Brodyer Synagoge

Keilstraße 4 | Ortsteil: Zentrum-Nord

Mit ihren bunt verglasten Fenstern und den geometrischen Davidstern-Mustern an der Decke ist sie eine Besonderheit. Die Brodyer Synagoge wird in der Pogromnacht 1938 nicht angezündet, weil sich die Gebetsräume in einem Wohnhaus befinden. Die Nationalsozialisten befürchten, dass das Feuer auf Wohnungen übergreifen könnte, in denen „Arier“ leben. Ein von SA-Leuten gelegter Brandherd kann von beherzten Anwohnern gelöscht werden. Gerettet hat das die Synagoge zwar nicht, denn der Innenraum wird demoliert und die Bleiglasfenster werden zerstört. Doch die Synagoge hat den Krieg überlebt und ist danach wieder hergerichtet worden. In altem Glanz erstrahlt sie seit 1993 – damals konnte sie mit Hilfe der Stadt Leipzig restauriert werden.

Ihr Name geht auf Kaufleute aus Brody (Galizien, heute Ukraine) zurück. Diese jüdischen Pelzhändler spielen auf den Leipziger Messen eine große Rolle. Bereits 1763/64 richten sie am Brühl einen eigenen Gebetsort ein, die sogenannte Brody Schul – nach einem jiddischen Wort für Synagoge.

Ende des 19. Jahrhunderts kommen immer mehr ostjüdische Einwanderer nach Leipzig, der Platz im Gebetsraum ist knapp. Der Wunsch, eine eigene, größere Synagoge zu bekommen, wächst bei den orthodoxen Juden. Das Platzangebot in der Großen Gemeindesynagoge an der Gottschedstraße, die es bereits seit 1855 gibt und die zudem liberal ausgerichtet ist, reicht ohnehin nicht mehr aus.

Talmud-Thora-Verein baut einen Betsaal


Ein Lichtblick kommt mit dem jüdischen Holzhändler
Friedrich Gutfreund. Der Plagwitzer Kaufmann erwirbt um 1900 das Doppelwohnhaus in der Keilstraße 4-6. Er möchte das Erdgeschoss zu einem Betsaal umbauen. Doch die Pläne scheitern. Erst der Talmud-Thora-Verein, den jüdische Wirtschaftsleute wie Samuel Kroch und Alexander Landau gründen, kann das Vorhaben umsetzen.

Der Verein erwirbt den Komplex im April 1903, schon zwei Monate später beginnen die Umbauarbeiten. Pläne dafür stammen vom Architekten Oscar Schade. Um eine ausreichende Raumgröße für die Synagoge zu schaffen, wird die Decke zwischen Erdgeschoss und erstem Obergeschoss entfernt. So können Emporen eingebaut werden. Der Fußboden wird abgesenkt, in der Vorhalle das rituelle Handwaschbecken eingebaut. Der Thoraschrein kommt an die Ostseite des Raumes, die Jerusalem zugewandt ist. In der Raummitte entsteht die Bima. Das ist eine Art Podium, auf dem das Pult für den Vorbeter und die Thoralesung steht.

In der zweiten Etage des Wohnhauses ist Platz für eine Bibliothek samt Lesezimmer. Dort entsteht die Dienstwohnung für Rabbiner Ephraim Carlebach. Im dritten Geschoss werden Unterrichtsräume eingerichtet. Schon im September 1903 gibt das Bauordnungsamt die Talmud-Thora-Synagoge zur Nutzung frei, damit jüdische Leipziger ihre hohen Feiertage begehen können. Offiziell eingeweiht wird das Gotteshaus dann im März 1904. Die Bezeichnung Brodyer Schul oder Brodyer Synagoge bleibt bei den Betenden aber weit verbreitet. Heute wird sie meist nur noch Gemeindesynagoge genannt.

Wohngebäude wird zwangsversteigert


Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten ist das Schicksal der Synagoge besiegelt. Anders als andere jüdischen Gotteshäuser geht sie zwar nicht in Flammen auf. Doch da der Talmud-Thora-Verein eine Hypothek nicht bedienen kann, wird das Gebäude 1937 zwangsversteigert. Bereits am 30. Juni 1937 wird das Gebäude im Zuge der Arisierung von einer Grundstücksverwaltung-Treuhand-AG übernommen. Die steht allerdings dem jüdischen Bankhaus Kroch nahe, das seinen Sitz im
Krochhochhaus am Augustusplatz hat. Auf Druck der Gestapo muss die Firma im Juni 1942 daher den Mietvertrag kündigen. Die Immobilienfirma beauftragt das Versteigerungshaus Klemm, das noch vorhandene Inventar zu versteigern. Nach der Zerstörung des Betraums wird dieser bis 1945 als Lagerhalle für Lacke und Farben missbraucht. Der Leipziger Historiker Steffen Held hat die Geschichte der Synagoge näher erforscht.

Synagoge wird neu geweiht


Nach dem Zweiten Weltkrieg bekommen die sich neu konstituierenden Mitglieder der Israelitischen Religionsgemeinde ihre Synagoge zurück. Am 28. Oktober 1945 wird das Gotteshaus wieder geweiht. Die Gemeinde erhält als Leihgabe 250 Stühle aus dem
Gohliser Schlösschen. Barnet Licht gelingt es, einen Synagogenchor zu gründen. Einen Rabbiner kann die Gemeinde vorerst nicht verpflichten. Die Synagoge wird der Wirkungsort von Werner Sander, der 1950 als Kantor an die Israelitische Religionsgemeinde berufen wird und bis zu seinem Tod 1972 sowohl den Leipziger Synagogalchor als auch die Gottesdienste leitet.

Die Gemeinde leidet schon in den letzten Jahren der DDR an Überalterung – im Juni 1991 gibt es nur noch 35 Mitglieder. In den Jahren nach der Friedlichen Revolution ändert sich das. Ein Grund dafür ist die Einwanderung russischer Juden nach Leipzig, die als sogenannte Kontingentflüchtlinge kommen. In ihrer Heimat sind sie Repressionen und Verfolgungen ausgesetzt. 1993 kann die Originalfassung des Betsaal-Innenraums denkmalgerecht wiederhergestellt werden. Das gelingt mit Fördermitteln vom Bund und der Stadt Leipzig. Die Synagoge wird am 22. Mai 1993 zum dritten Mal geweiht.

Mit jüdischen Einwanderern wächst Raumbedarf


Doch durch den Zustrom jüdischer Einwanderer wird das Gotteshaus wiederum zu klein. Die Israelitische Religionsgemeinde erweitert die Empore ihrer Synagoge daher um etwa 100 Plätze auf insgesamt 320. Dadurch verbessern sich die Bedingungen für das religiöse Leben der Gemeinde spürbar. Hilfe für die Erweiterung im Jahre 2001 gibt es von der Stadt Leipzig sowie dem Förderverein Synagoge und Begegnungszentrum Leipzig. Sie fördern auch den Ausbau des
Ariowitsch-Hauses als jüdisches Kultur- und Begegnungszentrum. Im Jahr 2025 gehören der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig etwa 1.100 Mitglieder an. Gemeinderabbiner ist Zsolt Balla.

Stand: 16.01.2025

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Mathias Orbeck
Der in Leipzig-Connewitz geborene und aufgewachsene Journalist ist leidenschaftlicher Radfahrer und Naturliebhaber. 35 Jahre lang arbeitete der Lokalpatriot als Redakteur und Reporter bei der Leipziger Volkszeitung. Inzwischen als freier Autor tätig, gilt sein Interesse nach wie vor Leipzigs Historie sowie den schönen Seiten seiner Heimatstadt, deren Attraktionen er gern Gästen zeigt.
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