Wann schafft es schon mal ein authentisches Weinlokal in die Weltliteratur? Auerbachs Keller in Leipzig genießt voller Stolz und Traditionsbewusstsein dieses Privileg. Kein geringerer als Johann Wolfgang Goethe hat Auerbachs Keller zu Weltruhm verholfen – dank des Fassritts von Mephisto mit Dr. Faust in Faust I.
Schon zeitig floss der Wein
Guter Wein beflügelte wahrscheinlich schon immer die Gedankengänge. Anno 1525 kam Dr. Stromer aus Auerbach, Rektor der Universität Leipzig, auf die Idee, nicht weit entfernt von der alma mater lipsiensis einen Weinausschank zu eröffnen. Tagsüber die Studenten mit dem Geist der Wissenschaft vertraut zu machen und ihnen abends Zugang zum Geist des Weines zu verschaffen – das schien bereits vor einem halben Jahrtausend eine gute Idee zu sein. Stromer wählte den Waldheim-Hummelhainischen Hof neben dem Alten Rathaus als Standort für sein Lokal. Bereits fünf Jahre später – 1530 – begann der neue Eigentümer mit einem Umbau. Zwecks Erinnerung an Stromers Herkunft erhielt das Gebäude den Namen Auerbachs Hof. Es schrieb die Geschichte des Weinlokals durch die Jahrhunderte fort und punktete offenbar auch beim Studiosus Goethe, den es aus Frankfurt an die Leipziger Universität zog.
Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch verschwanden die letzten altgedienten Gebäude aus der Leipziger Innenstadt, die sich vor allem dank ihrer Messepaläste, Passagen und Bankgebäude zur noblen City einer aufstrebenden Großstadt wandelte. Auerbachs Hof wurde in den Jahren ab 1911 von Grund auf umgebaut. Ideengeber und Bauherr war der Leipziger Koffer- und Taschenfabrikant Anton Mädler. Ihm schwebte eine luxuriöse Passage mit einer Ladenzeile im Erdgeschoss vor. Und Auerbachs Keller? Mädler verstand, was die Leipziger und die Messegäste wünschten. Auerbachs Keller wurde in den Neubau integriert.
Das Lokal ist nicht zu verfehlen. Von der Grimmaischen Straße her prangen schwungvolle gotische Buchstaben in mattem Gold und zwei historische Ausleger an der Fassade des Geschäftshauses. In der Mädler Passage säumen überlebensgroße Figuren mit „Faust“-Bezug die geschwungenen Treppenabgänge in das Traditionsrestaurant. Auf der einen Seite stehen Dr. Faust und Mephisto, auf der anderen lässt sich einer aus der Dreier-Gruppe von Studenten von seinen Kommilitonen nur mühsam davon abhalten, in einer Auseinandersetzung mit den mysteriösen Zeugen des Gelages handgreiflich zu werden. Tausende Kinder dürften im Laufe der Zeit angesichts der spannenden Darstellung und ihrer Unsicherheit, was soviel explosive Stimmung in der Figurengruppe denn zu bedeuten habe, durch ihre Eltern eine erste Einführung in die „Faust“-Handlung erfahren haben. Passanten schreiten beim Besuch der Mädler Passage förmlich durch die beiden Gruppen der Faustskulpturen hindurch, die der Jugendstil-Künstler Mathieu Molitor geschaffen hatte.
Gastlichkeit in mehreren Gewölben
Auerbachs Keller ist dreigeteilt und lehnt sich mit seinen Gewölben und dem schweren, dunklen Eichenmobiliar an die Vorbilder historischer Gasthäuser und Weinkeller an. Im Großen Keller finden fast 600 Gäste an langen Tafeln oder an den Tischen Platz. Die Küche hat einen klaren gutbürgerlichen Einschlag mit eindeutigen sächsischen Bezügen.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Treppenpodests laden u.a. der kleinere Goethe-Keller und der komplett an der Historie orientierte Fasskeller ein. Dort und in der winzigen Hexenküche herrscht Faust. Ein Riesenfass dominiert den Raum. Goethe wird rezitiert, die Karte bietet eine gediegen klassische Speisefolge, und zu beschwingt vorgerückter Stunde kommt gelegentlich der Wunsch auf, es mit einem Fassritt wie die literarischen Vorbilder zu versuchen.
Spannend wie die Lokal-Geschichte ist ein Blick in die lange Liste prominenter Besucher. Martin Luther war vor Jahrhunderten zu Gast. Zu den früheren Leipziger Messen mit ihrer Schlüsselfunktion für den florierenden Ost-West-Handel fand in Auerbachs Keller manch systemübergreifende Verständigung statt, die den Geschäften diente. Konzernchefs aus dem Westen wollten bei ihrer Rückkehr nach Hause nur zu gern die Frage, ob sie in Leipzig denn auch im weltberühmten Auerbachs Keller gewesen seien, aus vollem Herzen bejahen. Während der Messen dürften die Leipziger in Auerbachs Keller früher klar in der Unterzahl gewesen sein. Eventuell wäre auch ihre Reservierung aufgenommen worden, doch gerade in Auerbachs Keller galten zu den Messezeiten Messepreise. Da kamen – ganz offiziell – saftige Aufschläge auf die staatlich festgesetzten Normalpreise drauf. Leipziger ließen daraufhin lieber ihren zahlungskräftigeren Messegästen den Vortritt.
Die Anziehungskraft des Restaurants hat alle bewegten Zeitläufe überdauert: Als der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf im Jahr 2000 den Präsidenten der EU-Kommission, Jacques Delors, anlässlich von dessen offiziellem Besuch in Leipzig standesgemäß bewirten wollte, fiel die Wahl folgerichtig auf Auerbachs Keller. Und einen gedruckten oder elektronischen Reiseführer, der im Reigen prominenter Leipziger Gaststätten Auerbachs Keller nicht führt, wird man kaum finden. Schließlich rangieren im weltweiten Bekanntheitsvergleich nur vier Lokale vor dem Leipziger Klassiker.
Kurzzeitig gab es zwei Auerbachs Keller
Was gut und ertragreich ist, muss sich doch auch verdoppeln lassen, mögen die Verantwortlichen der legendären Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung 1897 gedacht haben, als sie nostalgisch-schwärmerisch Alt-Leipzig auf dem Ausstellungsgelände nachbauen ließen. Um der Authentizität Genüge zu tun, durfte Auerbachs Keller natürlich nicht fehlen. Der populäre Identifikationsort war ein Muss für die Kopie der historischen Stadtlandschaft. Wer indes im Abschlussbericht des Finanzausschusses der Ausstellung nachschlägt, wird eine gewundene Erklärung dafür finden, dass nicht zuletzt die großartige künstlerische Ausschmückung des Etablissements mit Faust-Szenen dazu beigetragen hat, das Budget der gesamten Ausstellung deutlich zu überschreiten. Dass es irgendeinem Gast im Double von Auerbachs Keller nicht gefallen hätte, ist nicht bekannt.
Stand: 26.09.2023