GRASSI Museum für Völkerkunde

Johannisplatz 5-11 | Ortsteil: Zentrum-Südost

Es ist ein Museum in Bewegung, das sich gerade neu erfindet. „Reinventing Grassi“ ist die intensive Selbstbefragung und Umstrukturierung des GRASSI Museums für Völkerkunde am Johannisplatz überschrieben. Die Institution krempelt alle bisherigen Ausstellungsteile um und beendet so die gewohnte Reise rund um eine Welt, die einst verschiedene Länder und Kontinente in den Vordergrund rückte. Ziel ist es, das ethnologische Museum in die Zukunft zu geleiten und die eigene museale und koloniale Geschichte kritisch aufzuarbeiten.

Karl Weule und die Makonde-Masken


Der Weg dazu ist umstritten und gelegentlich mit einem Aufschrei verbunden. Etwa als mit
Karl Weule (1864-1926) einer der berühmten Direktoren vom Sockel geholt und seine Stele im Treppenaufgang regelrecht „zermörsert“ wird. Weules Name ist eng mit den Makonde-Masken verbunden. Einige Sammelstücke sind berühmt, waren schon in New York, Berlin und London ausgestellt. Weule, der erste Professor für Völkerkunde in Deutschland, hat sie bei einer Expedition in die damaligen deutschen Kolonialgebiete 1906 nach Leipzig geholt. Und das ist das Problem. Die Museen wollen nicht mehr wegschauen, wie ihre Exponate in die Sammlungen gekommen sind. Ob geraubt, gekauft, getauscht – es gibt viele Fragen, die nicht immer leicht zu beantworten sind, da etliche Objekte undatiert sind. Der Großteil ist aber korrekt erworben.

Das Museum wird 1869 von der Leipziger Bürgerschaft gegründet. Die Sammlung des Dresdner Hofrats und Bibliothekars Gustav Klemm legt dabei den Grundstock. 1874 erfolgt die offizielle Eröffnung im ehemaligen Johannishospital. Weil die Anzahl der Exponate rasch zunimmt, wird für ihre Präsentation ein eigenes Gebäude benötigt. Im Grassimuseum am Königsplatz (heute Stadtbibliothek am Wilhelm-Leuschner-Platz) erhält die Sammlung 1895 eine erste Heimstatt. 1929 erfolgt der Umzug ins heutige Domizil im damals neuen Grassimuseum am Johannisplatz, das 1925 bis 1929 errichtet wird. Beim größten Luftangriff auf Leipzig wurde es 1943 weitestgehend zerstört, etwa 30.000 Objekte gingen in den Flammen unwiederbringlich verloren.

1947 begann der Wiederaufbau, 1954 öffnete mit den Abteilungen Ozeanien/Australien sowie Indonesien die erste Dauerschau nach dem Zweiten Weltkrieg. 1981 verursachte eine Havarie an der Heizungsanlage eine Schließung der Ausstellungen, erst 1985 konnte die Dauerschau wieder besucht werden.

Ein Neuanfang mit Lektion im Anti-Kolonialismus


1991 geht das Völkerkundemuseum in die Regie des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst über. 2004 fusionieren die Völkerkundemuseen Leipzig, Dresden und Herrnhut zu den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen. Das Grassimuseum wird schließlich 2001 bis 2005 saniert. Schrittweise wird die Dauerausstellung „Rundgänge in einer Welt“ eröffnet, die im November 2005 zum 140. Geburtstag des Museums für Völkerkunde zunächst Südasien vorstellt. Weitere Länder und Kontinente folgen – doch die bisherige Ausstellungspraxis wird in Frage gestellt. Es beginnt eine Neuausrichtung als Lektion in Anti-Kolonialismus.

Ein Beispiel sind die wertvollen Benin-Bronzen, einst das Aushängeschild der Leipziger Völkerkunde-Sammlung, die etwa 200.000 Objekte und 100.000 Archivalien zählt. Die Benin-Bronzen stammen größtenteils aus den Plünderungen der britischen Royal Navy 1897 im Königreich Benin, dem heutigen Nigeria. Der afrikanische Staat will die Bronzen wiederhaben. Sachsen hat bereits einige Objekte zurückgegeben. Das Museum macht dies in der Ausstellung zum Thema. Dabei kommt es auch zum Perspektivwechsel. Künstlerin Mary Osaretin Omorgie aus Lagos erzählt die Geschichte Benins aus der Sicht von Frauen, um bis heute geltende patriarchalische Strukturen zu durchbrechen.

Meyers Gipfelraub am Kilimandscharo


Selbst ein Stück der Zugspitze lagert in einer Art Geiselhaft im Museum. PARA, ein Künstlerkollektiv, hat am 16. September 2021 die obersten sechs Zentimeter der Zugspitze entfernt. Der höchste Berg Deutschlands, heißt es, wäre nun nicht mehr ganz 2962 Meter hoch. Mitbekommen hat das wohl kaum einer. Der entfernte Stein lagert in einem angeketteten Tresor in der Ausstellung in Leipzig und kann mit Hilfe einer Kamera betrachtet werden. Erinnert wird damit an den Gipfel-Raub, den der Leipziger Geograf und Kolonialpolitiker
Hans Meyer 1889 verübt, als er Gestein aus der Spitze des Kilimandscharo entnimmt und als Trophäe aus Tansania, damals Deutsch-Ostafrika, in die Heimat mitbringt.

Meyer, ein Förderer des Museums, soll den Stein zersägt haben. Eine Hälfte überreicht er Kaiser Wilhelm II., die andere nutzt er der Legende nach als Briefbeschwerer. Jenes Stück, von einem Nachfahren Meyers angekauft, liegt inzwischen im Wiener Antiquariat Kainbacher und soll für 35.000 Euro zurückerworben werden. Ziel ist es, den Stein an Tansania zurückzugeben. Selbst die Bausubstanz des Grassimuseums wird ein wenig zerbröseln. Aus jenem Material sind Repliken hergestellt, die dann in einer Crowdfunding-Kampagne erworben werden können.

Ein Blick auf Völkerkunde in der DDR


Die Dauerausstellung im Museum kann seit Anfang 2024 kostenfrei besichtigt werden. Sie bietet sich als Diskussionsforum an – im Gegensatz zum einst etwas autoritären Bildungstempel. Im Mittelpunkt stehen Aspekte, die Leipzig mit der Welt verbinden. Ein neuer Ausstellungsteil Völkerfreundschaft ermöglicht einen Blick zurück in die Ethnologie in der DDR vor 1990. In Vitrinen stehen beispielsweise diplomatische Geschenke an die Staats- und Parteiführung der DDR, die ans Museum weitergereicht wurden: eine Riesenvase aus Vietnam mit Erich Honeckers Konterfei oder ein Pionier-Halstuch aus Nordkorea. Zu sehen sind auch eine Friedenspfeife aus der Prärie, ein mexikanischer Bauarbeiterhelm oder eine Kaffeekanne aus Bagdad sowie ein aus Gras geflochtener Bus. Damals konnten die DDR-Bürger nicht frei reisen. Museen wurden zu Sehnsuchtsorten, an denen sie an einem Tag „die Welt erleben“ konnten.

Am Beispiel der vielen „Indianistik“-Klubs zeigt eine Präsentation, welchen Einfluss die Völkerkunde auf das Privatleben, die Nischen- und Popkultur in der DDR hatte. Federhauben oder Tomahawks von amerikanischen Indianer-Stämmen sind zwar derzeit in der Ausstellung nicht mehr zu sehen. Doch es werden auch Fragen diskutiert, ob man eigentlich überhaupt noch Indianer sagen darf? Eine einfache Antwort, einen für alle Interessengruppen und Situationen funktionierenden Begriff gibt es darauf nicht – das Museum wirbt dafür, sich vor allem mit Respekt zu begegnen. Überall auf der Welt!

Stand: 25.2.2024

Stadtgründung Leipzig / Stadtbrief

Stadtarchiv Leipzig / Stadtgeschichtliches Museum Leipzig | Ortsteil: Zentrum-Südost / Zentrum

Wie alt ist eigentlich Leipzig? Im Dezember des Jahres 1015, so steht es in der von Thietmar von Merseburg angefertigten Chronik, reist der Meißner Bischof Eid nach Merseburg. Dort soll er den Kaiser treffen, um ihm über die wohl erfolgreichen Friedensverhandlungen mit den polnischen Nachbarn zu berichten. Doch sein Ziel erreicht er nicht. Notiert ist: „in urbe Libzi vocata“ stirbt der kirchliche Würdenträger. Das ist ein Ort, der Leipzig genannt wird. Näheres zu Größe und vor allem dem Aussehen des Ortes notiert er nicht. Die Chronik ist eine der zentralen Quellen zur hochmittelalterlichen Geschichte Deutschlands. Und völlig nebenbei hat der Merseburger Bischof mit dieser Notiz die älteste schriftliche Erwähnung Leipzigs formuliert.

Für Leipzig ist dies der Anlass, im Jahre 2015 die 1000. Wiederkehr der schriftlichen Erwähnung mit einem ganzen Festjahr zu begehen. Rund um das Ereignis gibt es viele Forschungen, die in einer neuen vierbändigen wissenschaftlichen Stadtgeschichte münden. Herausgeber sind Enno Bünz, Detlef Döring, Susanne Schötz sowie Ulrich von Hehl.

Neue Erkenntnisse durch archäologische Grabungen


Natürlich ist Leipzig nicht erst 1015 entstanden, sondern viel älter, was mit archäologischen Ausgrabungen in der Leipziger Innenstadt von 1990 an bis etwa 2015 detaillierter nachgewiesen werden kann. Grabungen an der
Hainstraße und an der Großen Fleischergasse beweisen, dass der Ort mit der Burg bereits vor 1015 bestand. Archäologe Thomas Westphalen und seine Kollegen vom Landesamt für Archäologie Sachsen haben an der aus Erdwällen und Baumstämmen errichteten Burg „urbs libzi“ eine Vorstadt nachgewiesen. Und dabei einen etwa 30 Meter langen und über sechs Meter breiten Graben entdeckt, der nicht zu den Befestigungsanlagen der Burg gehört. Bereits Herbert Küas, ein früher Pionier der Leipziger Stadtarchäologie, hat das Areal um die im Krieg zerstörte Matthäikirche untersucht und Reste der Burg sowie eines vorgelagerten Grabens freigelegt. Nach wie vor bleiben viele Fragen, etwa wie der Ort ausgesehen hat, offen. Nachgewiesen ist aber, dass es sich bei dem vier Hektar großen Gebiet um eine abgeriegelte Siedlung mit städtischem Charakter handelt, keineswegs nur um eine befestigte Burganlage. Der trockene Graben wird dem Landesamt für Archäologie Sachsen zufolge im Laufe des 11. Jahrhunderts aufgefüllt. Die heutige Stadt nimmt im 12. Jahrhundert Gestalt an – ein Straßenraster mit Markt, Kirchen, Klöstern entsteht. Ein Vorteil ist die Lage am Schnittpunkt der beiden Handelsstraßen Via regia sowie Via imperii. An diese erinnert seit 2017 die bronzene Bodentafel Leipzig im Schnittpunkt alter Handelsstraßen auf dem Markt, gegenüber der Alten Waage.

Stadtgründung lässt sich nicht exakt datieren


Das Jahr 1165 gilt als Datum der Stadtgründung. Deshalb wurde auch 1965 eine 800-Jahr-Feier veranstaltet. Historisch lässt sich die Stadtgründung allerdings nicht exakt belegen.
Markgraf Otto der Reiche von Meißen verleiht Leipzig zwischen 1156 und 1170 sowohl Stadtbrief als auch Marktprivileg. Das Dokument ist aber undatiert. Die entsprechende, später schriftlich ausgefertigte Urkunde stammt aus der Zeit um 1215. Das Jahr 1165 wird festgelegt – ebenso als Gründungsdatum der Leipziger Messe. Um jene Zeit bezeugt der Markgraf Leipzig seine Gunst, indem er bestimmt, dass „innerhalb einer Meile von der Stadt gelegen kein der Stadt schädlicher Jahrmarkt abgehalten werden dürfe.“ Die Urkunde trägt zwar das Siegel des Markgrafen. Einige Historiker sehen das Papier trotzdem als Fälschung an. Leipziger Bürger könnten es nachträglich selbst angefertigt haben, heißt es. Die Entwicklung nachzuvollziehen, bleibt schwierig, da die Quellenlage spärlich ist. Viele Hoffnungen ruhen dabei auf der Archäologie.

Stadtbrief wird im Stadtarchiv aufbewahrt


Das fragile Dokument wird im
Stadtarchiv Leipzig auf der Alten Messe in einem Archivschrank aus Massivholz aufbewahrt, den der erste Direktor Gustav Wustmann im Jahr 1886 anfertigen ließ. Weil der Stadtbrief so zerbrechlich ist, sind kaum Forschungen am Original möglich.

Im Stadtarchiv Leipzig wird auch das Stadtsiegel von 1287 und das von Kaiser Maximilian I. 1497 ausgestellte und dann 1507 erweiterte Messeprivileg behütet. Im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig im Alten Rathaus sind jeweils Faksimiles zu sehen. Möglich ist dort auch ein Blick auf einfache Gebrauchsgegenstände. Diese Funde erzählen, wie sich Leipzig von der slawischen Siedlung im 7./8. Jahrhundert zur mittelalterlichen Stadt entwickelt.

Stand: 25.01.2024

Bildergalerie - Stadtgründung Leipzig / Stadtbrief

Stele – Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung (STIGA) von 1897

Anton-Bruckner-Allee / Clara-Zetkin-Park | Ortsteil: Zentrum-West

Etwas versteckt steht die Stele am Weg nordwestlich des Bassins in der Anton-Bruckner-Allee. Sie wurde am 24. April 2022 enthüllt und erinnert an die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung (STIGA) in Leipzig. Die umfassende Leistungsschau Mitteldeutschlands zog von April bis Oktober 1897 nahezu 2,4 Millionen Besucher an. Die Gäste und Einheimischen kamen, um die neueste Technik zu bestaunen oder um sich zu vergnügen. Die STIGA war für Leipzig ein großes Volksfest. Aus dieser Leistungsschau ging ein Teil des heutigen Clara-Zetkin-Parkes hervor. Platziert in der wichtigen Etappe Leipzigs, in dem es sich von der reinen Handels- zur Industriestadt wandelte, war die STIGA eine Schau der Superlative.

Völkerschau mit 47 Afrikanern


1897 ist Leipzig eine Stadt mitten im Wandel – die
Leipziger Messe entwickelt sich rund ums Jubiläumsjahr zur modernen Musterschau. Es gibt aber auch dunkle Seiten, wie der offen zur Schau gestellte Kolonialismus bei der integrierten Deutsch-Ostafrika-Ausstellung (DOAA), bei der 47 Menschen aus den damaligen deutschen Kolonien in Afrika zur Schau gestellt werden. Hinter einem doppelten Zaun zeigen sie inszenierte alltägliche Handlungen sowie angeblich traditionelle Tänze und Schaukämpfe. Die sogenannte Völkerschau sollte für die „koloniale Sache“ in der Bevölkerung sowie in Unternehmen in Mitteldeutschland werben. Für 30 Pfennig Eintritt konnten die Besucher einen Rundgang entlang von Nachbauten kolonialer Gebäude und vorbei an den afrikanischen Menschen, die einer angeblich überlegenen deutschen Kultur gegenübergestellt wurden, unternehmen.

Leipzig arbeitet Kolonialismus auf


Die Organisatoren um den Kolonialoffizier
Kurt Blümcke haben die Ausstellung nach der Vorstellung einer erfolgreichen und friedlichen Musterkolonie aufbauen lassen. Sie orientieren sich dabei an den vom Deutschen Reich kontrollierten Gebieten im heutigen Tansania, Ruanda, Burundi und dem Kionga-Dreieck im nördlichen Mosambik (damals „Deutsch-Ostafrika”). Hintergrund: Für einen Großteil der Menschen sind damals Urlaubs- oder gar Fernreisen unerreichbar. Dadurch soll die Schau ihre Neugier auf das „Fremde“ wecken. Die Gegenüberstellung von vermeintlich „zivilisiert“ und „unzivilisiert“ hätte nicht stereotyper sein können. Über die Biografien der 47 Menschen ist bisher kaum etwas bekannt. Unklar bleibt, ob alle Männer und Frauen überhaupt überleben konnten. Die Stadt Leipzig ist dabei, den Kolonialismus aufzuarbeiten. 

In seiner Gestaltung kopierte das STIGA-Ausstellungsgelände damals ein wenig die Weltausstellungen in London, Paris, New York oder Wien. Die Attraktionen sind auf einer Karte auf der zweiseitigen Stele sichtbar, die leider häufig mit Graffiti beschmiert ist. Die Stele befindet sich nordwestlich des Bassins in der Anton-Bruckner-Allee – dem Ort, an dem 1897 die STIGA eröffnet wurde und an die die Stadt Leipzig im Rahmen des Themenjahrs „2022 – Freiraum für Bildung“ mit einem umfangreichen Programm erinnerte. Auf der einen Seite der Stele wird die STIGA allgemein dargestellt, auf der anderen die darin integrierte Deutsch-Ostafrika-Ausstellung (DOAA). Die neue Informationstafel für die STIGA ergänzt dauerhaft die unweit davon 2018 aufgestellte Stele zur Geschichte des Clara-Zetkin-Parks.

Stand: 24.2.2024

Bildergalerie - Stele – Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung (STIGA) von 1897

Speck von Sternburg, Wolf-Dietrich

Kunstmäzen, Hotelier | geb. am 17. Februar 1935 in Stolp (damals Pommern)

Er ist Nachfahre eines Wollhändlers und Schafszüchters: Wolf-Dietrich Freiherr Speck von Sternburg, der sich in Leipzig längst einen Namen als der Kunstmäzen gemacht hat, stammt aus einer alten Leipziger Kaufmannsfamilie. Deren Name ist noch heute mit dem Rittergut in Lützschena, dem Schlosspark Lützschena, dem Handelshaus Specks Hof und deren wunderbar gestaltete Passage sowie dem Sternburg Bier verbunden. Und vor allem mit der Maximilian-Speck-von-Sternburg-Stiftung, die dem Museum der bildenden Künste Leipzig eine ihrer wertvollsten Sammlungen als Dauerleihgabe anvertraut.

Handelsherr begründet eigene Schafszucht


Und diese Geschichte beginnt eigentlich mit
Napoleon. Der Franzosenkaiser verfügt im November 1806 eine Kontinentalsperre über die britischen Inseln. Das hat auch Auswirkungen auf den Leipziger Handelsherrn Maximilian Speck (1776-1856), der daraufhin keine Wolle mehr kaufen kann. Der umtriebige Geschäftsmann, der aus einfachen Verhältnissen stammt, beschließt, auf dem Rittergut Lützschena selbst Edelschafe in großem Stil zu züchten. Die Merinoschafe haben wegen ihrer begehrten Feinwolle eine große wirtschaftliche Bedeutung. Davon hört sogar Zar Alexander I., der Maximilian Speck einlädt, die russische Landwirtschaft zu fördern. Der Zar ernennt ihn 1825 zum Ritter von Speck, der bayerische König Ludwig I. macht ihn um 1829 schließlich zum Freiherrn von Sternburg.

Wie alle wohlhabenden Leipziger Handelsherren sammelt der Tuchhändler Kunst. Da er Handelshäuser auf der ganzen Welt unterhält, reist er viel und hat bei seiner Rückkehr nicht selten ein Gemälde im Gepäck. Verheiratet mit der wohlhabenden Tochter eines Leipziger Bürgermeisters, trägt er mit ihr über viele Jahre eine erlesene Sammlung von Gemälden und grafischen Blättern zusammen. Ehefrau Charlotte ist selbst Kupferstecherin.

Sein Enkel Hermann Speck von Sternburg ist Botschafter des Deutschen Kaiserreiches in den USA und China. Auch von dort gibt es viele Kunstschätze, einige davon sind in der Sammlung des GRASSI Museums für Völkerkunde zu finden. Ur-Ur-Enkel Wolf-Dietrich, dem Haupterben Maximilians, ist der Kunstsinn daher schon in die Wiege gelegt worden.

Hotelkaufmann zieht es hinaus in die Welt


Geboren wird Wolf-Dietrich Speck von Sternburg in Stolp, das damals zu Hinterpommern (heute: Słupsk in Polen) gehört. Dort verlebt er eine glückliche Kindheit und die Volksschulzeit. Die Familie wird nach 1945 vertrieben und kommt zunächst nach Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern. Später siedelt sie sich im hessischen Wiesbaden an. Wolf-Dietrich Freiherr Speck von Sternburg macht schließlich eine Ausbildung zum Hotelkaufmann in Bad Reichenhall. Es zieht ihn hinaus in die Welt, nach Ecuador, Peru und in die USA. Dort arbeitet er als Kellner und Concierge. An der Cornell University in Ithaca im Bundesstaat New York absolviert er ein Studium zum Hotelmanager. Bis zur Pensionierung im Jahr 1996 ist er Prokurist bei einer Münchner Hotelgesellschaft.

Die Familie hat die Sammlungen verwaltet, später nicht mehr durch Neukäufe ergänzt. Der Älteste als Majoratsherr ist jeweils der Erbe, muss aber für die Familie sorgen, die Älteren unterstützen, die Ausbildung für die Jüngeren bezahlen. Dadurch ist auch die Sammlung vereint geblieben. Im Roman „Der Wollhändler“ von Susan Hastings wird die Familiengeschichte verarbeitet.

Zum Kirchentag und zur Messe in Leipzig


Zu DDR-Zeiten wird die Sammlung enteignet. Zu ihr gehören Meisterwerke von
Lucas Cranach dem Älteren, Rubens und Caspar David Friedrich, Johan Christian Dahl, Conegliano und zahlreiche Werke holländischer Meister. Die mehr als 200 Werke werden im Museum der bildenden Künste aufbewahrt und teilweise gezeigt. Als 19-Jähriger kommt der Freiherr im Jahr 1954 erstmals nach Leipzig – damals zum Evangelischen Kirchentag. Er wohnt bei der Tante in einer Dachkammer der Villa Sternburg. Im Schloss darf sie schon lange nicht mehr wohnen. Heimlich besichtigt er den verwilderten Schlosspark und macht Fotos. „Es war ein trauriger Anblick. Der Park, den meine Familie über Jahrhunderte gepflegt hat, Friedhof und Mausoleum waren verwildert“, erinnert er sich. Mit Hilfe der Fotos konnten nach der Wende viele Statuen und Monumente rekonstruiert werden.

Doch zunächst wird die Mauer errichtet. Leipzig und Lützschena rücken für den jungen Mann in weite Ferne. In den 1970er und 1980er Jahren kommt er zur Leipziger Messe. Dort besichtigt er auch das Museum der bildenden Künste, das damals im ehemaligen Reichsgericht untergebracht ist. Und sieht auch das Schild unter einigen Gemälden: „Erworben 1945“. Das stößt zwar bitter auf, doch insgesamt freut er sich, dass die Sternburg-Sammlung überhaupt noch existiert. „Das positive Denken und Handeln habe ich meiner Mutter zu verdanken – trotz aller Tragik in ihrem Leben“, sagt er. Die Eltern habe er nie jammern gehört.

Nach der Friedlichen Revolution fürchten der Freistaat Sachsen und die Stadt Leipzig, dass die Familie Speck von Sternburg ihren rechtlich verbrieften Eigentumsanspruch geltend macht und die Bilder zurückfordert. Wolf-Dietrich wird als Vertreter der Familie nach Leipzig geschickt, um sich um das Erbe zu kümmern. Er fühlt sich verpflichtet, die Sammlung in Leipzig zu belassen. Maximilian Speck verfügte einst, dass seine Sammlung an die Stadt Leipzig fallen solle, sobald es keine männlichen Namensträger mehr gäbe. Das ist zwar nicht der Fall. „Ich habe mir gedacht, Maximilian hat diese Sammlung eigentlich der Stadt Leipzig übergeben wollen“, so der Nachfahre. „Und da war die beste Lösung eine Stiftung.“

Stiftung gegründet – Gemälde sollen zugänglich bleiben


Die Stiftung wurde am 12. November 1996 in Leipzig gegründet. Sie überlässt dem Museum die 202 Gemälde, rund 700 Grafiken und eine Kunstbibliothek als Dauerleihgabe. Anstatt einige der Bilder in seinen Wohnungen in München und Leipzig oder in Räumen im Lützschenaer Schloss aufzuhängen, betrachtet er diese lieber im Museum. „Es ist die Erinnerung an Maximilian und seinen letzten Willen, die Gemälde für die Öffentlichkeit zu erhalten“, begründet er mit viel Respekt vor dem berühmten Vorfahren.

Parallel kümmert er sich um das Schloss in Lützschena, das die Familie ebenso wie den enteigneten und in 34 Parzellen geteilten Park zurückkauft. „Ich wollte nie Parkbesitzer sein. Aber es war die einzige Möglichkeit, den Park für Lützschena zu erhalten und handlungsfähig zu bleiben.“ Im Schloss war damals eine Schule für behinderte Kinder untergebracht. Mit wie viel Liebe sie betreut worden sind, habe ihn sehr berührt, sagt er. Und es ist wohl der Ansporn, das Kinderhospiz Bärenherz in Markkleeberg, das erste Kinderhospiz in Mitteldeutschland, zu unterstützen. Dort ist er Mitglied im Kuratorium.

Auf Stiftermosaik im Bildermuseum verewigt


Wolf-Dietrich Speck von Sternburg lebt heute abwechselnd in München und Leipzig. Und hat sich den Ruf eines „Außenministers“ der Messe- und Handelsstadt erworben. Mehrfach ist er ausgezeichnet worden, darunter mit dem Verdienstorden des Freistaates Sachsen und der Ehrenmedaille der Stadt Leipzig. 2010 erhielt er vom damaligen Bundespräsidenten
Christian Wulff das Bundesverdienstkreuz I. Klasse. Porträtieren lassen für ein Gemälde hat er sich nie. Doch Wolf-Dietrich Speck von Sternburg ist auf dem Stiftermosaik verewigt, das der Münchner Künstler Stephan Huber fürs Foyer des Museums der bildenden Künste geschaffen hat.

Stand: 20.2.2024

Bildergalerie - Speck von Sternburg, Wolf-Dietrich

Torhaus Dölitz und Zinnfigurenmuseum

Helenenstraße 24 | Ortsteil: Dölitz-Dösen

Das Kartenspiel „Rommé Bonaparte“ erzählt viele Details rund um die Epoche des Franzosenkaisers Napoleon und der Völkerschlacht bei Leipzig anno 1813. Der Verband Jahrfeier Völkerschlacht 1813 lässt sich immer wieder etwas einfallen, um die Erinnerung an die Geschehnisse der blutigen Schlacht wachzuhalten. Die tobt 1813 auch am Torhaus Dölitz, das seit vielen Jahren das Zinnfigurenmuseum beherbergt. Am Torhaus verhindern die mit Napoleon verbündeten Polen unter dem Kommando von Fürst Józef Antoni Poniatowski, dass die Österreicher die Pleiße überqueren und somit dem französischen Kaiser Napoleon Bonaparte in den Rücken fallen.

Das älteste Bauwerk in Dölitz


Als Herrensitz hat das
Rittergut Dölitz eine lange Geschichte. 1348/49 wird der Ort Dölitz erstmals urkundlich erwähnt. Einen Herrensitz gibt es da schon. 1550 – Dölitz hat damals etwa 200 Einwohner – wird das Renaissanceschloss erbaut. Knapp ein Jahrhundert später werden Schloss und Rittergut an den Leipziger Kaufmann Georg Winckler verkauft, der es bis 1640 erneuern und umbauen lässt. 1670 bis 1672 wird dann das Torhaus als Übergangsbau im Stil des holländischen Barocks errichtet.1927 kauft die Stadt Leipzig schließlich den Gutskomplex Dölitz. Im Zweiten Weltkrieg wird das Dölitzer Schloss stark beschädigt, die Reste des Gebäudes werden schließlich 1947 gesprengt. Heute ist das Torhaus das älteste Bauwerk in Dölitz. In der Ausstellung ist ein Modell des ehemaligen Rittergutes zu sehen. Anhand von alten Zeichnungen, Fotografien und Grundrissen sind alle Gebäude in Miniatur rekonstruiert. Dazu gehört selbstverständlich das nur noch auf Bildern existierende Schloss. Vom Rittergut sind neben dem Torhaus noch ein baufälliges Verwaltungsgebäude sowie ein von Vereinen genutztes Stallgebäude übrig. Das Modell wird für die museumspädagogische Arbeit genutzt.

Start mit Ehrenamtlichen vom Kulturbund der DDR


Bereits 1957 beginnt eine Gruppe des Kulturbundes der DDR im Torhaus eine Zinnfigurenausstellung einzurichten. Sie knüpft an die Tradition der Leipziger Sammlerschaft an. 1924 hat sich in der Messestadt die Klio gegründet, die Deutsche Gesellschaft der Freunde und Sammler kulturhistorischer Zinnfiguren. Anfangs umfasst die Schau etwa 15 Dioramen, die die Ereignisse der Völkerschlacht, der Stadtgeschichte und des Zeitalters des Preußenkönigs
Friedrich II. darstellen. 1963, zum 150. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig, kommen vor allem Schaubilder zu diesem historischen Ereignis hinzu. Bis 1990 bleibt die Ausstellung eine ehrenamtliche Einrichtung, die von Vereinsmitgliedern geleitet, ausgebaut und erweitert wird. Dabei obliegt ihnen nicht nur die inhaltliche Betreuung, sondern sie müssen sich auch um die Bausubstanz des Hauses kümmern. Am 1. Dezember 1990 werden die kulturhistorischen Zinnfiguren dem Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig zugeordnet. In den folgenden Jahren finden umfangreiche konzeptionelle und bauliche Maßnahmen statt. So wird das Gebäude 1991 bis 1995 trockengelegt und verputzt, das Dach neu gedeckt.

Neuer Schwung durch Verband Jahrfeier Völkerschlacht 


Das Gebäude bleibt allerdings nicht lange in Regie des Museums. Weil die Stadt Leipzig sparen muss, übergibt sie das Torhaus Dölitz 1998 an einen Verein, der mit Fördermitteln aus dem städtischen Haushalt unterstützt wird. Das ist zunächst die AG „Befreiungskrieg 1813“ Finsterwalde, die es in Erbbaupacht übernimmt und eine Betreibergesellschaft gründet. Sie meldet nach einigen Jahren Insolvenz an und löst sich Ende November 2013 auf. Neuer Betreiber wird der Verband Jahrfeier Völkerschlacht bei Leipzig 1813, der dem Torhaus sowie dem Museum neuen Schwung verleiht. Der Verband zieht als Mieter in das städtische Gebäude ein.

Großdiorama zur Völkerschlacht ist Highlight


Das Haus wird mit Hilfe des Vereins Zinnfigurenfreunde betrieben, der dort Figuren und Dioramen verschiedener Epochen zeigt. Mittlerweile gehört das Zinnfigurenmuseum zu den größten seiner Art in Europa. Auf drei Etagen werden über 100.000 Zinnfiguren präsentiert. Ein Highlight ist das 25 Quadratmeter umfassende Groß-Diorama mit vielen Tausend Figuren. Es zeigt die Kampfhandlungen am 18. Oktober 1813 auf dem südlichen Schlachtfeld der Völkerschlacht rund um die Ortschaften Dölitz, Probstheida und Holzhausen. Thema der Dioramen ist aber nicht nur die Völkerschlacht. Zu sehen sind beispielsweise Figurengruppen und Einzelfiguren zu Babylon, von Rittern, der türkischen Belagerung Wiens 1683, selbst zum Rokoko. Neu ist ein Diorama mit der Schlacht bei
Connewitz am 16. Oktober 1813. Eine Bilderleiste, um das ehemalige Dorf heute verorten zu können, ist noch im Entstehen.

Eine Rolle spielt ebenfalls die Geschichte Leipzigs sowie die des ehemaligen Dorfes Dölitz, das im Jahr 1910 nach Leipzig eingemeindet wurde. Bei der Gestaltung des Raumes hat der Bürgerverein Dölitz geholfen. Wie Zinnfiguren hergestellt werden, ist ebenso wie ein Ausflug in ihre Geschichte zu bewundern. Regelmäßig gibt es Sonderschauen zu verschiedenen Themen. Dabei werden besondere Dioramen, wie eine Leipziger Trümmerbahn auf dem Augustusplatz, aus dem Fundus geholt. Diese zeigt, wie nach dem Zweiten Weltkrieg die Kriegsschäden beseitigt werden.

Gelände rund ums Torhaus wird entwickelt


Der Verband Jahrfeier Völkerschlacht bei Leipzig 1813 hat große Pläne, will auch das Gelände rund ums Torhaus entwickeln. Das erweist sich sowohl finanziell als auch durch das Naturschutzgebiet als schwierig. Das Stallgebäude soll zum kombinierten AusstelIungsgebäude mit Vortragsraum ausgebaut werden. Jährlich im Oktober wird das Areal regelmäßig für Biwaks genutzt. Integriert ist das Torhaus Dölitz
auch ins alljährliche Wave-Gotik-Treffen. Der agra-Park mit seinem Campingplatz dient als Unterkunft der Anhänger der schwarzen Szene. Für sie wurde 2023 erstmals eine edle Künstler-Spielkartenedition „Fantastic Mystic Gothic Rommé“ herausgegeben. Wie das Kartenspiel „Rommé Bonaparte“ hat dieses der Leipziger André Martini gestaltet. Vor dem Torhaus entstehen alljährlich zum Wave-Gotik-Treffen ein Heidnisches Dorf sowie ein großer mittelalterlicher Markt. Die Zinnfigurenfreunde bereiten ein Wave-Gotik-Diorama vor, das 2025 fertig sein soll.

Gearbeitet wird auch an einem „virtuellen Diorama“. Die Idee wurde während der Corona-Schließzeit ausgetüftelt, in der die Einnahmen wegbrachen. Nun wird zu Patenschaften für 12.126 Figuren aufgerufen – so viel hat das große Völkerschlacht-Diorama. Im Oktober 2023 waren es bereits knapp 10.700 Figuren. Geplant ist, ein großes Wimmelbild mit Zinnfiguren aus verschiedenen Epochen vor einem Leipziger Gebäude und eine Tafel mit Namen der Spender zu erstellen. Das Torhaus Dölitz arbeitet in einem Museumsbund mit dem Sanitäts- und Lazarettmuseum Seifertshain, dem Körnerhaus Leipzig-Großzschocher sowie dem Museum Torhaus Markkleeberg.

Stand: 10.01.2024

Bildergalerie - Torhaus Dölitz und Zinnfigurenmuseum

Historisches Bildmaterial - Torhaus Dölitz und Zinnfigurenmuseum

Johanniskirche und Bach-Gellert-Gruft

Johannisplatz | Ortsteil: Zentrum-Südost

Im Frühling ist es besonders reizvoll. Dann blühen die japanischen Kirschblüten auf der Spitze des Johannisplatzes, an der sich die Prager Straße und die Dresdner Straße teilen. Diese Grünfläche ist ein besonderer Ort. Einst stand hier die Johanniskirche, die beim Bombenangriff auf Leipzig am 4. Dezember 1943 ausbrannte. Ihre Geschichte reicht bis zum Jahr 1305 zurück. Sie wird mehrmals umgebaut, das seit 1585 bestehende spätgotische Kirchenschiff durch einen Neubau im Stil des Neobarocks ersetzt. Das passiert in den Jahren zwischen 1894 und 1897. Das Besondere: Es wird eigens eine Gruft mit zwei Sarkophagen geschaffen, in der seit 1900 die sterblichen Überreste von Johann Sebastian Bach und Christian Fürchtegott Gellert ruhen. Die Entwürfe dafür stammen vom Hamburger Architekten Fritz Schumacher. Gefertigt werden sie aus französischem Kalkstein. 

Der bauliche Zustand der Gruft lässt allerdings schon kurz nach der Einweihung zu wünschen übrig. Deshalb muss sie bereits zum Bachfest 1928 instandgesetzt werden. Sie wird an die Neue Bach-Gesellschaft übergeben. Damals entstehen farbliche Ornamente an den Wänden. Mit dem Abbruch der Reste der Johanniskirche verschwindet auch die Gruft.

Pläne für ein Bach-Mausoleum scheitern


Bei Aufräumarbeiten nach dem Bombenangriff sind die Reste des Gotteshauses wohl an Ort und Stelle in der Erde verfüllt worden. Der barocke Turm bleibt allerdings stehen, wird 1956 restauriert. Es gibt sogar einen Gestaltungswettbewerb. Er sollte zunächst Teil eines geplanten Bach-Mausoleums werden. Doch die Pläne werden zu den Akten gelegt. Der Turm wird von den SED-Parteifunktionären als „hohler Zahn“ diffamiert und am 9. Mai 1963 endgültig gesprengt. Bachs Gebeine sind bereits am 28. Juli 1949 in die
Thomaskirche gebracht worden. Dort befindet sich das Bach-Grab heute noch. Gellert, der zunächst in die am 30. Mai 1968 ebenfalls gesprengte Universitätskirche St. Pauli verbracht wird, ist inzwischen auf dem Südfriedhof beigesetzt. Die Kanzel des Gotteshauses ist im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig ausgestellt. Nach dem Abriss der Kirche wird ein 80 Zentimeter dicker Mutterboden auf dem Schutt aufgebracht – es entsteht die heutige Grünfläche. 

Die Bach-Gellert-Gruft liegt noch immer verschüttet unter ihr. Das hat der Verein Johanniskirchturm nachgewiesen, der bei einer Probegrabung im November 2014 zumindest einen Teil ans Licht holt. Bereits im Oktober 2010 initiiert der Verein geoelektrische Messungen, um Lage und Zustand der Gruft näher zu erkunden. Bei der Grabung wird der gesamte Gruftbereich freigelegt. Seitdem ist klar: Die Umfassungsmauern sind erhalten geblieben. An den Wänden befinden sich nach wie vor im oberen Bereich Ornamente. „Soli-Deo-Gloria“ – „Gott allein zur Ehre“ ist noch an der Wand zu lesen. Auch der Fußboden, bestehend aus roten und blauen Fliesen, ist größtenteils noch original vorhanden. Es ist deutlich zu sehen, an welcher Stelle die beiden Sarkophage einst standen. Von ihnen sind allerdings nur noch Steinsplitter gefunden worden. Im Bauschutt liegen auch Reste der Säulen der Kirche. Ihre ursprüngliche Pracht lässt sich nach der Freilegung zumindest erahnen. Die Gruft ist vermessen und fotografisch dokumentiert, aber längst wieder unter der Erde verschwunden. Alles ist jedoch so weit vorbereitet, sie mit geringem Aufwand wieder zu öffnen.

Johannisplatz verliert städtebauliche Funktion


Mit der Sprengung im Mai 1963 hört die städtebauliche Einheit von Johanniskirche und
Grassimuseum auf zu existieren. Der Johannisplatz verliert seine ursprüngliche Funktion. Die Beseitigung des Johanniskirchturms ist der Auftakt für eine Reihe von Sprengungen, denen auch das Augusteum der Universität Leipzig und die Universitätskirche zum Opfer fallen. Vor der Kirche stand einst das Luther-Melanchthon-Denkmal, das allerdings schon Anfang 1943 als Metallspende für den Krieg demontiert und eingeschmolzen wurde.

Erläuterungstafeln am Sockel der Grünfläche


Auf dem Johannisplatz wird inzwischen an die Kirche sowie das geschichtsträchtige Areal, das als Eingang zur Ostvorstadt gilt, erinnert. Ein marode gewordenes Holzkreuz aus dem Jahr 1993, das an die Zerstörung der Johanniskirche in der Bombennacht vom 3. zum 4. Dezember 1943 erinnerte, wurde 2013 durch ein neues Kreuz ersetzt, das aus Eichenholz gefertigt wurde. Das rund 4 Meter hohe Kreuz markiert den Standort des ehemaligen Kirchturms. Auf dem Querbalken wurde der Schriftzug „Zur Erinnerung“ angebracht.

Weiterhin sind das ehemalige Grab von Johann Sebastian Bach und seiner Frau Anna Magdalena Bach sowie die spätere Gruft markiert, indem im Jahr 2016 am Steinsockel an der Grünfläche Erläuterungstafeln aus Bronze angebracht wurden. Geschaffen wurden sie vom Leipziger Bildgestalter Heinz-Jürgen Böhme. Der Verein Johanneskirchturm bemüht sich seit seiner Gründung in geeigneter Form an die Johanniskirche zu erinnern. Der Verein hofft, dass Leipzig die Bach-Gellert-Gruft eines Tages wieder freilegt und die Stadt dadurch einen besonderen touristischen und historisch wichtigen Anziehungspunkt erhält.

Stand: 10.01.2024

Bildergalerie - Johanniskirche und Bach-Gellert-Gruft

Hartinger, Anselm

Musikwissenschaftler, Historiker, Museumsleiter | geb. am 6. Juni 1971 in Leipzig

Bei besonderen Anlässen dichtet er sogar: Für die Eröffnung eines barrierefreien Zugangs zum Forum 1813 sowie zu den Servicebereichen Kasse und Shop am Völkerschlachtdenkmal hat Anselm Hartinger Friedrich Schillers Glocke in „Die Rampe“ umgedichtet und vorgetragen. Das passt zu seinem Credo: „Museum darf gern auch Spaß machen.“ Der Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, zu dem auch das Völkerschlachtdenkmal als eine von sieben Institutionen gehört, steckt voller Ideen und Herzblut, um den Besuchern die reichhaltige Geschichte seiner Heimatstadt nahezubringen. Der gebürtige Leipziger hat einfach Spaß und Lust, seine Gäste zu inspirieren. Und schreibt auch gern Limericks.

Am 6. Juni 1971 wird er als Sohn der Literaturwissenschaftler Christel und Walfried Hartinger geboren, die an der Karl-Marx-Universität (heute Universität Leipzig) lehren. Er besucht die Leibnizschule und macht sein Abitur auf der Thomasschule, wo sich die Liebe des späteren Musikwissenschaftlers zu Johann Sebastian Bach festigt. Und wo er versucht, die Thomaner beim Fußballspielen zu besiegen.

Eine große Liebe zu Bach


An der Universität Leipzig studiert er Mittlere und Neue Geschichte sowie Historische Musikwissenschaft und einige Semester Philosophie. In den 1990er Jahren wohnt er in
Connewitz, in der Nähe der Kultkneipe Frau Krause und jobbt auch in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung. Mit einer Arbeit über die Bach-Aufführungen und den Strukturwandel im Leipziger Kultur- und Musikleben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts promoviert er. Seinen ersten Job bekommt er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bach-Archiv Leipzig und ist auch für die Neukonzeption des Bachmuseums Eisenach verantwortlich. Als Dozent zieht es ihn 2006 nach Basel an die Schola Cantorum Basiliensis. 

Nach wie vor ist der bekennende Weinliebhaber mit der Schweiz sehr verbunden, hat gelegentlich Sehnsucht nach den Bergen. Er begleitet als musikwissenschaftlicher Berater die J.S. Bach-Stiftung, die in St. Gallen beheimatet ist. 2024 will er eine „Ratswahlkantate“ texten, so wie sie einst Bach komponiert haben könnte. Der Thomaskantor hat jedes Jahr zum Bartholomäustag im August eine Festmusik für den Leipziger Rat vertont. Die hypothetische Version, für die Hartinger das Libretto verfasst, wird zu den Bachtagen 2024 in St. Gallen aufgeführt. „Ich bemühe mich, die Bachwelten in Leipzig und der Schweiz zu verknüpfen.“ Er spielt Cembalo und Orgel, singt und leitet eine Zeitlang einen gemischten Chor in Engelsdorf. Viel Freude hat er einst auch beim Thomasius Consort. „Dieses Ensemble entsteht, weil ich damals in der Thomasiusstraße wohnte“, blickt er zurück. Konzerte spielte er damals beispielsweise gemeinsam mit dem heutigen Bachfest-Intendanten Michael Maul.

2012 zieht es ihn als Kurator an das Landesmuseum Württemberg in Stuttgart, wo er bis 2014 die Sammlung historischer Musikinstrumente betreut. „Wir haben ein Haus der Musik daraus gemacht.“ Danach geht er für viereinhalb Jahre in die thüringische Landeshauptstadt, wo er die Geschichtsmuseen Erfurt leitet. Doch dann kehrt er als Nachfolger von Volker Rodekamp nach Leipzig zurück, wird im April 2019 Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig

„Wir haben den Mut, uns auf einen Weg zu begeben, dessen Ende wir noch nicht kennen“, sagte Hartinger damals. Ziel sei es, das Museum bürgernäher, pluraler und attraktiver für die unterschiedlichsten Zielgruppen zu machen. Da ist das Museum inzwischen auf einem guten Weg, es wird viel mehr draußen für die Stadtgesellschaft angeboten. „Museum on tour“ – die Präsenz mit einem Lastenfahrrad und Objekten bei Stadtteilfesten ist ein Beispiel dafür. Es gibt inzwischen mehr Vorträge und Begegnungen. „Bei der Vorbereitung von Ausstellungen arbeiten wir viel mehr mit Experten aus der Bürgerschaft zusammen“, betont Hartinger. 

„… oder kann das weg?“ wird ein Projekt genannt, bei dem Sammelobjekte wie Napoleons Nachttopf, Walter Ulbrichts Küchenstuhl und Tante Martas Taufkleid, die das Tageslicht seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben, gezeigt werden. In vergnüglicher Weise wird in einer Ausstellung die Frage gestellt, warum Museen sammeln und worin die einzigartige Aura und Relevanz auch scheinbar alltäglichster Objekte liegen kann. Gezeigt werden auch Objekte, die dem Museum geschenkt werden – etwa in der Schau „Ehrenplatz“, bei der es um das Sportmuseum Leipzig geht. Einen Besucherbeirat gibt es auch.

Ein kritisches Nachdenken über Leipzig


Das
Schillerhaus, die Literatur-Gedenkstätte in Gohlis, ist inzwischen neu konzipiert und wird als Nachbarschaftsmuseum in Kooperation mit dem Bürgerverein Gohlis zum Begegnungsort weiterentwickelt. „Mir ist wichtig, immer wieder kritisch darüber nachzudenken, was Leipzig eigentlich ausmacht“, betont der Museumschef. Sein Ziel ist, Leipzig unter aktuellen Gesichtspunkten zu befragen. Ob Klimawandel, die Geschichte der Kohle oder die spannenden Umbrüche in den 1990er Jahren – Themen gibt es dafür zuhauf. Dabei will Hartinger möglichst unterschiedliche Perspektiven zulassen. 

Daneben ist Hartinger auch Bauherr. Etwa im Museum „Zum Arabischen Coffee Baum“, das im Herbst 2024 wiederöffnet wird. Oder im Sportmuseum, das dringend eine Dauerschau braucht. Dieses Problem wollen Hartinger und sein Team in diesem Jahrzehnt endlich lösen.

Anselm Hartinger ist auch Geschäftsführer der Stiftung Völkerschlachtdenkmal. Nach der grundhaften Sanierung des Völkerschlachtdenkmals bleibt die Herausforderung, die Bausubstanz sowie die technischen Anlagen dauerhaft zu erhalten. Dafür sind weiterhin viele Investitionen und Reparaturen nötig. Ziel ist auch, das Denkmal inhaltlich als Magnet für Touristen weiterzuentwickeln sowie die Erinnerung an die grausame Völkerschlacht bei Leipzig auf eine modernere Art und Weise wachzuhalten. So soll das Forum 1813 weiter entwickelt werden, es viel mehr Vorträge und Veranstaltungen geben.

Wenig Zeit für eigene Forschungen


Hartinger hat viele Fachbeiträge, Bücher und Artikel verfasst. Dazu gehört das 2005 erstmals in der Edition Leipzig erschienene Buch „Bach, Mendelssohn und Schumann“. Die Arbeit als Wissenschaftler ruht derzeit. „Für grundhafte, eigene Forschung habe ich momentan kaum noch Zeit“, sagt Hartinger. Als Direktor müsse er „seine Museen“ repräsentieren und inhaltlich mit seinem Team weiterentwickeln. „Das Spektrum der Themen im Stadtgeschichtlichen Museum ist riesig. Da kann ich nicht überall Experte sein. Aber ich kann mich bemühen, alle Themen zu durchdringen und mein Team bei den Forschungen unterstützen.“ Er konzentriere sich da eher auf konzeptionelle Arbeit, auch im Deutschen Museumsbund.

Stand: 10.01.2024

Bildergalerie - Hartinger, Anselm

Girardet, Georg

Jurist, ehemaliger Bürgermeister und Beigeordneter für Kultur der Stadt Leipzig | geb. am 7. September 1942 in Kempten

Er ist ein Gentleman: 17 Jahre steht Georg Girardet an der Spitze der Leipziger Kultur und prägt das Kulturleben in einer durchaus wilden Zeit, in der viele Entscheidungen getroffen und Probleme gelöst werden müssen. Während seiner aktiven Jahre im Leipziger Neuen Rathaus hat Girardet fast eine halbe Milliarde Euro in diversen Kultureinrichtungen verbaut. Der Neubau des Museums der bildenden Künste Leipzig, die Sanierung des Grassimuseums sowie der Ausbau des Zoo Leipzig sind nur wenige Beispiele. 

Girardet ist keiner, der sich zurücklehnt. „Es macht mir Spaß, nützlich zu sein“, ist eine seiner Devisen, die auch im Ruhestand noch gilt. Er lebt in Leipzig und Berlin. Und ist bei vielen Veranstaltungen an der Pleiße nach wie vor präsent. Bei einer Verabredung trifft er sich gern im Café Gloria, dem Café des Bach-Archivs, damit diesem der Erlös zugute kommt. Zum Bach-Liebhaber ist er erst in Leipzig geworden.

Als „DDR-Analphabet“ in Ost-Berlin


Georg Girardet wird am 7. September 1942 in Kempten im Allgäu geboren. Er ist der Sohn einer Essener Verleger-Dynastie und beginnt nach dem Abitur ein Jurastudium, dem die Promotion folgt. Der junge Mann wird Referent für Berufsbildung im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (1973 bis 1977), danach Referent sowie später Kulturreferent in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR in Ost-Berlin. Damit verbunden war für ihn ein intensiver Lernprozess, denn anfangs fühlte er sich als „DDR-Analphabet“. Seine Mutter übernimmt 1953 eine Hilfsorganisation „Der Helferbund“, die bis Mitte der 1980er Jahre Pakete mit Kleidung und Lebensmitteln an Familien in der DDR schickt. Mit zwölf Jahren beginnt er selbst einer Familie zu helfen.

Als erfindungsreicher Diplomat schafft er es in seiner Zeit bei der Ständigen Vertretung, die Mauer für die Kunst und die Künstler ein wenig zu durchlöchern. Das Gartenhaus in Ost-Berlin wird zu einem Treffpunkt für Kulturschaffende und Interessierte. Girardet hilft Künstlern, indem er sie mit Katalogen und Büchern von Kunstverlagen versorgt oder auch mal ihre Werke an Galerien und Museen im Westen vermittelt. Das ist sowohl aus Ost- als auch West-Perspektive illegal. Der Kulturreferent schmuggelt mit seinem Diplomatenausweis und seinem Volvo-Kombi mit Diplomatenkennzeichen Kunst in beide Richtungen über die Grenze am Übergang Invalidenstraße. Nie aus Eigennutz, wie er betont.

Rettung des Dokfilm-Festivals wird erste Mission in Leipzig


1985 wechselt er in den Westberliner Senat. Dort übernimmt er beispielsweise die Referatsleitung für die 750-Jahr-Feier 1987 sowie für die Veranstaltungen innerhalb des Projekts „Berlin – Kulturhauptstadt Europas 1988“. Es folgt ein Job im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft. Am 1. Dezember 1991 wählt die Leipziger Stadtverordnetenversammlung ihn als Bürgermeister und Beigeordneten für Kultur der Stadt Leipzig. Dass er diesen Posten bekommt, hat ihn selbst überrascht, sagt er. Auf Empfehlung des Galeristen und Kunsthistorikers
Klaus Werner hatte er sich überhaupt erst beworben. Eigentlich wird nach der Abwahl des Vorgängers Bernd Weinkauf im Rathaus die Devise ausgegeben, für diese Funktion „niemanden aus dem Westen“ zu nehmen. Doch seine beruflichen Erfahrungen zum einen mit der DDR-Kulturpolitik und – Kulturszene und zum anderen in der westdeutschen Kulturverwaltung auf Bundes- und Landesebene wiegen offensichtlich schwerer.

Der neue Kulturbürgermeister erweist sich als ein Glücksfall. Seine erste Mission wird die Rettung des Internationales Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm, das abgewickelt werden soll und in eine neue Rechtsform überführt wird. Girardet, der viele Baustellen gleichzeitig bewältigen muss, erwirbt sich den Ruf als Kultur-Ermöglicher. Um den Neubau des Museums der bildenden Künste in der Katharinenstraße oder die Sanierung des Grassimuseums am Johannisplatz erwirbt er sich Verdienste.

Girardet wird in Leipzig zum Bach-Liebhaber


Beharrlich kümmert er sich darum, für das
Bachfest Leipzig samt Thomanerchor und Bach-Archiv eine Zukunft zu entwickeln. Die Skepsis des damaligen Oberbürgermeisters Hinrich Lehmann-Grube ist groß. Es wird viel diskutiert, ob Leipzig tatsächlich mit Bach genug Publikum für ein internationales Musikfestival mobilisieren kann. Girardet lässt Gutachten anfertigen, der Skeptiker Lehmann-Grube sich überzeugen. Und der Erfolg gibt Girardet recht. „Die Besucher kommen von weit her, um am authentischen Ort die Musik von Bach zu genießen“, sagte er 2000. Und macht kein Geheimnis daraus, dass er sich erst in Leipzig zum Bach-Fan entwickelt hat. „Das war kein leichter Weg. Als Achtjähriger konnte ich mit dem Weihnachtsoratorium noch nichts anfangen.“

Stolz ist er darauf, dass es gelungen ist, nach Kurt Masur für das Gewandhausorchester die Dirigenten Herbert Blomstedt und Riccardo Chailly nach Leipzig zu holen. „Das war ein Volltreffer“. Es ist die Stärke des Kulturbürgermeisters Girardet: Er gewinnt Menschen für Leipzig. Menschen, die Geld für Leipzigs Kultur ermöglichen. Das sind sowohl Politiker des Freistaates Sachsen als auch des Bundes. Es sind aber auch Privatpersonen, die Girardet bereits vor der Wende kennen und schätzen gelernt haben. Er setzt sich dafür ein, dass das Theater der Jungen Welt eine würdige Bleibe findet. Gemeinsam mit Zoochef Jörg Junhold bastelt er am Konzept des Zoos der Zukunft, bei dem spätestens mit der weltweit einzigartigen Menschenaffenanlage Pongoland sowie der Tropenerlebniswelt Gondwanaland ein großer Wurf gelingt.

Diplomatisches Geschick für Leipzigs Kultur


Oft wird ihm im damaligen Stadtrat vorgeworfen, nicht kämpferisch genug zu sein. Doch Girardet hat es immer verstanden, mit behutsamer Hand und vor allem mit diplomatischem Geschick und Beharrlichkeit die Leipziger Kultur voranzubringen.  Natürlich gibt es auch Niederlagen: So konnte er den Abbau des
Leipziger Tanztheaters am Schauspiel 1998 ebenso wenig verhindern wie die Schließung der Ballettschule der Oper Leipzig. „Das sind Einrichtungen, die nach der Wende neu entstanden sind. Doch das Geld reichte nicht“, erinnert er sich. Auch die Zukunft des Naturkundemuseums konnte er nicht klären. Das wohl wichtigste Vermächtnis der knapp 18 Jahre Georg Girardets in Leipzig ist es wohl, das Kulturbudget auf sehr hohem Niveau zu halten. Natürlich: Die Freie Szene fühlte sich nur unzureichend von ihm vertreten. „Die Kritik ist nicht ganz unbegründet. Ich habe die Entscheidungen dem Kulturamt überlassen, das viel näher an der Freien Szene dran war.“

2009 endete die Amtszeit unter den drei Oberbürgermeistern Hinrich Lehmann-Grube, Wolfgang Tiefensee und Burkhard Jung. Girardet kann durchaus zufrieden auf sein Leipziger Lebenswerk zurückblicken. Danach bleibt er aktiv in Vorständen und bei Stiftungen. Besonders wichtig ist ihm nach wie vor die Arbeit in der Ephraim-Carlebach-Stiftung sowie seine Tätigkeit als Schatzmeister im Vorstand der Gesellschaft Harmonie Leipzig, die soziale und kulturelle Projekte sowie Kultur, Kunst und Wissenschaft in Leipzig fördert. Auch im Rotary-Club, bei der Internationalen Mendelssohn-Stiftung, im Kuratorium Bach-Archiv sowie in anderen Vereinen arbeitet er mit. Girardet hat viele Auszeichnungen bekommen, darunter das Bundesverdienstkreuz erster Klasse.

Stand: 10.01.2024

Bildergalerie - Girardet, Georg

Etzoldsche Sandgrube – Park und Gedenkort

Prager Straße / Paulinerweg / Augustinerstraße / Russenstraße | Ortsteil: Probstheida

Auf dem obersten Plateau des mit Bäumen bewachsenen Hügels wird der Besucher mit einem schönen Blick aufs Völkerschlachtdenkmal belohnt. Mit dem Bau des Steinernen Riesen in Probstheida ist die Etzoldsche Sandgrube eng verbunden. Schließlich ist das Areal mit dem heutigen Park einst entstanden, um Sand für den Denkmalsbau zu gewinnen. Inzwischen ist der aus vielen Trümmern entstandene 12 Meter hohe Hügel in der Parkanlage ein Gedenkort. Viele Reste historischer Gebäude, darunter die bei der Umgestaltung des Augustusplatzes am 30. Mai 1968 gesprengte Universitätskirche St. Pauli, liegen unter der aufgetürmten Erde.

Sandgrube wird zur Deponie für Trümmer


Weniger als einen Kilometer ist das Areal vom Völkerschlachtdenkmal entfernt, dessen Bau im Jahre 1898 beginnt. Neben anderen Baumaterialien wird dafür auch Sand benötigt, der in der Grube ihres einstigen Besitzers Etzold ausgehoben wird. Die Grube bleibt nach dem Denkmalbau in Betrieb – liegt dann aber brach. Nach den anglo-amerikanischen Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg auf Leipzig sind viele Trümmer zu beräumen. Die Etzoldsche Sandgrube wird für diese zur Deponie. Bis in die erste Hälfte der 1980er Jahre hinein dient die Grube, die bald zum Hügel anwächst, zur Ablagerung von Bauschutt. Und bis zur
Friedlichen Revolution wissen wohl nur wenige Leipziger, dass die Grube quasi zur Grabstätte der Kirchen und anderer Kulturgüter ihrer Stadt geworden ist. Forscher wollen nach wie vor herausfinden, ob möglicherweise auch Särge mit Gebeinen dort lagern. Viele Leipziger Honoratioren sind in der Gruft unter der alten Paulinerkirche am Augustusplatz beigesetzt worden. Ihre Gebeine sind vor der Sprengung in einer Nacht- und Nebel-Aktion an einen bis heute unbekannten Ort geschafft worden. Es ist unklar, ob es der Südfriedhof ist. Die Spuren sind vom DDR-Ministerium für Staatssicherheit offenbar gut getilgt worden, viele Fragen bleiben derzeit unbeantwortet.

Kirchensprengung ist politischer Akt


Die Sprengung der Universitätskirche St. Pauli, seit 1543 Bestandteil der
Universität Leipzig, ist ein politischer Akt gewesen. Der Sakralbau ist den Machthabern der DDR, die den Karl-Marx-Platz (heute Augustusplatz) nach sozialistischen Vorstellungen umgestalten wollen, ein Dorn im Auge. Deshalb muss die Kirche ebenso verschwinden wie das zentrale Gebäude des Augusteums, das zwar beschädigt war, aber zu retten gewesen wäre. Doch die SED-Oberen forcieren die Entwicklung eines zentralen Platzes, der für politische Manifestationen, Feiern und Volksfeste geeignet ist. Die politische Neuorientierung der als Karl-Marx-Universität benannten Universität soll durch eine andere Architektur manifestiert werden.

Bis zu 26 Meter tief werden die Trümmer am Grund der Etzoldschen Sandgrube gelagert. Viele Bauten aus dem Leipziger Osten landen ebenfalls hier. Das bekannteste ist die Markuskirche, die 1973 aufgegeben und 1978 gesprengt wird. 

Nach der Friedlichen Revolution kommen die Geheimnisse der Sandgrube ans Licht. Es ist die Evangelische und Katholische Studentengemeinde, die hier eine kreuzförmige Holzstele zum Gedenken aufstellt. Das ist am 23. Mai 2003.

Klanginstallation erinnert an Kirche


Im Jahr 2010 beginnt die Stadt Leipzig, hier einen Gedenkort einzurichten. Zu diesem Zweck wird der Park neu erschlossen, auf dem Plateau entsteht eine Klanginstallation von
Erwin Stache. „Verlorene Töne“ sollen an diesen verlorenen Ort erinnern. Der Gedenkort lädt ein, das abgesenkte Oval zu betreten und die Installation selbst auszuprobieren. Wer die eingelassenen Schieferplatten berührt, erzeugt mit Trittgeräuschen zunächst den Eindruck, als würde er sich auf hohlem Boden bewegen. Stimmen von Zeitzeugen, Orgelpfeifen und Stadtgeräusche sind zu hören. Die Töne schwellen an, bis plötzlich – als Hinweis auf das plötzliche Verschwinden des Sakralbaus – alle Geräusche abrupt verstummen. Die Klanginstallation ist nur in der wärmeren Jahreszeit in Betrieb (meist April bis Oktober).

Landschaftsarchitektur und Klangkunst wirken hier auf inspirierende Weise zusammen. Der Gedenkort ist zwar von Bäumen umgeben. In Richtung Augustusplatz bleibt aber eine freie Sichtachse. Auf diese Weise gelingt es, den einstigen Standort der Universitätskirche mit dem Ort ihrer Ablagerung räumlich zu verknüpfen. An Informationstafeln wird zudem über den historisch bedeutsamen Ort informiert. Der Park an der Etzoldschen Sandgrube ist auch bei Erholungssuchenden beliebt. Er ist ein idyllischer Ort mit Wiesenflächen und einem großen Kinderspielplatz. Auch Naturfreunde kommen hier auf ihre Kosten, denn der größtenteils wild aufgewachsene Wald ist eine Fundgrube seltener Pflanzenarten, darunter der in in Sachsen seltene Weiße Schwalbenwurz. Neben Robinien und verschiedenen Ahornarten gibt es auch Eschen, Pappeln, Silberweiden und Schwarzkiefern. Die Fläche des Parks hat eine Größe von 10,2 Hektar. 

Wer die Etzoldsche Sandgrube besuchen möchte, erreicht diese u.a. mit der Straßenbahnlinie 15 (Haltestelle Russenstraße).

Stand: 10.01.2024

Bildergalerie - Etzoldsche Sandgrube – Park und Gedenkort

Connewitzer Kreuz

Bornaische Straße, Wolfgang-Heinze-Straße, BIedermannstraße | Ortsteil: Connewitz

„Connewitzer Spitze“ – ein Sport- und Bewegungsparcours zwischen Wolfgang-Heinze-Straße, Biedermannstraße und Bornaischer Straße – im Leipziger Ortsteil Connewitz ist wohl eine Wortschöpfung der Neuzeit. Nur eine nicht mehr benutzte Gleiskurve trennt sie vom Kulturdenkmal mit dem nachgebildeten Weichbildzeichen, das dem Areal seinen Namen gab: dem Connewitzer Kreuz

Das ist leicht zu übersehen, da das „Kreuz“ mit seinem pulsierenden Leben und der starken Verkehrsbelastung durch sieben aufeinandertreffende Straßen kein zentraler Platz ist, auf dem die Menschen verweilen.

Ein Zeichen für städtische Gerichtsbarkeit


Das Kulturdenkmal hat die Zeiten überstanden. Errichtet wird es 1536 im Auftrag der Stadt Leipzig. Die achteckige, fast fünf Meter hohe steinerne Säule aus
Rochlitzer Porphyr sowie einer Sandsteintafel als Krone zeigt das Leipziger Stadtwappen sowie einen Totenkopf zu Füßen des Gekreuzigten. Geschaffen hat sie Hans Pfretzschner, der damalige Ratssteinmetz. Auf der Connewitz zugewandten Seite ist ein liegendes Kreuz abgebildet sowie die Jahreszahl der Aufstellung zu lesen. Die Säule ersetzt ältere hölzerne Kreuze, die die Stadt seit 1436 in Auftrag gegeben hat. 

Jene Weichbildzeichen zeigten damals an, dass das Gebiet der städtischen Verwaltungshoheit und Gerichtsbarkeit unterliegt. Das ist für die Kaufleute wichtig, die sich Leipzig nähern. Über die heutige Kochstraße reisen die aus dem Süden kommenden Handelsleute entlang der Via imperii – eine der bekanntesten alten Fernhandelsstraßen – zur Leipziger Messe. 1877 wird die Südstraße (heute: Karl-Liebknecht-Straße) als geradlinige Verbindung vom Kreuz zur Stadt Leipzig fertig gestellt. Im Jahr 1891 erfolgt die Eingemeindung des Dorfes Connewitz, das damals etwa 15. 600 Einwohnern hatte.

Original steht im Alten Rathaus


Solche Weichbildzeichen gab es damals übrigens an allen vier Ausfallwegen der Handelsstadt. Jenes in Connewitz bliebt als einziges davon erhalten. Das durch Umwelteinflüsse stark beschädigte „Connewitzer Kreuz“ wurde im Jahr 1994 durch eine Kopie ersetzt, für die sich benachbarte Kirchgemeinden wie jene der
Paul-Gerhardt-Kirche sowie die Sparkasse Leipzig eingesetzt hatten. Das Original befindet sich im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig im Alten Rathaus. Der Leipziger Bildhauer Markus Gläser hat es restauriert. Die Kopie des Connewitzer Kreuzes wurde am 8. September 1994 in feierlicher Form von Kulturdezernent Georg Girardet und Denkmalpfleger Wolfgang Hocquél vom Regierungspräsidium der Öffentlichkeit übergeben. An diesem Tag öffnet auch das Beratungszentrum Leipzig-Connewitz der Sparkasse an der Scheffelstraße.

Stand: 10.01.2024

Bildergalerie - Connewitzer Kreuz

Historisches Bildmaterial - Connewitzer Kreuz

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