Das Opernhaus an der Nordseite vom Augustusplatz wurde 1956 bis 1960 nach Plänen von Kunz Nierade und Kurt Hemmerling als erster Theaterneubau der DDR errichtet und zählt zu den schönsten Bauten des Stils der ausgehenden 1950er Jahre. Die Oper Leipzig besteht als Drei-Sparten-Theater aus der Oper und dem Leipziger Ballett in der Spielstätte des Opernhauses sowie der Musikalischen Komödie im Haus Dreilinden in Lindenau.
Der erste Theaterneubau der DDR entsteht
Das Opernhaus beherrscht die Nordfront des Augustusplatzes und befindet sich vis-à-vis zum Gewandhaus. Durch seine strenge und kompakte Gliederung nimmt es eine dominierende Stellung zwischen den späteren Neubauten ein.
Die Leipziger Operntradition reicht bis zur Gründung des ersten „Opernhauses am Brühl“ 1693 zurück. Nach Abriss dieser Spielstätte öffnete die zweite Leipziger Oper unter dem Namen Comödienhaus – später „Theater der Stadt Leipzig“ – 1766 auf der Ranstädter Bastei, dem heutigen Richard-Wagner-Platz. Als die Spielstätte für die wachsende Einwohnerzahl zu klein wurde, entstand ab 1868 das Neue Theater auf dem Augustusplatz als Vorgängerbau des heutigen Opernhauses. Der Entwurf stammte von Carl Ferdinand Langhans. Während des amerikanischen Luftangriffs in der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember 1943 wurden beide Leipziger Theater zerstört. Das Opernensemble war zwischenzeitlich im Haus Dreilinden als Ausweichspielstätte untergebracht. Der Bau des neuen Opernhauses erfolgte in einer Zeit des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs. Ein Jahr nach der Gründung der DDR 1949 sollte in Leipzig der erste große Theaterneubau als Teil der sozialistischen Bebauungspläne im Stadtzentrum entstehen. Um Platz für das neue Opernhaus mit Vorbildwirkung für andere Theaterbauten zu schaffen, wurde die Ruine des zerstörten Neuen Theaters gänzlich abgetragen. Der Neubau sollte ursprünglich die Maße und Anordnung des vorherigen Baus wieder aufnehmen. Dieses Vorhaben erwies sich jedoch als nicht durchführbar, da die Anforderungen an ein Opernhaus hinsichtlich der Technik, der Bühnenanlage und der Gestaltung des Foyers deutlich gestiegen waren.
Vom umstrittenen Prestigebau zum internationalen Aushängeschild
Im Vorfeld wurden zahlreiche Projekte ausgearbeitet und das Bauvorhaben heftig diskutiert. Das Interesse am neuen Opernhaus war seitens der Bevölkerung, der Stadt sowie der Regierung sehr hoch. Im Jahr 1950 wurde ein erster Wettbewerb ausgeschrieben, an dem sich namhafte Architekten wie Hans Scharoun, Bauherr der Berliner Philharmonie, beteiligten. Da unter den eingereichten Entwürfen keiner überzeugte, wurde 1951 ein zweiter Wettbewerb ausgeschrieben unter der Prämisse, das Opernhaus und den neugestalteten Karl-Marx-Platz schöpferisch zu verbinden. Auch im Rahmen der zweiten Ausschreibung wurde kein Entwurf als umsetzbar erachtet, so dass 1952 ein dritter Wettbewerb stattfand. Diesen konnte der polnische Architekt Piotr Bieganski für sich entscheiden. Seine sich an sowjetischen Modellen orientierenden Pläne wurden im Nachgang jedoch als zu kompliziert sowie wirtschaftlich nicht vertretbar kritisiert und schließlich verworfen. Um einer weiteren Verzögerung vorzubeugen, erhielten die Architekten Kurt Hemmerling und Kunz Nierade 1954 den Bauauftrag für das Prestigeprojekt der jungen DDR. Während des Baus erfolgte eine ständige beratende Begutachtung durch den Architekturbeirat der DDR. Auch der Vorsitzende des Staatsrates, Walter Ulbricht, nahm mehrmals persönlich an den Konsultationen teil. Nach sechsjähriger Bauzeit wurde das Opernhaus am 8. Oktober 1960 mit der Aufführung „Die Meistersinger von Nürnberg“ von Richard Wagner feierlich eingeweiht. Heute zählt es zu den schönsten Bauten im Stil der ausgehenden 1950er Jahre.
Die Oper Leipzig war auch eine bedeutende Wirkungsstätte namhafter Musiker und Komponisten, darunter Georg Philipp Telemann, der 1701 die „Direction über die Opern“ übernahm. Albert Lortzings Werke „Zar und Zimmermann“ sowie „Der Wildschütz“ wurden 1837 bzw. 1842 uraufgeführt, ebenso wie 1878 Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“. Gustav Mahler wirkte von 1886 bis 1888 als zweiter Kapellmeister.
Wenn Klassizismus und DDR-Moderne aufeinander treffen…
Durch die lange Planungsphase des Opernneubaus wandten sich die Architekten von der ursprünglich geplanten neoklassizistischen Architektur im sowjetischen Stil ab. Das Gebäude ist von Schlichtheit sowie klassischer Strenge geprägt. Es handelt sich bei ihm um eine Stahlbetonkonstruktion in Form einer Stufenpyramide mit sieben Geschossen und einer Höhe von 52 Metern. Der kubische Baukörper wird durch ein klassisch gestaltetes Satteldach mit Giebel und darüberliegendem quadratischen Bühnenturm abgeschlossen. Die vier Ecken des Daches sind mit einer vergoldeten Taube als Friedenssymbol verziert. Die Gebäudefront zum Augustusplatz wird durch einen zweigeschossigen Portikus hervorgehoben. Die Fassade aus Pirnaer Sandstein ist mit einem 350 Meter langen Attikageländer gestaltet. Über den Fenstern im Erdgeschoss sind von Walter Arnold geschaffene Flachreliefs angebracht, welche das Staatsensemble der DDR sowie Theatersymbole abbilden. Den Eingangsbereich der Oper erreicht man über die zu einer zweigeschossigen Loggia führende Freitreppe. Die acht Pfeiler tragen die Balkone vor dem Parkett- und Rangfoyer. Durch die goldfarbenen Fenster, Türen und Säulen aus Aluminium erhält der Bau in Verbindung mit seiner Sandsteinfassade einen repräsentativen Charakter. Die Rückseite des Gebäudes wird von einer Parkanlage mit dem Schwanenteich als Teil des Promenadenrings begrenzt. Sie verfügt über eine Terrasse und imposant gestaffelte Bautrakte. Vor dem Opernhaus wurde nach 1990 eine runde Brunnenanlage mit Fontäne angelegt, welche optisch an das einstige Rasenrondell Ende des 18. Jahrhunderts erinnert.
Von der Knospe zur Dolde – was Opernhaus und Pusteblume gemein haben
Auch bei der Innenarchitektur der Oper wurde auf ihre Repräsentanz abgezielt. Im Erdgeschoss befindet sich die Garderobenhalle, die mit einem blauschwarzen Diabasfußboden ausgestattet ist. Die Wände sind zum Teil mit handgefertigten Fliesen aus Meißner Porzellan verziert. Die Zuschauer gelangen über elegant aufwärts schwingende und doppelläufige Treppen in das Parkett- und Ranggeschoss des Zuschauerraums, der von großzügig gestalteten Foyers umfasst wird. Vergoldete Zierornamente, rote Teppiche sowie holzverkleidete Wände aus Schweizer Birnbaum und Riegelahorn verkörpern den Charakter der Erbauungszeit. Von den ornamental gestalteten Decken hängen auffällige Leuchten in Pusteblumen-Ästhetik. Diese sind den verschiedenen Stadien der Pflanzenblüte nachempfunden und ziehen sich in abgewandelter Form durch das gesamte Gebäude: Während die Lampen in der Garderobenhalle noch in Form von Knospen abgebildet sind, präsentieren sich diese im Parkettfoyer bereits als Blüte mit den Dolden einer Pusteblume.
Der Opernsaal mit dem trapezförmigen Zuschauerraum beherbergt eine 30 mal 23 Meter große Hauptbühne und verfügt über 1.273 Sitzplätze im 25-reihigen Parkett und im 12-reihigen Rang. Die mit Riegelahorn verkleideten, gefalteten Wände und die zur Bühne hin flach ausgelegte Kassettendecke sorgen für eine ausgezeichnete Akustik. Die Hauptbühne umfasst einen Portalausschnitt von 12,5 Metern Höhe und 16 Metern Breite. Davor befindet sich der Orchestergraben, in dem das Gewandhausorchester spielt. Die von Kurt Hemmerling geschaffene Bühne mit versenkbaren Podien und Drehbühne mit einem Durchmesser von 18 Metern zählt noch heute zu den modernsten ihrer Art in Deutschland. In Kombination mit einer hinteren und zwei seitlichen Schiebebühnen wird eine schnelle Verwandlung des Bühnenbildes ermöglicht. Im Saal befinden sich außerdem die Intendanten- und die Stadtloge, welche über separate Eingänge erreicht werden. Das Repertoire der Oper ist vielfältig und reicht vom Barock bis zur Gegenwart. Fester Bestandteil des Spielplans sind die Werke Richard Wagners und Albert Lortzings.
Stand: 27.09.2023