Bildlexikon Leipzig

Goerdeler-Denkmal

Martin-Luther-Ring | Ortsteil: Zentrum

Das Goerdeler-Denkmal befindet sich an der Südwestecke des Neuen Rathauses am Martin-Luther-Ring. Es erinnert an Carl Friedrich Goerdeler, der von 1930 bis 1937 Leipzigs Oberbürgermeister war, von seinem Amt aus Protest gegen die nationalsozialistische Politik zurücktrat und 1945 von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Das Denkmal wurde 1999 nach einem Entwurf des amerikanischen Künstlerpaares Jenny Holzer und Michael Glier errichtet. Dabei handelt es sich um einen fünf Meter tiefen Glockenschacht, in welchem sich eine Bronzeglocke befindet, welche viermal täglich sowie an besonderen Tagen schlägt. Der Schacht wird ebenerdig von einer Art Amphitheater bestehend aus drei kreisrunden Steinstufen mit eingravierten Zitaten Goerdelers umschlossen. Das Denkmal dient als Mahnmal für Widerspruchsgeist und Zivilcourage gleichermaßen.

Leipzigs einstiger Oberbürgermeister: Gegner und Opfer des Nationalsozialismus


Carl Friedrich Goerdeler war von 1930 bis 1937 Oberbürgermeister Leipzigs. Er hatte stets den Ruf, sein Amt wie ein preußischer Beamter auszuüben sowie keinesfalls konfliktscheu zu agieren. Goerdeler positionierte sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten gegen unrechtes Handeln, darunter den Boykott jüdischer Geschäfte oder die Umbenennung von nach jüdischen Personen benannten Straßen. Besonders energetisch wandte sich Goerdeler gegen alle Anläufe der NSDAP, das
Mendelssohn-Denkmal am Alten Gewandhaus zu zerstören. Dessen Abriss in seiner Abwesenheit durch nationalsozialistische Befürworter war für Goerdeler 1936 Anlass, sein Amt als Oberbürgermeister niederzulegen. In den Folgejahren verteidigte Carl Friedrich Goerdeler seine Überzeugungen gegen das NS-Regime mit herausragender Standfestigkeit und Willensstärke. Auf seinen Reisen ins Ausland zwischen 1937 und 1939 warnte Goerdeler insbesondere die Großmächte vor dem Kriegstreiber Adolf Hitler und brachte deutschlandweit Gesinnungsgenossen aus verschiedenen politischen Richtungen zusammen. Spätestens seit Kriegsbeginn zählte er zu den führenden zivilen Vertretern der Widerstandsbewegung. Nach dem missglückten Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Hitler am 21. Juli 1944 wurde Goerdeler im August denunziert und verhaftet. Später verurteilte ihn der Volksgerichtshof zum Tode und ließ ihn am 2. Februar 1945 von den Nationalsozialisten in Berlin-Plötzensee hinrichten.

Zwei künstlerische Wettbewerbe stellen die Weichen für das Goerdeler-Denkmal


Am 16. November 1993 beschloss die Leipziger Stadtverordnetenversammlung die Ehrung Carl Friedrich Goerdelers „mit einer Plastik bzw. einem künstlerischen Objekt“. Als Ort für das Denkmal wurde die Südwestecke des Neuen Rathauses, direkt unter dem Arbeitszimmer des Oberbürgermeisters, benannt. Entscheidend für den Entschluss zur Ehrung Goerdelers war seine mutige Beteiligung am Widerstand gegen Hitler. Bis dahin hatte Leipzig bereits zwei seiner Stadtoberhäupter mit öffentlichen Denkmälern geehrt, darunter jenes für seine Bürgermeister
Carl Wilhelm Müller sowie Otto Koch. Ersteres befindet sich gegenüber dem Hauptbahnhof in der Grünanlage des Promenadenrings am Unteren Park, letzteres auf dem Promenadenhügel am Roßplatz in der Lenné-Anlage. Unter Federführung des Kulturamtes wurde 1994, knapp 50 Jahre nach dem Tod Goerdelers, ein internationaler offener künstlerischer Wettbewerb ausgeschrieben. Die rund 80 Einsendungen, darunter Beiträge aus Deutschland, Polen, Österreich, Tschechien, der Schweiz, der Slowakei und Ungarn, brachten keine Vergabe eines ersten Preises hervor, so dass 1996 ein zweiter internationaler Wettbewerb auf Einladung ausgeschrieben wurde. Auffallend war, dass drei der insgesamt fünf anonym eingegangen Entwürfe ein in die Erde versenktes Ensemble vorsahen. Lediglich ein Entwurf beinhaltete ein flach am Boden gedachtes sowie ein weiterer Entwurf ein stehendes Werk. Aus dem Wettbewerb ging 1997 eindeutig das amerikanische Künstlerpaar Jenny Holzer und Michael Glier hervor. Den bautechnischen Entwurf sowie die Umsetzung des 1999 errichteten Denkmals hatte die Leipziger bgk-consulting GmbH inne. Zu dem Konzept von Glier und Holzer gehörte es, den vergessenen Widerstandskämpfer auch mit Zitaten aus zeitgenössischen Dokumenten ins Gedächtnis zu rufen. Letztlich entschied man sich für Selbstzeugnisse, deren Vorauswahl Ines Reich, die Mitarbeiterin der Gedenkstätte von Sachsenhausen, traf.

Glockenläuten für Zivilcourage und Widerspruchsgeist


Bei dem Goerdeler-Denkmal handelt es sich um eine ungewöhnliche Form der Ehrung, welche mit der gewohnten Form eines Personendenkmals bricht. Es spielt mit Elementen der Fläche und Tiefe. Optisch wahrzunehmen ist zunächst die ebenerdige, dreifach abgestufte, ringförmige Umrandung inmitten einer kreisrunden Rabatte, welche an ein Amphitheater erinnert. Der Außendurchmesser beträgt insgesamt 6,40 Meter. Die gesamte Anlage nimmt in ihrer Grundstruktur uralte Bauformen eines Mausoleums bzw. Baptisteriums auf und ist von einem drei Meter breiten Ring mit einer graugrün- und weißblättrigen Bepflanzung umschlossen. Die drei kreisrunden Steinstufen führen hinab in einen fünf Meter tiefen Glockenschacht mit einem Durchmesser von 2,75 Metern, welcher von einem begehbaren Gitter bedeckt ist und in dessen Tiefe sich eine Bronzeglocke befindet. Auf den begehbaren Stufen aus Kirchheimer Muschelkalk und Granit befinden sich – chronologisch von außen nach innen angeordnet – 29 von Michael Glier und Jenny Holzer ausgewählte Zitate aus Texten, Briefen und Reden Goerdelers sowie Angaben zu seiner Biografie. Diese reflektieren das Denken und Handeln Goerdelers zwischen 1934 und 1945 und belegen die Wandlung des national-konservativen Politikers vom Sympathisanten der NSDAP Anfang 1933 zum erklärten Gegner Hitlers. Die Beschriftung beginnt im äußeren Denkmalsring mit mehr als einem Dutzend Äußerungen Goerdelers, deren früheste mit 1934 datiert ist und endet im inneren Denkmalsring mit einem einzigen Zitat, welches eine Art Vermächtnis in seiner Todesstunde darstellen soll: „Ich liebe mein Vaterland mit Inbrunst, aber gerade deshalb empfinde ich die ganze Schmach seiner Entehrung, wie sie noch nie einem Volk durch eigene Bürger angetan worden ist.“

Die Bronzeglocke inmitten des Schachtes ist wesentlicher Bestandteil des Denkmal-Konzeptes. Nach Festlegung durch das Künstlerpaar schlägt diese viermal täglich mit fünf Schlägen und darüber hinaus an besonderen Tagen stündlich. Sie ist jeweils fünf Minuten vor der vollen Stunde um 5.55 Uhr, um 11.55 Uhr, um 17.55 Uhr und um 23.55 Uhr zu hören. Zu folgenden besonderen Tagen schlägt die Glocke stündlich, ebenfalls mit fünf Schlägen vor der vollen Stunde: Gedenktag für die Opfer des Faschismus (27. Januar), Todestag Goerdelers 1945 (2. Februar), Kriegsende 1945 (8. Mai), Attentat auf Hitler 1944 (20. Juli), Geburtstag Goerdelers 1884 (31. Juli) und Tag der Verurteilung zum Tode 1944 (8. September). Während der Glockenschacht tagsüber geheimnisvoll und düster wirkt, entströmt ihm bei Dunkelheit ein gleißendes weißes Licht.

Das Goerdelerdenkmal wurde im Jahr 2016 für 20.000 Euro aufwändig saniert. Es verdeutlicht auf eingängige und provozierende Weise die Erinnerungsschwierigkeiten, welche mit Goerdeler bis heute bestehen. Das erste Ehrenmal für Leipzigs ehemaligen Bürgermeister erweist sich mit seinen eindrucksvollen Wirkungsfaktoren des Klangs und des Lichts als schlichtes Werk, welches zugleich als Mahnmal für Widerspruchsgeist und Zivilcourage steht. 

Stand: 23.09.02023

Bildergalerie - Goerdeler-Denkmal

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Sophie Weinhold
Die gebürtige Leipzigerin studierte in Passau und Marseille Internationales Management und besitzt ein Faible für Fremdsprachen. Neben Englisch und Französisch spricht sie fließend spanisch und italienisch. Bereits als Zwölfjährige führte sie internationale Austauschschüler durch die Stadt und begeisterte sie für Leipzigs Geschichte und Sehenswürdigkeiten. Die Liebe zu Leipzig bestimmt nach wie vor ihre Freizeitgestaltung. Ob Museumsbesuche, Konzerte oder Fahrradtouren in die Umgebung – die kreative Lokalpatriotin findet immer ausreichend Anregungen, um darüber zu schreiben.