Blog

Jacobs, Stephanie

Kunsthistorikerin, Museumsdirektorin, Buchwissenschaftlerin | geb. am 21. Februar 1963 in Unna/Westfalen

Wohlbehütet als drittes von vier Kindern wächst Stephanie Jacobs am Niederrhein auf. Das prägt sie als Familienmensch. Nach dem Abitur am Ricarda-Huch-Gymnasium in Krefeld, das sie von 1969 bis 1982 besucht, engagiert sie sich beim freiwilligen sozialen Dienst und arbeitet knapp zwei Jahre in einem Kinderheim. „Das war für mich ein Einschlag, weil ich viele harte Schicksale von Kindern und auch Elend erleben musste“, so die heutige Direktorin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig. Zunächst wollte sie in Bamberg Sozialarbeit studieren, „um die Welt ein wenig besser zu machen“. Doch noch bei der Immatrikulation 1984 – lediglich der Stempel im Studienbuch fehlt noch – entscheidet sie sich spontan um. Sie hat das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Die 19-Jährige schreibt sich ein für Philosophie, Psychologie und Kunstgeschichte, studiert in Bonn, Berlin und in Perugia in Italien. Sie erhält Stipendien an der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, der Bibliothèque National in Paris und vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft. Nach einem ausführlichen Ausflug in den Journalismus weiß sie inzwischen, dass es die Museumsarbeit ist, für die sie brennt. Sie kann beispielsweise an der Bibliothèque nationale de France in Paris sowie am Mellon Center der Yale University in New Haven, Connecticut, forschen und beendet ihre Dissertation 1997. Sie promoviert mit einer Arbeit über Konzepte der Moderne im 19. Jahrhundert, die unter dem Titel „Auf der Suche nach einer neuen Kunst“ an der Freien Universität Berlin entsteht.

Ein neuer Job in der „Wunderkammer“


Parallel arbeitet sie am Institut für Auslandsbeziehungen in Bonn. Später wechselt sie zum Haus der Geschichte der BRD in Bonn. Es folgt die Geburt der beiden Töchter und sie betreibt gemeinsam mit ihrem Mann das „jacobs & paul Büro für Geschichte“. Als historischer Dienstleister unterstützt es öffentliche Institutionen wie Museen, Archive und Gedenkstätten dabei, Ausstellungen zu organisieren, Publikationen zu veröffentlichen oder recherchiert für Filme und Theater. Stephanie Jacobs übernimmt im März 2007 die Leitung des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Nationalbibliothek. Die Sammlungen sind für sie „Wunderkammer und Zukunftswerkstatt zugleich“, wie sie in einer Rede anlässlich des 125. Jahrestages des Museums formuliert, das 1884 in Leipzig gegründet wurde.

Die damalige Dauerausstellung des Museums „Merkur und die Bücher“ muss 2007 aufgrund notwendiger Bauarbeiten schließen. Zudem hat sich die hauptsächlich auf die Buchstadt Leipzig und ihre Verlage gerichtete Schau im Lauf der Jahre inhaltlich überholt. Die Deutsche Nationalbibliothek plant zu diesem Zeitpunkt ihren vierten Erweiterungsbau. Ihre Depots platzen damals aus allen Nähten. Immerhin sammelt, dokumentiert und archiviert das in Leipzig und Frankfurt/Main beheimatete „Gedächtnis der Nation“ alle Werke in Schrift und Ton, die seit 1913 in Deutschland und weltweit über Deutschland oder in deutscher Sprache veröffentlicht werden. Da sind die Regale in den Depots rasch gefüllt. Im 2011 eröffneten Erweiterungsbau besteht die Chance, das Buch- und Schriftmuseum in modernen Räumen völlig neu zu konzipieren sowie die einmaligen Sammlungen fürs Internet-Zeitalter fit zu machen. „Das war ein Glückfall für das Museum, aber auch für mich persönlich, denn wann bekommt man schon einmal die Chance, ein Museum inklusive Neubau völlig neu aufzustellen“, erzählt Jacobs.

Die Menschheitsgeschichte der Medien


Während Anfang der 2000er Jahre so manches Museum schließen muss oder durch drastische Etatkürzungen beschränkt wird, bekommt das Buchmuseum hingegen einen Neubau. Dort
kann es seine Bestände erstmals nach der Zerstörung des alten Museums im Zweiten Weltkrieg neu und angemessen präsentieren. Nahezu fünf Jahre bleiben Zeit, mit dem Team eine Konzeption zu entwickeln. Es ist eine Zeit, in der viele glauben, das Buch sei durch die rasante Entwicklung neuer Medien am Ende. Deshalb entsteht die Idee, die neue Dauerschau in die Menschheitsgeschichte von Medien einzubetten. Schwerpunkt: Schrift, Buchdruck und digitale Netzwelten. Es folgt eine logistische Meisterleistung. Beim Umzug werden die Sammlungen in den Depots durchforstet, vieles neu entdeckt. Die Sonderschau wird gemeinsam mit vielen externen Wissenschaftlern aus verschiedenen Einrichtungen und Instituten entwickelt. „Bei einem so breit aufgestellten Thema wie der 5.000-jährigen Mediengeschichte der Menschheit ist es wichtig, Expertise einzuholen“, so die engagierte Museumschefin.

Heute ist klar, dass die Buchbranche trotz vieler Schwierigkeiten stabil ist. Und es auch in Leipzig keinen Grund gibt, dem Mythos der alten Buchstadt Leipzig mit ihren verlorenen großen Verlagen nachzutrauern. Hier hat sich eine junge Verlags- und Buchkunstszene etabliert, wie auch Jahr für Jahr auf der Leipziger Buchmesse zu sehen ist. „Wir schauen mit Optimismus nach vorne“, sagt Jacobs und freut sich, dass vor allem Gruppen von Kindern und Jugendliche regelmäßig ins Museum kommen und die vielfältigen Angebote nutzen. Die sind oft überrascht, dass auch Themen wie Graffiti oder Tattoo eine Rolle spielen und viele Dinge in eigenen Veranstaltungsformaten spielerisch ausprobiert werden können. Zusätzliche Stellen bieten die Chance, enger mit der Wissenschaft zusammen zu arbeiten. Unter ihrer Führung gelingt es, die Sammlungen beständig zu erweitern. Pop Up Bücher, Underground Comics oder Buchtüten, die der Leipziger Verleger Mark Lehmstedt zusammenträgt, kommen beispielsweise hinzu.

Schöffin will Gesellschaft vieles zurückgeben


Stephanie Jacobs arbeitet zudem ehrenamtlich als Schöffin am
Landgericht Leipzig. „Dort lerne ich, wie schwer es ist, die Menschen am prekären Rand der Gesellschaft für Demokratie, aber auch für Kultur zu interessieren.“ Es sei ihr stärkster Impuls, das Museum für alle Menschengruppen zu öffnen, niemanden aus dem Blick zu verlieren. Sie möchte mit der spannenden Sammlung nicht nur ein Fachpublikum ansprechen. „Wir haben als Kulturinstitution eine gesellschaftliche Verantwortung“, bekennt sie. Deshalb bietet das Museum auch ein breites Spektrum von Veranstaltungen zu politischen Themen an, ohne aber parteipolitisch Position zu beziehen. Darüber hinaus gibt es vielfältige Sonderausstellungen, auch zu kontrovers diskutierten Themen. Für Jacobs und ihr Team ist das eine Neuorientierung der letzten beiden Jahre. Mit der Schöffentätigkeit möchte sie zudem helfen, der Gesellschaft „für mein Luxusleben in der Kultur“, wie sie sagt, etwas zurückgeben.

In der Freizeit wandert sie gern, würde auch nach wie vor gerne im Barockchor Junge Kantorei singen. Die Sänger aus Marburg, Bonn und Heidelberg treffen sich zweimal pro Jahr zu Projektwochen. Es entstehen auch CD-Musikaufnahmen. Doch das ist derzeit nicht zu schaffen, bedauert die vielbeschäftigte Museumsleiterin, die in vielen Gremien mitarbeitet. Dazu gehören unter anderem das Literaturhaus Leipzig, die Kulturstiftung, die Association of European Printing Museums, der Internationale Arbeitskreises Druck- und Mediengeschichte, die Jury des Gutenberg-Preises der Städte Leipzig und Mainz.

Stand: 21.02.2024

Bildergalerie - Jacobs, Stephanie

Hotel Astoria

Willy-Brandt-Platz 2 / Gerberstraße / Kurt-Schumacher-Straße | Ortsteil: Zentrum

Noch heute schwärmen viele von einem Hotel, dessen Stern erstmals mitten im Ersten Weltkrieg aufleuchtet. Das Hotel Astoria am Blücherplatz (heute Willy-Brandt-Platz) öffnet am 5. Dezember 1915 mit einem vom Deutschen Roten Kreuz veranstalteten Wohltätigkeitstag und avanciert rasch zu einer der ersten Adressen Deutschlands. Das moderne Grandhotel beherbergt über viele Jahrzehnte Prominente aus aller Welt. Doch am 31. Dezember 1996 gehen die Lichter der einstigen Nobelherberge aus, die zu diesem Zeitpunkt der Maritim Hotelgesellschaft gehört.

Die Eigentümer wechseln…


Die verkauft die Immobilie zunächst an den US-Konzern Blackstone. Doch die Besitzer wechseln erneut. Mehrmals wird versucht, einen neuen Betreiber für das inzwischen ruinöse Gebäude zu finden. Im Mai 2018 stellen die Stadt Leipzig und die Intown Property Management GmbH Pläne vor, wie das Hotel zu neuem Leben erweckt werden soll. Ein Jahr später beginnen erste Bauarbeiten. Die werden Mitte 2019 allerdings durch einen gerichtlichen Baustopp unterbrochen, den die benachbarte Best Western GmbH erwirkt. Monate später geht es weiter. Der Berliner Investor Lianeo Real Estate (ehemals Intown Property) kündigt an, dass das Astoria Ende 2025 als Vier-Sterne-Plus-Haus neu öffnen soll – samt 250 Zimmern und Suiten mit 500 Betten, die sich an historischen Grundrissen orientieren. Angeboten werden sollen viel Gastronomie und ein Kongresszentrum für bis zu 1.000 Gäste. Der alte Haupteingang, der zur Eröffnung 1915 genau gegenüber vom
Hauptbahnhof lag, kehrt zurück. Im Erdgeschoss entstehen eine Bar und ein Restaurant. Über der geplanten Tiefgarage im Hof werden fünf Ballsäle errichtet. Im fünften Obergeschoss soll es eine „roof top bar“ geben, auf der Seite der Kurt-Schumacher-Straße ist eine Gaststätte mit Dachterrasse geplant. Ob alle Pläne so aufgehen und unter welchem Namen das Hotel dann auftritt, bleibt allerdings abzuwarten.

Traditionshaus für wohlhabende Gäste aus aller Welt


Das Hotel Astoria Leipzig entsteht zwischen 1913 bis 1915.
William Lossow und Max Hans Kühne liefern den Entwurf. Beide gehören vor dem Ersten Weltkrieg zu den renommiertesten Dresdner Architekten und entwerfen auch den Leipziger Hauptbahnhof. Hotel und Bahnhof werden zeitgleich eröffnet. Auf einer Fläche von rund 2.800 Quadratmetern stehen 200 Zimmer, 60 Bäder, mehrere Restaurants, eine Bar sowie ein Tanzcafé für die Gäste bereit. Hinter der Empfangstheke gibt es einen mit 20 Zentimetern dicken Metallwänden gesicherten Tresorschrank, in dem die betuchten Gäste Schmuck und Geld aufbewahren können. Im Erdgeschoss erwartet sie eine behaglich ausgestattete Wandelhalle. Es existiert sogar eine Garage für Automobile – für diese Zeit eine beachtliche Neuerung, die den gehobenen Status des Hotels unterstreicht. Zeitgenössische Zeitungen loben, dass in den Zimmern des Hotels jede Eintönigkeit vermieden wird. Sei es durch unterschiedliche Wandverkleidungen oder Wandfarbe sowie die Möblierung.

Wohlhabende Gäste aus aller Welt logieren für rund zwei Jahrzehnte im Astoria. Einschneidende Veränderungen bringt das Dritte Reich. Den Nationalsozialisten gefällt es nicht, dass das Hotel dem jüdischen Bauunternehmer Carl Ottokar Cohn gehört. Er wird von den Nationalsozialisten gezwungen, es weit unter Wert an den Staat zu verkaufen. Cohn wird 1938 von der Gestapo verhaftet. Durch den Verkauf entkommt er dem Konzentrationslager. Juden sind seit dem Novemberpogrom 1938 im Hotel unerwünscht – auch zur Leipziger Messe.

Die Gäste werden ursprünglich am Haupteingang Blücherstraße direkt gegenüber vom Hauptbahnhof empfangen, in der heutigen Kurt-Schumacher-Straße. Verlegt wird dieser erst nach dem Wiederaufbau des Grandhotels, das bei den Bombenangriffen vom 4. Dezember 1943 teilweise zerstört wird. Dach und Fassade bleiben aber intakt.

Astoria wird wieder ein Aushängeschild


Die Kriegsschäden sind nicht gering. Die Rote Armee nutzt das Astoria als Quartier. Trotzdem gelingt es, einige Zimmer des Hotels schon zur Frühjahrsmesse 1946 bereitzustellen. Durch Gäste aus aller Welt zieht wieder ein Hauch von Internationalität, wie vor dem Zweiten Weltkrieg, ein. 1949 kann das „Astoria“ offiziell wieder öffnen. Viele Instandsetzungsarbeiten ziehen sich jedoch bis in das Jahr 1952 hin. Ende der 1950er Jahre entsteht ein Anbau. 1953 kommt das Hotel unter die Regie staatlicher Leitung.

Schnell wird das Astoria wieder zum Aushängeschild der Stadt. Es kommen auch wieder gut betuchte Gäste. Dennoch gerät das Traditionshaus in schwieriges Fahrwasser, weil die Preise jenen anderer Hotels angeglichen werden müssen. 1965 wird es in den Verbund der Interhotels der DDR eingegliedert. Das einstige Renommierhotel wird schließlich zum sozialistischen Hotelbetrieb. Doch es kann seine herausragende Stellung auch zu DDR-Zeiten behaupten.

Bei den älteren Leipzigern hat fast jede Familie eine Geschichte zu erzählen, die sie mit der Herberge verbindet. Viele haben hier Hochzeiten, Betriebsfeiern und vieles mehr in gehobenem Ambiente erlebt. Über acht Jahrzehnte tragen Generationen von Kellnern, Zimmermädchen, Köchen, Liftboys und viele andere Servicekräfte zum guten Ruf des Hotels bei. Für die Beschäftigten des Hotels bedeuten vor allem die Messewochen den Ausnahmezustand. Das Astoria wird auch offizielles Protokoll- und Regierungshotel. Die Servicekräfte sind zum Schweigen verpflichtet, ganz wie Pfarrer oder Rechtsanwälte. Sie dürfen nicht erzählen, welche Prominenten nach einem ausufernden Umtrunk „vom Stuhl gefallen sind“. Und auch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR sowie die Devisenbeschaffer des DDR-Außenhandels quartieren sich hier regelmäßig ein, wie zahlreiche Fernsehdokumentationen zeigen.

Astoria-Mannschaft trifft sich jedes Jahr


Der Leipziger Autor
Henner Kotte hat ein Buch über die Geschichte der außergewöhnlichen Herberge geschrieben. Es ist im März 2022 im Mitteldeutschen Verlag erschienen und liest sich sehr spannend. Der Titel lautet: „Astoria Leipzig – Biografie eines Hotels“. Zu dieser Publikation hat auch Gästeführerin Christa Schwarz, einst Verkaufsleiterin des „Astoria“, mit Schätzen aus ihrem Privatarchiv erheblich beigetragen. Alljährlich am 5. Dezember trifft sich die Astoria-Mannschaft, um an die glanzvollen Zeiten der Nobelherberge zu erinnern und gemeinsam zu hoffen, dass ihr Stern eines Tages wieder am Leipziger Himmel aufgeht.

Stand: 11.04.2024

Hocquél, Wolfgang

Architekturhistoriker, Denkmalpfleger, Autor | geb. am 25. September 1947 in Osterfeld

Ruhestand scheint Wolfgang Hocquél aus seinem Wortschatz gestrichen zu haben: Der Architekturhistoriker und Denkmalpfleger, der viel Sympathie für alte Häuser hat, arbeitet unermüdlich an Publikationen: Der „Architekturführer Leipzig – Von der Romanik bis zur Gegenwart“ ist sicherlich das Highlight. Das komplett überarbeitete Buch stellt auf 416 Seiten die wichtigsten der 15.000 Kulturdenkmale Leipzigs vor. Erschienen ist es 2023 im Leipziger Passage-Verlag in vierter Auflage. „Leipzig – Baumeister und Bauten“ heißt der ebenso bekannte Vorläufer. „Ich habe immer viel publiziert, weil es mir Spaß macht“, sagt Hocquél. „Bei jedem Denkmal, jeder historischen Persönlichkeit kann ich etwas Neues lernen.“ Schließlich müsse jeder Denkmalpfleger wissen, was er aus welchem Grund erhalten muss. Öffentlichkeitsarbeit sei da unverzichtbar. „Schließlich müssen wir ein Bewusstsein für Denkmale schaffen, die Menschen aufklären.“

Ein Herz für die Denkmalpflege


Seit mehr als einem halben Jahrhundert lebt Hocquél in Leipzig. Geboren wird er in Osterfeld in Sachsen-Anhalt. In Merseburg wächst er auf, wo er 1966 auch das Abitur ablegt. Nach der Armeezeit bei der Nationalen Volksarmee studiert er 1968 bis 1972 an der Hochschule für Bauwesen in Leipzig. „Ich bin nach Leipzig gekommen, als die
Universitätskirche schon gesprengt war“, so der spätere Bauingenieur. Er arbeitet in den unterschiedlichsten leitenden Funktionen als Denkmalpfleger. Zunächst in der Abteilung Kultur beim Rat der Stadt. 1984 wird er Bezirksdenkmalpfleger beim Rat des Bezirkes, später ein Jahr lang Direktor des Büros für architekturbezogene Kunst und Denkmalpflege des Bezirks Leipzig.

Schon damals stört ihn der ruinöse Zustand vieler Gebäude. Die DDR erlässt zwar 1975 ihr erstes Denkmalschutzgesetz. „Das war fachlich sehr gut“, so der Experte. Aber wegen fehlender Finanzen und Bauressourcen bleibt es wie ein Kampf gegen Windmühlen. Kleine, private Baubetriebe sind kaum noch vorhanden. Die Großen, wie das Leipziger Baukombinat, konzentrieren sich darauf, Plattensiedlungen auf der grünen Wiese zu errichten.

Wiederaufbau von Schloss Machen wird erstes Projekt


In den 1980er Jahren will er es noch einmal wissen. Er belegt Kunstgeschichte an der damaligen
Karl-Marx-Universität (heute Universität Leipzig), wo er 1987 auch promoviert. „Leipziger Kaufmannshöfe, Messehäuser und Passagen“ heißt die auch als Buch veröffentlichte Arbeit. Sein erstes größeres Projekt wird der Wiederaufbau des Ostflügels vom Schloss Machern, der 1981 bei einem Brand zerstört wurde. 1982 gehört Hocquél zu den Mitbegründern der Kulturzeitschrift Leipziger Blätter.

Am Ende der DDR hat die Belastung der Umwelt sowie die Zerstörung der Bausubstanz nahezu unerträgliche Ausnahme angenommen. Zum Glück kommt die Friedliche Revolution, die Menschen gehen auf die Straße. Auch Hocquél handelt. Mit Mitstreitern gründet er die Kulturstiftung Leipzig.

Auslöser ist ein Treffen von 14 Künstlern, Wissenschaftlern und Geistlichen am 26. Januar 1990 im historischen Lokal Zum Arabischen Coffe Baum. Neben Hocquel sind unter anderem Heinz-Jürgen Böhme, Gunter Böhnke, Werner Heiduczek, Bernd-Lutz Lange, Friedrich Magirius, Wolfgang Mattheuer, Bernd Weinkauf und Gewandhauskapellmeister Kurt Masur dabei. 1991 wird die Kulturstiftung Leipzig als Nummer 1 ins Stiftungsverzeichnis des Regierungspräsidiums Leipzig eingetragen. Masur wird ihr erster Präsident. Bei Benefizkonzerten in Frankfurt am Main sowie in Köln spielt er mit dem Gewandhausorchester Geld fürs Stiftungskapital ein. Die Stiftung beantragt bereits im März 1990 beim damaligen Runden Tisch, ihr einige Baudenkmale zu überlassen, damit sie diese sanieren kann. Sie bekommt schließlich die marode Alte Nikolaischule per Erbbaupacht übertragen. 1992 bis 1994 werden dort 13,9 Millionen Deutsche Mark investiert. Das ist nur möglich, weil Leipzigs Partnerstadt Frankfurt/Main stolze 8,9 Millionen DM beisteuert.

Eine Wende in der Baupolitik


Im Januar 1990 ist Wolfgang Hocquél Initiator der ersten demokratischen Volksbaukonferenz, die im Januar 1990 auf dem
agra Messepark in Markkleeberg stattfindet. Die Konferenz leitet eine Wende in der Baupolitik Leipzigs ein. Hocquéls Credo: Mit jedem Neubau auf der Grünen Wiese geht die Altstadt ein bisschen mehr kaputt. Deshalb müsse Schluss sein, die historische Substanz zu zerstören. „Die Gründerzeitstruktur macht Leipzig aus. Sie möglichst zu erhalten, ist kein Luxus“, betont er. 1992 wird er dann Leiter der Höheren Denkmalschutzbehörde beim Regierungspräsidium Leipzig. Dort setzt er auch Fördermittel gezielt ein, um die Sanierung maroder Gebäude voranzubringen und kann etliche Erfolge vorweisen. Auf eigenen Wunsch verlässt er die Denkmalschutzbehörde 2008. Das ist eine Auswirkung der sächsischen Verwaltungsreform.

Hocquél wird schließlich Geschäftsführer der Kulturstiftung Leipzig. Sein größter Coup ist eine Ausstellung „made in Leipzig“ über die sogenannte Leipziger Schule in Torgau. Dort präsentiert die Kulturstiftung Leipzig von Anfang April bis Ende Oktober 2007 Arbeiten von 29 Künstlern und spricht damit 20.000 Besucher an. Es ist eine Zeit, in der die Welt über die neue Kunst aus Leipzig spricht. Die Idee, die Privatsammlung Essl aus Klosterneuburg in Torgau zu präsentieren, hat er gemeinsam mit Kunsthistoriker Richard Hüttel. Im Museum der bildenden Künste Leipzig kommt diese Ausstellung damals nicht zustande.

Ein neues Buch über Leipziger Villen


Bei der Kulturstiftung bleibt er bis 2015 – seitdem setzt er freiberuflich als Autor und Gutachter für Denkmalschutz verschiedene Projekte um. Manchmal auch außerhalb Leipzigs. Er hat nach etwa einem Dutzend Büchern und Publikationen noch große Pläne. Neuestes Projekt ist ein Bildband über Leipziger Villen, den er gemeinsam mit Richard Hüttl schreibt. Das verzögert sich, weil der Verlag Faber & Faber Insolvenz angemeldet hat. Die Idee, seine Geschichten und Erlebnisse rund um die Denkmalpflege in Leipzig aufzuschreiben, hat er ebenfalls. „Da gibt es viele interessante Details zu erzählen.“ Und hin und wieder ärgert sich der Denkmalbewahrer auch: Mit dem „Aufbau“ der
Hauptpost am Augustusplatz kann er sich nicht richtig anfreunden. „Was für die Renaissance das Alte Rathaus, ist für die ‚Ostmoderne‘ die Hauptpost. Mit ihr hätte man sich mehr Mühe geben müssen“, findet er.

Stand: 08.03.2024

Bildergalerie - Hocquél, Wolfgang

Hiller-Denkmal

Thomaskirchhof 18 | Ortsteil: Zentrum

Betrachtet man die Thomaskirche vom Dittrichring kommend genauer, fällt ein Relief ins Auge, das an der Nordwestecke der Kirche seinen Platz gefunden hat. Hier wird an den Thomaskantor und ersten Gewandhauskapellmeister Johann Adam Hiller gedacht. Das Relief ist ein Überbleibsel eines früheren Denkmals, das bereits im Jahr 1832 eingeweiht wurde.

Kein Ton ohne Hiller


Johann Adam Hiller wurde am 25. Dezember 1728 in der Nähe von Görlitz geboren und kam zum Jurastudium nach Leipzig. Schnell wurde er Flötist im „Großen Concert“, was den Anfang seiner musikalischen Karriere bildete. Seitdem wirkte er vielseitig in der Leipziger Musikwelt, sei es als Komponist und Interpret, Musikpädagoge und Musiklehrer. So leitete Hiller ab 1771 eine Singschule in Leipzig, bevor er schließlich bis 1785 die Leitung der „Musikübenden Gesellschaft“ übernahm. Diese gab im Jahr 1781 ihr erstes Konzert im
Alten Gewandhaus, wodurch sich Hiller als erster Kapellmeister des Gewandhausorchesters bezeichnen kann. Anschließend bestritt er von 1789 bis 1801 den Beruf des Thomaskantors. Durch seine Singspiele, bei denen er zwischen Personen des Volkes und Standespersonen unterschied, galt er als Mitbegründer der deutschen romantischen Spielopern. Sein bekanntestes Singspiel war „Die Jagd“ von 1770. Hiller starb schließlich am 16. Juni 1804 in Leipzig.

Vier Schwestern und ein Denkmal


In Gedenken an Hiller wurde am 29. Juni 1832 ein Denkmal eingeweiht, das seinen Platz zunächst im
Promenadenring am Thomasring (heute Dittrichring) fand. Nach den Entwürfen von Hans Veit Schnorr von Carolsfeld wurde auf einem kleinen Hügel ein dreistufiger Unterbau mit einem Quader errichtet. Dieser präsentierte auf der Westseite das noch heute erhaltene Relief. Auf der Südseite wurde der Geburtstag Hillers mit einer Lebensfackel verewigt, während die Nordseite den Todestag sowie eine gelöschte Todesfackel zeigte. Die Ostseite und damit Rückseite des Denkmals trug die Inschrift „Ihrem verewigten Lehrer und Väterlichen Wohlthäter die vier Schwestern: Mariana, Franziska, Aloysia, Thekla Podlesky, den 19. Junius 1832″. Diese waren Gesangsschülerinnen Hillers und widmeten ihm zum Dank dieses Denkmal. Gefertigt wurde es von den Leipziger Bildhauern Friedrich Funk und Johann Christoph Wingrich aus Pirnaer Sandstein.

Ein Umzug für Hiller


Nach dem Abbruch des Denkmals im Jahr 1904 in Folge der Neugestaltung des Promenadenrings gingen Teile verloren. Lediglich das Relief blieb erhalten. Es ist 1,57 Meter hoch und zeigt eine szenische Darstellung mit vier Frauen, die sich einem über ihnen schwebenden Portrait Hillers entgegenstrecken. Die Frau auf der rechten Seite spielt Harfe, während ihre Nachbarin in die Knie sinkt. Die Dame ganz links ist in Ordenstracht gekleidet. Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass dies die Stifterinnen und damit die Schwestern der ehemaligen Inschrift sind, die sich hier verewigten. Sie blicken singend zu ihm auf und haben Kränze aus Efeu, Ölzweigen und Blumen dabei. Die vier Frauen sind um eine altarähnliche Säule gruppiert, die von Orgelpfeifen umrundet wird. Vergleicht man die dargestellten Größen, sind die vier Frauen viel präsenter als Hiller selbst. Dieser wird im Profil über ihnen dargestellt und ist von 15 Sternen eingefasst. Den Abschluss bildet darüber die Inschrift „Hiller“, die in Fraktur-Versalien geschrieben steht. 

Das Relief wurde als neuer Gedenkstein an die Nordwestecke der Thomaskirche platziert, wo es seit 1905 zu finden ist. Überdacht wird das Abbild von einer Kupferwölbung. 

Stand: 8. April 2024

Bildergalerie - Hiller-Denkmal

Historisches Bildmaterial - Hiller-Denkmal

Gondwanaland im Zoo Leipzig

Pfaffendorfer Straße 29 | Ortsteil: Zentrum-Nordwest

Ein wenig Vorsicht ist bei den Totenkopfäffchen geboten. Brille, Handy oder gar Fotokamera sind vor ihnen manchmal nicht sicher. Ozelots und Fischkatzen rühren sich hingegen tagsüber wenig vom Fleck. Und die Faultiere machen ohnehin ihrem Namen alle Ehre. Etwa 170 Tierarten leben im einzigartigen tropischen Regenwald in Leipzig: Am 1. Juli 2011 eröffnet der Zoo Leipzig seine Tropenerlebniswelt Gondwanaland. Der Name stammt vom Urkontinent, der vor ca. 100 Millionen Jahren zerbricht, sodass sich Südamerika, Afrika und ein Teil Asiens in ihrer heutigen Form entwickeln können.

Das Herzstück vom „Zoo der Zukunft“


Die Zoo-Besucher sollen hier
für das Ökosystem Regenwald sensibilisiert werden. Und natürlich auch dessen schützenswerte Tiere. Der Erfolg gibt dem weltweit beachteten Herzstück des Projektes „Zoo der Zukunft“ Recht. Das Gondwanaland hat seit der Eröffnung Millionen Menschen begeistert. Für Zoodirektor Jörg Junhold und Michael Weichert, dem Chef des Fördervereins Zoo, ist die Tropenlandschaft „die Erfüllung eines Traums“. Die Riesentropenhalle hat die Anziehungs- und Wirtschaftskraft des Leipziger Zoos enorm gesteigert. Und Gäste erleben sie oft wie eine Wundertüte. Es bleibt selbst bei häufigen Stippvisiten immer spannend, welche Tiere die Besucher, die den Regenwald per Boot, aus den Wipfeln der Bäume und ebenerdig erkunden können, zu sehen bekommen und welche nicht. Zahlreiche Tiere streifen frei durch Gondwanaland.

Bis die Attraktion eröffnen kann, vergehen zehn Jahre Vorbereitungszeit. Laut Masterplan „Zoo der Zukunft“ sollte das Projekt zunächst im bisherigen Areal – in der Mitte des Zoos – integriert werden. Doch das erweist sich als schwierig, zumal beim Bau erhebliche logistische Probleme zu überwinden wären. Im Zuge der Olympiabewerbung Leipzigs für 2012 ergibt sich bei der Vorbereitung die Möglichkeit, die benachbarte große Industriebrache zu erwerben. Dort produzierten einst die Kammgarnspinnerei, später dann ORSTA-Hydraulik. Stadt Leipzig und Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG) einigen sich in einem Grundstückspaket über das 2,7 Hektar große Grundstück.

Die größte Tropenhalle Europas


Realisiert wird dort ein Entwurf der Henchion Reuter Architekten aus Berlin/Dublin. Das sind die Zweitplatzierten in einem Wettbewerb. Im November 2017 erfolgte ein erster symbolischer Spatenstich. Die Henchion Reuter Architekten entwerfen eine Stahl- und Glashalle auf einer Fläche von rund 16.500 Quadratmetern. Der Grundriss hat die Form eines gleichseitigen Dreieckes, bei dem die Seiten nach außen gebogen sind. Die gerundeten Kanten gliedern die drei Themenbereiche Afrika, Südamerika und Asien. Die lichte Höhe in der Hallenmitte beträgt bis zu 34,5 Meter. Das ist notwendig, um genügend Platz für großwüchsige Tropengewächse vorzuhalten. Die Baukosten belaufen sich auf nahezu 70 Millionen Euro. Das ist deutlich mehr als ursprünglich vorgesehen (geplant: 49,5 Millionen Euro). Bauverzögerungen und rasant gestiegene Stahlkosten sowie die Insolvenz einer maßgeblich beteiligten Baufirma verteuern
die größte Tropenhalle Europas. Doch das Ergebnis kann sich sehen lassen. Das Innere ist mit einem 360 Meter langen Urwaldfluss „Gamanil“ ausgestattet, auf dem eine Bootsfahrt die Gäste in die Erdgeschichte eintauchen lässt. Im Vulkanstollen sind lebende Fossilien zuhause – wie der Australische Lungenfisch sowie Pfeilschwanzkrebse, die ihr Aussehen seit Jahrmillionen kaum verändert haben. Über 24.000 tropische Pflanzen in der mehr als zwei Fußballfelder großen Halle sorgen für das notwendige Flair eines Urwaldes. Sie stammen aus Baumschulen in aller Welt, darunter aus Thailand, Florida, Singapur und Malaysia. In einem tropischen Nutzgarten gedeihen 60 exotische Früchte und Gewürze.

Baumwipfelpfad ist eine Attraktion


Wie im echten Dschungel wächst die Vegetation in mehreren Etagen, die Lebensräume für verschiedene Tierarten bilden. Kleine Bodengewächse gehören ebenso dazu wie Bambushaine, Sumpf- und Wasserpflanzen sowie wahre Baumriesen. Eine Attraktion ist der 90 Meter lange Baumwipfelpfad, von dem aus die Besucher herrliche Ausblücke über die Tropenerlebniswelt genießen. 

In Tropenmanier mit einer Machete schneidet Zoodirektor Jörg Junhold das Band nach mehr als drei Jahren Bauzeit zur Eröffnung durch. Am 1. Juli 2011 und an den Folgetagen stehen die Menschen Schlange, um die neue Attraktion in Besitz zu nehmen. Und vor allem die Tiere zu sehen. Anfangs sind es 90, mittlerweile 170 Tierarten. Viel Aufmerksamkeit beschert dem Zoo zunächst seine unangefochtene Schönheitskönigin: Heidi, das schielende Opossum. Die Beutelratte erreichte Popularität bis hin nach Hollywood.

Im Gondwanaland herrschen 25 Grad Raumtemperatur sowie eine hohe Luftfeuchtigkeit. Dadurch entsteht das Gefühl, tatsächlich einen tropischen Dschungel zu betreten. Ein hochmodernes Heiz-, Bewässerungs- und Belüftungssystem, das ganz auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz ausgerichtet ist, sorgt für die notwendige Atmosphäre. Genutzt wird die natürliche Sonneneinstrahlung, um das Gebäude wie ein Gewächshaus aufzuheizen. 407 Folienkissen in der Dachkonstruktion lassen beispielsweise einen Großteil der sichtbaren Licht- und Wärmestrahlung passieren. Letztere wird in einem 100.000 Liter großen Wärmespeicher gesammelt und nachts zum Heizen genutzt. Nur im Winter ist eine zusätzliche Heizung nötig.

Artenschutz und viele Zuchterfolge


Artenschutz und Nachhaltigkeit sind wichtige Eckpfeiler des Großprojektes. Regelmäßige Zuchterfolge bei den Ozelots, Dianameerkatzen und Tüpfelbeutelmarder (Quolls) bestätigen das eindrucksvoll. Die Zucht der erstmals in Europa gehaltenen Tüpfelbeutelmarder ist eine absolute Erfolgsgeschichte.

Einmal im Jahr zaubert der Zoo sogar Lichter unter sein Tropendach. Dann wird das Gondwanaland – wie andere Bereiche – beim Magischen Tropenleuchten illuminiert. Wer möchte, kann im Januar/Februar an verschiedenen Abenden auf einem funkelnden Lichterweg durch einzelne Zoobereiche spazieren, glitzernde Gestalten treffen, illuminierte Fassaden und leuchtende 3D-Tierfiguren bestaunen. 

Der Eintritt in die Tropenerlebniswelt Gondwanaland ist im Zooticket enthalten. Ein separater Besuch ist jedoch nicht möglich.

Stand: 11.03.2024

Gedenktafel am Geburtshaus von Karl Liebknecht

Braustraße 15 | Ortsteil: Südvorstadt

Im Wohnhaus Braustraße 15 (früher Braustraße 11) wurde Karl Liebknecht am 13. August 1871 geboren. Sein Vater Wilhelm Liebknecht lebte hier mit seiner Familie von 1867 bis 1881 in der Erdgeschosswohnung. Mehr als ein Jahrzehnt war diese ein Treffpunkt der deutschen Sozialdemokratie. Heute befindet sich im Liebknecht-Haus eine Begegnungsstätte, die allen Interessierten offen steht.

An der rechten Seite des Gebäudes erinnert am Eingang zum Hof eine 70 x 45 cm große Gedenktafel aus Löbejüner Quarzporphyr an die Geburt Karl Liebknechts und den Besuch von Karl Marx. Geschaffen hat sie der Leipziger Künstler Hans-Jochim Förster. Anlässlich des 100jährigen Geburtstags von Karl Liebknecht wurde sie 1971 angebracht. 

In zentrierten, erhabenen und polierten Versalien steht auf der Schrifttafel:

IN DIESEM HAUS

WURDE AM

13. AUGUST 1971

KARL LIEBKNECHT

GEBOREN

HIER WEILTE 1874

KARL MARX

ZU GAST

Im Innern des Liebknecht-Hauses befindet sich eine weitere Gedenktafel, die früher an der Fassade befestigt war und am 13. August 1946 durch Wilhelm Pieck, Parteivorsitzender der SED, eingeweiht wurde.

Stand: 02.05.2024

Bildergalerie - Gedenktafel am Geburtshaus von Karl Liebknecht

City-Tunnel Leipzig

Willy-Brandt-Platz / Markt / Wilhelm-Leuschner-Platz / Bayerischer Bahnhof | Ortsteil: Zentrum

Er ist das Leipziger Bauwerk mit der längsten und emotionalsten Entstehungsgeschichte – der City-Tunnel. Dabei ist seine Funktion einfach und einleuchtend. Der City-Tunnel soll unter der Leipziger Innenstadt hindurch den Hauptbahnhof direkt mit dem Bayerischen Bahnhof verbinden und damit vermeiden, dass Bahnkunden auf ihrem Weg von einem Ende der Stadt zum anderen „um das Zentrum herum“ fahren müssen.

Eine Idee der Altvorderen lebt wieder auf


Es traf sich, dass der Leipziger Hauptbahnhof im Einheitsherbst 1990 just 75 Jahre alt wurde. Solch ein Anlass eignet sich für tragende Reden. In der Jubiläumsansprache des damals erst seit Kurzem im Amt befindlichen Leipziger Oberbürgermeisters
Hinrich Lehmann-Grube (SPD) fand sich eine kurze Passage, die den gar nicht neuen Gedanken befeuerte, Hauptbahnhof und Bayerischen Bahnhof mit einem unterirdischen Schienenweg miteinander zu verbinden. Die wachsenden Möglichkeiten des vereinten Landes eröffneten wohl auch an dieser Stelle ungeahnte Perspektiven.

Viele europäische Großstädte – London, Paris, Wien, Moskau, St. Petersburg – verfügen seit der Frühzeit der Eisenbahn über Kopfbahnhöfe. Irgendwann wurden diese Stationen in den Metropolen durch eine Ring-U-Bahn miteinander verbunden. In Leipzig, das in einer bescheideneren Liga spielte, musste es dagegen keine Ringlinie sein. Die Überlegungen kreisten hier ja auch um nur zwei Bahnhöfe in mäßiger Entfernung voneinander, und dafür war und ist eine geradlinige Verbindung die Lösung. Immerhin, am Beginn des 20. Jahrhunderts war für Leipzig eine Kleinprofil-U-Bahn auf der Strecke im Stadtinneren geplant. Um die erforderliche Baugrube nicht zweimal ausheben zu müssen, sollte die neue Strecke zeitgleich mit der Ostseite des Hauptbahnhofs entstehen, faktisch also eingebaut werden.

Dass die Arbeiten zügig begannen, sieht jeder aufmerksame Bahnreisende in Richtung Dresden auf der noch gemächlichen Fahrt durch das Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs. Dort weist ein betonierter Einschnitt auf die Gefällestrecke hin, die in den U-Bahn-Tunnel münden sollte. Der Erste Weltkrieg machte diese Pläne zunichte. Alle Aktivitäten rund um den modernen Bau, der Leipzig in die Spitzengruppe der Städte mit einer U-Bahn katapultiert hätte, wurden gestoppt. Im fertig betonierten Tunnelabschnitt unter der Osthalle lagerte in der Notzeit Butter in einem Vorratslager. Später zog in einen Teil des unterirdischen Gewölbes das Zeitkino der DEFA ein, das Reisenden vor der Abfahrt ihres Anschlusszuges ein wenig Zerstreuung bot.

Mitten durch das Zentrum


Was in den 1990er Jahren favorisiert wurde, zeigte einen geänderten Tunnelverlauf. Die Westseite des Hauptbahnhofs fungierte als Fixpunkt des unterirdischen Bahnhofsteils. Als Vorteil erwies sich, dass die Strecke nunmehr unter dem Markt verlaufen konnte. Kein Skeptiker fand deshalb noch einen Anlass, an der Trassenwahl mit Zentrumsbezug zu zweifeln. Wäre einhundert Jahre eher wirklich die U-Bahn projektgetreu entstanden, hätte sie den
Augustusplatz berührt.

Für die geänderte Strecke fiel die Wahl der unterirdischen Haltepunkte dagegen auf den Hauptbahnhof, den Markt, den Wilhelm-Leuschner-Platz und den Bayerischen Bahnhof. Auch die Station Leipzig MDR gehört zur City-Tunnel-Trasse, liegt aber bereits oberirdisch in einem künstlichen Einschnitt. Als befahrene Länge des eigentlichen City-Tunnels ergeben sich damit rund zwei Kilometer. Wenn jemand ungefähr vier Kilometer als Tunnellänge in die Annalen einträgt, addiert er vor lauter Stolz die Längen beider Tunnelröhren.

Bauen unter Kosten- und Termindruck


Einfach verlief die Baugeschichte des City-Tunnels nicht. Für die Finanzierung mussten die Europäische Union, die Bundesrepublik Deutschland, der Freistaat Sachsen, die Deutsche Bahn und die Stadt Leipzig eine einvernehmliche Lösung finden. Bei Kosten von rund einer Milliarde DM (etwa 500 Mio. Euro) trafen sich die Verhandler.

Zuerst suchten Spezialisten im Untergrund der avisierten Linie in einem engen Raster nach Blindgängern aus den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs. Dann wanderte der Portikus des Bayerischen Bahnhofs zur Seite, und der eigentliche Tunnelvortrieb konnte beginnen. Weil die heilige Barbara Schutzpatronin aller Tunnelbauer der Welt ist, muss eine Frau die Patenschaft für gutes Gelingen übernehmen. In Leipzig war es die Ehefrau des sächsischen Ministerpräsidenten, Angelika Meeth-Milbradt.

Glück brauchten die Bauarbeiter auf ihrer Reise durch den Untergrund der tausendjährigen Stadt Leipzig reichlich. Der wöchentliche Vortrieb stand jeden Sonnabend wie in einem Bautagebuch in der Tagespresse. Doch weit entfernt von Leipzig, gleichwohl aber folgenreich, trugen sich in der Entstehungszeit des City-Tunnels mehrere Brände in Verkehrstunneln der Alpen zu. Daraufhin wurden die europäischen Sicherheitsanforderungen unverzüglich verschärft, was unvermeidlich als Kostentreiber wirkte. Langsam verblassende Querelen mit einigen Baufirmen führten ebenfalls zu finanziellen und terminlichen Konsequenzen. Mit der Auffahrt des ersten Röhrenquerschnitts bis zum Hauptbahnhof, der Demontage der Vortriebsmaschine und der anschließenden zweiten, parallelen Röhre war es nicht getan. Der avisierte Eröffnungstermin 2009 purzelte mehrfach heftig. Zum guten Schluss ging der City-Tunnel am 14. Dezember 2013 in Betrieb, indem er ein ganzes Linienbündel der zeitgleich startenden S-Bahn Mitteldeutschland aufnahm. Im Fünf-Minuten-Takt rollen seither in der Hauptverkehrszeit die silbergrauen Züge unter dem Leipziger Stadtzentrum hindurch und weiter an Endpunkte in Halle und im Umland.

960 Mio. Euro hat das Bauwerk zusammen mit allen begleitenden Arbeiten für die S-Bahn gekostet. Wenn die eiligen Leipziger durch die Stationen hasten, riskieren sie einen Moment lang vielleicht einen Blick auf die Architektur. Jede Tunnelstation ist ein Unikat – ein höchst seltener Fall in Zeiten der Normung und Sparsamkeit. Am Bayerischen Bahnhof hat Peter Kulka seine Spuren hinterlassen, am Leuschnerplatz stammt die Erinnerung an die traditionellen Leipziger Fabrik-Gesichter mit ihren Glasziegeln von Max Dudler aus der Schweiz, und das Ocker der schallschluckenden Lamellen am Markt orientiert sich am Farbton der Ziegel aus Leipzigs Gründerzeit.

Stand: 25.12.2021

Bronzerelief „Aufbruch“

Jahnallee 59 (Campus Jahnallee) | Ortsteil: Zentrum-West

Ein wenig verloren wirkt das Monument „Aufbruch“ schon. Besser bekannt ist es als Marx-Relief. Der Kopf des Philosophen Karl Marx ist das wohl auffälligste Merkmal der freistehenden Plastik auf dem Campus Jahnallee der Universität Leipzig. Das Bronzerelief ist 14 Meter lang, 7 Meter hoch und wiegt 33 Tonnen.

Neuer Standort für Marx-Relief nach kontroverser Debatte


Einst hängt das Relief über dem Eingang des Rektoratsgebäudes der ehemaligen
Karl-Marx-Universität auf dem Karl-Marx-Platz (heute: Augustusplatz). Das allerdings wird abgerissen. Im Zuge der Um- und Neubauarbeiten für den neuen Leipziger Universitätscampus am Augustusplatz nach Plänen des Rotterdamer Architekten Erick van Egeraat wird das Relief 2006 abgebaut. Es bekommt einen neuen Standort, der Abstand zum bisherigen zentralen Platz mitten in Leipzig symbolisieren soll. Vorausgegangen ist dieser Entscheidung eine kontroverse Debatte. Der Leipziger Schriftsteller und Ehrenbürger Erich Loest plädiert gar dafür, das Relief auf die Etzoldsche Sandgrube und damit auf die Trümmer der Universitätskirche St. Pauli in Probstheida zu legen. Und die Entscheidung, was daraus wird, späteren Generationen zu überlassen. Doch die Universität um den damaligen Rektor Franz Häuser möchte eine Bilderstürmerei verhindern. Häuser plädiert dafür, das Bronzerelief so aufzustellen, dass eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Teil der Universitätsgeschichte möglich bleibt.

„Aufbruch“ beherrscht den Karl-Marx-Platz


„Aufbruch“ ist eine Arbeit des Künstlerkollektivs
Klaus Schwabe, Rolf Kuhrt und Frank Ruddigkeit. Das Trio kann sich 1970 bei einem Wettbewerb durchsetzen. Die inhaltliche Vorgabe lautet: Karl Marx und das revolutionäre und weltverändernde Wesen seiner Lehre (Aufbruch). Ihren ursprünglichen Entwurf müssen die Künstler allerdings überarbeiten. Das Budget für den Universitätsbau wird gekürzt. Das geplante Auditorium Maximum, das auf dem Platz des heutigen Gewandhauses entstehen soll, fällt ganz dem Rotstift zum Opfer. Die Zahl der geplanten Kunstwerke wird ebenfalls verringert, so dass ein zentrales Monument in der Platzmitte entfällt. Das Marx-Relief musste nun platzbestimmend sein. Die Kosten dafür erhöhen sich von 250.000 DDR-Mark auf 1,12 Millionen DDR-Mark. Eingeweiht wird das Denkmal am 7. Oktober 1974. Es ist der 25. Jahrestag der DDR. Das wuchtig wirkende, massive Bronzerelief beherrscht nun die Stelle im Stadtbild, an der sich einst die Giebelwand der Universitätskirche St. Pauli befand. Die Kirche wurde am 30. Mai 1968 gesprengt.

Relief verbildlicht vorherrschende Ideologie


Der Karl-Marx-Kopf auf der linken Seite, der ca. zwei Drittel der Gesamthöhe einnimmt, ist beim Kunstwerk besonders auffällig. Der Blick ist starr nach links gewandt. Er verbildlicht die vorherrschende Ideologie des Marxismus-Leninismus. Darüber hinaus sind auf dem Bild verschiedene Personengruppen zu sehen. Die zentrale Gruppe mit acht Personen erinnert an einen Demonstrationszug. Dieser wird von einer Frau angeführt. Diskutierende Menschen aus verschiedenen Nationen nehmen den rechten Bildteil ein.

Angefertigt wird der Guss in der Kunstgießerei Lauchhammer, die auch den Abbau übernimmt. Das riesenhafte Bildnis, das vor dem Neuaufbau mehr als zwei Jahre eingelagert wurde, prägte das Portal der Karl-Marx-Universität 33 Jahre. Auf dem Campus Jahnallee ist der „Aufbruch“ eingerahmt von drei großen Betonplatten. Erläuterungstafeln erzählen zudem die Geschichte des Reliefs, damit Passanten das Denkmal einordnen können.

Stand: 29.02.2024

Bildergalerie - Bronzerelief „Aufbruch“

Bismarck-Denkmal

Edvard-Grieg-Allee/ Ecke Karl-Tauchnitz-Straße | Ortsteil: Zentrum

Wo im Johannapark heute das Clara-Zetkin-Denkmal steht, thronte einst Otto von Bismarck. Wie in vielen größeren Städten bekam der Reichskanzler noch zu Lebzeiten auch in Leipzig ein Denkmal, das am 18. Oktober 1897 enthüllt wurde.

Ein Denkmal auf Zeit


Bevor es dazu jedoch kam, dauerte es einige Jahre. Die Initiative zu einem Denkmal kam zunächst vom Verein „Stalaktiten“, in dem sich Kunstliebhaber und Künstler zusammenschlossen. Sowohl sie als auch Oberbürgermeister
Otto Georgi riefen zu Spenden auf, so dass schließlich genug Geld vorhanden war, um ein Denkmal für den Ehrenbürger Leipzigs zu schaffen. Den Auftrag dazu erhielten die Leipziger Künstler Adolf Lehnert und Josef Mágr. Aus bronziertem Gips schufen sie ein zwischen neun und zehn Meter hohes Denkmal, das Bismarck überlebensgroß darstellte. Lehnert portraitierte ihn in einfacher Tracht mit offenem Mantel, stehend auf einem ca. 6 Meter hohen Felsblock. In der einen Hand hielt er seinen Schlapphut und stützte sich auf einen Stock. Ihm zur Seite stand sein Hund Typras. Am Fuße des Felsblocks wurde von Mágr ein Junge dargestellt, der ihm einen Eichenkranz entgegenstreckte.

Zur Enthüllung kamen in der Nacht zum 1. April 1895 tausende Leipziger zum Augustusplatz. Pünktlich zu Bismarcks 80. Geburtstag wurde das Denkmal vor dem Neuen Theater mit einer Rede von Lehnert aufgestellt.

Ein Umzug für Bismarck


Jedoch war die Freude nur von kurzer Dauer, denn nach zwei Jahren wurde das Denkmal entfernt. Die Stadt duldete den Standort nicht länger, stellte aber einen neuen Platz am Johannapark zur Verfügung. So gab es nur kurze Zeit später eine zweite Enthüllung des riesigen Denkmals, die am 18. Oktober 1897 stattfand. Das Datum kam nicht von Ungefähr, jährte sich hier doch der Sieg der
Völkerschlacht bei Leipzig.

Aufmerksamen Spaziergängern des Johannaparks fiel schnell auf, dass sich einige Veränderungen beim Denkmal zeigten. So wurde der Junge am Fuß des Felsblocks durch einen Schmied ersetzt, der nun den Kranz reichte. Dies hielt man vermutlich für passender, um den Ausdruck „Schmied der deutschen Einheit“, wie Bismarck auch genannt wurde, zu unterstreichen. Die Inschrift wurde sehr schlicht gehalten. Während auf der Vorderseite „Bismarck“ geschrieben stand, hielt man auf der Rückseite mit „1897“ das Jahr der Enthüllung fest.

Fast ein halbes Jahrhundert nannte das Bismarck-Denkmal den Platz am Johannapark sein Zuhause. Im Zweiten Weltkrieg fiel jedoch das Denkmal, wenn auch zunächst nur teilweise, der Metallspende zum Opfer und die 1.260 kg schwere Figur des Schmiedes wurde entfernt. Kurz nach der Teilung Deutschlands wurde schließlich das Denkmal, das die Bombenangriffe unbeschadet überstanden hatte, umgestürzt und beseitigt, da Bismarck in der ehemaligen DDR als Feind der Arbeiterbewegung galt. Damit einher gingen auch Namensänderungen von Straßen, wie der Bismarckstraße oder der Schönhausener Straße, und auch der Bismarckhering wurde in Delikatesshering umbenannt. Der 1915 errichtete Bismarckturm im Leipziger Ortsteil Lützschena-Stahmeln blieb bis heute erhalten.

Vom Landbesitzer zum Politiker


Bismarck wurde am 1. April 1815 in Schönhausen geboren. Aufgewachsen als Kind einer Adelsfamilie, ging er nach Göttingen und Berlin für sein Jura-Studium. Nach dem Tod seiner Eltern übernahm er zunächst die Leitung über das Land und zog zurück nach Schönhausen. Nebenbei engagierte er sich immer mehr in der Politik, wurde Mitglied des Vereinigten Preußischen Landtages und sicherte sich im Revolutionsjahr 1848 das Wohlwollen des Preußen-Königs. Er zog mit seiner Familie nach Berlin und schließlich Frankfurt, wo er das preußische Königreich beim Bundestag vertrat. Durch seine starken politischen Einsätze und Meinungen stieg er schnell zu einer führenden Macht auf, wurde Ministerpräsident Preußens und schließlich im Jahr 1871 erster Kanzler des neu geschaffenen Deutschen Reichs. Somit prägte Bismarck die Entwicklung Deutschlands im 19. Jahrhundert wesentlich, bevor er schließlich am 30. Juli 1898 in Friedrichsruh starb.

Stand: 16.04.2024

Bildergalerie - Bismarck-Denkmal

Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

Bernhard-Göring-Straße 152 | Ortsteil: Connewitz

„Werfen Sie Ihre Unterlagen nicht weg“ steht auf einer Broschüre. Seit ihrer Gründung sammelt der Verein Archiv Bürgerbewegung Leipzig im Haus der Demokratie alle Dokumente, Zeugnisse und Fotos vom Widerstand und der Opposition in der DDR, von der Bürgerbewegung und den in den Jahren 1989/90 entstandenen Initiativen und Parteien. Ziel ist es, jene Zeitzeugnisse dauerhaft aufzubewahren, zu erschließen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Vor allem für die jüngere Generation. „Entdeckendes Lernen“ heißt das Zauberwort. Die im Haus der Demokratie beheimatete Einrichtung hat sich als außerschulischer Lernort etabliert, will Schülern einzelne Aspekte der DDR-Geschichte erfahrbar machen. 

Neu ist eine digitale Lernplattform zu Jugendkulturen. Auf dieser sind verschiedene Online-Module für Schüler zu Beat, Heavy-Metal, Breakdance, Punk, Neonazis und rechtsextremen Jugendlichen in der DDR sowie zur Umweltbewegung zu finden. Unter dem Titel „Die andere Jugend“ wird dies der offiziellen Jugendkultur gegenübergestellt.

Verein erarbeitet sich guten Ruf


Seit 1991 hat sich der Verein viel Vertrauen und einen guten Ruf erarbeitet, sorgsam mit den Schätzen der
Friedlichen Revolution umzugehen. Noch immer kommen neue Dokumente hinzu. Nicht wenige der Zeitzeugen, die im Wendeherbst 1989/90 diverse Daten sammeln, heimlich fotografieren oder gar kleine Filme drehen, haben sich inzwischen von ihren Schätzen getrennt. Sie wollen sie wohlbehütet wissen – vielleicht aus Angst, dass die Nachkommen sie irgendwann wegwerfen.

Als Gründungsdatum des Archivs Bürgerbewegung gilt der 23. Mai 1991. Seine Wurzeln liegen aber bereits in den Jahren 1987/88, als Oppositionelle die Idee haben, ein eigenes Kommunikationszentrum und eine Umweltbibliothek aufzubauen. Start ist dann in einer Privatwohnung in der Kurt-Eisner-Straße, die der westdeutsche Historiker Klaus Roewer mietet. „Wer zur Friedlichen Revolution forschte, konnte Unterlagen der SED oder der Staatssicherheit einsehen. Die der Opposition waren hingegen nirgendwo gesammelt“, erinnert sich Uwe Schwabe, der Vorstandsvorsitzende des Archivs. Er ist einer der acht Gründungsmitglieder, die das ändern wollen.

Platzprobleme im Haus der Demokratie


1991 bekommt der Verein zwei ABM-Stellen bewilligt, die die Sammlung aufbauen. Diese soll zunächst ein Teil des
Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig werden und in den Neubau am Böttchergäßchen ziehen. Doch der Verein lehnt das ab, um nicht „in der großen Stadtgeschichte unterzugehen“. Er bezieht Räume in der Markusgemeinde in der Dresdner Straße, später in der ehemaligen Iskra-Gedenkstätte in der Russenstraße sowie im Fregehaus. Mittlerweile ist der Verein, der über die Bundesstiftung Aufarbeitung, die Stiftung Sächsische Gedenkstätten sowie die Stadt Leipzig gefördert wird, im Haus der Demokratie in Connewitz beheimatet.

Dort werden die leeren Regale zusehends rar. Der Bestand umfasst bereits mehr als 250 laufende Meter Archivgut. Allein die Fotosammlung beinhaltet etwa 30.000 Bilder von mehr als 30 Fotografen. Auf einem Großteil der Fotos sind illegale Demonstrationen und Veranstaltungen aus den 1980er Jahren dokumentiert, aber auch Friedensgebete in der Nikolaikirche sowie die Akteure des Herbstes 1989 wie Christoph Wonneberger, Christian Führer, Friedrich Magirius, Uwe Schwabe, Jochen Lässig, Rainer Müller, Michael Arnold und Gesine Oltmanns. Es gibt aber auch Bilddokumente von der Beatdemo 1965, der Niederschlagung des Prager Frühlings oder der Subkultur in der DDR. Persönliche Sammlungen, Vor- und Nachlässe, Zeitzeugeninterviews, Audio- und Videoaufnahmen und vieles andere kommen hinzu.

Darüber hinaus bewahrt der Verein Spezialsammlungen auf, wie das komplette Archiv der Vereinigung der Opfer des Stalinismus mit mehr als 1.200 Akten. In dieser Vereinigung organisieren sich ab den 1950er-Jahren Menschen, die in Speziallagern, Gefängnissen und Zuchthäusern der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR leiden müssen und die danach in den Westen Deutschlands fliehen.

Verein organisiert Ausstellungen


Ein Großteil der Dokumente wurde bereits in ein Außenlager geschafft. Der Verein organisiert zudem Ausstellungen, etwa zur Situation von Ausländern in der DDR, zur Pressefreiheit oder zum Mythos der
Montagsdemonstrationen. Letzteres sei sehr wichtig, betonen die Akteure um Archivleiterin Saskia Paul. Denn Montagsdemos werden auch von Menschen, die heute mit demokratiefeindlichen Ansichten demonstrieren, für ihre Zwecke vereinnahmt. Darüber hinaus arbeitet der Verein Bürgerarchiv mit anderen Leipziger Akteuren in einer Arbeitsgruppe am Projekt Stolpersteine. Dabei soll an die Schicksale von Juden, Sinti und Roma, politisch und konfessionell Verfolgten, Homosexuellen sowie „Euthanasie“-Opfern im Nationalsozialismus erinnert werden. 

Um die Originale vor zu häufiger Benutzung zu schützen, werden ausgewählte Objekte seit 2016 digitalisiert und in einer Online-Datenbank zugänglich gemacht. Dabei ist ein Archivverbund, bestehend aus dem Archiv Bürgerbewegung Leipzig, der Umweltbibliothek in Großhennersdorf und dem Martin-Luther-King-Zentrum für Gewaltfreiheit und Zivilcourage in Werdau, entstanden. Alle drei sammeln Zeugnisse zu Widerstand und Opposition in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR. Das Leipziger Archiv stellt inzwischen 20.000 Sammelobjekte online zur Nutzung bereit, im eigenen System sind mittlerweile 90.000 digitalisiert.

Stand: 11.03.2024

Bildergalerie - Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

error: Dieser Inhalt ist geschützt! Es ist nicht gestattet, diesen Inhalt zu kopieren. Vielen Dank für Ihr Verständnis.