„Die Straße ist mein Atelier“ – einen besseren Titel als im Februar 2025 im Zeitgeschichtliches Forum Leipzig kann es für eine Ausstellung mit Fotos von Mahmoud Dabdoub eigentlich gar nicht geben. Denn dieser beschreibt, was seine Arbeit ausmacht. Wie der deutsch-palästinensische Fotograf zur Kamera greift und Momente aus dem Alltag festhält, die viele andere gar nicht wahrnehmen. So hat er sich das graue Leipzig und seine Menschen erschlossen, die der damals 23-Jährige bei seiner Ankunft 1981 in der DDR trifft. Nach Leipzig kommt er zum Studium. Er ist geblieben und hat sich seinen fotografischen Blick für das Alltägliche bewahrt.
Aufgewachsen im Flüchtlingslager
Geboren wird Mahmoud Dabdoub am 5. August 1958 in Baalbeck, einer Provinzhauptstadt im Libanon. Die Familie stammt eigentlich aus Galiläa, das gesamte Dorf wird von Israelis im Jahr 1948 zerstört. Mahmoud wächst im Flüchtlingslager Al Jalil bei Baalbeck auf. Schon dort beginnt er zu zeichnen und zu malen, fertigt sogar Anschauungstafeln wie Landkarten für den Schulunterricht an. Es ist der Versuch, aus dem tristen Leben im Lager auszubrechen.
In den Ferien arbeitet er als Botenjunge für einen Fotografen, um ein bisschen Geld für Schulmaterial zu verdienen. 1976 kann er in Beirut das Abitur machen, beginnt anschließend seine Arbeit im palästinensischen Kulturbüro in Beirut. Als er 18 Jahre wird, darf er manchmal die Kamera seines Bruders benutzen und fängt an, Schnappschüsse zu machen. Sein erstes Foto zeigt eine von Schüssen zerlöcherte Wand mit einem beschädigten Kinderporträt. Um 1980/81 entstehen erste Reportagen, die die Lebenswirklichkeit palästinensischer Flüchtlinge abbilden. „Es war nicht einfach, eine Kamera zu bekommen. Das Geld brauchten wir für Brot, nicht für Kunst“, erinnert er sich. Sein Bruder, der seit 1977 einige Jahre in West-Berlin arbeitet, entdeckt schließlich eine Kamera der Marke Praktika aus DDR-Produktion auf einem Flohmarkt. Die schenkt er bei einem Besuch im Libanon dem jüngeren Bruder.
Eine erste Ausstellung im Herder-Institut
Der Maler Ismael Schamout, für den Mahmoud Dabdoub als Assistent tätig ist, vermittelt ihm schließlich ein Stipendium für ein Studium in der DDR. Er kommt am 11. September 1981 in Leipzig an, bekommt eine Unterkunft im Studentenwohnheim in der Straße des 18. Oktobers. Wie alle ausländischen Studenten, lernt er zunächst Deutsch am Herder-Institut. Eigentlich will er Maler und Grafiker werden, sieht die Fotografie als reines Hobby. Als er im Chemielabor des Herder-Institutes schließlich Fotos aus Palästina entwickelt und seinen Freunden zeigt, überreden sie ihn, in einer Foto-AG mitzumachen. Daraus entwickelt sich seine erste Ausstellung, die er auf den Fluren des Institutes zeigt. „Und damit änderte sich mein ganzer Lebensplan“, sagt er später in Interviews.
Mahmoud Dabdoub wird geraten, sich an der Hochschule für Grafik und Buchkunst für ein Fotografie-Studium zu bewerben. Er hat Glück, einen der raren Studienplätze zu ergattern und trifft auf Lehrer wie Arno Fischer, Evelyn Richter und Helfried Strauß, die ihn fördern. 1987 bekommt er seinen Abschluss als Diplomfotograf, ist seitdem freiberuflich mit der Kamera unterwegs.
Voller Neugier durchstreift Dabdoub seine neue Heimat mit der Kamera. Um wirklich anzukommen, muss er die ihm unbekannte Gesellschaft gründlich erkunden. Dabei entstehen eindrucksvolle Bilder. Die Menschen lassen sich damals ohne Scheu fotografieren. „Es ist wichtig, wie man mit Menschen umgeht. Vor allem mit Respekt und einem Lächeln“, sagt er. „Ich war damals ständig und überall mit der Kamera unterwegs. In meinem Archiv lagern allein aus den Tagen der DDR 1.400 Filme.“ Einen Teil der Bilder veröffentlicht er im Buch „Neue Heimat Leipzig“, das im Lehmstedt-Verlag veröffentlicht wird. Später erscheint „Alltag in der DDR“ im Passage Verlag mit neuen Bildern. Im Archiv Bürgerbewegung Leipzig werden die Negativfilme von Mahmoud Dabdoub seit 2014 kontinuierlich digitalisiert. Weitere Publikationen und Ausstellungen sind vorgesehen.
Ein Reisender zwischen den Welten
Dabdoub ist ebenfalls ein Reisender zwischen den Welten. So kehrt er oft in den Libanon zurück. Versteht sich als „eine Brücke zwischen Orient und Okzident“, wie er selbst sagt. 1989 erreicht er für seine Serie „Palästinenserlager im Libanon“ eine Ehrenmedaille bei einer Fotoschau in Hamburg. Weitere Preise für Bilder aus dem Libanon und Palästina folgen. 2003 erscheint das Buch „Wie fern ist Palästina?“, in dem er den Alltag in Flüchtlingslagern zeigt, am selben Tag auch „Alltag in der DDR“ im Passage Verlag mit neuen Bildern. Den Erfolg kann er nicht genießen, weil am ersten Buchmessetag im März 2003 der Krieg im Irak beginnt. „Meine Freude war futsch, weil Menschen sterben müssen.“ „Land der verletzten Zedern“ heißt schließlich eine Publikation über den Libanonkrieg 2007.
Keine Bilder von den Montagsdemonstrationen
Obwohl er während der Friedlichen Revolution in Leipzig lebt, gibt es vorn ihm keine Bilder von den Montagsdemonstrationen. Er hat sich damals nicht getraut, die Demos zu fotografieren, wie er später bekennt. Da ist vor allem die Angst, seine Aufenthaltsgenehmigung zu verlieren und ausgewiesen zu werden.
Dafür hält er am 9. November 1989 in Berlin die ersten Stunden nach der Grenzöffnung fest. An diesem Tag ist er zufällig in Berlin. Er kehrt gerade von der Eröffnung einer Ausstellung zurück, die im Westteil zu sehen ist. Mitgerissen vom Jubel hält er die Kamera hin. Doch leider hat er nur noch drei ORWO-Filme dabei. Die haben jeweils 36 Bilder, wie in analogen Zeiten üblich. Am nächsten Morgen fotografiert er auf dem Westberliner Ku’damm feiernde Ost-Berliner in einem Lada-Taxi. Es entsteht eine schwarz-weiße Fotoserie. „Sie ist eines der wichtigsten Werke in meinem Leben“, bekennt er später. Im Nachhinein bedauert er, nicht länger geblieben und die Ereignisse rund um die Mauer dokumentiert zu haben.
Wie es für ihn nach der deutschen Einheit weitergeht, bleibt zunächst unklar. Er stellt sich auf die neue Arbeitssituation ein, fotografiert unermüdlich weiter. 2000 erhält er die deutsche Staatsbürgerschaft. Mit seiner Familie lebt er in Connewitz. Die drei Töchter sind inzwischen erwachsen. Auch für die Stadtverwaltung und das „Amtsblatt“ fotografiert er eine Zeitlang.
Bilder einer menschenleeren Stadt
Der Freiberufler widmet sich auch dem Corona-Virus und den Folgen für die Gesellschaft. „Augen in der Pandemie“ heißt eine Publikation im Jahr 2021, in der er von Masken verdeckte Gesichter fotografiert. „Menschenleer: Leipzig – Fotos einer Stadt im Lockdown“ heißt ein weiterer Bildband (2021), den er gemeinsam mit Armin Kühne und Andreas Koslowski erarbeitet.
Der Fotograf hat noch einige Projekte vor. Er muss auch arbeiten, weil die Rente nicht ausreicht. Er bewahrt noch ORWO-Filme auf, will diese auch künftig bei verschiedenen Lichtsituationen nutzen. Eine Idee wäre, zu Fuß 24 Stunden lang mit der Kamera durch Leipzig zu streifen. Darüber hinaus ist er als Dolmetscher tätig und ist auch als Zeitzeuge in Schulen im Einsatz, wo er über seine Arbeit als Fotograf erzählt. „Die Straße ist mein Atelier“ heißt, wie auch die Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, das neue Buch von Mahmoud Dabdoub, welches zur Buchmesse 2025 erschien.
Stand: 18.03.2025