Das „Blaue Wunder“ ist zuletzt eigentlich grau. Denn die hellblaue Farbe, die der Fußgängerbrücke über den nordwestlichen Ring im Volksmund ihren Namen gibt, ist spätestens 1991 verschwunden. Dennoch hat sich der Name – wohl in Anlehnung an die gleichnamigen Elbbrücke in Dresden – ins kollektive Gedächtnis der Leipziger eingeprägt, zumal diese Brücke auch während der Montagsdemonstrationen 1989/1990 eine besondere Bedeutung erlangt. Von hier aus schießen Fotografen unzählige Fotos, die den Ruf Leipzigs als Stadt der Friedlichen Revolution in alle Welt tragen.
Fußgängerbrücke wird 2004 abgerissen
Seit 2004 gehört das „Blaue Wunder“ zu den verlorenen Orten in Leipzig – die Brücke wird infolge einer geänderten Verkehrsführung, mit der Leipzig sich auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 vorbereitet, abgerissen. Das hat teilweise zu Protesten in der Bevölkerung geführt. Beim Lichtfest Leipzig 2024 erlebt das „Blaue Wunder“ zumindest virtuell ein Comeback. Drei Jahre zuvor diskutiert der Stadtrat eine Petition, die Brücke über die vielbefahrene Kreuzung wiederzuerrichten. Diese bekommt jedoch keine Mehrheit. Ein Wiederaufbau wäre viel zu teuer, begründet die Verwaltung. So müssten beispielsweise Fahrstühle angebaut werden, eine behindertengerechte Rampe darf maximal sechs Prozent Neigung haben.
Konstruktion sollte erweitert werden
Das „Blaue Wunder“ ist eine Stahlkonstruktion, die Fußgänger über den damaligen Friedrich-Engels-Platz, die heutige Straßenkreuzung Goerdelerring/Tröndlinring, geleitet. Die Firma DR Stahlbau Dessau erbaut den Teil über den Tröndlinring im Juni bis August 1973. In lediglich zwei Nachteinsätzen schrauben und schweißen Monteure der Firma die vorproduzierte Fußgängerüberführung zusammen, berichtete die LVZ am 28. Juni 1973. Ende 1977 wird schließlich der Teilbereich über den heutigen Goerdelerring ergänzt. Damals wird sogar noch erwogen, die Konstruktion künftig viereckig zu gestalten – also auch über den heutigen Ranstädter Steinweg und die Pfaffendorfer Straße zu verlängern. Das wird allerdings nie umgesetzt.
Im Vorfeld wird auch der Bau eines Fußgängertunnels geprüft. Da in jenem Bereich des Rings im Untergrund besonders viele Leitungsstränge verlaufen, die teilweise verlegt werden müssten, wird dies aber verworfen.
Treppen sowie Schrägaufgänge beschwerlich
Die Brücke soll eine sichere Überquerung der Fahrbahnen und der Straßenbahngleise auf der breiter gewordenen Straße gewährleisten. Das konnte für Passanten im Rollstuhl oder für Familien mit Kinderwagen durchaus beschwerlich sein, da die Brücke nur Treppen- sowie Schrägaufgänge hatte. Für Ältere sind die Stufen oft mühsam. Schwierig wird es, wenn der Winter mit Eis und Schnee die Brücke in Besitz nimmt. Denn dort durfte kein Split gestreut werden, der dann möglicherweise auf die Fahrbahn hinunterfällt. Das Streusalz wird mit Schubkarren transportiert, was ebenfalls herausfordernd war.
Anfang Juli 2004 wird die Kreuzung unter dem „Blauen Wunder“ umgebaut, die Brücke abgerissen. Mit Schneidbrennern werden zunächst die Geländer abgetrennt und dann die Brücke über den Tröndlinring in zwei Teile zerlegt. Die jeweils 34 Meter langen und 60 Tonnen schweren Brückenteile werden von einem gigantischen Kran aus ihrer Lage gehoben.
Eine Kreuzung ohne Brücke schaffe eine „räumlich großzügigere Lösung“, heißt es damals. Durch die Beseitigung der Stützpfeiler konnte zudem viel Platz gewonnen werden, um den Autoverkehr neu zu regeln. Bei vielen Leipzigern ist der Abriss der Fußgängerbrücke jedoch nach wie vor umstritten.
Stand: 25.02.2025