Bildlexikon Leipzig

Barthels Hof

Hainstraße 1 / Kleine Fleischergasse 2 | Ortsteil: Zentrum

Nur an einer Stelle bietet Leipzig noch die Gelegenheit, die Atmosphäre kennenzulernen, die von den mächtigen, verwinkelten, tief mit der umliegenden Bebauung verwobenen Durchgangshöfen ausging – in Barthels Hof. Zwar rumpelt kein schwer beladener, von erschöpften Pferden gezogener Planwagen mehr über das Kopfsteinpflaster und keine Warenbündel werden in die luftige Höhe der Dachgeschosse gezogen, doch die bauliche Struktur des Handelshofes vermittelt einen überzeugenden Eindruck von der Zeit vor fast 300 Jahren, als Leipzig mit der damals bekannten Welt Handel trieb und dabei wohlhabend wurde.

Rettung im letzten Moment


Barthels Hof steht für eines der zahlreichen Leipziger Wunder, die schon verloren schienen und in den Jahren seit 1990 auf erstaunliche Weise gerettet wurden – auch wenn der Erfolg zwischendurch gefährdet schien.

Der einmalige historische Wert von Barthels Hof war tiefgründigen Kennern ebenso wie oberflächlichen Betrachtern in den 1980er Jahren wohl bewusst. Gleichwohl griffen die Absperrzäune auf dem Hof immer weiter aus, um Besucher vor abstürzenden Fassadenteilen oder lockeren Dachziegeln zu schützen. Um den Zustand von Treppenhäusern und Warenluken wahrheitsgetreu zu beschreiben, musste jeder Berichterstatter zum düsteren Schwelgen im morbiden Charme greifen. Irgendwann war sogar das Gasthaus Barthels Hof niemandem mehr zuzumuten. Trauer und Wehmut ergriffen das kopfschüttelnde Publikum.

Gerade rechtzeitig kam der deutsche Einheits-Herbst des Jahres 1990. Und es nahte Jürgen Schneider aus Kronberg im Taunus. Mit ihm wollte plötzlich jeder zu tun haben, der heute am liebsten nicht mehr an den selbst ernannten „Baulöwen“ erinnert werden möchte. Jürgen Schneider spekulierte wild drauflos. Stöberte er eine verfallende Immobilie mit bleicher Substanz auf, erschlug ungezügelte Spekulation augenblicklich jede gebotene Vorsicht – und das angemessene ökonomische Kalkül erst recht. Doch halt, Schneider gierte ja nicht allein. In seine ergreifenden Hymnen von der vernachlässigten Leipziger Bausubstanz und der gebotenen Mission des „Wachküssens“ stimmten „seine“ Hausbanken lebhaft und wie in Trance mit ein. Eher bekamen vorsichtige, zu raschen Genehmigungen gedrängte Verwaltungsmenschen kalte Füße, als dass die involvierten Geldhäuser zur Mäßigung bereit gewesen wären. Aus der Leipziger Innenstadt wurde allmählich „Schneider-City“, und Barthels Hof war dazu auserkoren, das Immobilien-Reich mit einer Kombination aus Kommerz und dolce vita zu krönen.

Traditionsbewusst umgebaut


Barthels Hof besaß immer innere Werte. An der nordwestlichen Ecke des legendären Marktes gelegen, breitete er sich auf einem Grundstück aus, das in der beengten, aus dem Mittelalter ererbten Stadtstruktur nur bebaut werden konnte, wenn Vorgängergebäude abgerissen wurden. So geschah es. 

Seit 1523 stand hier das Haus Zur Goldenen Schlange, die Leipziger Dependance des Augsburger Bankhauses der Welser und damit ein früher Sachzeuge für den einträglichen Fernhandel. Reichlich zweihundert Jahre später trieben den Leipziger Kaufmann Gottlieb Barthel größere Pläne um. Zwischen 1747 und 1750 entstand Barthels Hof. Der schmucke, über drei Etagen reichende Erker „Zur Goldenen Schlange“ blieb erhalten, doch eine breite Einfahrt von der geschäftigen Straße her gelang nicht. Sie blieb dem nächsten Umbau in den Jahren 1870/71 vorbehalten, der gleich auch noch das Nachbarhaus zu einem stimmigen Ganzen formte. Doch wohin mit dem wertvollen Erker? Der Architekt Bruno Leopold Grimm verlagerte das wertvolle Original kurzerhand in das Innere des Hofes. Seither windet sich die namengebende Schlange dort um ein Kreuz, flankiert von wohl proportionierten baulichen Details, die für Entdecker wie geschaffen scheinen. Am besten mit einem kühlen sächsischen Wein im Glas auf der sommerlichen Terrasse des Gasthauses Barthels Hof. Denn die Traditionsgaststätte gibt es längst wieder, und sie rundet das Ensemble trefflich ab.

Verbliebenes Zeugnis der Leipziger Warenmessen


Der Leipziger Studiosus
Johann Wolfgang Goethe hat die Leipziger Durchgangshöfe ganz im Banne ihrer Funktion beschrieben als „nach zwei Straßen sich wendend, himmelhoch umbaute Hofräume, eine bürgerliche Welt umfassend, großen Burgen, ja Halbstädten ähnlich“. Die Idee war, zu den Handelsmessen in den schmalen Hof zwischen zwei mehrstöckigen Gebäuden hineinzufahren, die Fuhrwerke auf dem Hof zu entladen und das Grundstück ohne beschwerliches Wenden über die rückwärtige Ausfahrt wieder zu verlassen. Deshalb mündet Barthels Hof im hinteren Teil in die Kleine Fleischergasse. 

Alles bestens erhalten und funktional nachzuvollziehen. Unten auf dem Hof das frühere Handelsareal und in den Gewölben die Präsentationsmöglichkeit für begehrte „Mess-Waaren“. Darüber gediegene Wohnräume und die Kontorräume, wo Geschäfte besiegelt, Rechnungen geschrieben und das eingenommene Geld verwahrt wurde. Weit oben ausgedehnte Lagermöglichkeiten, erkennbar am weit herausragenden Kranarm für den Warenaufzug.

Barthels Hof – das ist Leipziger Handelsgeschichte in Stein und Holz. Ein Zeugnis für eine herausragende Aufschwungphase der Stadt und als letzter erhaltener Handelshof aus der Zeit der Warenmesse ein Kleinod.

Wertvolle Funde zum Sanierungs-Finale


Als Barthels Hof in den 1990er Jahren gründlich saniert wurde, mussten – einem damals vom Sächsischen Landtag soeben erlassenen Gesetz sei Dank – unter dem Pflaster des Hofes Flächengrabungen vorgenommen werden. Was Investoren in solchen, von betulicher Detailarbeit geprägten Monaten üblicherweise zu fiebriger Ungeduld verleitet, erwies sich als Glücksfall. Von Barthels Hof ist es ja nur ein Katzensprung bis zum nachgewiesenen, tausend Jahre zurückliegenden Ursprung der Stadt Leipzig, und entsprechend reichlich fielen die Funde aus – Gefäße, Scherben, Reste von Hausrat aus dem Leipziger Untergrund, ehe der Hof wieder korrekt kopfsteinbepflastert wurde.

Barthels Hof ist der auferstandene bauliche Edelstein geworden, von dem Jürgen Schneider träumte, zu dessen Erweckung er aber untaugliche, ins Kriminelle abrutschende Methoden bemühte. Am Ende verlor er sein Immobilien-Imperium. Der geldgebenden Bank war die erlittene Täuschung peinlich, und sie ließ die begonnene Renovierung nach der Schneider-Pleite im April 1994 möglichst geräuschlos vollenden.

Die zwischenzeitlich zu verkraftende Unruhephase verzögerte die Fertigstellung zwar bis 1997, doch wer denkt heute noch daran, wenn er das Ergebnis bestaunt!? Dank gebührt deshalb vor allem den vielen geschickten Leipziger Bauhandwerkern, die mit Barthels Hof ein riesengroßes Meisterstück abgeliefert haben, an dem sich jeden Tag tausende Besucher erfreuen können. 

Stand: 25.06.2022

Bildergalerie - Barthels Hof

Historisches Bildmaterial - Barthels Hof

Mädler-Passage

Grimmaische Straße 2-4 / Neumarkt 14 | Ortsteil: Zentrum

Diese Bildsequenz ist legendär, denn sie illustriert so eindringlich wie keine andere den historischen Bogen und den kühnen, wirtschaftsgeleiteten Anspruch der Stadt Leipzig und ihrer Favoriten in der Einheitseuphorie ab 1990: Da steht ein mittelalter eleganter Herr im feinen grauen Maßanzug in einer lichtdurchfluteten Passage. Sein stolzer Blick ist leicht nach oben gerichtet, und das Lächeln strahlt eine unerschütterlich optimistische Sicht aus. Der gewinnend Auftretende heißt Jürgen Schneider und kommt aus Kronberg im Taunus. Aufnahmeort ist die Mädler-Passage in Leipzig. 

Ein Spitzenplatz im Leipziger Passagensystem


Beeindruckend sollen sie gewesen sein – die haushohen Einfahrten für die schwer bepackten Fuhrwerke der Kaufleute, um pünktlich zur Messe in die Innenhöfe der Leipziger Handelshäuser zu gelangen. Das befand zumindest der in Leipzig seinen vielfältigen Studien nachgehende
Johann Wolfgang Goethe aus Frankfurt am Main. Als die Messe später auf moderne Verkehrsmittel umsattelte, ließen sich die vorhandenen Schluchten der Fuhrwerksdurchfahrten zwischen den Handelshäusern mit Glasdächern überwölben, auf dass darunter weiterhin Handel und Wandel im nunmehr feineren Ambiente stattfinden konnte. Das zu einmaliger Dichte heranreifende Leipziger Passagensystem war geboren. Nicht genug damit, dass sich an einigen Stellen im Stadtzentrum Passagen mit weit zurückreichender Entstehungsgeschichte finden, gingen prominente Leipziger Unternehmer im frühen 20. Jahrhundert daran, neue Passagen anzulegen, also den vielfach gelobten Bezug auf die Handelsgeschichte der wohlhabenden Stadt schöpferisch aufzunehmen und neu zu interpretieren.

1911 schlug die Stunde für Auerbachs Hof, einen historischen Bau, der sich zur Grimmaischen Straße hin öffnete. Auf Initiative und mit kräftigem Kapitaleinsatz durch Kommerzienrat Anton Mädler sollte auf dem geschichtsträchtigen Grund eine neue, repräsentative Straßenfront mit Zugang zu einer Passage angelegt werden. 

Ein Industrieller wird Immobilienentwickler


Mädler führte zu dieser Zeit die Koffer- und Taschenfabrik Moritz Mädler und war damit durchaus in einer Schlüsselbranche tätig. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg hatte das wohlhabende Bürgertum die Lust am Reisen und am Erkunden der Welt entdeckt. Das ging nur mit hochwertigem Reisegepäck – aus Leder und mit einem festen Rahmen aus stabilen Holzleisten. An bunte Rollkoffer aus Nylon dachte dieses elegante Publikum sicher nicht. 

Die Leipziger Firma Mädler war ein Star ihrer Branche. Sie beschickte Messen und Weltausstellungen, warb in anspruchsvollen Publikationen und mit prächtigen eigenen Katalogen und wickelte glänzende Geschäfte ab. Der finanzielle Grundstock für den Bau der Mädler-Passage im Herzen der Stadt war geschaffen. 1911 entstand nach Plänen von Theodor Kösser zunächst der Flügel von der Grimmaischen Straße bis zur Rotunde. Weitere gezielte Grundstückskäufe in der Nachbarschaft gestatteten 1912 den Bau des rechtwinklig zur ersten Ladenzeile zum Neumarkt führenden Passage-Abschnitts. 1914 war der Bau dann abgeschlossen. Leipzig besaß damit eine elegante, weltstädtische Attraktion mehr. Eine Passage wie diese musste keinen Vergleich mit Mailand oder Paris scheuen. Fußläufig waren viele aneinandergereihte Einzelhandelsgeschäfte erreichbar. Hinter den mit üppigem Bauschmuck umkränzten Fenstern im ersten Stock befanden sich auf 5.700 Quadratmetern Ausstellungsräume der Messebranchen Leder und Porzellan. Der Passageneingang an der Grimmaischen Straße wird von zwei lebensgroßen weiblichen Figuren flankiert, die Weintrauben und eine Vase tragen. Damit wird Bezug auf die Zweckbestimmung der Passage als Messehaus und Weinkeller genommen. Auf den berühmten Auerbachs Keller stößt man gleich wenige Meter nach Betreten der Passage. Der Treppenabgang wurde geschickt und stilsicher in die Passage einbezogen. Davor stehen seit über 100 Jahren ehrwürdig die berühmten Faustskulpturen des Bildhauers Mathieu Molitor

Willkommener Qualitätsanspruch


Auch die DDR wusste, was sie an diesem architektonischen Kleinod hat. Die Mädler-Passage war immer gepflegt und ein gern präsentierter Solitär unter den innerstädtischen Ausstellungspalästen. Unter den Läden im Erdgeschoss ragten die Hinrichs’sche Buchhandlung, ein Fotogeschäft, ein bibliophiles Antiquariat und ein Wäschegeschäft heraus. Der sächsische Daueraussteller
Meissner Porzellanmanufaktur bescherte der Rotunde ein Porzellanglockenspiel, das manche Passanten veranlasste, einige Minuten an dieser Passagengabelung zu verweilen, um zur erwarteten vollen Stunde dem hellen und klaren Klang zu lauschen, der dort ertönte.

So sehr die Mädler-Passage auch geschätzt und gehegt wurde, so groß war ebenfalls der Investitionsbedarf für das intensiv genutzte Kleinod. In diese zwiespältige Situation fiel die deutsche Einheit mit ihrem kräftigen Zustrom anlagewilliger Investoren und zielsicherer Projektentwickler. Jürgen Schneider war der stürmischste unter ihnen. Gern gab er die Saga zum Besten, dass er sich eines sonnigen Septembersonntags im Jahr 1990 Knall auf Fall in Leipzig verliebt hat und hier mit Schwung ein Immobilienimperium von besonderer Strahlkraft aufzuziehen gedenkt. Die Banken unterstützten seine hochfliegenden Pläne, die öffentliche Verwaltung glaubte in ihm den Retter sanierungsbedürftiger Bausubstanz gefunden zu haben und viele Leipziger bespöttelten das wuchernde Investitionsrevier als „Schneider-City“. Mochte er im Zentrum von Leipzig auch anpacken, was er wollte, die Mädler-Passage war immer als Krönung seiner Pläne gedacht. Zum Glück für Leipzig waren deshalb die Arbeiten in der Mädler-Passage schon weit vorangekommen und an prominenten Stellen abgeschlossen, als das Auf-Schneider-Universum am 12. April 1994 in einem dunklen finanziellen Loch mit langen Gesichtern seitens der überrumpelten Banken endete.

Stilsicher ins 21. Jahrhundert

 

Ob heutige Flaneure gelegentlich noch an Jürgen Schneider denken, wenn sie in der Mädler-Passage einen Prosecco genießen? Vielleicht, mit einem milden Lächeln. Liegt alles ja schon fast 30 Jahre zurück. Geblieben ist der hohe Anspruch des hier vertretenen Einzelhandels, geändert hat sich der Branchen-Mix. Edle Uhren, exquisite Schreibwaren, Wohnaccessoires und kulinarische Genüsse pflegen heutzutage bewusst den Appell an einen gehobenen Lebensstil. Im Kabarett Sanftwut gibt es Theater mit Lachgarantie. In der Mephisto Bar lässt sich der Strom anspruchsvoller Käufer und vorüberziehender Seh-Leute trefflich studieren. Und zu Veranstaltungen wie dem Leipziger Passagenfest oder dem Leipziger Weihnachtsmarkt ist die Mädler-Passage selbstverständlich eine feste Größe.

Stand: 25.12.2021

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