Glockengeläut ruft die Menschen zum Gottesdienst, Fiedler und Geiger unterhalten die Menschen, seit 1599 musizieren in Leipzig die Stadtpfeifer auf dem Balkon des Alten Rathauses. Viele dieser Klänge und Töne haben mit Musikinstrumenten zu tun. Eine Vielzahl historischer Instrumente sind im GRASSI Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig zu sehen. Das begibt sich auf eine Suche nach dem vollkommenen Klang. So jedenfalls ist die Dauerschau überschrieben, die ihren Besuchern viele Kostbarkeiten zeigt. Um die Unikate zu schützen, sind viele davon wohl behütet unter Glas. Nur wenige können noch ein klingendes Zeugnis davon ablegen, wie sich die Musik zu ihrer Zeit tatsächlich anhörte. Doch auch kunsthandwerklich betrachtet sind viele Ausstellungsstücke eine Augenweide. Details wie Intarsien, Malereien oder Ziselierungen lassen den Betrachter heute erahnen, welche hohe Wertschätzung die jeweiligen Besitzer ihren Instrumenten entgegenbrachten.
Mehr als 5.000 Musikinstrumente aus fünf Jahrhunderten gehören zu der bedeutenden Sammlung, für die der holländische Musikverleger Paul de Wit 1886 den Grundstock legt. Er gründet sein Musikhistorisches Museum im heutigen Bosehaus am Thomaskirchhof 16. Seine Instrumente bringt er dort gelegentlich auch zum Klingen.
Historische Sammlung kommt ins Grassimuseum
1905 verkauft Paul de Wit die Sammlung an den Papierfabrikanten Wilhelm Heyer aus Köln, der 1913 das „Musikhistorische Museum Wilhelm Heyer“ eröffnet. Nach seinem Tod wird die Sammlung erneut verkauft – 1926 geht sie in den Besitz der Universität Leipzig über.
Das ermöglicht Henri Hinrichsen, der Inhaber des renommierten Musikverlages C. F. Peters. Er spendet die gewaltige Summe von 200.000 Mark. Der sächsische Staat gibt weitere 600.000 Mark hinzu. Als Domizil bietet die Stadt Leipzig für die Sammlung den Nordflügel des neu erbauten Grassimuseums am Johannisplatz an. Am 30. Mai 1929 eröffnet, dient das Musikinstrumentenmuseum als Teil der Universität der Forschung und Lehre.
Dort erlebt die Sammlung eine wechselvolle Geschichte, was auch mit dem anglo-amerikanischen Bombenangriff am 3./4. Dezember 1943 zu tun hat. Dabei brennt das Grassimuseum fast vollständig aus. Viele Originale der Sammlung können nicht mehr gerettet werden. Es gibt aber auch Schäden an ausgelagerten Beständen sowie Verluste durch unsachgemäße Lagerung und Diebstähle in der Nachkriegszeit. Dennoch besitzt das Museum die größte Sammlung ihrer Art in Deutschland und nach Brüssel die zweitgrößte in Europa. Anfang der 1950er-Jahre öffnet sie wieder schrittweise für die Öffentlichkeit.
1981 müssen die drei Grassi-Museen (Kunsthandwerk, Völkerkunde und Musikinstrumente) nach einer Heizungshavarie geschlossen werden, können erst schrittweise wieder öffnen. In den Jahren 2000 bis 2005 wird das komplette Haus rekonstruiert und modernisiert. Im April 2006 meldet sich das Musikinstrumentenmuseum mit der ersten Ausstellungsfläche zurück.
Eine Suche nach dem vollkommenen Klang
Mehr als 5.550 Instrumente sind heute im Nordflügel des Grassimuseums ausgestellt. Eszter Fontana, Direktorin des Musikinstrumentenmuseums bis 2013, hat die legendäre Sammlung konzeptionell ins neue Jahrtausend geführt und neu erschlossen. Sie begibt sich mit ihrem Team auf die Suche nach dem vollkommenen Klang. Zu sehen sind nach wie vor Kostbarkeiten, wie das älteste datierte Clavichord aus dem Jahre 1543. Es gibt jedoch viele neue Angebote wie ein Klanglabor, wo beispielsweise ein Plexiglasklavier zum Ausprobieren steht. Im Klanglabor kann erkundet werden, wie ein Klang überhaupt entsteht, wie ein Ton erzeugt werden kann und wie Instrumente von innen aussehen. Besucher dürfen Instrumente wie Clavichord und Cembalo testen, eine Windmaschine und transparente Orgel ausprobieren oder auf einer Trommel heiße Rhythmen spielen – anders als bei den Originalen der Ausstellung ist das sogar erwünscht.
Eine Kostbarkeit und Augenweide der Ausstellung ist der älteste original erhaltene Hammerflügel der Welt, den Bartolomeo Cristofori im Jahre 1726 gebaut hat. Ihm gelang es als erstem, eine funktionstüchtige Mechanik zu konstruieren, die den Anschlag der Saiten durch Hämmer mit einer Tastatur koppelt. Die Oberfläche des Instrumentes ist im Chinoiserie-Stil bemalt und mit Menschen, Tempeln, Blumen, Elefanten und anderen in Gold und Silber gehaltenen Motiven verziert.
Das Museum zeigt natürlich nicht nur Flügel und Klaviere. Wer es besucht, bekommt einen Überblick über die Entwicklung des europäischen Instrumentariums von der Renaissance bis zur Gegenwart. Aber auch Kuriositäten wie Geigen und Flöten in Form eines Spazierstockes, Giraffenflügel, ein „musizierendes“ Spinnrad sowie ein zusammenklappbares Reisecembalo sind zu bewundern.
Konzerte und Tänze im Zimeliensaal
Erinnert wird an Johann Sebastian Bach, in dessen Wohnung mehrfach bekannte Lautisten musikalisch wetteifern. Instrumente der Barockzeit sind auch zu sehen. Im Zimeliensaal erklingen regelmäßig Konzerte auf historischen Instrumenten. Barocktanz in historischen Kostümen ist ebenfalls hin und wieder zu erleben. Im Bereich der Blechblasinstrumente ist neben verschiedenen Hörnern und Trompeten, wie sie in Militärblaskapellen verwendet werden, auch ein grotesk ins Riesenhafte ausgedehntes Kontrabass-Saxophon zu besichtigen.
Leipzig ist viele Jahrzehnte die Welthauptstadt der Musikautomaten. So existieren in den Jahren zwischen 1876 und 1930 in Leipzig mehr als 100 Fabriken und Werkstätten für den Bau selbstspielender Musikinstrumente. Den Schwerpunkt bilden Lochplatten-Musikwerke und mit Notenrollen gesteuerte Klaviere und Klavier-Orchestrions. Sie verlieren erst mit dem Aufkommen von Schallplatten ihre Bedeutung. Das Museum erinnert an die Automaten, die zur Museumsnacht Halle und Leipzig sogar zum Konzert aufspielen.
Kinoorgel erinnert an Stummfilmzeit
Wer sich einmal in die Stummfilmzeit versetzen lassen will, sollte sich die Kinoorgel im großen Vortragssaal nicht entgehen lassen. Glockengeläut, Vogelgezwitscher, Regen, Donner, Autohupe – eine Kinoorgel kann viele Geräusche imitieren, um Effekte für den Stummfilm zu erzeugen. Das Museum hat die Kinoorgel, die 1929 für das Palast-Theater Erfurt gebaut worden ist, restaurieren lassen und setzt sie – wie andere Originale aus der Sammlung – regelmäßig für Konzerte ein.
Stand: 11.03.2024