Hotel Astoria

Willy-Brandt-Platz 2 / Gerberstraße / Kurt-Schumacher-Straße | Ortsteil: Zentrum

Noch heute schwärmen viele von einem Hotel, dessen Stern erstmals mitten im Ersten Weltkrieg aufleuchtet. Das Hotel Astoria am Blücherplatz (heute Willy-Brandt-Platz) öffnet am 5. Dezember 1915 mit einem vom Deutschen Roten Kreuz veranstalteten Wohltätigkeitstag und avanciert rasch zu einer der ersten Adressen Deutschlands. Das moderne Grandhotel beherbergt über viele Jahrzehnte Prominente aus aller Welt. Doch am 31. Dezember 1996 gehen die Lichter der einstigen Nobelherberge aus, die zu diesem Zeitpunkt der Maritim Hotelgesellschaft gehört.

Die Eigentümer wechseln…


Die verkauft die Immobilie zunächst an den US-Konzern Blackstone. Doch die Besitzer wechseln erneut. Mehrmals wird versucht, einen neuen Betreiber für das inzwischen ruinöse Gebäude zu finden. Im Mai 2018 stellen die Stadt Leipzig und die Intown Property Management GmbH Pläne vor, wie das Hotel zu neuem Leben erweckt werden soll. Ein Jahr später beginnen erste Bauarbeiten. Die werden Mitte 2019 allerdings durch einen gerichtlichen Baustopp unterbrochen, den die benachbarte Best Western GmbH erwirkt. Monate später geht es weiter. Der Berliner Investor Lianeo Real Estate (ehemals Intown Property) kündigt an, dass das Astoria Ende 2025 als Vier-Sterne-Plus-Haus neu öffnen soll – samt 250 Zimmern und Suiten mit 500 Betten, die sich an historischen Grundrissen orientieren. Angeboten werden sollen viel Gastronomie und ein Kongresszentrum für bis zu 1.000 Gäste. Der alte Haupteingang, der zur Eröffnung 1915 genau gegenüber vom
Hauptbahnhof lag, kehrt zurück. Im Erdgeschoss entstehen eine Bar und ein Restaurant. Über der geplanten Tiefgarage im Hof werden fünf Ballsäle errichtet. Im fünften Obergeschoss soll es eine „roof top bar“ geben, auf der Seite der Kurt-Schumacher-Straße ist eine Gaststätte mit Dachterrasse geplant. Ob alle Pläne so aufgehen und unter welchem Namen das Hotel dann auftritt, bleibt allerdings abzuwarten.

Traditionshaus für wohlhabende Gäste aus aller Welt


Das Hotel Astoria Leipzig entsteht zwischen 1913 bis 1915.
William Lossow und Max Hans Kühne liefern den Entwurf. Beide gehören vor dem Ersten Weltkrieg zu den renommiertesten Dresdner Architekten und entwerfen auch den Leipziger Hauptbahnhof. Hotel und Bahnhof werden zeitgleich eröffnet. Auf einer Fläche von rund 2.800 Quadratmetern stehen 200 Zimmer, 60 Bäder, mehrere Restaurants, eine Bar sowie ein Tanzcafé für die Gäste bereit. Hinter der Empfangstheke gibt es einen mit 20 Zentimetern dicken Metallwänden gesicherten Tresorschrank, in dem die betuchten Gäste Schmuck und Geld aufbewahren können. Im Erdgeschoss erwartet sie eine behaglich ausgestattete Wandelhalle. Es existiert sogar eine Garage für Automobile – für diese Zeit eine beachtliche Neuerung, die den gehobenen Status des Hotels unterstreicht. Zeitgenössische Zeitungen loben, dass in den Zimmern des Hotels jede Eintönigkeit vermieden wird. Sei es durch unterschiedliche Wandverkleidungen oder Wandfarbe sowie die Möblierung.

Wohlhabende Gäste aus aller Welt logieren für rund zwei Jahrzehnte im Astoria. Einschneidende Veränderungen bringt das Dritte Reich. Den Nationalsozialisten gefällt es nicht, dass das Hotel dem jüdischen Bauunternehmer Carl Ottokar Cohn gehört. Er wird von den Nationalsozialisten gezwungen, es weit unter Wert an den Staat zu verkaufen. Cohn wird 1938 von der Gestapo verhaftet. Durch den Verkauf entkommt er dem Konzentrationslager. Juden sind seit dem Novemberpogrom 1938 im Hotel unerwünscht – auch zur Leipziger Messe.

Die Gäste werden ursprünglich am Haupteingang Blücherstraße direkt gegenüber vom Hauptbahnhof empfangen, in der heutigen Kurt-Schumacher-Straße. Verlegt wird dieser erst nach dem Wiederaufbau des Grandhotels, das bei den Bombenangriffen vom 4. Dezember 1943 teilweise zerstört wird. Dach und Fassade bleiben aber intakt.

Astoria wird wieder ein Aushängeschild


Die Kriegsschäden sind nicht gering. Die Rote Armee nutzt das Astoria als Quartier. Trotzdem gelingt es, einige Zimmer des Hotels schon zur Frühjahrsmesse 1946 bereitzustellen. Durch Gäste aus aller Welt zieht wieder ein Hauch von Internationalität, wie vor dem Zweiten Weltkrieg, ein. 1949 kann das „Astoria“ offiziell wieder öffnen. Viele Instandsetzungsarbeiten ziehen sich jedoch bis in das Jahr 1952 hin. Ende der 1950er Jahre entsteht ein Anbau. 1953 kommt das Hotel unter die Regie staatlicher Leitung.

Schnell wird das Astoria wieder zum Aushängeschild der Stadt. Es kommen auch wieder gut betuchte Gäste. Dennoch gerät das Traditionshaus in schwieriges Fahrwasser, weil die Preise jenen anderer Hotels angeglichen werden müssen. 1965 wird es in den Verbund der Interhotels der DDR eingegliedert. Das einstige Renommierhotel wird schließlich zum sozialistischen Hotelbetrieb. Doch es kann seine herausragende Stellung auch zu DDR-Zeiten behaupten.

Bei den älteren Leipzigern hat fast jede Familie eine Geschichte zu erzählen, die sie mit der Herberge verbindet. Viele haben hier Hochzeiten, Betriebsfeiern und vieles mehr in gehobenem Ambiente erlebt. Über acht Jahrzehnte tragen Generationen von Kellnern, Zimmermädchen, Köchen, Liftboys und viele andere Servicekräfte zum guten Ruf des Hotels bei. Für die Beschäftigten des Hotels bedeuten vor allem die Messewochen den Ausnahmezustand. Das Astoria wird auch offizielles Protokoll- und Regierungshotel. Die Servicekräfte sind zum Schweigen verpflichtet, ganz wie Pfarrer oder Rechtsanwälte. Sie dürfen nicht erzählen, welche Prominenten nach einem ausufernden Umtrunk „vom Stuhl gefallen sind“. Und auch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR sowie die Devisenbeschaffer des DDR-Außenhandels quartieren sich hier regelmäßig ein, wie zahlreiche Fernsehdokumentationen zeigen.

Astoria-Mannschaft trifft sich jedes Jahr


Der Leipziger Autor
Henner Kotte hat ein Buch über die Geschichte der außergewöhnlichen Herberge geschrieben. Es ist im März 2022 im Mitteldeutschen Verlag erschienen und liest sich sehr spannend. Der Titel lautet: „Astoria Leipzig – Biografie eines Hotels“. Zu dieser Publikation hat auch Gästeführerin Christa Schwarz, einst Verkaufsleiterin des „Astoria“, mit Schätzen aus ihrem Privatarchiv erheblich beigetragen. Alljährlich am 5. Dezember trifft sich die Astoria-Mannschaft, um an die glanzvollen Zeiten der Nobelherberge zu erinnern und gemeinsam zu hoffen, dass ihr Stern eines Tages wieder am Leipziger Himmel aufgeht.

Stand: 11.04.2024

Hocquél, Wolfgang

Architekturhistoriker, Denkmalpfleger, Autor | geb. am 25. September 1947 in Osterfeld

Ruhestand scheint Wolfgang Hocquél aus seinem Wortschatz gestrichen zu haben: Der Architekturhistoriker und Denkmalpfleger, der viel Sympathie für alte Häuser hat, arbeitet unermüdlich an Publikationen: Der „Architekturführer Leipzig – Von der Romanik bis zur Gegenwart“ ist sicherlich das Highlight. Das komplett überarbeitete Buch stellt auf 416 Seiten die wichtigsten der 15.000 Kulturdenkmale Leipzigs vor. Erschienen ist es 2023 im Leipziger Passage-Verlag in vierter Auflage. „Leipzig – Baumeister und Bauten“ heißt der ebenso bekannte Vorläufer. „Ich habe immer viel publiziert, weil es mir Spaß macht“, sagt Hocquél. „Bei jedem Denkmal, jeder historischen Persönlichkeit kann ich etwas Neues lernen.“ Schließlich müsse jeder Denkmalpfleger wissen, was er aus welchem Grund erhalten muss. Öffentlichkeitsarbeit sei da unverzichtbar. „Schließlich müssen wir ein Bewusstsein für Denkmale schaffen, die Menschen aufklären.“

Ein Herz für die Denkmalpflege


Seit mehr als einem halben Jahrhundert lebt Hocquél in Leipzig. Geboren wird er in Osterfeld in Sachsen-Anhalt. In Merseburg wächst er auf, wo er 1966 auch das Abitur ablegt. Nach der Armeezeit bei der Nationalen Volksarmee studiert er 1968 bis 1972 an der Hochschule für Bauwesen in Leipzig. „Ich bin nach Leipzig gekommen, als die
Universitätskirche schon gesprengt war“, so der spätere Bauingenieur. Er arbeitet in den unterschiedlichsten leitenden Funktionen als Denkmalpfleger. Zunächst in der Abteilung Kultur beim Rat der Stadt. 1984 wird er Bezirksdenkmalpfleger beim Rat des Bezirkes, später ein Jahr lang Direktor des Büros für architekturbezogene Kunst und Denkmalpflege des Bezirks Leipzig.

Schon damals stört ihn der ruinöse Zustand vieler Gebäude. Die DDR erlässt zwar 1975 ihr erstes Denkmalschutzgesetz. „Das war fachlich sehr gut“, so der Experte. Aber wegen fehlender Finanzen und Bauressourcen bleibt es wie ein Kampf gegen Windmühlen. Kleine, private Baubetriebe sind kaum noch vorhanden. Die Großen, wie das Leipziger Baukombinat, konzentrieren sich darauf, Plattensiedlungen auf der grünen Wiese zu errichten.

Wiederaufbau von Schloss Machen wird erstes Projekt


In den 1980er Jahren will er es noch einmal wissen. Er belegt Kunstgeschichte an der damaligen
Karl-Marx-Universität (heute Universität Leipzig), wo er 1987 auch promoviert. „Leipziger Kaufmannshöfe, Messehäuser und Passagen“ heißt die auch als Buch veröffentlichte Arbeit. Sein erstes größeres Projekt wird der Wiederaufbau des Ostflügels vom Schloss Machern, der 1981 bei einem Brand zerstört wurde. 1982 gehört Hocquél zu den Mitbegründern der Kulturzeitschrift Leipziger Blätter.

Am Ende der DDR hat die Belastung der Umwelt sowie die Zerstörung der Bausubstanz nahezu unerträgliche Ausnahme angenommen. Zum Glück kommt die Friedliche Revolution, die Menschen gehen auf die Straße. Auch Hocquél handelt. Mit Mitstreitern gründet er die Kulturstiftung Leipzig.

Auslöser ist ein Treffen von 14 Künstlern, Wissenschaftlern und Geistlichen am 26. Januar 1990 im historischen Lokal Zum Arabischen Coffe Baum. Neben Hocquel sind unter anderem Heinz-Jürgen Böhme, Gunter Böhnke, Werner Heiduczek, Bernd-Lutz Lange, Friedrich Magirius, Wolfgang Mattheuer, Bernd Weinkauf und Gewandhauskapellmeister Kurt Masur dabei. 1991 wird die Kulturstiftung Leipzig als Nummer 1 ins Stiftungsverzeichnis des Regierungspräsidiums Leipzig eingetragen. Masur wird ihr erster Präsident. Bei Benefizkonzerten in Frankfurt am Main sowie in Köln spielt er mit dem Gewandhausorchester Geld fürs Stiftungskapital ein. Die Stiftung beantragt bereits im März 1990 beim damaligen Runden Tisch, ihr einige Baudenkmale zu überlassen, damit sie diese sanieren kann. Sie bekommt schließlich die marode Alte Nikolaischule per Erbbaupacht übertragen. 1992 bis 1994 werden dort 13,9 Millionen Deutsche Mark investiert. Das ist nur möglich, weil Leipzigs Partnerstadt Frankfurt/Main stolze 8,9 Millionen DM beisteuert.

Eine Wende in der Baupolitik


Im Januar 1990 ist Wolfgang Hocquél Initiator der ersten demokratischen Volksbaukonferenz, die im Januar 1990 auf dem
agra Messepark in Markkleeberg stattfindet. Die Konferenz leitet eine Wende in der Baupolitik Leipzigs ein. Hocquéls Credo: Mit jedem Neubau auf der Grünen Wiese geht die Altstadt ein bisschen mehr kaputt. Deshalb müsse Schluss sein, die historische Substanz zu zerstören. „Die Gründerzeitstruktur macht Leipzig aus. Sie möglichst zu erhalten, ist kein Luxus“, betont er. 1992 wird er dann Leiter der Höheren Denkmalschutzbehörde beim Regierungspräsidium Leipzig. Dort setzt er auch Fördermittel gezielt ein, um die Sanierung maroder Gebäude voranzubringen und kann etliche Erfolge vorweisen. Auf eigenen Wunsch verlässt er die Denkmalschutzbehörde 2008. Das ist eine Auswirkung der sächsischen Verwaltungsreform.

Hocquél wird schließlich Geschäftsführer der Kulturstiftung Leipzig. Sein größter Coup ist eine Ausstellung „made in Leipzig“ über die sogenannte Leipziger Schule in Torgau. Dort präsentiert die Kulturstiftung Leipzig von Anfang April bis Ende Oktober 2007 Arbeiten von 29 Künstlern und spricht damit 20.000 Besucher an. Es ist eine Zeit, in der die Welt über die neue Kunst aus Leipzig spricht. Die Idee, die Privatsammlung Essl aus Klosterneuburg in Torgau zu präsentieren, hat er gemeinsam mit Kunsthistoriker Richard Hüttel. Im Museum der bildenden Künste Leipzig kommt diese Ausstellung damals nicht zustande.

Ein neues Buch über Leipziger Villen


Bei der Kulturstiftung bleibt er bis 2015 – seitdem setzt er freiberuflich als Autor und Gutachter für Denkmalschutz verschiedene Projekte um. Manchmal auch außerhalb Leipzigs. Er hat nach etwa einem Dutzend Büchern und Publikationen noch große Pläne. Neuestes Projekt ist ein Bildband über Leipziger Villen, den er gemeinsam mit Richard Hüttl schreibt. Das verzögert sich, weil der Verlag Faber & Faber Insolvenz angemeldet hat. Die Idee, seine Geschichten und Erlebnisse rund um die Denkmalpflege in Leipzig aufzuschreiben, hat er ebenfalls. „Da gibt es viele interessante Details zu erzählen.“ Und hin und wieder ärgert sich der Denkmalbewahrer auch: Mit dem „Aufbau“ der
Hauptpost am Augustusplatz kann er sich nicht richtig anfreunden. „Was für die Renaissance das Alte Rathaus, ist für die ‚Ostmoderne‘ die Hauptpost. Mit ihr hätte man sich mehr Mühe geben müssen“, findet er.

Stand: 08.03.2024

Bildergalerie - Hocquél, Wolfgang

Gondwanaland im Zoo Leipzig

Pfaffendorfer Straße 29 | Ortsteil: Zentrum-Nordwest

Ein wenig Vorsicht ist bei den Totenkopfäffchen geboten. Brille, Handy oder gar Fotokamera sind vor ihnen manchmal nicht sicher. Ozelots und Fischkatzen rühren sich hingegen tagsüber wenig vom Fleck. Und die Faultiere machen ohnehin ihrem Namen alle Ehre. Etwa 170 Tierarten leben im einzigartigen tropischen Regenwald in Leipzig: Am 1. Juli 2011 eröffnet der Zoo Leipzig seine Tropenerlebniswelt Gondwanaland. Der Name stammt vom Urkontinent, der vor ca. 100 Millionen Jahren zerbricht, sodass sich Südamerika, Afrika und ein Teil Asiens in ihrer heutigen Form entwickeln können.

Das Herzstück vom „Zoo der Zukunft“


Die Zoo-Besucher sollen hier
für das Ökosystem Regenwald sensibilisiert werden. Und natürlich auch dessen schützenswerte Tiere. Der Erfolg gibt dem weltweit beachteten Herzstück des Projektes „Zoo der Zukunft“ Recht. Das Gondwanaland hat seit der Eröffnung Millionen Menschen begeistert. Für Zoodirektor Jörg Junhold und Michael Weichert, dem Chef des Fördervereins Zoo, ist die Tropenlandschaft „die Erfüllung eines Traums“. Die Riesentropenhalle hat die Anziehungs- und Wirtschaftskraft des Leipziger Zoos enorm gesteigert. Und Gäste erleben sie oft wie eine Wundertüte. Es bleibt selbst bei häufigen Stippvisiten immer spannend, welche Tiere die Besucher, die den Regenwald per Boot, aus den Wipfeln der Bäume und ebenerdig erkunden können, zu sehen bekommen und welche nicht. Zahlreiche Tiere streifen frei durch Gondwanaland.

Bis die Attraktion eröffnen kann, vergehen zehn Jahre Vorbereitungszeit. Laut Masterplan „Zoo der Zukunft“ sollte das Projekt zunächst im bisherigen Areal – in der Mitte des Zoos – integriert werden. Doch das erweist sich als schwierig, zumal beim Bau erhebliche logistische Probleme zu überwinden wären. Im Zuge der Olympiabewerbung Leipzigs für 2012 ergibt sich bei der Vorbereitung die Möglichkeit, die benachbarte große Industriebrache zu erwerben. Dort produzierten einst die Kammgarnspinnerei, später dann ORSTA-Hydraulik. Stadt Leipzig und Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG) einigen sich in einem Grundstückspaket über das 2,7 Hektar große Grundstück.

Die größte Tropenhalle Europas


Realisiert wird dort ein Entwurf der Henchion Reuter Architekten aus Berlin/Dublin. Das sind die Zweitplatzierten in einem Wettbewerb. Im November 2017 erfolgte ein erster symbolischer Spatenstich. Die Henchion Reuter Architekten entwerfen eine Stahl- und Glashalle auf einer Fläche von rund 16.500 Quadratmetern. Der Grundriss hat die Form eines gleichseitigen Dreieckes, bei dem die Seiten nach außen gebogen sind. Die gerundeten Kanten gliedern die drei Themenbereiche Afrika, Südamerika und Asien. Die lichte Höhe in der Hallenmitte beträgt bis zu 34,5 Meter. Das ist notwendig, um genügend Platz für großwüchsige Tropengewächse vorzuhalten. Die Baukosten belaufen sich auf nahezu 70 Millionen Euro. Das ist deutlich mehr als ursprünglich vorgesehen (geplant: 49,5 Millionen Euro). Bauverzögerungen und rasant gestiegene Stahlkosten sowie die Insolvenz einer maßgeblich beteiligten Baufirma verteuern
die größte Tropenhalle Europas. Doch das Ergebnis kann sich sehen lassen. Das Innere ist mit einem 360 Meter langen Urwaldfluss „Gamanil“ ausgestattet, auf dem eine Bootsfahrt die Gäste in die Erdgeschichte eintauchen lässt. Im Vulkanstollen sind lebende Fossilien zuhause – wie der Australische Lungenfisch sowie Pfeilschwanzkrebse, die ihr Aussehen seit Jahrmillionen kaum verändert haben. Über 24.000 tropische Pflanzen in der mehr als zwei Fußballfelder großen Halle sorgen für das notwendige Flair eines Urwaldes. Sie stammen aus Baumschulen in aller Welt, darunter aus Thailand, Florida, Singapur und Malaysia. In einem tropischen Nutzgarten gedeihen 60 exotische Früchte und Gewürze.

Baumwipfelpfad ist eine Attraktion


Wie im echten Dschungel wächst die Vegetation in mehreren Etagen, die Lebensräume für verschiedene Tierarten bilden. Kleine Bodengewächse gehören ebenso dazu wie Bambushaine, Sumpf- und Wasserpflanzen sowie wahre Baumriesen. Eine Attraktion ist der 90 Meter lange Baumwipfelpfad, von dem aus die Besucher herrliche Ausblücke über die Tropenerlebniswelt genießen. 

In Tropenmanier mit einer Machete schneidet Zoodirektor Jörg Junhold das Band nach mehr als drei Jahren Bauzeit zur Eröffnung durch. Am 1. Juli 2011 und an den Folgetagen stehen die Menschen Schlange, um die neue Attraktion in Besitz zu nehmen. Und vor allem die Tiere zu sehen. Anfangs sind es 90, mittlerweile 170 Tierarten. Viel Aufmerksamkeit beschert dem Zoo zunächst seine unangefochtene Schönheitskönigin: Heidi, das schielende Opossum. Die Beutelratte erreichte Popularität bis hin nach Hollywood.

Im Gondwanaland herrschen 25 Grad Raumtemperatur sowie eine hohe Luftfeuchtigkeit. Dadurch entsteht das Gefühl, tatsächlich einen tropischen Dschungel zu betreten. Ein hochmodernes Heiz-, Bewässerungs- und Belüftungssystem, das ganz auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz ausgerichtet ist, sorgt für die notwendige Atmosphäre. Genutzt wird die natürliche Sonneneinstrahlung, um das Gebäude wie ein Gewächshaus aufzuheizen. 407 Folienkissen in der Dachkonstruktion lassen beispielsweise einen Großteil der sichtbaren Licht- und Wärmestrahlung passieren. Letztere wird in einem 100.000 Liter großen Wärmespeicher gesammelt und nachts zum Heizen genutzt. Nur im Winter ist eine zusätzliche Heizung nötig.

Artenschutz und viele Zuchterfolge


Artenschutz und Nachhaltigkeit sind wichtige Eckpfeiler des Großprojektes. Regelmäßige Zuchterfolge bei den Ozelots, Dianameerkatzen und Tüpfelbeutelmarder (Quolls) bestätigen das eindrucksvoll. Die Zucht der erstmals in Europa gehaltenen Tüpfelbeutelmarder ist eine absolute Erfolgsgeschichte.

Einmal im Jahr zaubert der Zoo sogar Lichter unter sein Tropendach. Dann wird das Gondwanaland – wie andere Bereiche – beim Magischen Tropenleuchten illuminiert. Wer möchte, kann im Januar/Februar an verschiedenen Abenden auf einem funkelnden Lichterweg durch einzelne Zoobereiche spazieren, glitzernde Gestalten treffen, illuminierte Fassaden und leuchtende 3D-Tierfiguren bestaunen. 

Der Eintritt in die Tropenerlebniswelt Gondwanaland ist im Zooticket enthalten. Ein separater Besuch ist jedoch nicht möglich.

Stand: 11.03.2024

Bronzerelief „Aufbruch“

Jahnallee 59 (Campus Jahnallee) | Ortsteil: Zentrum-West

Ein wenig verloren wirkt das Monument „Aufbruch“ schon. Besser bekannt ist es als Marx-Relief. Der Kopf des Philosophen Karl Marx ist das wohl auffälligste Merkmal der freistehenden Plastik auf dem Campus Jahnallee der Universität Leipzig. Das Bronzerelief ist 14 Meter lang, 7 Meter hoch und wiegt 33 Tonnen.

Neuer Standort für Marx-Relief nach kontroverser Debatte


Einst hängt das Relief über dem Eingang des Rektoratsgebäudes der ehemaligen
Karl-Marx-Universität auf dem Karl-Marx-Platz (heute: Augustusplatz). Das allerdings wird abgerissen. Im Zuge der Um- und Neubauarbeiten für den neuen Leipziger Universitätscampus am Augustusplatz nach Plänen des Rotterdamer Architekten Erick van Egeraat wird das Relief 2006 abgebaut. Es bekommt einen neuen Standort, der Abstand zum bisherigen zentralen Platz mitten in Leipzig symbolisieren soll. Vorausgegangen ist dieser Entscheidung eine kontroverse Debatte. Der Leipziger Schriftsteller und Ehrenbürger Erich Loest plädiert gar dafür, das Relief auf die Etzoldsche Sandgrube und damit auf die Trümmer der Universitätskirche St. Pauli in Probstheida zu legen. Und die Entscheidung, was daraus wird, späteren Generationen zu überlassen. Doch die Universität um den damaligen Rektor Franz Häuser möchte eine Bilderstürmerei verhindern. Häuser plädiert dafür, das Bronzerelief so aufzustellen, dass eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Teil der Universitätsgeschichte möglich bleibt.

„Aufbruch“ beherrscht den Karl-Marx-Platz


„Aufbruch“ ist eine Arbeit des Künstlerkollektivs
Klaus Schwabe, Rolf Kuhrt und Frank Ruddigkeit. Das Trio kann sich 1970 bei einem Wettbewerb durchsetzen. Die inhaltliche Vorgabe lautet: Karl Marx und das revolutionäre und weltverändernde Wesen seiner Lehre (Aufbruch). Ihren ursprünglichen Entwurf müssen die Künstler allerdings überarbeiten. Das Budget für den Universitätsbau wird gekürzt. Das geplante Auditorium Maximum, das auf dem Platz des heutigen Gewandhauses entstehen soll, fällt ganz dem Rotstift zum Opfer. Die Zahl der geplanten Kunstwerke wird ebenfalls verringert, so dass ein zentrales Monument in der Platzmitte entfällt. Das Marx-Relief musste nun platzbestimmend sein. Die Kosten dafür erhöhen sich von 250.000 DDR-Mark auf 1,12 Millionen DDR-Mark. Eingeweiht wird das Denkmal am 7. Oktober 1974. Es ist der 25. Jahrestag der DDR. Das wuchtig wirkende, massive Bronzerelief beherrscht nun die Stelle im Stadtbild, an der sich einst die Giebelwand der Universitätskirche St. Pauli befand. Die Kirche wurde am 30. Mai 1968 gesprengt.

Relief verbildlicht vorherrschende Ideologie


Der Karl-Marx-Kopf auf der linken Seite, der ca. zwei Drittel der Gesamthöhe einnimmt, ist beim Kunstwerk besonders auffällig. Der Blick ist starr nach links gewandt. Er verbildlicht die vorherrschende Ideologie des Marxismus-Leninismus. Darüber hinaus sind auf dem Bild verschiedene Personengruppen zu sehen. Die zentrale Gruppe mit acht Personen erinnert an einen Demonstrationszug. Dieser wird von einer Frau angeführt. Diskutierende Menschen aus verschiedenen Nationen nehmen den rechten Bildteil ein.

Angefertigt wird der Guss in der Kunstgießerei Lauchhammer, die auch den Abbau übernimmt. Das riesenhafte Bildnis, das vor dem Neuaufbau mehr als zwei Jahre eingelagert wurde, prägte das Portal der Karl-Marx-Universität 33 Jahre. Auf dem Campus Jahnallee ist der „Aufbruch“ eingerahmt von drei großen Betonplatten. Erläuterungstafeln erzählen zudem die Geschichte des Reliefs, damit Passanten das Denkmal einordnen können.

Stand: 29.02.2024

Bildergalerie - Bronzerelief „Aufbruch“

Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

Bernhard-Göring-Straße 152 | Ortsteil: Connewitz

„Werfen Sie Ihre Unterlagen nicht weg“ steht auf einer Broschüre. Seit ihrer Gründung sammelt der Verein Archiv Bürgerbewegung Leipzig im Haus der Demokratie alle Dokumente, Zeugnisse und Fotos vom Widerstand und der Opposition in der DDR, von der Bürgerbewegung und den in den Jahren 1989/90 entstandenen Initiativen und Parteien. Ziel ist es, jene Zeitzeugnisse dauerhaft aufzubewahren, zu erschließen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Vor allem für die jüngere Generation. „Entdeckendes Lernen“ heißt das Zauberwort. Die im Haus der Demokratie beheimatete Einrichtung hat sich als außerschulischer Lernort etabliert, will Schülern einzelne Aspekte der DDR-Geschichte erfahrbar machen. 

Neu ist eine digitale Lernplattform zu Jugendkulturen. Auf dieser sind verschiedene Online-Module für Schüler zu Beat, Heavy-Metal, Breakdance, Punk, Neonazis und rechtsextremen Jugendlichen in der DDR sowie zur Umweltbewegung zu finden. Unter dem Titel „Die andere Jugend“ wird dies der offiziellen Jugendkultur gegenübergestellt.

Verein erarbeitet sich guten Ruf


Seit 1991 hat sich der Verein viel Vertrauen und einen guten Ruf erarbeitet, sorgsam mit den Schätzen der
Friedlichen Revolution umzugehen. Noch immer kommen neue Dokumente hinzu. Nicht wenige der Zeitzeugen, die im Wendeherbst 1989/90 diverse Daten sammeln, heimlich fotografieren oder gar kleine Filme drehen, haben sich inzwischen von ihren Schätzen getrennt. Sie wollen sie wohlbehütet wissen – vielleicht aus Angst, dass die Nachkommen sie irgendwann wegwerfen.

Als Gründungsdatum des Archivs Bürgerbewegung gilt der 23. Mai 1991. Seine Wurzeln liegen aber bereits in den Jahren 1987/88, als Oppositionelle die Idee haben, ein eigenes Kommunikationszentrum und eine Umweltbibliothek aufzubauen. Start ist dann in einer Privatwohnung in der Kurt-Eisner-Straße, die der westdeutsche Historiker Klaus Roewer mietet. „Wer zur Friedlichen Revolution forschte, konnte Unterlagen der SED oder der Staatssicherheit einsehen. Die der Opposition waren hingegen nirgendwo gesammelt“, erinnert sich Uwe Schwabe, der Vorstandsvorsitzende des Archivs. Er ist einer der acht Gründungsmitglieder, die das ändern wollen.

Platzprobleme im Haus der Demokratie


1991 bekommt der Verein zwei ABM-Stellen bewilligt, die die Sammlung aufbauen. Diese soll zunächst ein Teil des
Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig werden und in den Neubau am Böttchergäßchen ziehen. Doch der Verein lehnt das ab, um nicht „in der großen Stadtgeschichte unterzugehen“. Er bezieht Räume in der Markusgemeinde in der Dresdner Straße, später in der ehemaligen Iskra-Gedenkstätte in der Russenstraße sowie im Fregehaus. Mittlerweile ist der Verein, der über die Bundesstiftung Aufarbeitung, die Stiftung Sächsische Gedenkstätten sowie die Stadt Leipzig gefördert wird, im Haus der Demokratie in Connewitz beheimatet.

Dort werden die leeren Regale zusehends rar. Der Bestand umfasst bereits mehr als 250 laufende Meter Archivgut. Allein die Fotosammlung beinhaltet etwa 30.000 Bilder von mehr als 30 Fotografen. Auf einem Großteil der Fotos sind illegale Demonstrationen und Veranstaltungen aus den 1980er Jahren dokumentiert, aber auch Friedensgebete in der Nikolaikirche sowie die Akteure des Herbstes 1989 wie Christoph Wonneberger, Christian Führer, Friedrich Magirius, Uwe Schwabe, Jochen Lässig, Rainer Müller, Michael Arnold und Gesine Oltmanns. Es gibt aber auch Bilddokumente von der Beatdemo 1965, der Niederschlagung des Prager Frühlings oder der Subkultur in der DDR. Persönliche Sammlungen, Vor- und Nachlässe, Zeitzeugeninterviews, Audio- und Videoaufnahmen und vieles andere kommen hinzu.

Darüber hinaus bewahrt der Verein Spezialsammlungen auf, wie das komplette Archiv der Vereinigung der Opfer des Stalinismus mit mehr als 1.200 Akten. In dieser Vereinigung organisieren sich ab den 1950er-Jahren Menschen, die in Speziallagern, Gefängnissen und Zuchthäusern der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR leiden müssen und die danach in den Westen Deutschlands fliehen.

Verein organisiert Ausstellungen


Ein Großteil der Dokumente wurde bereits in ein Außenlager geschafft. Der Verein organisiert zudem Ausstellungen, etwa zur Situation von Ausländern in der DDR, zur Pressefreiheit oder zum Mythos der
Montagsdemonstrationen. Letzteres sei sehr wichtig, betonen die Akteure um Archivleiterin Saskia Paul. Denn Montagsdemos werden auch von Menschen, die heute mit demokratiefeindlichen Ansichten demonstrieren, für ihre Zwecke vereinnahmt. Darüber hinaus arbeitet der Verein Bürgerarchiv mit anderen Leipziger Akteuren in einer Arbeitsgruppe am Projekt Stolpersteine. Dabei soll an die Schicksale von Juden, Sinti und Roma, politisch und konfessionell Verfolgten, Homosexuellen sowie „Euthanasie“-Opfern im Nationalsozialismus erinnert werden. 

Um die Originale vor zu häufiger Benutzung zu schützen, werden ausgewählte Objekte seit 2016 digitalisiert und in einer Online-Datenbank zugänglich gemacht. Dabei ist ein Archivverbund, bestehend aus dem Archiv Bürgerbewegung Leipzig, der Umweltbibliothek in Großhennersdorf und dem Martin-Luther-King-Zentrum für Gewaltfreiheit und Zivilcourage in Werdau, entstanden. Alle drei sammeln Zeugnisse zu Widerstand und Opposition in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR. Das Leipziger Archiv stellt inzwischen 20.000 Sammelobjekte online zur Nutzung bereit, im eigenen System sind mittlerweile 90.000 digitalisiert.

Stand: 11.03.2024

Bildergalerie - Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

Bowlingtreff

Wilhelm-Leuschner-Platz | Ortsteil: Zentrum-Süd

Eine Zukunft ist dem ehemaligen Bowlingtreff auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz gewiss. Er wird das neue Naturkundemuseum, mit dessen Ausstrahlung Leipzig weit über die Stadtgrenzen hinaus in der Champions League spielen will. Museumschef Ronny Maik Leder hat eine vielbeachtete Konzeption vorgelegt, die noch vor ihrer Realisierung mit dem sächsischen Museumspreis 2021 ausgezeichnet worden ist. Bis 2029 soll das neue Museum öffnen. Die Baukosten für die Sanierung und Erweiterung werden nach derzeitiger Prognose auf 83,4 Millionen Euro veranschlagt. Der Freistaat Sachsen hat zugesagt, das Projekt mit etwa 74 Millionen Euro zu fördern.

Erste Bauarbeiten in der ehemaligen Freizeitstätte, die seit 1997 leer steht, haben im März 2023 begonnen. Zunächst wird das Gebäude entkernt, alles schadstoffbelastete Material entfernt, um eine „Gesundatmung“ des Gebäudes zu ermöglichen. Dort sind im Stahlbeton im unterirdischen Komplex nun größere Mängel als gedacht gefunden worden. Der eigentliche Ausbau soll dann 2025 beginnen.

Die bis zu 15 Metern in die Tiefe reichende Immobilie entstand 1925/26 als Umspannwerk und wurde 1986/87 zu einer Freizeitsportstätte samt oberirdischem Oktagon umgebaut. 

Als elektrisches Umformwerk Mitte diente das Vorgängergebäude einst dazu, die Innenstadt – einschließlich der Straßenbahn – stabil mit Gleichstrom zu versorgen. Die Anlage war bis 1965 in Betrieb. Danach wurde sie stillgelegt und in den folgenden Jahren als Lagerraum genutzt. Mitte der 1970er Jahre gab es erste Pläne, sie zur Freizeitstätte auszubauen. Doch die scheiterten. Mitte der 1980er Jahre erhielt der Aufbaustab des damaligen Rates des Bezirkes den Auftrag, das Projekt neu zu beleben.

Freizeittreff entsteht als „Schwarzbau“


Im Frühjahr 1985 wird ein interner Wettbewerb ausgerufen, bei dem sich der Leipziger Architekt
Winfried Sziegoleit mit seinem Entwurf durchsetzen kann. Die Ausführung entsteht als Gemeinschaftswerk. So übernimmt Volker Sieg die Projektleitung und konzipiert auch den Umbau der unterirdischen Gebäudeteile. Es ist ein Projekt der Superlative und wird gewissermaßen als „Schwarzbau“ vorbei an den DDR-Oberen in Ostberlin initiiert. Die konzentrierten sich damals gerade auf die für 1987 geplante 750-Jahrfeier Berlins, für die Bauarbeiter aus der gesamten DDR in die Hauptstadt abgezogen wurden. Die Baustelle in Leipzig wird im Oktober 1986 zum Jugendobjekt der Freien Deutschen Jugend (FDJ) erklärt und Wettbewerbe unter allen beteiligten Bau- und Ausrüstungsbetrieben organisiert.

Bowling statt Kegeln ist zu jener Zeit ein Novum. Wie prächtig der Bowlingtreff wird, erfährt die DDR-Staatsführung erst kurz vor der Eröffnung. Der Bowlingtreff wird im Juli 1987 – zum VIII. Deutschen Turn- und Sportfest der DDR in Leipzig und der Kinder- und Jugendspartakiade – eingeweiht. Entstanden sind 14 Bowlingbahnen – Leipzig hat damit mehr als der Palast der Republik in Berlin (acht Bahnen). Ein Novum ist auch: Der Bowlingtreff beherbergt Leipzigs erstes Fitnessstudio.

Lichtdurchflutete Eingangshalle ist einladend


Der architektonische Anspruch ist hoch: Die lichtdurchflutete Eingangshalle mit achteckigem Grundriss wirkt einladend, soll kein „angsteinflößender Einstiegsschacht“ in die „Unterwelt“ sein, wie es
Wolfgang Hocquél in seinem im Passage Verlag erschienenen Architekturführer betont. Das Oktagon mit vier vom Keller bis zum Dach reichenden Säulen sowie dem Marmorboden wirkt durchaus luxuriös. Neben den Bowlingbahnen gibt es ein Café sowie Gastronomie mit 310 Plätzen, Billardtische, Spielcomputer, eine Skatklause sowie Büroräume. Geöffnet ist täglich, 2.000 bis 2.500 Gäste werden dann meist empfangen. Das Haus schließt 1997, denn es ist nicht mehr ganz zeitgemäß. Investoren ziehen sich zurück.

Danach verfällt der Bowlingtreff an der wichtigen zentralen Einstiegsstelle für den öffentlichen Nahverkehr zusehends. Er wird mit Graffiti verunstaltet. Die Stadtverwaltung tut sich viele Jahre schwer, eine neue Nutzung zu finden und will das Objekt zwischenzeitlich sogar verkaufen. Doch dann entscheidet der Stadtrat, das Haus als Naturkundemuseum fortzuführen und beauftragt Planungen. „Ich bin überzeugt, dass das Projekt ein Leuchtturm mit überregionaler Ausstrahlung und einem großen Mehrwert für die Stadt Leipzig wird“, sagte Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke im November 2022 bei der Vorstellung der Pläne. Das Leipziger Büro Weis & Volkmann Architekten konnte sich beim Wettbewerb durchsetzen. Es favorisiert einen „öffnenden Schwung“ hin zum Eingangsgebäude, gestaltet die bislang flachen Dächer über den unterirdischen Hallen um. Die Osthalle des Ex-Bowlingtreffs wird für Sonderausstellungen genutzt. Die Westhalle beherbergt die Dauerschau. Ihre Decke wird angehoben, um Platz für größere Sammlungsobjekte zu schaffen. Auf der Ostseite wird Material aufgeschüttet, um Einblicke ins Museum von außen zu bieten. So entsteht ein gläsernes Schaufenster.

Naturkundemuseum widmet sich Kunst der Präparation


Museumschef Ronny Maik Leder hat das Ausstellungskonzept mit 430 Themenkomplexen entwickelt. Er rückt unter anderem prähistorische Lebenswelten, die Kunst der Präparation sowie das beeindruckende Spektrum Leipziger Wissenschaftshistorie in verschiedenen Inszenierungen ins Blickfeld. Dazu gehören die Tiefseeexpedition, die der Leipziger Zoologie-Professor
Karl Chun 1898 mit dem Forschungsschiff Valdivia startet sowie Herman Ter Meer als Wegbereiter der modernen Tierpräparation.

Stand: 10.03.2024

GRASSI Museum für Angewandte Kunst

Johannisplatz 5-11 | Ortsteil: Zentrum-Südost

Es hat einen exzellenten Ruf: Deshalb bekommt das GRASSI Museum für Angewandte Kunst von Sammlern aus aller Welt immer wieder etwas geschenkt. Wie ein Glasfenster von Adolf Hölzel, einem der bedeutendsten Glasgestalter des 20. Jahrhunderts, aus dem Jahr 1934. Das jetzt im Bauhaus-Raum gezeigte Fenster befand sich einst im Treppenhaus des Haushaltwarengeschäftes Maercklin in Stuttgart. Und es reiht sich gut in die brillanten Sammlungen ein, die die Besucher im GRASSI wie ein visuelles Feuerwerk erwarten. Auf zwei Etagen können sie eine Zeitreise erleben, die ihnen Kunsthandwerk und Design von der Antike bis ur Gegenwart nahebringt.

Zu sehen sind herausragende Objekte der Kunst- und Kulturgeschichte Europas, wie Gefäße aus der griechischen und römischen Antike sowie spätgotische Schnitzplastiken und Flügelaltäre. Die Besucher treffen ebenso auf chinesische Gewänder und Teeschalen aus der Qing-Dynastie. Keramik, Porzellan, Glas, Textil, Gold- und Silberarbeiten, Zier- und Gebrauchszinn, unedle Metalle, Schmiedeeisen, Skulpturen aus Holz und Stein, Möbel und Holzgerät, Münzen, Medaillen und Plaketten und vieles mehr gehören zur Sammlung. Die gilt als eine der bedeutendsten für angewandte Kunst in Europa. Antike bis Historismus, asiatische Kunst mit Impulsen für Europa sowie Jugendstil bis Gegenwart werden in drei Bereichen vorgestellt.

Kleine Irritationen schärfen den Blick


Die Sammlung umfasst derzeit 230.000 Unikate und Stücke aus serieller Fertigung. Beim Gang durch die Ausstellungsbereiche setzt das Museum zunehmend auf kleine Irritationen. Einst wurden die Künste, ob nun Bilder, Skulpturen oder Kunstgewerbe, fein säuberlich getrennt. Inzwischen sind neue Objekte als Interventionen unter sie gemischt worden. „Diese kleine Würze, diese kleine Irritation schärft den Blick“, sagt
Olaf Thormann, der Museumsdirektor. So steht die hölzerne Figur eines jungen Mannes von Stephan Balkenhol in der Nachbarschaft einer holländischen Kanzel aus dem 18. Jahrhundert. Kunstinteressierte können sich so als Betrachter des Betrachtenden neu entdecken. Das Gemälde „Die drei Fähigkeiten“ des Leipziger Malers Hans Aichinger wiederum passt ideal in die Galerie der textilen Spitzen des Museums. 15 zeitgenössische Kunstwerke sind derzeit im Rundgang platziert.

Datenbank erläutert Objekte


Nahezu alle Objekte, die in den ständigen Ausstellungen zu sehen sind, können online mit zusätzlichen Informationen abgerufen werden. Derzeit sind es 5.350. Die herausragendsten Stücke sind auf der Internetseite des Museums unter der Rubrik Museum digital verfügbar. Ziel ist es, das Museum weiter als lebendigen Alltagsort für alle zu öffnen – deshalb ist der Eintritt für die Dauerschau seit Januar 2024 frei. Die Menschen sollen animiert werden, bei Lust und Laune auch mal in der Mittagspause kurz vorbeizuschauen. Im Sommer lädt der Grassi-Innenhof zum Verweilen ein. Wer möchte, kann dann dort sogar Tischtennis spielen. „Wir sind glücklich, wenn wir sehen, wie das Museum von den Menschen in Beschlag genommen wird“, sagt Leipzigs Kulturbürgermeisterin
Skadi Jennicke. 2023 wurden 92.000 Besucher gezählt. Das ist seit mehr als zehn Jahren Rekord. Lediglich 2013 waren es deutlich mehr, da damals die Ausstellung „STARKER AUFTRITT. Experimentelles Schuh-Design“ alle Rekorde brach. 

Da sich das traditionsreiche Museum durch die vielen herausragenden Sonderausstellungen um die touristische Attraktivität Leipzigs verdient gemacht hat, erhielt es im Dezember 2023 einen zweiten Platz beim Tourismuspreis. Dieser würdigt ebenso die Neubelebung der international bekannten Grassimesse seit 1997 mit mittlerweile riesigem Erfolg. Zur Grassimesse im Oktober 2023 mit etwa 140 Ausstellern kamen tausende Besucher aus aller Welt.

Pfeilerhalle ist einer der schönsten Räume des Art déco


Das Museum öffnete am 25. Oktober 1874 als zweites Kunstgewerbemuseum in Deutschland für Publikum. Sein Domizil ist zunächst in der ersten Etage der Alten Post am
Thomaskirchhof. Doch rasch werden die Räume zu eng, denn die von der Leipziger Bürgerschaft zusammengetragene Sammlung wächst schnell. Das Museum zieht in einen Neubau am Königsplatz, welcher aus dem Vermögen des Leipziger Bankiers Franz Dominic Grassi finanziert wird. Doch auch im alten Grassimuseum (heute: Stadtbibliothek am Wilhelm-Leuschner-Platz) kann sich die Einrichtung nicht entfalten. 1929 zieht das Museum schließlich an den Johannisplatz, wo es 2024 als GRASSI Museum für Angewandte Kunst den 150. Jahrestag der Eröffnung feiert. Ein architektonisches Kleinod ist die rekonstruierte Pfeilerhalle mit blattvergoldeten Brüstungsgittern. Sie ist einer der schönsten Innenräume des deutschen Art déco. 48 Vitrinen, die in zwölf Pfeiler eingelassen sind, werden für Sonderausstellungen genutzt. Die in rot-blau-goldener Farbpracht gehaltene Pfeilerhalle dient auch als Veranstaltungssaal. Berühmt sind die rekonstruierten 18 Josef-Albers-Fenster. Dabei handelt es sich um die größte Flachglasarbeit eines Künstlers der Dessauer Bauhauszeit.

Seit 2020 können die Museumsbesucher per Mediaguide mit Leihgeräten oder einer App auf eigenem Smartphone auf Deutsch und Englisch verschiedene Touren durch die Dauerschau unternehmen. Dabei kann jeder selbst entscheiden, ob er sich auf besondere Objekte beschränkt oder spielfreudig „Schau genau hin“ ausprobiert. Eigene Touren gibt es für Blinde und Sehbehinderte, in Gebärdensprache sowie in leichter Sprache. 360-Grad-Raumaufnahmen, Clips, Illustrationen, Animationen, Filme und Fotos aus der ständigen Ausstellung werden per Mediaguide angeboten. Ein sehr aktiver Freundeskreis bietet sogar Kunstreisen, Besuche in Künstlerateliers sowie Ausstellungspreviews an.

Museum blickt auf die Zukunft des Designs


Bei einer interaktiven Rauminstallation – ein Experiment am Ende des Rundganges in der ständigen Ausstellung – werden alle eingeladen, sich in einem computergenerierten Raum zu bewegen und dort das gerade Erlebte zu reflektieren. Die Computer-Animationen reagieren direkt auf die Bewegungen im Raum.

Immer wieder stellt das Museum das Thema Design in große gesellschaftliche Zusammenhänge und spekuliert ein wenig in die Zukunft. Die Sonderschau „Zukünfte. Materialien und Design von morgen“ (2025) blickt auf Positionen, die sich an den Schnittstellen von Biologie, Design, Kunst und Industrie bewegen. Lampen aus Orangenschalen, Glas aus Asche der Müllverbrennung, T-Shirts aus Bananenfasern, Stühle aus recycelten Laubabfällen, Kleidung oder Lampen aus dem aus Pilzmyzel gewonnen Werkstoffes „Mylo“ – vieles könnte möglich werden.

Stand: 20.2.2024

Bildergalerie - GRASSI Museum für Angewandte Kunst

Historisches Bildmaterial - GRASSI Museum für Angewandte Kunst

Lehmstedt, Mark

Verleger, Autor, Vorsitzender Geschichtsverein | geb. am 11. Februar 1961 in Berlin

Er hat ein Herz für Leipzigs Stadtgeschichte. Das beweist Mark Lehmstedt nicht nur mit seinem Verlag, der sich auf die Kulturgeschichte Mitteldeutschlands, (Schwarzweiß-)Fotografie sowie Reiseführer spezialisiert hat. Seit 2019 leitet er als Vorsitzender den Leipziger Geschichtsverein. Lehmstedt – dieser Name steht für eine Leipziger Erfolgsgeschichte, seit der gebürtige Berliner seinen Verlag hier am 1. März 2003 gründet. Dieser hat sein Domizil seit 2021 in Barthels Hof unweit des Markts.

Zur Bewährung in der Braunkohle


Geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist Mark Lehmstedt in Ost-Berlin. Dort besucht der Sohn einer Professorin für Klavierpädagogik zunächst eine Russisch-Schule, später die 2. Erweiterte Oberschule, bekannt als Gymnasium „Graues Kloster“. Vier Wochen vor den Abiturprüfungen wird er im Jahre 1979 allerdings relegiert. Der Grund: Er hat eine Kulturwoche organisiert und in der Schülerzeitung einen Artikel geschrieben, der sich gegen Missstände im Bildungssystem der DDR wendet. Er fliegt, ohne dass sich jemand um seine Zukunft kümmert. Es gibt aber eine Patenbrigade im Braunkohlenkombinat Bitterfeld, die Arbeitskräfte sucht. Der junge Mann steigt in den Zug nach Bitterfeld und landet noch am gleichen Tag als Hilfskraft „zur Bewährung“ für gut anderthalb Jahre in der Produktion. Dort schließt er eine Ausbildung zum Facharbeiter für Anlagen und Geräte, Spezialisierungsrichtung Tagebaugroßgeräte, ab. Er darf schließlich an der Volkshochschule das Abitur machen. Es folgt der Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee. 

Der Meister aus der Braunkohle schreibt ihm eine Super-Beurteilung, deshalb klappt danach das Studium der Germanistik an der Karl-Marx-Universität in Leipzig sowie der Humboldt-Universität in Berlin. Von 1987 bis 1991 unterrichtet Lehmstedt als Assistent am Lehrstuhl für deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts in Leipzig. Dort kann er 1990 mit einer Studie über den Verleger Philipp Erasmus Reich promovieren. Sein Zeitvertrag an der Universität Leipzig endet. Die Deutsche Nationalbibliothek will ihn übernehmen. Doch das funktioniert nicht, da die beiden Nationalbibliotheken in Leipzig und Frankfurt/Main fusionieren und daher Einstellungsstopp herrscht. In den folgenden Jahren ist er bei verschiedenen Forschungsprojekten tätig, darunter als Fellow des Wissenschaftskollegszu Berlin. Von 1999 bis 2002 arbeitet er als Lektor bei Directmedia Publishing in Berlin. Dort wird eine „Digitale Bibliothek“ aufgebaut.

Ein erstes Buch über Hungerjahre in Leipzig


Doch auch diese Tätigkeit endet. Er besinnt sich auf Leipzig, das er gut kennt. Schon der Großvater betreibt im nahen Weißenfels ein Schreibwarengeschäft. Von dort fährt er regelmäßig mit dem Auto in die Messestadt zum Einkauf beim Großhändler. In den Ferien durfte Enkel Mark mit und ist schon damals von der Stadt begeistert. Prägend ist für den Schüler 1978 der FDJ-Studentensommer in Leipzig. Er konnte an Lesungen in der noch nicht fertig gestellten
Moritzbastei teilnehmen, im Innenhof der Universität als Liedermacher auftreten und Diskussionsrunden lauschen. 

2003 gründet Mark Lehmstedt schließlich seinen eigenen Verlag. Sein erstes Buch ist „Hungerjahre in Leipzig“ mit Briefen des Studenten Jean Paul. „Als Unternehmer habe ich es immer in der Hand, was ich mache. Das kann zwar schiefgehen. Aber dann bin ich daran selbst schuld“, sagt er im Interview. „Diese Freiheit schätze ich.“ Viel ist nicht schiefgegangen, obwohl nicht jedes Buch ein wirtschaftlicher Erfolg wird.

Knapp 350 Titel sind seitdem im Lehmstedt-Verlag erschienen. Mittlerweile beschäftigt der Verlag, der 2019 mit dem Deutschen und 2020 mit dem Sächsischen Verlagspreis ausgezeichnet wurde, eine Grafikerin und Gestalterin sowie eine Lektorin. Die künstlerische Leitung verantwortet der Berliner Buchgestalter und Publizist Mathias Bertram, der auch zahlreiche Fotobücher für den Verlag herausgegeben hat.

Ein führender Verlag für Reiseführer


Mit mehr als 100 Reiseführern wird Lehmstedt zugleich der führende Reisebuchverlag Ostdeutschlands. Er veröffentlicht nicht nur Bücher zu den Touristenzentren, sondern auch zu kleineren Städten. Sein bisher erfolgreichstes und wichtigstes Buch heißt „Leipzig an einem Tag“ von
Doris Mundus. Mittlerweile gibt es einen „Stadtführer für einen Tag“ für mehr als 110 Städte in ganz Deutschland. Das sind von Flensburg über Zittau, Kamenz, Freiberg, Quedlinburg bis Konstanz beliebte Reiseziele, die bei den großen Verlagen keine Chance haben. „Das war so nicht geplant. Es ist die unerwartete Wirkung des Leipzig-Buches“, sagt Lehmstedt. Für Leipzig kommen noch einige Stadtteilführer sowie Spezialführer zur Musikstadt Leipzig oder zum Südfriedhof hinzu, die sich vor allem ans heimische Lesepublikum wenden. 

Lehmstedt hat ein Gespür für Themen, die die Leute interessieren. Ein Spitzentitel ist auch „Das ungebaute Leipzig“ von Arnold Bartetzky, das auf der Leipziger Buchmesse 2024 präsentiert wird. Darin geht es um architektonische Pläne, kühne Visionen und Luftschlösser rund um Messetürme, Wolkenkratzer und Flugplätze, die in Leipzig nicht verwirklicht wurden.

Ganz nebenbei gönnt er sich „Herzensprojekte“. Oft weiß er von vornherein, dass die Erlöse alles andere als üppig sind. Dazu gehört sein geplantes sechsbändiges Lexikon zur „Buchstadt Leipzig“. Dafür forscht er in vielen Archiven. Erschienen ist derzeit ein Band, der den Zeitraum 1420–1539 behandelt. Der Wissenschaftler hat sich 1825 als Grenze seiner Forschungen gesetzt, da in jenem Jahr in Leipzig der Börsenverein des Deutschen Buchhandels gegründet wurde. Weil die Corona-Pandemie ihn ausbremst, Archive viele Monate nicht zugänglich sind, wird das Lexikon bis zum Themenjahr Buchstadt Leipzig 2025 allerdings nicht komplett fertig, wie einst gehofft. Im Herbst 2024 erscheint zunächst der zweite Band. Nebenbei arbeitet er an einem Projekt, bei dem er als Autor die Entstehung des Gebrauchtbuchhandels und der Antiquariate im 17./18. Jahrhundert thematisiert.

Lehmstedt ist es wichtig, sein Wissen weiterzugeben. An der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz habilitierte er 2012 über „Comics und Zensur in der DDR“. Eine Weile unterrichtete er dort am Institut für Buchwissenschaft. 2019 wurde er als Privatdozent für Buch- und Mediengeschichte am Historischen Seminar der Universität Leipzig tätig.

Die Industriegeschichte Leipzigs als Wunschprojekt


Wünsche für künftige Publikationen hat der rührige Verleger noch viele. Ein großer Traum wäre ein wissenschaftlicher Abriss zur Industriegeschichte Leipzigs von den Anfängen bis hin zum
Porsche Werk und BMW Werk in Leipzig. „Da gibt es eine Fülle von Betrieben, die letztlich zur Basis vieler Unternehmen geworden sind, die wie die Bleichert Werke zu Weltkonzernen werden“, erklärt er. Diese Vielfalt sei nur wenigen bewusst. So ein Projekt sei aber nur mit einer Gruppe interessierter Leute sowie Forschungen der Universität Leipzig möglich. Auch eine gut recherchierte und erzählte Biografie über Karl Heine schwebt Mark Lehmstedt vor. Wichtig ist ihm auch der Leipziger Geschichtsverein. Hier fördert er ebenso eigene Forschungen und Tagungen, wie in verschiedenen anderen Arbeitskreisen rund ums Buch und die Buchwissenschaft.

Stand: 29.01.2024

Bildergalerie - Lehmstedt, Mark

Liebich, Angela

Fotografin, Fotokünstlerin, Geschichtenerzählerin | geb. 1966 in Leipzig

Die Architektur ihrer Stadt beflügelt ihre Fantasie. Angela Liebich ist eine Architektur-Geschichtenerzählerin. Dabei inszeniert die Fotokünstlerin bekannte oder weniger bekannte Bauwerke als eine Art „lebendiges Stillleben“. Das Fotokunstprojekt „Fantastisches Leipzig“ dokumentiert seit nunmehr acht Jahren die Architektur der Stadt, deren Vielfalt über Jahrhunderte gewachsen ist und heute einen wesentlichen Aspekt der hiesigen Lebensqualität darstellt. Es widmet sich dem architektonischen und kulturhistorischen Erbe Leipzigs.

Ihr Anliegen ist es, Leipzig auf eine einzigartige Weise darzustellen, die nicht nur die kulturelle Vielfalt, sondern auch die nachhaltige Entwicklung der Stadt in den Fokus rückt. Projektbegleitend erscheint der limitiert aufgelegte Fotokunstkalender „Fantastisches Leipzig“, den Angela Liebich seit 2017 im Eigenverlag herausgibt und der inzwischen ein begehrtes Sammelobjekt geworden ist.

Betrachter wird durch surreale Bilder berührt


Die Fotografien der Leipziger Fotokünstlerin zeichnen sich durch eine unverwechselbare Bildsprache aus, die klassisches Kulturerbe und die Modernität Leipzigs bündelt. Was ihre Bilder besonders macht, ist ihre Fähigkeit, den Betrachter durch beinahe surreale Bildgeschichten zu faszinieren und emotional zu berühren. Durch ungewöhnliche Blickwinkel und fantastische Bildchoreografien wird der Geist der Bauwerke quasi überhöht und dadurch auf eine gänzlich neue Weise sichtbar gemacht. Zusätzlich zu den beeindruckenden Fotografien werden historische Aufnahmen und sorgfältig recherchierte Texte präsentiert, auch in englischer Übersetzung. Dabei stützen sich Angela Liebich und ihr Projektteam vor allem auf die fachliche Unterstützung des
Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig

Leipzigs Zauber betrachtet sie mit ihrer Kamera aus ungewöhnlicher Perspektive. So lässt sie auf der Könneritzbrücke, die in Plagwitz über die Weiße Elster zum ehemaligen Fabrikgebäude des Wäsche- und Versandhandels Mey & Edlich führt, junge Artisten ein gewagtes Kunststück vollführen. Eine junge Dame in hohen Schuhen platziert sie zwischen den Säulen der Sächsischen Aufbaubank, deren futuristisch anmutendes Architekturensemble an der Gerberstraße ein Hingucker in Leipzig ist. Eine ältere Dame und ein Mann mit Gartenzwerg posieren in der historischen Kleingartenanlage Dr. Schreber als Laubenpieper. Eine Tänzerin und zwei Tänzer im Schwanensee-Tutu stehen lächelnd auf einem Tisch und vor Sesseln im Opernhaus. Kinder mit Bauhelmen, Schaufel und Spielzeugbagger sitzen auf dem Schaufelradbagger im Bergbau-Technik-Park am Störmthaler See. Auf dem Rand des Mendebrunnens platziert sie eine kleine Nymphe. Andrea Liebich widmet sich ebenso verfallenen Häusern, wie dem Ringlokschuppen am Bayerischen Bahnhof. Ihr Ideenreichtum scheint nahezu unendlich. Im Jahr 2026 feiert das Fotokunstprojekt sein zehnjähriges Bestehen, das mit einer großen Ausstellung und Bildband seinen Abschluss finden wird.

Das Handwerk von der Pike auf gelernt


„Ich inszeniere sehr gern und bin dazu wohl von meiner Mutter angeregt worden“, erzählt die Fotografin, die für Verlage und Magazine, aber auch in der Werbung für Firmenkunden arbeitet. Sie ist in eine Künstlerfamilie hineingeboren worden. Ihre Mutter ist die international bekannte Puppengestalterin
Hannelore Liebich. Ihr Vater Klaus Liebich war Dozent für Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Der Fotograf, Dozent und Buchautor ist im Januar 2023 gestorben. Er hinterlässt der Stadt bedeutende fotografische Stadtansichten aus den 1950er und 1960er Jahren. Darunter Aufnahmen von Leipziger Gebäuden, die unwiederbringlich verloren gingen.

Dazu gehören das Gebäude des Zweiten Gewandhauses an der Beethovenstraße und der wertvolle frühbarocke Bau von Deutrichs Hof zwischen Reichsstraße und Nikolaistraße. Auch der mit jungen Jahren bereits verstorbene Bruder Andreas, der ein international bekannter Jazzfotograf war, weckt bei Angela Liebich das Interesse und die Neugier.

Dass sie als Fotografin in die Fußstapfen des Vaters tritt, ist ihr keineswegs in die Wiege gelegt worden. Er besteht darauf, dass sie ihr Handwerk von der Pike auf lernt. Daher beginnt Angela Liebich zunächst mit einer Fotografenlehre im sächsischen Meißen. Danach arbeitet sie als wissenschaftliche Fotografin an der Leipziger Universitätsklinik für Augenkrankheiten. 1988 wechselt sie als Bildjournalistin zum „Sächsischen Tageblatt“ und taucht mit ihrer Kamera ein in eine spannende Zeit voller Umbrüche, die mit der Friedlichen Revolution auch für sie viel Freiheit bringt.

Liebich studiert schließlich von 1989 bis 1991 Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Dort begegnet sie Helmut Newton, einem weltweit bekannten Fotografen. Jener Meister der Inszenierungen wird ein Vorbild, das sie begeistert. Inspiriert wird sie ebenso von den Stadtansichten, die Hermann Walter im 19. Jahrhundert aufnahm. Das war eine Zeit, in der Leipzig sich rasant von der alten Messe- und Handelsstadt zur modernen Großstadt entwickelte. Der gebürtigen Leipzigerin ist es ein Bedürfnis, fotografische Traditionen wiederzubeleben und sich den städtebaulichen Errungenschaften ihrer Stadt künstlerisch zu widmen.

Von kulinarischer Entdeckungsreise zu eigenen Projekten


Nach dem Studium ist Angela Liebich freischaffend als Werbe-, Mode- Produktfotografin tätig. Zwölf Jahre lang porträtiert sie in ganz Ostdeutschland Menschen mit ihren persönlichen Geschichten. Es sind inzwischen ca.15 Bücher erschienen. Darunter auch die Buchreihe eine „Kulinarische Entdeckungsreise“ sowie „Faszination Welterbe“. Sie will aber weg von den Auftragswerken, ihr Talent richtig einsetzen und eigene Projekte verwirklichen. Das gelingt das erste Mal mit dem eigenen Buch „Grand Schlemm“, einer kulinarischen Strandwanderung auf Usedom. Und seit 2017 überzeugt das „Fantastische Leipzig“-Projekt. Es ist verbunden mit dem Verkauf des projektbegleitenden Kalenders. In der Adventszeit bietet sie ihre Arbeit unter anderem in einem eigens gemieteten Ladengeschäft im
Specks Hof und im Hansa-Haus an.

Stand: 25.2.2024

Bildergalerie - Liebich, Angela

Maul, Michael

Musikwissenschaftler, Autor, Intendant | geb. am 15. Februar 1978 in Leipzig

Mittlerweile gibt es am Störmthaler See sogar einen Bach-Wald. Auf einer Fläche von rund 29 Hektar wächst in den nächsten Jahren ein Mischwald aus dann rund 130.000 Bäumen und Sträuchern. Die Idee dazu stammt von Michael Maul, dem Intendanten vom Bachfest Leipzig. Das Festival ist Leipzigs Aushängeschild. Viele der eingeladenen Künstler sowie fast die Hälfte des Publikums reist eigens aus dem Ausland an, sehr viele aus den USA. Da lassen sich Flugreisen, die bekanntlich für einen sehr hohen CO2-Ausstoß sorgen, nicht vermeiden. „Das ist in Zeiten der Klimaerwärmung ein ernstzunehmendes Problem. Aus diesem Dilemma können wir uns nur durch Kompensation befreien“, bekennt Maul. Daher sei die Idee entstanden, durch Anpflanzen eines Waldes wenigstens etwas gegenzusteuern. Der Intendant will das keineswegs als Feigenblatt verstanden wissen. Es ist ein ernsthafter Versuch, die Internationalität des Festivals zu erhalten. Was für die Wagnerianer Bayreuth ist, soll Leipzig für die Bachfans aus aller Welt sein. Was ihn freut: Der Bach-Wald hat bereits Modellcharakter, andere Festivals und Orchester nutzen die Idee nach.

Der Klassikliebhaber Michael Maul lebt seinen Traum. Einst unsicher, ob der Studiengang Musikwissenschaft wirklich zu ihm passt, vermarktet er heute als Intendant des Bachfestes seine Heimatstadt. Im Jahr 2015 wird Maul zunächst Dramaturg des Bachfest Leipzig, bevor er im Mai 2018 zum Intendanten gewählt wird. „Leipzig durch überraschende Festival-Konzeptionen einmal jährlich ins ,Bayreuth Bachs’ zu verwandeln, betrachte ich als meine zentrale Aufgabe“, sagt Maul in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung.

Die Suche in Archiven nach Bach


Geboren im Februar 1978, wächst Michael Maul in Engelsdorf auf. Dort besucht er die Polytechnische Oberschule „Friedrich Engels“ und macht am König-Albert-Gymnasium in
Czermaks Garten sein Abitur. In den späten 1990erJahren studiert Maul an der Universität Leipzig. Dort belegt er bis 2002 Musikwissenschaft, als Nebenfächer Journalismus und Betriebswirtschaftslehre. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bach-Archiv Leipzig durchforstet er weitere Archive in Mitteldeutschland und Osteuropa systematisch nach Bezügen zu Johann Sebastian Bach. Dabei stößt er beispielsweise 2001 in Vilnius/Litauen auf die älteste erhaltene deutschsprachige Oper Bachs, die Pastorello musicale. Datiert ist die Handschrift aus Königsberg mit 1663.

International bekannt wird Maul, als er 2005 in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar die Bach-Arie: „Alles mit Gott und nichts ohn’ ihn“ entdeckt. Bis dahin war das ein unbekanntes Vokalwerk des Komponisten. Und es war die erste Neuentdeckung seit etwa 70 Jahren. Ein Jahr später findet Maul ebenfalls in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zuvor unbekannte Notenhandschriften Bachs, die sogenannte Weimarer Orgeltabulatur mit Abschriften der Choralfantasien.

Maul promoviert 2006 in Freiburg im Breisgau an der Albert-Ludwigs-Universität mit einer Arbeit über die Barockoper in Leipzig. 2013 erfolgt die Habilitation an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die eine vielbeachtete Arbeit zur Geschichte des Leipziger Thomaskantorats ist und ausgezeichnet wird. Er ist außerplanmäßiger Professor im Fach Musikwissenschaft in Halle-Wittenberg, unterrichtet auch an der Universität Leipzig sowie der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“.

Der Lebenslauf der Alumnen


Der Wissenschaftler wird auch im
Stadtarchiv Leipzig fündig. So erforscht er das Album Alumnorum Thomanorum mit Handschriften von Bachs Schülern. Der Inhalt des fast 700-seitigen Bandes ist zwar bekannt. Das Original gilt allerdings lange Zeit als verschollen und schlummert seit den 1960er-Jahren nahezu unbeachtet mit anderen Dokumenten aus der Thomasschule im Stadtarchiv. Das Besondere: Alle 650 Alumnen, die von 1729 bis 1800 neu in die Thomasschule aufgenommen worden waren, haben dort eigenhändig einen Kurzlebenslauf eingetragen. Das wiederum liefert der Wissenschaft neue Hinweise zur Datierung der Bach-Werke. Denn damals können die Noten nicht einfach so kopiert werden. Bach setzt daher zahlreiche seiner Schüler ein, die die Noten für die Aufführungen abschreiben müssen.

Eine große Biografie über den Menschen Bach


Seit vielen Jahren beschäftigt sich der Musikwissenschaftler mit dem Musikgenie Bach. Über den Menschen Bach hingegen ist wenig bekannt. Anders als
Beethoven hat er der Nachwelt kaum persönliche Schriften hinterlassen. Mit seiner zweisprachig auf Deutsch und Englisch im Lehmstedt-Verlag erschienenen Biografie versucht Maul, Licht ins Dunkel zu bringen und hat dafür viele Dokumente ausgewertet. Selbst auf Noten auf vergilbtem Papier entdeckt er durch Bach verfasste Randnotizen, die dann faszinierende Einblicke in dessen Arbeitsweise geben.  Der Thomaskantor komponiert zwar Gebrauchsmusik für Gottesdienste. „Doch diese war teilweise so anspruchsvoll, dass viele Musiker und Sänger zeitweilig überfordert waren. Auch der Thomanerchor“, so Maul.

Bachs Leben sei ein Lückentext, schreibt der Forscher im Vorwort seiner bebilderten Chronik. Bekannt sind Zwistigkeiten Bachs mit seinem Arbeitgeber, der Stadt Leipzig. Für die ist er keineswegs erste Wahl. Die wollen lieber Georg Philipp Telemann, der damals schon eine europäische Berühmtheit ist und lieber in Hamburg bleibt.

Podcast und Bach-Hörbiografie für Musikliebhaber


Kompetenzstreitigkeiten mit Funktionsträgern von Schule, Kirche oder Stadt führen dazu, dass sich Bach den Ruf eines streitbaren Zeitgenossen erwirbt, der einige Male ins
Alte Rathaus zitiert wird. Bach ärgert sich immer wieder über die „wunderliche und der Music wenig ergebene Obrigkeit“. Für den Bachforscher Maul bleibt das Musikgenie eine unendliche Geschichte, bei der es noch viel zu entdecken gibt. Regelmäßig ist Maul bei MDR Klassik zu hören. In einem Podcast nimmt er gemeinsam mit Bernhard Schrammek jeweils eine Kantate genauer unter die Lupe. „Mir ist wichtig, meine Ergebnisse nicht nur mit der Forscher-Community zu teilen. Ich will sie in verschiedenen Formaten einer musikinteressierten Öffentlichkeit vermitteln.“ Neben dem Podcast gibt es beim Deutschlandfunk Kultur die XXL Hörbiografie über Bach mit 33 Folgen. In der Insel-Bücherei nimmt er im Buch „Wie wunderbar sind deine Werke“ Interessierte charmant in die Welt der Kantaten mit.

Darüber hinaus ist Familienvater Maul sehr sportlich unterwegs. Für Ideen wie „Bach – We are family!“, die Chöre aus aller Welt zum Bachfest nach Leipzig holte, bekommen Maul und sein Team 2022 den Leipziger Tourismuspreis. Im Jahr 2024 erhält er die Leipziger Lerche, die begehrte Trophäe des Wirtschaftsvereins „Gemeinsam für Leipzig“. „Mir macht es Spaß, immer wieder neue Konzepte zu entwickeln, um die Welt in Leipzig zu Gast zu haben“, sagt der Professor. Und man darf sich gewiss sein, das Maul, der heimliche Popstar in Sachen Klassik, noch viele Überraschungen hat.

Stand: 04.02.2024

Bildergalerie - Maul, Michael

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