Die zwischen 1907 und 1910 nach Plänen des Architekten Alfred Müller erbaute Philippuskirche befindet sich im Leipziger Stadtteil Lindenau am Karl-Heine-Kanal. Die neobarocke Fassadengestaltung mit markantem Kirchturm steht im Kontrast zum im gemäßigten Jugendstil gestalteten Innenraum. Nachdem die Philippuskirche seit 2002 gemeindlich kaum mehr genutzt wurde, wurde das Gebäudeensemble im Jahr 2012 dem Berufsbildungswerk (BBW) Leipzig zur Nutzung übertragen. Nach einer umfangreichen Umgestaltung des denkmalsgeschützten Gebäudeensembles eröffnete am 1. März 2018 in den Räumlichkeiten Leipzigs erstes Integrationshotel mit Biergarten. Der Kirchsaal wurde zu einem kulturellen, multifunktionalen Veranstaltungszentrum umfunktioniert.
Gemäßigter Jugendstil in neobarocker Hülle
Der markante, 62,5 Meter hohe Kirchturm der Philippuskirche mit neobarocker Kuppel ragt bereits von Weitem sichtbar über die Dächer des Stadtteils Lindenau und prägt diesen optisch. Nach dem starken Wachstum der Gemeinde Lindenau im Jahr 1906 gründete man im südlichen Teil die „Philippusgemeinde“. Bereits ein Jahr später wurde ein Wettbewerb zum Bau eines entsprechenden Gebäudekomplexes, bestehend aus Kirche, Pfarr- und Gemeindehaus, an der Aurelien-/ Helmholtzstraße ausgeschrieben. Den Bauzuschlag erhielt der Leipziger Architekt Alfred Müller, welcher bereits durch den Bau der Michaeliskirche bekannt wurde. Der ungewöhnliche und zugleich interessante Entwurf sah für das Gebäudeensemble einen Winkelbau vor, dessen Blickpunkt der an der Ecke platzierte, knapp 63 Meter hohe Kirchturm mit geschwungener, neobarocker Haube einnahm. Die beiden Gebäudeschenkel werden von dem rückwärtigen Gemeindehaustrakt verbunden. Trotz des auf den ersten Blick sehr massiv wirkenden Baus, erscheinen die Baumassen bei näherem Hinsehen Dank ihrer geschickten Gliederung sehr ausgewogen und harmonisch.
Gegenüber der niederländisch geprägten neobarocken Fassadengestaltung der Philippuskirche ließ Alfred Müller den Innenraum im gemäßigten Jugendstil gestalten. Eine Besonderheit stellt hier der nur äußerlich kreuzförmig erscheinende, überkuppelte Hauptraum dar. Hierbei orientierte sich Müller an der liturgischen Anordnung des Wiesbadener Programms aus dem Jahr 1891, welches einen Zentralraum forderte, in welchem sich die Gemeinde um Altar, Orgel und Kanzel herum „auf Augenhöhe“ versammelte. Die pneumatisch betriebene Jehmlich-Orgel, die Kanzel und der Altar wurden stufenförmig hintereinander angeordnet, während sich das Gestühl in halbkreisförmig ansteigenden Reihen um die liturgische Mitte gruppiert und auf gleicher Ebene wie die Kanzel und der Altar liegt. Dieser barocken Tradition entsprechend orientierte sich bereits George Bähr beim Bau der Dresdner Frauenkirche. Bei der Philippuskirche handelt es sich in Leipzig und der Region um den einzigen, nach diesem Prinzip entwickelten Sakralbau. Der reich geschmückte Innenraum der Kirche verfügt weiterhin über Messinglampen, welche sowohl mit Strom als auch mit Gas funktionieren. Nach drei Jahren Bauzeit von 1907 bis 1910 wurde die Kirche mit 730 Plätzen am 16. Oktober 1910 geweiht. Während der Kirchweihe spielte Paul Gerhardt auf der von ihm mitentwickelten Jehmlich-Orgel. Im Jahr 1999 vereinigten sich die Gemeinden der Philippuskirche und der Heilandskirche zur Kirchgemeinde Lindenau-Plagwitz. Seit 2002 fanden die Gottesdienste ausschließlich in der Heilandskirche statt.
Aus 100-jährigem Pfarrhaus wird modernes Integrationshotel
Nachdem die Philippuskirche über ein Jahrzehnt nicht mehr für Gottesdienste genutzt wurde, übertrug man das Gebäudeensemble im Jahr 2012 dem Berufsbildungswerk (BBW) Leipzig zur Nutzung. Das BBW plante für das denkmalgeschützte Gebäudeensemble eine Umgestaltung zum PHILIPPUS Leipzig Inklusionshotel mit Gastronomie und Freisitz direkt am Karl-Heine-Kanal. Die Idee dazu stammte ursprünglich aus Hamburg, wo 1993 Eltern von behinderten Kindern das Stadthaushotel in Altona gründeten. Entsprechend des „Philippus-Projektes“ begann unter der Leitung von Wolfgang Menz Anfang 2015 der Umbau der neobarocken Kirche zu einem 3-Sterne-Hotel. Ausgeführt wurde das Projekt vom Architekturbüro RKW. Ziel war es, die seit 2002 gemeindlich nicht mehr genutzte Philippuskirche zu einem multifunktionalen Veranstaltungsort umzuwandeln, ohne diese zu entweihen. Für die Umsetzung des Projektes stellte der Mitgliedsbetrieb des Diakonischen Werks insgesamt 4,2 Millionen Euro zur Verfügung, weitere 250.000 Euro wurden von der Fernsehlotterie „Aktion Mensch“ beigesteuert. Dabei handelte es sich um ein Förderprojekt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Zu den Festangestellten sollten mindestens 40 Prozent Behinderte zählen.
Die Eröffnung von Leipzigs erstem Integrationshotel fand am 1. März 2018 statt. Zur Verfügung stehen seitdem 28 Doppel- und ein Einzelzimmer in den Kategorien „Klassik“ mit etwa 18 Quadratmetern und „Komfort“ mit circa 25 Quadratmetern mit Ausblick auf den Karl-Heine-Kanal. 28 der insgesamt 29 Räume sind barrierefrei. Zum PHILIPPUS Leipzig Inklusionshotel gehören eine Catering-Abteilung mit gastronomischer Versorgung der Hotelgäste sowie die Philippuskirche. Das neue Konzept umfasst die drei „Bs“ Beherbergung, Bewirtung und Botschaft. Teil der regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen ist seit 2014 auch die Benefizreihe verschiedener musikalischer Stilrichtungen namens „Konzerte am Kanal“ im Kirchsaal.
Frisch gezapftes Philippus-Bräu und Flammkuchen im einstigen Kirchgarten
Um die Eingriffe in den denkmalgeschützten Bestand auf ein Minimum zu reduzieren, wurde an der Westseite des Pfarrhauses neben dem Eingang ein gläsernes Foyer mit gläsernem Außenfahrstuhl geschaffen. Im Souterrain der Kirche entstanden eine Küche, Seminar- und Besprechungsräume, während der Kirchsaal in ein kulturelles, multifunktionales Veranstaltungszentrum umgewidmet wurde, in welchem u.a. Hochzeiten, Theateraufführungen, Firmen- und Geburtstagsfeiern sowie an jedem letzten Freitag im Monat ein Gottesdienst stattfinden. Der ehemalige Gemeindesaal wurde zum Frühstücks- und Seminarraum mit unmittelbarem Gartenzugang umfunktioniert. Im Jahr 2019 waren die umfangreichen Sanierungsarbeiten im Inneren der Kirche abgeschlossen. Anschließend wurde das Ensemble mit moderner Technik ausgestattet sowie die mehr als 100 Jahre alte Jehmlich-Orgel fachmännisch überholt.
Den idyllischen Kirchgarten funktionierte man zum Philippus-Biergarten mit 40 Plätzen um. Er wird vom Inklusionshotel betrieben. Gelegen zwischen Philippuskirche und Karl-Heine-Kanal ist dieser von Donnerstag bis Sonntag geöffnet und wird in den Sommermonaten zur Kulisse von Live-Musik und Theatervorführungen. Der Freisitz ist ebenfalls barrierefrei. Neben einem kleinen Imbissangebot, darunter saisonale Speisen, Flammkuchen und Brotzeitplatten, werden verschiedene warme und kalte Getränke sowie frisch gezapftes Philippus-Bräu angeboten. Der Biergarten verfügt zudem über eine kleine Bootsanlegestelle.
Stand: 28.09.2022