Das 1991 vom französischen Künstler Blek le Rat (bürgerlicher Name: Xavier Prou) geschaffene Schablonengraffito „Madonna mit Kind“ (Pour Sybille) auf der Fassade der Karl-Liebknecht-Straße 7 gilt als ältestes erhaltenes Werk dieser Art des Franzosen und zählt zu einem der sehr wenigen denkmalgeschützten Graffiti im deutschsprachigen Raum. Blek le Rat widmete das Wandbild seiner späteren Ehefrau Sybille. Es wurde im Jahr 2012 unter aufgeklebten Plakaten wiederentdeckt und von Blek le Rat restauriert. Der Künstler gilt als Vater des Schablonengraffito, die auch als Pochoir oder Stencil bezeichnet werden.
Von der Liebesbekundung zum Kulturdenkmal
Im Jahr 1991 nahm der damals 40-jährige französische Künstler Xavier Prou, weltweit bekannt unter dem Pseudonym Blek le Rat, an einem Graffitifestival an der Universität Leipzig teil. Dort verliebte er sich in die Organisatorin Sybille und schuf kurz darauf im September 1991 an der Fassade der Karl-Liebknecht-Straße 7 das Graffito „Madonna mit Kind“ mit dem Schriftzug „Pour Sybille“ (dt. „Für Sybille“), um ihr zu imponieren. Die Angebetete, die erst wenige Tage später von dem Werk erfuhr, war von der Aktion offenbar äußerst beeindruckt. Blek le Rat und Sybille heirateten ein Jahr später und bekamen einen Sohn. Der Franzose gilt als Wegbereiter des Schablonen-Graffiti innerhalb der Streetart, obwohl diese Technik bereits zuvor vereinzelt genutzt wurde. Nach seinem Grafik- und Architektur-Studium an der Pariser Kunsthochschule schuf er zunächst kleinformatige Motive wie Bananen, Ratten und Panzer im öffentlichen Raum. Schließlich folgten größere Schablonen, darunter Politiker, Künstler, Zentauren, Faune, Jesus und verschiedene Madonnen. Die einst romantische Liebesbotschaft zählt zu den Frühwerken des französischen Künstlers und hat heute nicht nur einen enormen kulturellen, sondern auch finanziellen Wert. Das Leipziger Wandbild entstand als Schablonengraffito nach dem Vorbild der berühmten „Madonna dei Pellegrini“ (dt. Pilgermadonna), einem zwischen 1604 und 1606 von Caravaggio in Rom geschaffenen Ölgemälde. In diesem Sinne sprühte Blek le Rat die Maria und das Jesuskind ebenso seitenverkehrt. Diese blickten ursprünglich auf zwei winzige menschliche Figuren links von der Madonna, welche allerdings nicht mehr erhalten sind.
Leipzigs Madonna zwischen Standortdebatten und Konservierungsbestrebungen
Das Graffito geriet im Laufe der Jahre in Vergessenheit und wurde erst im Jahr 2012 bei der Sanierung des 1866 erbauten Gründerzeithauses unter alten Plakaten von der Leipziger Streetart-Expertin Maxi Kretzschmar wiederentdeckt. Um den Wert des Graffitos wissend, setzte sie sich für dessen Erhalt ein. Bei der Wiederentdeckung des Kunstwerkes handelte es sich um eine kulturgeschichtliche Sensation sowie – als Ausdruck einer deutsch-französischen Liebesgeschichte – um eine besondere Anekdote ein Jahr vor dem 50-jährigen Jubiläum zur Unterzeichnung des Élysée-Vertrages 1963. Zur Erhaltung und langfristigen Sichtbarkeit des Kunstwerkes wurden Überlegungen angestellt, das Graffito im Museum der Bildenden Künste, im Museum für Angewandte Kunst oder in der Galerie für Zeitgenössische Kunst auszustellen. Hierfür beauftragte der Hausherr und private Bauträger Horst Langner bereits eine Baufirma, das rund 300 Kilogramm schwere Stück aus der Fassade herauszuschneiden. Nachdem Maxi Kretzschmar den Kontakt zu Blek le Rat herstellte und ihm einen Brief schrieb, bat der Künstler aufgrund des besonderen emotionalen Wertes für ihn und seine Frau Sybille darum, das Graffito an seinem Platz an der Hausfassade zu belassen. Vor diesem Hintergrund entschied man sich schließlich gegen das Vorhaben eines Abtransports in ein Leipziger Museum.
Blek le Rat reiste im Jahr 2012 nach Leipzig, um das unterdessen stark verblichene Graffito an der Fassade persönlich zu restaurieren. Bei dem Wandbild handelt es sich um sein ältestes erhaltenes Kunstwerk dieser Art. Das Graffito wurde mit einer dicken Schutzscheibe versehen, deren Kosten in Höhe von 9.000 Euro Horst Langner und die Stadt Leipzig trugen. Es wurde nach der Restaurierung am 12. April 2013 feierlich enthüllt. Seitdem ist es für die Öffentlichkeit hinter einer Glasscheibe sichtbar. Das unter Denkmalschutz stehende Kunstwerk zählt zu den wenigen denkmalgeschützten Graffiti im deutschsprachigen Raum.
Kunst contra Vandalismus
Doch bereits wenige Tage nach der Enthüllung wurde die Glasscheibe, hinter der sich das Kunstwerk befindet, von Graffitisprayern mit Tags besprüht und später von wilden Plakatierern zugeklebt. Auch Aufkleber aus der linksautonomen Szene „zierten“ schnell das denkmalgeschützte Werk. Der Hauseigentümer kam mit den Reinigungsarbeiten kaum hinterher, so dass Blek le Rats Graffito weitere Jahre unsichtbar blieb. Im April 2022 wurden die Plakate wiederholt entfernt, die Scheibe gereinigt und der deutsche Hinweistext in die französische und englische Sprache übersetzt. Es bleibt zu hoffen, dass die bedeutende Straßenkunst auch zukünftig die belebte Karl-Liebknecht-Straße bereichert und Passanten zum Verweilen einlädt.
Stand: 27.09.2023