Auf dem Dachboden seines Elternhauses findet Mike „mit seiner Bande“ Stahlhelm, Koppel, Patronentasche, die von der US-Army stammen. Großeltern und Eltern erzählen schon vorher, wie die Amerikaner im April 1945 Leipzig vom Nationalsozialismus befreien und gut drei Monate bleiben. Dann übernimmt die Rote Armee. Die gelten in den offiziellen DDR-Geschichtsbüchern als Befreier, wie es der spätere Kabarettist und Schauspieler Meigl Hoffmann aus der Schule kennt. Die Geschichten um die Amerikaner fesseln den Jungen, der später mit einer Bürgerinitiative wesentlich dazu beiträgt, das Capa-Haus in der Jahnallee vor dem Abriss zu bewahren und in einer Ausstellung an die Befreiung Leipzig durch die US-Army zu erinnern.
Ein Punker rebelliert gegen das System
Geboren wird Mike Hoffmann am 18. Juni 1968 in Leipzig. Als Sohn der Leichtathletin Wilfriede Hoffmann wächst er in der Lortzingstraße in Nähe des Rosentals auf. Er geht zur Leibniz-Schule am Nordplatz. 1985 bis 1987 absolviert er eine Lehre als Maschinen- und Anlagenmonteur in Schkeuditz. Das ist eher Zufall – eigentlich will er Sportreporter werden oder Archäologie studieren. Doch die Mutter ist 1974 im Westen geblieben und will die Familie nachholen. Da ist für Meigl trotz guter Noten weder das Abitur noch ein Studium drin.
Er definiert sich als Punker. Meigl gründet mit Freunden das Lehrlingskabarett Mutanfall. Dieser Name ist bewusst an die Leipziger Punkband Wutanfall angelehnt. Er rebelliert gegen das DDR-System, stellt nach dem Abschluss der Lehre einen Ausreiseantrag, der allerdings erst im Herbst 1989 bewilligt wird. Am 5. Oktober 1989 – vier Tage vor dem entscheidenden Tag der Friedlichen Revolution in Leipzig – siedelt er nach Frankfurt/Main über. Dort lebt seine Mutter. Er bekommt einen Job im Jazzlokal Mampf als eine Art Hausdichter.
Viele eigene Kabarettbühnen entstehen
Doch es hält ihn dort nicht. Am 9. November 1989 fällt die Mauer, schon Weihnachten 1989 kehrt er in seine Heimatstadt zurück. Er schlägt sich als Anstreicher und Möbelträger durch. Dann kann er die Kneipe „Goldenes Herz“ in Gohlis übernehmen, in der er eine Bühne für Jazz und Kabarett aufbaut. Nach einem Jahr ist allerdings Schluss – die Kneipe wird verkauft, er herausgedrängt. Er wechselt über eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ins Kulturzentrum Werk 2 in Connewitz, wo der Betrieb gerade abgewickelt wird. Dort beaufsichtigt er Arbeiter, die den Betrieb abwickeln, und baut in „Dor Feixer“ (heute Gaststätte ConnSTANZE) eine kleine Bühne auf. 1992 gründet Meigl Hoffmann mit zwei Schulfreunden das Kabarett Gohglmohsch. Das spielt im König-Albert-Haus am Markt, später eine Zeitlang im Kosmos-Haus in der Gottschedstraße. 1999 löst sich das Ensemble auf. Meigl Hoffmann tritt beim Kabarett academixer auf.
2007/08 erfolgt eine Neuauflage des Kabaretts Gohglmohsch, bevor er mit Karsten Wolf zunächst in der Marktgalerie 2009 das Leipziger Central Kabarett ins Leben ruft. Das Kabarett zieht nach einem Jahr schließlich ins König-Albert-Haus, wo gemeinsam mit Hendrik Dantz eine Firma gegründet wird. 2018/19 steigt Meigl aus. Das Central Kabarett hat bis heute seine Spielstätte im König-Albert-Haus.
Fortan ist er Darsteller und Autor in der Leipziger Pfeffermühle. Anfang 2025 konzentriert er sich mehr auf Tourneen und die Arbeit als freier Künstler mit verschiedenen Solo-Programmen. Denn er lebt mit seiner Frau in der Schweiz, die dort als Ärztin arbeitet. Er tritt inzwischen häufig in der Schweiz auf. Gemeinsam mit dem Pianisten Karsten Wolf erwirbt er 2016 die Traditionsgaststätte Waldschänke in Zwickau. Dort tritt er vorher oft auf, beide wollen das Lokal vor der Schließung bewahren.
Auf den Spuren von Robert Capa
Leipzig ist aber nach wie seine Heimatstadt, für deren Historie er sich sehr interessiert. Daher auch das Engagement fürs Capa-Haus, dessen Geschichte er ausfindig macht. Das beginnt mit einem Zufall. Im Dezember 1988 sieht er im „Sno’Boy“, einem Untergrundmagazin, fünf Fotos von Robert Capa, die amerikanische Soldaten in Leipzig zeigen. Von diesem von Peter Hinke herausgegebenen Kunstmagazin gibt es 35 Exemplare. Die Capa-Bilder sind illegal aus dem „Giftschrank“ der Deutschen Bücherei abfotografiert worden. Er ist wie elektrisiert und will wissen, wo die Fotos gemacht wurden und wer darauf zu sehen ist. Bis das klarer wird, vergeht allerdings noch fast ein Vierteljahrhundert. Er nimmt Kontakt zum Amerikanischen Generalkonsulat auf, trifft später US-Veteranen der 69. Infanteriedivision der US-Army.
Hoffmann sucht das Gebäude, von dem das Foto mit dem letzten Toten gemacht wurde. Er sucht vor allem nach einem markanten Metallgeländer mit Jugendstilornamenten am Balkon. Und glaubt, es in der Jahnallee 61 gefunden zu haben. Das Gebäude steht leer und ist in einem katastrophalen Zustand. Es gibt bereits eine Abrissgenehmigung der Stadt. Mit einem Freund steigt er in das Haus ein, in dem die Decken zum Teil bis zum Keller durchgebrochen sind und selbst die Holztreppen wackeln. „Ich bin instinktiv in die zweite Etage hoch“, erzählt Hoffmann. Aus dem Fenster der Mittelwohnung sieht er links das Straßenbahndepot, gegenüber die Gastankstelle und rechts die Zeppelinbrücke – und erkennt dann beim Zusammenfügen der Details zuhause, dass alles wie auf den Bildern von Robert Capa ist. Nur der Balkon ist vorher abgerissen worden. Christoph Kaufmann, damals Leiter der Fotothek im Stadtgeschichtlichen Museum, hat ebenfalls recherchiert – und die Bestätigung in den Bauakten gefunden.
Bürgerinitiative rettet Capa-Haus
Er beginnt, gemeinsam mit anderen Enthusiasten, für den Erhalt des Gebäudes zu kämpfen. Eine Bürgerinitiative Capa-Haus entsteht. Die Eigentümer der unter Denkmalschutz stehenden Immobilie wechseln. Am Silvesterabend 2011/12 brennt auch noch der Dachstuhl. Der Bürgerinitiative gelingt es, den Namen des toten Soldaten auf dem Foto, Raymond J. Bowman aus Rochester, Monroe County, New York zu ermitteln. Und sie holen Bowmans Kameraden Lehman Riggs, der mit ihm gemeinsam das Maschinengewehr bediente, im Frühjahr 2012 nach Leipzig. Dieser ist damals 92 Jahre alt.
Die Bürgerinitiative interessiert den Immobilienmakler Horst Langner aus Franken für die Geschichte. Dieser erwirbt das Haus und saniert es. Gut zehn Millionen Euro investiert Langner in die denkmalgerechte Sanierung. Im heutigen „Palmengarten-Palais“, wie es offiziell heißt, sind Eigentumswohnungen entstanden. Bekannter ist es aber als Capa-Haus geworden. Im Erdgeschoss entstand zunächst das Café Eigler samt kleinem Museum, das an die Ereignisse aus dem April 1945 erinnert. Doch das Café muss 2021 schließen.
Heute wird das Erdgeschoss des Capa-Hauses gemeinsam vom Stadtgeschichtlichen Museum, der Bürgerinitiative Capa-Haus sowie dem Verlag Hentrich & Hentrich für jüdische Kultur und Zeitgeschichte betrieben. Die Ausstellung „War is over“ ist überarbeitet, im kleinen Saal finden regelmäßig Veranstaltungen statt. Vom „Sno’Boy“ kann Meigl Hoffmann sogar ein Exemplar ergattern, das nun als Leihgabe in der Bibliothek des Stadtgeschichtlichen Museums ist. Gerettet hat Hoffmann ebenso das berühmte Schild „Nikolaikirche – offen für alle“, das er dem Zeitgeschichtlichen Forum übergeben hat.
Als Künstler auf vielen Bühnen unterwegs
Als vielseitiger Kabarettist, Schauspieler und Autor ist Meigl Hoffmann weiterhin über die Stadt Leipzig hinaus unterwegs und hat sich einen Namen gemacht. Die Bühne des leidenschaftlichen Spötters ist da, wo er sich gerade befindet. Für sein unkonventionelles Lebenswerk bekommt Hoffmann unter anderem den Berliner Preis „Der Eddi“. Seit 2020 ist er ebenfalls regelmäßig im LVZ-Fußball-Podcast „Die Rückfallzieher“ mit Guido Schäfer zu hören. Und vielleicht schreibt er seine Erlebnisse mal in einem Buch auf – interessanten Stoff aus seinem Leben gibt es genug.
Stand: 17.09.2025