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Universität Leipzig

Augustusplatz 10 | Ortsteil: Zentrum

Die 1409 als Alma Mater Lipsiensis gegründete Universität Leipzig ist die zweitälteste ohne Unterbrechung betriebene Universität Deutschlands. Bestehend aus 14 Fakultäten und 149 angebotenen Studiengängen beherbergt sie rund 31.000 Studenten, darunter etwa 3.000 ausländische Kommilitonen aus 130 Ländern. Ihr heutiges Erscheinungsbild im Stil der zeitgenössischen Moderne geht auf die Umgestaltung ab 2004 nach Entwürfen des niederländischen Architekten Erick van Egeraat zurück.

Intellektuelles Asyl für die Prager Elite in Leipzig


Die Gründung der Universität Leipzig reicht bis ins frühe 15. Jahrhundert zurück. Sie ist eng mit der Geschichte der Prager Karls-Universität verbunden, an welcher zahlreiche deutsche Studenten immatrikuliert waren. Die Studenten, Professoren und Magister hatten sich dort gemäß ihren Herkunftsländern zu vier Nationen – der böhmischen, der bayerischen, der polnischen und der sächsischen – zusammengeschlossen. Die Landmannschaften wählten in einer festgelegten Abfolge ihren Rektor. Im Zuge politischer, sozialer und religiöser Konflikte veranlasste der amtierende deutsche König
Wenzel IV. im Kuttenberger Dekret vom 18. Januar 1409 eine einseitige Änderung des Stimmrechts in den Gremien der Universität zugunsten der böhmischen Universitätsnation. Aus Protest gegen die Bevorzugung der böhmischen Nation und den Verlust ihrer Privilegien kündigten die anderen drei Nationen ihre Mitgliedschaft an der Universität Prag. Der Leipziger Landesherr Markgraf Friedrich IV. bot ihnen intellektuelles Asyl im wettinischen Leipzig. Durch die Anwesenheit der geistigen Elite Deutschlands sah er die Chance zur Gründung einer eigenen Universität. Der Lehrbetrieb wurde bereits im Juli 1409 in einem vom Rat der Stadt zur Verfügung gestellten Gebäude provisorisch aufgenommen. Am 9. September 1409 erteilte der neu gewählte Papst Alexander V. schließlich die Zustimmung für die Gründung der Alma Mater Lipsiensis. Die Universität Leipzig übernahm die bereits in Prag und anderen deutschen Universitäten gängige Gliederung in Nationen und ergänzte diese um eine meißnerische Landmannschaft. Am 2. Dezember 1409 fand im Refektorium des Thomasklosters eine feierliche Zeremonie zur Universitätsgründung statt. Noch am gleichen Tag wurde der Schlesier Johann Otto von Münsterberg zum Rektor gewählt. Der Bischof von Merseburg, Nikolaus Lubich, stärkte als Kanzler und Konservator die universitäre Eigenständigkeit.

1409/1410 gehörten der Universität Leipzig 369 Studenten und 43 Hochschullehrer an. Die Gründung erstreckte sich über die klassischen Fakultäten Theologie, Medizin und Jurisprudenz, hinzu kam der Fachbereich Artistik, darunter die „Sieben freien Künste“ Rhetorik, Grammatik, Dialektik, Geometrie, Arithmetik, Astronomie und Musik. Für den Lehrbetrieb standen zwei Gebäude aus landesherrlichem Besitz zur Verfügung: das „Große Kolleg“ in der heutigen Goethe-/Ritterstraße sowie das „Kleine Kolleg“ in der Schlossgasse bei der einstigen Pleißenburg, dem heutigen Neuen Rathaus. Aus Platzmangel wurden auch die Thomaskirche und die Nikolaikirche als Unterrichtsstätten genutzt. Die Alma Mater finanzierte sich neben kirchlichen Schenkungen sowie landesherrlichen und städtischen Zuwendungen durch Steuern und Naturalien aus universitätseigenen Dörfern. Die Mehrheit der Magister verdiente ihren Unterhalt durch Studiengebühren, wobei die zwölf Magister des Großen Kollegs vom Landesherrn ein jährliches Gehalt von 30 Gulden bezogen. Die Studenten wohnten zunächst in angemieteten Unterkünften ihrer Magister oder in unter Aufsicht der verantwortlichen Lehrkräfte stehenden Wohnheimen.

Bildungsoffensive und Erweiterung der Universität


Allein im Gründungsjahr stellten die Studenten knapp elf Prozent der Gesamtbevölkerung Leipzigs dar. Da die Universität die Finanzkraft der Stadt erheblich steigerte, wurde diese durch Verleihung von akademischen Privilegien und die Befreiung von städtischen Abgaben bereits unmittelbar nach ihrer Gründung vom Rat der Stadt beworben. Die Studenten profitierten durch den steuerfreien Ausschank einer beachtlichen Menge Bier und durften ihre Unterkünfte auch privat vermieten. Durch die Berufung des Mediziners
Nikolaus Schulte als ersten Universitätsangehörigen in den Leipziger Rat stärkten die Stadtväter 1435 auch intellektuell ihre Reihen. Herzog Moritz von Sachsen beschloss am 26. Mai 1542 einen jährlichen Zuschuss an die Alma Mater von 2.000 Gulden. 

Im Zuge der Reformation wurde die Universität 1539/40 auf Initiative des amtierenden Rektors Caspar Borner umfassend umgestaltet: Fächer wurden spezialisiert, Lehrinhalte und -methoden modernisiert und neue Disziplinen eingeführt. Auf Weisung von Herzog Moritz wurde der Universitäts-Ausbau vorangetrieben. Der Universität Leipzig wurden fünf Dörfer aus dem ehemaligen Besitz des Thomasklosters übertragen. Sie erhielt neben finanziellen Mitteln wertvolle Bibliotheksbestände. Zur wertvollsten Errungenschaft zählte die Übereignung der Liegenschaften des säkularisierten Dominikanerklosters St. Pauli am Grimmaischen Tor am 22. April 1544. Auf dem Klostergelände entstanden Unterkünfte für Studenten sowie Professoren. Es stand auch genügend Platz für die Hörsäle der Fakultäten und die Bibliothek zur Verfügung. Nach ihrer äußeren und inneren Neugestaltung erlebte die Universität in Mitte des 16. Jahrhunderts einen Aufschwung. Dank der Reformierung der Lehrinhalte durch den Rektor Joachim Camerarius stieg die Zahl der Studenten sprunghaft an und es entstand eine der größten und modernsten Universitäten Deutschlands.

Von der Alma Mater zur Karl-Marx-Universität der DDR-Moderne


Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Universität Leipzig zum Zentrum der geistigen Elite in Mitteldeutschland. Zu ihren berühmt gewordenen Studenten zählten unter anderem
Johann Wolfgang Goethe, Gottfried Wilhelm Leibnitz, Gotthold Ephraim Lessing, Robert Schumann, Richard Wagner und Friedrich Nietzsche.

Ab 1830 erfolgte eine bauliche Expansion der Universität. Nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel und Albert Geutebrück entstand 1836 das nach König Friedrich August benannte Augusteum im schlichten, klassizistischen Stil. Im Zuge der Neugestaltung des Universitätskomplexes am Augustusplatz von 1892 bis 1897 nach Plänen von Arwed Rossbach wurde auch das Augusteum im Stil der Neorenaissance umgestaltet. Aufgrund der stetig wachsenden Studentenzahl erwies sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Unterbringung aller universitären Bereiche am innerstädtischen Standort nicht länger möglich. Folglich wurden die medizinischen und naturwissenschaftlichen Bereiche entlang der Liebigstraße sowie an der Johannisallee angesiedelt. Die Universitätsbibliothek fand in der Beethovenstraße ihren neuen Standort.

In den Kriegsjahren 1943 bis 1945 wurden ca. 60 Prozent der Bausubstanz der Alma Mater zerstört. In den Plänen des SED-Regimes zur städtischen Umgestaltung im sozialistischen Stil spielte auch der Wiederaufbau der 1953 in Karl-Marx-Universität umbenannten Bildungseinrichtung eine wichtige Rolle. In diesem Zuge wurden die im Krieg beinahe unbeschädigt gebliebene Universitätskirche St. Pauli sowie das teilweise zerstörte Augusteum auf Anweisung von Walter Ulbricht am 30. Mai 1968 gesprengt. Zwischen 1968 und 1975 entstand nach Plänen von Hermann Henselmann ein neuer Campus in Form eines um einen Innenhof gruppierten Neubaukomplexes mit Hörsaal- und Seminargebäude, Hauptgebäude und Mensa. Das ebenfalls von 1968 bis 1972 neu erbaute City-Hochhaus im Stil der DDR-Moderne diente der Universität bis 1994 als Sitz verschiedener Fakultäten und Sektionen und wird heute als modernes Bürohochhaus genutzt.

600 Jahre Geschichte im modernen Gewand


Die Neugestaltung des innerstädtischen Universitätskomplexes am Augustusplatz nach der politischen Wende 1989 war zunächst heftig umstritten und mündete in jahrelangen Diskussionen über den Umgang mit der DDR-Architektur. Nachdem die Entwürfe aus einem ersten Architekturwettbewerb abgelehnt wurden, entschied sich die Fachjury im Rahmen eines zweiten Wettbewerbs 2004 für den Entwurf des niederländischen Architekten Erick van Egeraat. Der neu konzipierte innerstädtische Campus setzt sich aus saniertem Seminargebäude, neu erbautem Institutionsgebäude mit Ladenzeile im Erdgeschoss, Hörsaalgebäude, Campusbibliothek und neuerbauter Mensa am Park gegenüber der Moritzbastei zusammen. Zahlreiche weitere Fakultäten befinden sich nach wie vor an mehreren Standorten in der Stadt verteilt. Zudem nahm Egeraat die alte Ansicht des Augusteums sowie der Universitätskirche wieder auf und interpretierte die historischen Bauten im modernen Antlitz neu. Insofern sollte beim Betrachten des Komplexes ein Wiedererkennungseffekt und eine optische Assoziation mit den verloren gegangenen Bauwerken ausgelöst werden. Anstelle der 1968 gesprengten Universitätskirche entstand zwischen 2007 und 2017 das Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli.

Das neue Augusteum wurde 2012 eröffnet und beherbergt als Hauptgebäude des Campus das Auditorium mit etwa 800 Sitzplätzen, die Fakultät für Informatik und Mathematik, eine Galerie und Büroräumlichkeiten. Das sogenannte Schinkeltor wurde als letztes erhaltenes Detail des alten Augusteums als Innenhofzugang zum Neuen Augusteum integriert und die fehlenden Musenfiguren auf der Balustrade durch den Leipziger Bildhauer Markus Gläser ergänzt. Im Innenhof der Universität, dem sogenannten „Leibnitzforum“, befindet sich heute das 1883 von Ernst Hähnel geschaffene Leibniz-Denkmal des einstigen Schülers der Universität, Gottfried Wilhelm Leibnitz, in Form einer Bronzestatue.

Stand: 10.02.2024

Untergrundmessehaus

Markt | Ortsteil: Zentrum

Mancherlei Rekord findet sich in den Annalen der Leipziger Messe – älteste Messe der Welt, erste Mustermesse für die ungestüm expandierende Warenwelt während der Hochindustrialisierung, das Leitmotiv, die Weltmesse der 1920er Jahre zu sein. Ein Bauwerk, das die Welt bis dahin noch nicht gesehen hatte, findet sich ebenfalls unter den Pionierleistungen der Leipziger Messegesellschaft – das Untergrundmessehaus.

Messen in der „guten Stube der Stadt“


Der Eingang in die unterirdische Ausstellungswelt besteht nunmehr schon fast ein Jahrhundert lang ohne auffällige Veränderungen. Rötlicher Rochlitzer Porphyr, ein doppelter Treppenabgang, der in sechs Metern Tiefe zu einer Reihe von Eingangstüren mit eleganten Messingelementen führt, darüber die feingliedrigen Metallbuchstaben „Untergrundmesshalle * Markt.“ Edler Bauschmuck beherrscht die herausgehobenen Flächen. Die Harmonie mit der umgebenden Bestandsbebauung gelang beeindruckend. 

Allerdings – tempi passati – würde heutzutage an dieser Stelle niemand mehr ein unterirdisches Messehaus finden, sondern vielmehr den Eingang zur Station Markt des City-Tunnels. Dass der baugeschichtlich wertvolle Eingangsbereich aus dem Jahr 1925 unbedingt für den Verkehrstunnel aus dem Jahr 2013 erhalten bleiben musste, stand im strengen Forderungskatalog der Denkmalschützer. Auf die vorangegangene, aufgegebene Nutzung weist das originale, gegossene Metallschild mit seiner Erinnerung an die Bauherrenschaft der Leipziger Messe hin.

Die Rolle der Messe für die lokale und regionale Wirtschaft war groß, nur das Leipziger Stadtgebiet war ziemlich klein und bereits kompakt bebaut. Zur Frühjahrsmesse 1919 hätten 2.000 interessierte Aussteller abgewiesen werden müssen, wäre nicht eilig ein hölzernes Provisorium als Messehalle mitten auf dem Markt errichtet worden. Diese Lösung tat dem Geschäft gut, aber sah wirklich nicht attraktiv aus. Fünf Jahre lang musste sich der Leipziger Rat mit der zwar praktischen, aber ästhetisch zweifelhaften Behelfsarchitektur abfinden. Die Stadtspitze verlangte eine bestandskräftige Lösung.

Längst hatten sich Veranstalter, Aussteller und Besucher da schon an den Markt als Messeadresse gewöhnt. Der Platz bildete in der Rückschau das ursprüngliche Leipziger Messeareal mit seinem geschäftigen Treiben am historischen Kreuz von via regia und via imperii, das sich zu einer Weltwirtschaftsfunktion hochgearbeitet hatte. Zentraler ging es einfach nicht. Für einen Neubau anstelle der Baracke vor dem Alten Rathaus verblieb folgerichtig nur der Entwicklungsschritt hinab in die „Etage“ unter dem Straßenraum. Die Idee eines Untergrundmessehauses war geboren. Der Platz für einen Messepalast unter dem Markt hätte auch deshalb nicht passender sein können, weil in der Entstehungszeit des markanten Bauwerks die Messegesellschaft ihren Sitz in der Alten Waage an der Nordseite des weiträumigen Platzes hatte. Die Ausstellungshalle im Souterrain der „guten Stube der Stadt“ lag den Messeverantwortlichen förmlich zu Füßen.

Ein einmaliges Ausstellungsareal


Wer bis dahin den Markt nur als ebene Fläche kannte, sah 1924 plötzlich Bagger anrücken, die den Platz aufgruben. Ein Jahr später lud die Untergrundmessehalle bereits zur Frühjahrsmesse ein, und die Platzfläche darüber, mit dem mittigen
Stadtwappen in der Pflasterung war wieder hergestellt. Dank ihrer Maße von 98 mal 45 Metern bot die neue Messehalle auf 1.800 Quadratmetern Ausstellungsfläche Platz für 175 Aussteller in genormten Kojen.

Der einmaligen Bedeutung der Leipziger Messe in der DDR entsprechend, brachte zu dieser Zeit jeder Aussteller und jeder Besucher einen finanziellen und einen Prestigegewinn. Wie alle anderen Messehäuser der Innenstadt wurde die Nutzfläche der Untergrundmessehalle dringend gebraucht, was ihr zwischen 1986 und 1988 eine umfassende Sanierung bescherte. Als Zutat erhielt die Rückfront des oberen Fassadenteils, das dem Markt zugewandt ist, im Jahr 1979 ein langgestrecktes Gedenkrelief zur Würdigung historischer Ereignisse auf dem Markt. Geschaffen wurde es vom Leipziger Künstler Frank Ruddigkeit.

Doch schon in dem Jahr nach der gelungenen Sanierung begann ein marktwirtschaftlicher Umbruch, in den die Leipziger Messe mit aller Macht hineingezogen wurde. Konzepte änderten sich, Sicherheitsanforderungen innerhalb der historischen Mauern wurden verschärft. Damit war klar, dass die Frist für eine Untergrundmessehalle abläuft. Nur von ihrem historischen Ruhm konnte sie nicht leben, zumal sich alle Augen zu jener Zeit bereits auf das neue Messegelände richteten. Die parallel zur Leipziger Buchmesse veranstaltete Antiquariatsmesse 1993 geriet zum Finale der Ausstellungshalle. Dass sich ihre Türen wenig später noch einmal als Interim für eine Diskothek öffneten, verdeutlichte drastisch, wie stürmisch die Zeitläufe über das ursprüngliche Nutzungskonzept hinweggefegt waren. Ein endgültiges Aus?

Historisches Entree in eine moderne S-Bahn-Station


Mit dem City-Tunnel änderte sich nochmals alles. Die beiden Betonröhren für den Schienenweg führen ja fast diagonal unter dem Markt hindurch. Deshalb mussten sämtliche unterirdischen Einbauten in diesem Teil des Stadtraums entfernt werden, allen voran die Untergrundmessehalle, deren Reste im Jahr 2005 verschwanden. Doch ein repräsentativer Zugang mit historischen Bezügen auf die Vorgänger der neuen S-Bahn-Station war ein Glücksfall.

Zum zweiten Mal nach 1924 verwandelte sich der Markt 2005 in eine Baugrube. Zementsilos standen vor dem Alten Rathaus, und die Bagger drehten sich vor ehrwürdigen Fassaden. Der Terminplan hätte enger kaum sein können, denn es nahte die FIFA-Fußball-WM 2006 mit drei Vorrunden- und einem Viertelfinalspiel in Leipzig und massiven Besucherschüben an allen Spieltagen. Für die Bauleute des City-Tunnels ergab sich ein unerschütterlicher Pflichttermin im Bauablauf: „Deckel drauf“ über der halbfertigen S-Bahn-Station, bevor der Fußball rollte. Das „Sommermärchen“ enthielt eben recht unterschiedliche Facetten.

Ausgebaut wurde die Tunnelstation „Markt“ bis zur Betriebsaufnahme im Dezember 2013. Ob seither jeden Tag mehr Fahrgäste den historischen Eingang zum Untergrundmessehaus passieren, als Besucher an diesem Ort ihren Geschäften während der Messen nachgingen, mögen Statistiker feststellen. 

Stand: 29.12.2021

Bildergalerie - Untergrundmessehaus

Historisches Bildmaterial - Untergrundmessehaus

Unzeitgemäße Zeitgenossen – Bronzeplastik

Grimmaische Straße / östlicher Eingang | Ortsteil: Zentrum

Bei den „Unzeitgemäßen Zeitgenossen“ handelt es sich um eine von Bernd Göbel zwischen 1986 und 1989 geschaffene Bronzeplastik in der Grimmaischen Straße am Augustusplatz. Sie wurde am 14. November 1990 als Geschenk an die Stadt Leipzig der Öffentlichkeit vorgestellt. Platziert auf einem Balken, der optisch an einen Galgen erinnert, befinden sich fünf nackte Figuren. Jede verfügt über ein goldenes Detail als charakteristisches Erfolgsattribut. Das Denkmal verkörpert Kritik an den überholten Denk- und Verhaltensweisen seiner Entstehungszeit und fungiert zugleich als Gegendenkmal mit fünf Antihelden.

Göbels personifizierter Ärger oder: zeitlos zeitgemäße Zeitgenossen?


Vom Augustusplatz kommend markiert den östlichen Eingang der Grimmaischen Straße ein prominent platziertes Denkmal mit fünf unbekleideten Menschen auf einem Balken. Wer die Bronzeplastik interpretieren möchte, der sollte einen Schritt näher herantreten und sich etwas Zeit nehmen, denn die Entstehung dieser fünf Figuren ist ebenso spannend wie nicht mit bloßer Betrachtung zu erklären.

Das von Bernd Göbel zwischen 1986 und 1989 mit dem Titel „Unzeitgemäße Zeitgenossen“ geschaffene Denkmal bildet einen Stadtgestaltiker, eine Pädagogikerin, einen Diagnostiker, einen Kunsttheoretiker und eine Rationalisatikerin ab. Ausschlaggebend für die Ideenschöpfung war Göbels Ärgernis über fünf verschiedene Charaktere, die ihm im Laufe seines Lebens begegneten. Dass ein solcher Unmut ein energischer und zugleich ausdrucksstarker Auftraggeber sein kann, zeigt sich in der Entstehungsgeschichte der „Unzeitgemäßen Zeitgenossen“. 

Angefangen bei einer Pädagogin, die einen Schüler, Göbels Sohn, auf dem Kieker hatte, kurz: die Pädagogikerin. Göbels Ärgernis über den Umgang nahm alsbald im Jahr 1978 in seinem Atelier Gestalt in Form einer aus Gips geformten Pädagogikerin an, deren äußere Haltung ihre innere offenbarte. Einige Zeit später verschlug es Göbel wegen Unwohlsein zum Arzt, einem Diagnostiker, der lieber sich selbst zuhörte, anstatt auf den Herzschlag seines Patienten zu hören. Zu Göbels Verärgerung gesellt sich auch der Kunsttheoretiker, von Vorurteilen, mangelnder Selbstreflexion und einer opportunen Meinung geprägt, ebenso wie die Rationalisatikerin, die den Bürgern Amtsweisheit lehren will. Der letzte im Bunde ist der Stadtgestaltiker, welcher ohne Rücksicht auf die Historie Kirchen, Schlösser und Bürgerhäuser sprengt.

Alsbald versammelten sich die fünf Charaktere, die Bernd Göbel im Laufe der Zeit verärgert hatten, in seinem Atelier im halleschen Lettin. Der Bildhauer fasste den Entschluss, seinen gebündelten und personifizierten Unmut als „Unzeitgemäße Zeitgenossen“, auch „Beginn einer Reihe“, der Öffentlichkeit zu präsentieren. Das Denkmal wurde, wie von Göbel beabsichtigt, mittig am Eingang der Grimmaischen Straße vom Augustusplatz kommend platziert. Durch den prominenten Platz sollte das Kunstwerk einen Denkanstoß im belebten Stadtzentrum geben. Verstärkt wurde dies durch die Höhe des Balkens, dessen Oberkante sich auf nur 1,90 Metern Höhe befindet. Insofern können Passanten nicht problemlos darunter hindurch laufen – ein zwingender und zugleich unaufdringlicher Realismus.

Im Dezember 1988 wurden verschiedene Zitate, welche als Interpretationshilfen am Denkmal platziert werden sollten, dem Kulturverantwortlichen im Rat des Bezirks vorgelegt. Dazu zählten neben siebzehn aus Bernd Göbels Notizen stammenden auch elf weitere vom Kabarettisten Bernd-Lutz Lange. Wiederum sechs Sätze wurden wenig später nachgereicht. Die Entscheidung fiel schließlich im März 1989 auf dreizehn ausgewählte Zitate. Zu Beginn des Jahres 1990 erhielt die Leipziger Bronzebildgießerei T. Noack den Auftrag zur Umsetzung des Bronzegusses. Während der Besichtigung des fertig gestellten Werkes am 13. September 1990 wurde die letztliche Entscheidung für eine tatsächliche Aufstellung des Denkmals gefällt. Im Zusammenhang mit den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen nach dem Ende der DDR war zuletzt nicht sicher gewesen, ob die gesellschaftskritische und künstlerische Wirkung erhalten geblieben war. 

Bernd Göbels Bronzeplastik wurde schließlich als Geschenk an die Stadt Leipzig am 14. November 1990 der Öffentlichkeit vorgestellt. In der dazugehörenden Pressemitteilung hieß es: „Die Anwesenden würdigten das Kunstwerk als ein zeitgemäßes Denkmal voll bitterer Ironie und humanistischem Aufbegehren gegen Dogmatismus. Engstirnigkeit und menschenverachtende Selbstüberhebung, welches ein Jahr nach Beginn der Friedlichen Revolution sowohl jüngste und noch nicht bewältigte Geschichte reflektiert als auch ein Thema von bleibender Aktualität aufgreift.“

Denkanstoß inmitten der Fußgängerzone


Bei den „Unzeitgemäßen Zeitgenossen“ handelt es sich nicht um ein Monument des gesellschaftlichen Fortschritts mit Helden des sozialistischen Alltags, sondern, im Gegenteil, um ein Gegendenkmal mit fünf Antihelden, was die Stimmung zur Entstehungszeit widerspiegelte und zugleich Kritik übte. Platziert auf einem Balken, welcher optisch an einen Galgen erinnert, balancieren die fünf unbekleideten Personen unterschiedliche geometrische Körper und blicken in verschiedene Richtungen. Weiterhin besitzt jede Figur ein goldenes Detail als charakteristisches Erfolgsattribut. Der Stadtgestaltiker trägt einen Lorbeerkranz, der Diagnostiker ein Hörrohr, die Pädagogikerin einen Hammer und die Rationalisatikerin eine Säge, während den Diagnostiker goldene Ohren und Nase kennzeichnen. Mit der Hand am Zünder für den Sprengsatz und den Kopf in Richtung der ehemaligen Universitätskirche St. Pauli geneigt, führt er blind sein Zerstörungswerk aus. Diese Darstellung Göbels spielt auf ebenjene Sprengmeister an, welche die Kirche am 30. Mai 1968 grundlos in die Luft jagten. Die fünf Figuren sind sich der sich allmählich entwickelnden Veränderung ihrer Situation nicht bewusst und stecken von Reflexion in ihren überholten Denk- und Verhaltensweisen fest.

Auf dem senkrechten Balken gravierte Göbel Zitate von Johann Wolfgang Goethe und Bertolt Brecht ein, während auf dem Querbalken der deutsche Dramatiker Rolf Hochhuth zitiert wird: „Selbstverständlich darf man einem Prinzip das Leben opfern – doch nur das eigene“. Der Standpfeiler des Balkens ist umschlungen von mystischen Kreaturen mit Brettern und Seilen. Dies kann als Versuch interpretiert werden, die sich anbahnende Katastrophe in Form eines Zusammenbruchs zu verhindern.

Bernd Göbel war bis 2008 Professor der Bildhauerei an der Hochschule Burg Giebichenstein in Halle. Bis heute verfehlen seine „Unzeitgemäßen Zeitgenossen“ ihre Wirkung nicht. Viele Passanten bleiben in der der belebten Einkaufsmeile überrascht stehen und verweilen oder posieren vor dem skurrilen Denkmal. Es ist eine der meistfotografierten Attraktionen der Stadt Leipzig.

Stand: 26.01.2024

Bildergalerie - Unzeitgemäße Zeitgenossen – Bronzeplastik

Wermsdorf

Wermsdorf (Sachsen) | PLZ 04779

Jenseits des Muldentals wird die Landschaft welliger. Wer auf der Autobahn nach Dresden unterwegs ist, spürt, wie das auf Beschleunigung getrimmte Betonband Platz in einem ruhigen ländlichen Raum beansprucht. Doch wer dann – kurz nach der Muldebrücke bei Grimma – einfach an Wermsdorf vorbeirollt, der verpasst etwas. Der Charme der ländlichen Gemeinde entspringt der enormen Spannweite aus bürgerlicher Kleinteiligkeit und aristokratischem Gepräge. Denn Wermsdorf zählt gleich zwei Schlösser – eines davon, Schloss Hubertusburg, hält sogar einen Europarekord.

Ein Schloss für adliges Jagdvergnügen


Am Anfang stand der Forst. Rund um Wermsdorf war er so wildreich, dass er sich der Aufmerksamkeit des sächsischen Hofes nicht entziehen konnte. Der dichte, gleichwohl lichte Wermsdorfer Forst avancierte zum Jagdrevier der Landesherren. Rückten sie hier zur Parforcejagd an, brauchte es vor allem Raum für all die Herrschaften und die Gerätschaften, um dem edlen Wild nachzustellen, für Kutschen und Pferde. Ein Rittergut mitten in Wermsdorf stieg zum ersten Jagdschloss auf. 

Ihm sieht jeder Besucher den ursprünglichen Zweck an. Ländliches Bauen bedeutete zweckmäßiges Bauen. Symmetrie war nachrangig. Deshalb weist das „Gesicht“ des ersten Wermsdorfer Jagdschlosses – heutzutage vor allem Sitz der Gemeindeverwaltung – unregelmäßige Gebäudeflügel auf. Pragmatismus galt als Leitmotiv: Hier die Gutsverwaltung, da der Pferdestall, dort der Speicher zum Einlagern der Ernte. Eine unprätentiöse, ländliche Idylle.

Dessen ungeachtet zog hier der Dresdner Hofstaat vor allem zur Jagd in den Wäldern ein. Ja, über das bucklige Pflaster des Torweges holperte die Kutsche sogar des sächsischen Kurfürsten. Ja, hinter dem prächtigsten Giebel des Vorderhauses (wo in unseren Tagen der Bürgermeister sein Amtszimmer genießt) befand sich das Schlafgemach, in dem August der Starke sein Haupt zur Nachtruhe bettete und von dem er tagsüber den Blick in Richtung Forst wandte. Ortsgeschichte und Landesgeschichte formen in Wermsdorf eine traute Einheit.

Mitten auf dem Lande ein großartiges Barockschloss


Symbolträchtig an einem 3. November, dem Hubertustag, der an den Schutzpatron der Jagd erinnert, genügte August dem Starken das vorgefundene bescheidene Jagdschloss dann aber doch nicht mehr. Der Landesherr dachte anno 1721 nicht zuletzt an seinen Sohn, der auf Jahre hinaus seine Wermsdorfer Jagdleidenschaft von einer wahrhaft aristokratischen Basis aus pflegen sollte. Der Blick fiel auf den sanft ansteigenden Hügel im Südosten. Dort sollte es entstehen, das neue, repräsentative, überragende, alle bisherigen Maßstäbe sprengende Jagdschloss des sächsischen Adels. Den Namen Hubertusburg kann jedermann mühelos entschlüsseln, der sich auch nur ansatzweise dem Thema Jagd zuwendet. 

Gebaut wurde recht zügig. Nach zwölf Jahren stand 1733 das größte europäische Landschloss, und diesen Spitzenplatz sollte die barocke, dem symmetrischen Zeitgeist des Bauens und Schauens verpflichtete Anlage nie wieder hergeben. Wermsdorf schrieb sich mit einem Gebäudekomplex der Superlative für immer in die europäische Adelsgeschichte ein.

Wechselnde Nutzungen des grandiosen Anwesens


Die Säle sind prächtig, der Ovalsaal ragt noch einmal besonders aus dem Reigen der Gemächer heraus. Die Räume sind beeindruckend hoch. Der Schlosshof gibt sich als Klein-Versailles (oder Loire-Schloss) mitten in Mittelsachsen. Kenner wissen, welches ausgreifende Kleinod sie hier vorfinden. Wer es noch nicht gesehen hat oder gar den Superlativen misstraut, dem sei ein Besuch dringend empfohlen. 

Eingeschrieben in die verworrenen Zeitläufe hat sich das Jagdschloss Hubertusburg allerdings weniger mit seiner faszinierenden Architektur denn vielmehr als erstrangiger Geschichtsort. Zunächst diente der ausgedehnte Gebäudekomplex mit angeschlossenem Park natürlich seinem Bestimmungszweck, der Jagd im Wermsdorfer Forst. Im Laufe der Zeit kreuzten sich hier aber sehr verschiedene Ereignisstränge. Da war zunächst der Siebenjährige Krieg. Als Knotenpunkt sächsisch-preußischer Rivalität löste er tiefe Rachegelüste aus. Die siegreichen Preußen schleppten aus dem Jagdschloss alle beweglichen Gegenstände und Pretiosen weg, derer sie habhaft werden konnten. Verschont blieb einzig und allein die katholische Schlosskapelle, und dieser Glücksfall schmückt die gesamte Anlage bis heute. Raumgestalt und Spitzenakustik fügen sich zusammen mit der original erhaltenen Balustrade für den Landesherrn zu einem beeindruckenden Ganzen. Die Kapelle entging der Plünderung, doch zum Schluss mussten die Ergebnisse des militärischen Ringens besiegelt werden. Es kam 1763 zum Frieden von Hubertusburg, geschlossen in einem Seitenflügel des Jagdschlosses, weil der arg geplünderte zentrale Teil des herrschaftlichen Anwesens dafür nicht mehr geeignet war. Immerhin, Frieden zog ein.

Doch seinen einstigen Spitzenrang hatte das ausgedehnte, aber entleerte Landschloss eingebüßt. Die sich ablösenden Folgenutzungen fielen deshalb eher banal aus: Lager für Landesvorräte, Lazarett für tausende Verwundete der Völkerschlacht bei Leipzig 1813, Gefängnis, Fliegerschule der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg, psychiatrisches Fachkrankenhaus. Sogar ein Mythos rankte sich um Gebäudeflügel und Gewölbe: Schloss Hubertusburg stieg zeitweise zu einem der vermuteten Verstecke für das von den Nazis geraubte und danach verschollene, sagenhafte Bernsteinzimmer aus Zarskoje Selo bei St. Petersburg in Russland auf. Eine äußerst blasse Spur.

Sanierung eines Kleinods von Landesbedeutung


Mit der deutschen Einheit änderte sich auch auf Jagdschloss Hubertusburg alles. Das Fachkrankenhaus verließ seine dafür nicht geschaffenen Räume. Die Dächer und Fassaden mussten restauriert werden. Letztere Mammutaufgabe wurde mit Millioneninvestitionen des Freistaates Sachsen geschafft. Damit bietet sich vom Schlosshof auf der östlichen Seite aus wieder der grandiose, majestätische Anblick. Eine Fachmesse für
Jagd & Angeln ist immer im Herbst zu den Nutzungswurzeln des Schlosses zurückgekehrt. Überhaupt bietet der Herbst einen wahrhaft überwältigenden Anblick von Hubertusburg inmitten der bunt gefärbten Natur der Wermsdorfer Forst- und Teichlandschaft. Derweil finden im restaurierten zentralen Gebäudeteil des Schlosses wechselnde Kunst- und Geschichtsausstellungen in Regie der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden statt. 

Und das erste, kleine ländliche Jagdschloss? Die letzten sächsischen Könige haben es noch einmal für ihre Jagden genutzt, ehe 1918 die staatspolitische Einflusslinie der Wettiner gekappt wurde. An König Albert erinnern sich die Wermsdorfer aber gern. Sie haben ihm am Eingang zum ersten, aber auch finalen Wermsdorfer Jagdschloss ein Denkmal gesetzt. 

Die Landschaft rund um den Collm stellt eine Besonderheit dar. Wermsdorf ist von ca. 4.000 Hektar Wald und einer großen Anzahl Seen und Teiche umgeben. Die bekanntesten davon sind der Horstsee und der Döllnitzsee. Eine Besucherattraktion ist das Horstseefischen. Das große Wermsdorfer Fischfest findet jährlich im Oktober statt.

Stand: 06.08.2023

The Westin Leipzig

Gerberstraße 15 | Ortsteil: Zentrum-Nord

Hochhäuser sind ja – erkennbar gewollt – nicht gerade reichlich gesät in Leipzig. Doch eines am nördlichen Rand der City verlässt das gängige Muster auf die auftrumpfendste Art, die denkbar ist: das Hotel The Westin Leipzig.

Irgendwie schmückt sich die Fassade mit einer perlmuttgleich schimmernden Fassade. Wer einen spektakulären spätherbstlichen oder frühlingshaften Sonnenuntergang abpasst, sieht den quaderförmigen Baukörper dann für kurze Zeit triumphal feurig strahlen. Aufregender würde in diesem Moment nicht einmal ein New Yorker Wolkenkratzer die zahlreichen, auf den optischen Kick versessenen Spotter, anlocken.

Japaner betonieren den östlichen Aufstiegswillen


Kaum zu glauben, aber der Hotelbau ist ein Kind der späten DDR. Die Fassade musste glänzen, die Gestalt sollte auftrumpfen. Und in Leipzig wurden während der Frühjahrs- und der Herbstmesse die Geschäfte mit dem Westen eingefädelt, von denen es gar nicht genug geben konnte. Nur an passenden Hotels für die anreisende Business-Elite aus der räumlich nahen, geschäftlich fernen Marktwirtschaft mangelte es schmerzlich. Den Befreiungsschlag besorgte ein Gemeinschaftsprojekt mit der Japan-GDR Project Ltd., Tokyo. Der damals systemübergreifende Deal verschaffte Leipzig das erste Hotel mit wirklich internationalem Standard und einen qualitativen Sprung für alle auswärtigen Gäste, die bis dahin mit Interhotel-Eintönigkeit nicht recht glücklich wurden.

Ein passendes Grundstück war schnell gefunden. Die Gerberstraße als nördliches Einfallstor zur Stadt (für alle aus Richtung Flughafen bzw. Autobahn Anreisenden) bot auf einer Brache den geeigneten Platz. Für den 2. September 1978 findet sich die Grundsteinlegung in den Annalen. In der Baugrube präsentierten die japanischen Partner an diesem Tag ein Modell, von dem sich alle Leipziger fast ungläubig angezogen fühlten: Soviel Metropolenglanz in unserer strebsamen, aber irgendwie in ihrem Tatendrang gebremsten Stadt? 

Es wurde wahr. Auf das Richtfest am 28. März 1980 folgte die Übergabe des 96 Meter aufragenden „ersten Hauses am Platze“ am 13.März 1981 – pünktlich zur Frühjahrsmesse, denn ein vergleichbarer Rhythmus galt in dieser Stadt damals nicht. 

Allein schon der japanische Garten mit Wasserspielen und Laternen längs der Gerberstraße war einen Sonntagsspaziergang wert. Und erst das japanische Restaurant Sakura – bereits außerhalb der Leipziger Messen (wenn nicht die Preiskategorie M gleich Messe galt) ein fremdländisches, hoch willkommenes Geschmackserlebnis, mit dem kein Gastgeber etwas falsch machen konnte. Des weiteren das italienische Restaurant (man glaubt es heutzutage kaum, aber damals etwas angenehm Exotisches) und die kleine Bar im Eingangsbereich und und und… In den damals 447 Zimmern des Hotels wohnte ja kein Leipziger, und es wäre auch gar nicht gegangen, denn das Hotel, das nach dem antiken Gott der Händler Merkur getauft wurde, war ein Devisenhotel. Der ewig klamme, kleine ostdeutsche Staat versuchte damit einen Teil der hohen Kosten wieder einzuspielen, die beim Bau angefallen waren. Voll belegt strahlte das Hotel abends genau so, wie sich die Einheimischen den Glanz der weiten Welt erträumten.

Zuverlässige Konstante im geschäftigen Einheits-Deutschland


Acht Jahre nach der Eröffnung des Hotels Merkur hauchte die DDR ihre nur reichlich vierzig Jahre währende Existenz aus. Und damit fluteten erst recht all die Geschäftsleute nach Leipzig, die im Systemwandel ihre einmalige Chance erkannten und unbedingt nutzen wollten. Wenn sie nicht selber zuvor als Messegäste schon einmal „Merkur“-Bekanntschaft gemacht hatten, bekamen sie von Ost-Kundigen garantiert den heißen Tipp „Merkur“. In diesen Wochen erstrahlte das Haus jeden Abend so, wie es jedermann bisher nur aus den legendären Messezeiten kannte. Kaum eine Präsentation der tsunamigleich auf den neuen Markt strebenden Firmen ging ohne „Merkur“ (falls die Markt-Eroberer bereit waren, die hochschnellenden Sonderpreise quasi als Eintrittsgebühr zu bezahlen). Das Bankett- und Kongresszentrum sah täglich neue Stars der Wirtschaftswelt. Manches Hotelzimmer wandelte sich im Handumdrehen zu einer einstweiligen Firmen- oder Bank-Repräsentanz.

Ewig steigt solch eine Welle natürlich nicht. Die Physik des Geschäfts verlangt, Investitionen nachzuschießen. Die Deutsche Interhotel Holding als Eigentümerin des Hauses musste sich 1993 beim Abklingen der anfänglichen heißen deutschen Einheits-Geschäfte nach einem neuen Betreiber umschauen. Aus dem „Merkur“ wurde damals das InterContinental Leipzig. Mit frischem Kapital begannen nach einem knappen Jahrzehnt intensiver Nutzung umfangreiche Renovierungen. Zehn Jahre lang prangte der Schriftzug InterContinental ganz oben am Gebäude. Dann erzwang das wetterwendische Hotel-Business einen erneuten Betreiberwechsel. Auf InterContinental folgte The Westin aus der amerikanischen Unternehmensgruppe Starwood Hotels & Resorts. Daraufhin flossen 2005 fünf Millionen Euro in aufgemöbelte nunmehr 436 Zimmer und weitere dreieinhalb Millionen in das Nobelrestaurant Falco, auf dass im 27. Stock der spektakuläre Blick auf Leipzig trefflich mit internationaler Spitzengastronomie kombiniert werde. Der kulinarische Steilflug brachte zwei Sterne ein. Noch einmal fünf Millionen Euro werteten 2006 die Klasse von Lobby, Hallenbar und Wintergarten auf. The Westin Leipzig zielt vor allem auf Geschäftsreisende.

Ständiges Ringen um den Spitzenplatz

 

Beim Start vor über vierzig Jahren umsorgten 640 Beschäftigte im Hotel Merkur die umworbenen, vor allem internationalen Gäste. Inzwischen wird die gesamte Hotelbranche in einer geschäftigen Stadt wie Leipzig von einem noch hektischeren Geschäft getrieben. Eine Kernmannschaft von rund 200 Mitarbeitern im The Westin kümmert sich heutzutage um sämtliche Belange der anspruchsvollen Kundschaft. Outsourcing hat auch an dieser Stelle vieles möglich gemacht, was für die Kundschaft mit keinerlei Qualitätseinbußen verbunden ist. Im Gegenteil. Einschlägige Rankings bescheinigen dem Leipziger The Westin ununterbrochen einen Stammplatz unter den zehn besten deutschen Business Hotels und die Position des Primus in den östlichen Bundesländern.

Für die Kunden läuft die Identifikation mit einem Haus stets über die angesehene Kette, die es betreibt. Wichtig ist die Marke. Deshalb dürften die Wenigsten mitbekommen haben, dass die Immobilie noch ein paar mehr Wechsel mitgemacht hat, als der Markenname verrät. Die feine Trennung in den Eigentümer des Hauses und den möglichst internationalen Betreiber ist wenig aufregend für eine Gästeschar, die einfach zuverlässig verwöhnt werden möchte. Wer weiß deshalb schon, dass die Immobilie von The Westin seit 2016 dem französischen Konzern Covivio gehört? Geht es nach seinen Plänen, wird das Hochhaus mit seinen Anbauten im Norden durch zwei neue Bürotürme mit einem Übergang zu den 32 variablen Räumen im Kongressbereich ergänzt. Die bisherige Baugeschichte des Hauses an der Gerberstraße findet deshalb wohl eine passende Fortsetzung.

Allein schon die drei aufeinanderfolgenden Namen des Hotels bieten eine vortreffliche Gelegenheit, jüngste vier Jahrzehnte Leipziger Stadtgeschichte in eine plakative Formel zu packen: „Merkur went InterContinental and became The West in Leipzig.“ Wie passend! 

Stand: 25.04.2022

Bildergalerie - The Westin Leipzig

Historisches Bildmaterial - The Westin Leipzig

Zeitgeschichtliches Forum Leipzig

Grimmaische Straße 6 | Ortsteil: Zentrum

Wer diesen historischen Zeugenstand betritt, wird mit einem Riesenschritt konfrontiert. Es ist Der Jahrhundertschritt des Leipziger Künstlers Wolfgang Mattheuer aus dem Jahr 1974. Die zweieinhalb Meter hohe Bronzeplastik steht als Schlüssel-Metapher für das zerrissene 20. Jahrhundert. Ein besserer Zugang zum Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, das die deutsche Teilung, den Vereinigungsprozess beider deutscher Staaten ebenso wie die Fortschritte und Hemmnisse des wiedervereinigten Landes thematisiert, ist kaum denkbar.

Scheinbar Selbstverständliches als Schatz bewahren


Bereits im Aufzug werden die Besucher in authentische Tondokumente förmlich eingehüllt. Sie reichen von der selbstreferenziellen, historischen Lüge „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ aus dem Juni 1961 bis zum zehntausendstimmigen „Wir sind das Volk“ aus dem Leipziger Umbruchs-Herbst 1989. 

Die Idee, auf jeden Fall in Leipzig ein Zeitgeschichtliches Forum einzurichten, stammt aus den frühen Einheitsjahren nach 1990. Rasant überstürzten sich damals die Ereignisse, so dass erfahrene Historiker gewissermaßen aus der unmittelbaren Bewegung heraus dringend empfahlen, Erinnerungen und passende Erinnerungsstücke aufzubewahren, damit sie im Sturzbach des Geschehens nicht für immer verloren gehen. Das Zeitgeschichtliche Forum (ZGF) als Filiale des Bonner Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einzurichten, stand fest. Gleichwohl war zu klären, wo im Vergleich mit der beschaulichen Universitätsstadt am Rhein, denn die Dependance im brodelnden Leipzig verortet werden könnte. Entwürfe sprießen zahlreich, und die Entscheidung lief auf einen Neubau hinaus. Es bot sich an, dafür recht symbolträchtig keinen Solitär an einem einsamen Ort zu wählen, sondern einen Lückenschluss im Leipziger Zentrum. Die Grundsatzentscheidung fiel zügig, und gebaut wurde in einem passenden Terminraster. Der zehnte Jahrestag der deutschen Einheit stand als Eröffnungstermin fest und wurde eingehalten.

Exponate auf Dauer und im dauernden Wechsel


Das ZGF heißt aus gutem Grund nicht Museum. Selbstverständlich kommen die beiden Etagen der Dauerausstellung nicht ohne die Präsentation zeitgenössischer Exponate aus der Alltags-, Wirtschafts-, Kultur- und Militärgeschichte aus. Die frühere Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten spielt dabei eine besondere Rolle. Als Zielgruppen wendet sich das Forum sowohl an die Erlebens-Generation der Teilungs-Epoche und des Vereinigungsprozesses als auch in besonderer Weise an junge Menschen, für die all die aufwühlenden Jahre reiner Geschichtsstoff sind, weil sie – gefühlt – unvorstellbar lange zurückzuliegen scheinen. Spätestens hier kommt der Forums-Aspekt unmittelbar zum Tragen. Das dritte Obergeschoss besteht aus einem großen Veranstaltungssaal und bietet Platz für die regelmäßigen Sonderausstellungen. Veranstaltungen des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig sind meist keine Termine des gepflegten, gedämpften akademischen Austauschs, sondern Hochämter des wogenden Meinungsstreits – wenn es um das Wirken der Treuhand geht, die Arbeitsmarktpolitik der frühen 1990er Jahre, den schwierigen Integrationsprozess der Streitkräfte beider deutscher Staaten oder die Deutungshoheit über den „ganz normalen“ Alltag in der DDR. Für den Deutschlandfunk bilden solche Dialog- und Publikumsrunden beliebte Sendeplätze, weil sie förmlich „hineinziehen“ in typische Kontroversen und auf verminte Klischee-Gelände mit Aufmerksamkeits-Garantie leiten. Auch
Leipzig liest, eines der größten europäischen Begegnungsforen zwischen zeitgenössischen Autoren und ihrem sensibilisierten Publikum, verzichtet in den jeweils dafür reservierten vier Tagen im März nie auf eine ganze Abfolge von Lesungen, die Appetit machen auf wichtige Neuerscheinungen des Buchmarktes.

Lehrreiche Blicke nach drüben und draußen


Wahre Renner sind die Sonderausstellungen im Zeitgeschichtlichen Forum. Die gesamte Architektur des Hauses ist auf Rundgänge und die passende Demonstration von Ereignis-Abläufen ausgelegt. Ob es – in jüngster Zeit – um die voneinander abweichende Vorstellung von Luxus in DDR und BRD ging, um die Funktion des Designs, die Auflösung der Nationalen Volksarmee unter dem Titel „Ab morgen Kameraden“ oder die Widerspiegelung des Alltags in verschiedenen Spielfilmproduktionen beider deutscher Staaten – immer sind Spannungsbögen weitab von einer weichgespülten Erinnerungskultur garantiert. Das trifft besonders auch auf jene Themen zu, bei denen die Perspektive von eigenen Erlebnissen und Empfindungen zum Blick nach draußen oder von draußen auf die deutsche Wirklichkeit wechselt, wie in den legendären Sonderausstellungen zur Vertriebenen-Problematik oder zum Verhältnis zu Großbritannien oder den USA.

Aktuell kann ein Zeitgenössisches Forum nur bleiben, wenn es selbst mit der Zeit geht. Wer die Präsentation 1999 erstmals gesehen hat, wird sie heutzutage wohl kaum wiedererkennen. Zu viel ist seither geschehen und wurde für wert befunden, verdientermaßen einen Forumsplatz zu belegen. Umbrüche und ihre Reflexion sind deshalb eine Konstante des Hauses.

Das Vermächtnis des Digedags-Erfinders


Und manchmal sorgen glückliche Zufälle für spektakuläre Bereicherungen der Sammlung. So geschehen, als
Hannes Hegen, den jedes Kind der DDR als Schöpfer der Zeitschrift „Mosaik“ und damit der drei Digedags kennt, der im Westen aber kaum bekannt war, am Ende eines langen, schöpferischen Lebens über einen Vorlass seiner Zeichnungen, der Entwürfe, der Probedrucke und des mediengeschichtlich ungemein aufschlussreichen Briefwechsels mit den Behörden der DDR nachdachte. Hegen beschloss, das alles sei in Leipzig, im ZGF am besten aufgehoben. Er fand Gelegenheit, sich selbst noch davon zu überzeugen, dass diese Entscheidung richtig war. Mittlerweile wurden Teile dieses Fundus der besonderen Art bereits in mehreren Ausstellungen gezeigt und von Workshops begleitet. Das ZGF hütet nach fester Überzeugung aller „Mosaik“-Fans also einen ganz besonderen Schatz, an dem man sich auch nach Jahrzehnten nicht sattsehen kann. Aus Sicht der Verantwortlichen des Zeitgeschichtlichen Forums gehört das „Mosaik“ übrigens in die Kategorie Comic, auch wenn dieser Begriff in der DDR verpönt war. Dort erschien die kostbare Bückware unter der Rubrik Bilderzeitschrift. Deutsch-deutsche Geschichte in Reinkultur.

Stand: 29.01.2023

Torhaus Dölitz und Zinnfigurenmuseum

Helenenstraße 24 | Ortsteil: Dölitz-Dösen

Das Kartenspiel „Rommé Bonaparte“ erzählt viele Details rund um die Epoche des Franzosenkaisers Napoleon und der Völkerschlacht bei Leipzig anno 1813. Der Verband Jahrfeier Völkerschlacht 1813 lässt sich immer wieder etwas einfallen, um die Erinnerung an die Geschehnisse der blutigen Schlacht wachzuhalten. Die tobt 1813 auch am Torhaus Dölitz, das seit vielen Jahren das Zinnfigurenmuseum beherbergt. Am Torhaus verhindern die mit Napoleon verbündeten Polen unter dem Kommando von Fürst Józef Antoni Poniatowski, dass die Österreicher die Pleiße überqueren und somit dem französischen Kaiser Napoleon Bonaparte in den Rücken fallen.

Das älteste Bauwerk in Dölitz


Als Herrensitz hat das
Rittergut Dölitz eine lange Geschichte. 1348/49 wird der Ort Dölitz erstmals urkundlich erwähnt. Einen Herrensitz gibt es da schon. 1550 – Dölitz hat damals etwa 200 Einwohner – wird das Renaissanceschloss erbaut. Knapp ein Jahrhundert später werden Schloss und Rittergut an den Leipziger Kaufmann Georg Winckler verkauft, der es bis 1640 erneuern und umbauen lässt. 1670 bis 1672 wird dann das Torhaus als Übergangsbau im Stil des holländischen Barocks errichtet.1927 kauft die Stadt Leipzig schließlich den Gutskomplex Dölitz. Im Zweiten Weltkrieg wird das Dölitzer Schloss stark beschädigt, die Reste des Gebäudes werden schließlich 1947 gesprengt. Heute ist das Torhaus das älteste Bauwerk in Dölitz. In der Ausstellung ist ein Modell des ehemaligen Rittergutes zu sehen. Anhand von alten Zeichnungen, Fotografien und Grundrissen sind alle Gebäude in Miniatur rekonstruiert. Dazu gehört selbstverständlich das nur noch auf Bildern existierende Schloss. Vom Rittergut sind neben dem Torhaus noch ein baufälliges Verwaltungsgebäude sowie ein von Vereinen genutztes Stallgebäude übrig. Das Modell wird für die museumspädagogische Arbeit genutzt.

Start mit Ehrenamtlichen vom Kulturbund der DDR


Bereits 1957 beginnt eine Gruppe des Kulturbundes der DDR im Torhaus eine Zinnfigurenausstellung einzurichten. Sie knüpft an die Tradition der Leipziger Sammlerschaft an. 1924 hat sich in der Messestadt die Klio gegründet, die Deutsche Gesellschaft der Freunde und Sammler kulturhistorischer Zinnfiguren. Anfangs umfasst die Schau etwa 15 Dioramen, die die Ereignisse der Völkerschlacht, der Stadtgeschichte und des Zeitalters des Preußenkönigs
Friedrich II. darstellen. 1963, zum 150. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig, kommen vor allem Schaubilder zu diesem historischen Ereignis hinzu. Bis 1990 bleibt die Ausstellung eine ehrenamtliche Einrichtung, die von Vereinsmitgliedern geleitet, ausgebaut und erweitert wird. Dabei obliegt ihnen nicht nur die inhaltliche Betreuung, sondern sie müssen sich auch um die Bausubstanz des Hauses kümmern. Am 1. Dezember 1990 werden die kulturhistorischen Zinnfiguren dem Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig zugeordnet. In den folgenden Jahren finden umfangreiche konzeptionelle und bauliche Maßnahmen statt. So wird das Gebäude 1991 bis 1995 trockengelegt und verputzt, das Dach neu gedeckt.

Neuer Schwung durch Verband Jahrfeier Völkerschlacht 


Das Gebäude bleibt allerdings nicht lange in Regie des Museums. Weil die Stadt Leipzig sparen muss, übergibt sie das Torhaus Dölitz 1998 an einen Verein, der mit Fördermitteln aus dem städtischen Haushalt unterstützt wird. Das ist zunächst die AG „Befreiungskrieg 1813“ Finsterwalde, die es in Erbbaupacht übernimmt und eine Betreibergesellschaft gründet. Sie meldet nach einigen Jahren Insolvenz an und löst sich Ende November 2013 auf. Neuer Betreiber wird der Verband Jahrfeier Völkerschlacht bei Leipzig 1813, der dem Torhaus sowie dem Museum neuen Schwung verleiht. Der Verband zieht als Mieter in das städtische Gebäude ein.

Großdiorama zur Völkerschlacht ist Highlight


Das Haus wird mit Hilfe des Vereins Zinnfigurenfreunde betrieben, der dort Figuren und Dioramen verschiedener Epochen zeigt. Mittlerweile gehört das Zinnfigurenmuseum zu den größten seiner Art in Europa. Auf drei Etagen werden über 100.000 Zinnfiguren präsentiert. Ein Highlight ist das 25 Quadratmeter umfassende Groß-Diorama mit vielen Tausend Figuren. Es zeigt die Kampfhandlungen am 18. Oktober 1813 auf dem südlichen Schlachtfeld der Völkerschlacht rund um die Ortschaften Dölitz, Probstheida und Holzhausen. Thema der Dioramen ist aber nicht nur die Völkerschlacht. Zu sehen sind beispielsweise Figurengruppen und Einzelfiguren zu Babylon, von Rittern, der türkischen Belagerung Wiens 1683, selbst zum Rokoko. Neu ist ein Diorama mit der Schlacht bei
Connewitz am 16. Oktober 1813. Eine Bilderleiste, um das ehemalige Dorf heute verorten zu können, ist noch im Entstehen.

Eine Rolle spielt ebenfalls die Geschichte Leipzigs sowie die des ehemaligen Dorfes Dölitz, das im Jahr 1910 nach Leipzig eingemeindet wurde. Bei der Gestaltung des Raumes hat der Bürgerverein Dölitz geholfen. Wie Zinnfiguren hergestellt werden, ist ebenso wie ein Ausflug in ihre Geschichte zu bewundern. Regelmäßig gibt es Sonderschauen zu verschiedenen Themen. Dabei werden besondere Dioramen, wie eine Leipziger Trümmerbahn auf dem Augustusplatz, aus dem Fundus geholt. Diese zeigt, wie nach dem Zweiten Weltkrieg die Kriegsschäden beseitigt werden.

Gelände rund ums Torhaus wird entwickelt


Der Verband Jahrfeier Völkerschlacht bei Leipzig 1813 hat große Pläne, will auch das Gelände rund ums Torhaus entwickeln. Das erweist sich sowohl finanziell als auch durch das Naturschutzgebiet als schwierig. Das Stallgebäude soll zum kombinierten AusstelIungsgebäude mit Vortragsraum ausgebaut werden. Jährlich im Oktober wird das Areal regelmäßig für Biwaks genutzt. Integriert ist das Torhaus Dölitz
auch ins alljährliche Wave-Gotik-Treffen. Der agra-Park mit seinem Campingplatz dient als Unterkunft der Anhänger der schwarzen Szene. Für sie wurde 2023 erstmals eine edle Künstler-Spielkartenedition „Fantastic Mystic Gothic Rommé“ herausgegeben. Wie das Kartenspiel „Rommé Bonaparte“ hat dieses der Leipziger André Martini gestaltet. Vor dem Torhaus entstehen alljährlich zum Wave-Gotik-Treffen ein Heidnisches Dorf sowie ein großer mittelalterlicher Markt. Die Zinnfigurenfreunde bereiten ein Wave-Gotik-Diorama vor, das 2025 fertig sein soll.

Gearbeitet wird auch an einem „virtuellen Diorama“. Die Idee wurde während der Corona-Schließzeit ausgetüftelt, in der die Einnahmen wegbrachen. Nun wird zu Patenschaften für 12.126 Figuren aufgerufen – so viel hat das große Völkerschlacht-Diorama. Im Oktober 2023 waren es bereits knapp 10.700 Figuren. Geplant ist, ein großes Wimmelbild mit Zinnfiguren aus verschiedenen Epochen vor einem Leipziger Gebäude und eine Tafel mit Namen der Spender zu erstellen. Das Torhaus Dölitz arbeitet in einem Museumsbund mit dem Sanitäts- und Lazarettmuseum Seifertshain, dem Körnerhaus Leipzig-Großzschocher sowie dem Museum Torhaus Markkleeberg.

Stand: 10.01.2024

Bildergalerie - Torhaus Dölitz und Zinnfigurenmuseum

Historisches Bildmaterial - Torhaus Dölitz und Zinnfigurenmuseum

Napoleonstein

Friedhofsweg 1 / An der Tabaksmühle | Ortsteil: Stötteritz

In den Parkanlagen rechts vor dem Eingang zum Areal des Völkerschlachtdenkmals befindet sich der Napoleonstein aus dem Jahr 1857. Der „Verein zur Feier des 19. Oktober“ ließ das Denkmal dort errichten, wo Napoleon am 18. Oktober 1813 seinen Befehlsstand einrichtete und die Völkerschlacht bei Leipzig leitete.

Auf den Spuren Napoleons


Der französische Herrscher Napoleon I. war bis zum Jahr 1812 so erfolgreich wie kein anderer Feldherr seit
Alexander dem Großen. Er ging in zahlreichen Kriegen als Sieger hervor, setzte Bekannte und Verwandte als Könige ein und sicherte sich mit Bündnissen ab. Doch immer mehr regte sich Widerstand gegen die französische Vorherrschaft, so dass Napoleon in den Befreiungskriegen zwischen 1813 und 1815 schließlich auf französisches Gebiet zurückgedrängt wurde.

Die größte und wichtigste Schlacht dieser Befreiungskriege fand vom 16. bis zum 19. Oktober 1813 rund um Leipzig statt. In dieser Völkerschlacht schlossen sich Preußen, Österreich, Russland und Schweden zusammen und errangen dabei den entscheidenden Sieg über Napoleon. Mit einer Mehrheit von 295.000 Soldaten und 1.360 Geschützen standen sie den 160.000 französischen Kämpfern mit lediglich 630 Geschützen gegenüber. Nach erbitterten Kämpfen erteilte Napoleon schließlich den Befehl zum Rückzug. Zwar konnte er mit einem Teil seiner Armee in den Morgenstunden des 19. Oktobers nach Westen in Richtung Lindenau entkommen, dennoch boten die Alliierten mit diesem Sieg dem Eroberungszug Napoleons durch Europa Einhalt.

Napoleon und die Tabaksmühle


Doch wo hielt sich Napoleon eigentlich während der Schlacht auf? Um einen möglichst guten Blick auf die Schlachtfelder zu haben, suchte er sich die
Marienhöhe aus. Sie lag zwischen den damaligen Dörfern Stötteritz, Probstheida und Connewitz, südöstlich von Leipzig. Hier stand zu diesem Zeitpunkt die Quandtsche Tabaksmühle, die 1743 vom Leipziger Kaufmann Johann Gottfried Quandt errichtet wurde. Die holländische Mühle diente der Verarbeitung von Tabak, der in Stötteritz angebaut wurde. Mit einem hölzernen Tisch, Karten, einem Schemel und großem Wachfeuer bezog Napoleon neben dieser Mühle seinen Posten. Die Mühle sollte jedoch nicht mehr lange dort stehen, da sie bei der Erstürmung Leipzigs zerstört wurde. Von wem, ist bis heute unklar. Die Mühle wurde nie wieder aufgebaut, jedoch erinnert der Name der Straße „An der Tabaksmühle“ noch heute an sie.

Ein kleiner Stein für einen kleinen Mann


Bereits 1832 wurde genau an dieser Stelle in Gedenken an die Völkerschlacht bei Leipzig ein simpler Gedenkstein errichtet. Dieser wurde später im Grunde des heutigen Napoleonsteins verankert. Auf Initiative des „Vereins zur Feier des 19. Oktobers“ hin wurde das neue Denkmal am 25. Oktober 1857 errichtet und vom Probstheidaer Pastor Blüher eingeweiht. Das Denkmal besteht aus einem gusseisernen, rötlichen Granitblock mit einem Sockel und einer Deckplatte. Darauf liegt ein Kissen mit Nachbildungen des Zweispitzes sowie des Fernrohrs Napoleons. Leidglich der Degen ist heute nicht mehr in Gänze ersichtlich.

Dass der Stein jenen Ort markiert, von dem aus Napoleon 1813 die Schlacht um Leipzig leitete, darauf verweist die Inschrift auf der Ostseite: „Hier weilte Napoleon am 18. Oktober 1813, die Kämpfe der Völkerschlacht beobachtend.“ 

Die Inschrift der Westseite lautete zunächst „Der Herr ist der rechte Kriegsmann. Herr ist sein Name. 2. Mose 15, 3“. Dieser Bibelauszug wurde jedoch später herausgeschlagen und durch Hinweise auf den Standort der Tabaksmühle ersetzt. So steht hier heute geschrieben: „Standort der ehemaligen Quandtschen Tabaksmühle, Befehlsstand Napoleons“.

Der Wächter und seine Gebeine


Zur Zeit der Erbauung des Napoleonsteins gab es den
Südfriedhof und auch den Stadtteil Marienbrunn noch nicht. Somit lag der Standpunkt sehr weit außerhalb der Stadt, weshalb 1869 ein Wächterhäuschen daneben gestellt wurde. Hier lebte in den 1870er Jahren der Alte Peters, ein Invalide aus dem Krieg 1870/71. Offiziell war er als Denkmalswächter angestellt. Gegen einen Obolus erzählte er Interessierten aber auch Geschichten über die Schlacht. In seinem kleinen Haus befand sich ein Kabinett aus Gebeinen, die Bauern über die Jahre fanden. 1886 wurde schließlich der Südfriedhof errichtet. Damit entfiel die Notwendigkeit eines Wächters. Zur Sicherung umschließt heute ein Gitterzaun mit zwölf Säulen das Denkmal.

Im Schatten des großen Nachbarn


Heute ist der Napoleonstein nicht mehr die erste Anlaufstelle für Besucher. Vielmehr zieht es Interessierte zum Völkerschlachtdenkmal in unmittelbarer Nähe. Das von den Leipzigern liebevoll „Völki“ genannte Denkmal wurde genau 100 Jahre nach der Schlacht, am 18. Oktober 1913, eingeweiht. Der Berliner Architekt
Bruno Schmitz arbeitete dabei gemeinsam mit den Bildhauern Christian Behrens und Franz Metzner. Heute ist das Völkerschlachtdenkmal Aussichtsplattform und Museum zugleich. Es gehört gemeinsam mit dem am Fuße des Denkmals befindlichen Museum Forum 1813 zum Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig.

Stand: 10.01.2024

Bildergalerie - Napoleonstein

Historisches Bildmaterial - Napoleonstein

Mückenschlösschen

Waldstraße 86 | Ortsteil: Zentrum-Nordwest

Das Mückenschlösschen befindet sich unmittelbar am Elstermühlgraben vor dem Rosental. Bei dem Namen handelt es sich um eine Anspielung auf den 1723 von August dem Starken geplanten Bau eines Lustschlosses an heutiger Stelle, welcher aufgrund der Mückenplage scheiterte. Das Mückenschlösschen wurde am 16. September 1892 von Gustav Strauss erbaut. Heute wird in der nach historischem Vorbild sanierten Gaststätte mit großzügigem Biergarten regionale, deutsche Küche angeboten. Die Veranstaltungsräume bieten eine authentische Kulisse für Events verschiedener Art.

Vom Lustschloss des starken Augusts zum Mückenschlösschen


Die Geschichte des Mückenschlösschens reicht bis ins frühe 18. Jahrhundert zurück. Genau an der heutigen Stelle des Mückenschlösschens an der Rosentalbrücke am Elstermühlgraben wollte der Kurfürst von Sachsen und König von Polen,
August der Starke, um 1723 ein Lustschloss erbauen lassen. Die Schneisen durch das Rosental waren für dieses Vorhaben bereits geschlagen. Aufgrund der vorherrschenden Mückenplage durch die sumpfige Umgebung bäumte sich das Pferd des Kurfürsten bei einem Besuch jedoch auf und er fiel herunter. Da die Schmach zu groß für ihn war, wich er – sehr zur Freude des Leipziger Stadtrates – von seinem Plan ab und das Schlösschen wurde nicht gebaut. 

Nach Erhalt der Baugenehmigung am 5. Juli 1890 für die Villa Oskar Linker vollendete der Architekt Gustav Strauss den entsprechenden Rohbau am 16. September 1892. Der 1895 unter dem Namen „Waldschlösschen“ eröffnete Gastronomiebetrieb wurde wenig später in Erinnerung an die Geschichte von August dem Starken in „Mückenschlösschen“ umbenannt. Nur vier Jahre nach der Eröffnung erfolgte im Februar 1898 bereits der erste Umbau in Form von zwei zusätzlichen Gästezimmern, einem Buffet-, Kaffee- und Billardzimmer. Im Jahr 1899 wurde der Kaufmann Johannes Meister neuer Eigentümer der Villa. Sein Plan eines Anbaus von Maschinenhaus, Pferdestall und Wirtschaftsgebäude wurde am 15. Juni 1990 von der „Königlichen Gewerbe Inspektion“ genehmigt, jedoch nie umgesetzt. Zwischen 1912 und 1921 wurde das Mückenschlösschen dreimal zwangsversteigert und ging am 23. Februar 1921 schließlich in den Besitz von J. Katzenellenbogen über. Aufgrund der Inflation musste die Villa 1923 schließen. Nach zahlreichen Besitzerwechseln wurde Arthur Beyerlein 1935 neuer Eigentümer des Geländes und nutzte dieses bis 1992 als Postkartenverlag. Ein Jahr später kaufte ein eng mit der Stadt verbundenes Ehepaar das Mückenschlösschen und ließ dieses nach historischen Vorlagen von 1890 von sächsischen Künstlern und Bauhandwerkern restaurieren. Am 1. August 1995 wurde das Gebäude von der Paulaner AG als Restaurant und Ausflugslokal übernommen und 1996 mit großem Biergarten direkt am Elstermühlgraben neu eröffnet. Im Jahr 2005 sanierten die neuen Pächter Josef Hutter und Henrik Dantz das Mückenschlösschen umfangreich. Sie bauten die zweite Etage aus und erweiterten das Lokal 2011 um drei zusätzliche Räume – Weinstube, Kaminzimmer und Rosentalsaal.

Sächsisch-bayerische Küche in historischer Kulisse


Das Mückenschlösschen zeichnet sich durch das authentische Ambiente nach historischem Vorbild aus. Insofern wird nicht nur für kulinarischen Genuss, sondern auch für ein entspanntes Verweilen der Gäste gesorgt. Im Erdgeschoss befindet sich das Restaurant mit kleinem gemütlichem Café sowie Bar und Tresen. Der großzügige Gastraum erinnert an das Ambiente, das vom einst wohlhabenden Bürgertum der Stadt genossen wurde. Er ist mit prachtvollen, original erhaltenen Kassettendecken und Wandvertäfelungen ausgestaltet. Die bei der Restaurierung wiederentdeckten floralen Wandbemalungen im Jugendstil vervollständigen gemeinsam mit der farblich dezent abgestimmten Einrichtung das historische Ambiente. Die Speisekarte des Mückenschlösschens umfasst größtenteils regional bodenständige Speisen mit aus Sachsen stammenden Erzeugnissen. Neben den à la carte Speisen, darunter Sächsische Kartoffelsuppe, gebratenes Zanderfilet und Flammkuchen, werden auch Getränke-Klassiker wie
Leipziger Allasch angeboten. Zum Angebot zählt zudem eine Auswahl an Fassbieren, darunter das Mückenschlösschen Spezialbier, Paulaner Premium Pils und Hefe naturtrüb. Als Traditionsgaststätte der Paulaner-Brauerei umfasst die Speisekarte auch bayerische Schmankerl, wie Gebratenen Leberkäse nach „Oberbayerischer Art“. Das Angebot wird außerdem um wechselnde saisonale Spezialitäten ergänzt. 

Entspannung mitten im Grünen bietet der großzügige, unmittelbar neben dem Elstermühlgraben gelegene Biergarten. Er wird um einen Holzspielplatz, einen hauseigenen Kräutergarten und eine historische Grotte ergänzt. In den Sommermonaten bietet sich auf dem Freisitz zudem die Möglichkeit, Grill-Partys ab 20 Personen zu veranstalten. Hierbei übernimmt das Mückenschlösschen das Einkaufen, Vorbereiten und Aufräumen, während die Gäste entspannt feiern und schlemmen können. 

Die Veranstaltungsräume des Mückenschlösschens bieten einen authentischen Rahmen für Events verschiedener Art, von Hochzeit über Firmenfeier bis Familienessen. Der Rosentalsaal bietet Platz für bis zu 100 Gäste, das Kaminzimmer und das Turmzimmer je bis zu 25 sowie die Weinstube bis zu 30. Die Buffetauswahl reicht von mediterran bis sächsisch. Der Veranstaltungskalender des Mückenschlösschens umfasst zudem auch verschiedene kulturelle Events, darunter Dinnershows, Theater und Kabarett. 

Stand: 10.01.2024

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Historisches Bildmaterial - Mückenschlösschen

Moritzbastei

Kurt-Masur-Platz 1 | Ortsteil: Zentrum

Die Moritzbastei wurde von 1551 bis 1553 nach Plänen von Hieronymus Lotter als Wehranlage errichtet und nach dem Auftraggeber, dem Kurfürst Moritz von Sachsen, benannt. Sie ist der letzte erhaltene Teil der ehemaligen mittelalterlichen Stadtbefestigung. Nach der Zerstörung der Moritzbastei im Zweiten Weltkrieg wurde sie ab 1974 in mühevoller Handarbeit von 30.000 Helfern, darunter zahlreiche Leipziger Studenten wie die spätere Bundeskanzlerin  Angela Merkel, von Trümmerschutt befreit. Seit der Eröffnung 1982 gilt die Moritzbastei als größter Studentenclub Europas.

Von der spätmittelalterlichen Wehranlage zu Lagerraum und Arbeitsstätte


Die Moritzbastei ist Leipzigs bekanntestes Kulturzentrum, in dem historische Architektur und modernes Kulturleben miteinander verbunden sind. Sie befindet sich unmittelbar neben dem
Gewandhaus zu Leipzig gegenüber dem City-Hochhaus und der Universität Leipzig am Promenadenring und blickt auf fast 500 Jahre wechselvolle Geschichte zurück.

Während des Schmalkaldischen Krieges wurde Leipzig im Januar 1547 für 21 Tage lang belagert, aber nicht eingenommen. Dennoch erwies sich die 2,5 Kilometer lange Stadtbefestigung im Zuge des versuchten Angriffs und gegen die entwickelte Kriegstechnik als zu schwach. Aus diesem Grund ließ Kurfürst Moritz von Sachsen die Verteidigungslücke zwischen dem Peterstor und dem Grimmaischen Tor schließen und veranlasste anstelle des stark zerstörten Henkersturms den Bau einer massiven Henkersbastei als zukünftige Wehranlage in offener Fünfecksform mit vier Meter dicken und 15 Meter hohen Mauern. Besonders ausgedehnt wurden die Kasematten angelegt, die unterhalb der Bastei als beschussfester Raum für Soldaten und Material dienten. Mit dem Bau der Bastei sollte die bestehende Stadtbefestigung gestärkt und die Kontrolle des Vorfeldes der Stadt sichergestellt werden. 1.200 Bauern mussten die geplante Anlage in Fronarbeit errichten. Für die Beschaffung von Baumaterial wurden nach Beschluss der Stadtväter die Überreste des Nonnenklosters auf dem Petersberg abgetragen. Künftig sollte der Schutz der Stadt durch drei Bastionen gewährleistet werden: Die Ranstädter Bastei im Nordwesten, die Hallesche Bastei im Nordosten und die Henkersbastei an Stelle des zerstörten Henkersturms im Südosten. Mit der Leitung des Baus von 1551 bis 1553 wurde Hieronymus Lotter beauftragt. Durch seine gewissenhafte Arbeit erhielt der spätere Bürgermeister Leipzigs in der Folge weitere Großaufträge in der Stadt sowie in ganz Sachsen, darunter den Umbau des Alten Rathauses und die Bauleitung von Schloss Augustusburg bei Chemnitz. An der Spitze der im stumpfen Winkel zueinanderstehenden, abgeschrägten Seiten der Schildmauer wurde das Kurfürstlich-Sächsische Wappen angebracht, von dem der Bildhauer Markus Gläser im Auftrag des Denkmalschutzes 2011 eine Kopie anfertigte. Das verwitterte Original wird im Innern der Moritzbastei präsentiert. 1554 erhielt das massive Bauwerk zu Ehren von Kurfürst Moritz von Sachsen seinen heutigen Namen „Moritzbastei“.

Im Dreißigjährigen Krieg wurde Leipzig zwischen 1618 und 1648 fünfmal belagert und beschossen. Da sich die Stadt bereits zu dieser Zeit zu einem bedeutenden Handels- und Messezentrum entwickelt hatte, war sie von kaiserlichen und schwedischen Truppen stark umkämpft. Die Stadtbefestigung geriet ab 1631 immer wieder unter Beschuss. Während des Siebenjährigen Krieges von 1756 bis 1763 wurde die Moritzbastei schwer beschädigt. Der Bastionenbau erwies sich als nutzlos, da Leipzig über die Schwachstellen im Mauerwerk zwischen den Basteien eingenommen wurde. Im Anschluss verlor die Moritzbastei ihre militärische Funktion und wurde zu einem Lager für Handelswaren und einer Arbeitsstätte für Buchdrucker, Glockengießer und Schwefelzieher umfunktioniert. Dank der Kasematten in Ziegelbauweise bot deren Tonnengewölbe Platz für Soldatenunterkünfte, die Lagerung von Ausrüstung, Waffen und Munition, während in der Gießerwerkstatt vor Ort Geschütze gegossen werden konnten. Auch ein Weinkeller wurde angelegt.

Vom Schuttberg aus Trümmern zu Europas größtem Studentenclub


Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Gebäude umgenutzt: Zwischen 1796 und 1834 errichtete die Stadt auf den Mauern der Moritzbastei die
Erste Leipziger Bürgerschule – deutschlandweit einzigartig. Die klassizistische zweiflügelige Anlage mit ovalem Mittelbau, die den fünfeckigen Grundriss der alten Bastei wieder aufnahm, entstand nach Plänen von Stadtbaudirektor Johann Friedrich Carl Dauthe und wurde nach seinem Tod von Wilhelm Kanne vollendet. Die Anlage nahm in einem Teil des Gebäudes am 2. Januar 1804 mit anfänglich 238 Schülern den Lehrbetrieb auf. Später wurde in den Gemäuern die Annenschule, eine Frauenberufsschule, aufgenommen. Bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg wurde das Schulgebäude in der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember 1943 schwer zerstört und dessen unterirdische Gewölbe nach 1945 mit Zehntausenden Tonnen Trümmern und Bauschutt befüllt. Von der einstigen Moritzbastei, deren Kasematten fast unversehrt blieben, war fortan nur noch ein Hügel im Park erkennbar.

1974 wurde der mit Bäumen und Sträuchern bewachsene Schuttberg wiederentdeckt und seine zukünftige Nutzung als Studentenclub beschlossen, mit dessen Planung die Architekten Bernd Lauenroth und Reinhard Plewe beauftragt wurden. Der erste Spatenstich erfolgte am 30. März 1974, als die Reste der Moritzbastei den Studenten der Karl-Marx-Universität als Ausbauobjekt Jugendclub übergeben wurden. In mühevoller Handarbeit mit Schaufel und Schubkarre begannen diese mit der Freilegung der zugeschütteten Moritzbastei. Unter den rund 50.000 Universitätshelfern befand sich auch die damalige Physikstudentin Angela Merkel. Aus den unterirdischen Gewölben wurden rund 35.000 Kubikmeter Trümmerschutt entfernt und die ursprüngliche Bauform der Kasematten wiederhergestellt. Der erste Bauabschnitt wurde am 1. Dezember 1979 zur Nutzung freigegeben und das „Jugend- und Studentenzentrum Moritzbastei“ 1982 nach acht Jahren und 150.000 Arbeitsstunden eröffnet. Die Übergabe des fertigen Komplexes erfolgte am 5. Februar 1982 an die Karl-Marx-Universität. Zur Wendezeit um 1989 wurde die Moritzbastei von der FDJ als Zentrum für Begegnungen betrieben, in dem Studenten kulturelle Veranstaltungen, Foren und Runde Tische organisierten. Durch die Hochschulreform in Sachsen 1992 erfolgte die Ausgliederung der Moritzbastei von der Universität. Sie wurde seit 1993 von der Moritzbastei Betriebs GmbH im Auftrag der Stiftung Moritzbastei betrieben unter der Prämisse, die studentische und akademische Kultur in Leipzig voranzutreiben.

Historische Architektur trifft auf modernes Kulturleben in uriger Atmosphäre


Seit den 1990er Jahren ist die Moritzbastei nicht mehr nur für Studenten zugänglich, sondern wird als öffentliches Kulturzentrum bewirtschaftet. Sie entwickelte sich zu einer der wichtigsten subkulturellen Treffs des Leipziger Nachtlebens. Tagsüber werden im Café und Restaurant Barbakane Speisen und Getränke angeboten. Zwei Gasträume, der „Fuchsbau“ und das „Schwalbennest“, wurden nach nicht mehr existierenden Studentenkneipen benannt. Abends sorgen Live-Konzerte nationaler und internationaler Künstler unterschiedlicher Genres von Jazz bis Rock sowie Kabarett, Diskothek und Kneipe für eine angenehme Atmosphäre in den unterirdischen Gewölben, darunter die „Veranstaltungstonne“ mit Bierbar. Durch die regelmäßig stattfindenden Lesungen, Theateraufführungen sowie Diskussionsrunden wie das seit 1996 bestehende
Tourismusfrühstück ist die Moritzbastei fester Bestandteil des Leipziger Kulturlebens. In den wärmeren Monaten wird auf der Sommerbühne im Freien ein vielfältiges Kulturprogramm geboten.

An den militärischen Ursprung des Gebäudes als Verteidigungsanlage erinnert heute die Kugelpyramide am linken Eingang der Moritzbastei, die aus aufgeschichteten Steingeschossen aus dem Dreißigjährigen Krieg besteht. 

Stand: 10.01.2024

Bildergalerie - Moritzbastei

Historisches Bildmaterial - Moritzbastei

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