Stülpnagel, Karl Heinrich von

Restaurator, Möbelhistoriker, Heraldiker | geb. am 13. November 1960 in Hannover

Die Bedeutung des Namens von Stülpnagel bleibt wohl ein wenig im Dunkel des Mittelalters verborgen. Obwohl die Familie umfangreiche Forschungen betrieben hat, ist die genaue Herkunft des Namens nicht eindeutig geklärt. Fakt ist aber, dass es sich um ein uckermärkisches Adelsgeschlecht handelt, welches 1321 erstmals schriftlich erwähnt wird. Heute sind die Familienmitglieder weit in ganz Deutschland verstreut. In Leipzig lebt Karl Heinrich von Stülpnagel. Er ist Leitender Restaurator des Ägyptischen Museums der Universität Leipzig und zuständig für 7.000 Objekte. Außerdem ist er Vorsitzender seines Familienverbandes, dessen prominentester Vertreter Carl-Heinrich Rudolf von Stülpnagel war. Der General der Infanterie und Militärbefehlshaber in Frankreich ist am Umsturzversuch und Attentat auf Hitler von 20. Juli 1944 beteiligt und wird nach dessen Scheitern in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Das hat seinen Enkel, den jungen Karl Heinrich, sowie die ganze Familie geprägt.

Experte für gotische Truhen in Lüneburger Heide


Geboren wird Karl Heinrich von Stülpnagel am 13. November 1960 in Hannover. Dort wächst er auch auf und besucht die Freie Waldorfschule in der niedersächsischen Landeshauptstadt. Vater Walter ist leitender Baudirektor und Kammerdirektor der Klosterkammer Hannover, die ehemaliges klösterliches Vermögen verwaltet. Mutter Annemarie ist im zweiten Job Kunsthändlerin. Daher wird der junge Karl Heinrich „mit Antiquitäten groß“, wie er selbst sagt, und entschließt sich 1977 nach der Schule zu einer Tischlerlehre. Er möchte Möbelrestaurator werden. Also macht er eine Ausbildung als Restaurator für Möbel und Holzobjekte.

„Möbelrestaurator bin ich allerdings nicht, da ich nicht polieren kann“, sagt er heute. Anders als in der DDR konnte man zu der Zeit im Westen Deutschlands das Restaurieren nicht studieren, nach einer Lehre folgen sechs praktische Jahre an unterschiedlichen Institutionen. Danach geht es an das niedersächsische Heidekloster Wienhausen, wo er ein Forschungsprojekt über die gotischen Truhen der Lüneburger Heide-Klöster beginnt. Das mündet in einer Monografie über die Entwicklung von Möbelkonstruktionen im Mittelalter, das zum Standardwerk wird. Danach wird er ins Museumsdorf Hösseringen, ein Freilichtmuseum bei Uelzen, abgeworben, um sich mit neuzeitlichen Truhen zu beschäftigen.

Die Werkstatt des Ägyptischen Museums


Nach Leipzig verschlägt ihn ein Zufall.
Barbara Fölber, Chefrestauratorin im GRASSI Museum für Völkerkunde, besucht nach der Friedlichen Revolution eine Tagung. Sie erwähnt beim abendlichen Plausch, dass das Ägyptische Museum in Leipzig händeringend einen Restaurator sucht, und beide tauschen ihre Visitenkarten aus. Sie erzählt Professorin Elke Blumenthal, der damaligen Leiterin des Ägyptischen Museums, davon. Diese schreibt schließlich einen Brief an von Stülpnagel und fragt an, ob er nicht die Werkstatt ihres Hauses übernehmen will. An einem dunklen, grauen und regnerischen Tag im November 1991 kommt er nach Leipzig und bleibt. Das Museum präsentiert sich zwar in keinem guten Zustand, ist jedoch gut organisiert. Schlechte Lagerzustände von Sammlungen kennt er aus den Freilichtmuseen im Westen und nimmt die Herausforderung an, Magazin und Werkstatt des Ägyptischen Museums völlig neu aufzubauen sowie eine Generalinventur des Bestandes vorzunehmen. Universitäts-Kanzler Peter Gutjahr-Löser reist persönlich nach Dresden, um den neuen Restaurator einstellen zu können. Nach Umstrukturierung von Fakultäten der Universität Leipzig muss das Ägyptische Museum im Jahr 2000 aus der Schillerstraße 6 ausziehen – zunächst ins Interim in der Burgstraße 8. Das erfordert viel Aufwand und eine gute Logistik. Dabei müssen auch jene Objekte bewegt werden, die eigentlich gar nicht transportfähig sind. Sein endgültiges Domizil findet das Museum im Krochhochhaus am Augustusplatz.

Mit den Ausstellungsobjekten auf Reisen


Das Museum verfügt schon seit 1994 über ein Schaudepot, in dem alle Objekte zugänglich sind. Deshalb müssen alle aufstellbar sein, was dem Restaurator viel Arbeit beschert. Ägyptologie hat ihn eigentlich nie interessiert. Damit kokettiert Karl Heinrich von Stülpnagel stets: „Ein Zahnarzt interessiert sich für die Zähne eines Menschen, nicht für die Psyche. Das ist ein anderer Job“, sagt er. Er wiederum kümmere sich um restauratorische, konservatorische und museologische Aufgaben eines Objektes. Wer es aus welchem Grund in welcher Epoche benutzt hat, sei jedoch Sache der studierten Ägyptologen. Er wiederum sei für die richtige Lagerung, die Konservierung und gelegentlich das Zusammensetzen eines zerstörten Objekts zuständig. Und für den Leihverkehr.

Das Ägyptische Museum nutzt seine Sammlung, um Objekte bei Sonderschauen auch außerhalb Leipzigs zu zeigen. So hat sich eine gute Kooperation mit dem Náprstek Museum der asiatischen, afrikanischen und amerikanischen Kultur entwickelt, das zum Nationalmuseum Prag gehört. Von Stülpnagel entscheidet, ob ein Transport überhaupt zu verantworten ist. Bei einem Großteil der Objekte ist dies ohnehin ausgeschlossen und bereits in den Sammlungsunterlagen vermerkt. Außerdem handelt der Restaurator und Möbelhistoriker gemeinsam mit der Rechtsabteilung der Universität Leipzig den Leihvertrag aus, legt fest, wie die klimatischen Bedingungen und das Licht bei der Präsentation sein müssen. Zu allen Leihstationen reist er zum Schutz der Leihgaben mit. Bei der Übergabe wird der Zustand des Objektes dokumentiert und fotografiert. Das kann auch mal länger dauern, wenn die Ausstellung noch nicht genügend vorbereitet, die Vitrinen nicht geeignet sind.

Aktiv in Forschung und Lehre der Universität


Zunächst wollte von Stülpnagel höchstens fünf bis sieben Jahre in Leipzig bleiben. Doch die Universität Leipzig gibt ihm die Möglichkeit, in Lehre und Forschung mitzuarbeiten und selbst zu unterrichten. Etwa bei Möbel-Seminaren am Institut für Kunstgeschichte der Universität Leipzig, aber auch bei den Museologen an der
Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK). Heraldik – auch ein Steckenpferd – unterrichtet er ebenfalls. „Wappen haben mich immer interessiert“, bekennt er. Der Experte für Heraldik hat auch ein Buch über die Epitaphe der Martin-Luther-Kirche in Markkleeberg-West geschrieben.

In die altägyptische Möbelkunde arbeitet er sich ebenso ein und bezieht auch bei wissenschaftlichen Diskussionen klare Positionen. Etwa bei der Frage, ob mumifizierte menschliche Körper überhaupt ausgestellt werden dürfen. Von Stülpnagel findet, dass Museen nicht das Recht haben, sich über religiöse, ethische und moralische Vorstellungen Verstorbener hinwegzusetzen und menschliche Überreste auszustellen. Das gelte auch für die alten Ägypter. Darüber hat er viele Vorträge gehalten. Und sich intensiv mit Gunther von Hagens gestritten, als der seine „Körperwelten“ präsentierte.

Ein Allgemeinmediziner greift auf Experten zurück


In den letzten Jahren restaurierte Karl Heinrich von Stülpnagel kaum noch selbst. Die Sammlung ist ohnehin in einem guten Zustand. Zudem hat er in den letzten drei Jahrzehnten ein Netzwerk mit restauratorischen Fachhochschulen und Akademien aufgebaut, die bei Bedarf kostengünstig Aufgaben an den Lehrobjekten übernehmen. „Ich vergleiche mich mit einem Allgemeinmediziner, der seinen Patientenstamm kennt und maximal Mandeln entfernt oder einen Blinddarm operiert. Den Rest übernehmen die Experten auf dem jeweiligen Gebiet“, erklärt er.

Momentan wird die Sammlung des Ägyptischen Museums durch ein modernes Computerprogramm datenmäßig neu erfasst – das ist eine zweite Generalinventur nach der Wende. Und von Stülpnagel, der so wie kaum ein anderer die Sammlung gut kennt, ist mittendrin. 2025 verabschiedet er sich in den Ruhestand, wird sich allerdings nicht wirklich zur Ruhe setzen. Weitere Projekte folgen – auch mit Wappen. Von Stülpnagel lebt mit Ehefrau Angelika, eine gebürtige von Arnim, in Markkleeberg. Das Paar ist seit 1995 verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.

Stand: 05.08.2024

Bildergalerie - Stülpnagel, Karl Heinrich von

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Mathias Orbeck
Der in Leipzig-Connewitz geborene und aufgewachsene Journalist ist leidenschaftlicher Radfahrer und Naturliebhaber. 35 Jahre lang arbeitete der Lokalpatriot als Redakteur und Reporter bei der Leipziger Volkszeitung. Inzwischen als freier Autor tätig, gilt sein Interesse nach wie vor Leipzigs Historie sowie den schönen Seiten seiner Heimatstadt, deren Attraktionen er gern Gästen zeigt.
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