Das Bundesverwaltungsgericht, ehemals Reichsgericht, ist seit 2002 Sitz des oberstenVerwaltungsgerichts Deutschlands. Es wurde zwischen 1888 und 1895 von den Architekten Ludwig Hoffmann und Peter Dybwad als Reichsgericht erbaut. Ebenso wie sein Berliner Pendant, der Reichstag, gilt das Gebäude als eindrucksvolles Beispiel Wilhelminischer Staatsarchitektur im Stil des späten Historismus und der italienischen Hochrenaissance.
Ein wilhelminischer Monumentalkoloss entsteht
Die Geschichte des Bundesverwaltungsgerichts reicht bis ins Jahr 1871 zurück. Nachdem sich 17 deutsche Staaten nach dem deutsch-preußischen Krieg am 18. Januar 1871 unterder neuen Kaiserkrone vereint hatten, bedurfte es einer gesamtstaatlichen Verfassung. Voraussetzung für den Bau des Obersten Gerichts war, dass es seinen Standort in keinem der großen Staaten, wie Bayern oder Preußen, haben sollte. Deshalb einigte man sich auf das machtpolitisch unauffällige Leipzig. Von 1879 bis 1895 tagte das Reichsgericht übergangsweise in der Georgenhalle in den ehemaligen Leipziger Fleischhallen am Brühl, Ecke Goethestraße. Als Präsident des Gerichts und Disziplinarhofs fungierte zwischen 1879 und 1891 Eduard von Simson. Aus dem ausgeschriebenen Architekturwettbewerb zum Bau eines neuen Reichsgerichtsgebäudes gingen 1885 der Berliner Architekt Ludwig Hoffmann und der Norweger Peter Dybwad mit ihrem Entwurf als Sieger hervor – und die Errichtung des Monumentalbaus als Sitz des einst höchsten Gerichts des Landes wurde auf den Weg gebracht. Das Reichsgerichtsgebäude wurde zwischen 1888 und 1895 nach seinem Berliner Vorbild, dem Reichstag, errichtet. Sowohl an der Grundsteinlegung am 31. Oktober 1888 als auch an der feierlichen Einweihung am 26. Oktober 1895 nahm Kaiser Wilhelm II. teil. Auch nach dem Untergang des Kaiserreichs 1919 behielt das Oberste Deutsche Gericht an gleicher Stelle seinen Sitz.
Zwischen Reichstagsbrandprozess und Entstehung des Bundesverwaltungsgerichts
Internationale Beachtung wurde dem Reichsgericht durch die Austragung vieler bekannter Prozesse zuteil, darunter das Hochverratsverfahren gegen Karl Liebknecht 1907, der Ulmer Reichswehrprozess 1930 und die nach dem Ersten Weltkrieg geführten Kriegsverbrechensprozesse. Auch der Reichstagsbrandprozess 1933 war einer der aufsehenerregendsten Prozesse in den Gemäuern des Reichsgerichts. Nach derBrandstiftung im Berliner Reichstag in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 wurde der kommunistische Holländer Marinus van der Lubbe im brennenden Gebäude verhaftet. Den Nazis gelang es jedoch nicht, ihm im Reichstagsbrandprozess die Schuld an der Brandstiftung nachzuweisen. Wegen Hochverrats und Brandstiftung veranlassten der Reichspräsident Paul von Hindenburg und die Reichsregierung die Todesstrafe und die Hinrichtung van der Lubbes am 10. Januar 1934. Die mitangeklagten kommunistischen Führer Georgi Dimitroff und Ernst Torgler mussten freigesprochen werden. Mit Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 wurde die Institution des Reichsgerichts von den Alliierten aufgelöstund über mehrere Jahrzehnte von unterschiedlichen Institutionen genutzt, darunter das Institut für Länderkunde, das Sächsische Staatsarchiv und Synchronstudios der DEFA. Die Verhandlungssäle des stark vom Krieg beschädigten Baus dienten zwischen 1952 und 1997 als Georgi-Dimitroff-Museum und beinhalteten die noch erhaltenen Bestände des Museums der bildenden Künste Leipzig.
Nördlich des Bundesverwaltungsgerichts befindet sich der Mühlgrabenbereich mit der im Jahr 2000 nach Plänen von Angela Wandelt neugestalteten Fritz-von-Harck-Anlage. Dabei handelt es sich um eine Grünanlage im Geist der Gründerzeit. Ab 2001 erfolgte die erneute Freilegung des Pleißemühlgrabens auf dem Simsonplatz vor dem Gebäude. Zur optisch wirkungsvollen Ausgestaltung des Uferrands wurden, ebenfalls von Angela Wandeltkonzipiert, Stelen platziert, die nachts leuchten. Nach einer Teilrekonstruktion und umfassenden Sanierung wurde das Justizgebäude 2002 Sitz des Bundesverwaltungsgerichts und beherbergt heute das oberste deutsche Verwaltungsgericht.
Von der rechtsprechenden Veritas über dem Justizpalast
Die Gesamterscheinung des Bundesverwaltungsgerichts repräsentiert auf imposante Weise die Macht des einstigen Reichstagsgebäudes. Die hohen Säulen des Hauptportals in der Mitte des großzügig angelegten Simsonplatzes und die darüber gelegene, die Stadtsilhouette dominierende Kuppel, prägen das beeindruckende Gesamtgefüge. Die siebenjährige Bauphase spiegelt die architektonischen Einflüsse der Zeit wider und vereint Stilelemente unterschiedlicher Architekturströmungen. So wurde das Gebäude als eindrucksvolles Beispiel Wilhelminischer Staatsarchitektur im Stil des späten Historismus mit Einflüssen der italienischen Hochrenaissance errichtet. Die Kuppelsilhouette nach Vorbild des Straßburger Kaiserpalasts versinnbildlicht das Machtgefüge seiner Entstehungszeit. Die 68 Meter hohe Zentralkuppel mit vier Eckobelisken verkörpert die Allmächtigkeit des Kaisers und ist von der göttlichen Skulptur der Veritas als Symbol der Wahrheit gekrönt. Die vom Bildhauer Otto Lessing geschaffene Veritas hebt die Fackel der Wahrheit in den Himmel und vertreibt mit dem Licht des Rechts das Dunkel. Die beiden niedrigeren Kuppeln rechts und links von der Zentralkuppel symbolisieren die Legislative und Exekutive und stehen für den Reichstag und das Reichsgericht. Auf beiden Spitzen thront zur Verdeutlichung der Machtverhältnisse die Kaiserkrone. Am Nordgiebel wird durch die vollplastischen Figuren der Säulenheiligen die deutsche Rechtsgeschichte vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert dargestellt: Von links beginnend sind Eike von Repgow, Johann Freiherr zu Schwarzenberg, Johann Jakob Moser, Carl Gottlieb Svarez, Anselm von Feuerbachund Friedrich Carl von Savigny abgebildet. Die gesamte Außenfassade ist mit zahlreichen Schmuckelementen und Symbolen gestaltet, darunter Adler, Löwen und Eulen als Zeichen der kaiserlichen Macht, Stärke und Weisheit. Auch das Schwert als Zeichen der richterlichen Gewalt ist mehrmals vertreten. Der Mittelrisalit vor der 126 Meter breiten Hauptfassade wurde nach dem Vorbild antiker Tempel gestalterisch umgesetzt. Die sechs 13 Meter hohen korinthischen Säulen tragen ein mit Figuren geschmücktes Tympanon. Justitia wird in ihren beiden Funktionen, linkerhand in der befreienden und rechterhand in der bestrafenden,abgebildet. Sie trägt ein Schwert als Symbol der richterlichen Gewalt über Leben und Tod in den Händen.
Ein Blick hinter die historischen Gemäuer der Justiz
Das Bundesverwaltungsgericht ist hinter seinen historischen Mauern in den öffentlich zugänglichen Mittelbau unterhalb der Zentralkuppel sowie den Nord- und Südflügel gegliedert. In der Kuppelhalle können die Besucher eine kleine museale Ausstellung zum Reichsgericht besuchen. Die in den Lünetten gelegenen Wandreliefs wurden vom Bildhauer Markus Gläser geschaffen. In den zwei Hauptgeschossen des Komplexes ist neben sechs Sitzungssälen der historische Plenarsaal im Obergeschoss untergebracht. Dieser wurde ehemals für Hochverratsprozesse genutzt, darunter der Reichstagsbrandprozess 1933. Er wurde nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg umfassend saniert, darunter die zahlreichen Wand- und Deckenvertäfelungen aus Eichenholz, Malereien und vergoldeten Stuckverzierungen. Im Südflügel befindet sich der renovierte neobarocke Festsaal mit der ehemaligen Dienstwohnung des Reichsgerichtspräsidenten. Dieser dient dem Bundesverwaltungsgericht als Versammlungsraum für besondere Anlässe und repräsentative Veranstaltungen. Der nebenan gelegene ehemalige Speisesaal des Reichsgerichtspräsidenten wird heute als Konferenzraum genutzt. Im Nordflügel befinden sich neben zahlreichen Dienstzimmern ein zweigeschossiger Lesesaal der privaten Bibliothek des Bundesverwaltungsgerichts. Die historischen Bestände der Bibliothek umfassen rund 240.000 Bände.