In Leipzig wird der Frühling vier Tage lang zum Literaturfrühling. Die Buchmesse lockt mit dem Lesefestival „Leipzig liest“ Jahr für Jahr hunderttausende Besucher, mehr als 2.000 Aussteller sowie viele namhafte Autoren in die Messehallen in den Norden sowie an besondere Orte der Stadt. Im Zoo Leipzig und im Botanischen Garten werden Lesungen rund um Tiere und Natur organisiert, auf dem Südfriedhof eine Krimi- oder Gruselnacht, das Planetarium Schkeuditz widmet sich der Geschichte der Raumfahrt. Bei der Buchmesse rückt jeweils ein Gastland besonders in den Fokus. 2024 sind es unter dem Motto „alles außer flach“ die Niederlande und Flandern. 2025 folgt Norwegen.
Es geht um die Begegnung zwischen Verlagen und „Büchermachenden“ mit ihren Lesern. Literarische Neuerscheinungen bekommen – darunter auch durch den Preis der Leipziger Buchmesse in den Kategorien Belletristik, Sachbuch und Übersetzung – viel Aufmerksamkeit. Die Veranstaltung gilt als erster großer Branchentreff des Jahres. Anders als die Frankfurter Buchmesse ist die Leipziger Buchmesse eine Publikumsmesse. 2024 kommen 283.000 Gäste – rund 9.000 mehr als 2023. Insgesamt 2.085 Verlage aus 40 Ländern haben ihre Neuheiten auf der Frühlingsschau präsentiert. Buchmessechefin Astrid Böhmisch nennt insbesondere den wachsenden Zuspruch durch jüngere Menschen „sehr erfreulich“.
Fans stellen Idole aus Manga und Videospielen nach
Zu diesem Erfolg trägt die Manga-Comic-Con bei. Das ist die wichtigste deutsche Frühjahrsveranstaltung der Manga- und Comicszene, die in die Buchmesse ebenso wie das Lesefestival „Leipzig liest“ und die Leipziger Antiquariatsmesse integriert ist. Fans können bei Lesungen, Signierstunden oder Workshops auf Stars der Branche treffen. Viele stellen dabei ihre Idole aus Manga, Anime, Filmen und Videospielen nach. Das Ganze nennt sich Cosplay. Der Begriff setzt sich aus den englischen Begriffen Costume und Play zusammen und bedeutet wörtlich übersetzt Kostümspiel. Für viele Cosplayer besteht das Ziel darin, ihre Lieblingsfiguren so originalgetreu wie möglich zu kopieren. Sie schlüpfen in bunte Accessoires, Perücken und meist selbst genähte Kleidung und flanieren durch die Hallen. Es ist aber mehr als Kostümieren, es werden auch typische Verhaltensweisen der jeweils dargestellten Charaktere adaptiert. Ein Highlight ist jedes Jahr der Cosplay-Wettbewerb, bei dem das schönste Kostüm gekürt wird.
Buchmesse hat eine lange Tradition
Die Geschichte der Buchmesse in Leipzig hat eine lange Tradition. Bereits mit der Reformation und dem daraus folgenden Boom des Buchdrucks wird Leipzig zu einem der wichtigsten Druckorte in Europa. Der erste Ratsmessekatalog, der die Neuerscheinungen auflistet, erscheint 1594. Viele Jahrhunderte gilt Leipzig als das Zentrum des deutschen Buchhandels. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kann die Frankfurter Buchmesse der Leipziger den Rang ablaufen.
Dennoch bleibt sie auch in der DDR für lesehungrige Menschen das Frühjahrsereignis. Immerhin werden auf der Messe DDR-Bücher ausgestellt, die in den Buchhandlungen nicht einfach gekauft werden können, weil die Auflage oft sehr klein bemessen ist. Hinzu kommt: Es gibt viele begehrenswerte Bücher westlicher Autoren und Verlage. Die sind allerdings nur Ausstellungsstücke. Viele Menschen lesen sie gleich am Messestand. Wer das begehrte Buch an einem Tag nicht schafft, kommt oft am nächsten Tag wieder.
Üblich wird es auch, dass ganze Bücher gleich abgeschrieben werden. Etwa von Studenten – einer liest vor und diktiert, ein anderer stenografiert mit. Damit begehrte Bücher nicht einfach im Gedränge verschwinden, hängen sie an Angelsehnen. Doch Bücherklau gibt es trotzdem – die Westverlage stellen sich darauf ein. „Bücherklauen zu DDR-Zeiten war quasi geistiger Mundraub!“ erzählt der Leipziger Kabarettist und Autor Bernd-Lutz Lange in seinem Buch „Mauer, Jeans und Prager Frühling“. Besonders groß ist das Interesse an Autoren, die in der DDR tabu sind. Dazu gehören auch zensierte Werke von unliebsamen DDR-Schriftstellern, die nur in Westverlagen erscheinen können. Bei DDR-Verlagen kommt es sogar vor, dass sie Blindbände in die Regale stellen, weil die Werke noch nicht gedruckt werden konnten.
Die DDR nutzt die Buchmesse als Leistungsschau, um Bücher und Kultur vor internationaler Kulisse in Szene zu setzen. Die DDR-Führung will dabei vor allem die Attraktivität des Sozialismus zeigen. Zudem bringt die Messe Devisen, weil viele Westverlage ihre Werke gern preiswerter als im Westen in der DDR drucken lassen. Die Buch- und Medienwissenschaftlerin Patricia F. Blume hat die Geschichte der Leipziger Buchmesse in der DDR in einem Buch aufgearbeitet, das 2024 im Verlag De Gruyter Saur erschienen ist.
Neues Messekonzept mit „Leipzig liest“ bringt Aufschwung
Mit der Friedlichen Revolution und der Einheit Deutschlands hört das abgeschottete Leseland DDR auf zu existieren. Der freie Markt schwemmt Bücher im Überfluss in den Osten. Verlage der ehemaligen DDR müssen nun ums Überleben kämpfen. Der ostdeutsche Buchmarkt ist im Umbruch. Die erste eigenständige Leipziger Buchmesse – bislang ist sie Teil der Frühjahrsmesse – öffnet im Frühjahr 1990. Es kommen allerdings nur knapp 25.000 Besucher. Das ist auf den Umbruch des ostdeutschen Buchmarktes im Zuge der deutschen Einheit zurückzuführen. Es wird ein neues Messekonzept erarbeitet, das schon 1991 zu einem Besucherplus führt. Leipzig besinnt sich auf seine lange gewachsene Tradition der Buchkultur. Das bis heute sehr beliebte Lesefestival „Leipzig liest“ wird aus der Taufe gehoben. In jenem Jahr lesen 80 Autoren an knapp 160 Leipziger Orten.
Der Umzug der Buchmesse 1998 vom Messehaus am Markt in der Innenstadt auf das 1996 eröffnete neue Messegelände bringt ihr weiteren Aufschwung. Inzwischen hat sich Leipzig seinen Ruf als Bücherstadt längst zurückerobert. Leipzig ist jedes Jahr buchstäblich im Literaturfieber. Neue Formate wie #buchbar, bei dem Interessierte mit ihrem Autor einen Kaffee trinken können, sind beliebt. „Auch 2024 hat die Leipziger Buchmesse gezeigt, wie stark die Kraft des freien Wortes ist, die es gerade in schwierigen Zeiten wie diesen braucht“, resümiert Martin Buhl-Wagner, Geschäftsführer der Leipziger Messe, in der Abschlussbilanz. Für 2025 ist ein Themenjahr „Buchstadt Leipzig – Stadt des freien Wortes“ geplant. Anlass dafür ist die Gründung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler in Leipzig 1825. Leipzig will dabei die große Verlagstradition sowie die heutige Lese- und Buchstadt feiern. Im 19. Jahrhundert wächst mit dem Graphischen Viertel ein Areal, in dem sich Verlage wie Brockhaus, Philipp Reclam jr., Breitkopf & Härtel sowie Druckereien und Buchbindereien ansiedeln. Das Deutsche Buchgewerbehaus, der Sitz des Deutschen Buchgewerbevereins, entsteht hier ebenfalls.
Stand: 21.03.2024