Sie dient vielen als Fotomotiv. Die Bronzeplastik vor dem Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig in der Grimmaischen Straße 6 lässt darüber hinaus viel Raum für Diskussionen und Interpretationen. Das hat der Künstler Wolfgang Mattheuer beabsichtigt, der mit dem „Jahrhundertschritt“ ein Symbol für die Menschheit geschaffen hat, die zwischen den Ideologien zerrissen wird, und die versucht, daraus zu lernen und vorwärts zu kommen. Dabei tritt die Skulptur ihren Betrachtern durchaus aggressiv entgegen.
Die Skulptur zeigt eine gedrungene Gestalt, die einen ausladenden Schritt nach vorn macht. Mit einem Bein drängt die Figur vorwärts, das andere Bein steckt in einem schweren Soldatenstiefel, bremst sie förmlich ab. Die Gestalt hebt den rechten Arm zum Hitlergruß, während der linke Arm als Faust nach oben gereckt ist. Das erinnert an die Kommunistenfaust. Der Kopf hingegen ist in einer Art Uniformjacke verschwunden.
Ein Volk zwischen zwei Diktaturen
Die Plastik stammt aus dem Jahr 1984. Eine erste Präsentation der bemalten Gipsfassung erfolgt auf der 11. Bezirkskunstausstellung 1986 in Leipzig. Der „Jahrhundertschritt“ taucht jedoch schon früher in den Werken Mattheuers auf. Er ist wohl seine persönliche Bilanz des 20. Jahrhunderts: Ein Volk ist hin- und hergerissen zwischen zwei Diktaturen.
1987/88 wird das Werk bei der zehnten Kunstausstellung der DDR in Dresden gezeigt. Das Publikum kürt es zum wichtigsten Werk der DDR-Ausstellung, die durch die Friedliche Revolution die letzte sein wird. Ein Jahr davor, am 7. Oktober 1988, tritt Mattheuer aus der SED aus, der er seit 1958 angehört. Er ist ein aktiver Teilnehmer der Leipziger Montagsdemonstrationen. Gegen Ende der DDR wird Mattheuer, der von der DDR-Staatssicherheit seit den 1960er Jahren beobachtet wird, als Staatsfeind eingestuft.
Stiftung erinnert an Schaffen Mattheuers
Mattheuer ist ein Vertreter der Kunstrichtung Leipziger Schule. Die Plastik „Der Jahrhundertschritt“ ist das Hauptwerk des Künstlers, der 2004 in Leipzig verstorben ist. Weitere Abgüsse der Skulptur befinden sich in Oberhausen, in Halle sowie im Innenhof des Museums Barberini in Potsdam. Versionen stehen in Berlin sowie vor dem Haus der Geschichte in Bonn, zu dem das Leipziger Zeitgeschichtliche Forum gehört.
In Leipzig gibt es eine von seiner Ehefrau Ursula Mattheuer-Neustädt im Jahre 2006 geschaffene Stiftung. Ihr Anliegen und Zweck ist es, das künstlerische Werk beider Künstler zu bewahren, wissenschaftlich zu bearbeiten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Stiftung befindet sich in der Hauptmannstraße 1. In ihrem Besitz befinden sich zahlreiche Gemälde, Plastiken, Zeichnungen und grafische Blätter aus dem Nachlass von Wolfgang Mattheuer sowie das gesamte künstlerische Schaffen von Ursula Mattheuer-Neustädt.
Am Postament der Bronzeplastik befindet sich eine Hinweistafel mit den folgenden Zeilen:
Der Jahrhundertschritt von Wolfgang Mattheuer
symbolisiert das Verhältnis der Deutschen
zu den beiden totalitären Systemen im 20. Jahrhundert.
Der Erwerb wurde möglich durch
durch die großzügige Unterstützung der DePfa Bank AG.
Zur Geschichte von Diktatur und Widerstand in der DDR
erfahren Sie Näheres in der Dauerausstellung
des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig.
Der Eintritt ist frei.
Stand: 16.12.2024