St. Bonifatius-Kirche

Biedermannstraße 86 | Ortsteil: Connewitz

Der Küster muss mit dem Leiterwagen in einen Kinosaal in die Bornaische Straße 3c in Connewitz fahren, um einen Altar aufzubauen. Nur so kann die Katholische Gemeinde im Kino, das der Volksmund mit Augenzwinkern nach dem Stummfilmstar Asta-Nielsen-Kapelle nennt, vom 23. Januar 1921 an regelmäßig ihren Gottesdienst feiern. Die Gemeinde ist mit der Industrialisierung, die um die Jahrhundertwende auch Katholiken aus anderen Gegenden Deutschlands auf der Suche nach Arbeit und Brot nach Leipzig bringt, ziemlich gewachsen. Für den Bau einer eigenen Kirche fehlt den in vielen sozialen Vereinen organisierten Gläubigen das Geld. Die Stadt Leipzig hingegen hat kein Interesse, den Bau von katholischen Gotteshäusern zu fördern.

Kirche entsteht als Kriegergedächtnisort


Da kommt unerwartet aus dem fernen Essen Unterstützung. Dort ist der Verband Katholisch-Kaufmännischer Vereinigungen (KKV) ansässig. Und er beschließt, seinen etwa 1.500 im Ersten Weltkrieg gefallenen Verbandsmitgliedern eine Gedächtniskapelle zu stiften. Dabei fällt die Wahl auf die alte Handelsstadt Leipzig und den Stadtteil
Connewitz. Die Kirche erwirbt ein Villen-Grundstück mit Park zwischen der Biedermannstraße und der Prinz-Eugen-Straße.

Im Gelände entstehen die als Diasporapfarrkirche und Kriegergedächtnisort gestaltete St. Bonifatius-Kirche sowie das Krankenhaus St. Elisabeth. Im Jahr 1928 schreibt der KKV (heute: Verband der Katholiken in Verwaltung und Wirtschaft) zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Christliche Kunst in München einen Wettbewerb aus, an dem sich alle katholischen Architekten des Landes beteiligen können. 240 Entwürfe werden daraufhin eingereicht. Den Zuschlag erhält der Architekt Theodor Burlage aus Osnabrück, dem die Jury eigentlich nur den dritten Platz zugesteht. Doch die Delegierten des Verbandes entscheiden sich für Burlage. Schon die äußere Form seiner Kirche ist außergewöhnlich: Neben einem runden Baukörper entsteht ein Turm mit quadratischem Grundriss.

Ein Bauwerk des Art déco


„Er achtet die kirchliche Tradition, schafft aber eine moderne Architektur für einen Stadtteil, der kaum christlich geprägt war und ist“, erzählt Gemeindemitglied
Stephan Radig, der gemeinsam mit Stephan George eine neue Broschüre über die Geschichte der Kirche vorgelegt hat.

Geweiht wird die in ihren Formen klar strukturierte St. Bonifatius-Kirche am 18. Januar 1930. Fachleute werten sie als einen der wichtigsten katholischen Kirchbauten zwischen den Weltkriegen in Mitteldeutschland. Das Gotteshaus ist ein herausragendes Bauwerk des Art déco und braucht sich gegenüber dem Grassimuseum am Johannisplatz mit der berühmten Pfeilerhalle nicht zu verstecken. Das ist ebenfalls ein Art-déco-Bauwerk.

Der Hauptzugang der Kirche, die sich in einen Zentralraum und den Turm gliedern lässt, erfolgt aus Richtung Biedermannstraße. Über dem Eingang befindet sich ein Rundfenster, das den heiligen Bonifatius, den Kirchenpatron zeigt. Glasmaler Theo M. Landmann hat es geschaffen. Der Hauptraum wird von einem geschnitzten Bild des Gekreuzigten dominiert, das den Altar mit der goldenen Kuppel verbindet. An der historischen Kanzel befinden sich zwei geschnitzte Bilder aus Eichenholz, die die Auferstehung Jesu zeigen.

Toter Soldat wird beweint


Besonders markant ist der Turm, der auf rechteckigem Grundriss die übrigen Baukörper überragt. Im Turm befinden sich die vier Glocken. Ursprünglich ist hier eine Gedenkstätte für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Mitglieder des Verbands Katholisch-Kaufmännischer Vereinigungen untergebracht. Bestimmend ist zunächst die überlebensgroße Skulptur „Der tote Soldat“, die an die Gefallenen erinnert. Doch der Soldat wird später in der Erde versenkt, an ihrer Stelle der Tabernakel untergebracht. Der Zugang zum Gedächtnisraum wird von Heiligen bewacht. In der unteren Reihe sind Figuren aus dem Alten Testament zu sehen.

Der Gedächtnisort für den toten Soldaten befindet sich zusammen mit dem überdimensionalen Kruzifix vor der Altarwand. Das schmale Fenster im Kriegergedächtnisraum haben Albert Burges und Wolf-Dietrich Stein entworfen: Auf der Höhe der Trauernden wird auch im Kapellenfenster der tote Soldat beweint und dann von Engeln emporgehoben. Darüber steht der Pelikan, der sich – gleichsam als Sinnbild Christi – selbst für seine Jungen opfert.

Das Gotteshaus ist ein bemerkenswertes Frühwerk des Architekten Theodor Burlage. Schon im Jahr 1930 stellt er den Altar in das Rund des Gemeinderaumes. Er präsentiert seinen Bau sogar 1933 auf der Weltausstellung in Chicago (USA). Der Innenraum des Gotteshauses ist, vor allem nach Kriegsschäden und im Zuge der Liturgiereform, mehrfach verändert worden.

Historische Kirchenfenster werden rekonstruiert


So wird der auf Wände der Seitenkapellen ursprünglich gemalte Kreuzweg ein Opfer von Nässeschäden. 1959 wird er durch Plastiken des Dresdener Künstlers
Friedrich Press ersetzt. Eine Fliegerbombe, die das benachbarte St.-Elisabeth-Krankenhaus trifft, zerstört alle Fenster. Nur das runde Bonifatius-Fenster mit dem Namenspatron bleibt verschont. Die kaputten Fensteröffnungen werden in der Nachkriegszeit durch eine einfache Bleiverglasung ersetzt. Sonnenlicht kann nicht mehr durch die bunten Fenster einfallen, dadurch geht die Stimmung im Innenraum verloren. Das ändert sich erst nach der Friedlichen Revolution. Nach alten Fotos und den originalen Entwürfen können die Fenster im Turm, hinter dem Kreuz und in der Taufkapelle rekonstruiert werden. Seitdem reflektiert auch die Kuppel das Licht wieder durch Blattgold.

Mitte der 1990er Jahre wird das Mauerwerk der Kirche trockengelegt und ihr Putz erneuert. In den Jahren 2004/2005 wird der Innenraum renoviert und umgestaltet. Zur St. Bonifatius-Kirche gehört eine lebendige katholische Pfarrei, der im Leipziger Süden etwa 5.200 Katholiken angehören. Das Gebiet der Gemeinde erstreckt sich von Connewitz über Markkleeberg, Zwenkau und Böhlen bis nach Pegau.

Stand: 12.05.2024

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Brodyer Synagoge

Keilstraße 4 | Ortsteil: Zentrum-Nord

Mit ihren bunt verglasten Fenstern und den geometrischen Davidstern-Mustern an der Decke ist sie eine Besonderheit. Die Brodyer Synagoge wird in der Pogromnacht 1938 nicht angezündet, weil sich die Gebetsräume in einem Wohnhaus befinden. Die Nationalsozialisten befürchten, dass das Feuer auf Wohnungen übergreifen könnte, in denen „Arier“ leben. Ein von SA-Leuten gelegter Brandherd kann von beherzten Anwohnern gelöscht werden. Gerettet hat das die Synagoge zwar nicht, denn der Innenraum wird demoliert und die Bleiglasfenster werden zerstört. Doch die Synagoge hat den Krieg überlebt und ist danach wieder hergerichtet worden. In altem Glanz erstrahlt sie seit 1993 – damals konnte sie mit Hilfe der Stadt Leipzig restauriert werden.

Ihr Name geht auf Kaufleute aus Brody (Galizien, heute Ukraine) zurück. Diese jüdischen Pelzhändler spielen auf den Leipziger Messen eine große Rolle. Bereits 1763/64 richten sie am Brühl einen eigenen Gebetsort ein, die sogenannte Brody Schul – nach einem jiddischen Wort für Synagoge.

Ende des 19. Jahrhunderts kommen immer mehr ostjüdische Einwanderer nach Leipzig, der Platz im Gebetsraum ist knapp. Der Wunsch, eine eigene, größere Synagoge zu bekommen, wächst bei den orthodoxen Juden. Das Platzangebot in der Großen Gemeindesynagoge an der Gottschedstraße, die es bereits seit 1855 gibt und die zudem liberal ausgerichtet ist, reicht ohnehin nicht mehr aus.

Talmud-Thora-Verein baut einen Betsaal


Ein Lichtblick kommt mit dem jüdischen Holzhändler
Friedrich Gutfreund. Der Plagwitzer Kaufmann erwirbt um 1900 das Doppelwohnhaus in der Keilstraße 4-6. Er möchte das Erdgeschoss zu einem Betsaal umbauen. Doch die Pläne scheitern. Erst der Talmud-Thora-Verein, den jüdische Wirtschaftsleute wie Samuel Kroch und Alexander Landau gründen, kann das Vorhaben umsetzen.

Der Verein erwirbt den Komplex im April 1903, schon zwei Monate später beginnen die Umbauarbeiten. Pläne dafür stammen vom Architekten Oscar Schade. Um eine ausreichende Raumgröße für die Synagoge zu schaffen, wird die Decke zwischen Erdgeschoss und erstem Obergeschoss entfernt. So können Emporen eingebaut werden. Der Fußboden wird abgesenkt, in der Vorhalle das rituelle Handwaschbecken eingebaut. Der Thoraschrein kommt an die Ostseite des Raumes, die Jerusalem zugewandt ist. In der Raummitte entsteht die Bima. Das ist eine Art Podium, auf dem das Pult für den Vorbeter und die Thoralesung steht.

In der zweiten Etage des Wohnhauses ist Platz für eine Bibliothek samt Lesezimmer. Dort entsteht die Dienstwohnung für Rabbiner Ephraim Carlebach. Im dritten Geschoss werden Unterrichtsräume eingerichtet. Schon im September 1903 gibt das Bauordnungsamt die Talmud-Thora-Synagoge zur Nutzung frei, damit jüdische Leipziger ihre hohen Feiertage begehen können. Offiziell eingeweiht wird das Gotteshaus dann im März 1904. Die Bezeichnung Brodyer Schul oder Brodyer Synagoge bleibt bei den Betenden aber weit verbreitet. Heute wird sie meist nur noch Gemeindesynagoge genannt.

Wohngebäude wird zwangsversteigert


Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten ist das Schicksal der Synagoge besiegelt. Anders als andere jüdischen Gotteshäuser geht sie zwar nicht in Flammen auf. Doch da der Talmud-Thora-Verein eine Hypothek nicht bedienen kann, wird das Gebäude 1937 zwangsversteigert. Bereits am 30. Juni 1937 wird das Gebäude im Zuge der Arisierung von einer Grundstücksverwaltung-Treuhand-AG übernommen. Die steht allerdings dem jüdischen Bankhaus Kroch nahe, das seinen Sitz im
Krochhochhaus am Augustusplatz hat. Auf Druck der Gestapo muss die Firma im Juni 1942 daher den Mietvertrag kündigen. Die Immobilienfirma beauftragt das Versteigerungshaus Klemm, das noch vorhandene Inventar zu versteigern. Nach der Zerstörung des Betraums wird dieser bis 1945 als Lagerhalle für Lacke und Farben missbraucht. Der Leipziger Historiker Steffen Held hat die Geschichte der Synagoge näher erforscht.

Synagoge wird neu geweiht


Nach dem Zweiten Weltkrieg bekommen die sich neu konstituierenden Mitglieder der Israelitischen Religionsgemeinde ihre Synagoge zurück. Am 28. Oktober 1945 wird das Gotteshaus wieder geweiht. Die Gemeinde erhält als Leihgabe 250 Stühle aus dem
Gohliser Schlösschen. Barnet Licht gelingt es, einen Synagogenchor zu gründen. Einen Rabbiner kann die Gemeinde vorerst nicht verpflichten. Die Synagoge wird der Wirkungsort von Werner Sander, der 1950 als Kantor an die Israelitische Religionsgemeinde berufen wird und bis zu seinem Tod 1972 sowohl den Leipziger Synagogalchor als auch die Gottesdienste leitet.

Die Gemeinde leidet schon in den letzten Jahren der DDR an Überalterung – im Juni 1991 gibt es nur noch 35 Mitglieder. In den Jahren nach der Friedlichen Revolution ändert sich das. Ein Grund dafür ist die Einwanderung russischer Juden nach Leipzig, die als sogenannte Kontingentflüchtlinge kommen. In ihrer Heimat sind sie Repressionen und Verfolgungen ausgesetzt. 1993 kann die Originalfassung des Betsaal-Innenraums denkmalgerecht wiederhergestellt werden. Das gelingt mit Fördermitteln vom Bund und der Stadt Leipzig. Die Synagoge wird am 22. Mai 1993 zum dritten Mal geweiht.

Mit jüdischen Einwanderern wächst Raumbedarf


Doch durch den Zustrom jüdischer Einwanderer wird das Gotteshaus wiederum zu klein. Die Israelitische Religionsgemeinde erweitert die Empore ihrer Synagoge daher um etwa 100 Plätze auf insgesamt 320. Dadurch verbessern sich die Bedingungen für das religiöse Leben der Gemeinde spürbar. Hilfe für die Erweiterung im Jahre 2001 gibt es von der Stadt Leipzig sowie dem Förderverein Synagoge und Begegnungszentrum Leipzig. Sie fördern auch den Ausbau des
Ariowitsch-Hauses als jüdisches Kultur- und Begegnungszentrum. Im Jahr 2025 gehören der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig etwa 1.100 Mitglieder an. Gemeinderabbiner ist Zsolt Balla.

Stand: 16.01.2025

Philippuskirche

Aurelienstraße 54 | Ortsteil: Lindenau

Die zwischen 1907 und 1910 nach Plänen des Architekten Alfred Müller erbaute Philippuskirche befindet sich im Leipziger Stadtteil Lindenau am Karl-Heine-Kanal. Die neobarocke Fassadengestaltung mit markantem Kirchturm steht im Kontrast zum im gemäßigten Jugendstil gestalteten Innenraum. Nachdem die Philippuskirche seit 2002 gemeindlich kaum mehr genutzt wurde, wurde das Gebäudeensemble im Jahr 2012 dem Berufsbildungswerk (BBW) Leipzig zur Nutzung übertragen. Nach einer umfangreichen Umgestaltung des denkmalsgeschützten Gebäudeensembles eröffnete am 1. März 2018 in den Räumlichkeiten Leipzigs erstes Integrationshotel mit Biergarten. Der Kirchsaal wurde zu einem kulturellen, multifunktionalen Veranstaltungszentrum umfunktioniert.

Gemäßigter Jugendstil in neobarocker Hülle


Der markante, 62,5 Meter hohe Kirchturm der Philippuskirche mit neobarocker Kuppel ragt bereits von Weitem sichtbar über die Dächer des Stadtteils Lindenau und prägt diesen optisch. Nach dem starken Wachstum der Gemeinde Lindenau im Jahr 1906 gründete man im südlichen Teil die „Philippusgemeinde“. Bereits ein Jahr später wurde ein Wettbewerb zum Bau eines entsprechenden Gebäudekomplexes, bestehend aus Kirche, Pfarr- und Gemeindehaus, an der Aurelien-/ Helmholtzstraße ausgeschrieben. Den Bauzuschlag erhielt der Leipziger Architekt Alfred Müller, welcher bereits durch den Bau der Michaeliskirche bekannt wurde. Der ungewöhnliche und zugleich interessante Entwurf sah für das Gebäudeensemble einen Winkelbau vor, dessen Blickpunkt der an der Ecke platzierte, knapp 63 Meter hohe Kirchturm mit geschwungener, neobarocker Haube einnahm. Die beiden Gebäudeschenkel werden von dem rückwärtigen Gemeindehaustrakt verbunden. Trotz des auf den ersten Blick sehr massiv wirkenden Baus, erscheinen die Baumassen bei näherem Hinsehen Dank ihrer geschickten Gliederung sehr ausgewogen und harmonisch.

Gegenüber der niederländisch geprägten neobarocken Fassadengestaltung der Philippuskirche ließ Alfred Müller den Innenraum im gemäßigten Jugendstil gestalten. Eine Besonderheit stellt hier der nur äußerlich kreuzförmig erscheinende, überkuppelte Hauptraum dar. Hierbei orientierte sich Müller an der liturgischen Anordnung des Wiesbadener Programms aus dem Jahr 1891, welches einen Zentralraum forderte, in welchem sich die Gemeinde um Altar, Orgel und Kanzel herum „auf Augenhöhe“ versammelte. Die pneumatisch betriebene Jehmlich-Orgel, die Kanzel und der Altar wurden stufenförmig hintereinander angeordnet, während sich das Gestühl in halbkreisförmig ansteigenden Reihen um die liturgische Mitte gruppiert und auf gleicher Ebene wie die Kanzel und der Altar liegt. Dieser barocken Tradition entsprechend orientierte sich bereits George Bähr beim Bau der Dresdner Frauenkirche. Bei der Philippuskirche handelt es sich in Leipzig und der Region um den einzigen, nach diesem Prinzip entwickelten Sakralbau. Der reich geschmückte Innenraum der Kirche verfügt weiterhin über Messinglampen, welche sowohl mit Strom als auch mit Gas funktionieren. Nach drei Jahren Bauzeit von 1907 bis 1910 wurde die Kirche mit 730 Plätzen am 16. Oktober 1910 geweiht. Während der Kirchweihe spielte Paul Gerhardt auf der von ihm mitentwickelten Jehmlich-Orgel. Im Jahr 1999 vereinigten sich die Gemeinden der Philippuskirche und der Heilandskirche zur Kirchgemeinde Lindenau-Plagwitz. Seit 2002 fanden die Gottesdienste ausschließlich in der Heilandskirche statt.

Aus 100-jährigem Pfarrhaus wird modernes Integrationshotel


Nachdem die Philippuskirche über ein Jahrzehnt nicht mehr für Gottesdienste genutzt wurde, übertrug man das Gebäudeensemble im Jahr 2012 dem Berufsbildungswerk (BBW) Leipzig zur Nutzung. Das BBW plante für das denkmalgeschützte Gebäudeensemble eine Umgestaltung zum PHILIPPUS Leipzig Inklusionshotel mit Gastronomie und Freisitz direkt am Karl-Heine-Kanal. Die Idee dazu stammte ursprünglich aus Hamburg, wo 1993 Eltern von behinderten Kindern das Stadthaushotel in Altona gründeten. Entsprechend des „Philippus-Projektes“ begann unter der Leitung von Wolfgang Menz Anfang 2015 der Umbau der neobarocken Kirche zu einem 3-Sterne-Hotel. Ausgeführt wurde das Projekt vom Architekturbüro RKW. Ziel war es, die seit 2002 gemeindlich nicht mehr genutzte Philippuskirche zu einem multifunktionalen Veranstaltungsort umzuwandeln, ohne diese zu entweihen. Für die Umsetzung des Projektes stellte der Mitgliedsbetrieb des Diakonischen Werks insgesamt 4,2 Millionen Euro zur Verfügung, weitere 250.000 Euro wurden von der Fernsehlotterie „Aktion Mensch“ beigesteuert. Dabei handelte es sich um ein Förderprojekt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Zu den Festangestellten sollten mindestens 40 Prozent Behinderte zählen.

Die Eröffnung von Leipzigs erstem Integrationshotel fand am 1. März 2018 statt. Zur Verfügung stehen seitdem 28 Doppel- und ein Einzelzimmer in den Kategorien „Klassik“ mit etwa 18 Quadratmetern und „Komfort“ mit circa 25 Quadratmetern mit Ausblick auf den Karl-Heine-Kanal. 28 der insgesamt 29 Räume sind barrierefrei. Zum PHILIPPUS Leipzig Inklusionshotel gehören eine Catering-Abteilung mit gastronomischer Versorgung der Hotelgäste sowie die Philippuskirche. Das neue Konzept umfasst die drei „Bs“ Beherbergung, Bewirtung und Botschaft. Teil der regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen ist seit 2014 auch die Benefizreihe verschiedener musikalischer Stilrichtungen namens „Konzerte am Kanal“ im Kirchsaal.

Frisch gezapftes Philippus-Bräu und Flammkuchen im einstigen Kirchgarten


Um die Eingriffe in den denkmalgeschützten Bestand auf ein Minimum zu reduzieren, wurde an der Westseite des Pfarrhauses neben dem Eingang ein gläsernes Foyer mit gläsernem Außenfahrstuhl geschaffen. Im Souterrain der Kirche entstanden eine Küche, Seminar- und Besprechungsräume, während der Kirchsaal in ein kulturelles, multifunktionales Veranstaltungszentrum umgewidmet wurde, in welchem u.a. Hochzeiten, Theateraufführungen, Firmen- und Geburtstagsfeiern sowie an jedem letzten Freitag im Monat ein Gottesdienst stattfinden. Der ehemalige Gemeindesaal wurde zum Frühstücks- und Seminarraum mit unmittelbarem Gartenzugang umfunktioniert. Im Jahr 2019 waren die umfangreichen Sanierungsarbeiten im Inneren der Kirche abgeschlossen. Anschließend wurde das Ensemble mit moderner Technik ausgestattet sowie die mehr als 100 Jahre alte Jehmlich-Orgel fachmännisch überholt.

Den idyllischen Kirchgarten funktionierte man zum Philippus-Biergarten mit 40 Plätzen um. Er wird vom Inklusionshotel betrieben. Gelegen zwischen Philippuskirche und Karl-Heine-Kanal ist dieser von Donnerstag bis Sonntag geöffnet und wird in den Sommermonaten zur Kulisse von Live-Musik und Theatervorführungen. Der Freisitz ist ebenfalls barrierefrei. Neben einem kleinen Imbissangebot, darunter saisonale Speisen, Flammkuchen und Brotzeitplatten, werden verschiedene warme und kalte Getränke sowie frisch gezapftes Philippus-Bräu angeboten. Der Biergarten verfügt zudem über eine kleine Bootsanlegestelle.

Stand: 28.09.2022

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Thomaskirche

Thomaskirchhof 18 | Ortsteil: Zentrum

Die 1212 als Klosterkirche für die Augustiner-Chorherren erbaute Thomaskirche zählt zu den bedeutendsten spätgotischen Hallenkirchen in Sachsen. Als Wirkungsstätte Johann Sebastian Bachs und des Thomanerchors sowie durch Martin Luthers Predigt zur Einführung der Reformation in Sachsen 1539 erlangte die Thomaskirche große Bekanntheit und gilt weltweit als bedeutendes Zentrum kirchlicher Musik. Vor dem Südportal der Thomaskirche befindet sich das von Carl Seffner 1908 errichtete bronzene Bach-Denkmal.

Vom mittelalterlichen Chorherrenstift zur spätgotischen Hallenkirche


Die Anfänge der Thomaskirche reichen bis ins 12. Jahrhundert zurück. Ausgrabungen zufolge stand an heutiger Stelle bereits eine dreischiffige Pfeilerbasilika. Im Jahr 1212 veranlasste der Wettiner Markgraf Dietrich von Meißen den Bau eines Augustiner-Chorherrenstifts, was unter den nach Unabhängigkeit strebenden Leipzigern für Proteste sorgte. Zum Zeichen des Widerstands gegen den Bau des Klosters zerstörten die Bürger nachts das, was die Kirchen- und Klosterbauherren tagsüber aufgebaut hatten. Trotz der Unwägbarkeiten wurden die 1212 beschlossenen Umbaumaßnahmen der Stiftskirche St. Thomas 1222 abgeschlossen. Der Überlieferung nach soll der Minnesänger Heinrich von Morungen anlässlich der Übergabe der Kirche eine Reliquie des Heiligen Thomas aus Indien übergeben haben. Später wurde die von der Vorgängerkirche übernommene Bausubstanz sukzessive verändert. Den Chorraum baute man im spätromanisch-frühgotischen Stil um und vergrößerte ihn, wovon der noch heute erhaltene spitzbogige Triumphbogen aus Backstein und Sandstein sowie Teile der Außenwände an der Nordseite des Chores zeugen. Nach einer erneuten Vergrößerung Mitte des 14. Jahrhunderts im hochgotischen Stil erhielt der Kirchenteil seine endgültige Ausprägung.

Das heutige Bild der Thomaskirche wird durch das zwischen 1482 und 1496 unter Leitung von Claus Roder und Konrad Pflüger neu erbaute Hallenlanghaus im spätgotischen Stil geprägt, welches das romanische Kirchenschiff ersetzte. Das Kreuzrippengewölbe aus Rochlitzer Porphyr ist noch heute im Original erhalten. Das 39 Meter lange und 25 Meter breite Kirchenschiff mit 14 Meter hohen Pfeilern erforderte durch seine Länge eine Verlegung der Stadtmauer nach Westen. In der wirtschaftlich aufstrebenden Messestadt entstand eine der bedeutendsten spätgotischen Hallenkirchen in ganz Sachsen, die am 10. April 1496 vom Merseburger Bischof Tilo von Trotha feierlich eingeweiht wurde. Seither läutet vom Glockenturm die 1477 gegossene und von Nikolaus Eisenberg gravierte Hauptglocke „Gloriosa“ – die älteste Glocke Leipzigs – als eine der insgesamt vier Glocken.

Luther und die Verkündung der Reformation


Weit über die Landesgrenzen bekannt wurde die Thomaskirche mit der hier am 25. Mai 1539 von Martin Luther gehaltenen Pfingstpredigt zur Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen. Daran erinnert bis heute die an einer Säule im Mittelschiff neben der Kanzel angebrachte Gedenktafel zur Einführung der Reformation. Durch die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen und gottesdienstlichen Bedürfnisse wurden 1570/71 unter der Leitung von Hieronymus Lotter steinerne Renaissance-Emporen an den Längsseiten der Kirchenschiffe errichtet und die Westseite um ein Joch hervorgezogen.

Die 1553 südlich der Thomaskirche und entlang der Stadtmauer erbaute Thomasschule zählt zu einer der ältesten in ganz Deutschland. Mit der Reformation wurde auch dem Thomanerchor zunehmende künstlerische Bedeutung zuteil und die Schule und der Chor kamen unter die Trägerschaft des Stadtrates. Bemerkenswert war, dass die Stadt Leipzig als weltliche Institution den überwiegend geistlich wirkenden Chor finanzierte.

Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts wurden das Kircheninnere barock umgestaltet und seit 1661 mehrere Privatkapellen angebaut. Darunter befindet sich eine für das Ehepaar Wiedebach errichtete Kapelle. Apollonia von Wiedebach galt als bedeutendste Stifterin für die Stadt Leipzig und Anhängerin der Reformation. Die Nordseite der Kirche wurde nach Entwürfen von Johann Gregor Fuchs mir einem zweigeschossigen Anbau versehen. Fuchs ist auch das heutige Erscheinungsbild des 68 Meter hohen Kirchturms zu verdanken, der 1702 mit einer barocken Turmhaube und einer Laterne mit Wetterfahne, die eine von einem Stern umkreiste Sonne zeigt, bekrönt wurde. Der Chor und die Sakristei wurden 1802 unter der Leitung von Johann Friedrich Carl Dauthe instandgesetzt. 1806/07 diente die Thomaskirche zwischenzeitlich als französisches Militärmagazin und wurde während der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 als Lazarett genutzt. An diese Zeit erinnert noch heute eine am Turmumgang angekettete Kanonenkugel, die damals auf dem Dachboden einschlug. Im Zuge des Umbaus unter Johann Wilhelm Constantin Lipsius zwischen 1884 und 1889 wurde die barocke Gestaltung der Kirche weitgehend durch die Neogotik ersetzt.

Der berühmte Director musices


Das Wirken Johann Sebastian Bachs in Leipzig begründete zweifelsohne den Weltruhm des Kantorats und machte die Stadt zum Zentrum protestantischer Kirchenmusik. Bach übte zwischen 1723 und 1750 das Amt als Director musices und Kantor der Nikolaikirche und Thomaskirche aus. Dem damals noch unbedeutenden Thomanerchor verhalf er zum heutigen Weltruhm und schrieb in Leipzig seine bedeutendsten Werke, darunter das Weihnachtsoratorium, die h-Moll-Messe, die Johannes- und Matthäus-Passion und mehr als 300 Kirchenkantaten, die in der Thomaskirche uraufgeführt wurden.

Bachs Orgelklänge tönen noch heute…


Beim äußerlichen Betrachten der Thomaskirche fällt insbesondere das Dach auf. Bei dem steilen Firstwinkel von 62 Grad handelt es sich um eine architektonische Meisterleistung und um eines der steilsten Giebeldächer Deutschlands. Dank dieser Konstruktion, die auf Erfahrungen aus dem Festungsbau zurückging, wonach Feuerkugeln nicht einschlugen sondern abglitten, überstand die Thomaskirche die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg vergleichsweise unbeschadet. Das von einem Kreuzrippengewölbe überdachte Langhaus wurde im Zuge seiner Restaurierung in den 1960er Jahren der ursprünglich hellroten Farbgebung des 15. Jahrhunderts wieder angepasst. Der gut sichtbare Knick zwischen Langhaus und Chor weist auf den romanischen Ursprung der Thomaskirche hin. Die Orgelempore, wo der Thomanerchor seinen Platz hat, ist mit zwei großen Orgeln ausgestattet. Die ältere wurde von Wilhelm Sauer zwischen 1885 und 1889 erbaut und zählt mit den 88 Registern zu seinen größten und bekanntesten Bauten. Anlässlich des Bachjahres 2000 wurde die viermanualige Bach-Orgel von Gerald Woehl ergänzt. Die Thomaskirche zählt europaweit zu den Stätten mit dem nachweislich frühesten Orgelgebrauch im Gottesdienst. Der „Orgelgesang“ wurde bereits 1384 für eine Marienmesse dokumentiert, was bestätigt, dass schon 1212 mit der Begründung des Thomasstifts eine frühzeitige Musikpflege betrieben wurde.

Kunst und Kirche


Die urspüngliche Ornamentverglasung der Thomaskirche wurde 1889 durch farbige Mosaiken ergänzt. Die fünf farbigen Fenster an der Südwand der Thomaskirche schuf der Glasmaler
Alexander Linnemann. Sie zeigen namhafte Persönlichkeiten des Protestantismus, darunter König Gustav II. Adolf von Schweden, Kurfürst Friedrich der Weise gemeinsam mit Philipp Melanchthon und Martin Luther, Kaiser Wilhelm I. und Johann Sebastian Bach. Ein weiteres Fenster aus früheren Jahren bildet Felix Mendelssohn Bartholdy und den Heiligen Thomas ab. 2009 wurde das Friedensfenster von David Schnell ergänzt. 

Seit Einführung der Reformation gehört es zu den Pflichten der amtierenden Superintendenten, sich bei ihrem Ausscheiden aus dem Amt porträtieren zu lassen und im Altarraum der Kirche neben ihre Vorgänger einzureihen. So zeigt eines der Porträts Leipzigs ersten Superintendenten Johannes Pfeffinger

1950 wurden in der Thomaskirche die Gebeine Johann Sebastian Bachs, die sich urspünglich in der zerstörten Johanniskirche befanden, in einer Gruft beigesetzt. Die von Kunz Nierade gestaltete schlichte Grabplatte an den Stufen des Altarraums ist heute Anziehungspunkt für Bachverehrer und Musikfreunde aus aller Welt. Unter den weiteren Epitaphien und Grabplatten in der Thomaskirche befinden sich neben dem Sarkophag des Markgrafs Dietrich von Wettin die Grabplatten der Kurfürstin Elisabeth von Sachsen und des Adeligen Nickel Pflugk.

Chorale Gesänge vor dem bronzenen Thomaskantor


Dem berühmten Thomanerchor kann man im Rahmen des Gottesdienstes wöchentlich freitags um 18 Uhr bei der Motette und sonnabends um 15 Uhr bei der Bachkantate lauschen. Fester Bestandteil des Leipziger Musiklebends ist das
Bachfest Leipzig, mit welchem die Stadt jährlich den berühmten Thomaskantor ehrt und damit eine Tradition fortführt, die bereits Felix Mendelssohn Bartholdy initiierte.

Stand: 27.09.2023

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Kirche Hohen Thekla

Neutzscher Straße | Ortsteil: Thekla

Die Kirche Hohen Thekla befindet sich auf einer Erhebung oberhalb der Parthe im Leipziger Stadtteil Thekla. Im 12. Jahrhundert ursprünglich als romanische Wehrkirche errichtet überstand sie alle Kriege unbeschadet. Sie ist wahrscheinlich das älteste Gebäude auf dem heutigen Leipziger Stadtgebiet. Nach einem verheerenden Brand im Jahr 1959 wurde die gesamte Inneneinrichtung zerstört, lediglich die Umfassungsmauern der Kirche und ihre mittelalterliche Konstruktion blieben erhalten. Nach dem Wiederaufbau des Kulturdenkmals unter der Leitung von Fritz Ziel schuf der Dresdner Künstler Werner Hempel den Taufstein, das Lesepult und die Kanzel. Heute präsentiert sich die Kirche mit einer postmodernen Inneneinrichtung und einem romanischen äußeren Erscheinungsbild. Sie bietet rund 100 Sitzplätze und ist ganzjährig zu Gottesdiensten geöffnet. 

Mittelalterliche Baukunst am Fuße der Parthe


Aufgrund ihres urwüchsigen Erscheinungsbildes und ihren wuchtigen Mauern ragt die Kirche als eines der markantesten Bauwerke unter nur noch wenigen erhaltenen mittelalterlichen Bauten in und um Leipzig heraus. Der Kirchberg hebt sich mit seinen 129 Metern Höhe deutlich vom Niveau der Parthe auf 112 Metern ab, während sich um die Kirche vom Friedhof her zahlreiche interessante klassizistische und barocke Grabsteine gruppieren. Gemeinsam mit den Kirchen Panitzsch und Beucha erhielt die Kirche Hohen Thekla aufgrund dessen den Beinamen „Hohe Priester“. Der Name der vermutlich dem Heiligen Nikolaus geweihten Kirche stammt vom Kirchberg, welcher früher Hohentiegel, Hohentichel oder auch Hohentechla genannt wurde, wobei der Namen „Thekla“ vermutlich aus dem Slawischen entspringt.

Wuchtiges Bauwerk trotzte den Kriegen


Der Ursprung der Kirche Hohen Thekla reicht bis ins 10. Jahrhundert zurück, als auf dem Kirchberg bereits ein Sakralbau nachweisbar war. Sie wurde vermutlich im 12. Jahrhundert als Wehrkirche errichtet. Die im Turmbereich bis zu zwei Meter dicken Außenmauern wurden aus unterschiedlich großen Granitfindlingen errichtet und in der Fassade zunächst unverputzt belassen. Diese Bauweise verleiht der Kirche bis heute ein archaisches Aussehen. Erhalten sind der wuchtige Westturm, das niedrige Schiff und der rechteckige Chorraum in deutlich erkennbarer Dreigliederung. Das in gleicher Breite an den Turm anschließende Kirchenschiff besitzt einen elf Meter langen und acht Meter breiten Innenraum. Wie bei romanischen Kirchen typisch waren die Fenster des Kirchenschiffes sehr klein. Das wuchtige Bauwerk überstand ein Feuer während des Dreißigjährigen Krieges und konnte – wie aus einer entsprechenden Jahreszahl an der schmiedeeisernen Tür am Südeingang hervorgeht – bis 1660 wieder erneuert werden. Bei dieser Tür mit ihren Beschlägen und im oberen Teil sich zwei einander zugewandten Vögeln handelt es sich um eine Rarität. Sie gehörte einst zum Haupteingang der Kirche, bevor dieser an die Westseite des Turms verlegt wurde. Wenig später entstanden im Innern der Kirche Emporen mit bemalter Brüstung sowie eine bemalte Bretterdecke. Während der
Völkerschlacht bei Leipzig 1813 wurde der Kirchberg vom Befehlshaber der alliierten Nordarmee, dem schwedischen Kronprinz Jean Baptiste Bernadotte, als Beobachtungsstandort genutzt. Daran erinnern bis heute drei in den Kirchturmputz eingemauerte Kanonenkugeln. Am 29. April 1840 fand mit der Trauung des Politikers und späteren Volkstribun der 1948er Revolution Robert Blum und Eugenie Günther die wohl prominenteste Hochzeit der Kirche Hohen Thekla statt. Nur wenige Monate später gaben sich Robert Schumann und Clara Wieck in der benachbarten Gedächtniskirche Schönefeld ebenfalls das Ja-Wort.

Kontrastreich von Innen und Außen: Postmoderne trifft auf Romanik


Nach einem Entwurf des Leipziger Architekten
Julius Zeißig wurde 1889 an der Westseite des Kirchturms ein Rundbogenportal ergänzt, welches sich in gleicher Form noch heute präsentiert. Im Zuge der Vergrößerung der drei Fenster bis fast zum Erdboden gestaltete man auch die Südseite des Schiffes um. Weiterhin wurde an der Südseite des Chores eine Sakristei ergänzt, der westliche Teil des Chores untermauert und die Kirche von außen verputzt. Die Kirche Hohen Thekla war im Besitz der vermutlich ältesten Kirchenglocke im Leipziger Raum aus dem 13. Jahrhundert, welche bereits 1908 in den Besitz des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig im Alten Rathaus überging. Die Inneneinrichtung bestand aus einem Flügelaltar mit Mariendarstellung aus dem Jahr 1510, einem Taufstein aus romanischer Zeit, einer Kanzel von 1680 sowie einer Orgel. Nachdem die Kirche alle Kriege und Bombenangriffe im Leipziger Norden überstanden hatte, fiel deren wertvolles Inventar einem schweren Brand in der Nacht vom 29. auf den 30. Januar 1959 zum Opfer. Dabei handelte es sich um Brandstiftung von zwei betrunkenen Jugendlichen, die aus der Gemeinde stammten und ihren Einbruch in die Kirche vertuschen wollten. Während die Inneneinrichtung mitsamt Taufstein, Flügelaltar, Emporen, Bildern, Orgel und Deckenmalereien gänzlich zerstört wurde, blieben lediglich die Umfassungsmauern der Kirche und ihre mittelalterliche Konstruktion erhalten. Dank einer speziellen Kollekte der Sächsischen Landeskirche in Höhe von 190.000 D-Mark im Februar 1959 konnte bereits unmittelbar mit dem Wiederaufbau des bedeutenden Kulturdenkmals unter der Leitung des Architekten Fritz Ziel begonnen werden. Der Künstler Werner Hempel schuf den Taufstein, das Lesepult und die Kanzel. Chor, Kirchensaal und Turm erhielten neue Dachstühle, während das Südportal wieder geöffnet und die Turmöffnung im Westen geschlossen wurde. Die mit Eisenbeschlägen bestückte Tür von 1660 konnte an ihrem ursprünglichen Ort platziert und die rekonstruierte Kirche schließlich am 7. Oktober 1962 wiedereröffnet werden. Seitdem ist der Innenraum der Kirche von weiß verputzten Wänden und Brauntönen von der Holzbalkendecke und der Empore sowie von Steinmetzkunst aus den 1960er Jahren geprägt. Diese Gestaltung sorgt für einen besonderen Kontrast zwischen postmodernem Innern und romanischem Äußeren der Kirche. Im Jahr 1966 schuf die Bautzner Firma Eule eine neue Orgel. Hinter dem Altar befinden sich drei nebeneinander angeordnete, expressionistische Gemälde, die vom Leipziger Künstler Matthias Klemm geschaffen wurden. Das Triptychon stellt auf abstrakte Art und Weise in Rot-, Schwarz- und Holztönen Jesus‘ Kreuzigung bis zur Auferstehung dar. 

Seit Januar 2009 gehört die Gemeinde Hohen Thekla zur Evangelisch-Lutherischen Matthäuskirchgemeinde Leipzig Nordost, welcher noch die Gedächtniskirche Schönefeld sowie die Stephanuskirche Mockau angehören. 

Stand: 27.09.2023

Bildergalerie - Kirche Hohen Thekla

Historisches Bildmaterial - Kirche Hohen Thekla

Russische Gedächtniskirche

Philipp-Rosenthal-Straße 51a
Ortsteil: Zentrum-Südost

Die Russisch-Orthodoxe Gedächtniskirche St. Alexej wurde 1913 nach Entwürfen des St. Petersburger Architekten Wladimir Alexandrowitsch Pokrowski erbaut. Sie erinnert an diewährend der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 rund 22.000 gefallenen russischen Soldaten.Insgesamt kämpften 130.000 russische Soldaten für die Befreiung Deutschlands gegen Napoleon.

Die vergoldete Schwester des Völkerschlachtdenkmals


Von der Völkerschlacht bei Leipzig im Jahr 1813 berichten nicht nur Bücher und Filme, sondern davon zeugen auch mehr als 150 Monumente in Leipzig, darunter die Apelsteine, das Völkerschlachtdenkmal, der Napoleonstein, das Kugeldenkmal sowie zahlreiche Gedenkstätten wie das Museum Forum 1813. Dass es sich bei der schon von Weitem sichtbaren Russischen Gedächtniskirche mit ihren weißen Gemäuern und der goldenen Zwiebel-Kuppel ebenfalls um ein Denkmal zur Völkerschlacht handelt, vermutet der Leipzig-Besucher wohl eher nicht.

Die Geschichte der über 100-jährigen Kirche geht auf das späte 19. Jahrhundert zurück. Zu dieser Zeit wurde von jenen deutschen Ländern, die auf der Seite Napoleons vom 16. bis 19. Oktober 1813 während der Völkerschlacht bei Leipzig gegen die alliierten Österreicher, Preußen, Russen und Schweden kämpften, beschlossen, zum Bau des Völkerschlachtdenkmals beizutragen. Der Bau des Kolossaldenkmals war schon weit fortgeschritten, als man in St. Petersburg erwog, ein eigenes Denkmal zu Ehren der 22.000 russischen Gefallenen zu errichten. Während die Deutschen mit dem Völkerschlachtdenkmal ein heldisches nationales Monument bauten, entschied sich das 1910 einberufene russische Baukomitee für die Errichtung einer Gedächtniskirche. Damit sollte der Tod der Gefallenen in Relation zum himmlischen Reich und der Ewigkeit gesetzt werden. Das rund 2.500 Quadratmeter große Baugelände an einem der einstigen Schauplätze der Schlacht stellte die Stadt Leipzig unentgeltlich zur Verfügung. Die Baukosten in Höhe von einer Million Markwurden von russischer Seite zur Hälfte durch Spenden und zur Hälfte durch Zar Nikolaus II.getragen.

Mit dem Entwurf für den Bau der Gedächtniskirche wurde der St. Petersburger Architekt Wladimir Alexandrowitsch Pokrowski beauftragt, der sich an der Christi-Himmelfahrts-Kirche am Moskauer Stadtrand in Kolomenskoje orientierte. Diese entstand im 16. Jahrhundert im Nowgoroder Stil. Den Bau leiteten vor Ort die Leipziger Architekten Georg Weidenbach und Richard Tschammer. Nach der Grundsteinlegung am 28. Dezember 1912 und der nur zehnmonatigen Bauzeit wurde die Russische Gedächtniskirche am 17. Oktober 1913, zum 100. Jahrestag der Völkerschlacht und einen Tag vor der Eröffnung desVölkerschlachtdenkmals, eingeweiht. 1927 gründete sich hier eine russische-orthodoxe Gemeinde. Mit Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 wurden die Kirche und die Gemeinde dem Patriarchen von Russland und ganz Moskau unterstellt.

Ein Stück russisches Zarenreich inmitten der Messestadt


Die Russisch-Orthodoxe Gedächtniskirche St. Alexej ist heute ein bedeutendes Kulturdenkmal, bestehend aus einer Winter- und einer Oberkirche. Das Kirchengebäude erhebt sich auf einem quadratischen Untergeschoss, welches von einem Arkadengang umgeben ist. Es beherbergte einst eine Bibliothek und wurde 1927 zur Winterkirche umfunktioniert, die dem Heiligen Panteleimon geweiht war. Ein aus Sandstein geschaffenes und reich ornamentiertes Rundbogenportal bildet den Eingang der Winterkirche. Es wird vonzwei steinernen Kriegsgedächtnistafel gerahmt, welche die Zahlenstärken der in der Völkerschlacht aufmarschierten und gefallenen Soldaten der österreichischen, preußischen, schwedischen und russischen Armeen in russischer und deutscher Sprache auflisten. 2003 wurde etwa 60 Meter westlich des Haupteingangs der Baschkiren-Gedenkstein ergänzt, welcher an die Teilnahme der baschkirischen Soldaten an der Völkerschlacht bei Leipzig erinnert.

Eine barock gestaltete, zweiflügelige Freitreppe führt auf die Plattform zum Hauptportal der Oberkirche. Über dem Eingang befindet sich zwischen zwei vergoldeten Engel-Reliefs dieMosaik-Ikone des Christus. Von der Rückseite der Kirche aus gelangt man in die Gruftkapelle. Hier befinden sich die Särge hoher russischer Offiziere, die auf den Schlachtfeldern 1813 fielen sowie ein Sarkophag mit den sterblichen Überresten unbekannter russischer Soldaten. Die weiß verputzte Kirche wurde nach dem Vorbild russischer Zeltdachkirchen geschaffen. Sie verkörpert mit ihrem sechzehneckigen, 55 Meter hohen Stahlbetonturm, den grün patinierten Kupferflächen und der bekrönenden vergoldetenZwiebelkuppel russische Kunst und geistige Kultur gleichermaßen.

Das Zarentor vor der größten Ikonenwand Westeuropas


Das Hauptgeschoss der Kirche ist in eine Vorhalle mit einem darüber befindlichen Glockengeschoss, einen Hauptraum und ein dreiapsidiales Sanktuarium eingeteilt. In der Vorhalle befinden sich zwei alte, aufwändig bestickte Fahnen, welche entgegen einiger Überlieferungen nicht vom Schlachtfeld stammen, aber dennoch einen Bezug zur Völkerschlacht haben. Bei ihnen handelt es sich um Requisiten aus Sergej Bondartschuksmonumentaler Tolstoi-Verfilmung „Krieg und Frieden“. 

Besonders beeindruckend ist der kleine Innenraum der Oberkirche mit einer gewaltigen Höhe von rund 40 Metern. Eine 18 Meter hohe und 10 Meter breite Ikonenwand, auch Ikonostase genannt, mit 78 handgemalten Ikonen dominiert den Raum. Bei der Ikonostase handelt es sich um eine mit mehreren Ikonen geschmückte Wand mit drei Türen, welche das innere Kirchenschiff vom Altarraum trennt. Die Ikonenwand in der Russischen Gedächtniskirche zählt zu den größten ihrer Art außerhalb Russlands. In sieben Reihen sind die Engel, Apostel, Propheten, Heiligen, die Mutter Maria, Jesus Christus und der Gottvater abgebildet. In der Mittelachse oberhalb des zum Altar führenden Zarentors befinden sich die Bildnisse Christi, Marias und des Gottesvaters Zebaoth, dem sich alle Dargestellten dienend und anbetend zuwenden. Das sakrale Kunstwerk wurde vom Moskauer Maler Luka Martjanowitsch Jemeljanow nach altrussischem Vorbild geschaffen und war ein Geschenk der Donkosaken zur Einweihung der Kirche. Die gemalten Ikonen wurden mit Silberarbeiten aus einer der einst bedeutendsten Werkstätten, der Moskauer Firma Iwan Chlebnikow, ausgeschmückt. Das Zarentor wird von den gemalten Ikonen Jesu Christi und der Gottesmutter Smolensk flankiert. Letztere gilt als echte Rarität und stellt ein besonders wertvolles Detail der Ikonostase dar. Dabei handelt es sich um einen in der russischen Ikonenmalerei oftmals dargestellten Typus, welcher der Überlieferung nach auf den Evangelisten Lukas zurückgehen soll. Die an einigen Stellen verblasste und eingerissene Ikonenwand wurde 2016 bis 2018 umfassend saniert und erstrahlt seitdem in neuem Glanz. Oberhalb der Ikonostase befindet sich ein vom russischen Zaren gestifteter und etwa 800 Kilo schwerer bronzener Kronleuchter mit 72 Lampen aus Smalte. 

Die Russische Gedächtniskirche unmittelbar neben dem Friedenspark dient heute nicht nur als Denkmal, sondern ist auch Gotteshaus für die russisch-orthodoxe Gemeinde, die aus über 300 Mitgliedern unterschiedlicher Nationalitäten besteht.

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Historisches Bildmaterial - Russische Gedächtniskirche

Nikolaikirche in Leipzig

Nikolaikirchhof 3
Ortsteil: Zentrum

Die um 1165 erbaute Nikolaikirche ist mit einer Höhe von 63 Metern und einer Breite von 46 Metern die größte und zweitälteste Kirche Leipzigs. Sie erlangte im Herbst 1989 internationale Bekanntheit durch die Friedensgebete und die daran anschließenden Montagsdemonstrationen, welche das Ende der DDR und die Einheit Deutschlands einläuteten. Zehn Jahre später wurde auf dem Nikolaikirchhof die 16 Meter hohe Nikolaisäule aufgestellt, welche als Symbol für die Friedliche Revolution steht.

Von der romanischen Basilika zur reformatorischen Kirche


Die Geschichte der Nikolaikirche reicht über 850 Jahre zurück. Sie wurde um 1165 nach der Verleihung des Stadt- und Marktrechts an Leipzig im Stil einer romanischen Basilika erbaut, besaß der Überlieferung nach aber bereits einen Vorgängerbau. Der romanische Ursprung ist bis heute an der Westseite der Kirche zu erkennen. Das Patrozinium des heiligen Nikolaus, dem Schutzpatron der Kaufleute und der Reisenden, über der Kirche legt eine Gründung und Errichtung des Gotteshauses durch die ansässigen Kaufleute nahe. Die erste urkundliche Erwähnung als Bürgerkirche geht auf das Jahr 1212 zurück. Acht Jahre später wurde die Nikolaikirche dem Thomasstift unterstellt und verlor damit ihren Status als eigenständige Stadtkirche. Zwischen 1513 und 1525 erfolgte der Umbau durch den Maurermeister Benedikt Eisenberger zu einer dreischiffigen spätgotischen Hallenkirche. In diesem Zuge erhielt das Gebäude seine heutigen Maße von 63 Metern Länge und 46 Metern Breite. Am 31. Mai 1525 wurde die Nikolaikirche durch den Bischof von Merseburg eingeweiht. Mit der Einführung der Reformation in Leipzig zu Pfingsten 1539 hielt der evangelische Theologe und Reformator Johann Pfeffinger die erste evangelische Predigt. Auch das Innere der Kirche wurde nach reformatorischen Vorstellungen umgestaltet, Heiligenbilder und Nebenaltäre beseitigt. Der bedeutende Bau- und Bürgermeister der Stadt, Hieronymus Lotter, ließ 1555 die gotischen Turmspitzen durch flachere Dächer ersetzen, erhöhte den barocken Mittelturm auf seine heutigen 76 Meter und ergänzte im Inneren eine Türmerwohnung. Der Leipziger Architekt Johann Michael Senckeisen schuf zwischen 1730 und 1734 den Abschluss des Mittelturmes mit barocker Haube. Die spätgotische Kanzlei in der Nordkapelle der Nikolaikirche aus dem Jahr 1521 stammt noch aus Martin Luthers Zeiten und wird deshalb im Volksmund „Lutherkanzel“ genannt, obwohl der Reformator dort nie gepredigt haben soll. 1723 absolvierte Johann Sebastian Bach im Zuge seiner Bewerbung als Thomaskantor und städtischer Musikdirektor sein Orgelvorspiel der Kantate „Die Elenden sollen essen“ in der Nikolaikirche. Auch seine berühmte Johannes-Passion und das Weihnachtsoratorium mit dem Thomanerchor wurden in der Nikolaikirche uraufgeführt. An die Zeit Bachs erinnern noch heute das schlicht gehaltene Eingangsportal und die Turmhaube.

Klassizismus, Porsche und Clara Schumann unter einem Dach 


Der Umbau des Kircheninneren zum heutigen klassizistischen Erscheinungsbild im Geist der bürgerlichen Aufklärung erfolgte zwischen 1784 und 1797 unter der Leitung des Stadtbaumeisters Johann Carl Friedrich Dauthe. Dauthes Innengestaltung wurde maßgeblich durch die Architekturtheorie von Marc-Antoine Laugier beeinflusst. Die Umgestaltung zu einem modernen, hellen Predigtsaal mit der dominierenden Farbgebung Gold, Rosé, Weiß und Hellgrün zählt zu den bedeutendsten Raumschöpfungen des deutschen Klassizismus. Die ehemals spätgotischen Pfeiler wurden durch Stuckverzierungen in Form von stilisierten Palmwedeln zu antikisierenden Säulen umgestaltet. Neben dem Altarbild mit der Auferstehung Christi stammen rund 30 weitere Gemälde im Innern der Kirche vom damals bedeutendsten Maler und Bildhauer Leipzigs, Adam Friedrich Oeser. Der Chorraum wurde von Felix Pfeifer mit vier großflächigen Alabasterreliefs ausgestattet. Der Weißenfelser Orgelbauer Friedrich Ladegast ersetzte den Vorgängerbau von Johann Gottlob Trampeli 1862 durch eine neue Orgel mit 84 Registern auf vier Manualen und Pedal. Dabei handelt es sich noch heute um die größte Kirchenorgel Sachsens und zugleich Ladegasts wichtigstes Werk. Die spätere Erneuerung der Orgel durch die Firma Wilhelm Sauer belief sich auf rund 2,3 Millionen Euro. An der Finanzierung beteiligte sich die Porsche AG als Hauptsponsor, was mit dem edelstählernen Porsche-Schriftzug am Spieltisch der Orgel verewigt ist. Im Zuge der Sanierung wurden die Grabstellen der Kirche gänzlich überbaut. In den Gemäuern fand unter anderem der Theologe und Sympathisant Luthers, Petrus Mosellanus, 1524 seine letzte Ruhe.

Nach Abschluss der Umbau- und Renovierungsarbeiten im Jahr 1897 wurde die Kirche neu eingeweiht. Bei den im Turmaufgang ausgestellten Mauerresten des Portals aus dem Jahr 1170 sowie den grauen Steinen in der Kirchenmauer am Eingang handelt es sich um die ältesten Stücke Leipzigs. Die Nikolaikirche war die einzige Kirche, die während der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 nicht als Lazarett umfunktioniert wurde. Am Abend des 19. Oktober 1813 fand in der Kirche der erste Gottesdienst nach Ende der Schlacht statt. Im Jahr 1817 wurde die Musikerin Clara Schumann in der Nikolaikirche getauft, 1838 heiratete der Leipziger Vater des Kleingärtnertums, Moritz Schreber, in der Kirche.

Außerhalb der Südsakristei der Kirche hängt in einer Wandnische ein überdimensioniertes Hufeisen. Dieses stammt der Überlieferung nach aus dem frühen 14. Jahrhundert, als der Markgraf Dietrich IV., genannt Diezmann, 1307 zum Gottesdienst nach Leipzig ritt und dort während der Christmette in der Thomaskirche ermordet wurde. Auf dem Weg nach Leipzig scheute sein Pferd und verlor das Hufeisen, das bis in die Nikolaikirche geschleudert wurde. Eine andere Überlieferung schreibt es dem Pferd des Heiligen Georg zu. Dieses soll das Hufeisen beim Kampf gegen den Drachen verloren haben. 

Der Weg zur Friedlichen Revolution im Herbst ‘89


Die Bedeutung der Nikolaikirche reicht weit über ihre Kunst- und Baugeschichte zurück. In den 1980er Jahren wurden unter dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ zahlreiche Veranstaltungen für die Abrüstung und Entmilitarisierung im Kalten Krieg organisiert. Im Rahmen der Friedensdekade fanden schließlich ab dem 20. September 1982 jeden Montag um 17 Uhr die Friedensgebete gegen das Wettrüsten in Ost und West statt, die durch Pfarrer Christian Führer und ab 1986 durch den Pfarrer der Lukaskirche, Christoph Wonneberger, koordiniert wurden. Als Symbol für die ersten Friedensgebete wurde rechts neben dem Hochaltar auf einem Ständer aus Metall ein einfaches Holzkreuz aufgestellt.

Trotz zahlreicher Sanktionsmaßnahmen und Einflussnahme vom Staat bot die Kirche einen der wenigen geistigen Freiräume in der DDR, welchen die Gemeinde unter dem Motto „Nikolaikirche – offen für alle“ nutzte. Die regelmäßig stattfindenden Friedensgebete waren ein entscheidender Meilenstein auf dem Weg zur Überwindung der Teilung Deutschlands und ganz Europas – obwohl niemand dieses Ziel offenkundig ins Leben gerufen hatte. Am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR, wurde jeder Versuch des Protests gewaltsam von der Staatsmacht unterbunden. Der darauffolgende Montag, der 9. Oktober 1989, wurde schließlich zum entscheidenden Tag der Friedlichen Revolution. Rund 70.000 Demonstranten versammelten sich vor der Nikolaikirche und in der Innenstadt mit den Rufen „Wir sind das Volk!“ und „Keine Gewalt!“. Dieser Tag markierte das Ende der DDR und machte den Weg zur Einheit Deutschlands frei. 

Die Friedensgebete finden nach wie vor montags um 17 Uhr in der Nikolaikirche statt. Der Leipziger Autor Erich Loest setzte der Friedlichen Revolution in Leipzig mit seinem Bestseller-Roman „Nikolaikirche“ aus dem Jahr 1995 ein literarisches Denkmal. Das Buch spiegelt die tägliche Gespaltenheit der Menschen in der DDR in einer spannenden Familien-Saga auf lebendige Weise wider.

Bildergalerie - Nikolaikirche in Leipzig

Historisches Bildmaterial - Nikolaikirche in Leipzig

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