzen“ heißt ein weiteres Buch, bei dem er einen Streifzug im gesamten Ostblock durch die vielfältige Landschaft des politischen Witzes unternimmt. 2014 wird Lange mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Im Januar 2019 wird er Ehrenbürger von Zwickau.

Ob es weitere Bücher gibt, hält er sich offen. Er beobachtet gern, lässt sich in seinem Lieblingslokal Café Grundmann inspirieren. Das ist „mein zweites Wohnzimmer“, sagt er. Aber auch das Café Maître mag er. Er nimmt sich Zeit für Freunde, den Stammtisch „Goglmosch“, pflegt Freundschaften. Bernd-Lutz Lange ist einer, der das Leben genießt. „Ich pflege den produktiven Müßiggang“ ist sein Motto.

Stand: 11.04.2024

Bildergalerie - Lange, Bernd-Lutz

Kaufmann, Christoph

Diplomhistoriker, Museologe, Fotoarchivar | geb. am 14. September 1955 in Markranstädt

Eigentlich hätte er auch Detektiv werden können. Es ist schon viel Spürsinn vonnöten, um historische Fotos exakt zuzuordnen und ihr genaues Aufnahmedatum zu bestimmen. Christoph Kaufmann, der die Fotothek des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig aufbaut und bis September 2000 leitet, hat da oft Geschick bewiesen. Etwa als er nachweisen kann, dass Bertha Wehnert-Beckmann, die erste Berufsfotografin Europas, sich auch mit Aktfotografie beschäftigt hat. Wehnert-Beckmann richtet sich in einem Stadtpalais in der Elsterstraße 38 ihr Atelier ein. Und dort entstehen auch „Delikatessen“ der frühen Aktfotografie, für die selbstverständlich nicht öffentlich geworben werden darf. Kaufmann weist nach, dass die zwei Aufnahmen im Atelier Wehnert-Beckmanns entstanden sind. So hat er akribisch Tischdecken, Stühle oder Vorhänge mit jenen auf den offiziell aufgenommenen Porträts verglichen.

Geboren wird Christoph Kaufmann am 14. September 1955 in Markranstädt. Er ist aber Ur-Miltitzer, wie er sagt. Nach der Polytechnischen Oberschule in Miltitz hat der eineiige Zwilling zunächst „null Ahnung“, wie es beruflich weitergeht. Er bewirbt sich als Reprofotograf beim VEB Reprotechnik. Als er hört, wie schlecht das bezahlt wird, entscheidet er sich anders. Bruder Hans-Georg will Betriebsmess-, Steuerungs- und Regelungstechnik (BMSR) erlernen. Christoph Kaufmann entschließt sich kurzerhand, auch diese Lehre zu machen und schließt sie auch ab. Fünf Jahre fährt er auf Montage. Seine letzte Baustelle wird das Gewandhaus zu Leipzig, das die Firma mit Klimatechnik ausstattet.

Eine Sonderschau zur Völkerschlacht


Beim Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee 1979 kommt er ins Grübeln, wie es danach weitergeht. In einer Zeitung wird der Christ auf die
Fachschule für Museologie in Leipzig aufmerksam und bewirbt sich noch während der Armeezeit. Er hat Glück, wird zum Studium in der Musikvilla in der Grassistraße angenommen. Seine erste Stelle danach erhält er auf dem Schloss in Weißenfels. Er will aber nach Leipzig zurück und bewirbt sich immer wieder im Museum für Geschichte der Stadt Leipzig. Schließlich gelingt es ihm, im Mai 1987 eine Stelle in der damaligen Abteilung Sozialismus zu ergattern, die eigentlich nicht mehr wirklich existiert. Die ideologisch einseitige Ausstellung „Leipzig – gestern, heute, morgen“ ist bereits im Abbruch und wird „als nicht mehr tragbar“ angesehen. Als erste Aufgabe beginnt Kaufmann gemeinsam mit Kollegen die Sonderschau im Pavillon am Völkerschlachtdenkmal aufzubauen, die es heute nicht mehr gibt.

1988 bis 1992 absolviert er ein Fernstudium in Berlin. An der Humboldt-Universität wird er zum Diplomhistoriker ausgebildet. Übrigens gemeinsam mit Steffen Poser, dem späteren Leiter des Völkerschlachtdenkmals.

Die Liebe zu historischen Bildern


Direktor
Klaus Sohl schafft 1990 eine Stelle für die Fotothek im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig, wie es nun heißt. Vorher herrscht „das Prinzip Zigarrenkiste“, sagt Kaufmann schmunzelnd. Die Wissenschaftler betreuen Fotos eher nebenbei und recht stiefmütterlich. Obwohl er keine fotografische Ausbildung hat, entdeckt Christoph Kaufmann, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, rasch seine Liebe zu historischen Bildern. „Die Aufgabe ist mir zugewachsen“, bekennt der Miltitzer, der sich danach über viele Jahre einen Ruf als „Herr der Bilder“ erwirbt. An ihm kommt kaum einer vorbei, der für eine Publikation oder eine Ausstellung über das alte Leipzig ein Bild braucht.

Im Herbst 1989 sammelt er, ebenso wie Fotografin Evelyn Richter, abgestellte Plakate der Montagsdemonstranten vor dem Neuen Rathaus für das Museum. Eine digitale Datenbank wird seit Mitte der 1990er-Jahre systematisch aufgebaut, zunächst gemeinsam mit dem Verein Pro Leipzig sowie ABM-Kräften. Spannend wird die Ausstellung „Verwundungen“ 1994, die sich mit der Zerstörung Leipzigs im Zweiten Weltkrieg beschäftigt. Kaufmann unternimmt seine erste und letzte internationale Dienstreise, kann in englischen Archiven an Originalquellen forschen sowie Fotos im Lee-Miller-Archiv und im Public Record Office, dem britischen Nationalarchiv, auswerten.

Der „gläserne Schatz“ von Hermann Walter


Christoph Kaufmann forscht und publiziert zur Situation der Jungen Gemeinde im Spannungsjahr 1953, zur Baugeschichte des Neuen Gewandhauses und zur Trümmerbahn in Leipzig. Er veröffentlicht mehrere Publikationen zum Lebenswerk des berühmten Stadtfotografen
Hermann Walter und dem von Familienangehörigen fortgeführten Atelier. Das Stadtgeschichtliche Museum besitzt einen wahren Schatz an Glasnegativen: Karl Walter, der Sohn und Nachfolger des 1909 verstorbenen Fotografen Hermann Walter, muss im Juli 1935 das Atelier nach einer schweren Erkrankung dichtmachen. Und übergibt das Plattenarchiv der Firma mit rund 4.000 Aufnahmen an das Museum. Auf kleinen Karteikarten werden die Fotos von Hermann Walter grob inventarisiert. Im Alten Rathaus gelagert, haben die Platten wie durch ein Wunder den Zweiten Weltkrieg nahezu unbeschadet überstanden.

Viele Jahre bleiben die nur der Fachwelt bekannten Aufnahmen der Öffentlichkeit verborgen, bevor sie Wolfgang G. Schröter neu entdeckt, es 1987 zu einer ersten Ausstellung sowie einem Buch kommt. Vom Atelier Walter mit etwa 1.000 Platten – die die moderne Stadt mit der Industrie in den 1920er Jahren in Leipzig dokumentieren – sind hingegen wenig Infos bekannt, die Sammlung wird detailliert erforscht. Kaufmann verfasst zur Ausstellung 2002 mit Wolfgang G. Schröter das Buch „Der gläserne Schatz“ über Hermann Walter. Beteiligt ist Kaufmann ebenso am Fotoband „Der gefrorene Augenblick“, der die Geschichte der Daguerreotypie in Sachsen 1839-1860 erzählt. „Mit Volldampf durch die Stadt: Die Leipziger Trümmerbahnen 1944-1956“ heißt ein weiteres Werk von Kaufmann. Im Museum widmet er sich ebenso etwa 2.000 Negativen von Johannes Widmann, der das zerstörte Leipzig sowie den Beginn des Wiederaufbaus dokumentiert.

Die Befreiung Leipzigs und das Capa-Haus


Wichtig ist Kaufmann die Befreiung Leipzigs durch die US-Armee im April 1945, wozu er das Bildmaterial sichtet. Der amerikanische Kriegsfotograf
Robert Capa (1913-1954) begleitet die Militärs und schießt eine berühmte Serie mit Fotos. Sie entsteht bei Kämpfen zwischen der anrückenden Infanteriedivision der US Army und deutschen Soldaten, die am Elsterflutbecken letzten Widerstand leisten. Kaufmann hat dazu viel geforscht. Vier Jahre lang unterhält er einen engen Kontakt zu Joe Lipsius, dem 2015 verstorbenen Begründer der Veteranen-Assoziation. Die hält Erinnerungen an die 69. Infanteriedivision wach. Ebenso wie der Leipziger Kabarettist Meigl Hoffmann, Historiker Volker Külow sowie Ulf-Dietrich Braumann gehört Kaufmann der Bürgerinitiative Capa-Haus an, die die Rettung des Gründerzeithauses in der Jahnallee 61 vorantreibt. Das Capa-Haus mit der Ausstellung im Erdgeschoss ist inzwischen ein Ort gelebter Erinnerung, in der es auch regelmäßig Veranstaltungen gibt. Kaufmann selbst hat dort kürzlich einen Vortrag zu weiteren Fotografen wie Lee Miller gehalten, die die Befreiung Leipzigs festgehalten haben.

Nach wie vor guckt Christoph Kaufmann regelmäßig im Internet, etwa bei eBay, ob neue Leipzig-Bilder auftauchen. Engagiert ist der Ruheständler ebenso, um den Nachlass von Armin Kühne im Universitätsarchiv der Universität Leipzig aufzuarbeiten.

Stand: 10.03.2024

Bildergalerie - Kaufmann, Christoph

Jacobs, Stephanie

Kunsthistorikerin, Museumsdirektorin, Buchwissenschaftlerin | geb. am 21. Februar 1963 in Unna/Westfalen

Wohlbehütet als drittes von vier Kindern wächst Stephanie Jacobs am Niederrhein auf. Das prägt sie als Familienmensch. Nach dem Abitur am Ricarda-Huch-Gymnasium in Krefeld, das sie von 1969 bis 1982 besucht, engagiert sie sich beim freiwilligen sozialen Dienst und arbeitet knapp zwei Jahre in einem Kinderheim. „Das war für mich ein Einschlag, weil ich viele harte Schicksale von Kindern und auch Elend erleben musste“, so die heutige Direktorin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig. Zunächst wollte sie in Bamberg Sozialarbeit studieren, „um die Welt ein wenig besser zu machen“. Doch noch bei der Immatrikulation 1984 – lediglich der Stempel im Studienbuch fehlt noch – entscheidet sie sich spontan um. Sie hat das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Die 19-Jährige schreibt sich ein für Philosophie, Psychologie und Kunstgeschichte, studiert in Bonn, Berlin und in Perugia in Italien. Sie erhält Stipendien an der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, der Bibliothèque National in Paris und vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft. Nach einem ausführlichen Ausflug in den Journalismus weiß sie inzwischen, dass es die Museumsarbeit ist, für die sie brennt. Sie kann beispielsweise an der Bibliothèque nationale de France in Paris sowie am Mellon Center der Yale University in New Haven, Connecticut, forschen und beendet ihre Dissertation 1997. Sie promoviert mit einer Arbeit über Konzepte der Moderne im 19. Jahrhundert, die unter dem Titel „Auf der Suche nach einer neuen Kunst“ an der Freien Universität Berlin entsteht.

Ein neuer Job in der „Wunderkammer“


Parallel arbeitet sie am Institut für Auslandsbeziehungen in Bonn. Später wechselt sie zum Haus der Geschichte der BRD in Bonn. Es folgt die Geburt der beiden Töchter und sie betreibt gemeinsam mit ihrem Mann das „jacobs & paul Büro für Geschichte“. Als historischer Dienstleister unterstützt es öffentliche Institutionen wie Museen, Archive und Gedenkstätten dabei, Ausstellungen zu organisieren, Publikationen zu veröffentlichen oder recherchiert für Filme und Theater. Stephanie Jacobs übernimmt im März 2007 die Leitung des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek. Die Sammlungen sind für sie „Wunderkammer und Zukunftswerkstatt zugleich“, wie sie in einer Rede anlässlich des 125. Jahrestages des Museums formuliert, das 1884 in Leipzig gegründet wurde.

Die damalige Dauerausstellung des Museums „Merkur und die Bücher“ muss 2007 aufgrund notwendiger Bauarbeiten schließen. Zudem hat sich die hauptsächlich auf die Buchstadt Leipzig und ihre Verlage gerichtete Schau im Lauf der Jahre inhaltlich überholt. Die Deutsche Nationalbibliothek plant zu diesem Zeitpunkt ihren vierten Erweiterungsbau. Ihre Depots platzen damals aus allen Nähten. Immerhin sammelt, dokumentiert und archiviert das in Leipzig und Frankfurt/Main beheimatete „Gedächtnis der Nation“ alle Werke in Schrift und Ton, die seit 1913 in Deutschland und weltweit über Deutschland oder in deutscher Sprache veröffentlicht werden. Da sind die Regale in den Depots rasch gefüllt. Im 2011 eröffneten Erweiterungsbau besteht die Chance, das Buch- und Schriftmuseum in modernen Räumen völlig neu zu konzipieren sowie die einmaligen Sammlungen fürs Internet-Zeitalter fit zu machen. „Das war ein Glückfall für das Museum, aber auch für mich persönlich, denn wann bekommt man schon einmal die Chance, ein Museum inklusive Neubau völlig neu aufzustellen“, erzählt Jacobs.

Die Menschheitsgeschichte der Medien


Während Anfang der 2000er Jahre so manches Museum schließen muss oder durch drastische Etatkürzungen beschränkt wird, bekommt das Buchmuseum hingegen einen Neubau. Dort
kann es seine Bestände erstmals nach der Zerstörung des alten Museums im Zweiten Weltkrieg neu und angemessen präsentieren. Nahezu fünf Jahre bleiben Zeit, mit dem Team eine Konzeption zu entwickeln. Es ist eine Zeit, in der viele glauben, das Buch sei durch die rasante Entwicklung neuer Medien am Ende. Deshalb entsteht die Idee, die neue Dauerschau in die Menschheitsgeschichte von Medien einzubetten. Schwerpunkt: Schrift, Buchdruck und digitale Netzwelten. Es folgt eine logistische Meisterleistung. Beim Umzug werden die Sammlungen in den Depots durchforstet, vieles neu entdeckt. Die Sonderschau wird gemeinsam mit vielen externen Wissenschaftlern aus verschiedenen Einrichtungen und Instituten entwickelt. „Bei einem so breit aufgestellten Thema wie der 5.000-jährigen Mediengeschichte der Menschheit ist es wichtig, Expertise einzuholen“, so die engagierte Museumschefin.

Heute ist klar, dass die Buchbranche trotz vieler Schwierigkeiten stabil ist. Und es auch in Leipzig keinen Grund gibt, dem Mythos der alten Buchstadt Leipzig mit ihren verlorenen großen Verlagen nachzutrauern. Hier hat sich eine junge Verlags- und Buchkunstszene etabliert, wie auch Jahr für Jahr auf der Leipziger Buchmesse zu sehen ist. „Wir schauen mit Optimismus nach vorne“, sagt Jacobs und freut sich, dass vor allem Gruppen von Kindern und Jugendliche regelmäßig ins Museum kommen und die vielfältigen Angebote nutzen. Die sind oft überrascht, dass auch Themen wie Graffiti oder Tattoo eine Rolle spielen und viele Dinge in eigenen Veranstaltungsformaten spielerisch ausprobiert werden können. Zusätzliche Stellen bieten die Chance, enger mit der Wissenschaft zusammen zu arbeiten. Unter ihrer Führung gelingt es, die Sammlungen beständig zu erweitern. Pop Up Bücher, Underground Comics oder Buchtüten, die der Leipziger Verleger Mark Lehmstedt zusammenträgt, kommen beispielsweise hinzu.

Schöffin will Gesellschaft vieles zurückgeben


Stephanie Jacobs arbeitet zudem ehrenamtlich als Schöffin am
Landgericht Leipzig. „Dort lerne ich, wie schwer es ist, die Menschen am prekären Rand der Gesellschaft für Demokratie, aber auch für Kultur zu interessieren.“ Es sei ihr stärkster Impuls, das Museum für alle Menschengruppen zu öffnen, niemanden aus dem Blick zu verlieren. Sie möchte mit der spannenden Sammlung nicht nur ein Fachpublikum ansprechen. „Wir haben als Kulturinstitution eine gesellschaftliche Verantwortung“, bekennt sie. Deshalb bietet das Museum auch ein breites Spektrum von Veranstaltungen zu politischen Themen an, ohne aber parteipolitisch Position zu beziehen. Darüber hinaus gibt es vielfältige Sonderausstellungen, auch zu kontrovers diskutierten Themen. Für Jacobs und ihr Team ist das eine Neuorientierung der letzten beiden Jahre. Mit der Schöffentätigkeit möchte sie zudem helfen, der Gesellschaft „für mein Luxusleben in der Kultur“, wie sie sagt, etwas zurückgeben.

In der Freizeit wandert sie gern, würde auch nach wie vor gerne im Barockchor Junge Kantorei singen. Die Sänger aus Marburg, Bonn und Heidelberg treffen sich zweimal pro Jahr zu Projektwochen. Es entstehen auch CD-Musikaufnahmen. Doch das ist derzeit nicht zu schaffen, bedauert die vielbeschäftigte Museumsleiterin, die in vielen Gremien mitarbeitet. Dazu gehören unter anderem das Literaturhaus Leipzig, die Kulturstiftung, die Association of European Printing Museums, der Internationale Arbeitskreises Druck- und Mediengeschichte, die Jury des Gutenberg-Preises der Städte Leipzig und Mainz.

Stand: 21.02.2024

Bildergalerie - Jacobs, Stephanie

Hocquél, Wolfgang

Architekturhistoriker, Denkmalpfleger, Autor | geb. am 25. September 1947 in Osterfeld

Ruhestand scheint Wolfgang Hocquél aus seinem Wortschatz gestrichen zu haben: Der Architekturhistoriker und Denkmalpfleger, der viel Sympathie für alte Häuser hat, arbeitet unermüdlich an Publikationen: Der „Architekturführer Leipzig – Von der Romanik bis zur Gegenwart“ ist sicherlich das Highlight. Das komplett überarbeitete Buch stellt auf 416 Seiten die wichtigsten der 15.000 Kulturdenkmale Leipzigs vor. Erschienen ist es 2023 im Leipziger Passage-Verlag in vierter Auflage. „Leipzig – Baumeister und Bauten“ heißt der ebenso bekannte Vorläufer. „Ich habe immer viel publiziert, weil es mir Spaß macht“, sagt Hocquél. „Bei jedem Denkmal, jeder historischen Persönlichkeit kann ich etwas Neues lernen.“ Schließlich müsse jeder Denkmalpfleger wissen, was er aus welchem Grund erhalten muss. Öffentlichkeitsarbeit sei da unverzichtbar. „Schließlich müssen wir ein Bewusstsein für Denkmale schaffen, die Menschen aufklären.“

Ein Herz für die Denkmalpflege


Seit mehr als einem halben Jahrhundert lebt Hocquél in Leipzig. Geboren wird er in Osterfeld in Sachsen-Anhalt. In Merseburg wächst er auf, wo er 1966 auch das Abitur ablegt. Nach der Armeezeit bei der Nationalen Volksarmee studiert er 1968 bis 1972 an der Hochschule für Bauwesen in Leipzig. „Ich bin nach Leipzig gekommen, als die
Universitätskirche schon gesprengt war“, so der spätere Bauingenieur. Er arbeitet in den unterschiedlichsten leitenden Funktionen als Denkmalpfleger. Zunächst in der Abteilung Kultur beim Rat der Stadt. 1984 wird er Bezirksdenkmalpfleger beim Rat des Bezirkes, später ein Jahr lang Direktor des Büros für architekturbezogene Kunst und Denkmalpflege des Bezirks Leipzig.

Schon damals stört ihn der ruinöse Zustand vieler Gebäude. Die DDR erlässt zwar 1975 ihr erstes Denkmalschutzgesetz. „Das war fachlich sehr gut“, so der Experte. Aber wegen fehlender Finanzen und Bauressourcen bleibt es wie ein Kampf gegen Windmühlen. Kleine, private Baubetriebe sind kaum noch vorhanden. Die Großen, wie das Leipziger Baukombinat, konzentrieren sich darauf, Plattensiedlungen auf der grünen Wiese zu errichten.

Wiederaufbau von Schloss Machen wird erstes Projekt


In den 1980er Jahren will er es noch einmal wissen. Er belegt Kunstgeschichte an der damaligen
Karl-Marx-Universität (heute Universität Leipzig), wo er 1987 auch promoviert. „Leipziger Kaufmannshöfe, Messehäuser und Passagen“ heißt die auch als Buch veröffentlichte Arbeit. Sein erstes größeres Projekt wird der Wiederaufbau des Ostflügels vom Schloss Machern, der 1981 bei einem Brand zerstört wurde. 1982 gehört Hocquél zu den Mitbegründern der Kulturzeitschrift Leipziger Blätter.

Am Ende der DDR hat die Belastung der Umwelt sowie die Zerstörung der Bausubstanz nahezu unerträgliche Ausnahme angenommen. Zum Glück kommt die Friedliche Revolution, die Menschen gehen auf die Straße. Auch Hocquél handelt. Mit Mitstreitern gründet er die Kulturstiftung Leipzig.

Auslöser ist ein Treffen von 14 Künstlern, Wissenschaftlern und Geistlichen am 26. Januar 1990 im historischen Lokal Zum Arabischen Coffe Baum. Neben Hocquel sind unter anderem Heinz-Jürgen Böhme, Gunter Böhnke, Werner Heiduczek, Bernd-Lutz Lange, Friedrich Magirius, Wolfgang Mattheuer, Bernd Weinkauf und Gewandhauskapellmeister Kurt Masur dabei. 1991 wird die Kulturstiftung Leipzig als Nummer 1 ins Stiftungsverzeichnis des Regierungspräsidiums Leipzig eingetragen. Masur wird ihr erster Präsident. Bei Benefizkonzerten in Frankfurt am Main sowie in Köln spielt er mit dem Gewandhausorchester Geld fürs Stiftungskapital ein. Die Stiftung beantragt bereits im März 1990 beim damaligen Runden Tisch, ihr einige Baudenkmale zu überlassen, damit sie diese sanieren kann. Sie bekommt schließlich die marode Alte Nikolaischule per Erbbaupacht übertragen. 1992 bis 1994 werden dort 13,9 Millionen Deutsche Mark investiert. Das ist nur möglich, weil Leipzigs Partnerstadt Frankfurt/Main stolze 8,9 Millionen DM beisteuert.

Eine Wende in der Baupolitik


Im Januar 1990 ist Wolfgang Hocquél Initiator der ersten demokratischen Volksbaukonferenz, die im Januar 1990 auf dem
agra Messepark in Markkleeberg stattfindet. Die Konferenz leitet eine Wende in der Baupolitik Leipzigs ein. Hocquéls Credo: Mit jedem Neubau auf der Grünen Wiese geht die Altstadt ein bisschen mehr kaputt. Deshalb müsse Schluss sein, die historische Substanz zu zerstören. „Die Gründerzeitstruktur macht Leipzig aus. Sie möglichst zu erhalten, ist kein Luxus“, betont er. 1992 wird er dann Leiter der Höheren Denkmalschutzbehörde beim Regierungspräsidium Leipzig. Dort setzt er auch Fördermittel gezielt ein, um die Sanierung maroder Gebäude voranzubringen und kann etliche Erfolge vorweisen. Auf eigenen Wunsch verlässt er die Denkmalschutzbehörde 2008. Das ist eine Auswirkung der sächsischen Verwaltungsreform.

Hocquél wird schließlich Geschäftsführer der Kulturstiftung Leipzig. Sein größter Coup ist eine Ausstellung „made in Leipzig“ über die sogenannte Leipziger Schule in Torgau. Dort präsentiert die Kulturstiftung Leipzig von Anfang April bis Ende Oktober 2007 Arbeiten von 29 Künstlern und spricht damit 20.000 Besucher an. Es ist eine Zeit, in der die Welt über die neue Kunst aus Leipzig spricht. Die Idee, die Privatsammlung Essl aus Klosterneuburg in Torgau zu präsentieren, hat er gemeinsam mit Kunsthistoriker Richard Hüttel. Im Museum der bildenden Künste Leipzig kommt diese Ausstellung damals nicht zustande.

Ein neues Buch über Leipziger Villen


Bei der Kulturstiftung bleibt er bis 2015 – seitdem setzt er freiberuflich als Autor und Gutachter für Denkmalschutz verschiedene Projekte um. Manchmal auch außerhalb Leipzigs. Er hat nach etwa einem Dutzend Büchern und Publikationen noch große Pläne. Neuestes Projekt ist ein Bildband über Leipziger Villen, den er gemeinsam mit Richard Hüttl schreibt. Das verzögert sich, weil der Verlag Faber & Faber Insolvenz angemeldet hat. Die Idee, seine Geschichten und Erlebnisse rund um die Denkmalpflege in Leipzig aufzuschreiben, hat er ebenfalls. „Da gibt es viele interessante Details zu erzählen.“ Und hin und wieder ärgert sich der Denkmalbewahrer auch: Mit dem „Aufbau“ der
Hauptpost am Augustusplatz kann er sich nicht richtig anfreunden. „Was für die Renaissance das Alte Rathaus, ist für die ‚Ostmoderne‘ die Hauptpost. Mit ihr hätte man sich mehr Mühe geben müssen“, findet er.

Stand: 08.03.2024

Bildergalerie - Hocquél, Wolfgang

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