Bildlexikon Leipzig

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Schornstein der Stadtwerke Leipzig

Arno-Nitzsche-Straße 35 / Stadtwerke-Gelände Leipzig Südost | Ortsteil: Connewitz

Leipzigs Skyline hat sich verändert: Ein Wahrzeichen der Braunkohlen-Ära, der 170 Meter hohe Schornstein des ehemaligen Kraftwerkes „Max Reimann“ in der Arno-Nitzsche-Straße in Leipzig-Connewitz, ist verschwunden. Am 10. September 2023 wurde er gesprengt. Das Interesse an diesem Ereignis war riesig. In vielen Straßen rund um den 200-Meter-Sperrkreis, der im Auftrag der Stadtwerke Leipzig angelegt wurde, herrschte regelrecht Volksfeststimmung. Hunderte Leipziger kamen, um sich das seltene Spektakel anzuschauen. Viele Anwohner hatten es sich auf Balkons, Terrassen oder in Gärten bequem gemacht, um die dreifache Faltsprengung zu verfolgen. Dabei zerfiel der Schornstein in drei Teile. Alles verlief komplett nach Plan. Die Thüringer Sprenggesellschaft setzte etwa 100 Kilogramm Sprengstoff ein.

Kurze Nutzungsdauer für den Schornstein


Der Schornstein auf dem Gelände der Stadtwerke Leipzig ist zum Zeitpunkt der Sprengung fast ein Vierteljahrhundert in seiner ursprünglichen Funktion ungenutzt. Ende des 19. Jahrhunderts entsteht auf dem Areal ein Gaswerk. Bis 1910 werden vier Behälter errichtet, die für die Speicherung von Gas und den Druckausgleich im Rohrnetz sorgen. 

1952 erhält das Gaswerk den Namen Gaskokerei „Max Reimann“. In den 1970er-Jahren endet die Geschichte des Werks als Erzeugungsort für Stadtgas aus Kohle. Danach wandelt es sich zu einem Standort der Fernwärmeversorgung. In diese Phase fällt der Bau des Heizwerkes mit dem 170-Meter-Schornstein. Dessen Grundstein wird im Mai 1984 gelegt. Ab Januar 1987 wird die weithin sichtbare Esse für die Rauchgasabführung eingesetzt. Ihre Nutzungsdauer ist kurz. Bereits 1996 rollt der letzte Kohlezug ins Kraftwerk in Connewitz. Somit hat der Schornstein nur eine Betriebszeit von neun Jahren. 

Fernsehsender kommen vom Schornstein


Zuletzt wird er von der Deutschen Funkturm GmbH für die Ausstrahlung von Fernsehsendern genutzt. Die hat 2016 einen neuen Funkturm an der Zwickauer Straße/Richard-Lehmann-Straße errichtet, um das digitale Antennenfernsehen DVB-T2 HD ausstrahlen zu können. Weil die Stadtwerke Leipzig jedes Jahr viel Geld in die Sicherung des riesigen Schornsteins investieren mussten, von dem der Putz bröckelte, wurde er abgerissen.

Stand: 29.11.2023

Bildergalerie - Schornstein der Stadtwerke Leipzig

Schulmuseum

Goerdelerring 20 | Ortsteil: Zentrum

Das Schulmuseum – Werkstatt für Schulgeschichte Leipzig ist eine Einrichtung der Stadt Leipzig in Zusammenarbeit mit der Universität Leipzig und der HTWK Leipzig. Nach den ersten Gründungen 1914 und 1984 und einer inhaltlichen Neuausrichtung befindet es sich seit 2000 am heutigen Standort am Goerdelerring. Das Schulmuseum thematisiert die 800-jährige Leipziger Schul- und Bildungsgeschichte und versteht sich als aktiver Lern- und Arbeitsort. Verschiedene Dauerausstellungen, historische Schulstunden und Workshops bieten Einblicke in die Entwicklung der Schule zwischen 1212 und 1989.

Zeitreise durch 800 Jahre Schulgeschichte in Leipzigs ersten Stasi-Bau


Die Geschichte des Schulmuseums reicht bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück, als im Jahr 1909 ein erster Verein zur Gründung eines Schulmuseums in Leipzig den Anstoß dazu gab, über die Historie und die Zukunft der Schule zu reflektieren. Anstelle eines Museums im klassischen Sinne wurde ein aktiver Lern- und Arbeitsort angestrebt. Der Vorsitzende des initiierenden Vereins, Max Brahn, ein Schüler von Wilhelm Wundt, galt zugleich als Gründer des Instituts für experimentelle Pädagogik und Psychologie mit Hilfe des Leipziger Lehrervereins im Jahr 1906. Die Anfänge des ersten Schulmuseums in einem Klassenzimmer einer Leipziger Volksschule im Jahr 1914 wurden aufgrund des Ersten Weltkrieges frühzeitig beigelegt. Auch nach 1918 konnte die begonnene Gründung des Schulmuseums nicht weiter verfolgt werden. Max Brahn wurde nach 1920 Opfer von zunehmend antisemitischen Anfeindungen, woraufhin sein 1916 gegründetes Archiv für Pädagogik in Leipzig keine Zukunft mehr hatte. Im Jahr 1933 verlor er seine zuvor ausgeübten Ämter in Berlin, darunter jenes als Streitschlichter und als Regierungsrat, bevor er in die Niederlande auswanderte und 1944 in Auschwitz ums Leben kam.

Ein zweiter Anlauf für die Neugründung des Leipziger Schulmuseums fand 1984 statt. Seine erste Heimstätte fand es in einem Klassenzimmer der Georg-Schwarz-Schule im Stadtteil Lindenau. Da durch die begrenzten Räumlichkeiten eine solide Museumsarbeit nur sehr eingeschränkt möglich war, zog das Schulmuseum 1994 in die Hohe Straße am Floßplatz. Als einstiger Fachberater für Staatsbürgerkunde fühlte sich der damalige Museumsleiter seinem Auftrag verpflichtet, den Besuchern die schlechten Seiten der Schule früherer Zeiten zu veranschaulichen und die vorbildliche Schule im Sozialismus aufzuzeigen. 

Durch die Stadt Leipzig wurden nach 1998 eine fundamentale personelle Erneuerung sowie eine inhaltliche Neuausrichtung der Sammlungskonzeption und der Vermittlungsformen initiiert. In diesem Zuge wurde das Schulmuseum im Jahr 2000 in das Gebäude des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR verlagert. Gemeinsam mit seinen Vorgängerbauten, der Burg urbs lipzi aus dem 11. Jahrhundert, dem Franziskanerkloster aus dem 13. Jahrhundert und der Matthäikirche aus dem 19. Jahrhundert, zählt der Standort des Gebäudes zu den ältestem besiedelten Teilen Leipzigs.

Bildungsideale im Wandel der Zeit: Zwischen Kaiserzeit und Diktaturen


Im Schulmuseum werden auf drei Etagen neben den Dauerausstellungen zu den Themen „Schule unterm Hakenkreuz“, „Schule in der DDR“ und „Schule im Widerstand“ auch Sonderausstellungen, Workshops, historische Unterrichtsstunden und Projekte angeboten. Die Ausstellungen thematisieren die Leipziger Schul- und Bildungsgeschichte, die schwerpunktmäßig in den zeitlichen Abschnitten 1212 bis 1933 sowie 1933 bis 1989 illustriert und erörtert wird. Während in der zweiten Etage die Themen „Schule in der Kaiserzeit“, „Israelitisches Schulwesen“, „Bürgerstolz und Bildung“ sowie „Reformpädagogik“ im Fokus stehen, werden in der dritten Etage die Themen „Schule und Widerstand“ während der zwei deutschen Diktaturen dargestellt. Die Dauerausstellung 1212 bis 1933 veranschaulicht die damals gegenwärtigen Bildungsideale, welche mit Hilfe von aussagekräftigen Exponaten dabei hilft, frühere Schulen aus heutiger Sicht neu zu beurteilen. Erörtert werden auch der Einfluss der Kirche und der Universität auf die Bildungsangebote. Die Besucher erhalten Informationen zu den geschichtlichen Hintergründen der Volksschulen sowie der Gymnasien, Berufsschulen und Realschulen, welche in der Kaiserzeit von 1871 bis 1918 einen großen Aufschwung erfuhren. In einem den Vorschriften der Zeit ausgestatteten Klassenzimmer zur Volksschule um 1900 erhalten die Besucher authentische Einblicke: Von geöltem Dielenfußboden, über Herrscherbilder von Kaiser und König an den Wänden, Holzpodest mit Lehrerpult, Doppelsitzer-Schulbänken aus Eiche, olivgrünem Ölsockel und schwarzen Gestelltafeln mit Treppenstufen.

Die Dauerausstellung illustriert weiterhin die schwierigen Anfänge der Waldschule bis zu ihrem Ende 1942, ebenso wie die Carlebach-Schule als erste jüdische Schule Sachsens, welche 1912 geöffnet und 1942 endgülig geschlossen wurde. In einem Schaudepot in der Ausstellung werden mehr als 1.500 Rollkarten, Schulwandbilder und Tafelbilder aubewahrt, die über mehrere Jahrzehnte für die Veranschaulichung verschiedener Unterrichtsfächer verwendet wurden. In der sogenannten „Wunderkammer“ werden historische Unterrichtsmittel der Physik und Chemie, darunter Modelle eines Viertaktmotors, eines Hochofens oder einer Dampfmaschine sowie Schulwandbilder ausgestellt. Der Realienraum mit Herbarien, Tierpräparaten und Schaukästen ist dem fächerübergreifenden Naturkundeunterricht gewidmet. Die Ausstellung wird durch eine geologische Sammlung, Hörstationen und einen Fühlkasten ergänzt. Bei dem Kleinplanetarium ZKP 1 in einem weiteren Ausstellungsraum aus dem Jahr 1957 handelt es sich um eine Rarität, welche Ende der 1980er Jahre aus dem Naturkundemuseum Leipzig ins Schulmuseum gelangte.

„Hände falten, Schnabel halten, Kopf nicht drehen, nach vorne sehen, Ohren spitzen, gerade sitzen!“ – authentische Schulstunden nach historischem Vorbild


In den Dauerausstellungen 1933 bis 1989 werden die zwei Diktaturen und ihre Einflüsse auf die Entwicklung der Leipziger Schulen veranschaulicht. Durch die drei historischen Brüche in den Jahren 1933, 1945 und 1989 wurden jeweils neue Erziehungsziele und Lehrpläne eingeführt. Im Ausstellungsbereich „Schule unterm Hakenkreuz“ wird über Besonderheiten in der nationalsozialistischen Erziehung informiert und mit Filmen, Spielen, Bildern, Lehrplänen und Aufsätzen aus Leipziger Schulen zwischen 1933 und 1945 illustriert. Bei dem Bereich „Die Leipziger Meuten“ handelt es sich um die bisher einzige Ausstellung zum bedeutenden jugendlichen Widerstand zwischen 1933 und 1945 in Leipzig. „Kinder in Uniform – Staatsjugend in zwei deutschen Diktaturen“ lässt überwiegend Bilder, Hörstationen mit Zeitzeugeninterviews sowie originalen Tondokumenten für sich sprechen. Beispiele von widerständigen Lehrern und Schülern während den Diktaturen werden im Ausstellungsabschnitt „Gegen den Strom – Schule im Widerstand“ illustiert und erörtert. Im Raum „Polytechnische Oberschule 1985“ wird ein DDR-Klassenzimmer der achtziger Jahre mit originalen Einrichtungsgegenständen, darunter Schulbücher, originale Pflanzenkübel, beigefarbener Fußbodenbelag, Malimo-Gardinen und Wandbilder, nachgestellt. Das 2017 neu konzipierte „Schaudepot DDR-Schule“ präsentiert rund 1.500 Objekte aus dem Schulalltag und bietet Einblicke in die einzigartigen Exponate zur DDR-Schule. Der Ausstellungsbereich „Fremde und Gleiche“ illustriert den Umgang der DDR-Schule mit Ausländern. Zu den Ausstellungsbereichen werden auch Workshops angeboten.

Zusätzlich zu den Dauerausstellungen bietet das Schulmuseum Unterrichtsstunden der Kaiserzeit und der DDR an. Diese wurden auf Grundlage von Quellentexten und verbindlichen Empfehlungen von 1904 und 1985 konzipiert. Während der Kaiserzeitstunde in einer Volksschule um 1900 kann im historischen Klassenzimmer „Schule früher“ mit Griffel und Schiefertafel, Gebet zu Beginn und am Ende der Stunde nachempfunden werden. Bei dem Angebot „Zivilcourage – Heimatkunde 1985“ handelt es sich deutschlandweit um ein Alleinstellungsmerkmal des Schulmuseums.

Stand: 29.11.2023

Weinkauf, Bernd

Schriftsteller, Kunsthistoriker | geb. am 26. Februar 1943 in Küstrin

Vor der Faust- und Mephisto-Statue mit dem goldenen Schuh von Mathieu Molitor – immerhin eines der beliebtesten Fotomotive für Touristen in Leipzig – möchte Bernd Weinkauf diesmal nicht abgelichtet werden. Er ist zwar seit 1996 der Haushistoriker vom Auerbachs Keller in der Mädler Passage. Doch im inzwischen zweiten Buch „Leipziger Merkwürdigkeiten“, welches im Sax-Verlag erschienen ist, tauchen die beiden Gesellen eben nicht auf. Schriftsteller Weinkauf kommt es auf jedes Detail an. Er liebt es, fragile Fakten zu recherchieren und unbekannte Dinge zu hinterfragen. Mit seinem Spürsinn ist es dem Kunsthistoriker mehrfach gelungen, in seinen Büchern mit liebgewonnen Missverständnissen aufzuräumen und unbekannte Kapitel in der Leipziger Geschichte zu beleuchten. Wie jüngst die Momente aus der jüngeren Geschichte der Stadt Leipzig, die eben „des Merkens würdig sind“, wie der Verlag schreibt. Im kurzweiligen Band, der mit einem antiquarischen Outfit daherkommt, klärt er beispielsweise über die (hierzulande längst vergessenen) Trinkhallen auf, die hier einst ebenso wie die weitaus bekannteren „Büdchen“ in Düsseldorf oder Köln ihre Genießer finden.

Ein bekennender Leipziger mit Faible für Historie


Weinkauf ist ein bekennender Leipziger, seit er als junger Mann zugewandert ist. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wird seine Familie von Küstrin nach Hettstedt vertrieben. Der junge Mann macht das Abitur, studiert danach Deutsche Sprache, Literatur und Kunsterziehung am Pädagogischen Institut in Erfurt. Nach einigen Jahren als Lehrer und Truppenbibliothekar verschlägt es ihn 1973 ans Institut für Literatur „Johannes R. Becher“ nach Leipzig, wo er bis 1976 lehrt. Es folgt die Arbeit als Dramaturg am
Theater der Jungen Welt (bis 1979). Seitdem ist er als freier Autor und Werbetexter tätig und begeistert durch seine Neugier auf Themen ein geschichtsbegeistertes Publikum. Und er gehört zur illustren Runde am Stammtisch „Goglmohsch“, den der Leipziger Kabarettist und Schriftsteller Bernd Lutz-Lange im Jahre 1984 in der Gaststätte Boccaccio in der Kurt-Eisner-Straße in der Südvorstadt gründet. 

Nach der Friedlichen Revolution folgt ein kurzes Intermezzo im Leipziger Rathaus als Stadtrat für Kultur, das aber am 9. Mai 1991 beendet wird, als eine Zusammenarbeit als informeller Mitarbeiter für die DDR-Staatssicherheit publik wird. Dennoch kann er im Rathaus einige Weichen stellen, etwa den Neustart der Stadtbibliothek im ehemaligen Gebäude des VEB Chemieanlagenkombinates Leipzig beflügeln, das einst als Grassi-Museum gebaut worden war. Seitdem ist er als freier Autor tätig. Und legt 1999 ein bemerkenswertes Buch vor, in welchem er Leipzig mit Goethes Augen sieht.

Der Haushistoriker von Auerbachs Keller


Zum Haushistoriker von Auerbachs Keller ist er ernannt worden. 1998 ist er beteiligt, die Feierlichkeiten zu 450 Jahre Weinausschank im Traditionslokal vorzubereiten. Er richtet ein „Faustseminar“ ein und braucht eine Visitenkarte. Doch was darauf schreiben? Haushistoriker eben. Sein Meisterwerk wird dann 2015 die „Chronik von Auerbachs Keller“.

Zuvor hat er schon die Gästebücher ausgewertet und muss dafür wahre Detektivarbeit leisten. Die Idee dafür entsteht, als jemand den damaligen Wirt Bernhard Rothenberger fragt, ob Adolf Hitler jemals Gast im Auerbachs Keller war? War er nicht, dafür viele andere Persönlichkeiten. Dazu gehört beispielsweise auch Bismarck. Die Recherche ergibt, dass es keineswegs der Reichskanzler ist, sondern jemand aus dessen Familie. Wer genau, kann allerdings nicht exakt geklärt werden.

Nur wenige Gästebucheinträge sind bei null Promille geschrieben worden, auf einigen Seiten hat auch der Rotwein seine Spuren hinterlassen. Es ist schwierig, die alten Handschriften zu entziffern. Sogar Hieroglyphen müssen gelesen werden, wobei Weinkauf dabei auf Experten zurückgreift. Dutzende Napoleons haben sich in den Büchern der Traditionsgaststätte verewigt. Wobei der echte Franzosenkaiser, so der Autor, niemals in Auerbachs Keller eingekehrt ist. Was auf der Flucht nach der Völkerschlacht 1813 wohl auch etwas schwierig gewesen wäre.

Leipziger Geheimnisse


Weinkauf ist auch vielen anderen „Leipziger Geheimnissen“ auf der Spur. So erklärt er in einem gleichnamigen im Bast Medien Verlag erschienen Buch, warum es sich beim Hufeisen an der
Nikolaikirche um ein echtes Leipziger Wahrzeichen handelt. Und warum an den Klinken der Eingangstüren vom Neuen Rathaus Schnecken aus Eisen zu finden sind. Das sind liebenswerte Relikte, die an die Entstehungsjahre des Verwaltungssitzes erinnern. Die sollen sicherlich keine Konkurrenz für den Leipziger Löwen sein. Das langsam kriechende Weichtier ist nur ein hübscher Schmuck. Es weist darauf hin, wie sehr sich der Bau des Neuen Rathauses in die Länge gezogen hat.

Regelmäßig publiziert Bernd Weinkauf in den „Leipziger Blättern“.

Stand: 29.11.2023

Bildergalerie - Weinkauf, Bernd

Orpheus – Relief

Augustusplatz 8 | Ortsteil: Zentrum

Das Relief „Orpheus“ schuf der Bildhauer Johannes Hartmann 1904 anlässlich der Weltausstellung in Saint Louis. Es befindet sich heute am 1981 eröffneten Gewandhaus zu Leipzig und wurde am Eingang eines Durchgangs angebracht, der in einen kleinen Lichthof mündet. Von dort aus gelangt man zur Gewandhauskasse und zum Mendelssohn-Saal.

Stand: 27.09.2023

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Wolff, Ann-Elisabeth

Festivalleiterin der euro-scene Leipzig | geb. am 14. März 1953 in Halle (Saale)

Theater, Theater – auch das ist Leipzig. Große Spielstätten und kleine Bühnen. Bekannte Stücke und experimentelle Performances. Immer aber: Leidenschaft und brennendes Engagement. So wie bei Ann-Elisabeth Wolff. Sie hat dem Festival euro-scene Leipzig ihren Stempel aufgedrückt. Entschlussbereit, hartnäckig, strahlkräftig.

Künstlerisch ambitioniert, von Anfang an


Die familiäre Herkunft von Ann-Elisabeth Wolff war prägend. Sie wuchs in Leipzig in einer künstlerisch ambitionierten Familie auf. Von 1971 bis 1975 studierte sie Musikwissenschaften an der damaligen
Karl-Marx-Universität. Ihren Berufseinstieg vollzog sie 1975 beim weltberühmten Leipziger Musikverlag Edition Peters. Lektorin blieb sie dort bis 1990. An dieser Stelle muss der Hinweis genügen, dass auch die Edition Peters der gewundenen, teils erratischen Geschichte vieler Leipziger Verlage folgte. Unerschütterlich Geglaubtes galt ab 1990 in der unverhofft wiedererlangten deutschen Einheits-Verlagslandschaft plötzlich nicht mehr. 

Ausgerüstet mit jeder Menge Fachwissen und professioneller, publizistischer Neugier und ausgestattet mit der nötigen Änderungsbereitschaft stieg Ann-Elisabeth Wolff um und gelangte als Stellvertreterin des Theaterwissenschaftlers und Schauspielregisseurs Matthias Renner ab 1991 an die Spitze der neu etablierten euro-scene, eines Leipziger Theaterfestivals. Mitten in den allgegenwärtigen Umbrüchen der Jahre 1990 und 1991 ging die euro-scene als Neugründung aus der Leipziger Schauspielwerkstatt hervor und nannte sich im Untertitel unmissverständlich gleich selbst Festival der europäischen Avantgarde.

Prägende Leiterin der euro-scene Leipzig


Später nahm die euro-scene explizit Bezug auf zeitgenössisches europäisches Theater und Tanz. Da war das experimentierfreudige Treffen unkonventionell agierender Bühnenschaffender längst eine bekannte Marke in der Szene in Europa, Euro-Scene eben. 

Nach dem frühen Tod von Matthias Renner im Jahre 1993 regte der damalige Leipziger Kulturbürgermeister Georg Girardet an, Ann-Elisabeth Wolff solle die Leitung des Festivals übernehmen. Im Leitungskollektiv hatte sie längst die erforderlichen Erfahrungen gesammelt. Und damit bekam die euro-scene in ihrem dritten und den folgenden fast 30 Jahren eine resolute Chefin.

Ann-Elisabeth Wolff ist keine Leiterin vom Büro aus. Sie muss raus, viel unterwegs sein, andere Festivals kennenlernen, Eintrittskarten für Aufführungen ergattern, für die es monatelang schon keine Karten mehr gibt, Kontakte knüpfen, Avantgardisten nach Leipzig locken. Und damit hatte jeder Leipziger Kulturherbst eine Konstante mit enormer Ausstrahlung, die euro-scene. Der europäische Gedanke ist ihr fest eingepflanzt. Als sich immer mehr mittel- und osteuropäische Länder anschickten, Mitglieder der Europäischen Union zu werden, gingen Einladungen nach Leipzig gezielt dorthin. Das Festival und seine Leiterin wirkten als Brückenbauer in Europa, und es gelang ihnen, viele kulturvolle Konstruktionselemente in die verbindenden symbolischen Bauwerke einzufügen.

„Ein Festival ist kein Supermarkt. Es ist ein Rausch“, versuchte Ann-Elisabeth Wolff einem auf unsicherem Terrain wandelndem Nachfrager das Geheimnis der alljährlichen Leipziger Avantgarde-Zusammenkunft zu erschließen. 

Mediale Aufmerksamkeit war dem Theater- und Tanz-Treffen und seiner Leiterin stets sicher. Die euro-scene sei eines der schrillsten europäischen Festivals, befand die Hamburger „Zeit“ und lobte – üblicherweise mit höchster Anerkennung eher geizend – die besondere Qualität der sechs besonderen Leipziger Performance-Tage in jedem November. Da war die euro-scene sehr zur Freude des aufgeschlossenen Publikums längst in der Spitzengruppe der deutschen Theater- und Tanzfestivals angekommen. Das Experimentelle, die kühne Ästhetik waren gefragt und wurden mit Beifall goutiert.

Drei markante Festival-Jahrzehnte


Festivalleiterin Wolff fand im Autokonzern
BMW, der in Leipzig ab dem Jahr 2001 mit einem neuen Werk intensiv Wurzeln zu schlagen begann und Unternehmens-Kultur besonders hochhielt, einen potenten Förderer der euro-scene. Mit diesem Engagement schmückten sich beide Seiten über zehn Jahre hinweg. Doch irgendwann fällt jeder Vorhang. 

Ein Autokonzern greift dem Festival längst nicht mehr als finanzieller Förderer unter die Arme. Diese Aufgabe müssen die Stadt Leipzig und das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus inzwischen allein stemmen.

Wichtiger noch: Im Jahr 2020 sollte Festivalleiterin Wolff den Staffelstab nach dem 30. Jahrgang der euro-scene planmäßig an Christian Watty übergeben. „Planmäßig“ bekam wegen Corona allerdings einen unverschuldet herben Beigeschmack. Festivals waren von den verordneten Einschränkungen öffentlicher Auftritte und Begegnungen mit am härtesten betroffen. Die 30. euro-scene musste abgesagt werden. Auch wenn Ann-Elisabeth Wolff ein öffentlich wirksamerer beruflicher Abschied als vor dem Start der 31. euro-scene unbedingt zu gönnen gewesen wäre, bleibt als ihr finales, fortwirkendes Verdienst doch bestehen, dass sie diesem Festival ein Gesicht, eine klare Handschrift und einen europäischen Zuschnitt gegeben hat. Nachhaltigkeit und die Arbeitswelt umschreiben den inhaltlichen und ästhetischen Kosmos, in dem das Festival weiterhin verortet werden soll.

Ann-Elisabeth Wolff und die euro-scene Leipzig nicht in einem Atemzug zu nennen, das wäre drei Jahrzehnte lang nicht gegangen. Das Festival wird deshalb wohl noch geraume Zeit vom Wirken und den Impulsen seiner langjährigen Leiterin profitieren. Sie wohnt ja mitten in der Stadt und hat es nicht weit bis zu den 12 bis 14 Theater- und Tanzstücken an den sechs Festivaltagen jedes Herbstes.

Stand: 01.04.2022

Bildergalerie - Wolff, Ann-Elisabeth

Wildpark

Koburger Straße 12 a | Ortsteil: Connewitz

Der Wildpark befindet sich im Connewitzer Holz im südlichen Auwald. Auf rund 46 Hektar Fläche können 25 einheimische Tierarten mit etwa 250 Tieren aus den Wäldern Mitteleuropas in weitläufigen, naturnahen Tiergehegen beobachtet werden. Gegründet wurde die Anlage im Jahr 1904, als ein Connewitzer Mühlenbesitzer der Stadt vier Damhirsche schenkte, für die eine artgerechte Unterbringung nötig wurde. Der Wildpark zählt zu den beliebtesten Ausflugszielen in Leipzig. Der Eintritt ist frei.

Am Anfang waren vier Damhirsche…


Die Anfänge des direkt an der
Pleiße im südlichen Auwald gelegenen Wildparks reichen bis ins frühe 20. Jahrhundert zurück. Der Mühlenbesitzer Richard Jacob aus Connewitz schenkte der Stadt Leipzig im Jahr 1904 vier Damhirsche, welche im Connewitzer Holz anständig untergebracht und eingepfercht werden mussten. In den Folgejahren wurde der Tierbestand um Rot- und Schwarzwild erweitert und die bauliche Ausstattung vergrößert. Aufgrund des hochwassergefährdeten Geländes wurde 1906 unter der Leitung des damaligen Connewitzer Revierförsters ein 55 Hektar großes Gehege auf den hochwassergeschützten Heidaer Wiesen angelegt. Aus einer einstigen Grube, die dem Lehmabbau für die Abdichtung des Wasserbeckens vor dem Völkerschlachtdenkmal diente, entstand der sogenannte Hakenteich gegenüber dem Wildschweingehege. 1911 wurde ein Schutzhäuschen erbaut und der Wildpark entwickelte sich zu einem beliebten Ausflugsziel der Leipziger. Um die gastronomische Versorgung zu gewährleisten, wurde 1922 unter dem Namen Café zum Hirschpark ein massives Gasthaus errichtet, dessen Geschäft bis zur Weltwirtschaftskrise erfolgreich lief. Nach dem Konkurs wurde es 1934 von Hermann Konrad ausgebaut und 1935 unter dem Namen Gaststätte Wildpark wiedereröffnet. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Gaststätte und der Wildpark zum Großteil zerstört und der gesamte Tierbestand in die Freiheit entlassen. Der vom Stadtrat beschlossene Wiederaufbau des Wildparks an gleicher Stelle begann erst 1974, bevor er 1979 schließlich in viel größerem Umfang als zuvor wiedereröffnet wurde. Im Zusammenhang mit der Erweiterung des Tierbestandes entstanden auch ein Kinderspielplatz, eine Ponyreitbahn und die unmittelbar am Hakenteich gelegene Wildparkgaststätte. Im Jahr 1992 wurde ein 4.800 Quadratmeter großer Froschteich zum Feuchtbiotop erweitert und ein Ottergehege mit Teich angelegt sowie 1998 ein 500 Quadratmeter großes Luchsgehege errichtet. 1997 folgte der Bau eines 1,6 Hektar großen Wolfsgeheges. 2003 wurde ein durch das Gehege des Dam-, Rot- und Muffelwilds führender Erlebnispfad eingeweiht.

Artgerechte (Er-)haltung inmitten des Auwaldes


Auf der 42 Hektar großen Fläche können die Besucher im Wildpark etwa 25 verschiedene heimische Tierarten mit circa 250 Tieren in naturnaher Umgebung aus nächster Nähe beobachten. Der Tierbestand umfasst Damwild, Haarraubwild, darunter Iltisse, Hermeline, Baum- und Steinmarder sowie Füchse, ebenso wie Greifvögel, verschiedene Eulenarten, Kolkraben, Elche und Wisente. Auch Tierarten, die erst in letzter Zeit bei uns heimisch geworden sind, kann man sehen, darunter Waschbär, Mink oder Muffelwild. In den Vogelhütten sind Taggreifvögel wie Mäusebussarde und Habichte untergebracht. Das Hauptaugenmerk liegt auf der heimischen Fauna sowie auf in Mitteleuropa lebenden Tieren, die in der Umgebung heimisch geworden sind. Besonderer Wert wird auf eine artgerechte Haltung der Tiere gelegt. Die Gehege sind naturnah gestaltet, damit die Tiere ihre natürlichen Verhaltensweisen beibehalten und durch die weitläufigen Freigehege unter authentischen Bedingungen beobachtet werden können. Auffallend ist, dass das Areal beinahe nahtlos in den angrenzenden Auwald eingebunden ist. Neben der Versorgung von wildlebenden Tieren widmet sich der Wildpark heute auch der Erhaltungszucht seltener Tierarten, welche in freier Wildbahn beinahe ausgestorben sind. Dazu zählen beispielsweise Wisente und der Europäische Nerz. Der Wildpark nimmt am Internationalen Erhaltungszuchtprogramm für den Europäischen Nerz teil und ist im Zusammenhang mit seinem Wisentbestand im „Internationalen Wisentzuchtbuch“ gelistet. Mit seinem Tierartenbestand ergänzt sich der Wildpark sehr gut mit dem
Zoo Leipzig, der hauptsächlich exotische und vom Aussterben bedrohte Tiere aus der ganzen Welt zeigt.

Von Ponyreiten bis Klassenzimmer im Grünen: Spaß und Bildung für jedermann


Heute ist der Wildpark Anziehungspunkt für Leipziger, Auswärtige, Tierfreunde und Spaziergänger gleichermaßen. Auch Fahrradfahrer, die den Wildpark auf dem Weg zum nahegelegenen
Cospudener See im Leipziger Neuseenland durchqueren, machen gern einen Abstecher zu den Wildgehegen. Für Familien ist er eines der beliebtesten Ausflugsziele in Leipzig, nicht nur aufgrund der Tiere, sondern auch aufgrund des großzügig und originell gestalteten Spielplatzes, an dessen benachbarten Kiosk man sich stärken kann. Einen Besuch wert ist unbedingt die Haustierfarm im Wildpark Leipzig, wo die Gäste gegen Eintritt über 21 Tierarten und 44 Rassen mit rund 150 Tieren sehen können. Auch Kamel- und Ponyreiten oder Kremserfahrten durch den Auwald werden angeboten.

Herzstück des Wildparks ist noch heute die nach Entwürfen von Winfried Sziegoleit und Volker Sieg gestaltete rustikale Wildparkgaststätte. In urigem Ambiente werden deutsche Hausmannskost und saisonale Gerichte angeboten. Wem es weniger nach deftigen Speisen zumute ist, der kann aus einem großen Angebot an Kuchen und Torten des Café-Kandler wählen. Im südlichen Abschnitt des Wildparks gelegen befindet sich auch das ursprünglich als Russisches Blockhaus erbaute Teehaus. Dieses wurde vier Wochen vor der Übergabe an den Wildpark auf der Herbstmesse 1979 im Sowjetischen Pavillon als russisches Bauernhaus ausgestellt, bevor es zu einer gemütlichen Gaststube mit verschiedenen Teespezialitäten wurde. 

Der am 8. Juli 2002 gegründete Verein der Freunde und Förderer des Wildpark Leipzig e.V. kümmert sich neben der Unterhaltung und Entwicklung des Parks um ein breites Bildungsprogramm. Zu den Angeboten zählen neben Rundgängen für Schulklassen und Kindergartengruppen das extra für Schulklassen konzipierte „Klassenzimmer im Grünen“ mit Unterricht im Freien und einem hohen Erlebnis- und Anschauungswert. Im Ausstellungsraum des Wirtschaftsgebäudes finden zudem regelmäßig interessante Veranstaltungen statt. 

Stand: 27.09.2023

Bildergalerie - Wildpark

Historisches Bildmaterial - Wildpark

VINETA

Großpösna (Sachsen) | Störmthaler See

Das auf dem Störmthaler See schwimmende Kunstprojekt VINETA erinnert seit seiner Eröffnung am 3. Juni 2011 als Mahnmal für die dem Braunkohletagebau zum Opfer gefallenen Dörfer. Mit einer Traufhöhe von 15 Metern gilt die VINETA als höchstes schwimmendes Bauwerk auf einem deutschen See und dient als beliebtes Ausflugsziel. Seit der Eröffnung wird sie vom Krystallpalast Varieté Leipzig betrieben.

Kunst statt Kohle: Vom Tagebau zum Schwimmenden Mahnmal


Bis zum Anfang der 1990er Jahre war die Region im Südraum Leipzigs eine weitläufige Braunkohlelandschaft. Im Zuge des Braunkohletagebaus verschwanden zahlreiche Dörfer für immer, darunter allein im zwischen 1937 und 1996 bestehenden Tagebau Espenhain die Gemeinde
Magdeborn sowie 19 weitere Siedlungen. Als Anregung für die VINETA diente die Magdeborner Kirche. Die Gemeinde Magdeborn lag rund 12 Kilometer südöstlich von Leipzig. Der Ort wurde um 1940 um eine Siedlung für die Beschäftigten des entstehenden Braunkohlewerks Espenhain erweitert. Gegen Ende der 1960er Jahre wurden die rund 3.200 Einwohner Magdeborns schrittweise aus dem zum Abriss und zur Überbaggerung durch den Tagebau Espenhain freigegebenen Ort umgesiedelt. Dabei handelt es sich um die größte Anzahl an Einwohnern, die im Südraum Leipzigs ihre Heimat aufgrund des Braunkohleabbaus verlassen musste. Die letztliche Überbaggerung fand zwischen 1977 und 1980 statt. Heute ist ein Großteil der Fläche des ehemaligen Dorfes Magdeborn vom Störmthaler See bedeckt, der andere Teil gehört zum 1996 nach Großpösna eingemeindeten Störmthal. VINETA symbolisiert heute die einstige, das Stadtbild Magdeborns prägende Magdeborner Kirche. Vor ihrem Abriss wurde letztere am 3. September 1978 entwidmet und ihr Inventar in anderen Kirchen untergebracht, so etwa die Orgel in der Martin-Luther-Kirche Markkleeberg, drei Glocken in der Pauluskirche im Leipziger Stadtteil Grünau und der Altar in der Lutherkirche Chemnitz-Harthau.

Seit Ende der 1990er Jahre arbeitete eine Leipziger Künstlergruppe mit dem Leitnamen „Kunst statt Kohle“ an der Entwicklung von Kunstobjekten, welche eine Verbindung zwischen Geschichte und Landschaft darstellen sollten. In diesem Zuge entstanden neben den Projekten „Sirenen“, „Schmetterling“ und „Versteinerte Zeit“ auch die VINETA als schwimmendes Mahnmal in Gedenken an die rund 24.000 Menschen, die aufgrund des Espenhainer Braunkohletagebaus ihre Heimat verloren. Nach der Flutung der Tagebaulöcher entstanden der Störmthaler See und der Markkleeberger See.

Kultur- und Gedächtnisstätte am historischen Standort


Die Anregung zum Bau der VINETA stammte von der Künstlerin
Ute Hartwig-Schulz. Die erste Idee zu einer Installation in Form eines aus dem Wasser ragenden Kirchturms kam der Bildhauerin bereits 13 Jahre vor der letztlichen Umsetzung. Der Überlieferung nach versank die Stadt Vineta aufgrund ihrer unverhältnismäßigen Prachtentfaltung und Prunksucht im Zuge einer verheerenden Flut als Gottesurteil vor etwa 1.000 Jahren in der Ostsee.

Die Grundsteinlegung für den Bau der VINETA erfolgte im Jahr 2002 durch den Einbau von vier, die Ankerkette haltenden Fundamenten, in den trockenen Seegrund. Während der zunächst natürlichen Flutung des Tagebaulochs ab 2001 trug ein Hilfsponton die Ketten nach oben. Im Jahr 2003 begann die aktive Flutung des Tagebaus Espenhains, dem zukünftigen Areals des Störmthaler Sees. Nach der langwierigen Planungsphase und der Beschaffung von notwendigen Fördermitteln erfolgte 2007 die Anlieferung und der Bau des 300 Quadratmeter großen, unsinkbaren und etwa 260 Tonnen schweren Pontons, dem schwimmenden Fundament der VINETA. Von 2009 bis 2010 wurde das Kunstobjekt schließlich in Form eines 15 Meter hohen Baukörpers in Anlehnung an die Kirchturmspitze der verloren gegangenen Magdeborner Kirche errichtet und inmitten des entstandenen Störmthaler Sees verankert. Das schwimmende Kunstwerk befindet sich rund 630 Meter vom Ufer entfernt über jenem Platz, an dem zuvor das überbaggerte Gotteshaus statt.

Seit ihrer Eröffnung am 3. Juni 2011 mahnt die VINETA die ideellen und materiellen Verluste aufgrund des stetig wachsenden Energieverbrauchs der Menschen an. Im Kontrast dazu steht der in das Bauwerk integrierte Niedrigstenergieraum und die damit verknüpfte Idee einer Erweiterung der Gedanken von Erinnerung und Verlust um eine nachhaltigere Alternative in Form eines ökologischen Energieverbrauchs.

Ausflugsziel mit Seltenheitswert: Von Trauung bis Konzert


Das Ziel der Architektin Ute Hartwig-Schulz, ein Kunstwerk zu schaffen, welches sich in die Landschaft einfügt, im Inneren kulturell genutzt und als Ort der Erinnerung mit Leben gefüllt werden soll, wurde erreicht: Als höchstes freischwimmendes Denkmal auf einem deutschen See bildet die VINETA seit ihrer Eröffnung einen Veranstaltungsrahmen der besonderen Art. Auf der Insel finden alljährlich zahlreiche Trauungen, Kulturveranstaltungen wie Lesungen und Konzerte sowie exklusive Feierlichkeiten statt. Die vom Betreiber, Krystallpalast Varieté Leipzig, organisierten Events dienen in den warmen Sommermonaten als Ausgleich für das winterlastige Geschäft des Varietés. Von April bis Oktober fährt außerdem die „VINETA-Fähre“ ausgehend vom VINETA-Hafen zur schwimmenden Insel. Während der Fahrt erfahren die Gäste Wissenswertes über die Tagebau- und Seenlandschaft.

Am VINETA-Hafen befindet sich neben 2 Stegen und 30 Liegeplätzen für Segel- und Motorboote auch das für Veranstaltungen genutzte Hafengebäude. Im VINETA-Bistro am Dispatcherturm mit teils überdachtem Freisitz wird den Besuchern eine Auswahl an verschiedenen Getränken und frisch zubereiteten, regionalen Speisen angeboten. An einigen Tagen im Jahr wird frisch geräucherter Fisch aus der Region serviert.  Übernachtungsmöglichkeiten bestehen seit März 2019 im Schlafstrandkorb und im Miet-Elektro-Boot vor Ort. Am VINETA-Anleger unterhalb des Bistros sind außerdem zahlreiche Freizeitangebote wie ein Bootsverleih, Jetski, Stand-Up-Paddling, Flyboard sowie ein Beachvolleyball-Feld zu finden. Wer es weniger sportlich liebt, der kann sich am kleinen Sandstrand abkühlen und ausruhen.

Seit ihrer Errichtung trägt die VINETA als beliebtes Ausflugsziel zur Steigerung des Bekanntheitsgrades des Leipziger Neuseelands als Tourismusmagnet bei und entwickelte sich zu einem Wahrzeichen der Region. Lagovida?

Stand: 27.09.2023

Universitätsbibliothek (Bibliotheca Albertina)

Beethovenstraße 6 | Ortsteil: Zentrum-Süd

Die Universitätsbibliothek wurde von 1887 bis 1891 nach Plänen von Arwed Rossbach im Stil der italienischen Hochrenaissance erbaut. Sie gehört zu den ältesten deutschen Universitätsbibliotheken und umfasst einen Bestand von mehr als 5,5 Millionen Medieneinheiten und etwa 6.500 Zeitschriften.

Von der Bibliotheca Paulina zur Bibliotheca Albertina


In unmittelbarer Nachbarschaft zum
Bundesverwaltungsgericht erhebt sich der beeindruckende Bau der Universitätsbibliotek, auch „Bibliotheca Albertina“ genannt. Gemeinsam mit dem für das Gewandhausorchester errichteten Neuen Gewandhaus, dem Konservatorium und der Kunstgewerbeschule bildete sie das Zentrum des neu entstandenen Musikviertels. 

Die Wurzeln der Universitätsbibliothek reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Im Jahr 1543 wurde die Bibliotheca Paulina als erste Bibliothek der Universität Leipzig gegründet und im Paulinerkloster auf dem Augustusplatz untergebracht. Durch den stetigen Wachstum der Buchbestände auf mehr als 250.000 Bände entwickelte sich die Universitätsbibliothek bis Ende des 19. Jahrhunderts zur umfangreichsten ihrer Art in Deutschland. Um ihrer Größe und Bedeutung gerecht zu werden, wurde im Juni 1885 ein Wettbewerb zur Gestaltung eines repräsentativen Bibliotheksgebäudes im neu entstanden Musikviertel ausgeschrieben. Durch das Handels- und Messewesen hatte sich Leipzig Mitte des 19. Jahrhunderts zur Großstadt entwickelt, so dass die Vorstädte ab 1871 für die Errichtung von repräsentativen Bauten mit einbezogen wurden. Als letztes Vorstadtviertel der Gründerzeit entstanden im Musikviertel neben imposanten Villen für das Leipziger Großbürgertum auch bedeutsame öffentliche Kultur- und Justizbauten im Stil des wilhelminischen Historismus. Die neue Universitätsbibliothek sollte gegenüber des zwischen 1882 und 1884 erbauten prachtvollen Neuen Gewandhauses in der Beethovenstraße entstehen. Der in der Dresdner Tradition Gottfried Sempers und Hermann Nicolais stehende Architekt Arwed Rossbach ging aus den 34 eingereichten Konzepten mit seinem Entwurf „Philadelphos” als Sieger hervor. Nach vierjähriger Bauzeit wurde das Bibliotheksgebäude am 24. Oktober 1891 zu Ehren des obersten Dienstherrs der Universität Leipzig sowie dem regierenden sächsischen König Albert als Bibliotheca Albertina eingeweiht. Die Universitätsbibliothek, die etwa 800.000 Bände beherbergte und rund 150 Lesern Platz bot, gilt als Rossbachs bedeutendstes Werk.

Von der Kriegsruine zum klimatisierten Bücherpalast


Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Universitätsbibliothek durch einen Bombenangriff am 6. April 1945 zu zwei Dritteln zerstört. Besonders betroffen waren der Mitteltrakt mit dem großen Lesesaal, das repräsentative Treppenhaus sowie große Teile des Süd- und Ostflügels. Die wertvollen Buchbestände waren zuvor in Schlössern im Raum Leipzig und in den Katakomben des
Völkerschlachtdenkmals sicher untergebracht worden, so dass die Universitätsbibliothek kaum Verluste hinnehmen musste. Bereits wenige Monate nach der Zerstörung wurde das ruinöse Gebäude durch eine provisorische Sicherung wieder nutzbar gemacht und die Bücher wurden aus Raumnot zunächst im Keller gestapelt. Etwa 40.000 Bände galten als verschollen oder wurden von der Roten Armee beschlagnahmt und abtransportiert. Obwohl es seit 1956 zahlreiche Pläne für den Wiederaufbau gab, wurden die notwendigen Gelder erst ab 1990 durch die Volkskammer der DDR zur Verfügung gestellt. Ab 1992 begann die Sanierung, die das Architekturbüro HJW + Partner plante.

Bei fortlaufendem Betrieb erfolgte zunächst die Rekonstruktion des Ostflügels und die Sanierung des Treppenhauses. Das äußere Erscheinungsbild der Bibliotheca Albertina wurde unter Anpassung der inneren Struktur an die veränderten Anforderungen eines modernen Bibliotheksbetriebs vollständig wiederhergestellt. Die durch den rasant gewachsenen Buchbestand erforderlichen Erweiterungen wurden maßgeblich durch die Einbeziehung der ehemaligen Innenhöfe erreicht: Durch die Überdachung des Posthofs und des Kohlenhofs wurden zwei moderne Lesesäle mit großflächigem Areal für Freihandliteratur sowie Magazinbereichen in den darunterliegenden Stockwerken geschaffen. Nach zehnjähriger Bauphase von 1992 bis 2002 wurden die Wiederaufbau- und Sanierungsarbeiten abgeschlossen. Heute umfasst die Universitätsbibliothek als eine der ältesten Bibliotheken Deutschlands rund 960 Arbeitsplätze, einen Bestand von über 5,5 Millionen Medieneinheiten und etwa 6.500 Zeitschriften.

Italienische Kunst und Architektur trifft auf geballtes Wissen


Die Universitätsbibliothek präsentiert sich heute als monumentale Vierflügelanlage mit einer 107 Meter langen Sandsteinfassade, welche Elemente der italienischen Hochrenaissance und der barocken Schlossbaukunst Frankreichs vereint. Die mit korinthischen Kapitellen gestalteten Kolossalsäulen tragen das fünfachsige Mittelrisalit. Der Rustikasockel umfasst das Souterrain und die Hochparterre, während die Obergeschosse durch ein kantiges Gesims optisch abgesetzt sind. Das Mittelrisalit ist mit einer reich gestalteten Attika mit vier von
Arthur Trebs geschaffenen Figuren gestaltet, welche die vier Fakultäten Theologie, Philosophie, Rechtswissenschaft und Medizin verkörpern. Zwei darüber stehende Wappenhalter präsentieren das Universitätssiegel. Die zwischen den versinnbildlichten Fakultäten liegenden Reliefs stammen vom Bildhauer Adolf Lehnert, der auch die Porträtmedaillons an den Seitenrisaliten schuf. Diese zeigen Michelangelo, Albrecht Dürer, Johannes Otto von Münsterberg, den Gründungsrektor der Universität, und Caspar Borner, den ersten Bibliothekar. Unterhalb der Medaillons befanden sich einst acht überlebensgroße Statuen, welche von Werner Stein und Melchior zur Strassen geschaffen wurden. Heute sind noch die am linken Seitenrisalit befindlichen Standbilder von Friedrich dem Streitbaren, dem Gründer der Universität 1409, und dem Kurfürsten Moritz von Sachsen erhalten. Das Eingangsportal ist mit drei Rundbogenportalen, vergitterten Oberlichtern und reich ornamentierten Metalltüren gestaltet. Die drei Köpfe in den plastisch ausgearbeiteten Schlusssteinen der Eingangsbögen verkörpern die Schönheit, Weisheit und Stärke und wurden vom Berliner Bildhauer Josef Kaffsack geschaffen. In der Freimaurerei gelten diese als die drei tragenden Säulen im Ritual. 

Das Eingangsportal führt in das lichtdurchflutete repräsentative Marmortreppenhaus mit umlaufender Galerie und hohen Rundbogenarkaden. Tageslicht fällt durch das gläserne Dach, was die weißen ionischen Säulen aus Marmor und Naturstein noch strahlender erscheinen lässt. Von der breiten zweiflügeligen Haupttreppe aus, die zu den Lesesälen hinauf führt, präsentiert sich vor dem früheren Eingang zum großen Lesesaal die illusionistisch angelegte, dekorative Kuppelausmalung vom Leipziger Maler Richard Hesse im Stil des Giulio Romano. Diese wurde originalgetreu rekonstruiert, während auf die einstige polychrone Ausmalung der Wandflächen und Kuppeln verzichtet wurde. In den ehemaligen und nunmehr überdachten Innenhöfen befinden sich zwei Lesesäle als Freihandlesebereiche. Neben dem „Alten Hauptlesesaal”, der optisch an sein berühmtes kreisrundes Vorbild im British Museum in London erinnert, ist insbesondere der Lesesaal im Hof West beeindruckend: Eine spezielle Stahl-Glas-Konstruktion, die den Saal zur Decke hin abschließt, durchflutet diesen mit Licht.

Im Foyer der Bibliothek führt ein Wandelgang zum Café Alibi, welches den Studenten tagsüber zum Verweilen dient und abends häufig für Veranstaltungen genutzt wird. Im Wandelgang befindet sich eine Fotogalerie, die die Geschichte der Bibliotheca Albertina dokumentiert. Seit Mai 2021 ist der unter der Haupttreppe gelegene Schauraum „Papyrus Ebers“ Teil der Dauerausstellung. Bei dem über 18 Meter langen Papyrus Ebers handelt es sich um die längste und einzig vollständig überlieferte Schriftrolle altägyptischer Heilkunde.

Stand: 27.09.2023

Bildergalerie - Universitätsbibliothek (Bibliotheca Albertina)

Historisches Bildmaterial - Universitätsbibliothek (Bibliotheca Albertina)

Thomaskirche

Thomaskirchhof 18 | Ortsteil: Zentrum

Die 1212 als Klosterkirche für die Augustiner-Chorherren erbaute Thomaskirche zählt zu den bedeutendsten spätgotischen Hallenkirchen in Sachsen. Als Wirkungsstätte Johann Sebastian Bachs und des Thomanerchors sowie durch Martin Luthers Predigt zur Einführung der Reformation in Sachsen 1539 erlangte die Thomaskirche große Bekanntheit und gilt weltweit als bedeutendes Zentrum kirchlicher Musik. Vor dem Südportal der Thomaskirche befindet sich das von Carl Seffner 1908 errichtete bronzene Bach-Denkmal.

Vom mittelalterlichen Chorherrenstift zur spätgotischen Hallenkirche


Die Anfänge der Thomaskirche reichen bis ins 12. Jahrhundert zurück. Ausgrabungen zufolge stand an heutiger Stelle bereits eine dreischiffige Pfeilerbasilika. Im Jahr 1212 veranlasste der Wettiner Markgraf Dietrich von Meißen den Bau eines Augustiner-Chorherrenstifts, was unter den nach Unabhängigkeit strebenden Leipzigern für Proteste sorgte. Zum Zeichen des Widerstands gegen den Bau des Klosters zerstörten die Bürger nachts das, was die Kirchen- und Klosterbauherren tagsüber aufgebaut hatten. Trotz der Unwägbarkeiten wurden die 1212 beschlossenen Umbaumaßnahmen der Stiftskirche St. Thomas 1222 abgeschlossen. Der Überlieferung nach soll der Minnesänger Heinrich von Morungen anlässlich der Übergabe der Kirche eine Reliquie des Heiligen Thomas aus Indien übergeben haben. Später wurde die von der Vorgängerkirche übernommene Bausubstanz sukzessive verändert. Den Chorraum baute man im spätromanisch-frühgotischen Stil um und vergrößerte ihn, wovon der noch heute erhaltene spitzbogige Triumphbogen aus Backstein und Sandstein sowie Teile der Außenwände an der Nordseite des Chores zeugen. Nach einer erneuten Vergrößerung Mitte des 14. Jahrhunderts im hochgotischen Stil erhielt der Kirchenteil seine endgültige Ausprägung.

Das heutige Bild der Thomaskirche wird durch das zwischen 1482 und 1496 unter Leitung von Claus Roder und Konrad Pflüger neu erbaute Hallenlanghaus im spätgotischen Stil geprägt, welches das romanische Kirchenschiff ersetzte. Das Kreuzrippengewölbe aus Rochlitzer Porphyr ist noch heute im Original erhalten. Das 39 Meter lange und 25 Meter breite Kirchenschiff mit 14 Meter hohen Pfeilern erforderte durch seine Länge eine Verlegung der Stadtmauer nach Westen. In der wirtschaftlich aufstrebenden Messestadt entstand eine der bedeutendsten spätgotischen Hallenkirchen in ganz Sachsen, die am 10. April 1496 vom Merseburger Bischof Tilo von Trotha feierlich eingeweiht wurde. Seither läutet vom Glockenturm die 1477 gegossene und von Nikolaus Eisenberg gravierte Hauptglocke „Gloriosa“ – die älteste Glocke Leipzigs – als eine der insgesamt vier Glocken.

Luther und die Verkündung der Reformation


Weit über die Landesgrenzen bekannt wurde die Thomaskirche mit der hier am 25. Mai 1539 von Martin Luther gehaltenen Pfingstpredigt zur Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen. Daran erinnert bis heute die an einer Säule im Mittelschiff neben der Kanzel angebrachte Gedenktafel zur Einführung der Reformation. Durch die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen und gottesdienstlichen Bedürfnisse wurden 1570/71 unter der Leitung von Hieronymus Lotter steinerne Renaissance-Emporen an den Längsseiten der Kirchenschiffe errichtet und die Westseite um ein Joch hervorgezogen.

Die 1553 südlich der Thomaskirche und entlang der Stadtmauer erbaute Thomasschule zählt zu einer der ältesten in ganz Deutschland. Mit der Reformation wurde auch dem Thomanerchor zunehmende künstlerische Bedeutung zuteil und die Schule und der Chor kamen unter die Trägerschaft des Stadtrates. Bemerkenswert war, dass die Stadt Leipzig als weltliche Institution den überwiegend geistlich wirkenden Chor finanzierte.

Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts wurden das Kircheninnere barock umgestaltet und seit 1661 mehrere Privatkapellen angebaut. Darunter befindet sich eine für das Ehepaar Wiedebach errichtete Kapelle. Apollonia von Wiedebach galt als bedeutendste Stifterin für die Stadt Leipzig und Anhängerin der Reformation. Die Nordseite der Kirche wurde nach Entwürfen von Johann Gregor Fuchs mir einem zweigeschossigen Anbau versehen. Fuchs ist auch das heutige Erscheinungsbild des 68 Meter hohen Kirchturms zu verdanken, der 1702 mit einer barocken Turmhaube und einer Laterne mit Wetterfahne, die eine von einem Stern umkreiste Sonne zeigt, bekrönt wurde. Der Chor und die Sakristei wurden 1802 unter der Leitung von Johann Friedrich Carl Dauthe instandgesetzt. 1806/07 diente die Thomaskirche zwischenzeitlich als französisches Militärmagazin und wurde während der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 als Lazarett genutzt. An diese Zeit erinnert noch heute eine am Turmumgang angekettete Kanonenkugel, die damals auf dem Dachboden einschlug. Im Zuge des Umbaus unter Johann Wilhelm Constantin Lipsius zwischen 1884 und 1889 wurde die barocke Gestaltung der Kirche weitgehend durch die Neogotik ersetzt.

Der berühmte Director musices


Das Wirken Johann Sebastian Bachs in Leipzig begründete zweifelsohne den Weltruhm des Kantorats und machte die Stadt zum Zentrum protestantischer Kirchenmusik. Bach übte zwischen 1723 und 1750 das Amt als Director musices und Kantor der Nikolaikirche und Thomaskirche aus. Dem damals noch unbedeutenden Thomanerchor verhalf er zum heutigen Weltruhm und schrieb in Leipzig seine bedeutendsten Werke, darunter das Weihnachtsoratorium, die h-Moll-Messe, die Johannes- und Matthäus-Passion und mehr als 300 Kirchenkantaten, die in der Thomaskirche uraufgeführt wurden.

Bachs Orgelklänge tönen noch heute…


Beim äußerlichen Betrachten der Thomaskirche fällt insbesondere das Dach auf. Bei dem steilen Firstwinkel von 62 Grad handelt es sich um eine architektonische Meisterleistung und um eines der steilsten Giebeldächer Deutschlands. Dank dieser Konstruktion, die auf Erfahrungen aus dem Festungsbau zurückging, wonach Feuerkugeln nicht einschlugen sondern abglitten, überstand die Thomaskirche die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg vergleichsweise unbeschadet. Das von einem Kreuzrippengewölbe überdachte Langhaus wurde im Zuge seiner Restaurierung in den 1960er Jahren der ursprünglich hellroten Farbgebung des 15. Jahrhunderts wieder angepasst. Der gut sichtbare Knick zwischen Langhaus und Chor weist auf den romanischen Ursprung der Thomaskirche hin. Die Orgelempore, wo der Thomanerchor seinen Platz hat, ist mit zwei großen Orgeln ausgestattet. Die ältere wurde von Wilhelm Sauer zwischen 1885 und 1889 erbaut und zählt mit den 88 Registern zu seinen größten und bekanntesten Bauten. Anlässlich des Bachjahres 2000 wurde die viermanualige Bach-Orgel von Gerald Woehl ergänzt. Die Thomaskirche zählt europaweit zu den Stätten mit dem nachweislich frühesten Orgelgebrauch im Gottesdienst. Der „Orgelgesang“ wurde bereits 1384 für eine Marienmesse dokumentiert, was bestätigt, dass schon 1212 mit der Begründung des Thomasstifts eine frühzeitige Musikpflege betrieben wurde.

Kunst und Kirche


Die urspüngliche Ornamentverglasung der Thomaskirche wurde 1889 durch farbige Mosaiken ergänzt. Die fünf farbigen Fenster an der Südwand der Thomaskirche schuf der Glasmaler
Alexander Linnemann. Sie zeigen namhafte Persönlichkeiten des Protestantismus, darunter König Gustav II. Adolf von Schweden, Kurfürst Friedrich der Weise gemeinsam mit Philipp Melanchthon und Martin Luther, Kaiser Wilhelm I. und Johann Sebastian Bach. Ein weiteres Fenster aus früheren Jahren bildet Felix Mendelssohn Bartholdy und den Heiligen Thomas ab. 2009 wurde das Friedensfenster von David Schnell ergänzt. 

Seit Einführung der Reformation gehört es zu den Pflichten der amtierenden Superintendenten, sich bei ihrem Ausscheiden aus dem Amt porträtieren zu lassen und im Altarraum der Kirche neben ihre Vorgänger einzureihen. So zeigt eines der Porträts Leipzigs ersten Superintendenten Johannes Pfeffinger

1950 wurden in der Thomaskirche die Gebeine Johann Sebastian Bachs, die sich urspünglich in der zerstörten Johanniskirche befanden, in einer Gruft beigesetzt. Die von Kunz Nierade gestaltete schlichte Grabplatte an den Stufen des Altarraums ist heute Anziehungspunkt für Bachverehrer und Musikfreunde aus aller Welt. Unter den weiteren Epitaphien und Grabplatten in der Thomaskirche befinden sich neben dem Sarkophag des Markgrafs Dietrich von Wettin die Grabplatten der Kurfürstin Elisabeth von Sachsen und des Adeligen Nickel Pflugk.

Chorale Gesänge vor dem bronzenen Thomaskantor


Dem berühmten Thomanerchor kann man im Rahmen des Gottesdienstes wöchentlich freitags um 18 Uhr bei der Motette und sonnabends um 15 Uhr bei der Bachkantate lauschen. Fester Bestandteil des Leipziger Musiklebends ist das
Bachfest Leipzig, mit welchem die Stadt jährlich den berühmten Thomaskantor ehrt und damit eine Tradition fortführt, die bereits Felix Mendelssohn Bartholdy initiierte.

Stand: 27.09.2023

Bildergalerie - Thomaskirche

Historisches Bildmaterial - Thomaskirche

TBE Engelsdorf

Werkstättenstraße 6 | Ortsteil: Engelsdorf

Dieses originelle Leipziger Lokal im Ortsteil Engelsdorf muss in der Titelzeile allein mit seiner Abkürzung vorlieb nehmen. Die Entschlüsselung für TBE als Traditions- und Begegnungsstätte der Eisenbahner wäre einfach zu lang für eine Überschrift. Dafür ist der Eisenbahnbezug umso enger – mit historischem Brückenschlag. Schon am Eingang grüßten typische Versatzstücke aus der Welt der Lokomotiven und der Bahnsteige, doch eine Garantie, dass der geneigte Besucher davon noch etwas vorfinden wird, kann nicht übernommen werden. Denn alle Aus- und Einrichtungsgegenstände standen zum Verkauf, als die TBE im Januar 2022 schloss. Die Erinnerung an das verschwundene Lokal und seine besondere Rolle in Sachen Eisenbahn-Nostalgie wachzuhalten, ist jedoch allemal eine längere Reminiszenz wert.

Krönung eines Eisenbahnerdorfs


Engelsdorf ist – ohne über Gebühr idealisieren zu wollen – ein Eisenbahnerdorf im Osten von Leipzig. Mitten durch den Ortsteil verläuft die Leipzig-Dresdner Eisenbahn, die erste deutsche Fernbahn seit 1839. Die Strecke wird flankiert vom früheren Rangierbahnhof, dessen Funktion im Jahr 2017 nach Halle verlegt wurde. Zwei Haltepunkte verweisen an den Strecken nach Dresden und Chemnitz auf Engelsdorf. Das frühere Reichsbahn-Ausbesserungswerk und die baulichen Reste des Bahnbetriebswerks haben bessere Tage gesehen. Immerhin ist aber ein Betrieb im Geschäft, der im Bereich des Schienenschweißens als Marktführer auftritt. 

Viele Wohngebäude bilden eine typische Eisenbahnersiedlung, erkennbar an der Symbolik des rollenden Flügelrads an den Fassaden und den Schriftzügen der Wohnungsbaugenossenschaft dieses Berufszweigs. Aber vor allem sind es die unzähligen Eisenbahnerdynastien, die diesem Ort ihr Gepräge gaben. War der Großvater schon „bei der Bahn“, dann war es der Vater unbedingt auch und der Sohn mit großer Wahrscheinlichkeit und möglicherweise wieder der Enkel oder die Enkelin. An einem solchen Ort eine Traditions- und Begegnungsstätte der Eisenbahner einzurichten, sie bewusst nicht „Zum Stellwerk“ oder „Zur Bahnhofsklause“ zu nennen, sondern ihr vielmehr mit gewissem leicht ironischen Hintersinn einen funktionalistisch geprägten Namen, wie sie bei der Bahn schon immer beliebt waren, und die passende Abkürzung TBE zu geben, war folgerichtig – und durchaus alternativlos.

Angebahnte Erlebnisgastronomie


1999 ging die TBE an den Start. Ihr Domizil wurde das Untergeschoss der früheren Poliklinik des Reichsbahn-Ausbesserungswerks. Sehr jung war damals die 1994 mit viel Vorschusslorbeeren gestartete Bahnreform, zu deren Kennzeichen ein eintöniger Dreiklang gehörte: Privatisierung, Privatisierung, Privatisierung. Viele einst dringend benötigte Gebäude standen daraufhin leer. Der öffentlichen Verwaltung war es ausgesprochen lieb, wenn sich ein unternehmerisches Talent bereit erklärte, auf Teilflächen eine neue Nutzung zu beginnen und damit den Leerstand zu senken. So wie
Andreas Schließauf. Ihm war das Eisenbahnerlokal zu verdanken, auch wenn Skeptiker meinten, dass es schwer sein würde, mitten in schwindender Gewerbebauung und ohne umfängliche Wohnumgebung ausgerechnet mit einer Gaststätte zu beginnen.

Andreas Schließauf setzte sich durch. Ihm schwebte ja nicht die x-te Gaststätte nach Schema F vor, sondern eigentlich ein Museum mit integrierter Gastronomie. Wer regelmäßig kam, fand immer wieder etwas Neues an der üppigen Ausstaffierung mit Lokomotivschildern, Warntafeln, Modelleisenbahnen, historischen Fotos, Proviant-Automaten, Fernsprechapparaten aus der Vor-Handy-Urzeit, originalen Sitzbänken ausgedienter Eisenbahnwagen und Drucksachen über Drucksachen vor. Manches Exponat steuerten Gäste als Leihgabe bei, weil sie die TBE in ihr Eisenbahnerherz geschlossen hatten, wie zum Beispiel ein originales Zuglaufschild des „Rossiya“-Express, der auf der Transsibirischen Eisenbahn zwischen Moskau und Wladiwostok verkehrt. Waren die Ausstellungsstücke zu groß für den Innenraum, dann standen sie eben vor dem Eingang, wie die abmontierten Schriftzüge und die analogen Zuganzeiger vom Leipziger Hauptbahnhof oder aus dem nahen Reichsbahn-Ausbesserungswerk renovierte Pumpen, mit deren Hilfe die Dampfloks jahrzehntelang „atmeten“, um brav ihren harten Dienst zu verrichten. 

Fluidum vergänglicher Reisekultur


Traten die Gäste in die TBE ein, wurden sie mit dem strengen Charme des früheren Reichsbahn-Personals begrüßt. „Treten Sie doch endlich von der Bahnsteigkante“ klang zwar seltsam im Vergleich mit der weithin dominierenden „Geht-es-ihnen-gut?“-Beliebigkeit, wurde aber sofort verstanden – und eigentlich erwartet. Und dann erst die Speisekarte: Keine Position in der üppigen Menüfolge, die ohne deutliche Eisenbahn-Normierung auskam. Als Krönung die „Heizerschaufel“. Eigentlich ein herrliches Steak mit reichlich angebratenen Zwiebeln und Bratkartoffeln und serviert auf einer echten Schaufel. Das schmeckte dann nochmal so gut und hätte jeden Lokheizer nach achtstündiger Schwerarbeit satt gemacht (ungeübte Erst-Koster der deftigen Leckerei erst recht). 

Mit reiner Gastronomie ließ es Andreas Schließauf nicht bewenden. Die TBE wurde eine Station auf der Dampfbahn-Route Sachsen, die sich durch den gesamten Freistaat zieht. Außerdem tauschte der Betreiber der gastlichen Stätte nach den ersten Speisen und Getränken seine obligatorische Fahrdienstleiter-Mütze immer mal wieder gegen den drolligen Hut des DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, den er ausgezeichnet zu parodieren verstand. Dank dieser Komposition aus Gastronomie und Begleitprogramm hätte die TBE steinalt werden können. Doch dann kam im Jahr 2020 Corona und mit der Pandemie die verordnete mehrmonatige Schließung des beliebten Treffs einer treuen Gemeinde aus Berufs- und Hobby-Eisenbahnern. Den Umsatzausfall und die Mieterhöhung durch den neuen Eigentümer des Hauses hätten nur kapitalkräftigere Unternehmer als Andreas Schließauf verkraften können, die nicht fortlaufend immer wieder vor allem in die Ausstattung der Räume investiert hätten. Wenn also Covid-19 schon lange Geschichte sein wird, werden sich viele an den traurigen Kollateralschaden TBE in Engelsdorf erinnern. Wie an die Rücklichter eines Schnellzugs, die langsam in die Nacht entschwinden.

Stand: 17.01.2022

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