Balla, Zsolt

Orthodoxer Rabbiner, Militärseelsorger | geb. am 18. Februar 1979 in Budapest (Ungarn)

Er hat schon Geschichte geschrieben: Zsolt Balla ist einer von zwei orthodoxen Rabbinern, die in der Bundesrepublik ausgebildet werden und als Erste nach 1938 ins Amt eingeführt werden. Seine Ordination, die er 2009 gemeinsam mit Avraham Radbil erfährt, ist ein historischer Moment und etwas Besonders. Doch besonders fühlt er sich eigentlich nicht. Balla ist damals gerade mal 30 Jahre alt.

Geboren wird Zsolt Balla am 18. Februar 1979 in Budapest/Ungarn. In seiner Familie wächst er zunächst völlig unreligiös auf. Sein Vater ist Oberstleutnant in der ungarischen Armee und leitet eine Kaserne. Zsolt geht zur Schule, interessiert sich für Bücher. Auch die Geschichten aus der Bibel haben es dem Jungen angetan. Von 1988 an wird an der Schule katholischer Bibelunterricht angeboten – das sozialistische System in Ungarn steht damals kurz vor dem Zusammenbruch.

Jüdische Wurzeln und Familienschicksal


Der damals Neunjährige fragt die Mutter, ob er den Bibelunterricht besuchen darf. Sie meint daraufhin nur: Wir müssen reden. Und erzählt, dass der Großvater Levit war. Statt in die Kirche geht der Junge von da an in die Synagoge. Und erfährt Näheres über das Schicksal seiner Familie im Nationalsozialismus.

„Meine Mutter und meine Großeltern haben die Shoa überlebt“, erzählt Balla. Zu verdanken haben sie es, wie nahezu tausend ungarische Juden, dem schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg, der in Budapest eine beispielslose Rettungsaktion organisiert. Wallenberg kann sie vor dem Tod bewahren, indem er sie mit schwedischen Pässen ausstattet und in Schutzhäusern unterbringt. Jene Pässe erkennen die Nationalsozialisten und die ungarischen Behörden zumindest teilweise an. Andere Familienmitglieder haben da weniger Glück.

Vom Wirtschaftsingenieur zum Rabbiner


Nach dem Abitur 1997 beginnt Zsolt Balla ein fünfjähriges Studium Wirtschaftsingenieurswesen an der Technischen Universität in Budapest. Ein Arbeitsleben in der Wirtschaft kann er sich eigentlich nicht vorstellen. Mit seinem Diplom in der Tasche beschließt er 2002, eine Pause einzulegen. Sein Interesse am Judentum prägt sich in jener Zeit immer deutlicher aus.

2002 kommt er nach Berlin und will dort eigentlich nur ein Jahr bleiben. Er hat ein Stipendium bekommen, um die Talmud-Hochschule „Beis Zion“ in Berlin zu besuchen. Dort gefällt es ihm sehr gut. Er lernt, wie man sich alten hebräischen Texten nähert und diese entschlüsselt. Besonders gefallen ihm die Diskussionen mit den Mitschülern. Balla bleibt, studiert weiter am orthodoxen Hildesheimer’schen Rabbinerseminar in Berlin sowie in Jerusalem und lässt sich einbürgern. 

Die Weihe zum Rabbiner erfolgt 2009 zwar in München. Er lebt aber in Berlin. Von dort aus betreut er ein Jahr lang als „Besuchsrabbiner“ Leipzig und die Israelitische Religionsgemeinde.

Viel Freude mit Bassgitarre und Band


In Leipzig lernt er seine Frau
Marina Charnis kennen, die er 2007 heiratet. Mittlerweile hat das Paar zwei Töchter und einen Sohn. Im September 2010 zieht Balla nach Leipzig. 2011 wird er in Leipzig zum Gemeinderabbiner ernannt. Die Gemeinde hat momentan 1.100 Mitglieder. Das sind wieder etwas weniger geworden als vor ein paar Jahren, da einige weggezogen oder gestorben sind.

In der Gemeinde ist der Rabbi in der Band „The Holy Smokes“ zu erleben, die auf Hochzeiten und bei jüdischen Festen spielen. Beispielsweise im Ariowitsch-Haus, dem Kulturzentrum in der Hinrichsenstraße 14. Balla spielt leidenschaftlich gern Bassgitarre. „Ich mag gute Musik, auch mal einen sehr rockigen Klang. Mein Genre ist da nicht Klezmer.“

Ein orthodoxes Leben in Leipzig


Zsolt Balla lebt mit seiner Familie in Orthodoxie. Das bedeutet, treu nach den jüdischen Gesetzen zu leben, mit dem Sabbat, den täglichen Gebeten und der koscheren Ernährung. Gekocht wird zu Hause, in Leipzig existiert ohnehin kein Restaurant mit koscherer Küche. „Zumindest gibt es Kuchen im
Café HaMakom“, sagt er.

Der Rabbiner legt viel Wert darauf, jüdisches Wissen an junge Leute weiterzugeben. Diesem Zweck dient das Tora-Zentrum, das aus einem Jugendzentrum heraus entstanden ist. Eine eigene jüdische Schule gibt es nicht, dafür eine jüdische Kindergartengruppe integriert in eine Kita eines freien Trägers.

Viel Interesse für jüdisches Leben


Um Leipzigern das Judentum näherzubringen, hält Balla regelmäßig Vorträge vor Studenten oder Schulklassen. Vor allem in der
Universität Leipzig. In der Volkshochschule derzeit weniger. Viele Menschen sind interessiert und saugen voller Interesse alles auf, was er über das Judentum und die Synagoge erzählt. Für die meisten ist das nach wie vor eine andere Welt. Seit 2019 ist Zsolt Balla ebenfalls Landesrabbiner von Sachsen.

Ein weiteres Kapitel beginnt für ihn am 21. Juni 2021 in Brodyer Synagoge. Dort wurde Zsolt Balla in sein Amt als Militärbundesrabbiner eingeführt – der erste in der Geschichte der Bundeswehr. In diesem Job ist er sehr viel unterwegs. Mittlerweile gibt es weitere Rabbiner in Hamburg, Köln, Leipzig, München und Schwielowsee bei Potsdam, die sich um Militärseelsorge kümmern. Balla ist ihr religiöser Vorgesetzter, etwa vergleichbar mit dem Status eines Militärbischofs. Wobei es diesen im Judentum nicht gibt. Die Seelsorger sind keineswegs dem deutschen Staat unterstellt, werden vielmehr vom Zentralrat der Juden ernannt.

Brücken bauen in der Bundeswehr


Balla sieht es als Aufgabe, nicht nur das Judentum in der Bundeswehr, sondern auch die Bundeswehr in der jüdischen Gesellschaft zu präsentieren. Neben der Seelsorge gehören lebenskundlicher Unterricht und die Vermittlung jüdischer Werte zu den zentralen Aufgaben. Und es ist ja kein Geheimnis, dass es hin und wieder Skandale mit rechtsextremistischen Kameraden in der Bundeswehr gibt. Der Rabbiner will dazu beitragen, Antisemitismus und Hass durch Gespräche und Austausch zu bekämpfen. „Ich tue mein Bestes, um Brücken zu bauen“, beschreibt Balla das Ziel.

Dabei spürt er die Last der Geschichte auf seinen Schultern, wie er sagt. Nicht im Sinne von belastet. „Es ist eine Verantwortung, eine bessere Zukunft zu gestalten.“ Wie ein Vater gegenüber seinem Sohn. Es ist ohnehin wieder schwieriger geworden, offen als Jude in Deutschland zu leben. Für Leipzig setzt Balla da ein „Ja, aber…“. Es gebe zwar Probleme, Sorgen und Herausforderungen, aber die weltoffene Stadt sei schon noch „eine Insel der Ruhe“. „Ich fühle mich in Leipzig weiterhin sehr wohl.“

Stand: 10.01.2025

Bildergalerie - Balla, Zsolt

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Mathias Orbeck
Der in Leipzig-Connewitz geborene und aufgewachsene Journalist ist leidenschaftlicher Radfahrer und Naturliebhaber. 35 Jahre lang arbeitete der Lokalpatriot als Redakteur und Reporter bei der Leipziger Volkszeitung. Inzwischen als freier Autor tätig, gilt sein Interesse nach wie vor Leipzigs Historie sowie den schönen Seiten seiner Heimatstadt, deren Attraktionen er gern Gästen zeigt.
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