Dabdoub, Mahmoud

Fotograf, Dolmetscher, Zeitzeuge | geb. am 5. August 1958 in Baalbeck (Libanon)

„Die Straße ist mein Atelier“ – einen besseren Titel als im Februar 2025 im Zeitgeschichtliches Forum Leipzig kann es für eine Ausstellung mit Fotos von Mahmoud Dabdoub eigentlich gar nicht geben. Denn dieser beschreibt, was seine Arbeit ausmacht. Wie der deutsch-palästinensische Fotograf zur Kamera greift und Momente aus dem Alltag festhält, die viele andere gar nicht wahrnehmen. So hat er sich das graue Leipzig und seine Menschen erschlossen, die der damals 23-Jährige bei seiner Ankunft 1981 in der DDR trifft. Nach Leipzig kommt er zum Studium. Er ist geblieben und hat sich seinen fotografischen Blick für das Alltägliche bewahrt.

Aufgewachsen im Flüchtlingslager


Geboren wird Mahmoud Dabdoub am 5. August 1958 in Baalbeck, einer Provinzhauptstadt im Libanon. Die Familie stammt eigentlich aus Galiläa, das gesamte Dorf wird von Israelis im Jahr 1948 zerstört. Mahmoud wächst im Flüchtlingslager Al Jalil bei Baalbeck auf. Schon dort beginnt er zu zeichnen und zu malen, fertigt sogar Anschauungstafeln wie Landkarten für den Schulunterricht an. Es ist der Versuch, aus dem tristen Leben im Lager auszubrechen.

In den Ferien arbeitet er als Botenjunge für einen Fotografen, um ein bisschen Geld für Schulmaterial zu verdienen. 1976 kann er in Beirut das Abitur machen, beginnt anschließend seine Arbeit im palästinensischen Kulturbüro in Beirut. Als er 18 Jahre wird, darf er manchmal die Kamera seines Bruders benutzen und fängt an, Schnappschüsse zu machen. Sein erstes Foto zeigt eine von Schüssen zerlöcherte Wand mit einem beschädigten Kinderporträt. Um 1980/81 entstehen erste Reportagen, die die Lebenswirklichkeit palästinensischer Flüchtlinge abbilden. „Es war nicht einfach, eine Kamera zu bekommen. Das Geld brauchten wir für Brot, nicht für Kunst“, erinnert er sich. Sein Bruder, der seit 1977 einige Jahre in West-Berlin arbeitet, entdeckt schließlich eine Kamera der Marke Praktika aus DDR-Produktion auf einem Flohmarkt. Die schenkt er bei einem Besuch im Libanon dem jüngeren Bruder.

Eine erste Ausstellung im Herder-Institut


Der Maler
Ismael Schamout, für den Mahmoud Dabdoub als Assistent tätig ist, vermittelt ihm schließlich ein Stipendium für ein Studium in der DDR. Er kommt am 11. September 1981 in Leipzig an, bekommt eine Unterkunft im Studentenwohnheim in der Straße des 18. Oktobers. Wie alle ausländischen Studenten, lernt er zunächst Deutsch am Herder-Institut. Eigentlich will er Maler und Grafiker werden, sieht die Fotografie als reines Hobby. Als er im Chemielabor des Herder-Institutes schließlich Fotos aus Palästina entwickelt und seinen Freunden zeigt, überreden sie ihn, in einer Foto-AG mitzumachen. Daraus entwickelt sich seine erste Ausstellung, die er auf den Fluren des Institutes zeigt. „Und damit änderte sich mein ganzer Lebensplan“, sagt er später in Interviews.

Mahmoud Dabdoub wird geraten, sich an der Hochschule für Grafik und Buchkunst für ein Fotografie-Studium zu bewerben. Er hat Glück, einen der raren Studienplätze zu ergattern und trifft auf Lehrer wie Arno Fischer, Evelyn Richter und Helfried Strauß, die ihn fördern. 1987 bekommt er seinen Abschluss als Diplomfotograf, ist seitdem freiberuflich mit der Kamera unterwegs.

Voller Neugier durchstreift Dabdoub seine neue Heimat mit der Kamera. Um wirklich anzukommen, muss er die ihm unbekannte Gesellschaft gründlich erkunden. Dabei entstehen eindrucksvolle Bilder. Die Menschen lassen sich damals ohne Scheu fotografieren. „Es ist wichtig, wie man mit Menschen umgeht. Vor allem mit Respekt und einem Lächeln“, sagt er. „Ich war damals ständig und überall mit der Kamera unterwegs. In meinem Archiv lagern allein aus den Tagen der DDR 1.400 Filme.“ Einen Teil der Bilder veröffentlicht er im Buch „Neue Heimat Leipzig“, das im Lehmstedt-Verlag veröffentlicht wird. Später erscheint „Alltag in der DDR“ im Passage Verlag mit neuen Bildern. Im Archiv Bürgerbewegung Leipzig werden die Negativfilme von Mahmoud Dabdoub seit 2014 kontinuierlich digitalisiert. Weitere Publikationen und Ausstellungen sind vorgesehen.

Ein Reisender zwischen den Welten


Dabdoub ist ebenfalls ein Reisender zwischen den Welten. So kehrt er oft in den Libanon zurück. Versteht sich als „eine Brücke zwischen Orient und Okzident“, wie er selbst sagt. 1989 erreicht er für seine Serie „Palästinenserlager im Libanon“ eine Ehrenmedaille bei einer Fotoschau in Hamburg. Weitere Preise für Bilder aus dem Libanon und Palästina folgen. 2003 erscheint das Buch „Wie fern ist Palästina?“, in dem er den Alltag in Flüchtlingslagern zeigt, am selben Tag auch „Alltag in der DDR“ im Passage Verlag mit neuen Bildern. Den Erfolg kann er nicht genießen, weil am ersten Buchmessetag im März 2003 der Krieg im Irak beginnt. „Meine Freude war futsch, weil Menschen sterben müssen.“ „Land der verletzten Zedern“ heißt schließlich eine Publikation über den Libanonkrieg 2007.

Keine Bilder von den Montagsdemonstrationen


Obwohl er während der 
Friedlichen Revolution in Leipzig lebt, gibt es vorn ihm keine Bilder von den Montagsdemonstrationen. Er hat sich damals nicht getraut, die Demos zu fotografieren, wie er später bekennt. Da ist vor allem die Angst, seine Aufenthaltsgenehmigung zu verlieren und ausgewiesen zu werden.

Dafür hält er am 9. November 1989 in Berlin die ersten Stunden nach der Grenzöffnung fest. An diesem Tag ist er zufällig in Berlin. Er kehrt gerade von der Eröffnung einer Ausstellung zurück, die im Westteil zu sehen ist. Mitgerissen vom Jubel hält er die Kamera hin. Doch leider hat er nur noch drei ORWO-Filme dabei. Die haben jeweils 36 Bilder, wie in analogen Zeiten üblich. Am nächsten Morgen fotografiert er auf dem Westberliner Ku’damm feiernde Ost-Berliner in einem Lada-Taxi. Es entsteht eine schwarz-weiße Fotoserie. „Sie ist eines der wichtigsten Werke in meinem Leben“, bekennt er später. Im Nachhinein bedauert er, nicht länger geblieben und die Ereignisse rund um die Mauer dokumentiert zu haben.

Wie es für ihn nach der deutschen Einheit weitergeht, bleibt zunächst unklar. Er stellt sich auf die neue Arbeitssituation ein, fotografiert unermüdlich weiter. 2000 erhält er die deutsche Staatsbürgerschaft. Mit seiner Familie lebt er in Connewitz. Die drei Töchter sind inzwischen erwachsen. Auch für die Stadtverwaltung und das „Amtsblatt“ fotografiert er eine Zeitlang.

Bilder einer menschenleeren Stadt


Der Freiberufler widmet sich auch dem Corona-Virus und den Folgen für die Gesellschaft.  „Augen in der Pandemie“ heißt eine Publikation im Jahr 2021, in der er von Masken verdeckte Gesichter fotografiert. „Menschenleer: Leipzig – Fotos einer Stadt im Lockdown“ heißt ein weiterer Bildband (2021), den er gemeinsam mit 
Armin Kühne und Andreas Koslowski erarbeitet.

Der Fotograf hat noch einige Projekte vor. Er muss auch arbeiten, weil die Rente nicht ausreicht. Er bewahrt noch ORWO-Filme auf, will diese auch künftig bei verschiedenen Lichtsituationen nutzen. Eine Idee wäre, zu Fuß 24 Stunden lang mit der Kamera durch Leipzig zu streifen. Darüber hinaus ist er als Dolmetscher tätig und ist auch als Zeitzeuge in Schulen im Einsatz, wo er über seine Arbeit als Fotograf erzählt. „Die Straße ist mein Atelier“ heißt, wie auch die Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, das neue Buch von Mahmoud Dabdoub, welches zur Buchmesse 2025 erschien.

Stand: 18.03.2025

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Eberle, Friedhelm

Schauspieler | geb. am 21. September 1935 in Oberhausen

Viele ältere Menschen erkennen ihn an der markanten Stimme. 45 Jahre lang ist Friedhelm Eberle fest am Schauspiel Leipzig engagiert. Von Hamlet über Faust, König Lear bis zu Othello hat er dort alle großen Rollen gespielt, die sich ein Schauspielerherz nur wünschen kann. Er spricht Hörspiele und dreht Filme. Das Publikum schätzt das Ehrenmitglied des Schauspielhauses für seine Hinwendung zum künstlerischen Wort. Fast 90 Jahre alt, hat Friedhelm Eberle seine Erinnerungen im Buch „Dem schönen Ziele zu“ veröffentlicht. Das ist im April 2025 im Leipziger Passage-Verlag erschienen.

Nach der Schlosserlehre folgt das Theater


Geboren wird Friedhelm Eberle am 21. September 1935 in Oberhausen. Im Ruhrgebiet wächst er auf und geht dort zur Volksschule. Der Vater, der im Krieg bleibt, ist Schlosser. Die Mutter Hausfrau. Daher ist es keineswegs naheliegend, dass er sich einem künstlerischen Beruf zuwendet. „Ein Lehrer, der spürte, dass ich empfänglich war, hat mich mit Literatur wie
Theodor Storm und Gottfried Keller versorgt. Und er gab mir Friedrich Schillers ‚Räuber‘ zu lesen“, erinnert er sich. Die Räuber haben ihn verfolgt, er hat dieses Stück immer wieder gelesen, im nach dem Krieg wiedereröffneten Stadttheater Oberhausen gesehen… So entsteht der heimliche Wunsch, selbst auf der Bühne zu stehen. Doch zunächst geht er in eine Schlosserlehre. Der junge Mann nimmt privat Schauspielunterricht. Doch seine Leistungen in der Lehre nehmen ab, so dass die Familie schon seinen Rausschmiss befürchtet. Die Familie bittet ihn, zunächst die Lehre zu beenden. Nach der Gesellenprüfung nimmt er wieder privaten Unterricht.

Der Weg in den Osten Deutschlands


Eberle folgt seinem Schauspiellehrer nach Basel, damit der Unterricht für ihn weitergeht. Dann absolviert er die Prüfung in Düsseldorf. Der Lehrer ist inzwischen an die Volksbühne in Ostberlin gewechselt. Er vermittelt für Friedhelm Eberle ein Engagement in Plauen, später folgt Erfurt. Von dort zieht es Eberle 1962 nach Leipzig ins Theaterkombinat von
Karl Kayser. Gemustert für die Armee wird er auch, einberufen allerdings nicht – vermutlich wegen der vielen Westverwandtschaft und der vielen großen Rollen am Theater.

Der umstrittene Generalintendant Kayser, mit dem sich Eberle oft zofft, ist von 1958 bis 1990 im Amt. Durch seinen Einfluss sind seit 1964/65 auch Gastspiele im Westen möglich. „Für mich war es etwas Besonderes, dass ich bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen im Festspielhaus den Hamlet und den Faust spielen konnte“, erinnert er sich. Schon als 16-Jähriger habe er dort viele große deutsche Schauspieler wie Ernst Deutsch oder Gustaf Gründgens erleben dürfen.

Als Dozent an der Theaterhochschule Leipzig unterrichtet er 38 Jahre lang „Künstlerisches Wort“. Dort wird er 1994 zum Professor berufen. Vor der Kamera steht Eberle auch: So spielt er in den 1970/80er-Jahren den Hauptmann Reichenbach in der Krimiserie „Polizeiruf 110″ des DDR-Fernsehens. Er ist Synchronsprecher, hat sogar kurioserweise mal Bruno Ganz seine Stimme geliehen.

Nach den Vorstellungen nimmt er nachts sehr viele Hörspiele auf. Ein Freund hat einmal einen alten Mitschnitt ausgegraben, da hat er sich selbst nicht erkannt. Ob Tragödie, Komödie oder Gegenwartsstück – er kommt in jedem Genre zurecht. Für sein Wirken erhält er den Kunstpreis der Stadt Leipzig sowie den Nationalpreis der DDR.

Mit dem Gewandhausorchester auf Tour


Er gehört zu jenen, die im Herbst 1989 für eine humane DDR und Reisefreiheit auf die Straße gehen. Auch an jenem legendären 9. Oktober 1989, der als entscheidender Tag der 
Friedlichen Revolution in die Weltgeschichte eingeht. Bis zum Ausscheiden des Intendanten Wolfgang Engel im Jahr 2007 ist er in Leipzig fest engagiert.

Schon in den 1980er Jahren hat Eberle das Musiktheater für sich entdeckt, begleitet Kurt Masur und das Gewandhausorchester bei Gastspielen durch die Welt. 2006 ist er mit Masur in Israel. Nach dem Abschied vom Schauspielhaus ist Eberle weiterhin in Film und Fernsehen zu sehen, verfasst eigene musikalisch-literarische Programme und Stücke. Seinen letzten Fernsehauftritt hat er in der Verfilmung des Buches „Der Turm“ von Uwe Tellkamp im Jahr 2012. Seine letzte große Arbeit ist „Der Theatermacher“ von Thomas Bernhard in einer eigenen Fassung.

Der Schauspieler ist keiner, der zur Ruhe kommen will. Keiner, der in sich ruht, höchstens in seinen Rollen. Nach wie vor hält er sich fit. Er trainiert regelmäßig an den Geräten bei Kieser in der Leipziger Innenstadt und spielt Tennis. Und ist auch noch mit dem Auto unterwegs. „Wenn ich aufhöre zu arbeiten, werde ich alt“, hat der Gohliser einmal gesagt. „Pläne mache ich keine, ich lasse alles auf mich zukommen“, so Eberle. Er freut sich, engagiert zu werden. Doch er nimmt längst nicht mehr jede Rolle an. Rollen können klein sein, betont er, müssen aber einen künstlerischen Anspruch haben. „Nur das Gesicht zeigen – das will ich nicht“. Deshalb tritt er auch nicht in Soaps auf.

Eine bedeutende Theaterkarriere


Friedhelm Eberle blickt auf eine bedeutende Theaterkarriere zurück. Dies wird auch in seinen Lebenserinnerungen deutlich, die sich durchaus wie ein deutsch-deutsches Geschichtsbuch lesen. Offen und ehrlich gesteht er, warum er bei seinen zahlreichen Gastspielen nicht im Westen geblieben ist. Zunächst spielt die Familie eine große Rolle. 60 Jahre lang ist er mit der Opernsängerin
Sigrid Kehl zusammen, davon 25 Jahre verheiratet. Die Sopranistin ist am 18. Dezember 2024 gestorben. Eberle hat drei Kinder.

Es gibt aber noch einen zweiten Grund, warum er nie im Westen geblieben ist. Er habe so seine Zweifel, ob ein Theater im Westen ihn mit so vielen Rollen verwöhnt hätte, wie das Schauspiel Leipzig. „Ich durfte ja alles hier spielen – vom Hamlet angefangen, Othello bis zu König Lear“, sagt er. Und die vielen Perestroika-Stücke und viele Gegenwartsstücke gehören ebenfalls zu den angenehmen Lebenserinnerungen. Wie im Buch „Dem schönen Ziele zu“ nachzulesen ist.

Stand: 29.04.2025

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Forchner, Ulrich

Karikaturist, Grafiker, Illustrator, Porträtzeichner | geb. am 1. Dezember 1949 in Krossen-Tauchlitz (Thüringen)

Ein schwarzer oder weißer Hut, ein roter Schal und natürlich das Skizzenbuch samt schnellem Zeichenstift sind Ulrich Forchners Markenzeichen. Seit mehr als 50 Jahren ist er in Leipzig als freischaffender Künstler unterwegs. Um die 15.000 Menschen soll der Grafiker und Karikaturist schon porträtiert haben. Dazu gehören Politiker und Künstler, aber ebenso Leute wie „du und ich“. Nach wie vor ist der Zeitchronist mit seiner spitzen Feder präsent. So bietet der Absolvent der Hochschule für Grafik und Buchkunst seine Dienste als Porträtzeichner bei Hochzeitsfeiern und Firmenfeiern an.

Geboren wird Ulrich Forchner am 1. Dezember 1949 in Krossen-Tauchlitz in Thüringen. In Gera wächst er als Sohn eines Lehrers sowie einer Tarifeurin beim Kraftverkehr auf, besucht dort die Polytechnische Oberschule. „Ich wollte nicht in einer Fabrik arbeiten, sondern mich mit der Natur und Grünanlagen beschäftigen“, erzählt er. Deshalb beginnt er eine Lehre in Leipzig-Markkleeberg, um Landschaftsgestalter zu werden. Gezeichnet hat er schon als Kind. 

Von der Grünanlage in die Hochschule


Wie der Zufall es will, wird Ulrich Forchner zur Pflege der Grünanlage vor der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig eingeteilt. Neugierig geworden schaut er sich das Gebäude näher an und landet gleich in einer Vorlesung, bei der es um die Malerei der Renaissance geht. Er fasst den Entschluss, sich an der Hochschule zu bewerben und Grafiker zu werden. Zunächst wird er jedoch zum Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee einberufen, die ihn in Halle/Saale stationiert. Von dort aus bewirbt er sich an der Hochschule, an der er dann von 1970 bis 1975 Buchkunst studiert. Ursprünglich sollte es Malerei sein, doch da wird er zu seinem Bedauern abgelehnt. An der Hochschule trifft er Menschen, die ihn ganz besonders beeinflusst haben. Dazu gehört der Leipziger Maler
Werner Tübke, den er verehrt. „Er war ein Gigant, er gehört zu meinen Vorbildern“, sagt Forchner. Aber auch Dietrich Burger, Walter Schiller und Albert Kapper zählt er auf.

Die Berliner Harald Kretzschmar und Herbert Sandberg haben in Leipzig Vorlesungen gehalten, über sie ist die Karikatur als „Seitenlinie“ an die Leipziger Hochschule gekommen. Bereits im ersten Studienjahr schickt Forchner seine Zeichnungen ans Satireblatt „Eulenspiegel“ oder „Das Magazin“. Mit Christina Forchner, seiner ersten Frau, baut er ein Atelier in Mölkau auf.

Für die DDR-Lebensmittelindustrie entstehen ab 1978 ebenfalls Zeichnungen. Die Absatzleiter suchen schon in der Hochschule nach neuen Talenten, die ihre Produktverpackungen ansehnlicher gestalten, damit diese auch auf dem Westmarkt ankommen. Forchner steuert den Entwurf für die Süßwaren von Bambina bei. Die sind bekannt durch das lachende Mädchen und die beiden grasenden Kühe. Doch auch für Creck und Sonni-Schlecks sowie für Eierteigwaren aus Waren an der Müritz entwirft Forchner Lebensmittelverpackungen.

Der studierte Diplomgrafiker gestaltet außerdem Plakate und illustriert Bücher. Er lernt Bernd-Lutz Lange kennen und bekommt Kontakt zum Kabarett academixer, für das er ebenfalls wie für die Leipziger Pfeffermühle Programmhefte und einzelne Plakate gestaltet. Bei einer Ausstellung karikiert er sogar SED-Politbürogrößen wie Kurt Hager.

Hinter der Mauer wird es ihm zu eng


Im Jahr 1988 wird es ihm in Leipzig zu eng. „Eine Frau war der Grund. Ich wollte unbedingt die Mona Lisa sehen“, erzählt er schmunzelnd. Das Eingesperrtsein, die Mauer, habe ihn regelrecht „angekotzt“, wie er sagt. Gemeinsam mit seinem Freund
Andreas J. Mueller nutzt er eine Ausstellung zu DDR-Karikaturen in Bergisch-Gladbach (Nordrhein-Westfalen) zur Flucht. Kabarettisten wie Gerhard Polt und Dieter Hildebrandt, die er aus Leipzig kennt, helfen, dass er in Bayern ansässig wird.

Fünf Jahre bleibt Forchner in München. Dort arbeitet er als Zeichner bei der Bild-Zeitung und der Süddeutschen Zeitung. Doch er will zurück nach Leipzig, da hier viele seiner Freunde leben. Inzwischen alleinerziehender Vater von Sohn Lucas, hat er es trotz toller Aufträge am Schliersee in Bayern schwer. 1993 kehrt der freischaffende Künstler heim. Er muss neue Wege gehen, um sein Einkommen zu sichern.

Als Porträtzeichner bei Festen


Fortan arbeitet er als Porträtzeichner bei Festivitäten und porträtiert die Gäste einer Feier in Minutenschnelle. Das kann sehr anstrengend werden, wenn er beispielsweise bei Hochzeiten neun Stunden und länger festlich gestimmte und manchmal mächtig beschwipste Gäste auf ein Blatt Papier bannt. „Da ist ein Höchstmaß an Konzentration nötig“, erzählt er. Bei Hochzeiten bietet er ein gebundenes Hochzeitsbuch an, zu dem ein Aquarell von der Lokalität mit Hochzeitsauto, Torte, Sägebock und mit weiteren Details gehören.

Mit seiner dritten Frau Conny, die er seit der Schule kennt, lebt Ulrich Forchner in Gohlis. Eine Zeitlang fertigt er lokalpolitische Karikaturen für die Leipziger Volkszeitung. Für den Sachsen-Sonntag greift Forchner seit 1993 zu seinen Stiften. Er pflegt Freundschaften, zum Beispiel beim Gosestammtisch in der Gastwirtschaft Lutherburg und an einem der ältesten Stammtische Leipzigs namens Gogelmosch, den es seit 1984 gibt. Und hat ebenfalls viel Freude daran, zu illustrieren. Einige seiner Bilder sind in Büchern wie „Die Oma im Schlauchboot“ von Erich Loest, weitere im Buch „Liederliches Leipzig“ von Bernd-Lutz Lange zu finden.

Karikaturen von vielen Prominenten


In mehr als 40 Länder von Frankreich bis Brasilien hat er bislang Studien- und Malreisen unternommen. Allein die Reiseskizzen machen vier Regalmeter aus. Und viele Prominente, darunter
Angela Merkel, Kurt Biedenkopf, Gina Lollobrigida sowie Mario Adorf und Gloria Gaynor karikiert. Davon besitzt er nur noch Fotos, die Originale hat er jeweils den Prominenten geschenkt. Auch in Gaststätten sind tausende Zeichnungen entstanden. Vom Zoo kommt er schon als Kind nicht los, ist dort immer wieder mit dem Zeichenstift unterwegs.

Für seine Arbeiten hat er verschiedene Preise bekommen. Dazu gehören der „Silberne Hut“ des internationalen Cartoonfestivals Knokke-Heist (Belgien) im Jahr 1980 sowie die „Goldene Plakette“ des International Salon for Anti-War-Cartoon in Kragujewac (Jugoslawien) im Jahr 1985. Einen „bronzenen Satyr“ holt er im Jahr 1988 in Greiz.

Einige der Arbeiten des Karikaturisten, Illustrators, Cartoonisten, Grafikers sowie Plakatgestalters sind in Museen ausgestellt. Dazu gehören jene in Greiz, Hannover, Leipzig, Basel (Schweiz), Lahti (Finnland) und Jerusalem (Israel). Zu seinem Schaffen entstand ein reich bebilderter Katalog. „Ulrich Forchner – Mein Zeichnerleben“ erschien 2010 im Druckhaus Verlag Gera. Pläne hat er noch viele. Dazu gehört eine Arbeit über das Barockschloss Crossen mit seinen großen Sälen, das ihn schon als Kind begeistert hat.

Stand: 20.06.2025

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Lütke Daldrup, Engelbert

Stadtplaner, ehemaliger Flughafenchef, Honorarprofessor | geb. am 31. Oktober 1956 in Kranenburg am Niederrhein

Das Beste kommt bekanntlich zum Schluss: Für Engelbert Lütke Daldrup ist es der Flughafen Berlin-Brandenburg. Zumindest beruflich gesehen. Bis zur Pensionierung hat er es geschafft, die „Dauerbaustelle“ bis zur Eröffnung des Flugbetriebes voranzubringen. Als vierter Flughafenchef seit Baubeginn 2006! Der frühere Staatssekretär versteht es sowohl mit Parlamenten und Regierungen, als auch mit Firmen umzugehen. Auch in Leipzig hinterlässt er als Planungschef seine Spuren.

Geboren wird Engelbert Lütke Daldrup 1956 in Kranenburg in Nordrhein-Westfalen. Seine Eltern sind Landwirte, die dann ins Münsterland ziehen. Dort wächst er auf und geht in Coesfeld zur Schule, macht 1975 am Städtischen Gymnasium Nepomucenum sein Abitur. Danach leistet er 16 Monate lang Zivildienst in einem Heim für behinderte Kinder in Nottuln. Es folgt ein Studium der Raum-, Stadt- und Regionalplanung an der Universität Dortmund. Seinen ersten Job bekommt er im Anschluss als Städtebaureferendar und zwei Jahre später als Baurat in Frankfurt/Main.

Städtebau in der Hauptstadt Berlin


Im Jahr 1985 zieht es ihn nach Westberlin, wo er Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Berlin (West) wird. Dort schreibt er seine Dissertation. Schließlich wechselt er am 15. November 1989 in die Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen Berlin. Nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages, den Stammsitz von Bonn nach Berlin zu verlagern, übernimmt er 1992 die Leitung des Referats Hauptstadtgestaltung. 

Das Referat übernimmt die Planung für Berlin-Mitte, etwa für die Regierungsbauten im Spreebogen sowie für die Ministeriumsbauten und die Landesvertretungen. Er sagt: „Mein ganzes Berufsleben in Berlin hat etwas mit dem Zusammenwachsen der beiden Stadthälften zu tun.“ In Berlin erwirbt Lütke Daldrup sich hinter vorgehaltener Hand den Spitznamen „Drängelbert“, weil ihm vieles nicht schnell genug geht.

Großprojekte und Olympiabeauftragter in Leipzig


Als Nachfolger von 
Niels Gormsen wird er als 38-Jähriger im Jahr 1995 schließlich Beigeordneter für Stadtentwicklung und Bau in Leipzig. „Es war eine Chance, eine spannende, neue Aufgabe zu finden und mehr Verantwortung zu übernehmen“, beschreibt er seine Motivation für den Wechsel. 

Zehn Jahre lang ist er als Baubürgermeister verantwortlich für die Stadterneuerung der Messestadt. Dazu gehören Großprojekte wie die Ansiedlungen des Porsche Werks und des BMW Werks im Leipziger Norden, der Bau der Multifunktionshalle Arena Leipzig sowie der Umbau des Zentralstadions im Waldstraßenviertel. Viel Kraft hat der Neubau des Museums der bildenden Künste Leipzig auf dem ehemaligen Sachsenplatz gekostet. Es dauert, bis die Winkelbebauung komplettiert ist. In der Bevölkerung ist der Bau umstritten. Mit den Architekten gibt es zudem juristische Auseinandersetzungen, etwa um Kleinigkeiten wie den Fußbodenbelag im Klinger-Saal. Die Architekten wollen Holz, doch schon am alten Standort steht die berühmte Beethoven-Skulptur von Max Klinger auf Steinboden. 

Die Begeisterung für Spiele mitten in der Stadt


Im Jahr 2002 wird die Bewerbung Leipzigs um die
Olympischen Sommerspiele 2012 sein Arbeitsgebiet. Lütke Daldrup wird 2003 Olympiabeauftragter und erlebt jenen 12. April 2003 als den Tag, der sich als „Wunder von Leipzig“ ins Gedächtnis eingräbt. Damals kürt das Nationale Olympische Komitee in München Leipzig als deutschen Bewerber für Olympia 2012. 20.000 Leipziger versammeln sich spontan auf dem Markt und feiern eine Party. „Die Leipziger Olympiabewerbung war eine der aufregendsten Zeiten meines Berufslebens“, erinnert er sich. Ebenso wie später seine Zeit als Geschäftsführer der Berliner Flughäfen.

Wie viele andere auch, ist der Planungschef von der Olympia-Begeisterung getragen, die damals eine ganze Region vereint. Leipzig soll der Gegenentwurf für die immer gigantischer werdenden Spiele werden – es entsteht die Idee von „Spielen mitten in der Stadt“, die sowohl auf ein ambitioniertes Verkehrskonzept als auch auf recycelbare Stadionbauten setzt. „Wir wollten viele leerstehende Gebäude für die Beherbergung der Gäste ausbauen, die dann als Wohnungen genutzt werden können“. Das Wintergartenhochhaus wird im Zuge der Bewerbung saniert, auch die Idee zum Wohnviertel am Lindenauer Hafen geboren.

Die Bevölkerung trägt das Konzept mit – es stärkt ihr Selbstwertgefühl. Dass Leipzig letztlich scheitert, liegt am Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und dessen Präsidenten Jacques Rogge. Der hat Leipzig zwar wegen des Anti-Gigantismus-Konzepts ermutigt. Doch letztlich hieß es: Leipzig sei „definitiv zu klein für Olympia“ und London erhält den Zuschlag. „Wer die Spiele in Paris gesehen hat, findet viele unserer Ideen für Spiele mitten in der Stadt wieder. So wird die Seine für Wettkämpfe genutzt. Wir wollten dies auf dem Elsterflutbett auch – etwa für Kanu-Wettbewerbe“, resümiert Lütke Daldrup.

Gegenwind bei Goldschmidt-Haus und Funkenburg


In jener Zeit gibt es auch Gegenwind. Ein Beispiel ist der Abriss des
Henriette-Goldschmidt-Hauses, der im Jahre 2002 erfolgt, um die Friedrich-Ebert-Straße auszubauen. Auch der Abriss der Kleinen Funkenburg im Jahre 2005 führt zu Protesten in der Leipziger Bürgerschaft. „Zu diesen Entscheidungen stehe ich. Aus städtebaulicher Sicht hätte es sowohl in der Friedrich-Ebert-Straße als auch in der Jahnallee nicht anders funktioniert.“ Bei der Kleinen Funkenburg gibt es zudem Probleme durch die geplante Öffnung des Elstermühlgrabens. Aus heutiger Sicht wäre es klüger gewesen, vielleicht weniger Häuser abzureißen, räumt er ein. Etwa die Bebauung gegenüber dem Felsenkeller. Doch der marode Bauzustand sowie der Wohnungsleerstand bei vielen Gebäuden sei damals hoch gewesen.

Bei der Wahl am 10. April 2005 wird Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee zwar im ersten Wahlgang im Amt bestätigt. Ein halbes Jahr später wechselt er dennoch in die Bundesregierung als Verkehrsminister unter Kanzlerin Angela Merkel. Und er nimmt Lütke Daldrup mit, der Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung wird. „Eigentlich war es nicht geplant. Tiefensee hatte aber den nachdrücklichen Wunsch, dass ich ihm helfe“, begründet er den Wechsel in die Hauptstadt.

Rückkehr nach Berlin und Flughafenchef


Lütke Daldrup tritt in die SPD ein, kümmert sich als Staatssekretär beispielsweise um den Aufbau Ost 
sowie Städtebau/Stadtentwicklung, Wohnungswesen, Bauwesen und Bauwirtschaft. Gemeinsam wird auf einem europäischen Ministertreffen im Bundesverwaltungsgericht in Leipzig 2007 die Leipzig-Charta entwickelt, ein Grundsatzprogramm der Stadtentwicklung. Und das Weltverkehrsforum – International Transport Forum (ITF) – wird in Leipzig auf der Leipziger Messe etabliert. Mit der Abberufung Tiefensees als Minister wird Lütke Daldrup im November 2009 in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

Doch er findet rasch neue Aufgaben. In jener Zeit ist er für die AfS Agentur für Stadtentwicklung GmbH in Berlin tätig. Die TU Berlin ernennt ihn im April 2009 zum Honorarprofessor für das Fachgebiet „Stadtentwicklung“. Im selben Jahr bekommt er eine Honorarprofessur für Nationale und Europäische Raumentwicklung an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Nach wie vor hält er in Berlin regelmäßig Vorlesungen rund um Städtebau. 2014 kehrt Lütke Daldrup als Staatssekretär in die Berliner Senatsverwaltung zurück.

Der Aufsichtsrat des Berliner Flughafens ernennt ihn am 6. März 2017 schließlich zum Geschäftsführer der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH. Damit wird er Chef der Flughäfen Tegel, Schönefeld und Berlin Brandenburg – und vor allem Bauherr einer Dauerbaustelle, die viel Aufmerksamkeit in der gesamten Bundesrepublik auf sich zieht. Schließlich gelingt es ihm, den Flughafen Berlin Brandenburg „Willy Brandt“ zu eröffnen. Das ist am 31. Oktober 2020.

Nach der Pensionierung im Herbst 2021 berät er verschiedene Projekte. Dazu gehört der Bau eines jüdischen Kulturzentrums am Fraenkelufer in Berlin sowie der Ausbau des neuen Stadions für den Fußballklub Hertha BSC. Engagiert ist er bei mehreren Stiftungen, darunter dem Beirat bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sowie dem Humboldt-Forum in Berlin. Seine Wohnung in Berlin hat er aufgegeben. Lütke Daldrup lebt seit 2023 mit Ehefrau Karen Hiort wieder in Leipzig.

Stand: 16.04.2025

Bildergalerie - Lütke Daldrup, Engelbert

Schmahl, Holger

Diplomingenieur, Verleger | geb. am 15. Oktober 1956 in Leipzig

Er ist ein echter Leipziger. Hier geboren und aufgewachsen gründet er 1992 den ARGOS Verlag und die Kommunikationsagentur SENTIN.EL. Mit beiden ist er seitdem immer am Puls der Zeit, wenn es um die Wirtschaft in Mitteldeutschland geht. Egal ob es das Mitteldeutsche Wirtschaftsmagazin ARGOS, mit seinen facettenreichen Themen oder eine der – von der Kommunikationsagentur SENTIN.EL organisierten – zahlreichen Gesprächsreihen ist. Holger Schmahl verbindet damit das Zusammentreffen und den Gedankenaustausch von Entscheidern aus den verschieden Branchen.

Holger Schmahl wurde am 15. Oktober 1956 in Leipzig geboren. Er wuchs im Stadtteil Connewitz auf und ging hier zur Schule. Nach seiner Schulzeit absolvierte er eine Lehre im Kraftwerk Tierbach. Etwas später holte er das Abitur nach und studierte im damaligen Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) und schloss als Diplomingenieur für Technische Kybernetik und Automatisierungstechnik ab. Bis zur Wiedervereinigung übte er diesen Beruf aus.

Von der „Wir in Leipzig“ zum „Wirtschaftsmagazin ARGOS“


Seine ersten Schritte in der Verlagswelt absolvierte er bei der „Wir in Leipzig“ und einem Stadtmagazin für Leipzig. Damit machte er sein langjähriges Hobby zum Beruf. Am 1. Oktober 1992 gründete er mit einem Kollegen den ARGOS Verlag und nur zehn Wochen später erschien die erste Ausgabe des Wirtschaftsmagazins. Die Wahl des Namens ist seiner Leidenschaft zur griechischen Götterwelt geschuldet. ARGOS ist in der griechischen Mythologie ein Riese mit den tausend Augen. In die heutige Zeit gesetzt: Der alles sah und diese Informationen weitergab. So könnte man auch das Mitteldeutsche Wirtschaftsmagazin beschreiben. Es sind die vielen Facetten, die seit über 30 Jahren vom ARGOS Verlag erfasst und veröffentlicht werden. Dabei muss es nicht immer Wirtschaft oder Mitteldeutschland sein. Den bekannten Blick über den Tellerrand findet man – in Form von Kunst, Kultur oder fernen Ländern – genauso im Magazin oder als Sonderausgabe. Beim Thema Kunst liegt Holger Schmahl der „unbekannte Maler aus Leipzig“ besonders am Herzen. Seit etwa zehn Jahren trägt er – mit einer Kollegin – alle Fakten über
Franz Wilhelm Schiertz zusammen.

Die wirtschaftlichen Themen im ARGOS sind immer aktuell und doch nicht vom Mainstream geprägt. Sie wandeln sich mit der Zeit. Was vor einigen Jahren Finanzen und Geldinstitute waren, ist heute die Energiewirtschaft, die im Brennpunkt steht. Der ARGOS Verlag hat Firmen und Institute als Partner und erhält deshalb die Themen „aus erster Hand“. Dabei ist der Verlag doch mehr als das Wirtschaftsmagazin. Er entwickelte auch Heimatkundehefte für zwei verschiedene Regionen Mitteldeutschlands. Für die dritte und vierte Klasse bietet der Verlag damit alles Lehrplan-Relevante über das „Südliche Sachsen-Anhalt“ und „Leipzig und die Region“ an. Außerdem wurden in den 1990er Jahre mehrere Bücher über die Geschichte der Region veröffentlicht.

Einige Tage nach dem 20jährigen Bestehen des ARGOS Verlag – am 4. Oktober 2012 – „adoptierte“ Holger Schmahl, und damit der ARGOS Verlag, eine zwanzigjährige Linde in Gohlis-Süd.

Kommunikation mit allen Sinnen


Auch der Name der Kommunikationsagentur stammt aus der Mythologie. Hier ist der Sentinel der Wächterengel. Die Kommunikationsagentur bietet vom Konzept über die Durchführung bis zu redaktionellen Beiträgen durch den ARGOS Verlag ein Veranstaltungs-Komplettpaket. Wobei Holger Schmahl immer alle Details im Blick hat oder überwacht – wie der Sentinel. Zu den Veranstaltungen der Agentur gehören unter anderem „die Mutter der Wirtschaftsgespräche“ die
Leutzscher Gespräche – diese Reihe gibt es seit 1994. Die stets aktuellen Themen werden von den entsprechenden Firmen präsentiert und laden zum Diskutieren ein. Die anschließenden Gespräche beim Come together werden von den Gästen auch zum Netzwerken genutzt und runden den Abend an. Weitere Gesprächsreihen dieser Art sind bzw. waren zum Beispiel die Ratsgespräche zu Jena, der Ratssalon zu Leipzig, die Kamingespräche oder Kunst, Kommerz & Kommunikation (in Halle/ Saale).

Holger Schmahl verbindet mit den Gesprächsreihen immer wieder Diskussionen mit den geladenen Gästen zu aktuellen Themen. Darüber hinaus werden diese begleitend im Wirtschaftsmagazin ARGOS veröffentlicht. Aber auch Veranstaltungen für andere Firmen, darunter Grundsteinlegungen, Richtfeste oder Podiumsdiskussionen, werden von der Kommunikationsagentur SENTIN.EL organisiert.

Eine besondere, exklusive Veranstaltung war die Verleihung der „Heißen Kartoffel“. Dieser Preis wurde zwischen 1991 und 2017 in Leipzig verliehen. Die Preisträger waren Personen, die sich in besonderer Weise für Mitteldeutschland eingesetzt haben. Zu ihnen gehörten Hans-Dietrich Genscher, Kurt Biedenkopf, Ludwig Güttler, Ingrid Mössinger oder Svante Pääbo. Der Preis ist eine Hand, die versucht, eine heiße Kartoffel zu halten und deshalb mit einem Loch dargestellt wurde. Jede einzelne Skulptur ist ein Unikat eines Leipziger Künstlers. Als Veranstaltungsorte dienten zum Beispiel das Neue Rathaus, der Kuppelhalle der Deutschen Bank oder der Große Sitzungssaal des Bundesverwaltungsgerichtes.

Verknüpft und vorangetrieben hat er die Entwicklungen dieser Verleihungen nicht zuletzt auch durch seine zwanzigjährige Tätigkeit von 1993 bis 2013 als Geschäftsführender Vorstand des Leipziger Pressestammtischs und seines Nachfolgers, des Mitteldeutschen Presseclubs.

Stand: 02.04.2025

Bildergalerie - Schmahl, Holger

Weishaupt, Tobias

Puppenspieler, Gewinner des Theaterpreises 2024 | geb. 1981 in Erfurt

Tobias Weishaupt ist Puppenspieler aus Leidenschaft. Der gebürtige Thüringer gewann 2024 in der Kategorie „Darsteller Theater für junges Publikum“ den Deutschen Theaterpreis „Der Faust“ – für seine darstellerische Leistung in der Puppentheaterinszenierung „Mein ziemlich seltsamer Freund Walter“. Tobias Weishaupt, der seit einigen Jahren in Leipzig wohnt, ist bereits seit mehr als 20 Jahren im Puppentheater aktiv. Seit dem Jahr 2016 gehört er als freiberuflicher Puppenspieler zum Ensemble des Theaters Altenburg Gera.

„Ein großer Glücksmoment“


Das Spiel mit den Puppen ist für Tobias Weishaupt nicht nur eine der ältesten Kunstformen der Welt, es ist für ihn ein echter Animationsprozess. „Für mich sind es immer große Glücksmomente, wenn es gelingt, die Puppen, die ja nur aus Holz, Stoff und anderen leblosen Materialien bestehen, zum Leben zu erwecken.“ Bei der Frage nach der Lieblingspuppe, muss Tobias Weishaupt lange nachdenken. „Mir sind alle Puppen unheimlich ans Herz gewachsen“, sagt er, bevor ihm dann doch eine einfällt: „Friedhelm Fähner aus den beiden Kriminalstücken nach Ferdinand von Schirach ist auf jeden Fall eine meine Lieblingsfiguren.“ Zu all seinen kleinen und großen Puppen hat er eine ganz besondere Beziehung. „Wenn ich ein Stück gespielt habe und die Puppen nach der Vorstellung wieder in die Kiste packe, verabschiede ich mich richtig von ihnen und bedanke mich bei Ihnen für die gute Vorstellung. Das ist für mich ein Stück Dankbarkeit gegenüber dem Material.“

Im Waidspeicher fing alles an


Schon in seiner Kindheit legte der gebürtige Erfurter den Grundstein für seine berufliche Laufbahn, indem er in die Welt des Puppenspiels, eine der ältesten Kunstformen der Welt, eintauchte. Nachdem er sich in der Jugend anderen Dingen gewidmet und das Spiel mit den Puppen etwas aus den Augen verloren hatte, absolvierte Tobias Weishaupt später ein Praktikum im deutschlandweit bekannten Puppentheater Waidspeicher. Danach war der Berufswunsch „Puppenspieler“ für ihn klar. Er entschied sich für ein Studium an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart – der neben der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin einzigen deutschen Hochschule mit dem Studiengang Figurentheater.

„Leipzig – Gera – Altenburg“


Nach dem Studium und zwei weiteren Jahren im Waidspeicher führte ihn sein Puppenspieler-Weg nach Leipzig an das
Theater der Jungen Welt und an das Theater Naumburg. Im Jahr 2014 wirkte er bei dem Marionettenfilm „Cabaret Crusades“ mit, wo er mit dem renommierten ägyptischen Videokünstler Wahl Shawky zusammen arbeitete. Auf eine Ausschreibung hin bewarb er sich 2016 am Theater Altenburg Gera – und wurde angenommen. Seitdem führt er erfolgreich eine „Dreiecksbeziehung Leipzig – Gera Altenburg“ wie er schmunzelnd erzählt. Dank der guten Bahn-Verbindung funktioniere das aber sehr gut. Die Proben finden hauptsächlich in Gera statt. Da das dortige Puppentheater am Gustav-Hennig-Platz derzeit umfassend saniert wird, dient das ehemalige Theaterrestaurant „Szenario“ als Interimsspielstätte. Im September 2025 öffnet das Puppentheater nach der Rundum-Sanierung wieder.

Mit dem Camper auf Tour


Wenn Tobias Weishaupt nicht gerade auf der Bühne steht, liebt er in erster Linie das Reisen. Vor allem in den Theaterferien ist der Puppenspieler oft mit einem alten Camper auf Tour. Den hat er sich kurz vor der Corona-Pandemie gekauft. „Die Kinder sind immer happy, wenn wir mit dem Camper unterwegs sind“, erzählt er. Auch in der Freizeit findet man ihn mit der Familie des öfteren im Theater. „Für meine Frau und mich ist das Theater nicht nur ein Beruf, wir mögen beide das Theater. Wir möchten diese Leidenschaft auch gern an unsere Kinder weitergeben.“ Die beiden Söhne (fünf und zehn Jahre) wandeln derzeit allerdings noch nicht auf Theaterpfaden, „obwohl der Große in der Grundschule in der Theater-AG war“, wie der Wahl-Leipziger stolz erzählt.

Stand: 06.05.2025

Bildergalerie - Weishaupt, Tobias

Wolf, Thorsten

Kabarettist, Schauspieler, Regisseur | geb. am 2. Februar 1965 in Leipzig

Deutschlandweit bekannt wird er als Tierpfleger Conny Weidner. Das ist die gute Seele des Zoo Leipzig in der ARD-Fernsehserie „Tierärztin Dr. Mertens“. Kabarettist und Schauspieler Thorsten Wolf bietet sogar Filmführungen an seine Drehorte an, etwa in den Wildpark Leipzig oder ins historische Stadtbad. Vor der Kamera steht er auch für andere Projekte, darunter mehrmals für den „Polizeiruf 110“ oder in die MDR-Serie „In aller Freundschaft“. In der Musikalischen Komödie ist er als Frosch in der „Fledermaus“ zu sehen. Für ihn ein Ritterschlag, wie er sagt. Das eigene Kabarett, die Leipziger Funzel in der Strohsack-Passage in der Nikolaistraße, hat er im Oktober 2023 allerdings geschlossen.

Bildergalerie - Wolf, Thorsten

Geboren wird Thorsten Wolf am 2. Februar 1965 in Leipzig. Er wächst in Connewitz auf, geht dort in die Karl-Jungbluth-Oberschule in der Bornaischen Straße. Geprägt hat ihn, wie er sagt, das Kiez-Kino UT Connewitz in der Wolfgang-Heinze-Straße, wo er unzählige Filme gesehen hat sowie der Eckladen „Die süße Anna“ am Spielplatz Herderplatz, wo er viel Lutscher und Lakritze kaufte. Viele Jahre habe er in der Hildebrandstraße, später in der Prinz-Eugen-Straße gewohnt. Ein „Südstaatler“, wie er betont.

Ein komisches Talent fürs Kabarett


Nach der Schulzeit erlernt er den Beruf eines Klempners und Sanitärinstallateurs im damaligen Bau- und Montagekombinat Süd. Doch es drängt ihn zur Bühne. Deshalb macht er ab 1984 zunächst beim Amateurkabarett „Baufunzel“ des Betriebes mit, welches aus den „Büroklammern“ hervorgegangen ist. Von 1987 an tritt die „Baufunzel“ öffentlich in Klubs und Klubhäusern auf, darunter in der „Nelke“ in
Grünau, im BMK Süd (heute Amtsgericht) sowie im „Klubhaus der Freundschaft“. Wolf selbst wird rasch zum führenden Kopf des Betriebskabaretts, das als Volkskunstkollektiv, wie es damals heißt, zahlreiche Preise gewinnt. Er ist ein geselliger Typ und liebt es, sein komisches Talent auszuleben.

Nach der Friedlichen Revolution wird das Ensemble freiberuflich tätig. Es gibt sich den neuen Namen Kabarett „Leipziger Funzel“. Das Logo, darunter die Banane, entwickelt Reiner Schade. Und Thorsten Wolf – damals 26 – wird jüngster Theaterdirektor Ostdeutschlands. Das erste Gastspiel in den Westen führt 1990 in Leipzigs Partnerstadt Hannover.

Die eigene Bühne in der Strohsackpassage


Ab 1992 hat das Ensemble seine Spielstätte in der Nikolaistraße 12-14 im Haus
„Zum Rosenkranz“. 1997 bezieht die „Leipziger Funzel“ ihr eigenes Domizil in der Strohsack-Passage. Es beginnen aufregende Zeiten, mit vielen Höhen und Tiefen. Die Vorstellungen sind erfolgreich. Viele bekannte Gaststars aus der Kabarett- und Comedyszene kommen gern zu Gastspielen. Für viele, wie Götz Alsmann, Dieter Nuhr, Karl Dall oder Hella von Sinnen wird es ein Test, wie sie beim Publikum im Osten ankommen. Ein Tiefschlag ist der Tod des Bruders Tobias, mit dem er einst das Kabarett-Theater als Familienunternehmen aufgebaut hat.

Am 31. Oktober 2023 ist Schluss – das Kabarett wird geschlossen. Das ist das Ergebnis langer Überlegungen aus Altersgründen und „aus unternehmerischer Verantwortung“, wie er sagt. Wolf favorisiert einen geplanten Abgang mit Applaus, will nicht mit einem überalterten Ensemble nebst Publikum zugrunde gehen. „Ensemble-Kabarett funktioniert nicht mehr so gut wie früher“, sagt er. „Das Publikum möchte derzeit lieber Gastro-Events, Dinnerbuffets und Brunchhows.“ Das wiederum ist nicht unbedingt Wolfs Ding. Zudem sei der Mietvertrag ohnehin ausgelaufen.

Der Keller in der Strohsack Passage ist längst geräumt. Viele der über Jahrzehnte angesammelten Devotionalien haben über den Flohmarkt neue Besitzer gefunden. Selbst die Bürste seines Klomanns Willi hat der Funzel-Chef versteigert.

Mit der Kneipe „Dr. Faustus“, dem Nachfolger der „First Whisk(e)y Bar“, ist noch ein Stückchen der alten „Funzel“ erhalten geblieben. Ebenso der Kabarett-Stammtisch mit etwa 26 Mitarbeitern. Neben den vielen Terminen in der Leipziger Kulturszene gibt es für Thorsten Wolf immer noch genug zu tun. Nicht nur im Fernsehen. 2025 übernimmt er Regie für das neue Programm „Harakiri to go“ der Leipziger Pfeffermühle. Angebote, eigene Solo-Programme aufzulegen, lehnt er bislang ab. Er will nicht mehr, wie in den vorangegangenen 35 Jahren, viele Abende über einen längeren Zeitraum auf der Bühne stehen. „Wenn Not am Mann ist, springe ich aber zeitlich begrenzt ein.“ Vor allem als Regisseur.

Seine Leidenschaft ist das Reisen


Der gebürtige Leipziger, der Tiere und die Natur liebt, lebt seit 2012 in Taucha. Deshalb ist die Rolle des Cheftierpflegers in der ARD-Fernsehserie ihm auch wie auf den Leib geschrieben. Auf die Tierszenen bereitet er sich akribisch vor. Auf zahlreichen Reisen hat er viele Tierarten auch schon in ihrem natürlichen Umfeld erlebt, etwa die Gorillas in Uganda. Thorsten Wolf ist gern unterwegs, um andere Länder und Menschen kennenzulernen.

Bislang hat er 134 Länder bereist, wie er nicht ohne Stolz sagt. Und auch Vorträge darüber gemacht. Die nächsten Ziele, etwa Südgeorgien und die Falkland-Inseln mit den Kaiserpinguinen, stehen fest. 2026 ist ein Projekt „Wolfsgeheul“ über sein Leben als Schauspieler mit vielen Anekdoten im Central Kabarett Leipzig geplant. Ein Team hat ihn zudem über ein Jahr lang begleitet, um einen Dokumentarfilm zu drehen. In seiner Freizeit ist Wolf leidenschaftlicher Skatspieler, darunter auch Ehrenvorsitzender bei den Muldenperlen in Grimma. Nach wie vor ist er beratend tätig, wenn es um Kulturförderung in Leipzig geht.

Stand: 21.02.2025

Wagler, Silke

Modedesignerin, Schneiderin | geb. am 4. Dezember 1968 in Leipzig

„Mode ist vergänglich. Stil bleibt“ – dies können vorbeifahrende Bootsfahrer auf dem Elstermühlgraben am ehemaligen Kutscherhaus lesen, in dem eine der bekanntesten Modedesignerinnen Leipzigs ihr Atelier betreibt. Silke Wagler verbindet in der Käthe-Kollwitz-Straße 61 die Handwerkstradition des Maßschneiderns mit zeitgemäßem Design. Seit 1990 ist Wagler, die ihr Handwerk in den Theaterwerkstätten des Leipziger Schauspielhauses erlernt, mit ihrem Label Silke Wagler Couture erfolgreich. Das Atelier entwirft individuelle und maßgeschneiderte Mode. Dazu gehören Abendkleider und Festgarderobe für Damen und Herren ebenso wie der klassische Herrenanzug sowie Brautmode und Bühnengarderobe.

Bildergalerie - Wagler, Silke

Geboren wird Silke Wagler am 4. Dezember 1968 in Leipzig und wächst zunächst in Lindenau, später dann in Wahren in Nähe des Auwaldes auf, besucht die Schule in Stahmeln. Ihre Eltern stammen beide aus dem Erzgebirge. Schon die Mutter näht viel und gern, der Vater ist Textilingenieur in einer Forschungsabteilung des Volkseigenen Betriebes Baumwollspinnerei. So gesehen wird Silke Wagler die Liebe zur Schneiderei in die Wiege gelegt. Nach der Schule will sie eigentlich Kostümbildnerin werden. Die junge Frau macht das, was sie am besten kann: Schneidern, Nähen, Sticken. Das Hobby wird zum Beruf. Sie beginnt eine Ausbildung zur Herrenmaßschneiderin bei den Leipziger Theaterwerkstätten.

Eine Karriere im eigenen Unternehmen hat sie damals nicht im Blick. Gleich nach der Wende rät ihr ein Freund, der Galerist Gerd Harry „Judy“ Lübke: „Mach dich doch selbständig, mehr als schiefgehen kann es nicht.“ Ausgerüstet mit einigen alten Nähmaschinen ihrer Mutter eröffnet sie an ihrem 22. Geburtstag schließlich einen Laden im Leipziger Osten. Es ist das „East End“ in der Schulze-Delitzsch-Straße. Dort wohnt sie damals in einem besetzten Haus. Der Laden ist ein Lager, in dem sie auch Mainelken und „sozialistische Winkelemente“ vorfindet. Die verwendet sie später für ihre Kollektion zur ersten Modemesse „Demoschick“ im Ring-Messehaus.

Ein Gegenentwurf zur Massenkollektion


In Leipzig hat sie während der
Friedlichen Revolution gegen die Wut und für die Freiheit demonstriert. Später dann auch für ein vereinigtes Deutschland. „Viele Menschen haben Leipzig nach der Wiedervereinigung den Rücken gekehrt. Das hat bei mir eine Trotzreaktion ausgelöst“, sagt sie in einem Interview. Konkurrenz gibt es kaum. Viele Westler haben den Ostdeutschen damals keinen Geschmack zugetraut. Die großen Ketten übernehmen den Handel und bringen oft den Ramsch mit, den sie im Westen nicht loswerden. Silke Wagler will aber nichts von der Stange, vielmehr ihre eigenen Kreationen entwerfen. Und bietet einen Gegenentwurf zur Massenkonfektion an.

Von „East End“ – sicherlich damals nicht die beste Adresse für Mode – geht es weiter in die Jahnallee, später zusätzlich in Specks Hof. Beide Geschäfte vereint sie schließlich und zieht im Jahr 1999 an den Thomaskirchhof. Dort eröffnet sie das „Modeatelier Silke Wagler Couture“, das schnell stilbewusste Menschen anzieht. Die Kunden kommen aus Leipzig, Wien, Zürich und New York. Schauspieler, Politiker und Geschäftsleute sind dabei. Eine der bekanntesten Kundinnen ist die Verlegerin Friede Springer.

Zum 30. Firmenjubiläum im Jahr 2020 scheint alles vorbei zu sein. Corona und der Lockdown haben die Gesellschaft fest im Griff. Plötzlich gibt es keine Hochzeiten, keine Bälle, keine Feste und Empfänge mehr, bei denen stilvolle Abendgarderobe gefragt ist. Auch der Opernball, für das Geschäft der Höhepunkt im Jahr, wird abgesagt. Im Geschäft stehen plötzlich heulende Bräute und Abiturientinnen, erzählt sie, die plötzlich nicht mehr zum Ball dürfen. Auch Silke Wagler ist zum Heulen zumute. Plötzlich will niemand mehr Abendroben oder Fracks für diverse festliche Anlässe. Aber sie gibt nicht auf.

Corona bringt Aus für Atelier am Thomaskirchhof


Sie stellt ihr Geschäft rigoros um. Im Atelier werden nur noch Schutzmasken gefertigt – aus Stoff. Modelle aus dunkelblauem Brokat werden bis nach Mallorca und Österreich geliefert. Für die Stadt Leipzig näht sie jetzt 1.000 Schutzkittel. Das größte Risiko bleibt jedoch die Miete für den 220 Quadratmeter großen Laden in bester Citylage. Die Modemacherin muss im Dezember 2020 ihr edles Atelier am Thomaskirchhof räumen. Sie zieht zunächst in ein Interim in der Berliner Straße, nimmt Corona-Hilfen in Anspruch und schafft es, dass ihr Lehrling die Ausbildung bei ihr beenden kann.

Mit der Rückkehr gesellschaftlicher Ereignisse nach Corona geht es wieder aufwärts. In der Käthe-Kollwitz-Straße 60, einem ehemaligen Kutscherhaus, werden Räume frei. Die sind zwar kleiner als im früheren Atelier, aber mit inspirierendem Blick ins Grüne und auf vorbeifahrende Boote auf dem Elstermühlgraben. Statt acht Mitarbeitern sind jetzt nur noch drei an Bord. Steve Rosenstock, den Silke Wagler im August 2024 heiratet, unterstützt sie dabei. Der Betriebswirtschaftler, der zuvor Start-ups fit macht, und die Künstlerin stellen das Unternehmen nun gemeinsam komplett neu auf.

Unikate sind auf Kunden zugeschnitten


Mittlerweile gibt es drei klare Produktlinien: Im Bereich Couture bietet sie Meisterwerke, von denen es jeweils nur ein Exemplar gibt. Im Bereich Prêt-à-porter entsteht Kleidung in kleinen Stückzahlen. Sie arbeitet beispielsweise auch für die App des Online-Händlers Otto und fotografiert dafür mit großem Aufwand die Kollektion. Und unter dem Stichwort „Privilege Club“ entsteht schließlich Maßkonfektion, die in Leipzig entworfen, aber in Portugal und Frankreich gefertigt wird. Sie näht ebenfalls außergewöhnliche Kleidung, etwa die Weste von
Friedrich Schiller fürs Museum oder eine Kopie von Kleidern aus beliebten Serien wie „Bridgerton“. Kostüme für das Mendelssohn-Haus hat sie ebenfalls bereits genäht. Sie versuche, gute Aufträge für ihr Team zu bekommen. Denn das sind alles Kunsthandwerker.

„Letztlich möchte ich meinen Kunden Unikate verkaufen, die in Farbe, Material und natürlich der Passform komplett auf sie zugeschnitten sind“, beschreibt sie ihre Philosophie. Mittlerweile gibt es zwar Dutzende Mode- und Design-Schulen in ganz Deutschland. Doch nichts gehe über ein ordentliches Handwerk. Das gelte es zu wahren, betont sie. Bei ihr wird alles von Hand und auf Maß gemacht. Das Team bietet handwerkliche Expertise – von der Beratung über die Skizzierung und Stoffauswahl bis zur Herstellung des Wunsch-Kleidungsstücks. „Wir machen Produkte, die wirklich lange halten. Das ist unser Anspruch“, sagt sie und verweist auf einen Hausmantel, der vor 25 Jahren gefertigt wurde. Verändert hat sich seitdem nur der Besitzer.

Dabei ist der Modedesignerin und Schneiderin eins klar: Mode ist und bleibt ein hartes Geschäft. Härter, als sie einst dachte. „Es ist für mich ein großes Experiment, das immer noch läuft“, betont Silke Wagler.

Stand: 06.09.2024

Tiefensee, Wolfgang

Politiker, Oberbürgermeister | geb. am 4. Januar 1955 in Gera

Die Fotos bleiben wohl ewig in Erinnerung: Leipzig setzt sich am 12. April 2003 mit seiner Bewerbung für Olympia 2012 im deutschen Vorentscheid sensationell gegen Hamburg durch. Neben dem emotionalen Bewerbungsvideo überrascht an jenem Tag der damalige Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee mit seinem Cello-Spiel. „Dona Nobis Pacem“ (Gib uns Frieden) spielt er auf dem Cello. Viele glauben an ein „zweites Leipziger Wunder“ – in Anspielung auf die Friedliche Revolution. International platzt der Olympiatraum. London erhält schließlich für Olympia 2012 den Zuschlag. Im November 2005 wechselt der SPD-Politiker nach Berlin und wird Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.

Bildergalerie - Tiefensee, Wolfgang

Geboren wird Wolfgang Tiefensee am 4. Januar 1955 im thüringischen Gera. Er wächst in einer sehr musikalischen Familie auf. Die ist katholisch geprägt. Der Vater ist der Komponist und Kapellmeister Siegfried Tiefensee, die Mutter eine sozial engagierte Hausfrau. Mit seinen drei Geschwistern wächst er in Leipzig auf, die Familie zieht 1958 in die Messestadt um. Der Vater übernimmt die Stelle eines Kapellmeisters am Theater der Jungen Welt.

Ein Katholik wird Bausoldat


Wolfgang Tiefensee erhält frühzeitig Instrumentalunterricht. Er ist weder Mitglied der Jungen Pioniere noch der Freien Deutschen Jugend, nimmt auch nicht an der Jugendweihe teil. Im Jahr 1973 macht er an der Erweiterten Oberschule „Georg Dimitroff“ das Abitur. Zum Studium darf er zunächst nicht. Als junger Mann gewinnt er mit dem Cello den Bachwettbewerb, lernt Gitarre und spielt in einer Band.

Tiefensee macht eine Ausbildung zum Facharbeiter für Nachrichtentechnik, verweigert 1975 aus Gewissengründen den Dienst an der Waffe in der Nationalen Volksarmee. Dort wird er schließlich Bausoldat, was durch seine religiöse Verbundenheit möglich ist. Seine Frau Gabriele heiratet er 1976, aus dieser Ehe gehen zwei Söhne und zwei Töchter hervor.

Für Freie Pädagogik am Runden Tisch


1979 kann Tiefensee dann ein Studium als Ingenieur für industrielle Elektronik an der Ingenieurschule in Görlitz abschließen und arbeitet danach im Fernmeldeamt Leipzig auf dem Gebiet Forschung und Entwicklung. Ab1986 bis 1990 wechselt er als Entwicklungsingenieur in die Sektion Elektroenergieanlagen der
Technischen Hochschule Leipzig. Er beginnt ein weiteres berufsbegleitendes Studium, erwirbt den Abschluss eines Diplom-Ingenieurs für Elektrotechnik.

Die Unzufriedenheit mit dem politischen System in der DDR nimmt zu. Tiefensee schließt sich der Opposition an. 1989 engagiert er sich erstmals politisch in der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt, die er in der Arbeitsgruppe Freie Pädagogik schließlich am Runden Tisch in Leipzig vertritt. Bildungsfragen werden schließlich sein Spezialgebiet und es ist folgerichtig, dass er 1990 zum Amtsleiter des Schulverwaltungsamtes der Stadt Leipzig gewählt wird. Leipzig braucht unbelastete Menschen, die die Kommunalpolitik steuern können. Das hat der aus Hannover kommende Hinrich Lehmann-Grube, der seit Juni 1990 Leipziger Oberbürgermeister ist, rasch erkannt.

Vom Schulamtsleiter zum Oberbürgermeister


Eine Zeitlang sitzt der Parteilose Wolfgang Tiefensee für
Bündnis 90 – damals eine Vereinigung der Bürgerrechtsgruppen – in der Stadtverordnetenversammlung. Das Mandat gibt er zurück, als er in die Verwaltung wechselt. Dort gibt es gigantische Aufgaben zu lösen – die Modernisierung maroder Schulen wird die Stadt über Jahrzehnte beschäftigen. Es gilt aber auch, ideologischen Ballast abzuwerfen, neue demokratische Schulformen zu entwickeln. 1992 folgt der nächste Karriereschritt: Das agile Rednertalent wird Stadtrat für Jugend, Schule und Bildung. 1994 wird er dann Bürgermeister und erster Stellvertreter von Hinrich Lehmann-Grube sowie Beigeordneter für Jugend, Schule und Sport. 1995 tritt Wolfgang Tiefensee in die SPD ein. Der charismatische Redner empfiehlt sich rasch für höhere Aufgaben. Seine Partei baut ihn als Nachfolger von Lehmann-Grube auf. „Wir Leipziger schaffen das!“ wird sein Wahlkampf-Slogan. Das gelingt: Am 26. April 1998 wird Tiefensee im zweiten Wahlgang für sieben Jahre zum Oberbürgermeister von Leipzig gewählt.

Tiefensee engagiert sich für die Ansiedlung von Großunternehmen in Leipzig. 1999 wird Porsche Leipzig gegründet. Im neuen Montagewerk entstehen zunächst 300 Arbeitsplätze – das ist angesichts der hohen Arbeitslosigkeit zwar nicht unbedingt viel. Doch die exklusive Marke wird zu einer Art Initialzündung. Am 7. Mai 2002 erfolgte der erste Spatenstich für das BMW-Werk Leipzig. Dabei erweisen sich die Eingemeindungen nach Leipzig als Glücksfall, da die notwendigen Flächen bereitstehen. 2004 beschließt DHL, ihr Europa-Luftfracht-Drehkreuz an den Flughafen Leipzig/Halle zu verlegen. Das bleibt zwar aufgrund des nächtlichen Fluglärms umstritten. Doch für den Wirtschaftsstandort Leipzig sind es beachtliche Erfolge, wobei die Arbeitslosigkeit nach wie vor hoch bleibt. Es sind nicht allein seine Erfolge – doch er weiß sich gut zu verkaufen.

Eine Politkarriere in Berlin und Erfurt


Nach der gewonnenen Wahl 2002 will ihn Bundeskanzler
Gerhard Schröder als Minister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen nach Berlin holen. Doch der Leipziger Oberbürgermeister lehnt ab und begründet dies mit seiner starken Verbundenheit mit Leipzig sowie der Einbindung in die Olympiabewerbung. Damals entsteht in Leipzig und im Umland ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl. Viele Leute sind von der Kampagne unter dem Motto „One Family“ begeistert. „Jenseits vom Tagesgeschäft braucht es solche Visionen, sonst entsteht kein Aufbruch“, erinnert sich Tiefensee in Interviews an die enorme Begeisterung. In Berlin arbeitet Tiefensee in der Kommission mit, in der die Hartz-Reformen entstehen.

Bei der Oberbürgermeisterwahl am 10. April 2005 wird Tiefensee im ersten Wahlgang mit 67,1 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Ein halbes Jahr später wechselt er in die Bundesregierung, als Verkehrsminister unter Kanzlerin Angela Merkel. In der Regierung wird ihm auch die Funktion des Ost-Beauftragten übertragen. Seine Ehe mit Gabriele Tiefensee wird 2011 geschieden.

Die Aura des Besonderen, die Tiefensee in Leipzig umgeben hat, verflüchtigt sich in der Hauptstadt allerdings rasch. Der Verkehrsminister muss viel Kritik einstecken. Diverse Großprojekte, wie die Bahnreform, scheitern. Dem Aufbau Ost vermag der sozialdemokratische Hoffnungsträger aus dem Osten keine wirklichen Impulse zu geben. 2009 ist es mit der Großen Koalition vorbei. Er wird „einfacher Bundestagsabgeordneter“. Seit Juni 2012 ist er dann wirtschafts-, später auch energiepolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. 2013 regiert die SPD wieder mit der CDU – auch da erhält er keinen Posten mehr. Tiefensee gehört dem Deutschen Bundestag bis Dezember 2014 an.

Es folgt eine Politkarriere im Freistaat Thüringen, die mit der Wahl von Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten Thüringens beginnt. Er holt Wolfgang Tiefensee als Wirtschafts- und Wissenschaftsminister in sein Kabinett. Seit dem 11. März 2018 ist Tiefensee zudem Vorsitzender der SPD Thüringen.  Am 1. September 2024 wählte Thüringen seinen neuen Landtag. Die rot-rot-grüne Koalition verfehlt deutlich die Mehrheit. Minister in Erfurt bleibt er in der Übergangsregierung. In der neuen Regierung ist er nicht mehr dabei.

Stand: 14.12.2024

Stülpnagel, Karl Heinrich von

Restaurator, Möbelhistoriker, Heraldiker | geb. am 13. November 1960 in Hannover

Die Bedeutung des Namens von Stülpnagel bleibt wohl ein wenig im Dunkel des Mittelalters verborgen. Obwohl die Familie umfangreiche Forschungen betrieben hat, ist die genaue Herkunft des Namens nicht eindeutig geklärt. Fakt ist aber, dass es sich um ein uckermärkisches Adelsgeschlecht handelt, welches 1321 erstmals schriftlich erwähnt wird. Heute sind die Familienmitglieder weit in ganz Deutschland verstreut. In Leipzig lebt Karl Heinrich von Stülpnagel. Er ist Leitender Restaurator des Ägyptischen Museums der Universität Leipzig und zuständig für 7.000 Objekte. Außerdem ist er Vorsitzender seines Familienverbandes, dessen prominentester Vertreter Carl-Heinrich Rudolf von Stülpnagel war. Der General der Infanterie und Militärbefehlshaber in Frankreich ist am Umsturzversuch und Attentat auf Hitler von 20. Juli 1944 beteiligt und wird nach dessen Scheitern in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Das hat seinen Enkel, den jungen Karl Heinrich, sowie die ganze Familie geprägt.

Bildergalerie - Stülpnagel, Karl Heinrich von

Experte für gotische Truhen in Lüneburger Heide


Geboren wird Karl Heinrich von Stülpnagel am 13. November 1960 in Hannover. Dort wächst er auch auf und besucht die Freie Waldorfschule in der niedersächsischen Landeshauptstadt. Vater Walter ist leitender Baudirektor und Kammerdirektor der Klosterkammer Hannover, die ehemaliges klösterliches Vermögen verwaltet. Mutter Annemarie ist im zweiten Job Kunsthändlerin. Daher wird der junge Karl Heinrich „mit Antiquitäten groß“, wie er selbst sagt, und entschließt sich 1977 nach der Schule zu einer Tischlerlehre. Er möchte Möbelrestaurator werden. Also macht er eine Ausbildung als Restaurator für Möbel und Holzobjekte.

„Möbelrestaurator bin ich allerdings nicht, da ich nicht polieren kann“, sagt er heute. Anders als in der DDR konnte man zu der Zeit im Westen Deutschlands das Restaurieren nicht studieren, nach einer Lehre folgen sechs praktische Jahre an unterschiedlichen Institutionen. Danach geht es an das niedersächsische Heidekloster Wienhausen, wo er ein Forschungsprojekt über die gotischen Truhen der Lüneburger Heide-Klöster beginnt. Das mündet in einer Monografie über die Entwicklung von Möbelkonstruktionen im Mittelalter, das zum Standardwerk wird. Danach wird er ins Museumsdorf Hösseringen, ein Freilichtmuseum bei Uelzen, abgeworben, um sich mit neuzeitlichen Truhen zu beschäftigen.

Die Werkstatt des Ägyptischen Museums


Nach Leipzig verschlägt ihn ein Zufall.
Barbara Fölber, Chefrestauratorin im GRASSI Museum für Völkerkunde, besucht nach der Friedlichen Revolution eine Tagung. Sie erwähnt beim abendlichen Plausch, dass das Ägyptische Museum in Leipzig händeringend einen Restaurator sucht, und beide tauschen ihre Visitenkarten aus. Sie erzählt Professorin Elke Blumenthal, der damaligen Leiterin des Ägyptischen Museums, davon. Diese schreibt schließlich einen Brief an von Stülpnagel und fragt an, ob er nicht die Werkstatt ihres Hauses übernehmen will. An einem dunklen, grauen und regnerischen Tag im November 1991 kommt er nach Leipzig und bleibt. Das Museum präsentiert sich zwar in keinem guten Zustand, ist jedoch gut organisiert. Schlechte Lagerzustände von Sammlungen kennt er aus den Freilichtmuseen im Westen und nimmt die Herausforderung an, Magazin und Werkstatt des Ägyptischen Museums völlig neu aufzubauen sowie eine Generalinventur des Bestandes vorzunehmen. Universitäts-Kanzler Peter Gutjahr-Löser reist persönlich nach Dresden, um den neuen Restaurator einstellen zu können. Nach Umstrukturierung von Fakultäten der Universität Leipzig muss das Ägyptische Museum im Jahr 2000 aus der Schillerstraße 6 ausziehen – zunächst ins Interim in der Burgstraße 8. Das erfordert viel Aufwand und eine gute Logistik. Dabei müssen auch jene Objekte bewegt werden, die eigentlich gar nicht transportfähig sind. Sein endgültiges Domizil findet das Museum im Krochhochhaus am Augustusplatz.

Mit den Ausstellungsobjekten auf Reisen


Das Museum verfügt schon seit 1994 über ein Schaudepot, in dem alle Objekte zugänglich sind. Deshalb müssen alle aufstellbar sein, was dem Restaurator viel Arbeit beschert. Ägyptologie hat ihn eigentlich nie interessiert. Damit kokettiert Karl Heinrich von Stülpnagel stets: „Ein Zahnarzt interessiert sich für die Zähne eines Menschen, nicht für die Psyche. Das ist ein anderer Job“, sagt er. Er wiederum kümmere sich um restauratorische, konservatorische und museologische Aufgaben eines Objektes. Wer es aus welchem Grund in welcher Epoche benutzt hat, sei jedoch Sache der studierten Ägyptologen. Er wiederum sei für die richtige Lagerung, die Konservierung und gelegentlich das Zusammensetzen eines zerstörten Objekts zuständig. Und für den Leihverkehr.

Das Ägyptische Museum nutzt seine Sammlung, um Objekte bei Sonderschauen auch außerhalb Leipzigs zu zeigen. So hat sich eine gute Kooperation mit dem Náprstek Museum der asiatischen, afrikanischen und amerikanischen Kultur entwickelt, das zum Nationalmuseum Prag gehört. Von Stülpnagel entscheidet, ob ein Transport überhaupt zu verantworten ist. Bei einem Großteil der Objekte ist dies ohnehin ausgeschlossen und bereits in den Sammlungsunterlagen vermerkt. Außerdem handelt der Restaurator und Möbelhistoriker gemeinsam mit der Rechtsabteilung der Universität Leipzig den Leihvertrag aus, legt fest, wie die klimatischen Bedingungen und das Licht bei der Präsentation sein müssen. Zu allen Leihstationen reist er zum Schutz der Leihgaben mit. Bei der Übergabe wird der Zustand des Objektes dokumentiert und fotografiert. Das kann auch mal länger dauern, wenn die Ausstellung noch nicht genügend vorbereitet, die Vitrinen nicht geeignet sind.

Aktiv in Forschung und Lehre der Universität


Zunächst wollte von Stülpnagel höchstens fünf bis sieben Jahre in Leipzig bleiben. Doch die Universität Leipzig gibt ihm die Möglichkeit, in Lehre und Forschung mitzuarbeiten und selbst zu unterrichten. Etwa bei Möbel-Seminaren am Institut für Kunstgeschichte der Universität Leipzig, aber auch bei den Museologen an der
Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK). Heraldik – auch ein Steckenpferd – unterrichtet er ebenfalls. „Wappen haben mich immer interessiert“, bekennt er. Der Experte für Heraldik hat auch ein Buch über die Epitaphe der Martin-Luther-Kirche in Markkleeberg-West geschrieben.

In die altägyptische Möbelkunde arbeitet er sich ebenso ein und bezieht auch bei wissenschaftlichen Diskussionen klare Positionen. Etwa bei der Frage, ob mumifizierte menschliche Körper überhaupt ausgestellt werden dürfen. Von Stülpnagel findet, dass Museen nicht das Recht haben, sich über religiöse, ethische und moralische Vorstellungen Verstorbener hinwegzusetzen und menschliche Überreste auszustellen. Das gelte auch für die alten Ägypter. Darüber hat er viele Vorträge gehalten. Und sich intensiv mit Gunther von Hagens gestritten, als der seine „Körperwelten“ präsentierte.

Ein Allgemeinmediziner greift auf Experten zurück


In den letzten Jahren restaurierte Karl Heinrich von Stülpnagel kaum noch selbst. Die Sammlung ist ohnehin in einem guten Zustand. Zudem hat er in den letzten drei Jahrzehnten ein Netzwerk mit restauratorischen Fachhochschulen und Akademien aufgebaut, die bei Bedarf kostengünstig Aufgaben an den Lehrobjekten übernehmen. „Ich vergleiche mich mit einem Allgemeinmediziner, der seinen Patientenstamm kennt und maximal Mandeln entfernt oder einen Blinddarm operiert. Den Rest übernehmen die Experten auf dem jeweiligen Gebiet“, erklärt er.

Momentan wird die Sammlung des Ägyptischen Museums durch ein modernes Computerprogramm datenmäßig neu erfasst – das ist eine zweite Generalinventur nach der Wende. Und von Stülpnagel, der so wie kaum ein anderer die Sammlung gut kennt, ist mittendrin. 2025 hat er sich in den Ruhestand verabschiedet, ohne sich wirklich zur Ruhe zu setzen. Weitere Projekte folgen – so erforscht er für das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig die Wappen bekannter Leipziger Familien. Von Stülpnagel lebt mit Ehefrau Angelika, eine gebürtige von Arnim, in Markkleeberg. Das Paar ist seit 1995 verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.

Stand: 13.05.2025

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