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Gedenkort für die verstorbenen Kinder Leipzigs

Liebigstraße 28 | Ortsteil: Zentrum-Südost

Im Friedenspark befindet sich inmitten einer großzügigen Rasenfläche mit ungewöhnlicher Bepflanzung eine Gedenkort für die verstorbenen Kinder Leipzigs. Bei dem 45 Meter langen und sechs Meter breiten Heckengarten handelt es sich um eine Sonderanlage an der Westseite des Friedensparks. Diese beherbergt neun Wildapfelstämme sowie um eine Stahlplatte angeordnete Findlinge. Auf der Platte sind die Begriffe „Anfang“ und „Ende“ eingraviert. Das sich in der daneben befindlichen Bronzeschale sammelnde Regenwasser soll Tränen symbolisieren. Der Entwurf stammt von Antje Schuhmann, Juliane Kirchner-Jung und Detlev Lippmann. Auftraggeber des Gedenkortes ist der Förderkreis der Kinderklinik e.V. der Universität Leipzig.

Weiterhin befindet sich am Gedenkort eine steinerne Stele mit dem Namen des Gedenkortes. Auf deren Rückseite ist auf einer Stahlplatte die folgende Inschrift aufgeführt: 

Dank allen, die diesen Ort ermöglicht haben. 

Leipzig, 8. Juni 2012

Stand: 29.11.2023

Bildergalerie - Gedenkort für die verstorbenen Kinder Leipzigs

Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“

Dittrichring 22-24 | Ortsteil: Zentrum

Bei der heutigen Gedenkstätte handelt es sich um die einstige Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in der DDR. Sie galt seit ihrer Eröffnung 1950 über fast 40 Jahre als Zentrum der Bespitzelung im Raum Leipzig. Am 4. Dezember 1989 wurde das Gebäude im Zuge der Montagsdemonstrationen von Demonstranten besetzt, die Arbeit der Stasi-Zentrale lahmgelegt und das Bürgerkomitee gebildet, welches seitdem Träger des Museums ist. Letzteres informiert in einer auf nationaler Ebene einmaligen Form über die Geschichte, Struktur und Arbeitsweise der Staatssicherheit. Zur Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ gehören weiterhin die Zentrale Hinrichtungsstätte der DDR in der Leipziger Südvorstadt sowie das Museum im Stasi-Bunker in Machern.

Überwachung aus der Ecke


Das Gelände, auf welchem sich heute die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ befindet, ist nicht nur aus gesellschaftspolitischer, sondern auch aus stadtgeschichtlicher Sicht äußerst bedeutsam. Ab dem 11. Jahrhundert wurde dort die erste Burg im Leipziger Stadtgebiet erbaut. Sie war Teil einer slawischen Siedlung, der urbs Libzi.

Im Jahr 1230 entstand hier ein Barfüßerkloster, dessen Klosterkirche mehrmals umgebaut wurde und 1876 schließlich den Namen Matthäikirche erhielt. Nach deren Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde sie wenig später abgetragen. Heute erinnert nur noch das unscheinbare Denkmal Matthäikirche an sie. 1909 wurde der gesamte Gebäudekomplex zwischen Thomasring und Matthäikirchhof abgerissen. Im Jahr 1950 suchte das im selben Jahr neugegründete Ministerium für Staatssicherheit der DDR Büroräumlichkeiten für die Bezirksverwaltung in Leipzig. Seine neue Zentrale fand das Ministerium im Gebäude am Promenadenring, im Volksmund bekannt als „Runde Ecke“. In ebendiesem Gebäude befanden sich zuvor bereits die Gestapo, der amerikanische Geheimdienst, die sowjetischen Sicherheitsdienste GPU und KGB sowie der Mfs-Vorläufer „K5“. Das Bauwerk wurde ursprünglich zwischen 1911 und 1913 für die Alte Leipziger Feuerversicherung erbaut. Durch den expandierenden Überwachungsapparat reichte das Areal bereits Mitte der 1950er Jahre nicht mehr aus. So wurde 1955 bis 1958 ein Anbau mit Kegelbahn und Kinosaal ergänzt und das Gebäude durch einen 1978 bis 1985 für rund 65 Millionen DDR-Mark errichteten und unmittelbar angeschlossenen Neubau auf dem Gelände des einstigen Matthäikirchhofes bis zur Großen Fleischergasse erheblich erweitert.

Der Sitz der Bezirkszentrale des Ministeriums für Staatssicherheit galt als Zentrum der Bespitzelung für die ca. 1,5 Millionen Einwohner im Raum Leipzig. Die rund 850 hauptamtlichen Mitarbeiter arbeiteten an der Überwachung des eigenen Volkes sowie an der Lenkung der inoffiziellen Handlanger. Die im Herbst 1989 regelmäßig in Leipzig stattfindenden Montagsdemonstrationen machten die Stadt zu dieser Zeit zum Mittelpunkt der Friedlichen Revolution in der DDR. Im Zentrum dieser standen Forderungen nach Freiheit, Bürgerrechten und einem demokratischen Rechtsstaat. Die Demonstrationen führten entlang des Innenstadtrings, vorbei an der „Runden Ecke“, welche als einer der Kreuzungspunkte und als Stasi-Sitz besonders verhasst bei den Demonstranten war. Im Anschluss an eine Montagsdemonstration am 4. Dezember 1989 wurde die Stasi-Zentrale mitsamt dem angeschlossenen Neubau von Aktivisten ohne Gewalt besetzt und die Arbeit der Stasi-Mitarbeiter lahm gelegt. Aufgrund der sich rapide zuspitzenden Lage beschränkte sich die Aufgabe der Angestellten der Stasi-Zentrale in den vorherigen Tagen und Nächten lediglich noch auf das Vernichten von Unterlagen. Durch die Besetzung der Stasi-Zentrale fand die Aktenvernichtung und damit die Zerstörung von Beweisen der Überwachung, ein Ende. Diese hat seit dem Herbst 1989 im großen Stil im Innenhof der Bezirksverwaltung stattgefunden. In einer der Garagen vor Ort befand sich eine Aktenvernichtungsmaschine, welche das Material zerkleinerte, mit Wasser vermengte. Die daraus entstehende sogenannte „Kollermasse“ zerstörte die Akten vollständig. Noch in derselben Nacht des 4. Dezember 1989 bildete sich das Bürgerkomitee Leipzig e.V.

„Krumme Ecke – Schreckenhaus! Wann wird ein Museum draus?“


Das im Zuge der Stasi-Besetzung1989 entstandene Bürgerkomitee ist seitdem Träger der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“. Bereits im Jahr 1990 setzte es eine zentrale Demonstrationsforderung der Friedlichen Revolution „Krumme Ecke – Schreckenhaus! Wann wird ein Museum draus?“ um und richtete in den original erhaltenen Räumen der ehemaligen Bezirksleitung im Erdgeschoss ein Museum ein, welches die Struktur, Arbeitsweise und Aktivitäten des Geheimdienstes anschaulich zeigt und erläutert. Das neugeschaffene Museum wird auch national und international als einzigartiges Fachmuseum zur Staatssicherheit im Kontext der kommunistischen Diktatur in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR geschätzt. Besonderer Wert wurde auf die Authentizität des Ortes gelegt. In diesem Zuge wurden die Fußböden, die Türen, die Heizkörper und die Gardinen original belassen, wie sie in der Behörde vorgefunden wurden. Die Ausstellung vergegenwärtigt, wie die SED ihren Überwachungsstaat aufbaute und den DDR-Bürgern ihre demokratischen Grundrechte entzog. Im Zuge des Museumsrundgangs wird die Bedeutsamkeit der Errungenschaften der Friedlichen Revolution gegen diese Diktatur bis heute hervorgehoben und bewusst gemacht.

Die in ihrer Geschlossenheit einmalige Museumssammlung umfasst rund 40.000 Objekte, von denen ein Großteil seit August 1990 in der Dauerausstellung „STASI – Macht und Banalität“ zu sehen sind. Dazu zählen Geräte zur Postkontrolle, konspirative Fototechnik, Wanzen, eine Maskierungswerkstatt sowie eine Kollermaschine für die Aktenvernichtung. Ein Teil der Ausstellung rückt die ab 1960 in Leipzig vollstreckte Todesstrafe in der DDR in den Fokus. Gezeigt wird außerdem eine Nachbildung von Räumen der einstigen Untersuchungshaftanstalt (UHA) des Ministeriums für Staatssicherheit in der Straße des 17. Juni. Es handelt sich um eine Gefängniszelle mit einem Raum, welcher der aktenkundlichen und fotografischen Erfassung der Gefangenen diente. Im ehemaligen Stasi-Kinosaal befindet sich seit 2009 die Ausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“.

Auf den Spuren der Friedlichen Revolution


Bei einem Großteil der „Runden Ecke“ handelt es sich nicht um das Museum selbst, sondern um die Außenstelle Leipzigs des Stasi-Unterlagen-Archivs, welches sämtliche Unterlagen der Bezirksverwaltung sowie der dazugehörenden dreizehn Kreisdienststellen aufbewahrt. Hier können alle Betroffenen in Erfahrung bringen, ob über sie Aufzeichnungen existieren und diese vor Ort einsehen. Die Archivobjekte umfassen unter anderem Tonbänder, Akten, Fotos sowie eine Personenkartei mit über 300.000 Namen. 

Zur Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ gehört auch die Open-Air-Ausstellung Orte der Friedlichen Revolution. Diese besteht aus zwanzig Bild- und Text-Stelen, die hauptsächlich in der Innenstadt zu finden sind. Jeden Samstag um 14 Uhr findet der Stadtrundgang „Auf den Spuren der Friedlichen Revolution“ statt. Dieser startet an der Nikolaikirche, führt vorbei an markanten Punkten im Zuge der historischen Entwicklung im Jahr 1989 und endet an der „Runden Ecke“. 

Seit 2012 zählt die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ gemeinsam mit dem Museum im Stasi-Bunker in Machern zum Europäischen Kulturerbe „Eiserner Vorhang“. Zu den zwölf zum „Eisernen Vorhang“ gehörenden authentischen Stätten zählt ebenfalls die Nikolaikirche. Die Tatsache, dass Leipzig als einzige, nicht an der einstigen deutsch-deutschen Grenze liegende Stadt zu diesem Netzwerk gehört, unterstreicht ihren Symbolcharakter.

Stand: 29.11.2023

Bildergalerie - Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“

Historisches Bildmaterial - Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“

Gletschersteinpyramide

Gustav-Schwabe-Platz, Naunhofer Straße/Ludolf-Colditz-Straße | Ortsteil: Stötteritz

Der „Steinhaufen“ ist von Menschenhand aufgetürmt worden: Dennoch erinnert die Gletschersteinpyramide auf dem Gustav-Schwabe-Platz, die etwas versteckt im Schatten des Völkerschlachtdenkmals und des Wasserturms Probstheida der kommunalen Wasserwerke zu finden ist, an einen natürlichen Vorgang, der die Erdoberfläche veränderte. Riesige Gletscher sind vor gut 150.000 Jahren auf dem Gebiet der heutigen Region Leipzig abgelagert worden. Nahezu 1.000 Kilometer sind sie während der Saalekaltzeit von Skandinavien hierher gewandert. Sie bringen eine dicke Eisschicht mit, die etwa 25.000 Jahre später durch eine Erwärmung des Erdklimas zu tauen beginnt. Unter der Eisschicht formiert sich die Leipziger Tieflandbucht. Viele Findlinge und Gesteinsschutt lagern nun dort. Der Geologe Carl Friedrich Naumann von der Universität Leipzig wies die Inlandvereisung 1844 durch seine Forschungen nach.

Sechs Meter hohe Pyramide entsteht


Solche Findlinge werden Anfang des 20. Jahrhunderts im gesamten Stadtgebiet gesammelt. 1903 entsteht daraus eine sechs Meter hohe Pyramide, die aus etwa 550 Findlingen besteht. Die Fläche misst etwa 5,40 mal 5,40 Meter.

1904 wird der benachbarte Gregoryplatz mit der Findlingsmauer angelegt. Finanziert hat die Pyramide die Deutsche Credit-Anstalt sowie die Leipziger Immobiliengesellschaft, wie man heute an der an der Pyramide angebrachten Tafel lesen kann. Die 1872 gegründete Gesellschaft spielt eine wichtige Rolle beim baulichen Aufschwung der sich entwickelnden Großstadt. Sie erschließt Baugrund und stößt bei Ausschachtungen auf größere Mengen eiszeitlichen Gneis- und Granitgesteins.

Moos wird entfernt, die Fugen erneuert


Im Jahr 2000 wird die Pyramide saniert, um das besondere gesteinskundliche Kulturgut zu wahren und neu in Szene zu setzen. Die Initiative geht auf
Klaus Bente vom Institut für Mineralogie, Kristallographie und Materialwissenschaften der Universität Leipzig zurück. Nach 20 Jahren ist eine Sanierung meist erforderlich. Etwa um das Moos zu entfernen sowie gerissene Fugen zu erneuern. Das steinerne Kulturgut wird oft mit Graffiti verunstaltet – das wiederum macht regelmäßige Reinigungen notwendig.

Inschrift auf der Tafel auf der Vorderseite der Gletschersteinpyramide


In der um Jahrtausende zurückliegenden Eiszeit
haben die gewaltigen Gletscher Skandinaviens
ihre südlichen Ausläufer bis in diese Gegend erstreckt
und zahlreiche Steine aus Schweden mit sich geführt
und hier abgelagert.

Aus solchen Steinen ist im Jahre 1903
von DER ALLGEMEINEN DEUTSCHEN CREDIT-ANSTALT und
DER LEIPZIGER IMMOBILIENGESELLSCHADFT
IN LEIPZIG
in deren Feldern sie zerstreut eingebettet lagen
dies Denkmal hier am Fundort errichtet worden.

Das Denkmal steht im Schutze edler Menschen

Stand: 29.11.2023

Bildergalerie - Gletschersteinpyramide

Leipziger Kleinmesse

Cottaweg | Ortsteil: Lindenau

Die beliebte Kleinmesse findet drei Mal im Jahr als Frühlings-, Sommer- und Herbstkleinmesse für jeweils rund vier Wochen auf dem Festplatz Cottaweg statt. Neben zahlreichen Fahr- und Laufgeschäften, darunter Riesenrad, Geisterbahn und Autoscooter, sowie Los- und Schießbuden werden auch kulinarische Spezialitäten angeboten. Organisator ist seit 1992 der Leipziger Schaustellerverein. Die Geschichte des traditionsreichen und beliebten Leipziger Volksfestes reicht bis ins 10. Jahrhundert zurück.

Vom „Fahrenden Volk“ auf der „kleinen Messe“


Jahrmarkt, Kirmes, Rummel: In Leipzig kennt man hierfür seit jeher nur einen Begriff: Kleinmesse. Bereits Ende des 10. Jahrhunderts boten Händler von überall auf einer gemischten Waren- und Schaumesse im Schutz der Burg
urbs Libzi vor Raubrittern ihre Waren feil. Seit es die Leipziger Messe gibt, galt diese nicht nur als international bekanntes Handelsereignis, sondern bot auch eine Zuflucht aus dem eintönigen Alltag. Zu den Händlern gesellte sich das „Fahrende Volk“, darunter Wahrsager, Gaukler, Seiltänzer und Bärenführer, welches am Rande der Handelsgeschäfte in der ganzen Stadt für Unterhaltung sorgte. Löwen, Elefanten, Panoramen und Guckkastenbilder waren beliebte Attraktionen der Messe und schon bald wurden Märkte ohne das bunte Volk unvorstellbar. Einen wesentlichen Aufschwung erfuhr die Kleinmesse durch die Gründung der Stadt Leipzig im Jahr 1165 sowie den knapp hundert Jahre später vom Markgrafen Dietrich von Landsberg erlassenen Schutzbrief, der allen fremden Kaufleuten von und nach den Leipziger Messen Sicherheit für „Person und Habe“ garantierte. Im Jahr 1497 erteilte Kaiser Maximilian I. der Stadt nicht nur das Reichsmesseprivileg, sondern verlieh ihr gleichzeitig auch das Recht zu regelmäßigen Jahrmärkten. Die anfangs als „kleine Messen“ bezeichneten Veranstaltungen sind eng mit Geschichte der Leipziger Messe verbunden, entwickelten sich parallel zum allgemeinen Messegeschehen und erfreuten sich großer Beliebtheit.

Einen großen Raum unter den Schaustellungen nahm bereits seit den ersten Tagen des „Fahrenden Volkes“ die Vorführung seltener oder wilder Tiere ein. Im Mittelalter dominierten insbesondere Magier, Dresseure, Akrobaten und Puppenspieler die Szenerie. Der Überlieferung nach balancierte ein Seiltänzer mit einer Schubkarre vom Turm des Alten Rathauses bis auf den Markt hinunter. Ein Pferd konnte angeblich Geld zählen, die Stunde angeben oder sich betrunken stellen. Wenig später begeisterten die ersten Karussells das Publikum. Die Schausteller, die ihren festen Platz bereits auf den Oster- und Michaelismessen hatten, schlugen ihre Stände, Buden, Kabinette und Menagerien im Stadtzentrum oder auf dem Plätzen auf dem Innenstadtring auf. Besonders beliebt waren der Johannisplatz, der Naschmarkt, der Nikolaikirchhof, der Roßplatz, der Schulplatz und der Fleischerplatz – heute Goerdelerring – und der Königsplatz – heute Wilhelm-Leuschner-Platz. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war eine sichtbare Auflockerung der Schaumesse zu erkennen. Dies war neben der Nutzbarmachung von Elektrizität insbesondere dem Aufkommen neuer Vergnügungseinrichtungen wie der amerikanischen Luftschaukel oder dem nach 1870 erstmals gesehenen Riesenrad zu verdanken.

Traditionelles Volksfest vor dem Frankfurter Tor


Mit den für eine Großstadt notwendigen Bauten wie
Hauptfeuerwache und Markthalle sowie den Straßenbahntrassen wurden immer mehr der einstigen Areale für die Schausteller und Kleinhändler gesperrt. Hinzu kam, dass die sich immer größerer Beliebtheit erfreuenden Fahrgeschäfte und riesigen Schankzelte immer aufwändiger und der Platzbedarf zunehmend größer wurde. Am 1. Februar 1905 stimmten die Stadtverordneten dem Vorschlag der Stadtväter zu, ein eigens für das Volksfest konzipiertes Gelände vor dem Frankfurter Tor einzurichten. Auf einem Teil der ehemaligen Ranstädter Weide zwischen der heute verrohrten Alten Elster und dem damals noch existierenden Leutzscher Weg wurde nördlich der heutigen Arena Leipzig ein befestigter Platz angelegt. Nach nur zwei Jahren Bauzeit wurde das neue Areal der Kleinmesse am 7. April 1907 eröffnet. Auf dem großzügigen Platz waren in vier Längsreihen angeordnet diverse Verkaufsbuden, Hippodrom, eine Berg- und Talbahn, Ponyschule und Luftschaukeln angesiedelt, die neben Panoramen, Kinematographen und Theatern für Zugpferde, Affen, Hunde und Katzen das Bild prägten. Auch ein Panoptikum, ein Irrgarten, Schauzelte, ein Athleten- und Marionettentheater, Kasperletheater, Schießstände und eine Glasbläserei prägten die Szenerie. Nicht wegzudenken war in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Seiferts Oskar, der vom allseits beliebten Händler Oskar Seifert mit sächsischem Charme betrieben wurde. Er machte aus jeder einfachen Verkaufshandlung ein Unterhaltungsprogramm. Der quadratische, nach allen Seiten offene Stand, war stets dicht umlagert von Besuchern, die sich vor den Waren, darunter Nadeln, Garn, Löffel, Kämme und Hosenträger, tummelten.

Auf dem neuen Gelände an der heutigen Friedrich-Ebert-Straße wurden zwischen 1907 und 1935 insgesamt 58 Kleinmessen von der Stadt Leipzig veranstaltet. Als die Nationalsozialisten am Frankfurter Tor einen riesigen Aufmarschplatz namens „Adolf-Hitler-Feld“ einrichteten, musste die Kleinmesse 1936 ihren Standort auf das ausgedehnte Areal auf Lindenauer Seite des Elsterflutbetts am Cottaweg verlegen.

„Kommse näher, kommse ran!“ – Von Twister bis Fliegerkarussell


Im Zweiten Weltkrieg kam die Kleinmesse zum Erliegen. Die Einschränkungen und das teilweise gänzliche Verbot der Veranstaltungstätigkeit, die Einberufung der Männer zur Wehrmacht und Bombenschäden machten ein Reisen nach Schaustellerart beinahe unmöglich. Als größte Attraktion galt bis dahin die „Himalaya-Gebirgsbahn“, eine hölzerne Achterbahn mit einer Größe von 173 mal 28 Metern. Diese wurde nach dem Krieg nicht mehr in Betrieb genommen, stattdessen wurde mit deren Holz das schwer beschädigte Dach des
Alten Rathauses repariert. Noch vor der ersten Mustermesse nach dem Krieg im Mai 1946 kehrte die Kleinmesse einen Monat zuvor im April zurück und entwickelte sich erneut zum beliebtesten Volksfest in der Region. Es lockten neben Geisterbahnen, Kettenkarussell und Auto-Scooter auch Attraktionen wie das große Karussell „Nuckelpinne“ von Hermann Kunth oder die Schiffs- und Überschlagschaukel „Rinck’s Looping the loop“. Die sozialistische Mangelwirtschaft bereitete den Schaustellern anfangs Schwierigkeiten, darunter eine frühzeitige Schließung um 21 Uhr, ein Verbot von Bierausschank, eine Zuteilung von Material und Treibstoff und eine Verweigerung der Gewerbeerlaubnis. Mit viel Geschick und Eigeninitiative gelang es den Schaustellern, ihre alten Karussels bestmöglich auf dem neuesten technischen Stand zu halten und Neuheiten zu entwickeln. Walter Seifert baute beispielsweise nach dem Krieg das druckgesteuerte Fliegerkarussell „Kosmoplane“, während Erich Schleinitz den hyraulischen „Weltenraumbummler“ und sein Sohn Bernd Schleinitz einen elektronischen Schießstand sowie das „Drehende Haus“ entwickelte. Der DDR-Staatszirkus war mit modernen westlichen Fahrgeschäften ausgestattet, darunter Baby-Flug, Twister und Satellit. Viele Leipziger verbinden mit der Erinnerung an die Kleinmesse zu DDR-Zeiten auch Geflügelbratwurst ohne Darm, Waffeln mit Schlagschaum oder rote Fassbrause für 21 Pfennige. 1957 ging ein großer Teil des Platzes an den VEB Kraftverkehr. Dennoch blieb der Zuspruch ungebrochen: Allein im Jahr 1978 wurde die durchschnittliche Besucherzahl der Kleinmesse mit 600.000 beziffert.

Mit der politischen Wende brach auch für das beliebte Volksfest eine neue Ära an. Die Schausteller mussten mit großem Einsatz um den Erhalt des Kleinmesseplatzes kämpfen. Am 23. Januar 1990 wurde der 1886 gegründete Leipziger Schaustellerverein e.V. reaktiviert, der seit 1992 eigenverantwortlich drei mehrwöchige Kleinmessesaisons auf dem Festplatz Cottaweg auf einer Fläche von rund 40.000 Quadratmetern mit ca. 40 Schaustellern organisiert. Die Kleinmesse ist nach wie vor ein Publikumsmagnet. An Familientagen locken ermäßigte Preise, an Samstagen die traditionellen Höhenfeuerwerke.

Stand: 29.11.2023

Bildergalerie - Leipziger Kleinmesse

Historisches Bildmaterial - Leipziger Kleinmesse

Kothe, Michél

Lehrer, Politik- und Erziehungswissenschaftler, Verbandschef Völkerschlacht | geb. am 18. August 1975 in Leipzig

Hin und wieder geht er mit einem „mobilen Museum“ auf Tour in sächsische Schulen: „Geschichte muss lebendig vermittelt werden“, sagt Michél Kothe. Er ist Vorsitzender des Verbandes Jahrfeier Völkerschlacht bei Leipzig 1813 und brennt voller Leidenschaft für die Historie. Mit ihr müsse man sich kontinuierlich auseinandersetzen, um die Ereignisse zu verstehen und einordnen zu können, meint er. Erinnerungen an das blutige Gemetzel der Napoleonzeit werden im Torhaus Dölitz, das der Verband seit 2014 in Regie hat, wachgehalten. Im dortigen Zinnfigurenmuseum sind Dioramen zu sehen, die historische Szenen mittels Zinnfiguren zeigen.

Lebendig Geschichte vermitteln


Kothe und seine Mitstreiter organisieren ebenfalls historische Biwaks sowie Gefechtsdarstellungen auf den ehemaligen Schlachtfeldern im Süden der Messestadt. An den Lagerfeuern des Biwaks sitzen Gäste aus ganz Europa, die friedlich miteinander durch „Living History“ lebendig Geschichte vermitteln wollen. Über Ländergrenzen hinweg sind da viele Freundschaften entstanden, sagt Kothe. Neben Museen und Gedenkstätten, Büchern, Filmen und literarischen Aufarbeitungen in Romanen könne jenes Reenactment – also die möglichst authentische Inszenierung konkreter geschichtlicher Ereignisse – viel zum Gedenken und zur Versöhnung beitragen. „Die Kritik, dass wir Krieg spielen, ist vollkommen ungerechtfertigt“, sagt er. Kritikern entgegnet er immer, dass beispielsweise das Mittelalter und die Römerzeit völlig romantisiert seien. Auch da habe es immer wieder Kämpfe gegeben, „heute wird das Mittelalter in Form von hübschen Mittelaltermärkten und die Römerzeit mit Asterix und Obelix gezeigt“. 

Es geht dem Verband darum, Menschen für Geschichte zu begeistern und überlieferte Berichte durch das eigene Nacherleben zu überprüfen. Das Sammeln ist ein ebenso wichtiger Aspekt, werden dadurch doch historische Artefakte vor der Vernichtung und damit dem Vergessen bewahrt.

Michél Kothe ist beim Verein Preußische Infanterie 1813 dabei. „Ich bin ein Sachse in preußischer Uniform und mit französischem Vornamen“, sagt der gebürtige Leipziger, der in Alt-Paunsdorf aufgewachsen ist. Nach der Schule und Lehre als Industriekaufmann studiert er an der Universität Leipzig Politikwissenschaft, Erziehungswissenschaft und Journalistik. Mittlerweile unterrichtet er an der Leipziger Semper Fachoberschule in der Hohen Straße Geschichte und Ethik in den Klassen 11 und 12.

Ein Hobby für die ganze Familie


Zu seinem Hobby ist er über den Vater Siegfried, einen Geschichtslehrer, gekommen. Von ihm sei er quasi „rekrutiert“ worden und wie von selbst reingewachsen in die napoleonische Zeit. Am Torhaus Dölitz finden 1991 Dreharbeiten zu einem Film über die historische Stätte und die Gefechte statt. Da sieht er das Torhaus das erste Mal von innen. Im Mai 1992 entschließt er sich, aktiv mitzuwirken. Michél landet ebenfalls bei den Preußen, wie sein Vater, ein Infanterist. Der Senior hat sich inzwischen aus den aktiven Darstellungen zurückgezogen.

Michél Kothe trägt die preußische Uniform eines Premierleutnants – heute würde man Oberleutnant sagen. Dabei wird viel Wert auf eine detailgetreue Uniform gelegt. Bis zum Abstand der Knöpfe muss alles historisch korrekt sein. Als Kopfbedeckung hat er Feldmütze, Tschako oder Zweispitz zur Auswahl. Der Degen in der Lederscheide – ein Nachbau – ist natürlich nicht scharf. Kothe hat zudem die Uniform eines preußischen Unteroffiziers, eines Krankenträgers und historische Zivilkleidung in Schrank.

Mehrmals im Jahr ist er an Stätten der Napoleonischen Zeit unterwegs. Das sind meist verlängerte Wochenenden. Kothes Frau Anja und Tochter Lara sind dabei, teilen das Hobby. Seine Frau, im Biwak meist Marketenderin, lernt er bei den Darstellungen in Großgörschen kennen. Sie heiraten in Uniform nach einer Fahrt mit der historischen Kutsche von Paunsdorf zum Schloss Machern. In gewisser Weise lebt die Familie ein Abenteuerleben: Sie reisen durch ganz Europa an die geschichtsträchtigen Orte, übernachten oft in Burgen oder im Zelt. Oft sind es sieben, acht Reisen im Jahr. Alle fünf Jahre geht es ins belgische Waterloo. In dem kleinen Dorf in der Nähe von Brüssel findet am 18. Juni 1815 die letzte Schlacht Napoleon Bonapartes statt, die zu dessen Abdankung führt.

Dass die Völkerschlacht bei Leipzig eine so große Faszination auf Kothe hat, erklärt er mit der für ihn „spannenden Epoche“. Napoleon sei nicht nur Kriegsherr, auf ihn sind auch im Alltag viele Neuerungen zurückzuführen. Ein Beispiel: Die Konservierung von Nahrungsmitteln geht von Napoleon aus, der einen Wettbewerb zur Haltbarmachung von Lebensmitteln entfachte.

Unterwegs mit dem „Museum mobil“


Seit 2002 ist Kothe im Vorstand des Verbandes, seit 2007 Vorsitzender. Nach wie vor ist das „wandelnde Geschichtsbuch“ mit seinem „Museum mobil“ unterwegs, besucht Schulen und Fortbildungseinrichtungen, um die Völkerschlacht erlebbar zu machen. Er schreibt Beiträge für Bücher, darunter fürs Postkartenbuch zur Völkerschlacht vom Verein Pro Leipzig oder für einen Fotoband des Sax-Verlages. Von seiner Wohnung in Paunsdorf aus kann er abends aufs schön beleuchtete
Völkerschlachtdenkmal in der Ferne gucken.

Er wünscht sich, dass es mehr gemeinsame Veranstaltungen und Aktivitäten des Verbandes Jahrfeier Völkerschlacht bei Leipzig 1813 mit den Akteuren des Fördervereins Völkerschlachtdenkmal e.V. gibt. Militär und Denkmal seien zwar ein schwieriges Feld. Die Uniformierten wollen aber nicht nur für gelegentliche Fotos mit Touristen herhalten, sondern auch in inhaltliche Debatten einbezogen werden.

Stand: 29.11.2023

Bildergalerie - Kothe, Michél

Lene-Voigt-Park

Reichpietschstraße | Ortsteil: Reudnitz-Thonberg

Der Lene-Voigt-Park ist eine 10,5 Hektar große Parkanlage im Leipziger Stadtteil Reudnitz-Thonberg. Er befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Eilenburger Bahnhofs etwa zwei Kilometer östlich des Stadtzentrums zwischen Gerichtsweg, Riebeckstraße und Reichpietschstraße. Benannt wurde der Park nach der sächsischen Schriftstellerin und Mundartdichterin Lene Voigt, die um 1920 am damaligen Eilenburger Bahnhof lebte. Das 800 Meter lange und zwischen 80 und 130 Meter breite Arial stellt eine wichtige grüne Oase im einstigen Graphischen Viertel dar.

Die Geschichte eines vergessenen Bahnhofs


In der damals noch selbstständigen Gemeinde Reudnitz lag ab 1872 der Eilenburger Bahnhof als einer der größeren Bahnhöfe Leipzigs. Bis 1942 diente er als Bahnhof für Personenverkehr und verband
Eilenburg mit Leipzig. Zwischen 1874 und 1876 wurde dafür ein Empfangsgebäude errichtet. Der Backsteinbau beherbergte Warte- und Speisesäle und wurde vom Architekten Richard Steche entworfen. 

Im Laufe der Zeit entwickelte sich nördlich und südlich des Bahnhofs das Druckgewerbe und Verlage ließen sich nieder. Dies brachte dem Stadtteil Aufschwung und gab ihm den Namen Graphisches Viertel. Als 1915 der Hauptbahnhof in Betrieb genommen wurde und den Fernverkehr übernahm, sank die Bedeutung des Eilenburger Bahnhofs jedoch. Hier wurden nur noch Personennah- und Güterverkehr entlang geleitet. 

Im Zweiten Weltkrieg erlitt das Stadtviertel schwere Bombenschäden und auch das Empfangsgebäude wurde komplett zerstört. Der bereits 1942 eingestellte Personennahverkehr wurde deshalb nicht mehr aufgenommen. Bis in die 1970er Jahre diente der Eilenburger Bahnhof nur noch zur Güterabfertigung. Danach wurde er als Abstellplatz verwendet, bis er nach und nach verödete.

Vom Lost Place zum Hotspot


Im Jahr 1997 beschloss der Leipziger Stadtrat, auf dem verlassenen Gelände einen Stadtpark zu errichten. Ziel war der Aufschwung des Viertels, dessen Bedeutung seit der deutschen Teilung stark zurückgegangen war. So entstand zwischen 2000 und 2004 eine Grünanlage mit regelmäßigem Charakter nach einem Gesamtkonzept des Berliner Landschaftsbüros Kiefer. Die markante längliche Struktur des ehemaligen Bahnhofs blieb dabei erhalten. Diese wurde in drei wesentliche Parkräume eingeteilt. Auf den früheren Bahnanlagen entstand in Ost-West-Ausrichtung ein langgestrecktes Zentrum aus Grünstreifen und Promenaden. Mit Klinker und Ausschussmaterial gefüllte Drahtkäfige, sogenannte Garbionenmauern, dienen gemeinsam mit integrierten Bänken und einer Birkenbepflanzung als Abgrenzung zu den nördlich liegenden Gartenbereichen. Diese werden als individuelle Bewohnergärten genutzt. Markant sind auf dieser Seite auch die oberirdisch verlaufenden Heizungsrohre, die die Eingänge umfassen. Im Süden entstanden mehrere Funktionsräume, einzeln abgetrennt durch Hainbuchenhecken und Stahlelementen. Diese Aktionsbereiche umfassen Spielplätze und einen Märchenwald, Tischtennisplatten und Beachvolleyballfelder sowie Balancespiele und eine Kletterwand. 

Im Planungsprozess gab es eine breite Bevölkerungsbeteiligung. Durch Bürgerforen, Jugendcamps und Workshops konnten sich die Bürger einbringen. Dank diesem großen Raum für eine bürgerliche Mitwirkung wurde 2002 der Europäische Preis für Landschaftsarchitektur verliehen.

Die Ruinen des Parks


Zwischen parktypischem Getümmel stehen noch immer drei verlassene Gebäuderuinen, denen eher weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird. So befinden sich am westlichen Ende des Parks zwei ehemalige Güterabfertigungsgebäude. Hohe Zäune sollen Schaulustige vom Betreten abhalten. Während sich diese dennoch gut sichtbar in das Parkgefüge eingliedern, versteckt sich auf der anderen Seite, am östlichen Ende, der alte Lokschuppen. Dieser ist im Sommer fast vollständig von Grün bedeckt und so kaum einsehbar. Nur der Turm lässt die Ruine erahnen. Direkt daneben befindet sich der Anschluss an den begehbaren Grünzug der
Anger-Crottendorfer Bahnschneise. Der Radweg gehört zu dem Projekt Parkbogen Ost, welches den stillgelegten östlichen S-Bahnbogen erschließen und neu aufnehmen will.

Von Prinzessinnen im Holzschloss und Rittern in Secondhand-Ausrüstung


Der Lene-Voigt-Park bietet verschiedene Möglichkeiten für jedes Alter. Vor allem Kinder bis sechs Jahre sind vom Märchenwald-Spielplatz begeistert. Hier treffen Prinzessinnen im Holzschloss auf den Froschkönig oder doch direkt dem tapferen Ritter. Das Areal ist gut einsehbar und so bei Eltern beliebt. Für ältere Kinder gibt es direkt nebenan einen großen Spielplatz. Hier ist die Hauptattraktion die breite Rutsche. 

Auf dem Weg kann ein Stopp an „Lenes Tauscho“ gemacht werden. Der Schrank aus Stahl und Aluminium dient als Tauschregal und lädt zum Stöbern und Tauschen ein. Nicht mehr gebrauchte Gegenstände können hier abgelegt und nach neuen Fundsachen gesucht werden. So wechseln Kleider, Schuhe aber auch Bücher und Geschirr kostenlos den Besitzer. Das Tauschkonzept erfreut sich großer Beliebtheit, wird allerdings auch häufig Opfer von Randale. So brannte der 2021 erbaute erste Schrank im Mai 2023 vollständig aus. Im Juli 2023 konnte der „Lenes Tauscho“-Betreiber Aaron Krautheim mithilfe von Spendengeldern wieder einen neuen Schrank aufbauen.

Café auf Zack


Ein beliebter Treffpunkt am Lene-Voigt-Park ist das
Espresso Zack Zack. Die Kaffeebar wurde 2015 eröffnet und erfreut seitdem mit Kaffeespezialitäten, Röstkaffee vom Partner Omkafè und frischen Backwaren aus der eigenen Backstube die Kunden. Von Espressomaschinen über Kaffeemühlen, Milchaufschäumkännchen und sonstigen Utensilien gibt es außerdem alles, was zur Kaffeezubereitung im eigenen Heim zu gebrauchen ist.

Lene Voigt: Kabarettistin, Mundart-Dichterin, Leipziger Original


„Unsre alde Lene, so gud wie sie is geene!“ titelte eine Leipziger Tageszeitung am 23. Februar 2002, denn die sächsische Mundart-Dichterin war zu diesem Zeitpunkt auf den Leipziger Bühnen mit sieben Programmen präsent. Die Unsterblichkeit von Lene Voigt setzte jedoch erst in den 1980er Jahren ein. Besonders der Schriftsteller
Wolfgang U. Schütte trug mit seinen jahrzehntelangen Forschungen dazu bei, ihr Werk systematisch zu erschließen. Ab 1983 wurden Voigts Bücher wieder aufgelegt. Erster DDR-Verleger ihrer Werke war Norbert Molkenbur. Vorher war das Leipziger Original – das sächsisch als ihre „Vatersprache“ bezeichnete, denn nur ihr Vater habe Dialekt gesprochen – nahezu vergessen. Zur Zeit des Nationalsozialismus wurden ihre Schriften verboten, da sie den „sächsischen Stamm“ verunglimpften und in linksorientierten Zeitungen veröffentlicht wurden. Während der DDR war sächsisch ebenfalls nicht erwünscht. Heute erfreut sich Lene Voigts Werk jedoch einer umso größeren Beliebtheit.

Stand: 29.11.2023

Bildergalerie - Lene-Voigt-Park

Historisches Bildmaterial - Lene-Voigt-Park

Mägdebrunnen

Roßplatz | Ortsteil: Zentrum-Südost

Der Mägdebrunnen wurde am 31. Mai 1906 von Bildhauer Werner Stein errichtet und macht mit der wassertragenden Mädchenfigur in der Mitte seinem Namen alle Ehre. Anlässlich eines Heimatfestes stifteten auswärtige Leipziger die Mittel zum Bau.

Der Umzug der Wasserträgerin


Mit der Neubebauung des Rings in den 1950er Jahren mussten einige Straßenzüge und Gebäude weichen. Als einziger Rest der historischen Bebauung wurde der Mägdebrunnen in die Pläne mit einbezogen. Stand er bis zum Zweiten Weltkrieg noch vor der Kreishauptmannschaft, fließt sein Wasser nun am Ende des Roßplatzes zwischen
Europahaus und Goldschmidtstraße.

Auf der mittig aufgestellten Säule steht eine überlebensgroße Bronzefigur einer Wasserträgerin. Die Mädchenfigur ist sehr fein und detailreich gestaltet und wurde von der Bronzebildgießerei Brückner und Noack gegossen. Die Säule ist mit plastischen Löwenköpfen verziert und steht in einem sechsseitigen Wasserbecken aus hellem Muschelkalkstein. An drei der Brunnenseiten sind kleine Steinbecken vorgelagert, die mit kaum noch lesbaren Inschriften verziert sind. Hier ist zu lesen: 

„Wer mit will trinken, muss mit klinken / Wasser nimmt alles weg, Nur schlechte Reden nit / Wer rein Wasser will, Muss reine Kannen han“ 

Das Wasserbecken ist von einem kunstvoll geschmiedeten Gitter umgeben. Daran sind Hebelarme befestigt, die das aus den Löwenköpfen sprudelnde Wasser auffangen können. 

Neben Werner Stein haben ebenfalls Baumeister Enke, der Steinmetzmeister Laux und der Bauklempner Wermann an dem Brunnen gearbeitet.

Von Lästereien am Brunnen


Der Mägdebrunnen nimmt Bezug auf die bekannte Brunnenszene aus Goethes
„Faust“. In dieser Szene treffen sich Lieschen und Gretchen zum Wasserholen und Tratschen dabei. Lieschen lästert über Bärbel, da diese unehelich schwanger und nun sitzen gelassen wurde: „Sie füttert zwei, wenn sie nun isst und trinkt. […] So ists ihr endlich recht ergangen“ (V. 3549-4551). Gretchen empfindet jedoch Mitleid und fühlt sich in einer ähnlichen Lage mit ihrer Beziehung zu Faust. 

Dass „Faust“ in Leipzig eine große Rolle spielt, wird auch in der berühmten Szene im Auerbachs Keller deutlich. Während seines Studiums in Leipzig von 1765 bis 1768 verbrachte Johann Wolfgang Goethe viel Zeit in dem Studentenlokal Auerbachs Keller. Hier sah er die beiden um 1625 entstandenen Bilder auf Holz von Dr. Faustus, die ihn zu der Szene inspirierten.

Stand: 29.11.2023

Bildergalerie - Mägdebrunnen

Historisches Bildmaterial - Mägdebrunnen

Märchenbrunnen

Dittrichring 10 | Ortsteil: Zentrum

Der Märchenbrunnen bildet eins der wohl bekanntesten Märchen der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm ab. Der Bildhauer Josef Mágr verewigte in einem dreiteiligen Monument von 1906 das Märchen von Hänsel und Gretel und zeigt in verschiedenen Motiven ihre Geschichte.

Hänsel und Gretel verliefen sich im Park


Nur wenige Meter vom
Mendelssohn-Denkmal entfernt erstreckt sich in den Anlagen des Promenadenrings am Dittrichring ein 10 Meter langes Denkmal. Das Zentrum des aus Muschelkalkstein erbauten Monuments bildet ein Brunnen, der einer Grotte ähnelt. Hier sind die lebensgroßen Bronzefiguren von Hänsel und Gretel auf einem Sockel zu sehen. Der Junge ist gerade dabei, Wasser zu schöpfen und seiner knienden Schwester etwas davon zu reichen. Über ihnen befindet sich ein Steinrelief der Knusperhexe, auf deren Kopf ein Rabe thront. 

Zu beiden Seiten der Grotte sind Ruhebänke in den Stein gelassen. Darüber zeigen jeweils Bronzereliefs Motive aus dem Märchen. So sind auf der linken Seite Hänsel und Gretel im Wald zu sehen, die gerade das Knusperhäuschen finden. Über der rechten Bank schließen die Eltern die heimgekehrten Geschwister in ihre Arme. Die Reliefs zeigen also den Anfang und das Ende des Grimms Märchen. 

Die originalen Bronzeteile von 1906 sind heute nicht mehr vorhanden. Sie wurden im zweiten Weltkrieg eingeschmolzen, da sie, wie viele Denkmäler, als „Metallspende des deutschen Volkes“ dienten. Sie wurden jedoch von den Leipziger Künstlerinnen Elfriede Ducke und Hanna Studnitzka im Jahr 1965 erneuert.

Die Gebrüder Grimm in Leipzig


Nachdem die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm ihre Anstellung in Göttingen durch Proteste gegen den Verfassungsbruch des Königs von Hannover verloren hatten, kam die Überlegung auf, nach Leipzig zu ziehen. Dafür reiste Jakob Grimm in die Stadt, um einen Eindruck zu bekommen und Unterkünfte zu besichtigen. In Briefen an seinen Bruder wird jedoch ersichtlich, dass er Leipzig als zu vornehm, zu groß und zu teuer empfand. Durch diesen schlechten Eindruck verwarfen sie Leipzig als möglichen Wohnsitz wieder. Jedoch bekamen sie dennoch Unterstützung von liberalen Leipziger Bürgern, zu denen auch
Karl Reimer und Salomon Hirzel, Inhaber einer Buchhandlung, gehörten. Sie schlugen den Brüdern vor, gemeinsam mit ihnen ein neuhochdeutsches Wörterbuch herauszubringen. Seitdem waren Grimms oft zu Gast in Leipzig und trafen dort auf die Germanisten Moritz Haupt, Rudolf Hildebrand und Friedrich Zarncke sowie auf den Verleger Hermann Härtel. Anfang Mai 1852 kam schließlich die erste Fassung des „Deutschen Wörterbuchs“ heraus.

Von Märchen und Skandalen


Zum Ärger der Gebrüder Grimm waren ihre Märchen oft Opfer von Plagiat. Die Märchen wurden ohne Einverständnis gedruckt und verkauften sich oft besser als die Originale, da Illustrationen eingefügt wurden. Die Klagen gegen diese Veröffentlichungen reichten teilweise bis nach dem Tod der beiden. Im Jahr 1893 erlosch schließlich das Copyright für die Märchen und vor allem Leipziger Verlage erteilten für sie Illustrationsaufträge. Berühmtheit erlangte eine Ausgabe mit Zeichnungen von
Otto Ubbelohde, die 1907 bis 1909 im Turm-Verlag erschien.

Nach dem Zweiten Weltkrieg machte man Grimms Märchen in der frühen DDR mitverantwortlich an der Katastrophe des Dritten Reichs. So durfte zum Beispiel Hänsel und Gretel bis Mitte der 1950er Jahre nicht mehr in Kinderbüchern veröffentlicht werden. Begründung hierfür war die Erinnerung der Hexenverbrennung an den Holocaust. 

Leipzigs private Kinderbuchverlage beschränkten sich demnach auf lediglich eine kleine Auswahl von Märchenbilderbüchern, während der Reclam-Verlag ab 1948 wieder für große Texteditionen in seiner „Universalbibliothek“ sorgte. Diesem Schritt folgten immer mehr Verlage, wie der Insel-Verlag oder der Leiv-Verlag.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute…


Nicht nur der Märchenbrunnen erinnert heute an das Wirken der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm in Leipzig. Auch das von Josef Mágr verzierte
Märchenhaus mit Fabelwesen in der Philipp-Rosenthal-Straße 21 und der Rathausbrunnen, im Volksmund Rattenfängerbrunnen genannt, sind genauso Zeugnisse wie viele Straßennamen im Stadtteil Marienbrunn

Zu Weihnachten im Jahr 1812 erschien zum ersten Mal die Publikation „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm. Seitdem wurden ihre Märchen in mittlerweile 160 Sprachen veröffentlicht. Anlässlich dessen erschien im Jubiläumsjahr 2012 eine dreibändige Ausgabe des Haffman Verlags.

Stand: 29.11.2023

Bildergalerie - Märchenbrunnen

Historisches Bildmaterial - Märchenbrunnen

Paul, Alfred E. Otto

Friedhofsforscher, Spezialist für Begräbniskultur, Autor, Publizist | geb. am 27. September 1952 in Kleve

Es ist schon eine kleine Sensation, die zu großer Aufmerksamkeit und Diskussionsstoff in vielen Medien führt. Am 25. Januar 2023 öffnet Alfred E. Otto Paul, der Vorsitzende der Paul-Benndorf-Gesellschaft zu Leipzig, das Grab von Marinus van der Lubbe auf dem Leipziger Südfriedhof.  Ziel ist es, die Identität des Leichnams van der Lubbes zweifelsfrei zu klären und mögliche Spuren zu finden, ob der mutmaßliche Reichstagsbrandstifter von den Nationalsozialisten ermordet worden ist.

Mit dabei ist neben Vertretern des Friedhofs Dr. Carsten Babian, Leitender Oberarzt am Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig, der das noch immer gut erhaltene Hirn und einige Skelettteile entfernt und zur weiteren toxikologischen Untersuchung mitnimmt. Knapp fünf Monate später liegt ein Gutachten vor. Daraus geht eindeutig hervor, dass die sich im Grab befindenden Gebeine tatsächlich die sterblichen Überreste des Niederländers sind, der 1933 wegen der Brandstiftung des Reichstags in Berlin zum Tode verurteilt worden war. Spuren einer Vergiftung können allerdings nicht nachgewiesen werden. Alfred E. Otto Paul arbeitet die Spurensuche nun auf, wird die Ergebnisse in einem Buch veröffentlichen.

Der Friedhof als Lebenselixier


Der Friedhof ist zum Lebensmittelpunkt Pauls geworden, der in Kleve am unteren Niederrhein geboren wird. 1955 siedeln die Eltern in die Prignitz in Brandenburg um, wo er Kindheit und Jugend verbringt. Nach einer Handelslehre und einem Bauwesen-Studium arbeitet er als Bauingenieur. Die Liebe führt ihn nach Leipzig. Im Jahr 1985 übernimmt er die Leitung des Bestattungs- und Friedhofswesens Leipzig als Technischer Direktor. Verantwortlich für Bauwerke auf allen städtischen Friedhöfen Leipzigs erlebt er, wie viele Grabmale und Gebäude verfallen. Das tut ihm im Herzen weh. Vor allem an der Achse, die vom Eingang am
Völkerschlachtdenkmal bis zum Krematorium des Südfriedhofes führt.

Paul interessiert sich für die Geschichte des Leipziger Südfriedhofes, die er wissenschaftlich erforscht. Und erweitert diese Forschungen später auf den Alten Johannisfriedhof sowie den Neuen Johannisfriedhof. Letzterer wird 1950 für Bestattungen gesperrt. Ab 1973 werden die Gruftanlagen beseitigt, Gräber geräumt und eingeebnet. Das Areal wird schließlich als öffentliche Parkanlage umgestaltet und 1983 als Friedenspark unweit der Russischen Gedächtniskirche eröffnet.

Aus Protest, weil zu wenig für die Rettung der Kunstdenkmale auf den Friedhöfen der Stadt getan wird, legt Paul 1997 sein Amt als Technischer Direktor des Südfriedhofes nieder. Er wechselt in die Selbstständigkeit und gründet ein Büro für Sepulkralkultur in Leipzig. Paul recherchiert und publiziert eifrig, um die Öffentlichkeit für Friedhöfe und Grabkunst zu sensibilisieren. Ab 2007 bietet er regelmäßig Führungen auf dem Südfriedhof an, bei denen er oft von einem interessierten Publikum regelrecht überrannt wird. Die Leute lieben es, ihm zu lauschen, wenn er sein vielfältiges Wissen rund um die Historie des Leipziger Begräbniswesens weitergibt. Da kann es schnell passieren, dass 125 Leute erscheinen, die Führung mehrere Stunden dauert. Seine Begabung, unterhaltsam zu erklären, spricht sich herum. Die Führungen werden zum Kult. Selbst beim Wave-Gotik-Treffen, zu dem Anhänger der schwarzen Szene alljährlich an Pfingsten nach Leipzig reisen, ist er anzutreffen.

„Ein Benndorf“ der Neuzeit


Um Grabmale vor dem Verfall zu retten und zu restaurieren, gründet Paul mit einigen Mitstreitern und viel Enthusiasmus im Jahr 2008 die Paul-Benndorf-Gesellschaft zu Leipzig. Die widmet sich der Förderung und Pflege von Kulturwerten im Bereich des Friedhofs- und Denkmalwesens.

Studienrat Paul Benndorf (1859–1926) hat in akribischer Fleißarbeit die Geschichte des Alten Johannisfriedhofes erforscht und gilt als der Friedhofsexperte. „Ein Benndorf“ der Neuzeit ist Paul mittlerweile selbst geworden. Sein umfangreiches Wissen über Leipzigs Friedhofswesen schreibt er in etlichen Büchern nieder. Dazu gehört die Reihe „Kunst im Stillen“, die sich mit den Grabmalen auf dem Südfriedhof beschäftigt. Darin beschreibt er, in welchen oft kunstvoll gestalteten Grabmalen bekannte Persönlichkeiten ihre letzte Ruhe finden.

Er forscht weiter, will beispielsweise Kirchenbegräbnisse und ihre regionalen Besonderheiten und Rituale aufarbeiten. Paul vertieft sich wieder in Archiven, bis hin nach Holland und Belgien. Paul möchte – analog zum „Neuen Johannisfriedhof“ (erschienen 2012) – ebenfalls noch ein Buch über den Südfriedhof verfassen. „Das wird mein Hauptwerk, der Südfriedhof ist schließlich meine Domäne“, sagt der Forscher, der auch häufig im Stadtarchiv auf der Alten Messe anzutreffen ist.

Stolz auf Benndorf-Gesellschaft


Stolz ist Paul, dass die Paul-Benndorf-Gesellschaft die zweitgrößte ihrer Art in Deutschland geworden ist. Sie pflegt eine eigene Grabstätte, um ihre verstorbenen Mitglieder zu bestatten. In Zeiten, in denen viele in namenlosen Urnenanlagen „verschwinden“, soll die Grabstätte ein Beispiel sein, wie zeitgenössische Bestattungskultur funktionieren kann. Paul weiß, dass seine Arbeit oftmals kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sein kann. Viele der Kulturdenkmale sind in einem maroden Zustand. Es kostet viel Geld und guten Willen, sie zu retten. Doch unermüdlich machen er und seine Mitstreiter weiter, um „im kollektiven Schulterschluss mit der Stadt dieses Flächendenkmal Südfriedhof zu retten“, wie er in Gesprächen immer wieder sagt.

Ein Friedhofsmuseum als Vision


Eine Vision bleibt, an der Prager Straße ein Friedhofsmuseum zu eröffnen. Ab und an hält er auch Grabreden wie bei Aktfotograf
Günter Rössler oder Heimatforscher Claus Uhlrich. Die Paul-Benndorf-Gesellschaft betreibt ein Trauer-Café. Paul selbst ist gemeinsam mit Michael Schaaf einer der Gesellschafter der Firma Leipzig Details, die ein breites Spektrum an Stadtführungen anbietet.

Stand: 29.11.2023

Bildergalerie - Paul, Alfred E. Otto

Pester, Nora

Verlegerin, Politikwissenschaftlerin | geb. am 3. Mai 1977 in Leipzig

Sie ist Verlegerin des einzigen Verlages, der sich auf jüdische Kultur und Zeitgeschichte spezialisiert hat: Die gebürtige Leipzigerin Nora Pester hat den Verlag Hentrich & Hentrich für jüdische Kultur und Zeitgeschichte gekauft. Der hat seinen Sitz seit 2023 an einem geschichtsträchtigen Ort: Im Leipziger Capa-Haus in der Jahnallee 61, dem sie mit ihrem Engagement dazu verhilft, wieder ein öffentlich zugänglicher Erinnerungsort zu sein. Als Mieterin betreut Pester mit ihrem Verlagsteam den städtischen Capa-Gedenkraum, der dadurch wieder regelmäßig öffnen kann.

Viel Herzblut fürs Capa-Haus


Zu diesem Zweck haben das
Stadtgeschichtliche Museum Leipzig, die Bürgerinitiative Capa-Haus sowie der Verlag Hentrich & Hentrich ihre Netzwerke vereint sowie eigens die gemeinnützige Firma Capa Culture gGmbH gegründet. Der Verlag ist vom Haus des Buches im Gerichtsweg nach Lindenau gezogen. Nora Pester steht bei Veranstaltungen gemeinsam mit ihren Mitarbeitern auch mal an der Theke des ehemaligen Cafés Eigler, um Getränke auszuschenken. Das einstige Kuchenbuffet eignet sich hervorragend, um für die Bücher des Verlages zu werben. Der bietet ein breites Spektrum, gibt Jahr für Jahr um die 50 bis 70 Titel heraus. Ihr Wunsch ist es, dass sich das Capa-Haus als fester Veranstaltungsort in Leipzig etabliert. Da steckt sie viel Herzblut hinein.

Den Verlag gibt es seit 1982. Damals wird er als Edition Hentrich in West-Berlin gegründet. Doch dort kann er sich die hohen Mieten nicht mehr leisten. Die neue Inhaberin Nora Pester siedelt 2018 in ihre Geburtsstadt Leipzig über. Gründer Gerhard Hentrich hat die promovierte Politikwissenschaftlerin, die zuvor unter anderem für den Wiener Passagen Verlag und Matthes & Seitz arbeitet, als Nachfolgerin auserkoren. Ihre Karriere beginnt mit einem Praktikum beim 1989 gegründeten Forum Verlag. In Leipzig und in Wien studiert sie Hispanistik, Politikwissenschaften und Volkswirtschaftslehre.

Aufgewachsen im Waldstraßenviertel


Sie ist im
Waldstraßenviertel aufgewachsen, wo sie schon in der Kindheit mit geheimnisvollen jüdischen Spuren oder was davon übriggeblieben ist, in Berührung kommt. Dort gibt es das ehemalige jüdische Eitingon-Krankenhaus sowie ein Altersheim, das inzwischen als Ariowitsch-Haus zur Begegnungsstätte geworden ist. Im Jahr 1988 hat Pester gemeinsam mit ihrer Schulklasse die vielbeachtete Ausstellung „Juden in Leipzig“ besucht, die erstmals in der DDR die reichhaltigen Traditionen des Judentums sowie den Holocaust thematisiert. „Plötzlich hatten die Menschen Namen und Gesichter“, erinnert sie sich. Weil sie das bei den Jungen Pionieren in der DDR übliche Gruppenbuch führt und die Mitschüler zur rechtzeitigen Abgabe drängt, sei sie im Grunde genommen schon in der Grundschule Verlegerin gewesen, sagt sie lächelnd.

Jüdische Wurzeln hat Nora Pester selbst nicht. „Manche sagen, dass es sogar von Vorteil ist, dass ich keine Jüdin sei: Weil ich viele Dinge tatsächlich etwas neutraler betrachten und auch vermitteln kann bei all dem, was Konflikte birgt“, erklärt Pester.

Durch das neue Domizil im Capa-Haus arbeitet der Verlag sehr transparent. Besucher können ihr und ihren drei Mitarbeitern während der Öffnungszeiten durchaus mal über die Schulter schauen. Ziel des Verlages ist es, jüdisches Leben in all seinen Facetten abzubilden. Dazu gehören auch die ständige Gefährdung und Anfeindungen, die mit dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 eine neue Dimension erreichten. Bestürzend aktuell ist das Buch über den Dichter und Sänger Leonard Cohen von Matti Friedmans geworden, dessen Tournee im Oktober 1973 plötzlich Teil des Jom-Kippur-Krieges wird. 50 Jahre vor dem gewalttätigen Angriff der Hamas, der zu einem neuen Krieg im Nahen Osten führt.

Die Rolle des Verlags hat sich gewandelt. Zunächst legt dieser den Fokus auf Biografien, historische Studien und die Aufarbeitung des Holocaust. Für Nora Pester bringt der 9. Oktober 2019, der Tag des Anschlages auf die Synagoge in Halle, einen Bruch in ihrer Arbeit. Seitdem ist es ihr wichtiger geworden, „nicht nur von nicht mehr lebenden, sondern auch von jetzt lebenden Juden zu erzählen.“ Vom Kochbuch bis zum Gebetsbuch, von Zeitgeschichte und Biografien (etwa über „Juden in der DDR“) bis zum politischen Sachbuch bietet der Verlag vieles an, um zum öffentlichen Diskurs beizutragen. Sie thematisiert, wie Antisemitismus sich selbst in den progressiven Milieus in der Mitte der Gesellschaft breitmacht.

Aufklärung gegen Stereotypen des Antisemitismus


Der aktuelle
Bestseller des Verlages heißt „Judenhass Underground“. „Antisemitismus mit all seinen Stereotypen ist so tief und fest verankert in der Mitte der Gesellschaft. Dem muss ein jüdischer Verlag entgegenarbeiten, diesen Auftrag muss er erbringen und erfüllen“, sagt Pester. „Ich will vor allem Bücher machen, die wirken“, erklärt die Verlegerin, die natürlich auch Unternehmerin ist. Es sei ihr wichtig, Diskussionen anzustoßen. Sie widmet sich aber auch koscherem Humor, etwa in einem Kalender. Ben Gershon hat die Comicfigur Jewy Louis entwickelt, mit der er lustige Situationen und die Absurditäten des jüdischen Lebens in einer nichtjüdischen Gesellschaft schildert. Mittlerweile gibt es auch Kinderbücher im Verlag. Derzeit sind mehr als 700 Titel lieferbar. Für diese „lebendige, anschauliche Enzyklopädie jüdischer Kultur und Zeitgeschichte“ erhielt der Verlag den Förderpreis der Kurt-Wolff-Stiftung. Nora Pester ist erstmals selbst unter die Autoren gegangen. „Jüdisches Leipzig“ heißt ihr praktischer Stadtführer, der „Menschen – Orte – Geschichte“, wie es im Untertitel heißt, vorstellt. Sie möchte, dass Menschen das jüdische Leipzig selbst entdecken können.

Der Verlag organisiert viele Veranstaltungen, darunter im Ariowitsch-Haus. Es gibt aber kaum klassische Lesungen. „Ich finde es interessanter, wenn Themen in Gespräche verpackt sind und eine Interaktion mit dem Publikum stattfindet“, so Pester.

Stand: 29.11.2023

Bildergalerie - Pester, Nora

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