Sie ist die Fotochronistin, die jüdisches Leben in Leipzig und Sachsen in vielen Facetten festhält. Ihr Markenzeichen sind Porträts von Menschen, denen sie sich mit gebührendem Respekt nähert, sowie verschiedene Milieustudien. Dabei hat sie ein Faible für Langzeitprojekte.
Geboren wird Silvia Hauptmann am 9. Oktober 1957 in Leipzig. Sie wächst in Böhlen auf. Als sie zwölf Jahre alt wird, ziehen die Eltern in ein Haus in Großdeuben „am Grubenrandstreifen“ der Braunkohle. „Hinterm Haus quietschte der Bagger lang, die Grube wurde zugeschüttet“, sagt sie und erinnert sich an nicht ungefährliche Abenteuer beim Baden in den Restlöchern. Zur Polytechnischen Oberschule fährt sie nach Gaschwitz. Danach beginnt die Berufsausbildung mit Abitur zur Laborantin. Sie arbeitet im Betriebsteil Böhlen des Volkseigenen Betriebes Petrolchemisches Kombinat Schwedt.
Aufträge für Architekturbüro und Zeitschriften
Doch das Auswerten von Proben befriedigt sie nicht. Eigentlich will sie Sprachen studieren, doch nach der Geburt ihres Sohnes Paul im Jahre 1981 entscheidet sie sich anders. Sie beschäftigt sich mit Fotografie, wird später an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig immatrikuliert. Als freiberufliche Fotografin übernimmt sie Aufträge für ein Architekturbüro und arbeitet auch fürs Zentralhaus für Kulturarbeit. Jene Leipziger Einrichtung widmet sich der Förderung der Laienkunst und Brauchtumspflege in der DDR und gibt auch eine eigene Zeitschrift „Kultur und Freizeit“ heraus. Sie fotografiert sorbische Frauen, die Ostereier bemalen, sowie viele Menschen mit ihren Hobbys. Doch die Unzufriedenheit wächst. Im August 1989 verlässt sie mit ihrem damaligen Ehemann über Ungarn die DDR.
Im Westen angekommen, studiert sie an der Fachhochschule in Bielefeld Fotografie. Ihr Schwerpunkt wird dabei Sozial-kritisches Porträt/Fotoessay. Zusätzlich belegt sie Psychologie, um sich für die Fotoarbeiten besser in Menschen hineinversetzen zu können. Für ihre Abschlussarbeit fotografiert Silvia Hauptmann Roma in Rumänien. Nebenbei arbeitet sie für die von Bodelschwinghsche Stiftung in Bielefeld. Die hat Kontakte bis nach Japan – Silvia Hauptmann kann bei einem Empfang sogar den Kaiser des Landes der aufgehenden Sonne fotografieren.
Eine zufällige Begegnung in der Synagoge
Nach dem Studium kehrt sie nach Leipzig zurück. 1994 reist sie für eine Zeitung nach Moskau. Ihr Auftrag: Sie soll Bilder im Milieu von Prostituierten aufnehmen. Doch irgendwie merkt sie, dass ihr dieses Thema, mit „jungen Mädels, die im mafiösen Milieu ihre Haut zu Markte tragen“, nicht liegt.
Sie bummelt im strömenden Regen durch die Straßen der russischen Hauptstadt und landet zufällig in einem riesigen Gebäude. Das ist die Choral-Synagoge Moskaus. Dort wird gerade Rosch Haschana, einer der Hohen Feiertage des Judentums, gefeiert. Sie zückt die Kamera und kehrt mit einer Reportage über den Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt und die Moskauer Synagoge zurück. Und schnell wird klar: Das ist ihr Thema. Sie besucht die Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig, die gerade ein Jubiläum vorbereitet, und deren damaligen Vorsitzenden Aron Adlerstein. Für die Gemeinde lichtet sie „Channuka im Astoria“ ab. Das wird der Beginn einer langen Zusammenarbeit.
Die Fotografin der Religionsgemeinde
Durch eine Ausstellung in der Alten Nikolaischule, bei der zur Leipziger Buchmesse jüdisches Leben in Leipzig vorgestellt wird, entstehen Mitte der 1990er-Jahre Kontakte zur Ephraim Carlebach Stiftung und ihrer Vorstandsvorsitzenden Renate Drucker. Gemeinsam wird das Langzeitprojekt „Jüdisches Leben in Sachsen“ aufgelegt. „Ich war auch in Dresden und Chemnitz, auf allen jüdischen Friedhöfen in Sachsen. Mein Schwerpunkt blieb aber immer In Leipzig“, erzählt Hauptmann. Seit 1997 lebt sie mit dem Grafiker, Musiker und Autor Jürgen B. Wolff zusammen.
Sie hält 1998 fest, wie der erste sächsische Landesrabbiner Salomon Almekias-Siegl ordiniert wird. Silvia Hauptmann ist mittlerweile die Fotografin, die das Leben der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig am längsten dokumentiert. „Ich durfte erleben, wie die Gemeinde wächst und sich verändert“, sagt sie. Etwa durch den Zuzug von jüdischen Menschen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Ihre Bilder bieten Einblicke in die erste jüdische liberale Hochzeit in der Brodyer Synagoge nach der Wende. „Das hat mich damals sehr fasziniert.“ Weitere Fotos zeigen Rituale, wie die Beschneidungen der Kinder oder die Beerdigung von Torarollen auf dem Neuen Israelitischen Friedhof. Sie darf die orthodoxe Hochzeit des Rabbiners Zsolt Balla in Berlin begleiten. Und macht ein Fotoessay über ihn. Die Einweihung des Ariowitsch-Hauses dokumentiert sie ebenfalls.
Eine digitale Datenbank vom Friedhof
Eine Herausforderung für die Projektmitarbeiterin der Ephraim Carlebach Stiftung wird eine große Dokumentation. Sie fotografiert und erfasst über vier Jahre gemeinsam mit Jürgen B. Wolff alle der rund 5.500 Gräber auf dem Alten Israelitischen Friedhof und bereitet sie für eine Datenbank digital auf. Das wird ziemlich anstrengend. Die Ephraim Carlebach Stiftung nutzt die Datenbank, um Anfragen, etwa nach Personen, zu beantworten. Silvia Hauptmann bietet auch Führungen auf den Friedhöfen an. Was sie noch reizt, ist es, jüdische Familien daheim bei Festen wie Sabbat zu fotografieren. Doch das zu realisieren, ist schwierig. Im Ehrenamt unterstützt sie ebenfalls die Aktion Stolpersteine.
Fotoessays über Obdachlose und junge Strafgefangene
Silvia Hauptmann widmet sich auch vielen anderen Themen. Mit ihrer Kamera arbeitet sie im Strafvollzug. „Zwischenzeit“ heißt ihr Fotoessay über eine zu lebenslanger Haft verurteilte Frau. Diese hat sie 15 Jahre lang begleitet. Und sie hat in den Haftanstalten Zeithain, Waldheim sowie Regis-Breitingen fotografiert. Auch junge Strafgefangene. „Das Thema Schuld und Sühne hat mich immer gefesselt.“ Seit 1993 fotografiert sie regelmäßig beim Rudolstadt-Festival. Für die Sächsische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien übernimmt sie ein Projekt, um ankommende Flüchtlinge zu zeigen.
„Mich interessieren Randgruppen, daher habe ich auch viel mit Obdachlosen gearbeitet.“ Derzeit widmet sie sich Habseligkeiten von Obdachlosen, die auf der Straße zu sehen sind. Die Menschen zeigt sie diesmal nicht. Wichtig ist ihr ein Projekt im Zoo Leipzig. „Tiere zu fotografieren, ist faszinierend. Nichts ist entspannter.“ Sie erinnert sich an einen Komodowaran im Gondwanaland, wo sie sogar für die richtige Perspektive an einem Seil heruntergelassen und schnell hochgezogen wurde. „Meine große Liebe sind Hunde.“ Stolz ist sie auf ihren Foxterrier, der „noch vom Wolf abstammt.“ Sie reist außerdem gern, darunter oft nach Wien. Ihr Archiv umfasst inzwischen mehr als 25.000 Fotos.
Stand: 26.08.2024