Bildlexikon Leipzig

Mai, Karl Detlef

Tourismus-Innovator, Kultur-Manager, Ausstellungsgestalter, geb. 3. Juni 1949 in Leipzig

Karl Detlef Mai hat der touristischen Erschließung des Leipziger Neuseenlandes einen starken Impuls gegeben. Als studierter Werbefachmann wandte er die Grundsätze der strategischen Kommunikation und der „heimlichen Verführung“ erfolgreich auf ein Gebiet an, von dem andere annahmen, dass es nur mühsam und zäh zu bewerben sei. Außerdem hütet er einen ererbten und zielstrebig vergrößerten Fotoschatz, dessen Wert mit dem Umbau der Stadt Leipzig, dem Landschaftswandel im Süden der Großstadt und der Tilgung von Spuren des jahrhundertelangen Bergbaus ununterbrochen steigt und sicher weiter steigen wird.

Vom Landschaftswandel angezogen


Der Einstieg von Karl Detlef Mai in die touristische Vermarktung der Braunkohleregion im südlichen Vorfeld von Leipzig besitzt zwei glasklare Koordinaten – AFB 17 und das Jahr 1997. Das Kürzel steht für die anfangs nur Bergleuten geläufige Abraumförderbrücke 17 und die Jahreszahl für den angestrebten und endlich erreichten Umschwung von aktiver Kohleförderung zum Umweltschutz und zur Gestaltung der Bergbaufolgelandschaften. Die AFB 17 im Tagebau Espenhain wurde 1997 gesprengt. Viele Aktivisten wollten wenige Jahre später den stählernen Koloss AFB 18 im Tagebau Zwenkau als technischen Zeugen für die Nachwelt retten – Bergbauspezialisten, Regionalpolitiker, Verfechter gelebter Industriekultur, Visionäre außergewöhnlicher Kunstprojekte. Die Entscheidung: Sprengung, aber mit Auflagen. Der Erinnerungsort Kap Zwenkau sollte entstehen. Mit Tränen in den Augen verfolgten auch 2001 nicht nur hunderte Bergleute aus sicherem Abstand das explosive Zusammensinken ihres einst verehrten, verfluchten, vertrauten, verklärten Arbeitsortes.

Bereits nach der Sprengung 1997 wusste Karl Detlef Mai – seit seinem Fernstudium an der Fachschule für Werbung und Gestaltung in Berlin von 1973 bis 1978 mit dem Instrumentarium der Branche bestens vertraut -, dass nicht nur die Bauwerke und Strukturen einer prägenden Industrieepoche verschwinden werden, sondern dass auch die intensive Umgestaltungsphase ein Verfallsdatum besitzt. Würde erst einmal buchstäblich Gras über den Abraumkippen wachsen und Wasser die Restlöcher der ausgekohlten Tagebaue füllen, wären auch die unmittelbaren Spuren des gigantischen menschlichen Eingriffs in die einstigen Naturräume einer neuen Ausformung gewichen. Wie die vielschichtigen Prozesse ablaufen – das sollten nicht nur viele Touristen als Zeitzeugen sehen und erleben, sondern auch Einwohner der Region, Schüler, Vereine, Fachleute und Journalisten. 

Der Mission Neuseenland verbunden


Tourismus – das sind doch attraktive Städte, wunderbare Landschaften und rauschende Festivals. Wer wollte daran zweifeln? Tourismus – das sind doch geschundene Landschaften, wüst staubende Feldwege und vor sich hin rottende Industrieareale – dachte Karl Detlef Mai und begann, in den fiebrigen, frühen 1990er Jahren die Braunkohleregion südlich von Leipzig für Besucher zu erschließen. Dieses Verdienst strahlt Wirkmacht bis heute aus. 

1992, da dominierte der aktive Bergbau weithin, unternahm Mai mit seinen Gästen unter den Fittichen eines erfahrenen Bergmanns eine erste Befahrung dieser verflochtenen Großstrukturen aus Schaufelrädern, Abraum- und Kohlezügen, hämmernden Brikettpressen und rauchenden Kraftwerken. Das klappte nur mit Sondergenehmigungen, die später mit MIBRAG, LMBV und weiteren Partnern vertraglich geregelt waren.

1998 startete Rundum Leipzig – Mai-Regio Tour. Inhaber Karl Detlef Mai hatte sich endgültig als Reiseveranstalter und Gästeführer etabliert. Bewusst richtete er in dem als ökologischen Katastrophenort gescholtenen Dreiskau-Muckern sein Besucherzentrum mit Ausstellung, Cafe und Shop ein. War es Katastrophentourismus mit Gruseleffekt? Eine solche Zuschreibung weist Karl Detlef Mai von sich. Denn um eine unkritische Zurschaustellung komplizierter bergbaulicher und technischer Abläufe ging es nie. Genetisch verwoben mit den Touren war immer der ökologische Aspekt, die aktive, tätige Rückgewinnung einer entstellten Landschaft und ihr engagierter Schutz für die heutige und für kommende Generationen. 

Wer da nicht alles kam und den Fortschritt auf Europas größter Landschaftsbaustelle konkret erleben wollte – Minister im Hubschrauber-Rundflug, Journalisten mit Themen-Instinkt und Expeditions-Attitüde, Touristen in Reisebussen oder in Geländewagen, Studenten entsprechender Fachrichtungen mit ihren Professoren auf Fußmärschen, Besucher auf den ersten Ausflugsschiffen, sobald die steigenden Wasserspiegel in den neuen Seen informative Kreuzfahrten ermöglichten. Immer vornweg: Karl Detlef Mai.

Apropos: Was früher Kohleregion hieß und in der Frühphase des Umbruchs flugs als Südraum Leipzig verortet wurde, brauchte eine touristische Marke mit Wiedererkennungswert. Leipziger Neuseenland – das war es, und das ist es. Mehrere Politiker drängten mit dem griffigen Wortspiel als die eigentlichen Schöpfer ins Rampenlicht. Karl Detlef Mai lächelte dann immer weise. Er kennt die wahre Geschichte des Begriffs Leipziger Neuseenland, besteht aber keineswegs auf fruchtlosen Urheber-Disputen, woher der Name kam und wer ihm zu Markenwert verhalf… 

Phönix-Touren mit Bergbau-Picknick fanden bis 2014 über 2.500 Mal statt und erreichten rund 140.000 Teilnehmer. Im Jahr 2002 zog sich ein legendärer Korso mit sieben Reisebussen entlang der neuen Uferlinien. Weil letztlich alle Teilnehmer den Inspirator und Organisator Karl Detlef Mai einmal aus der Nähe kennenlernen wollten, half nur, den umtriebigen Gästeführer an Aussichtspunkten zu erleben oder auch in einen weiteren Bus umsteigen zu lassen. Die Erläuterungen gab es auch schon zwischen zwei Bussen in Live-Übertragung. 

Dem Erbe verpflichtet


Mit dem Erreichen des Rentenalters gab Karl Detlef Mai 2014 sein Unternehmen an eine Nachfolgerin ab. Damit gewann er Zeit, seine seit 1980 betriebene Fotothek Mai Leipzig weiter zu systematisieren und zu erschließen. Der Grundstock dieses Foto-Universums geht auf den Vater Karl Heinz Mai zurück, der mit einer schweren Behinderung aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt war und mit nimmermüder Energie zum Foto-Chronisten des Alltags seiner Heimatstadt Leipzig vor allem in der schweren Nachkriegszeit aufstieg. Sein Handicap, stets nur aus der eingeengten Perspektive des Rollstuhlfahrers fotografieren zu können, wandelte sich zu einer kreativen Herausforderung, und Bildband-Gestalter, Ausstellungs-Kuratoren und Kalender-Layouter sind bis heute erstaunt und begeistert, welche außergewöhnlichen Motive Karl Heinz Mai dabei fand und erschloss. 

Dem Sohn Karl Detlef Mai ist es zu verdanken, dass sich die historische Authentizität Leipziger Geschichtsabhandlungen und die Suche nach dem besonderen Bild für geplante Ausstellungen mit Fotos, die sein Vater angefertigt hat, und mit aktuellen Bildern, die weiterhin in die Fotothek aufgenommen werden, trefflich untermalen lässt. Wer irgendwann einmal in die Verlegenheit kam, ein verbal beschriebenes Ereignis mit einem wertvollen zeitgenössischen Foto illustrieren zu müssen, wird den Ideenreichtum und die rastlose, zügige Hilfsbereitschaft von Karl Detlef Mai noch jahrelang wertschätzen und loben. Und Bücher, die noch nicht auf dem Markt sind, deren Zeit aber gekommen ist, macht Karl Detlef Mai am liebsten selbst.

Bildergalerie - Mai, Karl Detlef

Dr. Helge-Heinz Heinker
Dr. Helge-Heinz Heinker
Der in Leipzig-Connewitz geborene habilitierte Ökonom ist bekennender Eisenbahn- und Flugzeugfan. Er arbeitet als Wirtschaftsjournalist und ist (Mit)Autor von über 70 Publikationen, darunter eine Vielzahl von Abschnitten zur Wirtschafts- und Verkehrsentwicklung seit dem 19. Jahrhundert in der wissenschaftlichen Stadtgeschichte der Stadt Leipzig (Band 3 und 4), „Leipzig Hauptbahnhof. Eine Zeitreise“, „Boomtown Leipzig. Anspruch und Wirklichkeit“, „Wolfgang Tiefensee: Eine Biographie“ und „150 Jahre Straßenbahn für Leipzig“. Seit Mai 1999 moderiert er die Veranstaltungsreihe „Tourismusfrühstück“ sowie Kongresse, Tagungen und Fachveranstaltungen. An den Wochenenden tourt er öfters mit Touristen durch die Stadt und stellt ihnen bei der Stadtrundfahrt Leipzigs Attraktionen vor.