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Leipziger Weinfest

Markt | Ortsteil: Zentrum

Das Leipziger Weinfest findet alljährlich über eine Woche in den Sommermonaten statt und wird vom Marktamt der Stadt Leipzig veranstaltet. Auf dem Markt bieten etwa 30 Aussteller aus ganz Deutschland und einigen europäischen Ländern ihre Weine zum Genießen an. Das ursprünglich in den späten 1990er Jahren als Promotionsveranstaltung ins Leben gerufene Weinfest hat sich mittlerweile als eine der beliebtesten und bestbesuchten Veranstaltungen etabliert. Ein abwechslungsreiches Bühnenprogramm mit Live-Musik und aufwändig geschmückte Stände und Sitzbänke runden den Weingenuss ab.

Alljährlich zur Sommerzeit verwandelt sich der Leipziger Markt vor dem Alten Rathaus im Rahmen des Weinfestes in die größte Weinstube der Stadt. Winzer aus verschiedenen Anbaugebieten in Sachsen, ganz Deutschland und Europa – von Ungarn über Österreich bis Südtirol und Frankreich – bieten an ihren aufwändig gestalteten Verkaufsständen hochwertige Weine zum Verkosten und Genießen an.

Sachsens 800jährige Weintradition


Die sächsische Weintradition reicht bis ins 12. Jahrhundert zurück, als ein Mönch aus dem
Kloster Altzella erstmals von einer Weinstraße in der Region berichtete. Bereits zu Zeiten des Bischofs Benno von Meißen soll in der Region Wein angebaut worden sein. Überlieferungen aus dem Jahr 929 n. Chr. zufolge berichteten auch die Truppen von Heinrich I. von diversen Weinstöcken im Elbtal. In einer Urkunde von 1161 wurde die Existenz von Weinbergen im Meisatal bestätigt. Das höfische Weingut Hoflößnitz rief schließlich im 17. Jahrhundert das 6.000 Hektar umfassende sächsische Weinanbaugebiet ins Leben, welches später aufgrund des Baubooms und der Reblaus fast vollständig zerstört und im Jahr 1907 offiziell als verseucht deklariert wurde. Mit dem Ende der DDR wurden in den 1990er Jahren rund 220 Hektar neu aufgerebt. Die Sächsische Weinstraße, welche zwischen Pirna und Diesbar-Seußlitz verläuft, wurde offiziell im Jahr 1992 eingeweiht. Der Weinbau in Sachsen entwickelte sich zu einem Aushängeschild für die Region mit einem vielfältigen Angebot, welches jedes Jahr zahlreiche Besucher und Weinwanderer anlockt. Heute zählt das Weinbaugebiet Sachsen als nordöstlichstes sowie kleinstes zusammenhängendes seiner Art in Deutschland. Seit der Aufrebung in den 1990er Jahren hat sich das Weinbaugebiet flächenmäßig verdoppelt und umfasst mittlerweile rund 492 Hektar Rebfläche, welche von etwa 2.500 Winzern bewirtschaftet wird.

Von der kleinen Promotionsveranstaltung zu Leipzigs größter Weinstube


Das Leipziger Weinfest startete ursprünglich als Promotionsveranstaltung eines rheinländischen Weinbauverbandes in den späten 1990er Jahren. Nachdem diese die ersten Jahre gut angenommen wurde, sollte das Format vom Veranstalter wenig später eingestellt werden. Da die involvierten Winzer von Leipzig sehr angetan waren, plädierten sie für eine Fortführung des Weinfestes durch das Marktamt der Stadt Leipzig, welches bis dahin als genehmigende Behörde involviert war. Das Marktamt übernahm die Veranstaltung in Eigenregie und öffnete das Weinfest ab 2007 für weitere Regionen und Anbieter. Zu diesem Zeitpunkt war das Fest mit acht bis elf Teilnehmern recht überschaubar. Im Jahr 2014 wurde das Konzept durch Marktamtsleiter
Walter Ebert und sein Team überarbeitet. Die Winzer warb man aktiv an. Dadurch wurde die Veranstaltung immer erfolgreicher, so dass weitere interessierte Winzer und Besucher nach Leipzig kamen und sich das Format als eine der beliebtesten Veranstaltungen etablierte. Im Pandemiejahr 2021 konnte das Weinfest als eine von wenigen größeren Veranstaltungen in Leipzig unter strengen Auflagen, mit reduzierter Teilnehmerzahl und 17 Ständen stattfinden. Waren auf dem Weinfest ursprünglich nur deutsche Winzer anwesend, sind seit einigen Jahren auch Weingüter aus Ungarn, Österreich, Südtirol und Frankreich vertreten.

Ein Glas Rotes in stimmungsvoller Atmosphäre


Eröffnet wird das Weinfest jedes Jahr von der amtierenden sächsischen Weinkönigin, welche alljährlich im Herbst vom Sächsischen Weinbauverband gewählt wird. Zu den Aufgaben der Repräsentantin des sächsischen Weinbaugebietes zählen zahlreiche Termine im Jahr, wie die Eröffnung von Weinfesten, Messen sowie Gespräche mit Presse-, Rundfunk- und Fernsehvertretern. Voraussetzung für die Wahl sind u.a. gute Kenntnisse über das sächsische Weinbaugebiet und nicht zuletzt die Freude am Wein.

An rund 30 Weinständen können neben den etwa 200 verschiedenen Weinen auch Sekte, Weintraubenliköre und Weinbrände verkostet werden. Zu den Stammgästen und langjährigen Ausstellern, die vom Weinfest nicht mehr wegzudenken sind, zählen die sächsische Kelterei Oese, das sächsische Weingut Schloss Wackerbarth und die Winzergenossenschaft Freyburg aus Sachsen-Anhalt. Mehrere Gastronomen bieten auf dem Weinfest zudem weintypische Speisen an, darunter Käseplatten und Flammkuchen. Ein tägliches Bühnenprogramm mit Live-Musik, von Rock bis Jazz, rundet die Veranstaltung ab. Die Weinfreunde können in stimmungsvoller Atmosphäre auf einer der Sitzbänke ein Glas Wein genießen. Die Besucherzahlen des sich seit Jahren auf Wachstumskurs befindlichen Weinfestes bewegen sich zwischen 25.000 und 30.000. 

Stand: 27.09.2023

Leipziger Markttage

Markt / Salzgässchen / Nikolaikirchhof | Ortsteil: Zentrum

Die Leipziger Markttage werden jedes Jahr im Herbst für 10 Tage in der Innenstadt veranstaltet. Sie fanden erstmals vom 30. September bis 10. Oktober 1976 statt. Auf 13.100 Quadratmetern boten etwa 600 Handelsleute aus Leipzig und allen Bezirken ihr vielfältiges Warenangebot an. Damals wie heute umfassen die Markttage neben dem Handelsgeschehen ein vielfältiges gastronomisches und kulturelles Angebot. Zu den Highlights zählen die Marktbühne mit einem Musikprogramm, der historische Handwerkermarkt im Salzgässchen und der Erntedankbrunnen auf dem Nikolaikirchhof.

Buntes Handels- und Messetreiben zwischen Via Regia und Via Imperii


Leipzig blickt auf eine lange Tradition als Handels- und Messestadt von internationalem Rang zurück. Bereits im Zuge der sorbischen Besiedlung im 7. Jahrhundert wurde hier unter dem Namen Lipzk „Ort bei den Linden“ ein wichtiger Handelsstützpunkt begründet. Die Verleihung des Stadt- und Marktrechts durch Markgraf
Otto der Reiche im Jahr 1165 gilt zugleich als Gründungsjahr der Stadt. An der Kreuzung der beiden europäischen Handelsstraßen Via Regia und Via Imperii gelegen entwickelte sich Leipzig zu einem wichtigen Zentrum des Handels sowie des Austauschs von Waren und Informationen zwischen den Bürgern. Nachdem Kaiser Maximilian I. der Stadt 1497 das Messeprivileg verlieh, wurden die bis dahin drei Mal jährlich abgehaltenen Märkte zu Reichsmessen erhoben und den im Umkreis von 15 Meilen liegenden Städten ein Verbot zur Durchführung von Märkten erteilt. Leipzig entwickelte sich zu einer Messestadt von europäischem Rang. Der seit 1420 überlieferte Hauptmarkt diente als Zentrum des Handels während den abgehaltenen Messen. Im Mittelalter fanden sich hier Handelsleute und Bauern aus den umliegenden Dörfern zusammen, um auf dem Wochenmarkt ihre Waren feilzubieten. Aufgrund ihrer Bedeutung für eine regelmäßige und geordnete Versorgung der Bürger und den damit verbundenen Geldeinnahmen wurden die Märkte vom Landesherrn und dem Stadtrat gefördert. Letztere wachten zugleich auch mittels Marktordnungen über das Markttreiben. Zu Zeiten der Warenmesse konzentrierte sich der „Meßverkehr“ um den Markt. Hierher brachten die Fuhrleute ihre in Kisten und Ballen verpackten Waren zum Verkauf. Vor deren Lagerung in den Speichern wurden sie an der Alten Waage registriert und der sogenannte Meßzoll bezahlt.

Herbstmarkt 1976: Von Fuhrmannskneipe, Schmöllner Mutzbraten und den „Klein-Pariser Marktmusikanten“… 


Die Leipziger Markttage fanden erstmals vom 30. September bis zum 10. Oktober 1976 statt. Ziel war es, die Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern und Dienstleistungen des Handels in der Innenstadt noch attraktiver zu gestalten und bessere Einkaufsmöglichkeiten zu schaffen. Im Mittelpunkt stand die Demonstration der Leistungskraft des Handels und die Positionierung der Leipziger Markttage als Besuchermagnet über die Stadtgrenzen hinaus. Damit sollten sie sich deutlich von den bis dahin üblichen Bauernmärkten abheben. Deshalb sah ein Beschluss des Bezirkstages vom Juni 1976 im
Neuen Rathaus eine zukünftig jährliche Durchführung der Leipziger Markttage im September / Oktober vor. Neben den Leipziger Handelsbetrieben sowie sämtlichen gastronomischen Einrichtungen der Stadt waren an der Umsetzung auch rund 600 Verkäufer aus 13 Kreisbetrieben des Bezirkes mit einem umfangreichen Warenangebot beteiligt. Darunter befanden sich 65 Kooperationspartner und 42 Betriebe aus dem Bezirk, darunter die Binnenfischerei Wermsdorf, die Groitzscher Schuhfabrik sowie die Brauerei Krostitz.

Auf einer Fläche von 13.100 Quadratmetern waren im Bereich Markt, Salzgässchen, Sachsenplatz, Brühl und Hainstraße zahlreiche Verkaufsbereiche mit originellen Ständen angesiedelt. Neben Speis‘ und Trank machten die Industriewaren mit etwa 60 Prozent den größten Teil des Angebots aus. Ziel war es zudem, neue und traditionelle Verkaufsformen zu demonstrieren. So gab es etwa im Salzgässchen einen „Historischen Markt anno 1650“, während Pferdewagen, eine „Fuhrmannskneipe“, rustikale Verkaufsstände, eine Postsäule und Verkäufer in historischen Trachten für eine für das Leipzig um 1650 typische Atmosphäre sorgten. In der Reichsstraße konnten auf dem „Leipziger Künstlermarkt“ an verschiedenen Ausstellungs- und Verkaufsständen kunstgewerbliche Waren, Gemälde und Grafiken begutachtet werden. Ebenfalls in der Reichsstraße angesiedelt war der „Basar am Sachsenplatz“, wo Blumen, Textilien und Schallplatten sowie handgearbeitete Gegenstände verkauft wurden. Wenige Meter weiter konnten im „Leipziger Allerlei“ Gebrauchtwaren verschiedenster Art entdeckt werden. Auf dem „Bauernmarkt“ auf dem Markt wurden neben deftigen Speisen aus dem „Bauerndorf“ nützliche Haushaltswaren angeboten. Ein Highlight war die 185 Meter lange Verkaufsstraße „Brühl Boutiquen“, wo Produktionsbetriebe des Bezirkes in Zusammenarbeit mit dem Handel eine interessante Leistungsschau mit Verkauf darboten. Auf dem „Wirtschaftsmarkt“ auf dem Richard-Wagner-Platz wurde neben einem reichhaltigen Sortiment an Handwerkszeug und -material der berühmte Schmöllner Mutzbraten zum Verkauf angeboten. Am „Treff am Sachsenplatz“ konnten die Besucher abseits des Marktgeschehens in zahlreichen gastronomischen Einrichtungen unterschiedlicher Art verweilen. Am Naschmarkt luden Imbissbuden, darunter eine Löffelstube, sowie ein Angebot an Fisch- und Schlachtspezialitäten nach einem Marktbummel zum Verweilen ein. Zum Angebot zählten außerdem Betriebe aus dem Bezirk und deren Spezialitäten, darunter die Oschatzer Fischgaststätte, die Grimmaer Waldgaststätte und die Bornaer Bergmannsgaststätte sowie der Kaffeegarten. Angeboten wurden u.a. Delitzscher Pralinen, Torgauer Krüge und Geithainer Töpfe. Eine Kunstgewerbegalerie, Verkaufsstände des Buchhandels und des Antiquariats sowie ein Briefmarkentausch rundeten das Angebot ab.

Bestandteil der zur Tradition gewordenen Markttage war ein abwechslungsreiches Kulturprogramm am „Bauernmarkt“ und „Künstlermarkt“. Auf dem Balkon des Alten Rathauses wurde vormittags Turmmusik gespielt. Am Nachmittag sorgten auf der Podiumsbühne am Markt zahlreiche Kulturschaffende, darunter das historische Bläserquartett der Stadtwache von 1880, der Leierkastenmann Ludwig, der ambulante Händler Hermann Connewitzer, die „Leipziger Moritaten und Balladen“ sowie die „Klein-Pariser Marktmusikanten“, für Unterhaltung und eine lockere Atmosphäre. Mit einem Umsatz von insgesamt rund 4,4 Millionen Mark, dem Verkauf von 4.300 Büchern, 3.200 Schallplatten, 2.500 Paar Schuhen, 17.500 Mutzbraten, 20.600 Griebenfettstullen, 127.000 Portionen Kräppelchen, 300.000 Eilenburger Pumpernickel, 60.000 Rostbratwürsten und 84.000 Stück Kuchen war die Erstauflage der Leipziger Markttage 1976 ein voller Erfolg.

Markttage heute: Zwischen ausgelassener Stimmung auf der Marktbühne und mittelalterlichem Flair auf dem historischen Handwerkermarkt


Neben dem Handels- und Marktgeschehen gibt es ein vielfältiges gastronomisches und kulturelles Angebot. Die umfangreichen Flaniermeilen bieten Platz für rund 80 Stände. Auf dem Markt als Zentrum der Leipziger Markttage wird täglich auf der Marktbühne ein abwechslungsreiches Programm mit Live-Musik von einheimischen und auswärtigen Künstlern unterschiedlicher Genres geboten. Auch die angrenzenden Bereiche sind mit verschiedenen gewerblichen Angeboten in das Marktgeschehen eingebunden. Angelehnt an die Ursprünge der Leipziger Markttage findet im Salzgässchen der historische Handwerkermarkt mit Handwerks- und Schankhütten bei mittelalterlicher Musik statt. Auf dem Nikolaikirchhof wird traditionell am Eröffnungswochenende der Leipziger Markttage der Brunnen als Erntedankbrunnen mit Erntedankkrone gestaltet sowie mit Erntegaben, darunter Getreide, Blumen, Gemüse und Obst, festlich dekoriert. Am darauffolgenden Sonntag findet traditionell in der
Nikolaikirche der Erntedankgottesdienst statt, der allen Besuchern offensteht.

Stand: 27.09.2023

Bildergalerie - Leipziger Markttage

Historisches Bildmaterial - Leipziger Markttage

Leipziger Baumwollspinnerei

Spinnereistraße 7 | Ortsteil: Lindenau

Auf den Bergbau im Erzgebirge und die Textilindustrie in den Städten stützte sich das deutsche industrielle Kernland Sachsen anfangs vor allem. Die aufblühende Industriestadt Leipzig folgte diesem Muster und verdankte ein Gutteil ihrer Geltung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts der florierenden Textilindustrie und ihren Vorstufen. Ein Branchenprimus genießt Weltgeltung bis heute – die Leipziger Baumwollspinnerei. Doch nicht mehr als Arbeitsstätte tausender Frauen, sondern in erster Linie als Zentrum von Künstlerateliers und Galerien. Hier steckt der industrielle Wandel förmlich in jeder Mauerritze.

Am Kanal wächst eine Fabrikstadt


Früher handelte es sich bei der Baumwollspinnerei um eine nahezu geschlossene Fabrikstadt, die sich über eine Gesamtfläche von zehn Hektar erstreckte. Den Kern bildeten die Fabrikationsstätten; am Rand der geschäftigen Stadt in der Stadt – zur Thüringer Straße hin – reihte sich für die dort Beschäftigten Wohnhaus an Wohnhaus. Die Baumwollspinnerei war ein schmuckes Kind des phänomenalen industriellen Aufschwungs der jungen Großstadt Leipzig nach 1871. Sie entstand ab 1884 auf freiem Gelände, aber in weiser Voraussicht einer kommenden, leistungsstarken infrastrukturellen Anbindung. Gegenüber vom damaligen
Bahnhof Plagwitz-Lindenau gelegen, war dem Industriebetrieb eine Anschlussbahn bis vor die Fabrikhallen ebenso sicher wie der Zugang zu den Brauchwasserressourcen des entstehenden Elster-Saale-Kanals, den heutzutage jedermann nur als Karl-Heine-Kanal kennt. 

Insgesamt vier Entwicklungsschübe ließen „die Spinne“ längs der Anschlussbahn wachsen, deren Gleise bis heute im Pflaster der innerbetrieblichen Werkstraße zu finden sind. Eigene Baumwollplantagen in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika sicherten der Baumwollspinnerei den Rohstoffbezug. Damit machte sich das Unternehmen unabhängig vom Baumwollimport aus England, der bis dahin dominiert hatte.

Primus im Kreis der europäischen Spinnereien


Im Gründungsjahr 1884 drehten sich in
Lindenau, das zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht nach Leipzig eingemeindet war, 30.000 Spindeln. 1909 – am Höhepunkt der Unternehmensentwicklung – waren es 240.000. Damit stieg die Leipziger Baumwollspinnerei zur größten in Kontinentaleuropa auf. Eine klassische gemalte Fabrikansicht öffnet das Fabrikpanorama über den Kanal hinweg bis zur Spinnerei und zu weiteren Plagwitzer Unternehmen in der Ferne. Überall rauchende Schlote – so sah damals Fortschrittsgewissheit aus, und Leipzig verströmte mit seinen Großbetrieben eine Menge davon. 1928, am Vorabend der Weltwirtschaftskrise, fand sich die Baumwollspinnerei nach ihrem Aktienkapital auf Rang 21 der größten Leipziger Unternehmen. Doch mit ihren 2.290 Beschäftigten war sie die Nummer 2 der Großindustrie in der Messestadt.

1946 ging die Baumwollspinnerei in Volkseigentum über. Ihr wirtschaftlicher Rang als Exportbetrieb blieb bestehen. Allerdings ließ sich die Wettbewerbsposition im Laufe der Zeit nur unter Mühen aufrecht erhalten. Spinnereien in den Anbauländern der Baumwolle ließen sich viel kostengünstiger betreiben. Die deutsch-deutsche Währungsunion ab dem 1. Juli 1990 schuf Tatsachen: In D-Mark zu zahlende Löhne für die in Leipzig versponnene, importierte Baumwolle trieben den Betrieb in der Weltmarktkonkurrenz vollkommen ins Abseits. 1993 kam das Aus für die Garnproduktion in dem Traditionsunternehmen. Als letzter aktiver Betriebsteil bestand die Reifencordherstellung an der Alten Salzstraße bis in die frühen 1990er Jahre. Dann schwiegen auch dort die grenzwertig beanspruchten Maschinen, und ein Großbetrieb mit einst tausenden Beschäftigten verschwand aus dem Handelsregister.

From Cotton to Culture – was für ein Wandel


Ein Investor aus Köln erkannte zum Glück das in den massiven Fabrikgebäuden schlummernde Potential. Als Produktionsstätte von Wolle waren sie aus dem Marktgeschehen ausgeschieden. Als neues Domizil für Kreative eigneten sie sich dagegen vorzüglich. Der Slogan „From Cotton to Culture“ für das Spinnereigelände verdichtet den Anspruch zur Gewissheit. 24 markante Gebäude und Gebäudeteile finden sich auf dem optischen Wegweiser am Eingang zur Fabrik. Manche erwecken den Eindruck, dass hier erst vor Kurzem der letzte Zug mit Baumwollballen oder Kohle angekommen ist, andere stellen den Wandel hinter den historischen Fassaden demonstrativ heraus. Seit 2001 ist der gelernte Architekt
Bertram Schultze Geschäftsführer der Betreibergesellschaft der Spinnerei. Er ist davon überzeugt, dass niedrige Mieten die Basis für Künstler und Kreative sind, dass sie Räume anmieten und ohne Druck arbeiten können. 

Zwölf Galerien haben sich hier angesiedelt, darunter Eigen+Art von Gerd Harry „Judy“ Lybke. In mehreren Ateliers arbeiten bekannte Maler der Leipziger Schule. Es kann durchaus passieren, dass einem zwischen den Fabrikgebäuden Neo Rauch auf seinem Fahrrad entgegenkommt. Spezialgeschäfte für Künstlerbedarf stellen die materielle Basis für die neuen Werke sicher. Das SpinLab in Regie der Handelshochschule nutzt die knisternde Atmosphäre des Areals, um versponnenen Produktideen junger Innovatoren den Weg zum Pionierunternehmen zu bahnen. Und ein Ingenieurbüro, das auf vielfältige Weise den industriellen Wandel in Leipzig und drumherum begleitet, ist ebenfalls Mieter auf dem Spinnereigelände. Lofft – das Theater für Tanz, Theater und Performances bildet in der Halle 7 die jüngste Ansiedlung in der zu Kreativität einladenden Umgebung. Grelle Leuchtbuchstaben im Werbestil der 1960er Jahre weisen den Weg.

Favorit der Umgestaltung


Bundes- und Landesprominenz ist gern und häufig zu Gast in der Baumwollspinnerei. Wo sonst lässt sich so eindringlich der Wandel von einem epocheprägenden Industrieareal zu einer Heimstatt für Kreative zahlreicher Richtungen und Inspirationen ablesen?! Deshalb fiel die Wahl zur anschaulichen Präsentation einer gelungenen Transformation schon mehrfach auf die Baumwollspinnerei. Tage des Stadtumbaus sind ebenso wie der
Tag des offenen Denkmals oder der Tag der Industriekultur wie geschaffen für einen Besuch des weitläufigen Areals. Vom jährlich dreimal durchgeführten Rundgang – SpinnereiGalerien als Großereignis für Kunstinteressierte ganz zu schweigen. 

Es ist die Stärke dieses versunkenen Fabrikgeländes, dass es industriekulturell Interessierte mit authentischen Sachzeugen anzieht, während Freunde der Kunst ihren passenden Zugang zur stillen Welt der Ateliers oder zu heißen Debatten in dem dafür eingerichteten Kunstzentrum in der Halle 14 finden.

Stand: 25.12.2021

Bildergalerie - Leipziger Baumwollspinnerei

Historisches Bildmaterial - Leipziger Baumwollspinnerei

Leibniz-Denkmal

Augustusplatz 10 / Leibnizforum der Universität Leipzig | Ortsteil: Zentrum

Das am 25. Oktober 1883 eingeweihte Leibniz-Denkmal des Dresdner Bildhauers Ernst Hähnel befindet sich im Innenhof des Campus der Universität Leipzig. Es wurde zu Ehren des gebürtigen Leipzigers und Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz geschaffen. Die 3,60 Meter hohe Bronzestatue auf einem Sockel zeigt Leibniz im zeitgenössischen Kostüm.

Die verwehrte Promotion von Leipzigs berühmten Sohn


Der 1646 in Leipzig geborene Gottfried Wilhelm Leibniz gilt als einer der bedeutendsten Philosophen des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts sowie als letzter Universalgelehrter. Im Alter von acht Jahren lernte er ohne einen Lehrer die lateinische und wenig später die griechische Sprache. Seinen Altersgenossen war er intellektuell deutlich überlegen, besuchte die
Alte Nikolaischule und immatrikulierte im Alter von nur 14 Jahren an der Universität Leipzig, wo er Philosophie und Rechtswissenschaften studierte. Da ihm aufgrund seines jungen Alters von 20 Jahren die Promotion in den Rechtswissenschaften an der Universität Leipzig verwehrt wurde, kehrte er der Stadt den Rücken und ging an die Universität Altdorf bei Nürnberg, wo er 1667 mit exzellenten Resultaten promovierte. Der berühmte Leipziger begründete u.a. die Infinitesimalrechnung, entwickelte eine Rechenmaschine, erfand das Binärprinzip als heutige Basis der modernen Computertechnik, gründete eine Akademie, war Historiker, Diplomat und Bergbauingenieur. Leibniz übte einen starken Einfluss auf die einsetzende Aufklärung, den deutschen Idealismus und die klassische Philosophie aus und formulierte die Maxime der Verstandesmäßigkeit: „Jeder Mensch besitzt die Fähigkeiten zur vernünftigen Lebensführung.“

Von Standortdebatten und verschmähten Bildhauern


Um dem berühmten Sohn ein würdiges Denkmal zu setzen, erließen die Ratsherren Leipzigs und der Akademische Rat der Universität am 11. Juni 1846 einen „Aufruf zu freiwilligen Beiträgen zur Errichtung eines Denkmals für Leibniz in Leipzig“ an die Bürger der Stadt. Die Stadt und die Universität stellten bereits einen Grundstock von je 1.000 Talern zur Verfügung. Nur wenige Tage zuvor hatten das Leipziger Tagesblatt und der Anzeiger in mehrseitigen Beilagen das Leben und Wirken des in Leipzig geborenen Leibniz aufgezeigt und für die Errichtung eines Kulturdenkmals zu Ehren des Frühaufklärers als „moralische Verpflichtung“ plädiert. In dem Aufruf an die Bürger hieß es weiterhin, ein Denkmal würde „die gerechte Würdigung vergangener Größen aussprechen, das lebende Geschlecht geistig erhellen, den kommenden Zeiten die ihnen überlieferte Errungenschaft verkündigen“ und „für eine Volksbildung wirken“. Die Denkmalsinitiative entstand aus Universitätskreisen und ist insbesondere dem Engagement des Mathematikers und Philosophen
Moritz Wilhelm Drobisch zu verdanken. Bereits seit 1845 hatte sich der Gelehrte bei der Stadt für ein Denkmal eingesetzt und sich im Vorfeld von Leibniz‘ 200. Geburtstag mit dem Akademischen Senat verbündet, dem er selbst angehörte. Auf seine Initiative hin wurde anlässlich der akademischen Leibnizfeier in der Aula des Augusteums beim Leipziger Bildhauer Hermann Knaur eine monumentale Leibniz-Büste in Auftrag gegeben. Die letztliche Umsetzung des aus den langsam wachsenden Geldern der Bürgerstiftung finanzierten Denkmals fand allerdings erst 37 Jahre später im Herbst 1869 statt, als dem Rat der Stadt der Stiftungsfond als ausreichend erschien.

Der hochangesehene Dresdner Bildhauer Ernst Hähnel wurde in der Frage zu Rate gezogen, ob die zusammengetragenen Mittel für zwei große Bronzestatuen ausreichen würden. Obwohl dies der Fall war, zogen sich die Debatten um den Standort, die Konzeption und die Wahl des Bildhauers noch jahrelang hin. Während der 1870er Jahre plante man die Aufstellung der beiden Denkmäler für Leibniz und Martin Luther als Pendants zu beiden Seiten des Hauptportals des Augusteums. Da Hähnel bereits von Beginn an für deren Umsetzung bevorzugt wurde, verzichtete man zunächst auf den von ihm empfohlenen Schüler und Vertrauten Johannes Schilling. Letzterer wurde zwar für das Reformationsdenkmal reklamiert, erhielt jedoch erst nach zwischenzeitlicher Absage Hähnels auch den Auftrag für das Leibniz-Denkmal. Die Angebote anderer Bildhauer, darunter Hermann Knaur oder der Berliner Rudolf Siemering, blieben unbeachtet und die Denkmalsausführung wurde letztlich um mehrere Jahre verschoben, um schließlich doch Hähnel für den Auftrag gewinnen zu können. Das Monument wurde von der Kunstgießerei Lenz in Nürnberg gegossen.

Der „weltletzte Universalgelehrte“ zwischen den vier weiblichen Wissenschaften


Gegenstand des Denkmals war nicht der junge Leibniz, der Leipzig mit 20 Jahren verließ, sondern der ältere, um die Vereinigung von Theorie und Praxis in allen Wissenschaftsbereichen bemühte „Fürst der Wissenschaft“ und Initiator mehrerer Akademiegründungen. Der deutsche Philosoph
Max Heinze hielt in der Aula der Universität die Rede zur Denkmalweihe am 25. Oktober 1883, aufgestellt wurde das Denkmal jedoch nicht wie ursprünglich geplant am Augusteum auf dem Augustusplatz, sondern auf dem Thomaskirchhof. Dort musste es 1906 dem von Carl Seffner geschaffenen Bach-Denkmal weichen und wurde zwischenzeitlich an der weniger repräsentativen Stelle im Paulinerhof aufgestellt. Aufgrund der Sprengung der Universitätskirche St. Pauli und dem Augusteum wurde das Denkmal am 30. Mai 1968 abgebrochen und eingelagert. Im Jahr 1977 erhielt es seinen neuen Platz an der Universität zwischen Hörsaalgebäude und Moritzbastei. Im Zuge der Neugestaltung des Universitätscampus wurde das Denkmal im August 2008 an seinen heutigen Standort im Innenhof des Campus der Universität Leipzig, dem sogenannten Leibnizforum, verlegt.

Die 3,60 Meter große Bronzestatue zeigt Gottfried Wilhelm Leibniz, der sich im zeitgenössischen Kostüm mit Perücke auf einen fast verdeckten Globus als Symbol politischer Macht stützt. In den Händen hält er ein Buch als traditionelles Attribut des Gelehrten. Dabei soll es sich laut historischer Überlieferung um das Manuskript des berühmten „ägyptischen Plans“ handeln, jene 1672 in Paris von ihm persönlich an Ludwig XVI. überreichte Denkschrift, bei der es sich um einen detaillierten Plan zur Eroberung Ägyptens handelte. Damit wollte Leibniz wohl vergeblich Frankreichs Expansionsdrang nach Deutschland in eine andere Richtung dirigieren. Sowohl der Globus als auch das Buch charakterisieren seinen historischen Handlungsspielraum. Um das Ausmaß seiner Bedeutung für die Wissenschaft zu veranschaulichen, stellte der Künstler Leibniz auf einen bronzenen Sockel, auf dessen Seiten die allegorischen Darstellungen der vier Fakultäten Philosophie, Theologie, Jurisprudenz und Medizin abgebildet sind und die Gesamtheit der Wissenschaft verkörpern: An der Vorderseite befindet sich das Sinnbild der Philosophie in Frauengestalt mit einem Spiegel in der erhobenen Rechten, in der Linken eine Rolle umfassend. Links davon befindet sich die Jurisprudenz, ebenfalls in Frauengestalt, die in der Linken ein Buch hält, dessen Deckel eine Waage ziert und mit dem Zeigefinger der Rechten in ein auf den Knien aufgeschlagenes Buch weist. Die Rückseite des Sockels trägt die Inschrift „Errichtet im Jahre 1883“ und bildet das Relief der Theologie in Frauengestalt ab, die in der Rechten ein Kreuz emporhält, während die Linke auf der aufgeschlagenen Bibel liegt. An der rechten Sockelseite befindet sich die Frauengestalt der Medizin mit einer Schale in der Rechten, aus der eine Schlange trinkt, in der Linken trägt sie eine Rolle. 

Täglich strömen tausende Studenten auf dem Weg in die Hörsäle oder in die Mensa an dem Denkmal in exponierter Lage vorbei oder verweilen dort in den Pausen. Einen besseren Standort für den Universalgelehrten gibt es in Leipzig nicht.

Stand 27.09.2023

Bildergalerie - Leibniz-Denkmal

Historisches Bildmaterial - Leibniz-Denkmal

Kriegerdenkmal 1914-1918 – Friedhof Thekla

Tauchaer Straße 134 | Ortsteil: Thekla

In idyllischer Lage auf dem Friedhof Thekla und unweit der Kirche Hohen Thekla gelegen, befindet sich das kunstvoll gestaltete Kriegerdenkmal 1914-1918, das um 1920 im Stil des Art-déco errichtet wurde. Der Name des Künstlers ist unbekannt. Er gestaltete das Kriegerdenkmal mit einem Obelisken, der jedoch seitenverkehrt dargestellt wurde. Den Abschluss des Obelisken bildet eine Kanonenkugel mit einem Kreuz darauf, die symbolhaft den Bezug zum Ersten Weltkrieg herstellt. An den Seiten des Obelisken werden die Namen von den 54 Bürgern Theklas aufgeführt, die im Ersten Weltkrieg starben. 

An der Vorderseite steht über einem Eisernen Kreuz in hervorgehobener Inschrift: 

„Den Toten / zum /Gedächtnis / den / Lebenden zur / Mahnung / 1914- / 18“

Das auf einer Anhöhe gelegene Kriegerdenkmal ist von Bäumen umgeben und steht in der Mitte eines verwitterten Rondells, zu dem zwei Stufen führen. 

Stand: 27.09.2023

Bildergalerie - Kriegerdenkmal 1914-1918 – Friedhof Thekla

Kirche Hohen Thekla

Neutzscher Straße | Ortsteil: Thekla

Die Kirche Hohen Thekla befindet sich auf einer Erhebung oberhalb der Parthe im Leipziger Stadtteil Thekla. Im 12. Jahrhundert ursprünglich als romanische Wehrkirche errichtet überstand sie alle Kriege unbeschadet. Sie ist wahrscheinlich das älteste Gebäude auf dem heutigen Leipziger Stadtgebiet. Nach einem verheerenden Brand im Jahr 1959 wurde die gesamte Inneneinrichtung zerstört, lediglich die Umfassungsmauern der Kirche und ihre mittelalterliche Konstruktion blieben erhalten. Nach dem Wiederaufbau des Kulturdenkmals unter der Leitung von Fritz Ziel schuf der Dresdner Künstler Werner Hempel den Taufstein, das Lesepult und die Kanzel. Heute präsentiert sich die Kirche mit einer postmodernen Inneneinrichtung und einem romanischen äußeren Erscheinungsbild. Sie bietet rund 100 Sitzplätze und ist ganzjährig zu Gottesdiensten geöffnet. 

Mittelalterliche Baukunst am Fuße der Parthe


Aufgrund ihres urwüchsigen Erscheinungsbildes und ihren wuchtigen Mauern ragt die Kirche als eines der markantesten Bauwerke unter nur noch wenigen erhaltenen mittelalterlichen Bauten in und um Leipzig heraus. Der Kirchberg hebt sich mit seinen 129 Metern Höhe deutlich vom Niveau der Parthe auf 112 Metern ab, während sich um die Kirche vom Friedhof her zahlreiche interessante klassizistische und barocke Grabsteine gruppieren. Gemeinsam mit den Kirchen Panitzsch und Beucha erhielt die Kirche Hohen Thekla aufgrund dessen den Beinamen „Hohe Priester“. Der Name der vermutlich dem Heiligen Nikolaus geweihten Kirche stammt vom Kirchberg, welcher früher Hohentiegel, Hohentichel oder auch Hohentechla genannt wurde, wobei der Namen „Thekla“ vermutlich aus dem Slawischen entspringt.

Wuchtiges Bauwerk trotzte den Kriegen


Der Ursprung der Kirche Hohen Thekla reicht bis ins 10. Jahrhundert zurück, als auf dem Kirchberg bereits ein Sakralbau nachweisbar war. Sie wurde vermutlich im 12. Jahrhundert als Wehrkirche errichtet. Die im Turmbereich bis zu zwei Meter dicken Außenmauern wurden aus unterschiedlich großen Granitfindlingen errichtet und in der Fassade zunächst unverputzt belassen. Diese Bauweise verleiht der Kirche bis heute ein archaisches Aussehen. Erhalten sind der wuchtige Westturm, das niedrige Schiff und der rechteckige Chorraum in deutlich erkennbarer Dreigliederung. Das in gleicher Breite an den Turm anschließende Kirchenschiff besitzt einen elf Meter langen und acht Meter breiten Innenraum. Wie bei romanischen Kirchen typisch waren die Fenster des Kirchenschiffes sehr klein. Das wuchtige Bauwerk überstand ein Feuer während des Dreißigjährigen Krieges und konnte – wie aus einer entsprechenden Jahreszahl an der schmiedeeisernen Tür am Südeingang hervorgeht – bis 1660 wieder erneuert werden. Bei dieser Tür mit ihren Beschlägen und im oberen Teil sich zwei einander zugewandten Vögeln handelt es sich um eine Rarität. Sie gehörte einst zum Haupteingang der Kirche, bevor dieser an die Westseite des Turms verlegt wurde. Wenig später entstanden im Innern der Kirche Emporen mit bemalter Brüstung sowie eine bemalte Bretterdecke. Während der
Völkerschlacht bei Leipzig 1813 wurde der Kirchberg vom Befehlshaber der alliierten Nordarmee, dem schwedischen Kronprinz Jean Baptiste Bernadotte, als Beobachtungsstandort genutzt. Daran erinnern bis heute drei in den Kirchturmputz eingemauerte Kanonenkugeln. Am 29. April 1840 fand mit der Trauung des Politikers und späteren Volkstribun der 1948er Revolution Robert Blum und Eugenie Günther die wohl prominenteste Hochzeit der Kirche Hohen Thekla statt. Nur wenige Monate später gaben sich Robert Schumann und Clara Wieck in der benachbarten Gedächtniskirche Schönefeld ebenfalls das Ja-Wort.

Kontrastreich von Innen und Außen: Postmoderne trifft auf Romanik


Nach einem Entwurf des Leipziger Architekten
Julius Zeißig wurde 1889 an der Westseite des Kirchturms ein Rundbogenportal ergänzt, welches sich in gleicher Form noch heute präsentiert. Im Zuge der Vergrößerung der drei Fenster bis fast zum Erdboden gestaltete man auch die Südseite des Schiffes um. Weiterhin wurde an der Südseite des Chores eine Sakristei ergänzt, der westliche Teil des Chores untermauert und die Kirche von außen verputzt. Die Kirche Hohen Thekla war im Besitz der vermutlich ältesten Kirchenglocke im Leipziger Raum aus dem 13. Jahrhundert, welche bereits 1908 in den Besitz des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig im Alten Rathaus überging. Die Inneneinrichtung bestand aus einem Flügelaltar mit Mariendarstellung aus dem Jahr 1510, einem Taufstein aus romanischer Zeit, einer Kanzel von 1680 sowie einer Orgel. Nachdem die Kirche alle Kriege und Bombenangriffe im Leipziger Norden überstanden hatte, fiel deren wertvolles Inventar einem schweren Brand in der Nacht vom 29. auf den 30. Januar 1959 zum Opfer. Dabei handelte es sich um Brandstiftung von zwei betrunkenen Jugendlichen, die aus der Gemeinde stammten und ihren Einbruch in die Kirche vertuschen wollten. Während die Inneneinrichtung mitsamt Taufstein, Flügelaltar, Emporen, Bildern, Orgel und Deckenmalereien gänzlich zerstört wurde, blieben lediglich die Umfassungsmauern der Kirche und ihre mittelalterliche Konstruktion erhalten. Dank einer speziellen Kollekte der Sächsischen Landeskirche in Höhe von 190.000 D-Mark im Februar 1959 konnte bereits unmittelbar mit dem Wiederaufbau des bedeutenden Kulturdenkmals unter der Leitung des Architekten Fritz Ziel begonnen werden. Der Künstler Werner Hempel schuf den Taufstein, das Lesepult und die Kanzel. Chor, Kirchensaal und Turm erhielten neue Dachstühle, während das Südportal wieder geöffnet und die Turmöffnung im Westen geschlossen wurde. Die mit Eisenbeschlägen bestückte Tür von 1660 konnte an ihrem ursprünglichen Ort platziert und die rekonstruierte Kirche schließlich am 7. Oktober 1962 wiedereröffnet werden. Seitdem ist der Innenraum der Kirche von weiß verputzten Wänden und Brauntönen von der Holzbalkendecke und der Empore sowie von Steinmetzkunst aus den 1960er Jahren geprägt. Diese Gestaltung sorgt für einen besonderen Kontrast zwischen postmodernem Innern und romanischem Äußeren der Kirche. Im Jahr 1966 schuf die Bautzner Firma Eule eine neue Orgel. Hinter dem Altar befinden sich drei nebeneinander angeordnete, expressionistische Gemälde, die vom Leipziger Künstler Matthias Klemm geschaffen wurden. Das Triptychon stellt auf abstrakte Art und Weise in Rot-, Schwarz- und Holztönen Jesus‘ Kreuzigung bis zur Auferstehung dar. 

Seit Januar 2009 gehört die Gemeinde Hohen Thekla zur Evangelisch-Lutherischen Matthäuskirchgemeinde Leipzig Nordost, welcher noch die Gedächtniskirche Schönefeld sowie die Stephanuskirche Mockau angehören. 

Stand: 27.09.2023

Bildergalerie - Kirche Hohen Thekla

Historisches Bildmaterial - Kirche Hohen Thekla

Kindermuseum Leipzig

Böttchergässchen 3 | Ortsteil: Zentrum

Das Kindermuseum wurde als Teil des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig am 28. Juli 2015 im Böttchergässchen neu eröffnet. Es bietet neben dem 2010 in Plagwitz gegründeten UNIKATUM Kindermuseum Leipzig Museumserlebnisse zum Anfassen für die ganze Familie. In Kooperation mit der Leipziger Messe werden in der Dauer- und Mitmach-Ausstellung „Kinder machen Messe“ die eng mit Leipzig verbundenen Themen Handel und Messe für Kinder ab sechs Jahren erlebbar gemacht. In sechs Themenbereichen können die Gäste spielerisch anhand von interaktiven Stationen die Ausstellung mit allen Sinnen entdecken. Bei der Ausstellung handelt es sich um ein deutschlandweit einzigartiges Museumsprojekt, welches erstmals die Messe in den Fokus einer Kinderausstellung rückt. 

Von der Waren- zur Mustermesse: Leipzigs Historie spielerisch entdecken


Wie bringt man Kindern Geschichte nahe? Am einfachsten, indem sie mitmachen, anfassen und ausprobieren dürfen. Besucher zwischen sechs und zehn Jahren können im ersten Obergeschoss des Stadtgeschichtlichen Museums die Geschichte und Bedeutung des Messegeschehens und des Handels in Leipzig vor 200 Jahren anhand von zahlreichen interaktiven Ausstellungselementen erkunden. Ziel des Ausstellungsprojektes war es, die Vielfalt der heutigen Besuchermessen auf kind- und zeitgemäße Weise darzustellen, Neugier zu wecken und die Entwicklung von der Waren- zur Mustermesse spielerisch verständlich zu gestalten. Seit der Eröffnung haben bereits zehntausende Gäste die Ausstellung im Zuge des Vorschul- und Schulunterrichts oder in ihrer Freizeit besucht.

Ein Messplatz für Kinder


Bei der Ausstellungseröffnung handelte es sich zugleich auch um die Neueröffnung des Kindermuseums, dessen Vorgänger – das Kindermuseum LIPSIKUS – 2012 für eine thematische Neuausrichtung geschlossen wurde. Für die Neukonzeption war insbesondere die unmittelbare Verbindung zur Stadtgeschichte von besonderer Bedeutung. Die kleinen Gäste können entdecken, was eine Messe ist, welche Ideen von dieser ausgehen und wie sich die Händler und Messebesucher selbst fühlten. Unter dieser Prämisse wurde das Kindermuseum in eine Mitmach- und Spielewelt verwandelt. Die entstandene Ausstellung „Kinder machen Messe“ steht ganz in der Tradition der Messestadt Leipzig. An zahlreichen interaktiven Stationen in insgesamt sechs Themenbereichen kann die Ausstellung mit allen Sinnen entdeckt werden: Waren aus fernen Ländern, darunter der Kakao, können ertastet, gewogen oder per Hörmemory erraten werden. Ausgestattet mit nach historischem Vorbild geschneiderten Kostümen können die Kinder außerdem in die Rollen der Marktfrauen, Marktschreier und Kaufleute der Leipziger Messewelt des 19. Jahrhunderts schlüpfen. Beim Messen und Wiegen der Waren werden alte Währungen, Gewichts- und Längenmaße veranschaulicht und in der Münzwerkstatt Geld selbst gestanzt. Über Spiele und an Medienstationen erfahren die Besucher mehr über den Weg der Waren auf den wichtigen Handelswegen Via Regia und Via Imperii. An diese erinnert seit 2017 auf dem Markt die Bodentafel
Leipzig im Schnittpunkt alter Handelsstraßen

Zwei eigene Bereiche sind dem für Leipzig bedeutsamen Buch- und Tuchhandel gewidmet. In einem weiteren Themenbereich wird anhand von Spielen wie Galgenkegeln und der Wundertrommel veranschaulicht, wie wichtig Vergnügen und Spaß bereits während den Besuchen auf der Leipziger Messe vor 300 Jahren waren.

Am Ende des Rundgangs tauchen die Gäste aus der vergangenen Messewelt in die gegenwärtige ein: Im Jahr 2021 entstand, ebenfalls in Kooperation mit der Leipziger Messe, der Ausstellungsbereich „Messe der Gegenwart“ in Form einer großen Wandfläche mit einer Vielzahl an neuen analogen und digitalen Ausstellungselementen. Im Design und den Spielen des Bereichs finden sich neue technische Entwicklungen ebenso wie die Zukunftsorientiertheit des heutigen Leipziger Messebetriebs wieder. Inhaltlich und visuell wird dadurch ein Bezug zum bereits bestehenden Ausstellungsbereich hergestellt. Zu den interaktiven Elementen zählen das Messe-Memory sowie ein Hologramm.

Wenn in der kurzweiligen Erlebnisausstellung lauthals fröhliche Kinderstimmen ertönen, dann geht das Motto der Ausstellungsmacher auf: Museum macht Spaß!

Stand: 26.09.2023

Bildergalerie - Kindermuseum Leipzig

Kaufmann, Küf

Regisseur, Kabarettist, Schriftsteller | geb. am 6. Mai 1947 in Marx (Russische Föderation)

Küf Kaufmann ist ein Multitalent. Leitmotiv seines Wirkens ist die starke kulturelle Neigung. Richtschnur seines Handelns ist die Verankerung des jüdischen Lebens in der deutschen Gesellschaft. Ausrufezeichen seiner öffentlichen Äußerungen sind die Positionen in verschiedenen jüdischen Organisationen. Wenn es darauf ankam, hat er sich notgedrungen auch mit profanen Geschäften durchgeschlagen und seinen Lebensunterhalt verdient, um anschließend mit frischer Kraft durchzustarten und seinen wahren Ambitionen nachzugehen. Als Jude aus dem untergegangenen deutschen Siedlungsgebiet an der Wolga, der seit 1990 in der vereinigten Bundesrepublik lebt und wirkt, vereint Küf Kaufmann in seiner Persönlichkeit verschiedene jüdisch-russisch-deutsch-europäische Züge. Sie wirken integrierend, nie verwirrend.

Unterhaltsamer Realsozialismus


Als jungen Mann zog es Küf Kaufmann 1966 aus dem südukrainischen Melitopol, wo seine Familie inzwischen lebte, zum Regiestudium nach Leningrad an eine Fachhochschule für Kultur. Nach dem erfolgreichen Abschluss hieß seine erste berufliche Station Petrosawodsk, eine der unzähligen, mittelgroßen russischen Industriestädte, die aus der Perspektive der Metropolen immer nur als „Provinz“ durchgehen.

Doch dann folgte die Einberufung zum Wehrdienst. Weil der nicht-militärische Auftritt durch die Truppe stets einen wichtigen Teil ihres beflissen gepflegten Wahrnehmungs-Spektrums nach außen bildete, gab und gibt es dort manche kulturelle Aktivitäten. Für den nicht besonders groß gewachsenen Küf eine willkommene Gelegenheit, seine Neigungen auch als Uniformträger zu pflegen. 1971 avancierte er dank seines beruflichen Hintergrunds zum Regisseur des Gesangs- und Tanzensembles der Sowjetarmee in Leningrad. Viele, die zum Wehrdienst verpflichtet waren, können gut nachvollziehen, welchen Vorzug es bedeutete, eine kleine interne Flucht anzutreten und dem Dienst mit der Knarre durch einen Dienst mit der Gitarre auszuweichen.

Nach seinem Wehrdienst blieb Küf Kaufmann in Leningrad, wo er seinen Lebensunterhalt als freiberuflicher Mitarbeiter verschiedener Medien im Bereich Kultur verdiente. 1980 stieg er zum Regisseur der Leningrad Music Hall auf, der er zehn Jahre lang treu blieb. Da fanden sich zwei, die gut zusammenpassten. Küf Kaufmann ist ein Unikum, die Leningrad Music Hall nicht minder. Das Revuetheater in der liberaler wirkenden, „eigentlichen“ russischen Hauptstadt bot ständig jene Portion lässiger Unterhaltung, die Moskau oft schmerzlich vermissen ließ. Kein Wunder, dass sich Talente davon angezogen fühlten. Doch in jenen Jahren begann die Sowjetunion zu beben. Nicht genug damit, dass „Piter“, wie seine Einwohner stets liebevoll schwärmten, beim Namen in die Rolle rückwärts zu St. Petersburg einschwang, brachten die unruhigen Zeiten neben zarten fortschrittlichen Pflänzchen auch allerlei Reaktionäres und Chauvinistisches hervor. Menschen wie Küf Kaufmann drohte Gefahr.

Ausweg und Hoffnungspfad Bundesrepublik


Der Antisemitismus erlebte in der russischen Geschichte mehrere Konjunkturen – wiederkehrende beschämende Aufschwünge ebenso wie einigermaßen beschwichtigende Abschwünge. Als sich die Situation in der chaotischen Niedergangsphase der Perestroika am Übergang zu den 1990er Jahren wieder einmal gefährlich zuspitzte, kam Küf Kaufmann eine Verpflichtung nach Berlin, wo im Friedrichstadtpalast einen gemeinsame Revue einstudiert werden sollte, gerade recht. Nur ging ausgerechnet in dieser Zeit auch die Berechenbarkeit mancher Entwicklung im umbrechenden deutschen und Berliner Ostteil verloren. Während sich also Küf Kaufmann gerade hoffnungsvoll auf dem Weg an seinen neuen Wirkungsort befand, wurde der Intendant des Friedrichstadtpalastes, der ihn engagiert hatte, entlassen. Damit war zugleich die Neu-Anstellung des Regisseurs, der soeben seine Leningrader Verankerung gekappt hatte, hinfällig. 

Es soll ein wohlgemeinter Ratschlag während eines Ost-Berliner Barbesuchs in gedrückter Stimmung gewesen sein, der Kaufmann einen Ausweg und ein leidliches Auskommen als Handelsvertreter wies: Der just im deutschen Einheitsjahr 1990 aus Russland Eingetroffene schickte sich an, bald darauf unspektakuläre Lebensmittel an die eigenen Landsleute zu verkaufen, die sich per Vertrag in der Gegenrichtung, also nach Hause, aufmachen mussten. Ohne Käse, Wurst und Bier lief auch bei den illusionslos heimkehrenden Kriegern nichts.

Im Jahr darauf zog Küf Kaufmann nach Leipzig. Er versuchte sein Glück in der Gastronomie, verlor aber nie die Kultur aus dem Blick. 1997 – da war Küf Kaufmann längst ein überzeugter Leipziger – kam die Zeit für neue Regieaktivitäten. Sie prägten seine Arbeit sechs Jahre lang und sorgten für reichlich Publizität. Die profunde Kenntnis kultureller Themen, das apart rollende „R“ in jedem mündlichen Vortrag und selbstironisch eingestreuter jüdischer Humor formten eine Marke und eine feste Größe im reichlich gefüllten Leipziger Kulturkalender. Zusammen mit Bernd-Lutz Lange spielte Küf Kaufmann ab dem Jahr 2000 Kabarett. Das Programm „Fröhlich und meschugge“ schlug einen unterhaltsamen deutsch-jüdischen Bogen, nahm Eigenheiten und Befindlichkeiten auf’s Korn und schaffte den Spagat, einem historisch schwierigen Thema den wohl dosierten Witz abzugewinnen, ohne den gebotenen Ernst einer belastenden Vergangenheit zu übertünchen.

Aktiv für die Präsenz des jüdischen Lebens


Bei all dem gezeigten Talent zum ausgewogenen öffentlichen Auftritt lag es nahe, Küf Kaufmann im Jahre 2005 den Vorsitz der
Israelitischen Religionsgemeinde zu übertragen. Immer öfter war er im Ariowitsch-Haus, dem Leipziger Zentrum der jüdischen Kultur, anzutreffen. Lesungen und Diskussionen galt es, zu einem wirkungsvollen Programm zusammenzufügen. Für unersetzliche, teils stimmungsvolle, teils bedrückende Archivbestände mussten Wege in eine gesicherte Zukunft gefunden werden. Küf Kaufmann, der Rastlose, brachte sich überall im Geiste bestandskräftiger Lösungen ein.

Damit strahlt er seit Langem weit über Leipzig hinaus aus. Die Wahl zum Mitglied des Präsidiums des Zentralrats der Juden in Deutschland im Jahr 2010 war folgerichtig. Und über Küf Kaufmann als 209. Mitglied konnte sich der Richard-Wagner-Verband Leipzig freuen. Mitglied in diesem Verband trotz Wagners Schmähschrift „Das Judentum in der Musik“? Kaufmann ist ganz Diplomat; das Elaborat nennt er „blöd“, aber Wagners Musik findet er klasse.

Jüdisches Leben ist für Küf Kaufmann kein Museum, sondern „ein lebendiger und wachsender Teil der Gesellschaft“. Hinein ins jüdische Leben und hinaus in die Gesellschaft beschreibt eine erfolgreiche Doppelstrategie.

Nicht ignorieren lässt sich das fortgeschrittene Lebensalter vieler Gemeindemitglieder. Für das Fundament einer guten Zukunft gewann deshalb der Umgang mit dem Archivbestand der Israelitischen Religionsgemeinde besondere Bedeutung. Um den Verbleib im Keller des Ariowitsch-Hauses wurde fünf Jahre lang leidenschaftlich gerungen. Anfang 2022 setzte sich Küf Kaufmann mit seiner Lösung durch: Die Akten, Urkunden, Fotos und Pläne gelangten als Depositum in das Stadtarchiv Leipzig. Die Israelitische Religionsgemeinde behält die Verfügung darüber. Worüber er sich nach der gelungenen Übergabe der kostbaren Unterlagen an das Leipziger Stadtarchiv am meisten freuen würde, beantwortet Küf Kaufmann auf seine unnachahmliche Weise: „Wenn es gelänge, endlich den Krieg ins Archiv zu verbannen“.

Stand: 10.03.2022

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Kaufhaus Ebert / Commerzbank

Thomaskirchhof 22 | Ortsteil: Zentrum

Ein Kaufhausbau im Leipziger Zentrum repräsentiert recht kompakt die steinerne Chronik des Einzelhandels der Innenstadt mit all seinen Steilkurven und Abschwüngen, den Umbauten und Funktionswechseln – und ist ein bedeutendes Beispiel des Jugendstils in Leipzig. Es geht um das Kaufhaus Ebert, das unter diesem Namen in keinem aktuellen Stadtplan mehr zu finden ist. Als Hauptfiliale der Commerzbank in Leipzig dagegen schon.

An der Spitze des sächsischen Textil-Einzelhandels


Franz Ebert
war ein talentierter Kaufmann. 1896 – mitten im dritten Wachstums-Jahrzehnt der jungen Großstadt Leipzig – eröffnete er ein Konfektionsgeschäft für Damen und Kinder in der Petersstraße 40. Die Geschäfte liefen prächtig, denn zu den Geschäftsräumen im Parterre des Hauses kamen schon zwei Jahre später die drei oberen Geschosse hinzu und kurze Zeit später zwei Etagen des Nachbarhauses Petersstraße 42. Zu diesem Zeitpunkt müssen die Pläne für ein eigenes Kaufhaus gereift sein, natürlich in der brodelnden Innenstadt. Just im Jahr 1900 wurde an der Ecke Thomaskirchhof/Klostergasse das betagte Amtshaus abgerissen. Dieses exponierte Grundstück sicherte sich Ebert. Der Entwurf für ein Kaufhaus, das dort entstehen sollte, stammte aus dem bekannten einheimischen Architektenbüro Schmidt und Johlige. Mit dem Felsenkeller, Zills Tunnel und Gewerbebauten in der Nonnenstraße hatten August Hermann Schmidt und Arthur Johlige bereits Zeichen gesetzt.

Dem Kaufhaus gaben die Baumeister eine charakteristische Form in Gestalt der abgeschnittenen Ecke, die den Verkaufstempel monumentaler und repräsentativer erscheinen lässt. Das gesamte fünfgeschossige Bauwerk, das 1904 bezogen wurde, spielt schwelgerisch mit den Elementen des Jugendstils und baute in seiner Entstehungszeit eher eine Brücke in das verflossene 19. Jahrhundert anstatt mit reduzierten, funktionaler daherkommenden baulichen Zutaten den Aufbruch in das viel nüchterner auftretende 20. Jahrhundert herauszukehren. Stattdessen eben dominierten elegant schwingende Holztüren unten sowie zierliche Türmchen und eine Krone oben. Vom großzügigen Entree wandten sich die Treppen zu beiden Seiten majestätisch nach oben, und die hohen Fensterflächen auf jeder Verkaufsetage ließen philosophische Schlüsse zu, ob die Käufer ausdrücklich gesehen werden sollten oder ob ihnen bewusst ein unverstellter Blick auf die umgebenden Bauten geboten wurde. Ein großstädtischer Kaufhausbau, der gut zu Leipzig passte, war auf jeden Fall gelungen. Die große Anzahl vergoldeter Fassadenelemente erweckte Aufmerksamkeit und ist für ein Geschäftshaus in Mitteldeutschland einmalig. Den Eingang zum Gebäude zieren zwei imposante Allegorien, welche die weiblichen „Sünden“ Eitelkeit (Superbia) und Genussucht (Luxuria) darstellen. 

Das Haus sei „mit allen technischen Neuerungen eingerichtet“ und biete „dem kaufenden Publikum die größten Bequemlichkeiten“, versprach die Werbung. In der sachlichen Diktion der Einzelhandelsökonomie bot der Konsumtempel etwa 5.000 Quadratmeter Nutzfläche, was rund einem Sechstel des späteren, nicht weit entfernten Primus unter der wechselnden Flagge vom Kaufhaus Althoff / Centrum / Karstadt entsprach. Mit seinem Neubau schwang sich Franz Ebert erst recht in die Spitzengruppe des Leipziger Einzelhandels auf. Anzeigen lockten die Kunden in das „größte Spezialhaus für Damen- und Kinder-Kleidung in Sachsen.“ Dass mitten in Leipzig sortimentstypisch auch Pelze offeriert wurden, versteht sich. Dem bürgerlichen Leipzig öffnete sich eine angemessene Angebotswelt.

Langer Weg vom Kaufhaus zum Bankhaus


Kaufhausgründer Franz Ebert starb im Jahr 1922. Die unruhige, kritische Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war sicher keine Erfolgsphase für den Einzelhandel. Mit der Hyperinflation im Spätherbst des darauffolgenden Jahres war der Tiefpunkt erreicht. Es folgte eine zaghafte Stabilisierung. Der Bezug auf Franz Ebert in einer Publikation der Leipziger Handelskammer im Jahr 1925 mit dem Versprechen „sein Werk aber besteht weiter und wird von seinen Erben in seinem Geiste nach altbewährten Grundsätzen fortgeführt“ wirkt wie die trotzige Botschaft, aus einer schwierigen Lage das Beste zu machen. Bald mussten kapitalkräftige Anteilseigner in das Privatunternehmen geholt werden, um die Marktposition zu verteidigen. Aus dieser Zeit stammt die Bezeichnung „Indanthren-Haus“, das eine neue Marke setzte und älteren Leipzigern noch Jahrzehnte später geläufig war. Hinter dem Kunstwort Indanthren verbirgt sich eine Produktbezeichnung für licht- und farbecht gefärbte Textilien unter Nutzung entsprechender Stoffe aus dem Chemiekonzern IG Farben. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das von Franz Ebert gegründete Kaufhaus der Konsumgenossenschaft übertragen, die ganz im Sinne der versprochenen Wandels zum Besseren daraus das „Kaufhaus Fortschritt“ machte. Am dominanten Textilsortiment gab es keine Änderung. Derweil kam das einst stolz auftrumpfende Gebäude immer mehr in die Jahre. Das Gold der Figuren auf den Schildern am Eingang war längst stumpf geworden und mit einer Staubschicht bedeckt. Der Charme des Treppenhauses schwand, und die hölzernen Fußbodendielen auf den Verkaufsetagen knarrten und ächzten verdächtig. Unverhofft trug sich noch ein deutliches Aufbäumen zu: Als es in der bleiern lastenden Atmosphäre der 1980er Jahre darauf ankam, wenigstens ein bisschen Erlebniskauf vorzuspielen – ein Gefühl, das reiselustige DDR-Bürger inzwischen bereits in Ungarn und in historischen Einzelhandelsgeschäften in der Tschechoslowakei kennen und schätzen gelernt hatten – wurde das Gehäuse des traditionsreichen Kaufhauses Ebert aufwendig saniert und als Kaufhaus Topas weiter genutzt. In Sachen Textil für eine breite Käuferschicht blieb das Topas ein kleiner Edelstein, gemessen an damaligen Ansprüchen.

Die Privatisierung des früheren DDR-Einzelhandels in der Treuhand-Phase ab 1990 stellte dagegen alles auf den Kopf. Viel zu verspielt erschien nunmehr das dekorative Interieur des Kaufhauses, reichlich unökonomisch die Relation von Verkaufs- zur Gesamtfläche. In dieser Situation schlug die Commerzbank zu und leitete den Wandel des Kaufhauses zu einem Bankgebäude ein. Die großen Fensterflächen im Erdgeschoss sollten der Leipziger Kunst vorbehalten sein, warben die Frankfurter Banker, um ungebremst und mit Leipziger Wohlwollen den Umbau beginnen zu können. Ob diese Kunst-Vision wohl jemals kommt?

Zweimal trugen sich teure Havarien an Vorabenden geplanter Bank-Eröffnungen im Gehäuse des einstigen Textilkaufhauses zu. Doch die Leipziger sind ja – mehrheitlich – nicht abergläubisch, und so blieben allenfalls komische Koinzidenzen in Erinnerung. Ob auch das Bankgeschäft „nach altbewährten Grundsätzen fortgeführt“ wird? Im Zuge der Bankenkrise 2008 musste die Commerzbank jedenfalls mit staatlichen Milliardenbeträgen gerettet werden – und damit irgendwie auch das Kaufhaus Ebert in Leipzig.

Stand: 26.09.2023

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Historisches Bildmaterial - Kaufhaus Ebert / Commerzbank

Karl-Heine-Denkmal

Käthe-Kollwitz-Straße 115 / Ecke Klingerweg | Ortsteil: Plagwitz

Das Karl-Heine-Denkmal befindet sich an der Grünanlage hinter der Klingerbrücke im Clara-Zetkin-Park an der Ecke von Käthe-Kollwitz-Straße und Klingerweg. Die von Carl Seffner entworfene, ca. drei Meter hohe Bronzestatue bildet den Leipziger Industriepionier Karl Heine (auch: Ernst Carl Erdmann Heine) auf einem 3,5 Meter hohen Granitsockel stehend ab. Das Denkmal wurde ursprünglich am 20. April 1896 eingeweiht. Im Zweiten Weltkrieg fiel die Bronzestatue der Rüstungsindustrie zum Opfer, lediglich der Sockel blieb bestehen. Am 22. Juni 2001 wurde im Auftrag der Stadt Leipzig die vom Modelleur Wolfgang Oester entworfene und in Lauchhammer geschaffene Nachbildung der Bronzestatue enthüllt.

Ein Denkmal für Leipzigs Industriepionier


Zu Hochwasserzeiten waren die im Westen Leipzigs gelegenen Dörfer bis ins 19. Jahrhundert zumeist abgeschnitten von der Stadt. Durch die übertretenden Flüsse
Elster und Pleiße entstanden Flusswiesen sowie sumpfige und damit unpassierbare Bereiche im Auwald. Dies hatte nicht nur wirtschaftliche, sondern auch aufgrund der von Mücken übertragenen Malaria gesundheitliche Folgen für die Einwohner. Eine Lösung für dieses Problem hatte Karl Heine mit seinem 1841 entwickelten Plan zur Trockenlegung und Bebauung der westlichen Vorstadt bis zum Dorf Plagwitz. Zu diesem Zeitpunkt hatte der 1819 in Leipzig als Sohn eines Rittergutsbesitzers geborene Karl Heine seine schulische Ausbildung an der Thomasschule beendet und bereits zwei Studienjahre Jura und Nationalökonomie an der Universität Leipzig absolviert. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts widmete sich Heine der Erschließung des Leipziger Westens und setzte sich für die industrielle Entwicklung des damaligen Dorfes Plagwitz ein, in dem rund 150 Einwohner lebten. Heine schuf durch großangelegte Wasser-, Straßen- und Brückenunternehmen die Voraussetzung zur späteren Bebauung und Industrialisierung des zuvor durch seine Versumpfung kaum nutzbaren Leipziger Westens. Basis für die erfolgreiche Ansiedlung von zahlreichen Firmen stellte die nach modernsten Gesichtspunkten geschaffene Infrastruktur mit Industriegleisanschlüssen dar. Der 1856 durch Heine angelegte Kanal, welcher von Plagwitz zur Elster führte und heute als Karl-Heine-Kanal nach ihm benannt ist, sollte die Elster mit der Saale verbinden, schiffbar machen und an die Elbe anschließen. Innerhalb weniger Jahre stieg die Einwohnerzahl in Plagwitz von 134 (1834) bis zur Eingemeindung des Ortes nach Leipzig im Jahr 1890 auf 13.045.

Obwohl Heine zu Lebzeiten häufig angefeindet und seine Projekte teilweise umstritten waren, mussten seine Kritiker nach seinem Tod 1888 den Wert seiner Projekte für die industrielle Entwicklung der kurz darauf eingemeindeten westlichen Vororte einräumen. Aus diesem Grund wurden immer mehr Stimmen laut, die eine Ehrung des „Pioniers des Leipziger Westen“ in Form eines Denkmals forderten. Daraufhin kam ein „Ausschuss für das Heinedenkmal“ unter der Leitung des Lindenauer Arztes und Freund Heines, Ferdinand Goetz, zusammen. Aufgrund der in beträchtlicher Summe zusammengetragenen Spendengelder wurde der damals noch relativ unbekannte Bildhauer Carl Seffner ohne vorangegangenen Wettbewerb mit der Schaffung einer naturalistischen Bronzestatue beauftragt. Acht Jahre nach Karl Heines Tod, am 20. April 1896, fand schließlich auf der Grünfläche neben Elsterflutbett, Käthe-Kollwitz-Straße und der Einmündung des Klingerweges am Clara-Zetkin-Park die feierliche Enthüllung des Denkmals statt. Diesem Festakt wohnten neben Bürgermeister Carl Bruno Tröndlin und Bildhauer Carl Seffner sowie hochkarätigen Honoratioren auch studentische Korporationen, Militärvereine ebenso wie Gesangs-, Turn- und Schrebervereine bei.

Dr. Heine im Wettermantel zwischen Eisenbahnschiene und Felsbrocken


Das Denkmal verkörpert bis heute Heines Lebenswerk in Form des industriellen Aufschwungs der Stadt im 19. Jahrhundert, das Leipzig zu einem der bedeutendsten Industriestandorte Deutschlands machte. Bei dem Denkmal handelt es sich um eines der eindrucksvollsten Beispiele deutscher Unternehmer-Standbilder des 19. Jahrhunderts, mit welcher Carl Seffners Karriere als Monumentalbildhauer begann. 

Da der vorherige Standort des Karl-Heine-Denkmals an der heutigen Käthe-Kollwitz-Straße zum Haupteingang des Palmengartens umgestaltet werden sollte, wurde das Karl-Heine-Denkmal zum Jahreswechsel 1937/38 auf die gegenüberliegende Straßenseite verlagert, wo es nicht lange stehen sollte: Im September 1942 wurde die Bronzestatue entfernt und im Rahmen der sogenannten „Metallspende des deutschen Volkes für den Führer“ für die deutsche Rüstung im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen. Nach der Wende setzten sich zahlreiche Leipziger für den Wiederaufbau des Denkmals ein. Nach fast 60 Jahren, während derer der leere Denkmalssockel gegenüber dem Klinger-Hain stand und an das einstige Monument erinnerte, wurde schließlich am 22. Juni 2001 eine Nachbildung der Bronzestatue enthüllt. Dabei handelte es sich um ein rund 70.000 Euro teures Werk, welches im Auftrag der Stadt Leipzig in Lauchhammer nach einem Entwurf des Modelleurs Wolfgang Oester geschaffen wurde. Seitdem steht die Bronzestatue des Industriepioniers wieder auf ihrem Granitsockel an der Grünanlage Käthe-Kollwitz-Straße / Ecke Klingerweg.

Die von Carl Seffner entworfene und bei Pirner & Franz in Dresden gegossene, rund drei Meter hohe Bronzestatue bildet Karl Heine als entschlossen blickenden Mann in Alltagskleidung mit Wettermantel und einer Spitzhacke in der Hand ab. Zu seinen Füßen befinden sich Gegenstände mit symbolischer Bedeutung, darunter ein Stück Eisenbahnschiene, welche an das durch Industriebahnen erschlossene Industriezentrum Plagwitz erinnert. Das sich daneben befindliche Felsstück gilt als Symbol für die Nutzbarmachung des vom Kanalgrund gewonnenen „Heine’schen Knacks“ zu Ausfüllzwecken in der von Karl Heine trockengelegten Westvorstadt. Die sich in der Hand von Heine befindliche Spitzhacke spielt auf das „Vorwärts“ an, mit welchem Heine als Pionier neue Wege erschloss. Das ebenfalls von Carl Seffner stammende 3,5 Meter hohe Postament aus rotem schwedischen Granit wurde von der Firma Kessel & Röhl in Berlin geschaffen und trägt die Inschrift „ Dr. Heine“. 

Stand: 26.09.2023

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Historisches Bildmaterial - Karl-Heine-Denkmal

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