Der Küster muss mit dem Leiterwagen in einen Kinosaal in die Bornaische Straße 3c in Connewitz fahren, um einen Altar aufzubauen. Nur so kann die Katholische Gemeinde im Kino, das der Volksmund mit Augenzwinkern nach dem Stummfilmstar Asta-Nielsen-Kapelle nennt, vom 23. Januar 1921 an regelmäßig ihren Gottesdienst feiern. Die Gemeinde ist mit der Industrialisierung, die um die Jahrhundertwende auch Katholiken aus anderen Gegenden Deutschlands auf der Suche nach Arbeit und Brot nach Leipzig bringt, ziemlich gewachsen. Für den Bau einer eigenen Kirche fehlt den in vielen sozialen Vereinen organisierten Gläubigen das Geld. Die Stadt Leipzig hingegen hat kein Interesse, den Bau von katholischen Gotteshäusern zu fördern.
Kirche entsteht als Kriegergedächtnisort
Da kommt unerwartet aus dem fernen Essen Unterstützung. Dort ist der Verband Katholisch-Kaufmännischer Vereinigungen (KKV) ansässig. Und er beschließt, seinen etwa 1.500 im Ersten Weltkrieg gefallenen Verbandsmitgliedern eine Gedächtniskapelle zu stiften. Dabei fällt die Wahl auf die alte Handelsstadt Leipzig und den Stadtteil Connewitz. Die Kirche erwirbt ein Villen-Grundstück mit Park zwischen der Biedermannstraße und der Prinz-Eugen-Straße.
Im Gelände entstehen die als Diasporapfarrkirche und Kriegergedächtnisort gestaltete St. Bonifatius-Kirche sowie das Krankenhaus St. Elisabeth. Im Jahr 1928 schreibt der KKV (heute: Verband der Katholiken in Verwaltung und Wirtschaft) zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Christliche Kunst in München einen Wettbewerb aus, an dem sich alle katholischen Architekten des Landes beteiligen können. 240 Entwürfe werden daraufhin eingereicht. Den Zuschlag erhält der Architekt Theodor Burlage aus Osnabrück, dem die Jury eigentlich nur den dritten Platz zugesteht. Doch die Delegierten des Verbandes entscheiden sich für Burlage. Schon die äußere Form seiner Kirche ist außergewöhnlich: Neben einem runden Baukörper entsteht ein Turm mit quadratischem Grundriss.
Ein Bauwerk des Art déco
„Er achtet die kirchliche Tradition, schafft aber eine moderne Architektur für einen Stadtteil, der kaum christlich geprägt war und ist“, erzählt Gemeindemitglied Stephan Radig, der gemeinsam mit Stephan George eine neue Broschüre über die Geschichte der Kirche vorgelegt hat.
Geweiht wird die in ihren Formen klar strukturierte St. Bonifatius-Kirche am 18. Januar 1930. Fachleute werten sie als einen der wichtigsten katholischen Kirchbauten zwischen den Weltkriegen in Mitteldeutschland. Das Gotteshaus ist ein herausragendes Bauwerk des Art déco und braucht sich gegenüber dem Grassimuseum am Johannisplatz mit der berühmten Pfeilerhalle nicht zu verstecken. Das ist ebenfalls ein Art-déco-Bauwerk.
Der Hauptzugang der Kirche, die sich in einen Zentralraum und den Turm gliedern lässt, erfolgt aus Richtung Biedermannstraße. Über dem Eingang befindet sich ein Rundfenster, das den heiligen Bonifatius, den Kirchenpatron zeigt. Glasmaler Theo M. Landmann hat es geschaffen. Der Hauptraum wird von einem geschnitzten Bild des Gekreuzigten dominiert, das den Altar mit der goldenen Kuppel verbindet. An der historischen Kanzel befinden sich zwei geschnitzte Bilder aus Eichenholz, die die Auferstehung Jesu zeigen.
Toter Soldat wird beweint
Besonders markant ist der Turm, der auf rechteckigem Grundriss die übrigen Baukörper überragt. Im Turm befinden sich die vier Glocken. Ursprünglich ist hier eine Gedenkstätte für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Mitglieder des Verbands Katholisch-Kaufmännischer Vereinigungen untergebracht. Bestimmend ist zunächst die überlebensgroße Skulptur „Der tote Soldat“, die an die Gefallenen erinnert. Doch der Soldat wird später in der Erde versenkt, an ihrer Stelle der Tabernakel untergebracht. Der Zugang zum Gedächtnisraum wird von Heiligen bewacht. In der unteren Reihe sind Figuren aus dem Alten Testament zu sehen.
Der Gedächtnisort für den toten Soldaten befindet sich zusammen mit dem überdimensionalen Kruzifix vor der Altarwand. Das schmale Fenster im Kriegergedächtnisraum haben Albert Burges und Wolf-Dietrich Stein entworfen: Auf der Höhe der Trauernden wird auch im Kapellenfenster der tote Soldat beweint und dann von Engeln emporgehoben. Darüber steht der Pelikan, der sich – gleichsam als Sinnbild Christi – selbst für seine Jungen opfert.
Das Gotteshaus ist ein bemerkenswertes Frühwerk des Architekten Theodor Burlage. Schon im Jahr 1930 stellt er den Altar in das Rund des Gemeinderaumes. Er präsentiert seinen Bau sogar 1933 auf der Weltausstellung in Chicago (USA). Der Innenraum des Gotteshauses ist, vor allem nach Kriegsschäden und im Zuge der Liturgiereform, mehrfach verändert worden.
Historische Kirchenfenster werden rekonstruiert
So wird der auf Wände der Seitenkapellen ursprünglich gemalte Kreuzweg ein Opfer von Nässeschäden. 1959 wird er durch Plastiken des Dresdener Künstlers Friedrich Press ersetzt. Eine Fliegerbombe, die das benachbarte St.-Elisabeth-Krankenhaus trifft, zerstört alle Fenster. Nur das runde Bonifatius-Fenster mit dem Namenspatron bleibt verschont. Die kaputten Fensteröffnungen werden in der Nachkriegszeit durch eine einfache Bleiverglasung ersetzt. Sonnenlicht kann nicht mehr durch die bunten Fenster einfallen, dadurch geht die Stimmung im Innenraum verloren. Das ändert sich erst nach der Friedlichen Revolution. Nach alten Fotos und den originalen Entwürfen können die Fenster im Turm, hinter dem Kreuz und in der Taufkapelle rekonstruiert werden. Seitdem reflektiert auch die Kuppel das Licht wieder durch Blattgold.
Mitte der 1990er Jahre wird das Mauerwerk der Kirche trockengelegt und ihr Putz erneuert. In den Jahren 2004/2005 wird der Innenraum renoviert und umgestaltet. Zur St. Bonifatius-Kirche gehört eine lebendige katholische Pfarrei, der im Leipziger Süden etwa 5.200 Katholiken angehören. Das Gebiet der Gemeinde erstreckt sich von Connewitz über Markkleeberg, Zwenkau und Böhlen bis nach Pegau.
Stand: 12.05.2024