Hotel Astoria

Willy-Brandt-Platz 2 / Gerberstraße / Kurt-Schumacher-Straße | Ortsteil: Zentrum

Noch heute schwärmen viele von einem Hotel, dessen Stern erstmals mitten im Ersten Weltkrieg aufleuchtet. Das Hotel Astoria am Blücherplatz (heute Willy-Brandt-Platz) öffnet am 5. Dezember 1915 mit einem vom Deutschen Roten Kreuz veranstalteten Wohltätigkeitstag und avanciert rasch zu einer der ersten Adressen Deutschlands. Das moderne Grandhotel beherbergt über viele Jahrzehnte Prominente aus aller Welt. Doch am 31. Dezember 1996 gehen die Lichter der einstigen Nobelherberge aus, die zu diesem Zeitpunkt der Maritim Hotelgesellschaft gehört.

Die Eigentümer wechseln…


Die verkauft die Immobilie zunächst an den US-Konzern Blackstone. Doch die Besitzer wechseln erneut. Mehrmals wird versucht, einen neuen Betreiber für das inzwischen ruinöse Gebäude zu finden. Im Mai 2018 stellen die Stadt Leipzig und die Intown Property Management GmbH Pläne vor, wie das Hotel zu neuem Leben erweckt werden soll. Ein Jahr später beginnen erste Bauarbeiten. Die werden Mitte 2019 allerdings durch einen gerichtlichen Baustopp unterbrochen, den die benachbarte Best Western GmbH erwirkt. Monate später geht es weiter. Der Berliner Investor Lianeo Real Estate (ehemals Intown Property) kündigt an, dass das Astoria Ende 2025 als Vier-Sterne-Plus-Haus neu öffnen soll – samt 250 Zimmern und Suiten mit 500 Betten, die sich an historischen Grundrissen orientieren. Angeboten werden sollen viel Gastronomie und ein Kongresszentrum für bis zu 1.000 Gäste. Der alte Haupteingang, der zur Eröffnung 1915 genau gegenüber vom
Hauptbahnhof lag, kehrt zurück. Im Erdgeschoss entstehen eine Bar und ein Restaurant. Über der geplanten Tiefgarage im Hof werden fünf Ballsäle errichtet. Im fünften Obergeschoss soll es eine „roof top bar“ geben, auf der Seite der Kurt-Schumacher-Straße ist eine Gaststätte mit Dachterrasse geplant. Ob alle Pläne so aufgehen und unter welchem Namen das Hotel dann auftritt, bleibt allerdings abzuwarten.

Traditionshaus für wohlhabende Gäste aus aller Welt


Das Hotel Astoria Leipzig entsteht zwischen 1913 bis 1915.
William Lossow und Max Hans Kühne liefern den Entwurf. Beide gehören vor dem Ersten Weltkrieg zu den renommiertesten Dresdner Architekten und entwerfen auch den Leipziger Hauptbahnhof. Hotel und Bahnhof werden zeitgleich eröffnet. Auf einer Fläche von rund 2.800 Quadratmetern stehen 200 Zimmer, 60 Bäder, mehrere Restaurants, eine Bar sowie ein Tanzcafé für die Gäste bereit. Hinter der Empfangstheke gibt es einen mit 20 Zentimetern dicken Metallwänden gesicherten Tresorschrank, in dem die betuchten Gäste Schmuck und Geld aufbewahren können. Im Erdgeschoss erwartet sie eine behaglich ausgestattete Wandelhalle. Es existiert sogar eine Garage für Automobile – für diese Zeit eine beachtliche Neuerung, die den gehobenen Status des Hotels unterstreicht. Zeitgenössische Zeitungen loben, dass in den Zimmern des Hotels jede Eintönigkeit vermieden wird. Sei es durch unterschiedliche Wandverkleidungen oder Wandfarbe sowie die Möblierung.

Wohlhabende Gäste aus aller Welt logieren für rund zwei Jahrzehnte im Astoria. Einschneidende Veränderungen bringt das Dritte Reich. Den Nationalsozialisten gefällt es nicht, dass das Hotel dem jüdischen Bauunternehmer Carl Ottokar Cohn gehört. Er wird von den Nationalsozialisten gezwungen, es weit unter Wert an den Staat zu verkaufen. Cohn wird 1938 von der Gestapo verhaftet. Durch den Verkauf entkommt er dem Konzentrationslager. Juden sind seit dem Novemberpogrom 1938 im Hotel unerwünscht – auch zur Leipziger Messe.

Die Gäste werden ursprünglich am Haupteingang Blücherstraße direkt gegenüber vom Hauptbahnhof empfangen, in der heutigen Kurt-Schumacher-Straße. Verlegt wird dieser erst nach dem Wiederaufbau des Grandhotels, das bei den Bombenangriffen vom 4. Dezember 1943 teilweise zerstört wird. Dach und Fassade bleiben aber intakt.

Astoria wird wieder ein Aushängeschild


Die Kriegsschäden sind nicht gering. Die Rote Armee nutzt das Astoria als Quartier. Trotzdem gelingt es, einige Zimmer des Hotels schon zur Frühjahrsmesse 1946 bereitzustellen. Durch Gäste aus aller Welt zieht wieder ein Hauch von Internationalität, wie vor dem Zweiten Weltkrieg, ein. 1949 kann das „Astoria“ offiziell wieder öffnen. Viele Instandsetzungsarbeiten ziehen sich jedoch bis in das Jahr 1952 hin. Ende der 1950er Jahre entsteht ein Anbau. 1953 kommt das Hotel unter die Regie staatlicher Leitung.

Schnell wird das Astoria wieder zum Aushängeschild der Stadt. Es kommen auch wieder gut betuchte Gäste. Dennoch gerät das Traditionshaus in schwieriges Fahrwasser, weil die Preise jenen anderer Hotels angeglichen werden müssen. 1965 wird es in den Verbund der Interhotels der DDR eingegliedert. Das einstige Renommierhotel wird schließlich zum sozialistischen Hotelbetrieb. Doch es kann seine herausragende Stellung auch zu DDR-Zeiten behaupten.

Bei den älteren Leipzigern hat fast jede Familie eine Geschichte zu erzählen, die sie mit der Herberge verbindet. Viele haben hier Hochzeiten, Betriebsfeiern und vieles mehr in gehobenem Ambiente erlebt. Über acht Jahrzehnte tragen Generationen von Kellnern, Zimmermädchen, Köchen, Liftboys und viele andere Servicekräfte zum guten Ruf des Hotels bei. Für die Beschäftigten des Hotels bedeuten vor allem die Messewochen den Ausnahmezustand. Das Astoria wird auch offizielles Protokoll- und Regierungshotel. Die Servicekräfte sind zum Schweigen verpflichtet, ganz wie Pfarrer oder Rechtsanwälte. Sie dürfen nicht erzählen, welche Prominenten nach einem ausufernden Umtrunk „vom Stuhl gefallen sind“. Und auch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR sowie die Devisenbeschaffer des DDR-Außenhandels quartieren sich hier regelmäßig ein, wie zahlreiche Fernsehdokumentationen zeigen.

Astoria-Mannschaft trifft sich jedes Jahr


Der Leipziger Autor
Henner Kotte hat ein Buch über die Geschichte der außergewöhnlichen Herberge geschrieben. Es ist im März 2022 im Mitteldeutschen Verlag erschienen und liest sich sehr spannend. Der Titel lautet: „Astoria Leipzig – Biografie eines Hotels“. Zu dieser Publikation hat auch Gästeführerin Christa Schwarz, einst Verkaufsleiterin des „Astoria“, mit Schätzen aus ihrem Privatarchiv erheblich beigetragen. Alljährlich am 5. Dezember trifft sich die Astoria-Mannschaft, um an die glanzvollen Zeiten der Nobelherberge zu erinnern und gemeinsam zu hoffen, dass ihr Stern eines Tages wieder am Leipziger Himmel aufgeht.

Stand: 11.04.2024

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Mathias Orbeck
Der in Leipzig-Connewitz geborene und aufgewachsene Journalist ist leidenschaftlicher Radfahrer und Naturliebhaber. 35 Jahre lang arbeitete der Lokalpatriot als Redakteur und Reporter bei der Leipziger Volkszeitung. Inzwischen als freier Autor tätig, gilt sein Interesse nach wie vor Leipzigs Historie sowie den schönen Seiten seiner Heimatstadt, deren Attraktionen er gern Gästen zeigt.
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