„Mode ist vergänglich. Stil bleibt“ – dies können vorbeifahrende Bootsfahrer auf dem Elstermühlgraben am ehemaligen Kutscherhaus lesen, in dem eine der bekanntesten Modedesignerinnen Leipzigs ihr Atelier betreibt. Silke Wagler verbindet in der Käthe-Kollwitz-Straße 61 die Handwerkstradition des Maßschneiderns mit zeitgemäßem Design. Seit 1990 ist Wagler, die ihr Handwerk in den Theaterwerkstätten des Leipziger Schauspielhauses erlernt, mit ihrem Label Silke Wagler Couture erfolgreich. Das Atelier entwirft individuelle und maßgeschneiderte Mode. Dazu gehören Abendkleider und Festgarderobe für Damen und Herren ebenso wie der klassische Herrenanzug sowie Brautmode und Bühnengarderobe.
Geboren wird Silke Wagler am 4. Dezember 1968 in Leipzig und wächst zunächst in Lindenau, später dann in Wahren in Nähe des Auwaldes auf, besucht die Schule in Stahmeln. Ihre Eltern stammen beide aus dem Erzgebirge. Schon die Mutter näht viel und gern, der Vater ist Textilingenieur in einer Forschungsabteilung des Volkseigenen Betriebes Baumwollspinnerei. So gesehen wird Silke Wagler die Liebe zur Schneiderei in die Wiege gelegt. Nach der Schule will sie eigentlich Kostümbildnerin werden. Die junge Frau macht das, was sie am besten kann: Schneidern, Nähen, Sticken. Das Hobby wird zum Beruf. Sie beginnt eine Ausbildung zur Herrenmaßschneiderin bei den Leipziger Theaterwerkstätten.
Eine Karriere im eigenen Unternehmen hat sie damals nicht im Blick. Gleich nach der Wende rät ihr ein Freund, der Galerist Gerd Harry „Judy“ Lübke: „Mach dich doch selbständig, mehr als schiefgehen kann es nicht.“ Ausgerüstet mit einigen alten Nähmaschinen ihrer Mutter eröffnet sie an ihrem 22. Geburtstag schließlich einen Laden im Leipziger Osten. Es ist das „East End“ in der Schulze-Delitzsch-Straße. Dort wohnt sie damals in einem besetzten Haus. Der Laden ist ein Lager, in dem sie auch Mainelken und „sozialistische Winkelemente“ vorfindet. Die verwendet sie später für ihre Kollektion zur ersten Modemesse „Demoschick“ im Ring-Messehaus.
Ein Gegenentwurf zur Massenkollektion
In Leipzig hat sie während der Friedlichen Revolution gegen die Wut und für die Freiheit demonstriert. Später dann auch für ein vereinigtes Deutschland. „Viele Menschen haben Leipzig nach der Wiedervereinigung den Rücken gekehrt. Das hat bei mir eine Trotzreaktion ausgelöst“, sagt sie in einem Interview. Konkurrenz gibt es kaum. Viele Westler haben den Ostdeutschen damals keinen Geschmack zugetraut. Die großen Ketten übernehmen den Handel und bringen oft den Ramsch mit, den sie im Westen nicht loswerden. Silke Wagler will aber nichts von der Stange, vielmehr ihre eigenen Kreationen entwerfen. Und bietet einen Gegenentwurf zur Massenkonfektion an.
Von „East End“ – sicherlich damals nicht die beste Adresse für Mode – geht es weiter in die Jahnallee, später zusätzlich in Specks Hof. Beide Geschäfte vereint sie schließlich und zieht im Jahr 1999 an den Thomaskirchhof. Dort eröffnet sie das „Modeatelier Silke Wagler Couture“, das schnell stilbewusste Menschen anzieht. Die Kunden kommen aus Leipzig, Wien, Zürich und New York. Schauspieler, Politiker und Geschäftsleute sind dabei. Eine der bekanntesten Kundinnen ist die Verlegerin Friede Springer.
Zum 30. Firmenjubiläum im Jahr 2020 scheint alles vorbei zu sein. Corona und der Lockdown haben die Gesellschaft fest im Griff. Plötzlich gibt es keine Hochzeiten, keine Bälle, keine Feste und Empfänge mehr, bei denen stilvolle Abendgarderobe gefragt ist. Auch der Opernball, für das Geschäft der Höhepunkt im Jahr, wird abgesagt. Im Geschäft stehen plötzlich heulende Bräute und Abiturientinnen, erzählt sie, die plötzlich nicht mehr zum Ball dürfen. Auch Silke Wagler ist zum Heulen zumute. Plötzlich will niemand mehr Abendroben oder Fracks für diverse festliche Anlässe. Aber sie gibt nicht auf.
Corona bringt Aus für Atelier am Thomaskirchhof
Sie stellt ihr Geschäft rigoros um. Im Atelier werden nur noch Schutzmasken gefertigt – aus Stoff. Modelle aus dunkelblauem Brokat werden bis nach Mallorca und Österreich geliefert. Für die Stadt Leipzig näht sie jetzt 1.000 Schutzkittel. Das größte Risiko bleibt jedoch die Miete für den 220 Quadratmeter großen Laden in bester Citylage. Die Modemacherin muss im Dezember 2020 ihr edles Atelier am Thomaskirchhof räumen. Sie zieht zunächst in ein Interim in der Berliner Straße, nimmt Corona-Hilfen in Anspruch und schafft es, dass ihr Lehrling die Ausbildung bei ihr beenden kann.
Mit der Rückkehr gesellschaftlicher Ereignisse nach Corona geht es wieder aufwärts. In der Käthe-Kollwitz-Straße 60, einem ehemaligen Kutscherhaus, werden Räume frei. Die sind zwar kleiner als im früheren Atelier, aber mit inspirierendem Blick ins Grüne und auf vorbeifahrende Boote auf dem Elstermühlgraben. Statt acht Mitarbeitern sind jetzt nur noch drei an Bord. Steve Rosenstock, den Silke Wagler im August 2024 heiratet, unterstützt sie dabei. Der Betriebswirtschaftler, der zuvor Start-ups fit macht, und die Künstlerin stellen das Unternehmen nun gemeinsam komplett neu auf.
Unikate sind auf Kunden zugeschnitten
Mittlerweile gibt es drei klare Produktlinien: Im Bereich Couture bietet sie Meisterwerke, von denen es jeweils nur ein Exemplar gibt. Im Bereich Prêt-à-porter entsteht Kleidung in kleinen Stückzahlen. Sie arbeitet beispielsweise auch für die App des Online-Händlers Otto und fotografiert dafür mit großem Aufwand die Kollektion. Und unter dem Stichwort „Privilege Club“ entsteht schließlich Maßkonfektion, die in Leipzig entworfen, aber in Portugal und Frankreich gefertigt wird. Sie näht ebenfalls außergewöhnliche Kleidung, etwa die Weste von Friedrich Schiller fürs Museum oder eine Kopie von Kleidern aus beliebten Serien wie „Bridgerton“. Kostüme für das Mendelssohn-Haus hat sie ebenfalls bereits genäht. Sie versuche, gute Aufträge für ihr Team zu bekommen. Denn das sind alles Kunsthandwerker.
„Letztlich möchte ich meinen Kunden Unikate verkaufen, die in Farbe, Material und natürlich der Passform komplett auf sie zugeschnitten sind“, beschreibt sie ihre Philosophie. Mittlerweile gibt es zwar Dutzende Mode- und Design-Schulen in ganz Deutschland. Doch nichts gehe über ein ordentliches Handwerk. Das gelte es zu wahren, betont sie. Bei ihr wird alles von Hand und auf Maß gemacht. Das Team bietet handwerkliche Expertise – von der Beratung über die Skizzierung und Stoffauswahl bis zur Herstellung des Wunsch-Kleidungsstücks. „Wir machen Produkte, die wirklich lange halten. Das ist unser Anspruch“, sagt sie und verweist auf einen Hausmantel, der vor 25 Jahren gefertigt wurde. Verändert hat sich seitdem nur der Besitzer.
Dabei ist der Modedesignerin und Schneiderin eins klar: Mode ist und bleibt ein hartes Geschäft. Härter, als sie einst dachte. „Es ist für mich ein großes Experiment, das immer noch läuft“, betont Silke Wagler.
Stand: 06.09.2024