Ein bisschen Ascot hängt immer in der Luft, wenn pünktlich am 1. Mai die Galopprennbahn Scheibenholz zur Saisoneröffnung einlädt. Wie auf der vornehmen Rennbahn in England sind auch in Leipzig attraktive Damen in extravaganten Kleidern und mit verrückten Hüten anzutreffen. Gentlemen im klassischen Outfit beleben die großbürgerlich auftrumpfende Szenerie. Doch die Masse des Publikums ist keineswegs so spleenig wie anlässlich von Renntagen in Merry Old England. Leipzig eben. Dem Pferderennen, worum es ja eigentlich geht, bekommt die Mischung des Publikums jedenfalls gut. Und so unterhaltsam wie das Zuschauer-Spektrum sind die Rennen allemal.
Parklandschaft mit Rennbetrieb
Schön war es im Scheibenholz von alters her. Das Waldgebiet als Teil des Auwalds mit seinem aufragenden Baumbestand und den Wiesen dazwischen gewann zusätzlich an Wert, als die rasant wachsende Industriestadt Leipzig im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts immer dichter bebaut wurde und die Leipziger vor lauter gebauter Umwelt den Wert unverfälschter Natur, von Licht und Luft, besonders zu schätzen begannen. Viele schwärmerische Beschreibungen des Scheibenholzes als „umfänglich Waldgebiet“ mitten im Häusermeer sind aus jenen Tagen überliefert.
Viel weiter gingen damals die Pläne des einflussreichen Bankiers Wilhelm Seyfferth. An der Spitze des Leipziger Rennklubs hatte er längst einen Blick auf Schimmels Wiese im Scheibenholz geworfen. Mochte Seyfferths Vorgänger Ottomar Spangenberg 1863 auch zufrieden damit sein, mit dem viertältesten Rennklub in Deutschland ein freies Areal jenseits von Lindenau, also weit vor den Toren der Stadt, für Pferderennen nutzen zu können, so konzentrierten sich bald alle Anstrengungen darauf, die neue Sportart im Wortsinn viel näher an die Stadt heran- und in den Grünen Gürtel hineinzuholen.
Gebaut wurde zügig, nachdem die Entscheidung zugunsten einer Pferderennbahn im Scheibenholz gefallen war. Schon am 14. und 15. September 1867 fand in angenehmer Umgebung das umjubelte Eröffnungsrennen statt. Die Zuschauer folgten dem spannenden Auftakt von einer hölzernen Tribüne aus. Weil das Interesse rasch zunahm, musste schon bald eine größere Tribüne gebaut werden. Und um der wachsenden Popularität des Pferderennsports nicht dauernd hinterherbauen zu müssen, fiel am Beginn des 20. Jahrhunderts die Entscheidung, den großen Entwicklungsschritt hin zu einer dauerhaften, festen Tribüne von gravitätischer Erscheinung zu gehen. Den Auftrag erhielt der Leipziger Architekt Otto Paul Burghardt. Er war gerade einmal 32 Jahre alt, als seine Idee mit der festen, überdachten Tribüne in der Mitte, den beiden flankierenden Türmen und dem während der gesamten Ausflugssaison geöffneten Rennbahn-Restaurant unter dem Tribünenraum 1907 umgesetzt wurde. Burghardts spätere Entwürfe zeigen sich bis heute vor allem in Gestalt des Europahauses am Augustusplatz.
Lockende Pferderennen
Die Leipziger strömten mit Kind und Kegel gern ins Scheibenholz. Sogar die elektrische Straßenbahn reagierte auf den anschwellenden Publikumsstrom mit einer eigenen Linie. Die Rennbahn, das Gelände der Sächsisch-Thüringischen Industrie– und Gewerbeausstellungvon 1897 (der spätere Albertpark bzw. Clara-Zetkin-Park) und die Frankfurter Wiesen bildeten eine ganze Folge populärer „grüner Lungen“ mit Gewässerbegleitung mitten in der Großstadt Leipzig. Jahrzehnte später starteten an Renntagen vor allem die Doppelstockbusse der LVB vom Dimitroff-Museum (dem Gebäude des Reichsgerichts) aus zu einem populären Pendelverkehr bis vor die Rennbahn. Besonders Kinder stritten um den Vorzug, von der oberen Etage der Omnibusse – in der ersten Sitzreihe! – einen Panoramablick über das gesamte Rennbahngelände kurz vor dem Beginn der Wettrennen zu erhaschen. Ehe es so weit war, unterlag auch die Rennbahn allen typischen Einflüssen des 20. Jahrhunderts. Die Erweiterung der Flachbahn auf 1.750 Meter im Jahre 1932, schwere Zerstörungen am Ende des ZweitenWeltkriegs, ein unbändiges Aufbäumen, um in einer provisorisch geprägten Umgebung bereits am 12. August 1945 wieder den ersten deutschen Renntag nach dem Krieg ausrichten zu können und die betriebliche Integration der Rennbahn in den VEB Vollblutrennbahnen Hoppegarten bildeten historische Wegmarken. Nach 1990 kehrte die Galopprennbahn Scheibenholz zu ihren organisatorischen Wurzeln in Gestalt eines privaten Trägervereins zurück.
Feste Größe im Veranstaltungskalender
Erhebliche Investitionen waren zu stemmen, um insbesondere der prägenden Tribüne, die längst zu einem Bestandteil der gestalteten Parklandschaft geworden ist, ein respektables Äußeres zurückzugeben. Zwischen 2010 und 2012 war das Konjunkturpaket II nach der Finanzkrise sehr hilfreich, um seitens des inzwischen zweiten, rührigen Vereins – Leipziger Reit- und Rennverein Scheibenholz e. V. – die erforderlichen zwei Millionen Euro aufzubringen.
Das Kerngeschäft im Scheibenholz bilden selbstverständlich die Renntage und damit der Sport. Der Rennkalender zieht alle möglichen Interessenten von leidenschaftlichen „Pferdenarren“ über Sonntagsspaziergänger mit Unterhaltungsneigung bis zum gehobenen Publikum an, das Wert darauf legt, gesehen zu werden. Für die einen zählt der Ausritt, für die anderen das Outfit. Spaß haben beide Gruppen, auch miteinander. Daneben bietet das weitläufige Gelände, das mit der Tribüne, dem Totalisator von 1907 und einem Teil der historischen Stallungen Denkmalstatus besitzt, eine willkommene Umgebung für einen bunten Blumenstrauß des Veranstaltungs-Business. Sie reichen von Firmenfeiern über Trödelmärkte und Oldtimer-Treffs bis zum saisonalen Freilichtkino. Was kann es Schöneres geben, als an einem warmen Hochsommerabend dem Geschehen auf der Leinwand zu folgen und mitten in der Parklandschaft die Einrahmung durch die markante „Skyline“ der Leipziger Südvorstadt zu genießen?! Und nicht zuletzt laden auch die Rennbahn Gastronomie sowie der idyllisch am Elsterflutbett gelegene Rennbahn-Biergarten zum Verweilen ein.