Die Skulpturengruppe des „Toro Farnese“ von 1896 ist knapp vier Meter hoch. Ihr Gipsabdruck – eine spektakuläre Gruppe mit einem wilden Stier in der Mitte – war einst der Hingucker im Leipziger Johanneum. Doch auch der Seitenflügel des Augusteums, des Haupthauses der Universität Leipzig, bleibt im Zweiten Weltkrieg vom Bombenhagel nicht verschont. Vom „Toro Farnese“ blieben rund 50 Einzelteile übrig, die sich seit 1968 – nach der endgültigen Sprengung des Augusteums – im Magazin des Antikenmuseums der Universität Leipzig befinden. Das zeigt seine Ausstellung in der Alten Nikolaischule am Nikolaikirchhof.
Wertvolle Anschauungsobjekte für Forschung und Lehre
Sein Depot hat es inzwischen in ein Bürohaus an den Dittrichring 13 verlagert. Im Gebäude, in dem sich auch die G2 Kunsthalle befindet, ist nun die Gipsabguss-Sammlung des Museums beheimatet. Sie zählt zu den größten und wertvollsten deutschen Sammlungen ihrer Art. Solche Gipsabgüsse stellt die Klassische Archäologie von den Schlüsselwerken antiker Skulpturen her. Es sind Abformungen originaler Marmor- und Bronzewerke, die in vielen Museen in aller Welt verstreut sind. Für die Forschung, aber auch für die Ausbildung der Studenten, sind sie wertvolle Anschauungsobjekte, weil sie Kunstwerke dreidimensional erlebbar machen. Etwa 800 historische Gipsabgüsse griechischer und römischer Skulpturen werden im Magazin des Leipziger Antikenmuseums gelagert. Aber eben nicht nur aufbewahrt. Die Skulpturengruppe des „Toro Farnese“ wird derzeit bei einem Pilotprojekt restauriert. Von einer Spezialfirma sind zunächst die Teile gereinigt worden. Inzwischen werden sie digital erfasst und über ein 3D-Druckverfahren digital ergänzt. Dadurch wissen die Restauratoren, welche Teile vorhanden sind, welche fehlen. „Unser großer Wunsch ist es, die Skulpturengruppe wieder der Leipziger Öffentlichkeit präsentieren zu können“, sagt der Kustos Jörn Lang zum Start des Projektes. Das wird wahrscheinlich nur in Teilen gelingen. Für eine vollständige Präsentation der 3,60 Meter hohen Skulptur fehlen der Universität derzeit schlichtweg geeignete Räume.
Schicksal ist mit Sprengung zunächst besiegelt
Das war nicht immer so. Die Abguss-Sammlung der Universität hat eine lange Tradition. In ihrer Blütezeit sind 3:000 solcher Abgüsse registriert. Bis zum Zweiten Weltkrieg sind diese in mehreren großen Sälen im Erdgeschoss des Johanneums untergebracht. Nach dem Bombenangriff im Dezember 1943 können nur noch 600 Abgüsse gerettet werden. Letztmalig sind diese in den wiedererrichteten Räumen von 1955 bis 1968 ausgestellt. Doch mit der Sprengung der Universitätsbauten im Juni 1968 ist ihr Schicksal besiegelt. Notdürftig werden sie – obwohl von großem historischen Wert – in einem ehemaligen Kohlebunker gelagert.
Es gibt aber auch andere Standorte für die Statuen. Oft verschwanden sie in feuchten Räumen, was teilweise zu irreparablen Schäden führt. Nach der politischen Wende in den Jahren 1989/90 bleibt die Sammlung zunächst in den provisorischen Depoträumen. Erst im Januar und Februar 1999 kann sie in das neue Magazin am Dittrichring umziehen. Jenes Gebäude entstand im Jahr 1986 als volkseigenes Datenverarbeitungszentrum. Die Decken müssen für die damalige Computertechnik eine hohe Traglast aufweisen. Das kommt der Gipsabguss-Sammlung mit ihren teilweise schweren Statuen nun zugute.
Magazin öffnet jeden Mittwoch für Gäste
Für Lehre und Forschung am Lehrbereich Klassische Archäologie beim Historischen Seminar der Universität Leipzig sind die historischen Gipsabgüsse von unschätzbarem Wert. Abgüsse können und wollen die Originale zwar nicht ersetzen. Gegenüber herkömmlichen Fotografien haben sie aber den Vorteil, dass sie die antiken Bildwerke im Maßstab 1:1 wiedergeben und als dreidimensionale Objekte von allen Seiten sichtbar machen. Originale sind oft verwittert oder im Freien gealtert. Abgüsse können daher sogar unverfälschter sein – zumindest was den Eindruck der reinen plastischen Form ausmacht.
Seit 2022 ist die Sammlung bei Führungen zugänglich, zur Museumsnacht Halle und Leipzig 2023 erstmals auch für eine breitere Öffentlichkeit. Inzwischen öffnet das Magazin regelmäßig für Besucher – an Mittwochnachmittagen. Die können zwar keine fertige Ausstellung besichtigen, erhalten jedoch einen besonderen Einblick hinter die Kulissen der Arbeit des Antikenmuseums.
Von der Wölfin bis zum Gänsewürger
Abgüsse gibt es beispielsweise auch von einem nördlichen Fries, der die frühesten Stationen aus dem Leben des Telephos zeigt. Der „Telephosfries“ gehört als Teil des großen Altars von Pergamon sicherlich zu einem der bekanntesten antiken Bauwerke. Bei der Museumsnacht 2024 standen Studierende bereit, die Kunstwerke zu erklären. In der Gipsabguss-Sammlung gibt es viel zu entdecken. Ob nun Apollo, den Gott der Sonne, des Frühlings, des Lichtes. Die Wölfin aus Rom, unter der zwei Knaben sitzen. Einen Redner aus Florenz, die Statuengruppe des sogenannten Gänsewürgers oder eben die Reste des „Toro Farnese“, der hoffentlich mal wieder in alter Pracht entsteht.
Stand: 05.05.2024