Im Frühling ist es besonders reizvoll. Dann blühen die japanischen Kirschblüten auf der Spitze des Johannisplatzes, an der sich die Prager Straße und die Dresdner Straße teilen. Diese Grünfläche ist ein besonderer Ort. Einst stand hier die Johanniskirche, die beim Bombenangriff auf Leipzig am 4. Dezember 1943 ausbrannte. Ihre Geschichte reicht bis zum Jahr 1305 zurück. Sie wird mehrmals umgebaut, das seit 1585 bestehende spätgotische Kirchenschiff durch einen Neubau im Stil des Neobarocks ersetzt. Das passiert in den Jahren zwischen 1894 und 1897. Das Besondere: Es wird eigens eine Gruft mit zwei Sarkophagen geschaffen, in der seit 1900 die sterblichen Überreste von Johann Sebastian Bach und Christian Fürchtegott Gellert ruhen. Die Entwürfe dafür stammen vom Hamburger Architekten Fritz Schumacher. Gefertigt werden sie aus französischem Kalkstein.
Der bauliche Zustand der Gruft lässt allerdings schon kurz nach der Einweihung zu wünschen übrig. Deshalb muss sie bereits zum Bachfest 1928 instandgesetzt werden. Sie wird an die Neue Bach-Gesellschaft übergeben. Damals entstehen farbliche Ornamente an den Wänden. Mit dem Abbruch der Reste der Johanniskirche verschwindet auch die Gruft.
Pläne für ein Bach-Mausoleum scheitern
Bei Aufräumarbeiten nach dem Bombenangriff sind die Reste des Gotteshauses wohl an Ort und Stelle in der Erde verfüllt worden. Der barocke Turm bleibt allerdings stehen, wird 1956 restauriert. Es gibt sogar einen Gestaltungswettbewerb. Er sollte zunächst Teil eines geplanten Bach-Mausoleums werden. Doch die Pläne werden zu den Akten gelegt. Der Turm wird von den SED-Parteifunktionären als „hohler Zahn“ diffamiert und am 9. Mai 1963 endgültig gesprengt. Bachs Gebeine sind bereits am 28. Juli 1949 in die Thomaskirche gebracht worden. Dort befindet sich das Bach-Grab heute noch. Gellert, der zunächst in die am 30. Mai 1968 ebenfalls gesprengte Universitätskirche St. Pauli verbracht wird, ist inzwischen auf dem Südfriedhof beigesetzt. Die Kanzel des Gotteshauses ist im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig ausgestellt. Nach dem Abriss der Kirche wird ein 80 Zentimeter dicker Mutterboden auf dem Schutt aufgebracht – es entsteht die heutige Grünfläche.
Die Bach-Gellert-Gruft liegt noch immer verschüttet unter ihr. Das hat der Verein Johanniskirchturm nachgewiesen, der bei einer Probegrabung im November 2014 zumindest einen Teil ans Licht holt. Bereits im Oktober 2010 initiiert der Verein geoelektrische Messungen, um Lage und Zustand der Gruft näher zu erkunden. Bei der Grabung wird der gesamte Gruftbereich freigelegt. Seitdem ist klar: Die Umfassungsmauern sind erhalten geblieben. An den Wänden befinden sich nach wie vor im oberen Bereich Ornamente. „Soli-Deo-Gloria“ – „Gott allein zur Ehre“ ist noch an der Wand zu lesen. Auch der Fußboden, bestehend aus roten und blauen Fliesen, ist größtenteils noch original vorhanden. Es ist deutlich zu sehen, an welcher Stelle die beiden Sarkophage einst standen. Von ihnen sind allerdings nur noch Steinsplitter gefunden worden. Im Bauschutt liegen auch Reste der Säulen der Kirche. Ihre ursprüngliche Pracht lässt sich nach der Freilegung zumindest erahnen. Die Gruft ist vermessen und fotografisch dokumentiert, aber längst wieder unter der Erde verschwunden. Alles ist jedoch so weit vorbereitet, sie mit geringem Aufwand wieder zu öffnen.
Johannisplatz verliert städtebauliche Funktion
Mit der Sprengung im Mai 1963 hört die städtebauliche Einheit von Johanniskirche und Grassimuseum auf zu existieren. Der Johannisplatz verliert seine ursprüngliche Funktion. Die Beseitigung des Johanniskirchturms ist der Auftakt für eine Reihe von Sprengungen, denen auch das Augusteum der Universität Leipzig und die Universitätskirche zum Opfer fallen. Vor der Kirche stand einst das Luther-Melanchthon-Denkmal, das allerdings schon Anfang 1943 als Metallspende für den Krieg demontiert und eingeschmolzen wurde.
Erläuterungstafeln am Sockel der Grünfläche
Auf dem Johannisplatz wird inzwischen an die Kirche sowie das geschichtsträchtige Areal, das als Eingang zur Ostvorstadt gilt, erinnert. Ein marode gewordenes Holzkreuz aus dem Jahr 1993, das an die Zerstörung der Johanniskirche in der Bombennacht vom 3. zum 4. Dezember 1943 erinnerte, wurde 2013 durch ein neues Kreuz ersetzt, das aus Eichenholz gefertigt wurde. Das rund 4 Meter hohe Kreuz markiert den Standort des ehemaligen Kirchturms. Auf dem Querbalken wurde der Schriftzug „Zur Erinnerung“ angebracht.
Weiterhin sind das ehemalige Grab von Johann Sebastian Bach und seiner Frau Anna Magdalena Bach sowie die spätere Gruft markiert, indem im Jahr 2016 am Steinsockel an der Grünfläche Erläuterungstafeln aus Bronze angebracht wurden. Geschaffen wurden sie vom Leipziger Bildgestalter Heinz-Jürgen Böhme. Der Verein Johanneskirchturm bemüht sich seit seiner Gründung in geeigneter Form an die Johanniskirche zu erinnern. Der Verein hofft, dass Leipzig die Bach-Gellert-Gruft eines Tages wieder freilegt und die Stadt dadurch einen besonderen touristischen und historisch wichtigen Anziehungspunkt erhält.
Stand: 10.01.2024