Bildlexikon Leipzig

Nikolaikirche in Leipzig

Nikolaikirchhof 3 Ortsteil: Zentrum

Die um 1165 erbaute Nikolaikirche ist mit einer Höhe von 63 Metern und einer Breite von 46 Metern die größte und zweitälteste Kirche Leipzigs. Sie erlangte im Herbst 1989 internationale Bekanntheit durch die Friedensgebete und die daran anschließenden Montagsdemonstrationen, welche das Ende der DDR und die Einheit Deutschlands einläuteten. Zehn Jahre später wurde auf dem Nikolaikirchhof die 16 Meter hohe Nikolaisäule aufgestellt, welche als Symbol für die Friedliche Revolution steht.

Von der romanischen Basilika zur reformatorischen Kirche


Die Geschichte der Nikolaikirche reicht über 850 Jahre zurück. Sie wurde um 1165 nach der Verleihung des Stadt- und Marktrechts an Leipzig im Stil einer romanischen Basilika erbaut, besaß der Überlieferung nach aber bereits einen Vorgängerbau. Der romanische Ursprung ist bis heute an der Westseite der Kirche zu erkennen. Das Patrozinium des heiligen Nikolaus, dem Schutzpatron der Kaufleute und der Reisenden, über der Kirche legt eine Gründung und Errichtung des Gotteshauses durch die ansässigen Kaufleute nahe. Die erste urkundliche Erwähnung als Bürgerkirche geht auf das Jahr 1212 zurück. Acht Jahre später wurde die Nikolaikirche dem Thomasstift unterstellt und verlor damit ihren Status als eigenständige Stadtkirche. Zwischen 1513 und 1525 erfolgte der Umbau durch den Maurermeister Benedikt Eisenberger zu einer dreischiffigen spätgotischen Hallenkirche. In diesem Zuge erhielt das Gebäude seine heutigen Maße von 63 Metern Länge und 46 Metern Breite. Am 31. Mai 1525 wurde die Nikolaikirche durch den Bischof von Merseburg eingeweiht. Mit der Einführung der Reformation in Leipzig zu Pfingsten 1539 hielt der evangelische Theologe und Reformator Johann Pfeffinger die erste evangelische Predigt. Auch das Innere der Kirche wurde nach reformatorischen Vorstellungen umgestaltet, Heiligenbilder und Nebenaltäre beseitigt. Der bedeutende Bau- und Bürgermeister der Stadt, Hieronymus Lotter, ließ 1555 die gotischen Turmspitzen durch flachere Dächer ersetzen, erhöhte den barocken Mittelturm auf seine heutigen 76 Meter und ergänzte im Inneren eine Türmerwohnung. Der Leipziger Architekt Johann Michael Senckeisen schuf zwischen 1730 und 1734 den Abschluss des Mittelturmes mit barocker Haube. Die spätgotische Kanzlei in der Nordkapelle der Nikolaikirche aus dem Jahr 1521 stammt noch aus Martin Luthers Zeiten und wird deshalb im Volksmund „Lutherkanzel“ genannt, obwohl der Reformator dort nie gepredigt haben soll. 1723 absolvierte Johann Sebastian Bach im Zuge seiner Bewerbung als Thomaskantor und städtischer Musikdirektor sein Orgelvorspiel der Kantate „Die Elenden sollen essen“ in der Nikolaikirche. Auch seine berühmte Johannes-Passion und das Weihnachtsoratorium mit dem Thomanerchor wurden in der Nikolaikirche uraufgeführt. An die Zeit Bachs erinnern noch heute das schlicht gehaltene Eingangsportal und die Turmhaube.

Klassizismus, Porsche und Clara Schumann unter einem Dach 


Der Umbau des Kircheninneren zum heutigen klassizistischen Erscheinungsbild im Geist der bürgerlichen Aufklärung erfolgte zwischen 1784 und 1797 unter der Leitung des Stadtbaumeisters Johann Carl Friedrich Dauthe. Dauthes Innengestaltung wurde maßgeblich durch die Architekturtheorie von Marc-Antoine Laugier beeinflusst. Die Umgestaltung zu einem modernen, hellen Predigtsaal mit der dominierenden Farbgebung Gold, Rosé, Weiß und Hellgrün zählt zu den bedeutendsten Raumschöpfungen des deutschen Klassizismus. Die ehemals spätgotischen Pfeiler wurden durch Stuckverzierungen in Form von stilisierten Palmwedeln zu antikisierenden Säulen umgestaltet. Neben dem Altarbild mit der Auferstehung Christi stammen rund 30 weitere Gemälde im Innern der Kirche vom damals bedeutendsten Maler und Bildhauer Leipzigs, Adam Friedrich Oeser. Der Chorraum wurde von Felix Pfeifer mit vier großflächigen Alabasterreliefs ausgestattet. Der Weißenfelser Orgelbauer Friedrich Ladegast ersetzte den Vorgängerbau von Johann Gottlob Trampeli 1862 durch eine neue Orgel mit 84 Registern auf vier Manualen und Pedal. Dabei handelt es sich noch heute um die größte Kirchenorgel Sachsens und zugleich Ladegasts wichtigstes Werk. Die spätere Erneuerung der Orgel durch die Firma Wilhelm Sauer belief sich auf rund 2,3 Millionen Euro. An der Finanzierung beteiligte sich die Porsche AG als Hauptsponsor, was mit dem edelstählernen Porsche-Schriftzug am Spieltisch der Orgel verewigt ist. Im Zuge der Sanierung wurden die Grabstellen der Kirche gänzlich überbaut. In den Gemäuern fand unter anderem der Theologe und Sympathisant Luthers, Petrus Mosellanus, 1524 seine letzte Ruhe.

Nach Abschluss der Umbau- und Renovierungsarbeiten im Jahr 1897 wurde die Kirche neu eingeweiht. Bei den im Turmaufgang ausgestellten Mauerresten des Portals aus dem Jahr 1170 sowie den grauen Steinen in der Kirchenmauer am Eingang handelt es sich um die ältesten Stücke Leipzigs. Die Nikolaikirche war die einzige Kirche, die während der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 nicht als Lazarett umfunktioniert wurde. Am Abend des 19. Oktober 1813 fand in der Kirche der erste Gottesdienst nach Ende der Schlacht statt. Im Jahr 1817 wurde die Musikerin Clara Schumann in der Nikolaikirche getauft, 1838 heiratete der Leipziger Vater des Kleingärtnertums, Moritz Schreber, in der Kirche.

Außerhalb der Südsakristei der Kirche hängt in einer Wandnische ein überdimensioniertes Hufeisen. Dieses stammt der Überlieferung nach aus dem frühen 14. Jahrhundert, als der Markgraf Dietrich IV., genannt Diezmann, 1307 zum Gottesdienst nach Leipzig ritt und dort während der Christmette in der Thomaskirche ermordet wurde. Auf dem Weg nach Leipzig scheute sein Pferd und verlor das Hufeisen, das bis in die Nikolaikirche geschleudert wurde. Eine andere Überlieferung schreibt es dem Pferd des Heiligen Georg zu. Dieses soll das Hufeisen beim Kampf gegen den Drachen verloren haben. 

Der Weg zur Friedlichen Revolution im Herbst ‘89


Die Bedeutung der Nikolaikirche reicht weit über ihre Kunst- und Baugeschichte zurück. In den 1980er Jahren wurden unter dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ zahlreiche Veranstaltungen für die Abrüstung und Entmilitarisierung im Kalten Krieg organisiert. Im Rahmen der Friedensdekade fanden schließlich ab dem 20. September 1982 jeden Montag um 17 Uhr die Friedensgebete gegen das Wettrüsten in Ost und West statt, die durch Pfarrer Christian Führer und ab 1986 durch den Pfarrer der Lukaskirche, Christoph Wonneberger, koordiniert wurden. Als Symbol für die ersten Friedensgebete wurde rechts neben dem Hochaltar auf einem Ständer aus Metall ein einfaches Holzkreuz aufgestellt.

Trotz zahlreicher Sanktionsmaßnahmen und Einflussnahme vom Staat bot die Kirche einen der wenigen geistigen Freiräume in der DDR, welchen die Gemeinde unter dem Motto „Nikolaikirche – offen für alle“ nutzte. Die regelmäßig stattfindenden Friedensgebete waren ein entscheidender Meilenstein auf dem Weg zur Überwindung der Teilung Deutschlands und ganz Europas – obwohl niemand dieses Ziel offenkundig ins Leben gerufen hatte. Am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR, wurde jeder Versuch des Protests gewaltsam von der Staatsmacht unterbunden. Der darauffolgende Montag, der 9. Oktober 1989, wurde schließlich zum entscheidenden Tag der Friedlichen Revolution. Rund 70.000 Demonstranten versammelten sich vor der Nikolaikirche und in der Innenstadt mit den Rufen „Wir sind das Volk!“ und „Keine Gewalt!“. Dieser Tag markierte das Ende der DDR und machte den Weg zur Einheit Deutschlands frei. 

Die Friedensgebete finden nach wie vor montags um 17 Uhr in der Nikolaikirche statt. Der Leipziger Autor Erich Loest setzte der Friedlichen Revolution in Leipzig mit seinem Bestseller-Roman „Nikolaikirche“ aus dem Jahr 1995 ein literarisches Denkmal. Das Buch spiegelt die tägliche Gespaltenheit der Menschen in der DDR in einer spannenden Familien-Saga auf lebendige Weise wider.

Bildergalerie - Nikolaikirche in Leipzig

Historisches Bildmaterial - Nikolaikirche in Leipzig

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Sophie Weinhold
Die gebürtige Leipzigerin studierte in Passau und Marseille Internationales Management und besitzt ein Faible für Fremdsprachen. Neben Englisch und Französisch spricht sie fließend spanisch und italienisch. Bereits als Zwölfjährige führte sie internationale Austauschschüler durch die Stadt und begeisterte sie für Leipzigs Geschichte und Sehenswürdigkeiten. Die Liebe zu Leipzig bestimmt nach wie vor ihre Freizeitgestaltung. Ob Museumsbesuche, Konzerte oder Fahrradtouren in die Umgebung – die kreative Lokalpatriotin findet immer ausreichend Anregungen, um darüber zu schreiben.
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