Kaufmann, Küf

Regisseur, Kabarettist, Schriftsteller | geb. am 6. Mai 1947 in Marx (Russische Föderation)

Küf Kaufmann ist ein Multitalent. Leitmotiv seines Wirkens ist die starke kulturelle Neigung. Richtschnur seines Handelns ist die Verankerung des jüdischen Lebens in der deutschen Gesellschaft. Ausrufezeichen seiner öffentlichen Äußerungen sind die Positionen in verschiedenen jüdischen Organisationen. Wenn es darauf ankam, hat er sich notgedrungen auch mit profanen Geschäften durchgeschlagen und seinen Lebensunterhalt verdient, um anschließend mit frischer Kraft durchzustarten und seinen wahren Ambitionen nachzugehen. Als Jude aus dem untergegangenen deutschen Siedlungsgebiet an der Wolga, der seit 1990 in der vereinigten Bundesrepublik lebt und wirkt, vereint Küf Kaufmann in seiner Persönlichkeit verschiedene jüdisch-russisch-deutsch-europäische Züge. Sie wirken integrierend, nie verwirrend.

Unterhaltsamer Realsozialismus


Als jungen Mann zog es Küf Kaufmann 1966 aus dem südukrainischen Melitopol, wo seine Familie inzwischen lebte, zum Regiestudium nach Leningrad an eine Fachhochschule für Kultur. Nach dem erfolgreichen Abschluss hieß seine erste berufliche Station Petrosawodsk, eine der unzähligen, mittelgroßen russischen Industriestädte, die aus der Perspektive der Metropolen immer nur als „Provinz“ durchgehen.

Doch dann folgte die Einberufung zum Wehrdienst. Weil der nicht-militärische Auftritt durch die Truppe stets einen wichtigen Teil ihres beflissen gepflegten Wahrnehmungs-Spektrums nach außen bildete, gab und gibt es dort manche kulturelle Aktivitäten. Für den nicht besonders groß gewachsenen Küf eine willkommene Gelegenheit, seine Neigungen auch als Uniformträger zu pflegen. 1971 avancierte er dank seines beruflichen Hintergrunds zum Regisseur des Gesangs- und Tanzensembles der Sowjetarmee in Leningrad. Viele, die zum Wehrdienst verpflichtet waren, können gut nachvollziehen, welchen Vorzug es bedeutete, eine kleine interne Flucht anzutreten und dem Dienst mit der Knarre durch einen Dienst mit der Gitarre auszuweichen.

Nach seinem Wehrdienst blieb Küf Kaufmann in Leningrad, wo er seinen Lebensunterhalt als freiberuflicher Mitarbeiter verschiedener Medien im Bereich Kultur verdiente. 1980 stieg er zum Regisseur der Leningrad Music Hall auf, der er zehn Jahre lang treu blieb. Da fanden sich zwei, die gut zusammenpassten. Küf Kaufmann ist ein Unikum, die Leningrad Music Hall nicht minder. Das Revuetheater in der liberaler wirkenden, „eigentlichen“ russischen Hauptstadt bot ständig jene Portion lässiger Unterhaltung, die Moskau oft schmerzlich vermissen ließ. Kein Wunder, dass sich Talente davon angezogen fühlten. Doch in jenen Jahren begann die Sowjetunion zu beben. Nicht genug damit, dass „Piter“, wie seine Einwohner stets liebevoll schwärmten, beim Namen in die Rolle rückwärts zu St. Petersburg einschwang, brachten die unruhigen Zeiten neben zarten fortschrittlichen Pflänzchen auch allerlei Reaktionäres und Chauvinistisches hervor. Menschen wie Küf Kaufmann drohte Gefahr.

Ausweg und Hoffnungspfad Bundesrepublik


Der Antisemitismus erlebte in der russischen Geschichte mehrere Konjunkturen – wiederkehrende beschämende Aufschwünge ebenso wie einigermaßen beschwichtigende Abschwünge. Als sich die Situation in der chaotischen Niedergangsphase der Perestroika am Übergang zu den 1990er Jahren wieder einmal gefährlich zuspitzte, kam Küf Kaufmann eine Verpflichtung nach Berlin, wo im Friedrichstadtpalast einen gemeinsame Revue einstudiert werden sollte, gerade recht. Nur ging ausgerechnet in dieser Zeit auch die Berechenbarkeit mancher Entwicklung im umbrechenden deutschen und Berliner Ostteil verloren. Während sich also Küf Kaufmann gerade hoffnungsvoll auf dem Weg an seinen neuen Wirkungsort befand, wurde der Intendant des Friedrichstadtpalastes, der ihn engagiert hatte, entlassen. Damit war zugleich die Neu-Anstellung des Regisseurs, der soeben seine Leningrader Verankerung gekappt hatte, hinfällig. 

Es soll ein wohlgemeinter Ratschlag während eines Ost-Berliner Barbesuchs in gedrückter Stimmung gewesen sein, der Kaufmann einen Ausweg und ein leidliches Auskommen als Handelsvertreter wies: Der just im deutschen Einheitsjahr 1990 aus Russland Eingetroffene schickte sich an, bald darauf unspektakuläre Lebensmittel an die eigenen Landsleute zu verkaufen, die sich per Vertrag in der Gegenrichtung, also nach Hause, aufmachen mussten. Ohne Käse, Wurst und Bier lief auch bei den illusionslos heimkehrenden Kriegern nichts.

Im Jahr darauf zog Küf Kaufmann nach Leipzig. Er versuchte sein Glück in der Gastronomie, verlor aber nie die Kultur aus dem Blick. 1997 – da war Küf Kaufmann längst ein überzeugter Leipziger – kam die Zeit für neue Regieaktivitäten. Sie prägten seine Arbeit sechs Jahre lang und sorgten für reichlich Publizität. Die profunde Kenntnis kultureller Themen, das apart rollende „R“ in jedem mündlichen Vortrag und selbstironisch eingestreuter jüdischer Humor formten eine Marke und eine feste Größe im reichlich gefüllten Leipziger Kulturkalender. Zusammen mit Bernd-Lutz Lange spielte Küf Kaufmann ab dem Jahr 2000 Kabarett. Das Programm „Fröhlich und meschugge“ schlug einen unterhaltsamen deutsch-jüdischen Bogen, nahm Eigenheiten und Befindlichkeiten auf’s Korn und schaffte den Spagat, einem historisch schwierigen Thema den wohl dosierten Witz abzugewinnen, ohne den gebotenen Ernst einer belastenden Vergangenheit zu übertünchen.

Aktiv für die Präsenz des jüdischen Lebens


Bei all dem gezeigten Talent zum ausgewogenen öffentlichen Auftritt lag es nahe, Küf Kaufmann im Jahre 2005 den Vorsitz der
Israelitischen Religionsgemeinde zu übertragen. Immer öfter war er im Ariowitsch-Haus, dem Leipziger Zentrum der jüdischen Kultur, anzutreffen. Lesungen und Diskussionen galt es, zu einem wirkungsvollen Programm zusammenzufügen. Für unersetzliche, teils stimmungsvolle, teils bedrückende Archivbestände mussten Wege in eine gesicherte Zukunft gefunden werden. Küf Kaufmann, der Rastlose, brachte sich überall im Geiste bestandskräftiger Lösungen ein.

Damit strahlt er seit Langem weit über Leipzig hinaus aus. Die Wahl zum Mitglied des Präsidiums des Zentralrats der Juden in Deutschland im Jahr 2010 war folgerichtig. Und über Küf Kaufmann als 209. Mitglied konnte sich der Richard-Wagner-Verband Leipzig freuen. Mitglied in diesem Verband trotz Wagners Schmähschrift „Das Judentum in der Musik“? Kaufmann ist ganz Diplomat; das Elaborat nennt er „blöd“, aber Wagners Musik findet er klasse.

Jüdisches Leben ist für Küf Kaufmann kein Museum, sondern „ein lebendiger und wachsender Teil der Gesellschaft“. Hinein ins jüdische Leben und hinaus in die Gesellschaft beschreibt eine erfolgreiche Doppelstrategie.

Nicht ignorieren lässt sich das fortgeschrittene Lebensalter vieler Gemeindemitglieder. Für das Fundament einer guten Zukunft gewann deshalb der Umgang mit dem Archivbestand der Israelitischen Religionsgemeinde besondere Bedeutung. Um den Verbleib im Keller des Ariowitsch-Hauses wurde fünf Jahre lang leidenschaftlich gerungen. Anfang 2022 setzte sich Küf Kaufmann mit seiner Lösung durch: Die Akten, Urkunden, Fotos und Pläne gelangten als Depositum in das Stadtarchiv Leipzig. Die Israelitische Religionsgemeinde behält die Verfügung darüber. Worüber er sich nach der gelungenen Übergabe der kostbaren Unterlagen an das Leipziger Stadtarchiv am meisten freuen würde, beantwortet Küf Kaufmann auf seine unnachahmliche Weise: „Wenn es gelänge, endlich den Krieg ins Archiv zu verbannen“.

Stand: 10.03.2022

Bildergalerie - Kaufmann, Küf

Kaufhaus Ebert / Commerzbank

Thomaskirchhof 22 | Ortsteil: Zentrum

Ein Kaufhausbau im Leipziger Zentrum repräsentiert recht kompakt die steinerne Chronik des Einzelhandels der Innenstadt mit all seinen Steilkurven und Abschwüngen, den Umbauten und Funktionswechseln – und ist ein bedeutendes Beispiel des Jugendstils in Leipzig. Es geht um das Kaufhaus Ebert, das unter diesem Namen in keinem aktuellen Stadtplan mehr zu finden ist. Als Hauptfiliale der Commerzbank in Leipzig dagegen schon.

An der Spitze des sächsischen Textil-Einzelhandels


Franz Ebert
war ein talentierter Kaufmann. 1896 – mitten im dritten Wachstums-Jahrzehnt der jungen Großstadt Leipzig – eröffnete er ein Konfektionsgeschäft für Damen und Kinder in der Petersstraße 40. Die Geschäfte liefen prächtig, denn zu den Geschäftsräumen im Parterre des Hauses kamen schon zwei Jahre später die drei oberen Geschosse hinzu und kurze Zeit später zwei Etagen des Nachbarhauses Petersstraße 42. Zu diesem Zeitpunkt müssen die Pläne für ein eigenes Kaufhaus gereift sein, natürlich in der brodelnden Innenstadt. Just im Jahr 1900 wurde an der Ecke Thomaskirchhof/Klostergasse das betagte Amtshaus abgerissen. Dieses exponierte Grundstück sicherte sich Ebert. Der Entwurf für ein Kaufhaus, das dort entstehen sollte, stammte aus dem bekannten einheimischen Architektenbüro Schmidt und Johlige. Mit dem Felsenkeller, Zills Tunnel und Gewerbebauten in der Nonnenstraße hatten August Hermann Schmidt und Arthur Johlige bereits Zeichen gesetzt.

Dem Kaufhaus gaben die Baumeister eine charakteristische Form in Gestalt der abgeschnittenen Ecke, die den Verkaufstempel monumentaler und repräsentativer erscheinen lässt. Das gesamte fünfgeschossige Bauwerk, das 1904 bezogen wurde, spielt schwelgerisch mit den Elementen des Jugendstils und baute in seiner Entstehungszeit eher eine Brücke in das verflossene 19. Jahrhundert anstatt mit reduzierten, funktionaler daherkommenden baulichen Zutaten den Aufbruch in das viel nüchterner auftretende 20. Jahrhundert herauszukehren. Stattdessen eben dominierten elegant schwingende Holztüren unten sowie zierliche Türmchen und eine Krone oben. Vom großzügigen Entree wandten sich die Treppen zu beiden Seiten majestätisch nach oben, und die hohen Fensterflächen auf jeder Verkaufsetage ließen philosophische Schlüsse zu, ob die Käufer ausdrücklich gesehen werden sollten oder ob ihnen bewusst ein unverstellter Blick auf die umgebenden Bauten geboten wurde. Ein großstädtischer Kaufhausbau, der gut zu Leipzig passte, war auf jeden Fall gelungen. Die große Anzahl vergoldeter Fassadenelemente erweckte Aufmerksamkeit und ist für ein Geschäftshaus in Mitteldeutschland einmalig. Den Eingang zum Gebäude zieren zwei imposante Allegorien, welche die weiblichen „Sünden“ Eitelkeit (Superbia) und Genussucht (Luxuria) darstellen. 

Das Haus sei „mit allen technischen Neuerungen eingerichtet“ und biete „dem kaufenden Publikum die größten Bequemlichkeiten“, versprach die Werbung. In der sachlichen Diktion der Einzelhandelsökonomie bot der Konsumtempel etwa 5.000 Quadratmeter Nutzfläche, was rund einem Sechstel des späteren, nicht weit entfernten Primus unter der wechselnden Flagge vom Kaufhaus Althoff / Centrum / Karstadt entsprach. Mit seinem Neubau schwang sich Franz Ebert erst recht in die Spitzengruppe des Leipziger Einzelhandels auf. Anzeigen lockten die Kunden in das „größte Spezialhaus für Damen- und Kinder-Kleidung in Sachsen.“ Dass mitten in Leipzig sortimentstypisch auch Pelze offeriert wurden, versteht sich. Dem bürgerlichen Leipzig öffnete sich eine angemessene Angebotswelt.

Langer Weg vom Kaufhaus zum Bankhaus


Kaufhausgründer Franz Ebert starb im Jahr 1922. Die unruhige, kritische Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war sicher keine Erfolgsphase für den Einzelhandel. Mit der Hyperinflation im Spätherbst des darauffolgenden Jahres war der Tiefpunkt erreicht. Es folgte eine zaghafte Stabilisierung. Der Bezug auf Franz Ebert in einer Publikation der Leipziger Handelskammer im Jahr 1925 mit dem Versprechen „sein Werk aber besteht weiter und wird von seinen Erben in seinem Geiste nach altbewährten Grundsätzen fortgeführt“ wirkt wie die trotzige Botschaft, aus einer schwierigen Lage das Beste zu machen. Bald mussten kapitalkräftige Anteilseigner in das Privatunternehmen geholt werden, um die Marktposition zu verteidigen. Aus dieser Zeit stammt die Bezeichnung „Indanthren-Haus“, das eine neue Marke setzte und älteren Leipzigern noch Jahrzehnte später geläufig war. Hinter dem Kunstwort Indanthren verbirgt sich eine Produktbezeichnung für licht- und farbecht gefärbte Textilien unter Nutzung entsprechender Stoffe aus dem Chemiekonzern IG Farben. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das von Franz Ebert gegründete Kaufhaus der Konsumgenossenschaft übertragen, die ganz im Sinne der versprochenen Wandels zum Besseren daraus das „Kaufhaus Fortschritt“ machte. Am dominanten Textilsortiment gab es keine Änderung. Derweil kam das einst stolz auftrumpfende Gebäude immer mehr in die Jahre. Das Gold der Figuren auf den Schildern am Eingang war längst stumpf geworden und mit einer Staubschicht bedeckt. Der Charme des Treppenhauses schwand, und die hölzernen Fußbodendielen auf den Verkaufsetagen knarrten und ächzten verdächtig. Unverhofft trug sich noch ein deutliches Aufbäumen zu: Als es in der bleiern lastenden Atmosphäre der 1980er Jahre darauf ankam, wenigstens ein bisschen Erlebniskauf vorzuspielen – ein Gefühl, das reiselustige DDR-Bürger inzwischen bereits in Ungarn und in historischen Einzelhandelsgeschäften in der Tschechoslowakei kennen und schätzen gelernt hatten – wurde das Gehäuse des traditionsreichen Kaufhauses Ebert aufwendig saniert und als Kaufhaus Topas weiter genutzt. In Sachen Textil für eine breite Käuferschicht blieb das Topas ein kleiner Edelstein, gemessen an damaligen Ansprüchen.

Die Privatisierung des früheren DDR-Einzelhandels in der Treuhand-Phase ab 1990 stellte dagegen alles auf den Kopf. Viel zu verspielt erschien nunmehr das dekorative Interieur des Kaufhauses, reichlich unökonomisch die Relation von Verkaufs- zur Gesamtfläche. In dieser Situation schlug die Commerzbank zu und leitete den Wandel des Kaufhauses zu einem Bankgebäude ein. Die großen Fensterflächen im Erdgeschoss sollten der Leipziger Kunst vorbehalten sein, warben die Frankfurter Banker, um ungebremst und mit Leipziger Wohlwollen den Umbau beginnen zu können. Ob diese Kunst-Vision wohl jemals kommt?

Zweimal trugen sich teure Havarien an Vorabenden geplanter Bank-Eröffnungen im Gehäuse des einstigen Textilkaufhauses zu. Doch die Leipziger sind ja – mehrheitlich – nicht abergläubisch, und so blieben allenfalls komische Koinzidenzen in Erinnerung. Ob auch das Bankgeschäft „nach altbewährten Grundsätzen fortgeführt“ wird? Im Zuge der Bankenkrise 2008 musste die Commerzbank jedenfalls mit staatlichen Milliardenbeträgen gerettet werden – und damit irgendwie auch das Kaufhaus Ebert in Leipzig.

Stand: 26.09.2023

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Historisches Bildmaterial - Kaufhaus Ebert / Commerzbank

Flughafen Leipzig/Halle

Terminalring 11 | Schkeuditz

Alles begann mit einer Standortsuche, um dem Nebel zu entgehen. Als sich die Verkehrsluftfahrt mit Motorflugzeugen in den 1920er Jahren in den Himmel erhob, wollte Leipzig unbedingt früh dabei sein. In Mockau, im Norden der Stadt war ein Landeplatz für Zeppelin-Luftschiffe bereits etabliert, der für die neue Generation von Propellermaschinen ebenfalls geeignet war. Jedoch bemühte sich auch das nur 35 Kilometer entfernte Halle um eine gute Ausgangsposition an der Startlinie der Verkehrsluftfahrt. In Schkeuditz wurden die Planer fündig. Das freie Areal für den avisierten Flughafen lag erhöht genug, um dem gefürchteten Nebel in den Auenniederungen von Saale und Weißer Elster möglichst zu entgehen. Denn Radar für Schlechtwetterflüge gab es damals noch nicht. 

Towerblick auf ein Drehkreuz der Luftfahrt


Von der Aussichtsterrasse des Towers der Flugsicherung aus den 1980er Jahren eröffnet sich ein nahezu komplettes Panorama aus Historie und Gegenwart des heutigen Flughafens Leipzig/Halle. Manche Veränderung ist gut erkennbar, auch wenn die ältesten Gebäude aus dem Eröffnungsjahr 1927 längst verschwunden sind. Im Süden, auf der Schkeuditz zugewandten Seite, entstand schnell ein vom Bauhaus inspiriertes, transparentes Abfertigungsgebäude mit üppigen Glasflächen. Dass dieser Bau die Zeitläufe nicht überstand, bedauern Luftfahrt-Enthusiasten, denn es war im Grunde der Prototyp aller modernen Verkehrsflughäfen in der weiten Welt – mit klarer Trennung von Ankunft und Abflug und einer Abstellfläche für die Flugzeuge auf der Luftseite. Wegen der Modernität des Schkeuditzer Flughafens entschied sich die junge Lufthansa für dieses Aushängeschild ihrer Ansprüche, und damit war der stadtnähere
Flughafen Mockau für die Messestadt Leipzig plötzlich nur noch die Nummer zwei. 

Wer die historischen Fotos betrachtet, wird allerdings nachdenklich beim Gang der Fluggäste durch den Freisitz des Flughafenrestaurants hindurch, an den neugierigen Besuchern an den Kaffeetischen vorbei in Richtung ihrer abflugbereiten Maschine. Es galten offensichtlich unbeschwert lockere Sicherheitsstandards… 

Neustart als Messeflughafen


Nach militärischer Zwischennutzung im Zweiten Weltkrieg gelangte der Schkeuditzer Flughafen in der DDR-Zeit zu neuen Airport-Ehren während der
Leipziger Messen. Flogen die niederländische KLM oder die schweizerische Swissair auf Messe-Sonderlinien ein, bot ein solides Interim-Abfertigungsgebäude aus den 1950er Jahren die angestrebte einigermaßen weltstädtische Abfertigungskapazität. Der umgenutzte Zweckbau findet sich bis heute auf der Südseite. Zu sichtbarem Positionsgewinn setzte der Messeflughafen aus Prestigegründen in den 1970er Jahren an. Das Neubaugeschehen begann mit einem Flachbau, der mittlerweile bescheiden und fast randständig wirkt und dem Bereich General Aviation vorbehalten ist. Von hier startete die Interflug an manchen Tagen nach Moskau, Tatry, Varna und Burgas, und zu den Messen wurde es mit Aeroflot, Air France, British Airways, SAS, Swissair, KLM und Lufthansa (seit den 1980er Jahren) erheblich bunter.

Den Partnern aus dem Westen war daran gelegen, das Ziel im Osten mit Spitzentechnik anzusteuern. Spektakulär gestalteten sich ab 1986 die Messe-Sonderlinien von Air France und British Airways mit dem Überschall-Verkehrsflugzeug Concorde nach Leipzig. Die Welt war geteilt. Für den eleganten Superjet blieb die Destination Leipzig die einzige jemals angeflogene „hinter dem Eisernen Vorhang“. Seitens des Flughafens Leipzig/Halle eine historische Exzellenzposition mit Ewigkeitswert.

Mit der Einheit in den Steigflug


Mehr als die für rund 200.000 Fluggäste pro Jahr ausgelegten Kapazitäten konnte der Flughafen ab 1990 nicht in die deutsche Einheit einbringen. Wie sollten damit die als märchenhaft empfundenen Zahlen von über einer Million Fluggästen ordentlich abgefertigt werden? Die neue Gesellschaft des nun offiziell als Flughafen Leipzig/Halle firmierenden Unternehmens musste bauen, was das Zeug hielt und was die Flächen hergaben. 

Mitte der 1990er Jahre ging als erstes das neue Abfertigungsgebäude in Betrieb. Damit konnte sich der Airport ein wenig Luft in seinem Steigflug verschaffen. Indes näherten sich die jährlichen Fluggastzahlen längst ihrer nächsten „Schallmauer“: zwei Millionen.

Erkennbaren Nutzen zog Leipzig/Halle aus der fortschrittlichen Vorgabe der EU-Verkehrspolitik, moderne Flughäfen auf kurzen Wegen mit dem überregionalen Straßen- und Schienennetz zu verknüpfen. Die unmittelbare Nähe zu gleich zwei Bundesautobahnen gehört zur vorteilhaften „Erbmasse“ des Airports. Außerdem berührt ihn seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts eine Neubaustrecke im Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn. Um die Verkehrsträger geschickt zu kombinieren, legt sich seit dem Jahr 2001 der Abfertigungskomplex mit Parkhaus über Autobahn und Gleise und führt direkt zum  Abflug. Als dieses Bauwerk in Betrieb ging, wiesen alle Festredner darauf hin, dass für eine Verlängerung nach Norden Vorsorge getroffen sei. Entstünde jenseits der Autobahn A 14 ein zweites Bauwerk für Ankunft und Abflug, würde die jährliche Kapazität des Flughafens Leipzig/Halle auf fünf Millionen Passagiere und mehr steigen. Allerdings ist das Zukunftsmusik. Reichlich zwei Millionen Passagiere sind seit Jahren schon lange ein nur mäßig schwankender Wert.

Fracht-Millionäre im Anflug


Kräftige Investitionen in eine neue und in die neu in der Hauptwindrichtung ausgerichtete vorhandene Start- und Landebahn schufen die Basis für ein Geschäftsfeld, das sich seit 15 Jahren aus dem einstigen Schatten des Passagierverkehrs gelöst hat und noch schneller als „die Flüge zu den Sonnenzielen“ wuchs – den Frachtverkehr. Ausgehend von kaum ins Gewicht fallenden Mengen im Jahr 1990 bis zum Durchbrechen der Eine-Million-Tonnen-Marke innerhalb eines Jahres verging nur eine kurze Zeit. Dieser Trend wirkt weiter. Ankerinvestor ist seit 2009 die weltweit tätige Expressfracht-Gesellschaft
DHL aus dem Konzern der Deutschen Post. Leipzig/Halle ist für sie das global bedeutendste Drehkreuz und damit ein wirklicher Interkontinental-Airport.

Stand: 26.09.2023

Bildergalerie - Flughafen Leipzig/Halle

Deutsches Buchgewerbehaus / Bugra-Messehaus

Gutenbergplatz 3 und 5 / Gerichtsweg 24 | Ortsteil: Zentrum-Südost

Buchgewerbe und Graphik bilden in Leipzig historisch und funktional eine eng verschlungene, unzertrennliche Gemeinschaft. Das Bündnis reicht so weit, dass gelegentlich sogar das Kunstwort Bugra herhalten muss, um die Einheit der schönen, anspruchsvollen Seiten der „schwarzen Kunst“ zu verdeutlichen. Erkennbare Gestalt gewann das gelungene Zusammenspiel von Buchgewerbe und Graphik im Bugra-Messehaus. Aufwändig restauriert hält es heutzutage die Erinnerung an eine grandiose Epoche des Leipziger Buchwesens wach. 

Branchensitz im Weltzentrum der Polygraphie


Ohne Übertreibung, Leipzig war Ende des 19. Jahrhunderts die Welthauptstadt der Polygraphie. Mochten in der Phase der Hochindustrialisierung anderswo bereits höhere Auflagen populärer Werke gedruckt werden – in Leipzig war die noble Gattung des schön und gediegen gestalteten Buches zu Hause. International hoch angesehene Professoren der
Universität Leipzig steuerten anspruchsvolle Inhalte bei. Die Creme der deutschen Buchverlage hatte hier ihren Sitz. Zehntausende Frauen und Männer arbeiteten in den Druckereien, Buchbindereien und Verlagsbuchhandlungen. Die Maschinen kamen aus Leipziger Weltmarktfabriken, wie Gebrüder Brehmer Maschinenfabrik oder Karl Krause Maschinenfabrik, die bekanntesten Schriften entstammten spezialisierten Gießereien, alle denkbaren Papierqualitäten wurden hier gehandelt, und die Druckfarben waren ebenfalls „Made in Leipzig“. Kaum eine Innovation der Branche kam ohne aktives Leipziger Zutun aus. Und über allem Glanz der Branche wölbte sich die Leipziger Buchmesse. Klar, dass deshalb auch der 1884 gegründete Deutsche Buchgewerbeverein – die reichsweite Dachorganisation der Branche – in Leipzig ihren Sitz nahm. Sie brauchte ein passendes Gehäuse, das die große Tradition mit dem bewusst repräsentierten Anspruch des gewerblichen Erfolgs sichtbar zusammenfügte. So entstand zwischen 1898 und 1901 das Buchgewerbehaus als Pendant zum benachbarten Buchhändlerhaus. Vom schwedischen Architekten Emil Hagberg im Stil der Hochrenaissance gehalten, hob sich der Bau bewusst historisierend von anderen Gebäuden jener Umbruchperiode ab, die sich zunehmend mit zurückhaltender Funktionalität begnügten. Das Deutsche Buchgewerbehaus war dagegen für den tiefen, geschichtlichen Atem ersonnen.

Erinnerung an den Fortschritt der Buchproduktion


1888 befand der Leipziger Oberbürgermeister
Otto Georgi, „dass die Bande, welche den deutschen Buchhandel seit geraumer Zeit mit unsrer Stadt verknüpft haben, auch noch für lange Zeit als unzerreißbar sich erweisen werden.“ Der fromme Wunsch ließ sich ein Jahrzehnt später nahtlos auf das Buchhändlerhaus und seinen Trägerverein übertragen. Das Buchgewerbehaus beherbergte die Büros der graphischen Mitgliedsvereine und spannte in seinen Ausstellungsräumen einen weiten Bogen von den neuesten gezeigten Maschinen bis zu herausragenden Verlagsproduktionen eines jeden Jahres sowie bis zum Deutschen Buchgewerbe-Museum. Den räumlichen Mittelpunkt bildete die prächtige Gutenberghalle, in der ein drei Meter hohes Standbild von Johannes Gutenberg, dem Erfinder des Buchdrucks mit mechanischen Lettern, huldigte. Zwei kleinere Porträtbüsten würdigten Alois Senefelder, den Erfinder der Lithographie, und Friedrich Koenig, den Erfinder der Schnelldruckpresse. Drei Namen – drei epochale Fortschritte der Buchproduktion.

Erweiterungsbau für das Bugra-Haus


Eine finale Steigerung der Leipziger Marktposition im Bereich Buchgewerbe und Graphik sollte die für das Jahr 1940 geplante Gutenberg-Reichsausstellung bringen. Dafür schuf der Leipziger Architekt
Curt Schiemichen einen Erweiterungsbau des Buchgewerbehauses für Buch, Schrift und zugehörige Maschinerie. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verhinderte jedoch die geplante Schau eines der friedlichsten und kulturell hochstehendsten Gewerbe, die denkbar sind. Höchste Ansprüche mündeten stattdessen in erschütternde Zerstörung. Beim ersten schweren britischen Bombenangriff auf Leipzig am 4. Dezember 1943 stand das weltberühmte Leipziger Graphische Viertel in Flammen. Historiker vergleichen den kulturellen Verlust mit dem Brand der Bibliothek von Alexandria in der Antike. Auch das Buchgewerbehaus wurde arg in Mitleidenschaft  gezogen.

Doch als endlich wieder Frieden einzog und Leipzig in einer fundamental veränderten Welt seine führende Marktstellung nicht zuletzt in der Polygraphie zurückzuerlangen versuchte, musste auf der „ewigen“ Suche nach ausreichender Ausstellungsfläche für die Messe auch das inzwischen nur noch so firmierende Bugra-Messehaus mit allem herhalten, was nutzbar schien.

Wandel vom Messehaus zum Wohngebäude


Mühsam in Teilen wieder hergestellt, verlor das Messehaus Bugra in den Jahren des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg seine berühmte Gutenberg-Festhalle. Immerhin fand in dem Gebäude die Branche Polygraphie wieder eine Heimstatt – mit einem technischen Profil von Weltgeltung der gezeigten Maschinen. Erst ab den 1960er Jahren bezogen Polygraph und seine westlichen Branchennachbarn auf der
Technischen Messe eine neue Heimstatt.

Der Name Bugra blieb, doch die Ausstellungsetagen gehörten fortan den Bereichen Foto, Kino, Optik und Labortechnik. Weltfirmen zeigten hier ihre exzellenten Erzeugnisse in deutlichem Kontrast zum stark beschädigten und nur mühsam renovierten Gebäude. 1990 keimte neue Hoffnung. Aus dem Bugra sollte voller Euphorie wieder ein angemessenes Museum für Druckkunst werden. Das Vorhaben blieb jedoch stecken und verschwand auf Nimmerwiedersehen von der Tagesordnung. Nur wenige erklärte Verehrer von Buchgewerbe und Graphik wussten, dass sich im Fundus des Museums für Buch- und Schriftkunst der Deutschen Nationalbibliothek noch ein höchst attraktives Modell des Bugra-Hauses in seiner ursprünglichen Gestalt befand.

Aus den Dachrinnen des Originals reckten sich inzwischen Birken in die Höhe. Das Bauwerk schien verloren, bis zwischen 2015 und 2017 eine kaum noch für möglich gehaltene Sanierung des prächtigen Gebäudes gelang. Die exzellent herausgeputzte Fassade, instandgesetzte Verzierungen aus Sandstein und zurückgewonnene allegorische Darstellungen rund um Papier und Buch haben ein Kleinod wiederbelebt. Damit einher ging die Umwandlung in ein Wohngebäude. Doch Leipzig hat – äußerlich – das Bugra-Messehaus zurück, zusammen mit der wehmütigen Erinnerung an einstige Weltgeltung in einer industriellen Schlüsselbranche am authentischen Ort. Diese Sanierungsleistung schuf einen markanten Gewinn für das Stadtbild.

Stand: 26.09.2023

Bildergalerie - Deutsches Buchgewerbehaus / Bugra-Messehaus

Historisches Bildmaterial - Deutsches Buchgewerbehaus / Bugra-Messehaus

Congress Center Leipzig (CCL)

Seehausener Allee 1 | Ortsteil: Seehausen

Eine frühe Beschreibung des damals gerade eröffneten Congress Center Leipzig (CCL) befand, es erwecke den Eindruck, dass dort draußen, weit im Norden der Stadt, ein Raumschiff in trister Einsamkeit gelandet sei. Geht es um die Modernität und das Ringen um technische Spitzenleistungen, stimmt das Bild vom Raumschiff. Wird das Umfeld herangezogen, passt das Bild vom einsamen Landeplatz vor den Toren der Stadt jedoch schon lange nicht mehr. Denn das Congress Center Leipzig ist ein Zwillingskind der Leipziger Messe, die seit ihrer Eröffnung am neuen Ort im April 1996 beharrlich die gewerbliche Anziehungskraft entfaltet, die ihr dort von Beginn an zugedacht war. Außerdem war kein Fortschritt im Online-Bereich bisher so stark, dass er den Wert und die Bedeutung von Kongressen und Tagungen mit den persönlichen Kontakten im Kreis von Partnern, die sie nun einmal bieten, hätte ausbooten können.

Nützlicher Begleiter guter Geschäfte


Den dynamischen Wandel der Messewelt zu beschwören, gehört zum pflichtgemäßen Repertoire aller Geschäftsführer der Leipziger Messe. Komplizierte technische Anlagen oder gar revolutionäre Verfahren sind erklärungsbedürftig, und deshalb kommen die klassischen Messen schon seit mindestens vierzig Jahren nicht mehr ohne begleitende Kongresse aus. Sie bilden das passende Medium, das Informationen kanalisiert, die Kundenbindung stärkt und den kommerziellen Erfolg absichert. Und wenn gerade einmal keine Fachmesse stattfindet, die begleitet sein will, lässt sich die vorhandene Infrastruktur für das Kongressgeschäft ja auch an andere Interessenten vermieten.

Fest integriert in die Messe-Architektur


So unverzichtbar, wie Leipzig Anfang der 1990er ein neues Messegelände brauchte, um den adäquaten Raum für das Fachmessekonzept anbieten zu können, so dringend musste auch eine moderne Kongress-Infrastruktur her. Die
Technische Messe und die Messehäuser der Innenstadt genügten den gestiegenen Anforderungen längst nicht mehr, und die Tagungsräume diverser Hotels plus die Kongresshalle am Zoo Leipzig in ihrem damaligen Zustand waren zu klein oder hatten ausgedient. Deshalb gehörte das Congress Center Leipzig von Beginn an zum Gesamtkonzept der Gelände- und Funktionsplanung einer wirklich neuen Messe – und zum Entwurf der beauftragten Architekten von Gerkan, Marg und Partner (Hamburg).

Wird das eigentliche Ausstellungsgelände von der Glashalle dominiert, an die fünf einzeln oder zusammen nutzbare Hallen angedockt sind, so springt das CCL auf der nördlichen Seite des Areals markant und unübersehbar vor. Üppige Glasflächen schaffen eine luftige Gebäudestruktur und bringen das Gebäude anlässlich von Abendveranstaltungen von innen heraus weithin sichtbar zum Strahlen. Im Inneren gruppieren sich der Empfangsbereich und eine U-förmige Kombination unterschiedlich großer, flexibel nutzbarer Säle um ein Atrium mit klassischer Wendeltreppe und einem Bassin im Erdgeschoss. Reichlich verwendete Holzverkleidungen verleihen dem kühl-funktionalen Ambiente der Verkehrsflächen den nötigen Schub warmer Farbtöne und edler Materialien. Der Blick aus dem Gebäude heraus wird vom Messesee, der Glashalle und dem Verwaltungsgebäude beherrscht. 

In einer Kombination aus dem Congress Center Leipzig mit der Messehalle 2 und der Glashalle, die über kurze, überdachte Übergänge erreichbar sind, entsteht ein anpassungsfähiges Ensemble, um auf die Bedürfnisse unterschiedlicher Nachfrager eingehen zu können. Das kann eine Anforderung für hundert Gäste eines einzelnen Unternehmens ebenso sein wie der Kongress einer großen Partei mit einigen tausend Delegierten oder ein globaler Fachkongress mit zehntausend Teilnehmern. Dass im Herbst 1996 das nagelneue CCL sofort mit dem Deutschen Marketing-Kongress loslegte, lag nahe.

Hoher Anspruch: Service-Champion


Auf den Inhalt kommt es an, und diese Forderung wird mit Servicequalität untermauert. Deshalb besteht das hauptsächliche Bestreben der vielen „guten Geister“ des CCL darin, den Spitzenplatz im Dienstleistungsanspruch zu behaupten, den einschlägige Befragungen regelmäßig bestätigen.

Nicht vergessen werden sollte, dass das CCL 1996 ein Newcomer in einem von intensivem Wettbewerb geprägten Geschäft der bundesweit rund 400 Tagungszentren war. Doch bereits nach wenigen Jahren fand sich das Congress Center Leipzig laut dem zuständigen German Convention Bureau im Kreis der Top Ten der deutschen Tagungsbranche. Der Erfolg gelang mit der richtigen Einstellung der Mitarbeiter und mit Veranstaltungstechnik auf dem jeweils neuesten Stand. Hinzu kommt die verkehrsgünstige Lage. Autobahn, Flughafen und ICE-Sonderhalt anlässlich von besonders wichtigen Kongressen befinden sich faktisch „vor der Haustür“.

Nicht zu vergessen das Kulturangebot der Stadt Leipzig, das jedem Kongress zur Ehre gereicht, und die touristischen Höhepunkte, mit denen sich attraktive Begleitprogramme zusammenstellen lassen. Gemeinsam mit der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH betreibt das Congress Center Leipzig im Schulterschluss mit weiteren lokalen Dienstleistern vor allem aus der Hotellerie den Internet-Auftritt do-it-at-leipzig.de gewissermaßen als Baukasten der Komponenten für gelingende Kongresse. 

Im Angesicht des Wettbewerbs


Eine Garantie für dauerhafte Präsenz wiederkehrender Kongresse im CCL gibt es nicht. Die Konkurrenz der Standorte ist hart und längst global. Gleichwohl ist Leipzig bereits seit Jahren der erwählte Austragungsort für das
International Transport Forum, die führende Plattform für alle Entscheider über Transportströme und Lieferketten. Auch die internationale Leitveranstaltung der Kongressbranche ICCA (International Congress and Convention Association) fand 2011 schon in Leipzig statt. Dubai und Pittsburgh wären damals ebenfalls gern Gastgeber gewesen. 

Krönende Inhalte angesehener internationaler Fachtagungen kommen immer wieder aus dem Medizinbereich. Eine Reihe von Koryphäen der einschlägigen Disziplinen lehrt an der Universität Leipzig, so dass sich auch auf diesem Gebiet längst ein effizientes Netzwerk der Kongress-Akquise und des Vermittelns neuester Forschungsergebnisse zwischen der Leipziger Messe und der hiesigen alma mater herausgebildet hat.

Einmal blickten schon Milliarden Erdenbürger gleichzeitig in das Congress Center Leipzig, nämlich als im Dezember 2005 in der Glashalle der Leipziger Messe die Gruppen für die FIFA-Fußball-WM des Jahrgangs 2006 ausgelost wurden und das Medienzentrum im CCL eingerichtet war. Die gebotene Leistung der Leipziger war offenbar so überzeugend, dass sich die UEFA entschlossen hatte, anlässlich der FIFA Fußball-EM 2024 das Fernsehzentrum wiederum im Leipzig Congress Center einzurichten.

Stand: 26.09.2023

Bildergalerie - Congress Center Leipzig (CCL)

Buntgarnwerke

Nonnenstraße 17-21 und Holbeinstraße 14, 16, 18a-18h | Ortsteil: Plagwitz und Schleußig

Einzelne Bauwerke können so üppig dimensioniert, gleichwohl so harmonisch gestaltet sein, dass ihnen auch die Lage zu beiden Seiten eines größeren Gewässers nichts ausmacht – sie werden als zusammenhängendes Ensemble erkannt und wahrgenommen. Auf die Buntgarnwerke, die ihren Ausgangspunkt in Plagwitz nahmen und in den Jahren ihres ungestümen industriellen Wachstums über die Weiße Elster hinweg am anderen Ufer nach Schleußig ausgriffen, trifft dieser Befund uneingeschränkt zu. 

Kein Wollfaden wird hier mehr gesponnen. Dafür wohnt es sich umso attraktiver direkt am Wasser, wo im Sommer die Ausflugsboote in derart dichter Folge vorbei gleiten wie auf anderen Magistralen die Automobile. Gelungene Umnutzung früherer Industriegebäude sagen Fachleute dazu. 

Florierende Geschäfte mit bunten Garnen


Im Jahre 1875 zog es die im Leipziger Textilhandel versierten Kaufleute
Carl Augustin Tittel und August Andreas Krüger in das aufstrebende Plagwitz vor die Tore der Stadt. Ihre Gründungsidee zielte auf eine Dampffärberei, um im Herstellungsprozess der Textilien mit seinen zahlreichen vorgelagerten Stufen Fuß zu fassen. Es war jene Zeit, als die durch Karl Heine vorangetriebenen Erschließungsarbeiten auf den früheren Agrarflächen im Vorfeld von Leipzig Früchte zu tragen begannen. Tittel und Krüger fanden ein geeignetes Gewerbegrundstück direkt an der Weißen Elster. Zwischen 1887 und 1895 entstand nach Plänen der Architekten Ottomar Jummel sowie Pfeiffer & Händel das unverwechselbare Gebäude der Buntgarnwerke. Zwölf Jahre nach der Ansiedlung beschreibt ein Firmenporträt bereits einen „großartigen Fabrikkomplex dieses Welthauses.“

Die Geschäfte liefen gut. 1887 wurde die Sächsische Wollgarnfabrik AG, vormals Tittel & Krüger, in das Handelsregister eingetragen. Die folgende Unternehmensgeschichte verlief vor allem als Baugeschichte, deren Spuren bis heute zu besichtigen sind. Auf die ersten bescheidenen Anbauten an die ursprüngliche Dampffärberei folgten schon bald die sogenannten Hochbauten, die fünf Stockwerke hoch aufragten und wohl entscheidend zum Wandel des Erscheinungsbildes des einstigen Bauerndorfs Plagwitz beitrugen. 1888 entstand der Hochbau West, der sich ein reichliches Jahrhundert später in die Elsterlofts verwandelte. Die Architekten des Umbaus fanden in den 1990er Jahren zwei günstige Voraussetzungen vor – die in der Entstehungszeit von den Eigentümern der Wollgarnfabrik geforderte attraktive Bauweise, die der Backsteinarchitektur ein möglichst repräsentatives Erscheinungsbild entlocken sollte sowie die stabile Konstruktion mit gusseisernen Trägern, die ja erforderlich war, um den schweren, in ununterbrochener Bewegung schwingenden Maschinenpark sicher zu tragen. Zusammen mit der Lage am Flussufer ergab sich daraus eine nahezu ideale Umbau-Perspektive. 

Industriearchitektur von besonderer Qualität


Der nach Leipzig gewechselte Architekt
Gunnar Volkmann geriet beim Blick auf den Stadtteil ins Schwärmen: „Plagwitz hat alle Chancen. Aus dem Ruhrgebiet kommend, ist man fasziniert vom geschlossenen Bild dieses Leipziger Stadtteils“, schrieb er 1999. Denn die Wollgarnfabrikanten hatten es ja nicht bei einem Hochbau belassen. Die Expansion des Unternehmens verlangte nach weiteren Fabrikräumen für die inzwischen mehr als 2.000 Beschäftigten. Ab 1897 entstanden die Hochbauten Mitte und Nord – ebenfalls am Plagwitzer Ufer der Weißen Elster bzw. entlang der Nonnenstraße. 1906 folgte auf dem gegenüberliegenden Schleußiger Ufer der Hochbau Süd, nunmehr allerdings in Stahlbetonbauweise, die sich in jenen Jahren durchzusetzen begann. 

Den eiligen innerbetrieblichen Austausch zwischen den Hochbauten zu beiden Seiten der Weißen Elster stellte eine zweietagige, überdachte und verglaste Brücke in Höhe der zweiten und dritten Obergeschosse her. Ebenfalls von Ufer zu Ufer spannte sich eine genietete Gitterbrücke, auf der das bereits seit 1888 vom Bahnhof Plagwitz heranführende Anschlussgleis bis vor den Schleußiger Betriebsteil verlängert wurde.

Alle Bauten der Wollgarnfabrik zusammen verfügten über eine Bruttogeschossfläche von rund 100.000 Quadratmetern, was annähernd der Ausstellungsfläche des heutigen Geländes der Leipziger Messe im Norden der Stadt entspricht. Der weiße Schwan, das eingetragene Warenzeichen der Wollgarnfabrik, war eine Weltmarke. Das Unternehmen, das nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet wurde, in Volkseigentum überging und fortan als VEB Buntgarnwerke firmierte, behauptete sich in den schwierigen Textilkonjunkturen des 20. Jahrhunderts bis zum Jahr 1990. Doch als die wankende DDR durch die deutsch-deutsche Währungsunion am 1. Juli 1990 im Handumdrehen in die Weltwirtschaft integriert wurde, kam das schnelle Aus. Den Kostenvorteil asiatischer Produzenten konnte das Leipziger Unternehmen nicht wettmachen. Dafür begann mit umfangreichen Sanierungsarbeiten unter der Regie verschiedener engagierter Eigentümer ein neuer Lebensabschnitt der Buntgarnwerke. Von der Maschinerie befreit, wandelten sich die Hochbauten am Elsterufer vor allem zu gefragten Lofts.

Attraktives Leben am Flussufer


Den schönsten Blick auf den Gebäudekomplex gewinnt der Betrachter zweifellos von der Straßenbrücke über die Weiße Elster, die jetzt
Karlbrücke heißt. So majestätisch, mit klarer Betonung der horizontalen und vertikalen Fassadengliederung ragten die Hochbauten schon in den über hundert Jahren auf, als sich in den hell erleuchteten Fabriksälen alles um gefärbte Wolle drehte. Doch – um ehrlich zu sein – verfielen damals nur wenige Passanten auf die Idee, sich von der Brücke her dem Genuss der klassischen Industriearchitektur hinzugeben. Zu geruchsintensiv wälzte sich damals die Weiße Elster dahin. Dass der industrielle Strukturbruch mit dem Beginn einer groß angelegten Sanierung der Gewässer einherging, war deshalb ein Glücksfall, von dem die heutigen Bewohner der Buntgarnwerke besonders profitieren. 

Einige Büros und Einzelhandelsflächen runden das neue Profil in Deutschlands größtem Industriedenkmal ab. Und als größter erhaltener Industriekomplex der Gründerzeit hält das Areal sogar den einschlägigen Europarekord. 

Äußerlich also alles perfekt? Leider nicht vollkommen. Die Eisenbahnbrücke wurde im Jahr 2015 demontiert, weil der Zahn der Zeit zu stark an der Stahlstruktur genagt hatte. Würde die Brücke über die Weiße Elster heute noch stehen – sie wäre als Fußweg eine perfekte Verknüpfung für alle Besucher der wunderbar aufgefrischten Buntgarnwerke.

Stand: 26.09.2023

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Auerbachs Keller

Zentrum | Grimmaische Straße 2-4

Wann schafft es schon mal ein authentisches Weinlokal in die Weltliteratur? Auerbachs Keller in Leipzig genießt voller Stolz und Traditionsbewusstsein dieses Privileg. Kein geringerer als Johann Wolfgang Goethe hat Auerbachs Keller zu Weltruhm verholfen – dank des Fassritts von Mephisto mit Dr. Faust in Faust I.

Schon zeitig floss der Wein


Guter Wein beflügelte wahrscheinlich schon immer die Gedankengänge. Anno 1525 kam Dr. Stromer aus Auerbach, Rektor der Universität Leipzig, auf die Idee, nicht weit entfernt von der alma mater lipsiensis einen Weinausschank zu eröffnen. Tagsüber die Studenten mit dem Geist der Wissenschaft vertraut zu machen und ihnen abends Zugang zum Geist des Weines zu verschaffen – das schien bereits vor einem halben Jahrtausend eine gute Idee zu sein. Stromer wählte den Waldheim-Hummelhainischen Hof neben dem Alten Rathaus als Standort für sein Lokal. Bereits fünf Jahre später – 1530 – begann der neue Eigentümer mit einem Umbau. Zwecks Erinnerung an Stromers Herkunft erhielt das Gebäude den Namen Auerbachs Hof. Es schrieb die Geschichte des Weinlokals durch die Jahrhunderte fort und punktete offenbar auch beim Studiosus Goethe, den es aus Frankfurt an die Leipziger Universität zog.

Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch verschwanden die letzten altgedienten Gebäude aus der Leipziger Innenstadt, die sich vor allem dank ihrer Messepaläste, Passagen und Bankgebäude zur noblen City einer aufstrebenden Großstadt wandelte. Auerbachs Hof wurde in den Jahren ab 1911 von Grund auf umgebaut. Ideengeber und Bauherr war der Leipziger Koffer- und Taschenfabrikant Anton Mädler. Ihm schwebte eine luxuriöse Passage mit einer Ladenzeile im Erdgeschoss vor. Und Auerbachs Keller? Mädler verstand, was die Leipziger und die Messegäste wünschten. Auerbachs Keller wurde in den Neubau integriert.

Das Lokal ist nicht zu verfehlen. Von der Grimmaischen Straße her prangen schwungvolle gotische Buchstaben in mattem Gold und zwei historische Ausleger an der Fassade des Geschäftshauses. In der Mädler Passage säumen überlebensgroße Figuren mit „Faust“-Bezug die geschwungenen Treppenabgänge in das Traditionsrestaurant. Auf der einen Seite stehen Dr. Faust und Mephisto, auf der anderen lässt sich einer aus der Dreier-Gruppe von Studenten von seinen Kommilitonen nur mühsam davon abhalten, in einer Auseinandersetzung mit den mysteriösen Zeugen des Gelages handgreiflich zu werden. Tausende Kinder dürften im Laufe der Zeit angesichts der spannenden Darstellung und ihrer Unsicherheit, was soviel explosive Stimmung in der Figurengruppe denn zu bedeuten habe, durch ihre Eltern eine erste Einführung in die „Faust“-Handlung erfahren haben. Passanten schreiten beim Besuch der Mädler Passage förmlich durch die beiden Gruppen der Faustskulpturen hindurch, die der Jugendstil-Künstler Mathieu Molitor geschaffen hatte.

Gastlichkeit in mehreren Gewölben


Auerbachs Keller ist dreigeteilt und lehnt sich mit seinen Gewölben und dem schweren, dunklen Eichenmobiliar an die Vorbilder historischer Gasthäuser und Weinkeller an. Im Großen Keller finden fast 600 Gäste an langen Tafeln oder an den Tischen Platz. Die Küche hat einen klaren gutbürgerlichen Einschlag mit eindeutigen sächsischen Bezügen.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Treppenpodests laden u.a. der kleinere Goethe-Keller und der komplett an der Historie orientierte Fasskeller ein. Dort und in der winzigen Hexenküche herrscht Faust. Ein Riesenfass dominiert den Raum. Goethe wird rezitiert, die Karte bietet eine gediegen klassische Speisefolge, und zu beschwingt vorgerückter Stunde kommt gelegentlich der Wunsch auf, es mit einem Fassritt wie die literarischen Vorbilder zu versuchen. 

Spannend wie die Lokal-Geschichte ist ein Blick in die lange Liste prominenter Besucher. Martin Luther war vor Jahrhunderten zu Gast. Zu den früheren Leipziger Messen mit ihrer Schlüsselfunktion für den florierenden Ost-West-Handel fand in Auerbachs Keller manch systemübergreifende Verständigung statt, die den Geschäften diente. Konzernchefs aus dem Westen wollten bei ihrer Rückkehr nach Hause nur zu gern die Frage, ob sie in Leipzig denn auch im weltberühmten Auerbachs Keller gewesen seien, aus vollem Herzen bejahen. Während der Messen dürften die Leipziger in Auerbachs Keller früher klar in der Unterzahl gewesen sein. Eventuell wäre auch ihre Reservierung aufgenommen worden, doch gerade in Auerbachs Keller galten zu den Messezeiten Messepreise. Da kamen – ganz offiziell – saftige Aufschläge auf die staatlich festgesetzten Normalpreise drauf. Leipziger ließen daraufhin lieber ihren zahlungskräftigeren Messegästen den Vortritt. 

Die Anziehungskraft des Restaurants hat alle bewegten Zeitläufe überdauert: Als der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf im Jahr 2000 den Präsidenten der EU-Kommission, Jacques Delors, anlässlich von dessen offiziellem Besuch in Leipzig standesgemäß bewirten wollte, fiel die Wahl folgerichtig auf Auerbachs Keller. Und einen gedruckten oder elektronischen Reiseführer, der im Reigen prominenter Leipziger Gaststätten Auerbachs Keller nicht führt, wird man kaum finden. Schließlich rangieren im weltweiten Bekanntheitsvergleich nur vier Lokale vor dem Leipziger Klassiker. 

Kurzzeitig gab es zwei Auerbachs Keller


Was gut und ertragreich ist, muss sich doch auch verdoppeln lassen, mögen die Verantwortlichen der legendären
Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung 1897 gedacht haben, als sie nostalgisch-schwärmerisch Alt-Leipzig auf dem Ausstellungsgelände nachbauen ließen. Um der Authentizität Genüge zu tun, durfte Auerbachs Keller natürlich nicht fehlen. Der populäre Identifikationsort war ein Muss für die Kopie der historischen Stadtlandschaft. Wer indes im Abschlussbericht des Finanzausschusses der Ausstellung nachschlägt, wird eine gewundene Erklärung dafür finden, dass nicht zuletzt die großartige künstlerische Ausschmückung des Etablissements mit Faust-Szenen dazu beigetragen hat, das Budget der gesamten Ausstellung deutlich zu überschreiten. Dass es irgendeinem Gast im Double von Auerbachs Keller nicht gefallen hätte, ist nicht bekannt. 

Stand: 26.09.2023

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Mai, Karl Detlef

Tourismus-Innovator, Kultur-Manager, Ausstellungsgestalter,
geb. 3. Juni 1949 in Leipzig

Karl Detlef Mai hat der touristischen Erschließung des Leipziger Neuseenlandes einen starken Impuls gegeben. Als studierter Werbefachmann wandte er die Grundsätze der strategischen Kommunikation und der „heimlichen Verführung“ erfolgreich auf ein Gebiet an, von dem andere annahmen, dass es nur mühsam und zäh zu bewerben sei. Außerdem hütet er einen ererbten und zielstrebig vergrößerten Fotoschatz, dessen Wert mit dem Umbau der Stadt Leipzig, dem Landschaftswandel im Süden der Großstadt und der Tilgung von Spuren des jahrhundertelangen Bergbaus ununterbrochen steigt und sicher weiter steigen wird.

Vom Landschaftswandel angezogen


Der Einstieg von Karl Detlef Mai in die touristische Vermarktung der Braunkohleregion im südlichen Vorfeld von Leipzig besitzt zwei glasklare Koordinaten – AFB 17 und das Jahr 1997. Das Kürzel steht für die anfangs nur Bergleuten geläufige Abraumförderbrücke 17 und die Jahreszahl für den angestrebten und endlich erreichten Umschwung von aktiver Kohleförderung zum Umweltschutz und zur Gestaltung der Bergbaufolgelandschaften. Die AFB 17 im Tagebau Espenhain wurde 1997 gesprengt. Viele Aktivisten wollten wenige Jahre später den stählernen Koloss AFB 18 im Tagebau Zwenkau als technischen Zeugen für die Nachwelt retten – Bergbauspezialisten, Regionalpolitiker, Verfechter gelebter Industriekultur, Visionäre außergewöhnlicher Kunstprojekte. Die Entscheidung: Sprengung, aber mit Auflagen. Der Erinnerungsort Kap Zwenkau sollte entstehen. Mit Tränen in den Augen verfolgten auch 2001 nicht nur hunderte Bergleute aus sicherem Abstand das explosive Zusammensinken ihres einst verehrten, verfluchten, vertrauten, verklärten Arbeitsortes.

Bereits nach der Sprengung 1997 wusste Karl Detlef Mai – seit seinem Fernstudium an der Fachschule für Werbung und Gestaltung in Berlin von 1973 bis 1978 mit dem Instrumentarium der Branche bestens vertraut -, dass nicht nur die Bauwerke und Strukturen einer prägenden Industrieepoche verschwinden werden, sondern dass auch die intensive Umgestaltungsphase ein Verfallsdatum besitzt. Würde erst einmal buchstäblich Gras über den Abraumkippen wachsen und Wasser die Restlöcher der ausgekohlten Tagebaue füllen, wären auch die unmittelbaren Spuren des gigantischen menschlichen Eingriffs in die einstigen Naturräume einer neuen Ausformung gewichen. Wie die vielschichtigen Prozesse ablaufen – das sollten nicht nur viele Touristen als Zeitzeugen sehen und erleben, sondern auch Einwohner der Region, Schüler, Vereine, Fachleute und Journalisten. 

Der Mission Neuseenland verbunden


Tourismus – das sind doch attraktive Städte, wunderbare Landschaften und rauschende Festivals. Wer wollte daran zweifeln? Tourismus – das sind doch geschundene Landschaften, wüst staubende Feldwege und vor sich hin rottende Industrieareale – dachte Karl Detlef Mai und begann, in den fiebrigen, frühen 1990er Jahren die Braunkohleregion südlich von Leipzig für Besucher zu erschließen. Dieses Verdienst strahlt Wirkmacht bis heute aus. 

1992, da dominierte der aktive Bergbau weithin, unternahm Mai mit seinen Gästen unter den Fittichen eines erfahrenen Bergmanns eine erste Befahrung dieser verflochtenen Großstrukturen aus Schaufelrädern, Abraum- und Kohlezügen, hämmernden Brikettpressen und rauchenden Kraftwerken. Das klappte nur mit Sondergenehmigungen, die später mit MIBRAG, LMBV und weiteren Partnern vertraglich geregelt waren.

1998 startete Rundum Leipzig – Mai-Regio Tour. Inhaber Karl Detlef Mai hatte sich endgültig als Reiseveranstalter und Gästeführer etabliert. Bewusst richtete er in dem als ökologischen Katastrophenort gescholtenen Dreiskau-Muckern sein Besucherzentrum mit Ausstellung, Cafe und Shop ein. War es Katastrophentourismus mit Gruseleffekt? Eine solche Zuschreibung weist Karl Detlef Mai von sich. Denn um eine unkritische Zurschaustellung komplizierter bergbaulicher und technischer Abläufe ging es nie. Genetisch verwoben mit den Touren war immer der ökologische Aspekt, die aktive, tätige Rückgewinnung einer entstellten Landschaft und ihr engagierter Schutz für die heutige und für kommende Generationen. 

Wer da nicht alles kam und den Fortschritt auf Europas größter Landschaftsbaustelle konkret erleben wollte – Minister im Hubschrauber-Rundflug, Journalisten mit Themen-Instinkt und Expeditions-Attitüde, Touristen in Reisebussen oder in Geländewagen, Studenten entsprechender Fachrichtungen mit ihren Professoren auf Fußmärschen, Besucher auf den ersten Ausflugsschiffen, sobald die steigenden Wasserspiegel in den neuen Seen informative Kreuzfahrten ermöglichten. Immer vornweg: Karl Detlef Mai.

Apropos: Was früher Kohleregion hieß und in der Frühphase des Umbruchs flugs als Südraum Leipzig verortet wurde, brauchte eine touristische Marke mit Wiedererkennungswert. Leipziger Neuseenland – das war es, und das ist es. Mehrere Politiker drängten mit dem griffigen Wortspiel als die eigentlichen Schöpfer ins Rampenlicht. Karl Detlef Mai lächelte dann immer weise. Er kennt die wahre Geschichte des Begriffs Leipziger Neuseenland, besteht aber keineswegs auf fruchtlosen Urheber-Disputen, woher der Name kam und wer ihm zu Markenwert verhalf… 

Phönix-Touren mit Bergbau-Picknick fanden bis 2014 über 2.500 Mal statt und erreichten rund 140.000 Teilnehmer. Im Jahr 2002 zog sich ein legendärer Korso mit sieben Reisebussen entlang der neuen Uferlinien. Weil letztlich alle Teilnehmer den Inspirator und Organisator Karl Detlef Mai einmal aus der Nähe kennenlernen wollten, half nur, den umtriebigen Gästeführer an Aussichtspunkten zu erleben oder auch in einen weiteren Bus umsteigen zu lassen. Die Erläuterungen gab es auch schon zwischen zwei Bussen in Live-Übertragung. 

Dem Erbe verpflichtet


Mit dem Erreichen des Rentenalters gab Karl Detlef Mai 2014 sein Unternehmen an eine Nachfolgerin ab. Damit gewann er Zeit, seine seit 1980 betriebene Fotothek Mai Leipzig weiter zu systematisieren und zu erschließen. Der Grundstock dieses Foto-Universums geht auf den Vater Karl Heinz Mai zurück, der mit einer schweren Behinderung aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt war und mit nimmermüder Energie zum Foto-Chronisten des Alltags seiner Heimatstadt Leipzig vor allem in der schweren Nachkriegszeit aufstieg. Sein Handicap, stets nur aus der eingeengten Perspektive des Rollstuhlfahrers fotografieren zu können, wandelte sich zu einer kreativen Herausforderung, und Bildband-Gestalter, Ausstellungs-Kuratoren und Kalender-Layouter sind bis heute erstaunt und begeistert, welche außergewöhnlichen Motive Karl Heinz Mai dabei fand und erschloss. 

Dem Sohn Karl Detlef Mai ist es zu verdanken, dass sich die historische Authentizität Leipziger Geschichtsabhandlungen und die Suche nach dem besonderen Bild für geplante Ausstellungen mit Fotos, die sein Vater angefertigt hat, und mit aktuellen Bildern, die weiterhin in die Fotothek aufgenommen werden, trefflich untermalen lässt. Wer irgendwann einmal in die Verlegenheit kam, ein verbal beschriebenes Ereignis mit einem wertvollen zeitgenössischen Foto illustrieren zu müssen, wird den Ideenreichtum und die rastlose, zügige Hilfsbereitschaft von Karl Detlef Mai noch jahrelang wertschätzen und loben. Und Bücher, die noch nicht auf dem Markt sind, deren Zeit aber gekommen ist, macht Karl Detlef Mai am liebsten selbst.

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Kulkwitzer See

Lausen-Grünau

Die Stadt Leipzig ruht auf Braunkohle. Doch die „Ruhe“ war trügerisch. Mit Beruhigt-Sein hatte die industrielle Epoche der Kohleförderung erst recht nichts gemein. Viel zu bedrohlich rückte der Bergbau an das Stadtgebiet heran, und die Umweltschäden nahmen zu. Erst die Flutung der ausgekohlten Tagebaue und der steigende Wasserspiegel der neuen Seen ließ die Menschen aufatmen. Der Kulkwitzer See war in diesem radikalen Rückschwung zu einer ansprechenden Landschaft die erste im Reigen vieler blauer Perlen, von denen Leipzig mittlerweile umgeben ist.

Abschied vom Kohlebergbau


In Kulkwitz südwestlich von Leipzig lief die Kohleförderung lange vor der Zäsur aus, die neuerdings mit De-Karbonisierung umschrieben wird und an den nahenden Abschied vom Kohle-Zeitalter erinnern soll. Zwei Bergbauflächen wandelten sich zwischen 1937 und 1965 zunächst in Gruben, um an die Kohleflöze zur Versorgung eines nahen Kraftwerks heranzukommen. Dann war der Vorrat an dem natürlichen Brennstoff erschöpft. Mit dem Abschalten der Pumpen, die beim aktiven Bergbau für die Absenkung des Wasserspiegels in den Gruben gebraucht werden, sickerte wieder natürliches Wasser in die ausgebeutete Lagerstätte. Und damit eröffnete sich die Chance, nicht nur einen weiteren der überall im Lande verbreiteten Baggerseen zu gewinnen, sondern ein beachtlich ausgedehntes Gewässer mit einem ganzen Bündel an Nutzungsmöglichkeiten.

Wandel zur Erholungslandschaft


Das Versprechen der Umgestaltung und die beginnenden Sanierungsarbeiten weckten Hoffnungen auf nahende Gesundung der hoch beanspruchten Landschaft. Nicht zuletzt verstärkte der Baufortschritt der Großwohnsiedlung Grünau ab 1976 die Erwartungen der immer zahlreicheren Anwohner, weil die Erschließungsrichtung von Ost nach West die einzelnen Wohnkomplexe nacheinander immer näher „an den See“ als Quelle der Erholung heranwachsen ließ. Dieses aufgehende Gewässer zwischen Leipzig und Markranstädt war ja vorerst das einzige seiner Art. In allen anderen Tagebauen lief die Kohleförderung derweil ungebremst weiter. Wer sich ein Bild von der Reichweite der Nach-Kohle-Ära und ihren Perspektiven machen wollte, kam um Kulkwitz nicht herum.

1983 erreichte der Kulkwitzer See durch den Anstieg des natürlichen Grundwasserspiegels seine endgültige Ausdehnung von 150 Hektar. Der offizielle Freizeitbetrieb für die vielen Nutzer, die nicht länger warten wollten, begann schon 1973. Kolonnen von Badelustigen und Erholungssuchenden strömten dorthin. Bald war es möglich, mit der Straßenbahn bis kurz vor den See zu gelangen. Von der Endhaltestelle der Leipziger Verkehrsbetriebe in Lausen ist die glitzernde Wasserfläche in wenigen hundert Metern Entfernung schon fast zu erkennen. Daneben führt auch die S-Bahn mit ihrer Station Miltitzer Allee bis vor den Gehölzstreifen am Kulkwitzer See.

Glasklares Wasser


Apropos Wald. Die frühe Entlassung des Areals aus der bergbaulichen Nutzung ließ der Natur den bislang längsten Zeitraum aller Kohlegruben rund um Leipzig, um wieder zu gesunden. Dem Wald mit seinem Baumbestand rund um das langgezogene Gewässer tut das gut. Eine Bungalowsiedlung und ein Schiffsrestaurant am Ufer untermauerten recht schnell den Schwenk zur Freizeitlandschaft und zum Naherholungsgebiet. Für alle Besucher, die eine weitere Anreise haben, entstand ein Campingplatz. Gastronomie zog in das frühere Trafohaus, aus dem die Bergbautechnik einst mit Strom versorgt wurde.

Der eigentliche Schatz des Kulkwitzer Sees besteht jedoch aus 30 Millionen Kubikmetern reinsten Wassers. Regelmäßige Proben bestätigen die stabile Gewässerqualität. Kein Wunder, dass die vier Badestrände so gut besucht sind (sogar durch mutige Eisbader an klirrend kalten Wintertagen). Eine Wasserskianlage lockt alle Besucher, die es auf dem Wasser gern etwas rasanter lieben. Wenn sich die Angler nicht gestört fühlen, geht das in Ordnung. Ein Seglerhafen spricht diejenigen an, die ruhiger über das Wasser gleiten wollen.

Seine überregionale Bekanntheit bezieht der Kulkwitzer See jedoch vor allem seitens der Interessengruppe der Tauchsportler. Sie schätzen die Gewässerqualität, die informative, ungetrübte Tauchgänge zur Pflanzen- und Tierwelt des Sees, aber auch zu einem darin versenkten Flugzeugwrack ermöglicht, das als Attraktion für Unterwassersportler und Vermittler von Abenteuer-Flair bekannt ist. 20 Meter durchschnittliche Gewässertiefe und 32 Meter am tiefsten Punkt des Sees setzen anspruchsvolle Marken für die Tiefenerkundung des Gewässers. Eine Tauchschule am See trainiert die Einsteiger in diesen Freizeitsport.

Acht Kilometer Wasserkante


Seit 2018 ist der komplette Rundweg von 8 Kilometern Länge um den gesamten Kulkwitzer See für eine Nutzung durch Spaziergänger und Radfahrer fertiggestellt. Als Lückenschluss fungierte der befestigte Radweg am Pappelwald im Südwesten des Gewässers. Zu allen Jahreszeiten und aus unterschiedlichen Perspektiven eröffnen sich immer wieder neue Blicke auf die zurückgekehrte Landschaft am Rand der Großstadt bzw. an ihrem fließenden Übergang in den ländlichen Raum. 

Je weiter sich das Leipziger Neuseenland in Zukunft noch erstrecken wird – die Rekordmarke des Kulkwitzer Sees, der erste der entstehenden Tagebauseen und der Prototyp umfassender Sanierungsarbeiten gewesen zu sein, ist diesem einladenden Gewässer nicht zu nehmen. Er hat der eigentlich gewässerarmen Leipziger Umgebung die Perspektive eines wahren Gewässerreichtums eröffnet.

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Hoyer, Eva Maria

geb. 1950 in Chemnitz

Im Jahre 1992 war der Posten an der Spitze des im Grassimuseum beheimateten GRASSI Museum für Angewandte Kunst neu zu besetzen. Der Wechsel besaß zwei bemerkenswerte Dimensionen: Ausgewählt wurde niemand „von drüben“, wie das zu jener Zeit auf fast jeder erdenklichen Position geschah, und ausgewählt wurde eine Frau, was damals ebenfalls noch kein Normalfall war. Eva Maria Hoyer gestaltete und lenkte die Geschicke des Museums anschließend bis zu ihrem planmäßigen Ruhestand im Jahre 2015.

Die Kunst der riesigen Bauaufgabe


Das Grassi ist kein Museum wie jedes andere. Geschenkt, dass wohl jeder Museumsdirektor diesen Satz für „sein“ Haus allein schon marketingtechnisch unterschreiben würde. Doch das Grassi lebt von einer Ballung an Exzellenz, die ihresgleichen sucht. Eröffnet 1874 in der blutjungen Großstadt Leipzig als zweites Kunstgewerbemuseum Deutschlands, umgezogen 1929 in den herausragenden Neubau am Johannisplatz, schwer getroffen 1943 im beginnenden Bombenkrieg, provisorisch 1954 in Teilen wieder eröffnet, hart erwischt 1981 von einer Havarie der Heizungsanlage, auf Interimslösungen angewiesen bis in das frühe 21. Jahrhundert, war das Museum eine einzige Baustelle, als Eva Maria Hoyer die Leitung übernahm. Sie wusste genau, worauf sie sich einließ und was sie wollte: Die wertvollsten Teile des Museumsbaus erneut herstellen. Die Grassimesse als eine der ersten deutschen Museumsmessen wiederbeleben und zielstrebig für den Ankauf neuer, wertvoller Stücke mit kunstgeschichtlichem Potential nutzen. Den Rang des Museums weit über Leipzig hinaus wieder zum Strahlen bringen. 

Eva Maria Hoyer kannte das Haus, als dessen Chefin sie fortan wirkte. In ihrer Vita waren die Jahre zwischen 1975 und 1977 mit dem Einstieg als wissenschaftliche Mitarbeiterin im damaligen Museum für Kunsthandwerk angefüllt. Dann legte sie noch einmal einen planmäßigen Rückschwung in die akademische Sphäre ein. Wissenschaftliche Aspirantur – das hieß terminlich streng umrissene drei Jahre intensiver, konzentrierter intellektueller Arbeit mit der Promotion als krönendem Abschluss. 

Der Elan der energischen Direktorin


1990, das Jahr, das die deutsche Einheit bringen sollte, war gerade einmal zwei Tage alt, als Eva Maria Hoyer als stellvertretende Direktorin in das Museum zurückkehrte. Zwei Jahre später war sie Chefin des Hauses. 

Eine Menge Phantasie und ungeheurer Wille gehörten dazu, den Bau und seine gesammelten Schätze rundum aufzuwerten und wieder strahlen zu lassen. Dabei – um diesen etwas plakativen Vergleich zu bemühen – war die Herausforderung des beharrlichen Aufstiegs keine geringere als der Vormarsch in höhere Ligen im Fußball, der auf seinem Gebiet allerdings das grellere öffentlichere Scheinwerferlicht genießt. Aber so hart erkämpft wie im Leistungssport war der Aufstieg des Museums allemal. Und die Triebkraft dahinter musste ebenso ehrgeizig agieren. Eva Maria Hoyer schrieb Bauanträge über Bauanträge, sie verbrachte viel Zeit in Gremiensitzungen, wo über Fördergelder befunden wurde, während sie sich doch viel lieber den wertvollen Ausstellungsstücken gewidmet hätte, die tief in den Museumsdepots und fern der Öffentlichkeit vor sich hin schlummerten. Doch ohne den Verwaltungskram und ohne eine perfekte Vernetzung mit allen Facetten des Leipziger Kulturbetriebs hätten die Museumsschätze wohl eine Dauer-Verbannung in dunkle Aufbewahrungs-Verliese erdulden müssen. Eva Maria Hoyer kämpfte dort, wo beharrlich gekämpft werden musste. 

Zwei Kleinode, die Besucherscharen heutzutage in das Grassimuseum ziehen und begeistern, gab es im Jahre 1992 noch nicht wieder – die Pfeilerhalle im spektakulären Art deco und die Josef-Albers-Fenster im Treppenhaus, das größte flächige Glasobjekt mit Bauhaus-Bezug, ein in außergewöhnlichen Farbtönen changierendes, streng geometrisches Kunstwerk.

2005 fand nach langen interimistischen Jahren die Wiedereröffnung des renovierten Hauses statt. 2007 schließlich erhielt die Öffentlichkeit das Museum für Angewandte Kunst zurück. Eva Maria Hoyer verbreitete einen ansteckenden Stolz, der auf die gesamte Festversammlung übersprang, und Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker soll der Direktorin bei dieser Gelegenheit zugeraunt haben: „Das habt ihr gut gemacht.“ Gleichwohl dachte die Chefin weiter und schrieb in den neuen Museumsführer: „Das begrenzte Baubudget ließ … bisher noch nicht die Wiederherstellung aller einst das Gebäude auszeichnenden Details zu.“ Wäre das Budget nicht halbiert worden, hätte die Sanierung die Handschrift von David Chipperfield getragen und dem Haus die ersehnte Prise Globalität verschafft. In der Europaliga der Museen spielte es bereits. Die Ostdeutsche Sparkassenstiftung und die Sparkasse Leipzig erhörten den fein dosierten Ruf nach einem gelingenden Finale, und seit 2012 zieren nun auch die wiederhergestellten Josef-Albers-Fenster das Museum. Drei Jahre später rundeten die Art-deco-Treppenhausleuchten das wertvolle Ensemble stimmig ab.

Die Auferstehung des Museums für Angewandte Kunst, seine Aufnahme in die höchst ehrenwerte Liste national bedeutsamer Kultureinrichtungen in Ostdeutschland und das unermüdliche Wirken von Eva Maria Hoyer – das sind drei Handlungsstränge, die eng miteinander verwoben sind. Die Zeiten waren günstig für den Aufbruch, und das Museum profitierte nachhaltig davon, dass diese Direktorin zur rechten Zeit an seiner Spitze stand und die sich bietenden Chancen nutzte.

Die Klasse, Klasse zu zeigen


Eva Maria Hoyer strahlte ständig eine charmante Strenge aus, was bedeutete, dass jeder, der zu ihr mit einer Frage oder einem Interviewwunsch kam, sein Ansinnen gut begründen musste. Gelang das nicht, machte die Angesprochene auf unnachahmliche Art deutlich, dass da wohl eine gewisse Distanz in den persönlichen Ansprüchen des Fragenden und der Gefragten bestehe. Wem Selbiges absichtsvoll widerfuhr, dem brannte sich solch ein Erlebnis für immer ein. Natürlich funktionierte das Muster der Dialogführung auch auf die entgegengesetzte Weise. Sobald es auf einer Wellenlänge funkte, folgten inspirierende, im Idealfall lange Gespräche mit bleibendem Gewinn für beide Seiten. Bereitete der Austausch begründeter Argumente ihr Freude, ließ Eva Maria Hoyer auch das jeden Gast deutlich – und höchst charmant – spüren. 

Im Ruhestand ist Eva Maria Hoyer weit davon entfernt, ihre Privatwohnung in eine Museumskopie zu verwandeln. Das eine oder andere Designobjekt darf es durchaus sein – mehr aber nicht. Die Spuren, die sie professionell hinterließ, sind im Museum für Angewandte Kunst zu besichtigen, und darauf kommt es an.

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