Eine Afrikanerin, ein Chinese und ein Indianer zieren als drei von insgesamt acht Figuren die Fassade des imposanten Gebäudes am Wilhelm-Leuschner-Platz, das die Leipziger Stadtbibliothek beherbergt. Dieses wird einst als Museum für Völkerkunde- und Kunstgewerbe am damaligen Königsplatz gebaut. Architekt und Stadtplaner Hugo Licht entwirft das alte Grassimuseum, das zwischen 1892 und 1895 entsteht. Eröffnet wird es am 5. Februar 1896 durch Oberbürgermeister Otto Georgi. Benannt ist es nach seinem Stifter, dem Bankier und Kaufmann Franz Dominic Grassi. Seit 1929 ist das Grassimuseum in einem damals errichteten Neubau am Johannisplatz zu finden. Bis die Leipziger Stadtbibliothek den Bau am Leuschnerplatz beziehen kann, ist es ein weiter Weg.
Advokat hinterlässt vielfältige Büchersammlung
Huldreich Groß, ein Advokat und Finanzbeamter, legt am 10. April 1677 mit einer testamentarischen Verfügung den Grundstein für die Einrichtung, die freilich erst seit 1836 den Namen Stadtbibliothek trägt. Bereits 1466 ist eine kleine städtische Bücherei nachgewiesen, die vorwiegend von Ärzten, Apothekern und Juristen benutzt wird. Huldreich Groß hinterlässt der Stadt Leipzig 1677 seine vielfältige Büchersammlung – mit etwa 4.000 Bänden aus allen Wissensgebieten der damaligen Zeit sowie ein beträchtliches Vermögen.
Die bestehende Ratsbibliothek kann aus dem Alten Rathaus ins Zeug- und Gewandhaus an der Universitätsstraße umziehen. Die Sammlung wird stetig erweitert. Im Jahr 1755 wird ein neuer, barocker Bibliothekssaal am Gewandgäßchen eingeweiht. Um 1900 entsteht durch größere Umbauten ein großer Lesesaal. Dieser wird rege genutzt, da die meisten Bücher nicht entliehen werden dürfen. Bereits 1927 begeht die Stadtbibliothek ihr 250-jähriges Jubiläum – mit der beachtlichen Zahl von 155.000 Bänden sowie 1702 Handschriften.
Stadtbibliothek wird bei Bombenangriff zerstört
Beim Bombenangriff der Alliierten am 4. Dezember 1943 wird das Bibliotheksgebäude schwer zerstört – es brennt bis auf die Grundmauern aus. Der schwerwiegendste Kriegsverlust war der des prachtvollen Treppenhauses, eine Spezialität von Hugo Licht, ausgestattet mit schwarzen Granitsäulen. Wertvolle Handschriften sowie Wiegendrucke sind vorher ausgelagert worden. 190.000 Bücher fallen trotzdem den Flammen zum Opfer. Ein provisorisches Quartier kann die Stadtbibliothek dann in Barthels Hof am Leipziger Markt beziehen. Sie wird im Jahre 1948 mit etwa 33.000 Bänden wiedereröffnet. Später kommen Bücher aus Gütern und Herrensitzen, die enteignet werden, hinzu. Doch der Bestand wird „bereinigt“, ideologisch missliebige Titel entfernt. Der neuen Volksbücherei stehen gerade mal 420 Quadratmeter zu Verfügung. Auf Anfrage müssen die Bücher, die in einem Katalog verzeichnet sind, für die Besucher geholt werden.
Die baulichen Mängel am Haus werden immer größer. So müssen im Ausleihraum Stützpfeiler eingezogen werden, um die Nutzer zu schützen. Am 1. April 1984 muss die Stadtbibliothek ersatzlos schließen – ein bitterer Schritt für die Buchstadt Leipzig. Die Suche nach einem geeigneten Ersatzstandort bleibt viele Jahre erfolglos.
Engagierte Bürger und Bibliotheksmitarbeiter sowie der neu gegründete Verein zur Förderung städtischer Bibliotheken schaffen es schließlich, das Gebäude des alten Grassimuseums am Leuschnerplatz „zu entern“. Das hat der Rat der Stadt zwar bereits 1987 so beschlossen. Doch das Chemieanlagenkombinat nutzt das Haus als Verwaltungsgebäude. Im Februar 1990 darf die Bibliothek im dritten Obergeschoss des linken Seitenflügels erste Räume beziehen, bevor sie Ende des Jahres das Haus mit vielen kleinen verwinkelten Büroräumen komplett übernimmt.
Gebäude am Leuschnerplatz hat viele Schäden
Am 24. Mai 1991 kann die Stadtbibliothek mit einem recht kleinen Bestand von ca. 25.000 Büchern wiedereröffnen. Leipzig Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube läutet ein neues Kapitel der Bibliotheksgeschichte ein. Doch die notwendige Rekonstruktion des Gebäudes, das viele Schäden ausweist, lässt noch einige Jahre auf sich warten. 2006 droht sogar die Schließung durch das Bauordnungsamt der Stadt – danach werden zumindest der Brandschutz und die Sicherheitstechnik verbessert. Erst Ende 2009 zieht die Stadtbibliothek in ein Ausweichquartier im Städtischen Kaufhaus. Das Gebäude am Leuschnerplatz kann für gut 15 Millionen Euro saniert werden. Weitere zwei Millionen Euro investierte die Stadt in die Ausstattung mit Sitzmöbeln, Arbeitsplätzen und moderner Technik. Wiedereröffnung ist am 27. Oktober 2012 durch Oberbürgermeister Burkhard Jung.
Würdige Stadtbibliothek für die Buchstadt
Hell, freundlich, modern – heute hat Leipzig eine Stadtbibliothek, die einer Buchstadt würdig ist. Längst werden hier nicht nur Bücher und andere Medien ausgeliehen. Sie ist inzwischen ein Treffpunkt für Bildung, Kultur und Kommunikation. In einem eigens eingerichteten Leipzig-Zimmer können Bürger, Vereine und Initiativen eigene Formate gestalten, Ideen teilen oder Partner für geplante Projekte finden. Die Kinderbibliothek ist als Erlebniswelt mit kreativen Lern- und Spielangeboten für die Jüngsten gestaltet. Ein besonderes Highlight ist die Wetterbox, die Kinder animiert, die Rätsel des Wetters zu erkunden.
In den Tresoren der Stadtbibliothek schlummern wertvolle Originale. Vor allem die Musikbibliothek mit zum Teil sehr seltenen Beständen an Autographen, Erst- und Frühdrucken, Musikliteratur und Musikalien, Tonträgern, Archivfilmen, Bildern, Grafiken und Medaillen ist eine Schatzkammer. Zu ihr gehört die berühmte Musikbibliothek Peters mit allein 24.000 Medien – darunter Handschriften Johann Sebastian Bachs, Erstausgaben berühmter Komponisten, Noten und Bücher. Auch Goethe-Handschriften sind seit 1893 im Besitz der Stadt Leipzig. Sie werden behütet wie ein Augapfel und nur selten gezeigt. Bei der Sanierung wurde in den Magazinräumen ein begehbarer Tresor eigens eingerichtet, um wertvolle Sammlungen geschützt zu bewahren.
Nach einem pandemiebedingten Knick ab 2020 liegen die Besuchs- und Entleihungszahlen wieder deutlich im Aufwärtstrend. 2023 werden 4,77 Millionen Medien entliehen (2022: 4,04 Millionen; 2020: 3,94 Millionen). Zu den Leipziger Städtischen Bibliotheken gehören 17 Stadtteilbibliotheken und eine Fahrbibliothek. Im Haupthaus am Leuschnerplatz gibt es seit Ende Oktober 2024 ein neues Angebot im Bereich Musik: In der „Bibliothek der Dinge“ können Kinder und andere Musikbegeisterte Musikinstrumente und Zubehör ausleihen. Dazu gehören Ukulele, Kinderakkordeon, Cajon, diverse Orff-Instrumente, Rollpiano sowie Zubehör wie Stimmgeräte, Audio-Recorder und ein digitales Metronom. Geplant ist, die „Bibliothek der Dinge“ im Kreativbereich zu erweitern.
Stand: 28.10.2024