Buchgewerbe und Graphik bilden in Leipzig historisch und funktional eine eng verschlungene, unzertrennliche Gemeinschaft. Das Bündnis reicht so weit, dass gelegentlich sogar das Kunstwort Bugra herhalten muss, um die Einheit der schönen, anspruchsvollen Seiten der „schwarzen Kunst“ zu verdeutlichen. Erkennbare Gestalt gewann das gelungene Zusammenspiel von Buchgewerbe und Graphik im Bugra-Messehaus. Aufwändig restauriert hält es heutzutage die Erinnerung an eine grandiose Epoche des Leipziger Buchwesens wach.
Branchensitz im Weltzentrum der Polygraphie
Ohne Übertreibung, Leipzig war Ende des 19. Jahrhunderts die Welthauptstadt der Polygraphie. Mochten in der Phase der Hochindustrialisierung anderswo bereits höhere Auflagen populärer Werke gedruckt werden – in Leipzig war die noble Gattung des schön und gediegen gestalteten Buches zu Hause. International hoch angesehene Professoren der Universität Leipzig steuerten anspruchsvolle Inhalte bei. Die Creme der deutschen Buchverlage hatte hier ihren Sitz. Zehntausende Frauen und Männer arbeiteten in den Druckereien, Buchbindereien und Verlagsbuchhandlungen. Die Maschinen kamen aus Leipziger Weltmarktfabriken, wie Gebrüder Brehmer Maschinenfabrik oder Karl Krause Maschinenfabrik, die bekanntesten Schriften entstammten spezialisierten Gießereien, alle denkbaren Papierqualitäten wurden hier gehandelt, und die Druckfarben waren ebenfalls „Made in Leipzig“. Kaum eine Innovation der Branche kam ohne aktives Leipziger Zutun aus. Und über allem Glanz der Branche wölbte sich die Leipziger Buchmesse. Klar, dass deshalb auch der 1884 gegründete Deutsche Buchgewerbeverein – die reichsweite Dachorganisation der Branche – in Leipzig ihren Sitz nahm. Sie brauchte ein passendes Gehäuse, das die große Tradition mit dem bewusst repräsentierten Anspruch des gewerblichen Erfolgs sichtbar zusammenfügte. So entstand zwischen 1898 und 1901 das Buchgewerbehaus als Pendant zum benachbarten Buchhändlerhaus. Vom schwedischen Architekten Emil Hagberg im Stil der Hochrenaissance gehalten, hob sich der Bau bewusst historisierend von anderen Gebäuden jener Umbruchperiode ab, die sich zunehmend mit zurückhaltender Funktionalität begnügten. Das Deutsche Buchgewerbehaus war dagegen für den tiefen, geschichtlichen Atem ersonnen.
Erinnerung an den Fortschritt der Buchproduktion
1888 befand der Leipziger Oberbürgermeister Otto Georgi, „dass die Bande, welche den deutschen Buchhandel seit geraumer Zeit mit unsrer Stadt verknüpft haben, auch noch für lange Zeit als unzerreißbar sich erweisen werden.“ Der fromme Wunsch ließ sich ein Jahrzehnt später nahtlos auf das Buchhändlerhaus und seinen Trägerverein übertragen. Das Buchgewerbehaus beherbergte die Büros der graphischen Mitgliedsvereine und spannte in seinen Ausstellungsräumen einen weiten Bogen von den neuesten gezeigten Maschinen bis zu herausragenden Verlagsproduktionen eines jeden Jahres sowie bis zum Deutschen Buchgewerbe-Museum. Den räumlichen Mittelpunkt bildete die prächtige Gutenberghalle, in der ein drei Meter hohes Standbild von Johannes Gutenberg, dem Erfinder des Buchdrucks mit mechanischen Lettern, huldigte. Zwei kleinere Porträtbüsten würdigten Alois Senefelder, den Erfinder der Lithographie, und Friedrich Koenig, den Erfinder der Schnelldruckpresse. Drei Namen – drei epochale Fortschritte der Buchproduktion.
Erweiterungsbau für das Bugra-Haus
Eine finale Steigerung der Leipziger Marktposition im Bereich Buchgewerbe und Graphik sollte die für das Jahr 1940 geplante Gutenberg-Reichsausstellung bringen. Dafür schuf der Leipziger Architekt Curt Schiemichen einen Erweiterungsbau des Buchgewerbehauses für Buch, Schrift und zugehörige Maschinerie. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhinderte jedoch die geplante Schau eines der friedlichsten und kulturell hochstehendsten Gewerbe, die denkbar sind. Höchste Ansprüche mündeten stattdessen in erschütternde Zerstörung. Beim ersten schweren britischen Bombenangriff auf Leipzig am 4. Dezember 1943 stand das weltberühmte Leipziger Graphische Viertel in Flammen. Historiker vergleichen den kulturellen Verlust mit dem Brand der Bibliothek von Alexandria in der Antike. Auch das Buchgewerbehaus wurde arg in Mitleidenschaft gezogen.
Doch als endlich wieder Frieden einzog und Leipzig in einer fundamental veränderten Welt seine führende Marktstellung nicht zuletzt in der Polygraphie zurückzuerlangen versuchte, musste auf der „ewigen“ Suche nach ausreichender Ausstellungsfläche für die Messe auch das inzwischen nur noch so firmierende Bugra-Messehaus mit allem herhalten, was nutzbar schien.
Wandel vom Messehaus zum Wohngebäude
Mühsam in Teilen wieder hergestellt, verlor das Messehaus Bugra in den Jahren des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg seine berühmte Gutenberg-Festhalle. Immerhin fand in dem Gebäude die Branche Polygraphie wieder eine Heimstatt – mit einem technischen Profil von Weltgeltung der gezeigten Maschinen. Erst ab den 1960er Jahren bezogen Polygraph und seine westlichen Branchennachbarn auf der Technischen Messe eine neue Heimstatt.
Der Name Bugra blieb, doch die Ausstellungsetagen gehörten fortan den Bereichen Foto, Kino, Optik und Labortechnik. Weltfirmen zeigten hier ihre exzellenten Erzeugnisse in deutlichem Kontrast zum stark beschädigten und nur mühsam renovierten Gebäude. 1990 keimte neue Hoffnung. Aus dem Bugra sollte voller Euphorie wieder ein angemessenes Museum für Druckkunst werden. Das Vorhaben blieb jedoch stecken und verschwand auf Nimmerwiedersehen von der Tagesordnung. Nur wenige erklärte Verehrer von Buchgewerbe und Graphik wussten, dass sich im Fundus des Museums für Buch- und Schriftkunst der Deutschen Nationalbibliothek noch ein höchst attraktives Modell des Bugra-Hauses in seiner ursprünglichen Gestalt befand.
Aus den Dachrinnen des Originals reckten sich inzwischen Birken in die Höhe. Das Bauwerk schien verloren, bis zwischen 2015 und 2017 eine kaum noch für möglich gehaltene Sanierung des prächtigen Gebäudes gelang. Die exzellent herausgeputzte Fassade, instandgesetzte Verzierungen aus Sandstein und zurückgewonnene allegorische Darstellungen rund um Papier und Buch haben ein Kleinod wiederbelebt. Damit einher ging die Umwandlung in ein Wohngebäude. Doch Leipzig hat – äußerlich – das Bugra-Messehaus zurück, zusammen mit der wehmütigen Erinnerung an einstige Weltgeltung in einer industriellen Schlüsselbranche am authentischen Ort. Diese Sanierungsleistung schuf einen markanten Gewinn für das Stadtbild.
Stand: 26.09.2023