Bildlexikon Leipzig

Gosenschenke „Ohne Bedenken“

Menckestraße 5 | Ortsteil: Gohlis-Süd

Die Gosenschenke „Ohne Bedenken“ wurde 1899 von Carl Cajeri in der Menckestraße 5 eröffnet. Seit ihrer Gründung wird dort die obergärige Bierspezialität Gose ausgeschenkt, welche bereits im Mittelalter in Goslar gebraut wurde und 1738 nach Leipzig kam. Sie ist die einzige noch erhaltene historische Gosenschenke Leipzigs.

Trinken ganz ohne Bedenken in Leipzigs größter Gosenschenke


Der Beiname des Gasthauses geht auf den Kellner
Karl Schmidt zurück. Dieser antwortete um 1900 auf die häufig gestellte Frage „Kann man das Gesöff Gose auch trinken?“ stets mit „Ohne Bedenken.“. Um 1900 war die Blütezeit der Gose sowie der Gosenschenken. Von all den zahlreichen Gosenstuben, die ab Mitte des 18. Jahrhunderts in Leipzig existierten, ist heute nur eine einzige am historischen Ort erhalten: die Gosenschenke „Ohne Bedenken“. Ihre Geschichte reicht bis 1899 zurück. In diesem Jahr verlegte die Wirtsfamilie Cajeri ihre Gaststube aus der Leipziger Innenstadt in den Ortskern des Dorfes Gohlis bei Leipzig. Carl Cajeri erbaute dort in der heutigen Menckestraße 5, unweit des Rosentals, von 1904 bis 1905 die größte Gosenschenke Leipzigs mit über 300 Innenplätzen und einem Biergarten mit mehr als 100 Plätzen. Seinerzeit galt die Gosenschenke als heimliche Stammkneipe des Architekten Hugo Licht, der sich in dem urigen Lokal außerhalb der Innenstadt verpflichtenden Fragen entziehen und ungestört seine Gose trinken konnte.

Die Gosenschenke überdauerte die Kriegs- und Nachkriegszeit und wurde bis 1920 von Carl Cajeri geführt. Davon zeugt noch heute die an der Rückseite des Gebäudes angebrachte Sonnenuhr, welche ebenso wie die Goseflasche über der Tür die Fassade nach dem italienischen Garten ziert. Eine besondere Attraktion war zu dieser Zeit das „Abtragen“ von Studenten, welche zu tief ins Goseglas geschaut hatten und auf einer hölzernen Trage zum Pleißeufer geschafft und ins knietiefe Wasser gekippt wurden. Zwischen 1922 und 1932 bewirtete August Kurtz die Gäste, bis die Gosenschenke im Jahr 1936 von Karl Matthes übernommen wurde. Zu dieser Zeit hatte der Betrieb eine erhebliche Größe von 16 Angestellten, die Speisekarte beinhaltete mehr als 80 Gerichte, darunter Speisen wie „Krebsschwänze in Dill“, „Doppeltes Lendenstück“ und spezielle „Ohne Bedenken“ Platten.

In der Bombennacht des 4. Dezember 1943 wurde die Gosenschenke stark beschädigt und der Biergarten größtenteils zerstört. Die Lauben brannten nieder und der Keller wurde mit 500 Liter Gose überschwemmt, da das Eichenfass zerstört wurde. In den heil gebliebenen Gebäudeteilen wurde in den Nachkriegsjahren weiter bewirtet. Braumeister Friedrich Wurzler belieferte die Gosenschenke mit Döllnitzer Rittergutsgose, bis der Betrieb 1958 schließlich eingestellt werden musste. Die Gosenkultur wurde von der offiziellen DDR-Kulturbürokratie als „kleinbürgerlich und heimattümelnd“ diffamiert und passte nicht in das sozialistische Weltbild. In diesem Zuge wurden zahlreiche Baudenkmale abgebrochen, darunter 1960 die historische Kümmelapotheke in Eutritzsch. Die Gose geriet in Vergessenheit. Ab 1960 wurde die Gosenschenke „Ohne Bedenken“ zum „Kulturzentrum der Nationalen Front“ umgebaut und in den Folgejahren unter anderem als Bibliothek und Radiologie genutzt. Nur sechs Jahre später musste auch der letzte Leipziger Goseausschank im traditionsreichen Hotel Fröhlich in der Wintergartenstraße eingestellt werden.

Vom Geheimtipp zur weltbekannten Pilgerstätte der Goseliebhaber


Im Jahr 1985 ließ der Gastronom
Lothar Goldhahn in seiner Berliner Brauerei Gose brauen und nach Leipzig liefern. Aufgrund eines Artikels in den „Leipziger Blättern“ von Gunther Böhnke wurde Goldhahn auf die Gosenschenke aufmerksam und verpflichtete sich, diese wiederzubeleben. Nur ein Jahr später, am 14. Mai 1986, wurde die Gosenschenke „Ohne Bedenken“ von Goldhahn feierlich wiedereröffnet und die goselose Zeit in Leipzig hatte ein Ende. Die alte Holzvertäfelung wurde umfangreich rekonstruiert und die historischen Räumlichkeiten wurden von Goldhahn mit thematischen Sammlungsstücken zum Thema Gose ausgestattet, darunter Reklameschilder, Ansichtskarten, Flaschen, Bücher, Bierdeckel und Speisekarten. Diese kann man noch heute in den Gaststuben bewundern. Zwischen 1985 und 1990 war Wladimir Putin in Leipzig als KGB-Agent stationiert und kehrte regelmäßig in der Gosenschenke ein. Sein Lieblingsgericht „Cajeris Liebling“ – Schweinesteak mit heißer Leberwurst und Bratkartoffeln – genoss er stets mit einer Gose.

Zur Wiedereröffnung 1986 noch ein Geheimtipp, wurde das traditionsreiche Gasthaus schnell zu einem Pilgerort der Goseliebhaber. Lothar Goldhahn hatte einen „Werksstandard“ für die Produktion der Gose entwickelt und bezog diese bis 1990 aus Berlin.
Mit der Wiedervereinigung wurde Dr. Hartmut Hennebach 1990 Pächter und 1995 Eigentümer der Gosenschenke. Mit der Gründung des Kabaretts „Gohglmohsch“ entwickelte er diese auch zur Kleinkunstbühne. Mitte der 1990er Jahre erfreute sich die Gosenschenke wachsender Beliebheit. Ohne Vorbestellung konnten die Gäste oftmals keinen Platz bekommen. Um dem Ansturm gerecht zu werden, baute Hennebach das Wirtshaus sowie den Biergarten 1994 wieder in seiner ursprünglichen Größe bis zum Poetenweg aus. Goldhahn ließ die Gose noch bis 1995 in Dahlen brauen, danach wurde Thomas Schneider als Braumeister der Gose in Weissenburg eingesetzt. Ab 1999 braute Schneider die „Leipziger Gose“ in seiner neuen Lokalität Bayerischer Bahnhof Gasthaus und Gosebrauerei in Leipzig. Im selben Jahr wurde auch die Herstellung der ursprünglichen „Döllnitzer Ritterguts Gose“ wieder aufgenommen. Damit gab es in Leipzig wieder zwei Gosebrauereien. 2012 wurde der langjährige Geschäftsführer Jens Gröger neuer Gosewirt der Gosenschenke „Ohne Bedenken“, die noch heute das Flair der Zwanziger Jahre besitzt. Seit 2010 zählt sie zu den 150 besten Bierlokalen weltweit. Der Biergarten wurde seit 2012 mehrmals zu den schönsten Biergärten in Deutschland gewählt. Seit 2017 wird in der Gosenschenke in der kleinen Gasthausbrauerei die „Edelgose“ gebraut und ausgeschenkt, welche bei den „World Beer Awards“ 2019 erstmals mit „Gold“ ausgezeichnet wurde. Seit 2018 braut Jens Gröger auch das „Kellergold“, seit 2020 den „Schwarzen Hahn“ sowie saisonale Craftbiere wie India Pale Ale. Neben Goseverkostungen finden in der Gosenschenke auch Führungen, Live-Musik-Veranstaltungen, Kabarett und Kleinkunst statt. Bis zum Jahr 2015 erfolgte bei einem Biergartenfest die Wahl der Miss Ohne Bedenken.

Urige Gaststuben hinter historischem Jugendstil-Gewand


Die Gosenschenke präsentiert sich noch heute in der Fassade von 1905: Das Gebäude mit seinem markanten runden „Gose-Erker“ mit Girlandenschmuck und fünf Porträtmedaillons wurde nach Entwürfen des Architekten
Wilhelm Becker im Jugendstil errichtet. Die mit dunklem Holz ausgekleidete Historische Gaststube im Erdgeschoss, ehemals „Biedermeierstübchen“, ist der einzige, original erhaltene Gastraum im authentischen Ambiente von 1905 und bietet Platz für 60 Gäste. Den rustikalen Bierkeller mit seinem alten Kellergewölbe erreicht man über eine historische Wendeltreppe. Mit seinen 40 Plätzen eignet sich dieser ideal für gemütliche Stammtischrunden. Das traditionelle Vereinszimmer und die „Kleine Gaststube“, mit ihrer Holzvertäfelung verfügen über 20 bis 35 Plätze. In den Sommermonaten lädt der urige Biergarten im authentischen Ambiente von 1899 zum Verweilen ein. Eingerahmt von Gründerzeitbauten zählt dieser zu den ältesten der Stadt und bietet 500 Plätze. Unter dem dichten, alten Baumbestand können die Gäste neben einer frisch gezapften Gose bei schönem Wetter Spezialitäten vom Holzkohlegrill genießen. Sollte man doch einmal von einem Regenschauer überrascht werden, bietet der Biergarten zwei überdachte Terrassen. Die Speisekarte beinhaltet noch immer traditionelle Gerichte von 1905, darunter das „Gose-Häppchen“ – sauer eingelegter Camembert, Fettbemmchen und saure Gurke – oder hausgemachten Zwiebelkuchen.

Stand: 26.09.2023

Bildergalerie - Gosenschenke „Ohne Bedenken“

Historisches Bildmaterial - Gosenschenke „Ohne Bedenken“

Picture of Sophie Weinhold
Sophie Weinhold
Die gebürtige Leipzigerin studierte in Passau und Marseille Internationales Management und besitzt ein Faible für Fremdsprachen. Neben Englisch und Französisch spricht sie fließend spanisch und italienisch. Bereits als Zwölfjährige führte sie internationale Austauschschüler durch die Stadt und begeisterte sie für Leipzigs Geschichte und Sehenswürdigkeiten. Die Liebe zu Leipzig bestimmt nach wie vor ihre Freizeitgestaltung. Ob Museumsbesuche, Konzerte oder Fahrradtouren in die Umgebung – die kreative Lokalpatriotin findet immer ausreichend Anregungen, um darüber zu schreiben.