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Balla, Zsolt

Orthodoxer Rabbiner, Militärseelsorger | geb. am 18. Februar 1979 in Budapest (Ungarn)

Er hat schon Geschichte geschrieben: Zsolt Balla ist einer von zwei orthodoxen Rabbinern, die in der Bundesrepublik ausgebildet werden und als Erste nach 1938 ins Amt eingeführt werden. Seine Ordination, die er 2009 gemeinsam mit Avraham Radbil erfährt, ist ein historischer Moment und etwas Besonders. Doch besonders fühlt er sich eigentlich nicht. Balla ist damals gerade mal 30 Jahre alt.

Geboren wird Zsolt Balla am 18. Februar 1979 in Budapest/Ungarn. In seiner Familie wächst er zunächst völlig unreligiös auf. Sein Vater ist Oberstleutnant in der ungarischen Armee und leitet eine Kaserne. Zsolt geht zur Schule, interessiert sich für Bücher. Auch die Geschichten aus der Bibel haben es dem Jungen angetan. Von 1988 an wird an der Schule katholischer Bibelunterricht angeboten – das sozialistische System in Ungarn steht damals kurz vor dem Zusammenbruch.

Jüdische Wurzeln und Familienschicksal


Der damals Neunjährige fragt die Mutter, ob er den Bibelunterricht besuchen darf. Sie meint daraufhin nur: Wir müssen reden. Und erzählt, dass der Großvater Levit war. Statt in die Kirche geht der Junge von da an in die Synagoge. Und erfährt Näheres über das Schicksal seiner Familie im Nationalsozialismus.

„Meine Mutter und meine Großeltern haben die Shoa überlebt“, erzählt Balla. Zu verdanken haben sie es, wie nahezu tausend ungarische Juden, dem schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg, der in Budapest eine beispielslose Rettungsaktion organisiert. Wallenberg kann sie vor dem Tod bewahren, indem er sie mit schwedischen Pässen ausstattet und in Schutzhäusern unterbringt. Jene Pässe erkennen die Nationalsozialisten und die ungarischen Behörden zumindest teilweise an. Andere Familienmitglieder haben da weniger Glück.

Vom Wirtschaftsingenieur zum Rabbiner


Nach dem Abitur 1997 beginnt Zsolt Balla ein fünfjähriges Studium Wirtschaftsingenieurswesen an der Technischen Universität in Budapest. Ein Arbeitsleben in der Wirtschaft kann er sich eigentlich nicht vorstellen. Mit seinem Diplom in der Tasche beschließt er 2002, eine Pause einzulegen. Sein Interesse am Judentum prägt sich in jener Zeit immer deutlicher aus.

2002 kommt er nach Berlin und will dort eigentlich nur ein Jahr bleiben. Er hat ein Stipendium bekommen, um die Talmud-Hochschule „Beis Zion“ in Berlin zu besuchen. Dort gefällt es ihm sehr gut. Er lernt, wie man sich alten hebräischen Texten nähert und diese entschlüsselt. Besonders gefallen ihm die Diskussionen mit den Mitschülern. Balla bleibt, studiert weiter am orthodoxen Hildesheimer’schen Rabbinerseminar in Berlin sowie in Jerusalem und lässt sich einbürgern. 

Die Weihe zum Rabbiner erfolgt 2009 zwar in München. Er lebt aber in Berlin. Von dort aus betreut er ein Jahr lang als „Besuchsrabbiner“ Leipzig und die Israelitische Religionsgemeinde.

Viel Freude mit Bassgitarre und Band


In Leipzig lernt er seine Frau
Marina Charnis kennen, die er 2007 heiratet. Mittlerweile hat das Paar zwei Töchter und einen Sohn. Im September 2010 zieht Balla nach Leipzig. 2011 wird er in Leipzig zum Gemeinderabbiner ernannt. Die Gemeinde hat momentan 1.100 Mitglieder. Das sind wieder etwas weniger geworden als vor ein paar Jahren, da einige weggezogen oder gestorben sind.

In der Gemeinde ist der Rabbi in der Band „The Holy Smokes“ zu erleben, die auf Hochzeiten und bei jüdischen Festen spielen. Beispielsweise im Ariowitsch-Haus, dem Kulturzentrum in der Hinrichsenstraße 14. Balla spielt leidenschaftlich gern Bassgitarre. „Ich mag gute Musik, auch mal einen sehr rockigen Klang. Mein Genre ist da nicht Klezmer.“

Ein orthodoxes Leben in Leipzig


Zsolt Balla lebt mit seiner Familie in Orthodoxie. Das bedeutet, treu nach den jüdischen Gesetzen zu leben, mit dem Sabbat, den täglichen Gebeten und der koscheren Ernährung. Gekocht wird zu Hause, in Leipzig existiert ohnehin kein Restaurant mit koscherer Küche. „Zumindest gibt es Kuchen im
Café HaMakom“, sagt er.

Der Rabbiner legt viel Wert darauf, jüdisches Wissen an junge Leute weiterzugeben. Diesem Zweck dient das Tora-Zentrum, das aus einem Jugendzentrum heraus entstanden ist. Eine eigene jüdische Schule gibt es nicht, dafür eine jüdische Kindergartengruppe integriert in eine Kita eines freien Trägers.

Viel Interesse für jüdisches Leben


Um Leipzigern das Judentum näherzubringen, hält Balla regelmäßig Vorträge vor Studenten oder Schulklassen. Vor allem in der
Universität Leipzig. In der Volkshochschule derzeit weniger. Viele Menschen sind interessiert und saugen voller Interesse alles auf, was er über das Judentum und die Synagoge erzählt. Für die meisten ist das nach wie vor eine andere Welt. Seit 2019 ist Zsolt Balla ebenfalls Landesrabbiner von Sachsen.

Ein weiteres Kapitel beginnt für ihn am 21. Juni 2021 in Brodyer Synagoge. Dort wurde Zsolt Balla in sein Amt als Militärbundesrabbiner eingeführt – der erste in der Geschichte der Bundeswehr. In diesem Job ist er sehr viel unterwegs. Mittlerweile gibt es weitere Rabbiner in Hamburg, Köln, Leipzig, München und Schwielowsee bei Potsdam, die sich um Militärseelsorge kümmern. Balla ist ihr religiöser Vorgesetzter, etwa vergleichbar mit dem Status eines Militärbischofs. Wobei es diesen im Judentum nicht gibt. Die Seelsorger sind keineswegs dem deutschen Staat unterstellt, werden vielmehr vom Zentralrat der Juden ernannt.

Brücken bauen in der Bundeswehr


Balla sieht es als Aufgabe, nicht nur das Judentum in der Bundeswehr, sondern auch die Bundeswehr in der jüdischen Gesellschaft zu präsentieren. Neben der Seelsorge gehören lebenskundlicher Unterricht und die Vermittlung jüdischer Werte zu den zentralen Aufgaben. Und es ist ja kein Geheimnis, dass es hin und wieder Skandale mit rechtsextremistischen Kameraden in der Bundeswehr gibt. Der Rabbiner will dazu beitragen, Antisemitismus und Hass durch Gespräche und Austausch zu bekämpfen. „Ich tue mein Bestes, um Brücken zu bauen“, beschreibt Balla das Ziel.

Dabei spürt er die Last der Geschichte auf seinen Schultern, wie er sagt. Nicht im Sinne von belastet. „Es ist eine Verantwortung, eine bessere Zukunft zu gestalten.“ Wie ein Vater gegenüber seinem Sohn. Es ist ohnehin wieder schwieriger geworden, offen als Jude in Deutschland zu leben. Für Leipzig setzt Balla da ein „Ja, aber…“. Es gebe zwar Probleme, Sorgen und Herausforderungen, aber die weltoffene Stadt sei schon noch „eine Insel der Ruhe“. „Ich fühle mich in Leipzig weiterhin sehr wohl.“

Stand: 10.01.2025

Bildergalerie - Balla, Zsolt

Alter Israelitischer Friedhof

Berliner Straße 123 | Ortsteil: Eutritzsch

Er ist ein wenig versteckt hinter einer mit Efeu bewachsenen Mauer. Doch Besucher sind auf dem Alten Israelitischen Friedhof in der Berliner Straße durchaus willkommen. Der ist zwar für die Verstorbenen angelegt, doch Friedhöfe wenden sich bekanntlich auch an die Lebenden. Das gilt besonders für einen jüdischen Friedhof, der mehr als andere Begräbnisstätten Schicksale von Menschen dokumentiert. Mehr als sechs Jahrzehnte, in den Jahren zwischen 1864 und 1928, hat die Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig auf dem Areal zwischen der Berliner Straße und der Theresienstraße ihre Verstorbenen beerdigt. Dann wird es dort zu klein.

Laut jüdischem Glauben dürfen Grabstätten nicht erneut vergeben und belegt werden. Daher legt die Israelitische Religionsgemeinde den Neuen Israelitischen Friedhof in der Delitzscher Straße 224 an. Dieser ist – unterbrochen durch die Zeit des Nationalsozialismus – seit 1927 Bestattungsplatz für die Leipziger jüdischen Mitbürger. Auf dem 19.829 Quadratmeter, also knapp zwei Hektar großen Friedhof, gibt es 4.053 Grabstellen. Die Anlage steht unter Denkmalschutz. Erinnert wird auch an die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus den Konzentrationslagern.

Bekannte jüdische Leipziger sind hier begraben


Wer über den Alten Israelitischen Friedhof schlendert, kann viele Namen der Leipziger Historie entdecken. Darunter jenen der Pädagogin und Frauenrechtlerin
Henriette Goldschmidt, die den ersten Volkskindergarten sowie die erste Hochschule für Frauen in Leipzig gründet. Die Familie des 1925 verstorbenen Getreidegroßhändlers Samuel Kroch, der Leipzig 1928 das Krochhochhaus zu verdanken hat, ist ebenfalls teilweise hier bestattet. Ebenso Pascal Deuel, der erste Leiter des von Chaim Eitingon für die Bürger der Stadt Leipzig gestifteten Eitingon-Krankenhauses.

Tausende Namen von Menschen, die in Leipzig gelebt und ihre Spuren hinterlassen haben, sind hier in Stein gemeißelt. Doch viele ihrer Grabsteine sind verwittert und somit dem Verfall preisgegeben. Das unterscheidet den alten jüdischen Friedhof kaum von kommunalen Friedhöfen, an deren Grabmalen ebenfalls der Zahn der Zeit nagt. Der Alte Israelitische Friedhof steht jedoch komplett unter Denkmalschutz. Er wird vom städtischen Amt für Stadtgrün und Gewässer – mit Zuschüssen vom Bund und vom Freistaat Sachsen – gepflegt und unterhalten. Dennoch ist der starke Verfall auf dem größten jüdischen Friedhof in Sachsen zu spüren.

Schlichte und aufwändige Grabstätten


Da gibt es schlichte, oft verwitterte und teils umgestürzte Sandsteine. Die erheben sich dicht aneinander gedrängt aus dem Boden. Hebräische Inschriften sind kaum noch zu lesen. Sie stehen Seite an Seite mit Grabsteinen aus Granit oder Marmor. Es gibt Sockel und Grabeinfassungen, aber auch bepflanzte Hügel. Vieles weicht schon vom ursprünglichen jüdischen Bestattungsritual ab. Doch es ist ein Beleg, wie das orthodoxe und liberale Judentum in Leipzig nebeneinander existiert. Es gibt auch aufwändig angelegte Grabstätten im Stile christlicher Bestattungsrituale. Die Gemeinde erlaubte, ab 1884 auch nichtjüdische Angehörige zu beerdigen.

Davidsterne, Thorarollen, die segnenden Hände des Kohen und andere Symbole des Judentums prägen das Bild. Ortsangaben wie Krakau, Brody, Lemberg und Odessa stehen auf Grabmalen und verdeutlichen, woher die jüdischen Familien einst kommen. Die Inschriften sind teils in deutscher, teils in hebräischer Sprache.

Es gibt auch ein Kriegerdenkmal, das von Stolz und Nationalismus berichtet. Es erinnert an die jüdischen Gefallenen im Ersten Weltkrieg. Das Denkmal besteht aus Steinen mit den Namen der Gefallenen. Zwei ruhende Löwen am Fuß symbolisieren ihre Tapferkeit. Wilhelm Haller hat dieses Ehrenmal im Stil des Art déco geschaffen.

An den Außenmauern, aber auch an Zwischenwänden befinden sich die Wandgrabstätten bedeutender jüdischer Familien. Der Friedhof wird von einer Mittelallee durchschnitten, die jede Abteilung in ein linkes und ein rechtes Gräberfeld teilt. Insgesamt ist er in fünf Abteilungen untergliedert.

Kinder müssen auf dem Friedhof spielen


Ein normales Leben können jüdische Bürger im Nationalsozialismus nicht führen. Alles wird in Verordnungen und Verboten geregelt. So dürfen jüdische Kinder nicht auf öffentlichen Plätzen spielen – ihnen bleibt ein Spielplatz auf dem alten Friedhof, wo sie wenigstens unbehelligt sind. Für sie ist dieser ein „guter Ort“, wie Friedhof auf Hebräisch heißt. An diese traurige Situation wird erinnert, für die hier bestatteten Kinder gibt es seit 1996 einen Gedenkstein.

Den Leipziger Juden, sofern sie noch nicht vertrieben oder deportiert wurden, bleibt während des Nationalsozialismus das Begräbnis auf dem Neuen Israelitischen Friedhof verwehrt. Die Toten müssen ab Juli 1940 auf dem alten Friedhof begraben werden, der ansonsten erstaunlicherweise in der NS-Zeit nicht angetastet wird. Zerstört wurde die Trauerhalle und die benachbarte Gärtnerwohnung dann beim großen anglo-amerikanischen Luftangriff auf Leipzig am 4. Dezember 1943. Die Ruinen – auch von zerstörten Gräbern – sind zu einem Hügel aufgeschüttet worden, der auch begrünt wird.

Carlebach Stiftung dokumentiert alle Grabsteine


Die Ephraim Carlebach Stiftung hat die historische Anlage in einem mehrjährigen Projekt umfangreich dokumentiert. So sind alle Grabsteine erfasst, hebräische Inschriften teilweise übersetzt sowie Familienbiografien zu ausgewählten Grabstellen angelegt. Zu diesem Zweck wurden eine Datenbank sowie eine Fotokartei erstellt, die systematisch ergänzt werden. Die Leipziger Fotografin
Sylvia Hauptmann hat jede Grabstelle in mehreren Perspektiven in ihrem aktuellen Zustand dargestellt und beschrieben.

Stand: 11.07.2024

Auensee

Gustav-Esche-Straße, Rittergutsstraße | Ortsteil: Wahren

Ein Badegewässer ist es nicht. Dabei besitzt der Auensee im Leipziger Stadtteil Wahren einst ein Freibad. Doch das muss aufgrund der schlechten Wasserqualität 1979 geschlossen werden – seitdem gilt ein Badeverbot. In heißen Sommern bei starker Sonneneinwirkung treten regelmäßig Blaualgen auf, die Karpfen, Hecht, Zander und Co. arg zu schaffen machen und selbst für Hunde gefährlich werden können. Dennoch ist der Auensee ein beliebtes Erholungs- und Ausflugsgebiet. Die Natur rund um den 12 Hektar großen See im Landschaftsschutzgebiet „Leipziger Auwald“ lädt regelrecht zum Entschleunigen ein. Beliebt bei Familien ist die Parkeisenbahn, die in der Saison von Anfang April bis Ende Oktober gemütlich um den Auensee zuckelt. Und auch das Haus Auensee zieht Besucher aus nah und fern regelmäßig zu Konzerten an.

Kiesabbau für den Hauptbahnhof


Der Auensee ist ein künstlich entstandener Landschaftssee, der sich an manchen Tagen sogar ein wenig verwunschen zeigt. Im 19. Jahrhundert wird auf dem Areal in der nordwestlichen
Elsteraue Lehm abgebaut, um die Ziegeleien zu versorgen. Später entdeckt man dort Kies, der von der Firma Willybald Hoffmann für den Bau des Leipziger Hauptbahnhofes verwendet wird.

Bereits 1908 gibt es erste Pläne der Bank für Grundbesitz Leipzig, einen künstlichen See samt Vergnügungsetablissement anzulegen. Der See wird aus dem Wasser eines Nebenarmes der Weißen Elster gespeist, das sogenannte Hundewasser ist aber schon lange zugeschüttet. 1913 kann der Luna-Park schließlich dank der ein Jahr zuvor gegründeten gleichnamigen Luna-Park-Gesellschaft GmbH öffnen. Absolute Attraktion wird die Gebirgsszenerie-Bahn, eine Achterbahn mit Alpenkulisse. Die mächtige Alpenkulisse ist 160 Meter lang und 30 Meter breit. Es ist die Zeit, als in Leipzig große Vergnügungsstätten wie der Krystallpalast, der Palmengarten sowie der Felsenkeller entstehen.

Ein Ort „vielerlei Lustbarkeiten“


Kurz vor dem Ersten Weltkrieg entwickelt sich das Areal um den Auensee als beliebter Ort für „vielerlei Lustbarkeiten“, wie es in zeitgenössischen Veröffentlichungen heißt. Dabei profitieren die Lunapark-Investoren von der
Internationale Baufachausstellung (IBA) in Leipzig im Jahre 1913. Diese endet zwar mit einem finanziellen Desaster. Aus der Konkursmasse können sich die Investoren jedoch bedienen. Zum Schnäppchenpreis erwerben sie zwei kleine Dampfloks, die wenig später den Luna-Express um den See ziehen. Für die Bahn wird sogar eine Brücke gebaut. Die Grundstücke verpachten die Betreiber an Wirte und Schausteller. Eine Reithalle namens Hippodrom, eine Gondelstation, ein Motodrom sowie der Musikpavillon und ein Tanzpalast werden zum Publikumsmagneten. Alte Postkarten, etwa vom „Gebirgsrestaurant“, lassen erahnen, dass dort wohl eine Stimmung wie auf dem Münchner Oktoberfest herrscht.

Eine der Attraktionen wird das Strandbad am östlichen Ufer. Dafür wird sogar Sand von der Ostsee geholt. 1919 wird das Sportbad mit 100-Meter-Bahnen eingerichtet, das auch als Neptunbad bekannt wird. Eigentümer ist der LSC Neptun. 

Im See gibt es Schwimmwettkämpfe, das Bad hat einen zehn Meter hohen Sprungturm. Verschiedene Schwimmvereine trainieren hier. 1921 erlebt der Auensee sogar eine vom Schwimmverein Poseidon organisierte Deutsche Schwimmmeisterschaft.

Vergnügen endet mit der Inflation


Ende der 1920er Jahre stellen verschiedene Amüsierbetriebe und Gaststätten ihren Betrieb ein. Der Luna-Park
überlebt die Inflationsjahre und Weltwirtschaftskrise nicht. 1932 wird die GmbH zwangsversteigert. Vorhandene Bauten verschwinden spätestens mit der Regulierung der Neuen Luppe im Jahr 1934. Vom Park blieb lediglich das Hauptrestaurant erhalten, welches 1936 in Haus Auensee umbenannt und weiterhin für Veranstaltungen genutzt wird. Die Stadt Leipzig wird 1941 Eigentümerin des Areals. Nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es Pläne, einen Volkspark zu gestalten. Das Haus Auensee wird zu DDR-Zeiten als HO-Gaststätte geführt und für viele Veranstaltungen genutzt.

Seit Sommer 1951 dreht die Miniaturbahn ihre Runden um den idyllischen Auensee. Der Fahrbetrieb wird von Kindern und Jugendlichen in der Freizeit durchgeführt. Sie startet am 5. August 1951 als zweite Pioniereisenbahn der DDR. Auf dem Rundkurs mit einem Bahnhof und den drei Haltepunkten legt sie schon damals eine Strecke von 1,9 Kilometern zurück. Heute wird die Parkeisenbahn von einem gleichnamigen gemeinnützigen Verein betrieben. Während der Betriebszeiten werden am Bahnhof Fahrräder verliehen und der Verkaufskiosk hat geöffnet.

Eins der modernsten Konzerthäuser Europas


Nach der
Friedlichen Revolution will Leipzig Investoren gewinnen, die neue Ideen für die Erholungslandschaft rund um den Auensee entwickeln und Geld investieren. Um Anreize zu schaffen, bietet die Stadt ihnen Grundstücke – etwa für ein Freizeithotel – an. Diese Pläne werden aber zum Glück nie realisiert.

Das Haus Auensee steht zwischen 1998 und 2006 unter Insolvenzverwaltung, wird aber für einzelne Veranstaltungen vermietet. Die MAWI Concert GmbH um Veranstalter Matthias Winkler, die seit den frühen 1990er Jahren dort regelmäßig Konzerte anbietet, erwirbt es schließlich. Betrieben wird es von der 2010 eigens gegründeten „Haus und Park Entertainment GmbH“. Die saniert das Gebäude und entwickelt es zu einem der modernsten Konzerthäuser Europas.

Der Auensee wird heute hauptsächlich durch sauerstoffloses und nährstoffreiches Grundwasser gespeist. Das erklärt das hohe Algenwachstum und die Verschlammung. Das Umweltamt der Stadt Leipzig bringt daher regelmäßig Tiefenwasserbelüfter zum Einsatz, die dem See Sauerstoff zuführen. Ab und an riecht der See sogar ein wenig. Das stört die Gäste, die im Haus am See einen Pelikan, einen Schwan oder ein Tretboot ausleihen aber wenig. Ganz idyllisch gelegen, lockt der liebevoll ausgebaute Imbiss an lauen Sommertagen reichlich Besucher an. Ebenso wie der Spielplatz und die bereits erwähnte Parkeisenbahn. Viele Infotafeln informieren zudem, welche Tiere hier leben. Der See ist als Angelgewässer verpachtet. Der zwischen 3 und 8 Meter tiefe Auensee ist rundherum gut begehbar.

Durch die Gustav-Esche-Straße getrennt, befindet sich seit 1969 der Campingplatz Auensee in der Nähe. Hausherr ist dort inzwischen die Helmut Knaus KG aus dem unterfränkischen Ochsenfurt, die verschiedene Campingparks in ganz Deutschland betreibt. Wohnwagen- Stellplätze, Zeltplätze, Ferienhäuser sowie Finnhütten gehören zum Angebot. 

Stand: 17.07.2024

Villersbrunnen

Tröndlinring 9 | Ortsteil: Zentrum-Nord

Am Tröndlinring vor dem Ring-Messehaus und seitlich vom Hotel Fürstenhof befindet sich mit dem Villersbrunnen eine der schönsten Leipziger Brunnenanlagen, gestaltet im Jugendstil. Der Zierbrunnen verdeutlicht auf spielerische Weise die Bedeutung des Wassers für den Menschen und seine erfrischende und Durst stillende Wirkung. Aufgrund der Lage direkt am Ring und den damit verbundenen Verkehrsströmen wird die beschauliche Oase von den vorbeieilenden Passanten kaum wahrgenommen. Im Sommer sind es vor allem die Gäste des seit 2017 im Ring-Messehaus eröffneten Budget-Hotels Travel24, die sich eine kleine Abkühlung gönnen. Früher galt das Areal, das über 70 Jahre Löhrs Platz hieß, als eine der besten Adressen Leipzigs. Der Brunnen stand vor dem Baumgartenschen Haus, das 1924 dem Bau des Ring-Messehauses weichen musste.

Lebendige Erinnerung an zwei Schwestern


Die Initiative für die Errichtung des Villersbrunnen stammt von Stadtrat
Carl Geibel und Alphons Friedrich Dürr, dem Besitzer des Wissenschaftsverlags Duncker & Humblot. Beide Verlagsbuchhändler waren mit der namengebenden Familie von Villers verwandt, der das Grundstück am heutigen Tröndlinring 9 gehörte. Dürr war mit Helene von Villers verheiratet, die bereits 1854 nach kurzer Ehe verstarb. Ihre Schwester Mathilde Baumgarten (geb. von Villers) war die Schwiegermutter von Carl Geibel. Die Anlage erinnert an die beiden Schwestern von Villers. Für den Entwurf des Brunnens wurde 1903 Max Unger-Steglitz beauftragt. Der Berliner Bildhauer hatte zuvor 1898 das Standbild Otto I. für die damalige Siegesallee in Berlin geschaffen und 1900 das Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Ulm.

Das wechselvolle Schicksal des Zierbrunnens


Die feierliche Einweihung des Villersbrunnen fand am 6. November 1903 vor dem Haus Löhrs Platz 5, seit 1909 Tröndlinring 9, statt. Er befindet sich inmitten einer
attraktiven Blumenrabatte. Sein Fundament besteht aus einem ovalen Brunnenbecken, hergestellt aus Donaukalkstein. Die figürlichen Teile sind aus Bronze gefertigt und wurden von der AG Gladbeck in Berlin gegossen. Im Brunnen sockelt ein kleineres Wasserbecken. Dieses wird von drei ineinander verschlungenen Delphinen gestützt, aus deren weit geöffneten Mündern Wasserstrahlen in das große Brunnenbecken spritzen. Im kleineren Becken steht ein nacktes Mädchen, das sich ihr Kleid über die Schulter geworfen hat und genüsslich aus einer Schale trinkt. Die ursprüngliche Bronzeplastik wurde 1942 eingeschmolzen, um im Zweiten Weltkrieg die Rüstungsindustrie zu unterstützen. 1989 schuf Ullrich Holland eine neue Bronzefigur, die jedoch 1992 gestohlen wurde und wiederholt ersetzt werden musste. Die detailgetreue Kopie – und heutige Plastik – schuf der Leipziger Bildhauer Markus Gläser im Jahr 2003.

Stand: 03.05.2024

Bildergalerie - Villersbrunnen

Historisches Bildmaterial - Villersbrunnen

Sprink, Rolf

Bürgerrechtler, Verleger, Ex-Volkshochschuldirektor | geb. am 16. April 1950 in Görlitz

Er ist eigentlich immer auf Entdeckungsreise: Rolf Sprink ist ein neugieriger Mensch, der noch heute gerne die Welt erkundet. Der ehemalige Bürgerrechtler ist aktiv. Wie in seiner Zeit als Direktor der Volkshochschule Leipzig, die er entwickelt und für die er mit seinem Team immer neue Angebote ausbrütet. So oft es geht im Jahr, bereist er mit seiner Frau andere Länder. Ob nun mit dem Auto durch Südosteuropa, mit dem Schiff auf der Donau, mit dem Flugzeug in Asien oder Amerika. Aber auch innerhalb Deutschlands ist er unterwegs.

Zeit des Suchens – Prägende Jahre


Geboren wird Rolf Sprink am 16. April 1950 in Görlitz. Mit drei Geschwistern wächst er in Görlitz, Berlin und Dresden auf, macht sein Abitur in Bautzen. Die Familie kommt viel herum, der Vater ist Kulturwissenschaftler, arbeitet als Intendant und Dramaturg an verschiedenen Theatern. Die Affinität Rolf Sprinks für fremde Kulturen kommt auch von häufigen Besuchen im
Karl-May-Museum Radebeul. Nach Leipzig kommt er zum Studium. An der Karl-Marx-Universität belegt er ab 1968 Ethnologie und Soziologie. Prägend wird für ihn in dieser Zeit die Sprengung der Leipziger Universitätskirche am 30. Mai 1968. Aber auch der Prager Frühling, der brutal niedergeschlagen wird, führt dazu, dass er den SED-Staat immer mehr ablehnt. Beflügelt wird das durch die evangelische Kirche, in der er viele Gleichgesinnte trifft. Schon im Studium will er in die Tropenmedizin wechseln, doch das wird ihm verwehrt. Ethnologie ist ihm allerdings zu akademisch. „Ich wollte raus, andere Kulturen und Ländern erleben. In der Entwicklungshilfe arbeiten.“

Nach dem Studium folgt der Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee in Weißenfels. „547 Tage, das hat sich bei mir eingeprägt“, sagt er. Anschließend arbeitet er zunächst als Lektor im Brockhaus-Verlag. Später wechselt er dann als Lektor und Fachbereichsleiter in den Tourist-Verlag Berlin/Leipzig. 1975 heiratet er, seine Frau ist im Diakonissenkrankenhaus als Krankenschwester sowie später in der Pflegedienstleitung tätig. Das Paar bekommt zwei Kinder und hat heute drei Enkel.

Engagement für demokratische Kultur und Rechtsstaatlichkeit


Ab 1985 nimmt Rolf Sprink wahr, wie immer mehr Menschen aus seinem Umfeld in den Westen ausreisen. Er ist Mitglied im Kirchenvorstand der
Nathanaelkirche. Im Umfeld der evangelischen Kirche in Leipzig knüpft er Kontakte zu Bürgerrechtlern. Warum stellt er nicht ebenfalls einen Ausreiseantrag? Er spricht vom starken Familienzusammenhalt, aber auch vom Austausch mit vielen Kollegen aus anderen Leipziger Verlagen, einem Netzwerk kritischer Geister. Mit ihnen versucht er, mitzugestalten und bekommt die nötige Energie, um trotz aller Widrigkeiten weiterzumachen. „Ich wollte hier eine demokratische Kultur mitentwickeln.“ Er schreibt zahlreiche Eingaben an die SED, um mehr Rechtsstaatlichkeit einzufordern.

1989 wird er Zeuge, wie der Pleiße-Gedenkmarsch vor der Paul-Gerhard-Kirche in Connewitz zerschlagen wird. Schon seit 1986 führt er Tagebuch. Und er wird oft ermuntert, dieses vielleicht mal zu veröffentlichen. Gleich nach Gründung des Neuen Forums engagiert er sich in der neuen Bewegung. Ab Mitte Oktober 1989 wird er Mitglied der Redaktionsgruppe mit Reinhard Bohse und Ulla Heise, die den Forum-Verlag Leipzig aufbaut. Die Gruppe verfasst ebenfalls die wöchentlichen Informationsblätter und Demonstrationsaufrufe mit.

Beim Forum-Verlag wird Sprink schließlich geschäftsführender Verleger und Gesellschafter. Das erste große Werk heißt „Jetzt oder nie – Demokratie! Leipziger Herbst ’89“. Enthalten sind Interviews, Zeitzeugenberichte und Zeitungsausschnitte. Die Friedrich-Ebert-Stiftung zeichnet es mit dem Sonderpreis für das „Politische Buch des Jahres“ aus. Gleich am ersten Tag werden 6.000 Exemplare verkauft. Die Leute haben in der Publikation ihre eigene Geschichte gesehen, erinnert er sich. „Für mich ist das biografisch die spannendste Zeit, eine absolute Zäsur, von der Geburt meiner Kinder und Enkel einmal abgesehen“, sagt Sprink. „Wir waren Mitgestalter einer Revolution.“

Volkshochschule wird Plattform für bürgerschaftlichen Dialog


1992 beginnt Sprink als Referent der Ökumenischen Stadtakademie Leipzig bei den Kirchenbezirken Leipzig-Ost und Leipzig-West. Dort kümmert er sich um evangelische Erwachsenenbildung. Und er sucht eine neue Herausforderung, bewirbt sich 1996 auf die Direktorenstelle bei der Volkshochschule. Die schätzt er wegen ihrer Tradition, zu DDR-Zeiten wäre ein Job im Bildungswesen für ihn aber nie infrage gekommen. Zu groß sind damals die politischen Beeinflussungen. „Das war ein No Go für mich.“

Knapp 20 Jahre hat er die Volkshochschule geleitet, aus ihr ein innovatives Haus mit großer Ausstrahlung über die Stadtgrenzen hinaus gemacht. „Wir sind eine Volkshochschule mitten in der Stadt“, sagt Rolf Sprink und betrachtet das als seinen größten Erfolg. Das ist keineswegs nur örtlich gemeint mit dem historischen Gebäude in der Löhrstraße, das über viele Jahre neben dem Lehrbetrieb saniert wird. „Rekonstruktion mit Augenmaß“ heißt es. Doch das ist alles andere als einfach. Für viele Kursteilnehmer oft sogar eine Zumutung.

Die Volkshochschule entwickelt sich als Treffpunkt und zur Plattform für den bürgerschaftlichen Dialog. Die Leute werden angeleitet, für Stadtgestaltungs- und Mitbestimmungsprozesse befähigt. Beispiele dafür sind das Forum Bürgerstadt oder die vielen offenen Diskussionsforen. Sprink moderiert, gestaltet, versteht sich als Netzwerker, verankert die VHS in der Branche in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Und er publiziert viel, darunter über die „Leipziger Richtung“ der Erwachsenenbildung, die 1933 zerschlagen wird. Zum Sächsischen Volkshochschulverband hat er nach wie vor gute Kontakte.

Rolf Sprink ist auch im Ruhestand Mitglied in zahlreichen Vereinen. Dazu gehören beispielsweise die Stiftung „Bürger für Leipzig“, das Kuratorium Stiftung Friedliche Revolution, der Richard-Wagner-Verband, der Freundeskreis Gewandhaus sowie die Hieronymus-Lotter-Gesellschaft, die das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig fördert.

Stand: 17.07.2024

Bildergalerie - Sprink, Rolf

Richard-Wagner-Hain

Jahnallee / Am Elsterwehr | Ortsteil: Zentrum-West

Es ist ein beliebter Treffpunkt. Bei angenehmen Temperaturen sitzt es sich gut auf den Treppen der Uferterrasse mit Blick auf das Elsterbecken. Viele ordnen das Areal auf der Westseite des Gewässers bereits dem Leipziger Palmengarten zu. Doch es gehört zum Richard-Wagner-Hain. Der erstreckt sich beidseitig des Elsterbeckens zwischen Zeppelinbrücke und Palmengartenwehr. Die Anlage ist ein „unbequemes Gartendenkmal“. Das hängt mit ihrer Geschichte im Nationalsozialismus zusammen, die auf einer Infotafel anschaulich dargestellt wird.

Nach Jahrhundertflut wird Fluss reguliert


Die
Frankfurter Wiesen sind einst das Überflutungsgebiet der Weißen Elster. Das wird besonders deutlich bei der Jahrhundertflut im Jahr 1909. Die Stadträte reagieren darauf. Sie lassen zur Regulierung des Flusses das Elsterbecken bauen, was zwischen 1913 und 1925 erfolgt. Die neue Flusslandschaft wird von den Leipzigern schnell als Freizeittreff zum Baden und Boot fahren angenommen. Sogar eine große Liegewiese am Ufer entsteht. Ehrgeizige Pläne, die Uferränder zu bebauen, werden schnell verworfen.

Die Idee, für den in Leipzig geborenen Komponisten Richard Wagner einen architektonisch gestalteten Uferpark anzulegen, gibt es bereits 1931 in der Weimarer Republik. Entworfen und umgesetzt wird das Bauwerk allerdings erst im Nationalsozialismus. Der Berliner Gartenarchitekt Gustav Allinger kann die Stadtverwaltung davon überzeugen, ihm den Auftrag für den Entwurf zu übertragen. Einen Wettbewerb gibt es nicht.

Allinger entwirft eine architektonisch gestaltete Gartenanlage mit ausgedehnten Freiräumen. Die wird von Stützmauern und Böschungen eingefasst. Zugleich entsteht eine Gartenhalle, die den Besuchern einen guten Blick über die Gesamtanlage ermöglicht. Auf der Westseite wird ein Wassergarten mit Fontänebecken sowie rahmender Pergola gebaut. Eine Treppe führt hinunter zum Wasser der Weißen Elster. Die Treppenwangen und Stufen bestehen aus Naturstein. Auf zwei Travertin-Blöcken sollten ursprünglich Skulpturen aufgestellt werden, für die es 1939 einen bildhauerischen Wettbewerb gibt. 1939 werden dafür Entwürfe geliefert. Aufgestellt werden sie allerdings nicht mehr. Das verhindert der von den Nationalsozialisten mit dem Überfall auf Polen begonnene Zweite Weltkrieg.

Wagner-Nationaldenkmal wird nicht realisiert


Gescheitert sind auch die Pläne, für Richard Wagner ein großes Denkmal aufzustellen. Dafür gibt es zwar einen Kunst-Wettbewerb, der noch in der Weimarer Republik ausgelobt wird. Als der Sieger gekürt wird, sind allerdings bereits die Nationalsozialisten an der Macht. Dabei kann sich der süddeutsche Bildhauer
Emil Hipp gegen mehr als 650 Konkurrenten durchsetzen. Er entwirft einen 9,5 mal 9,5 Meter breiten und 4 Meter hohen Natursteinblock. Die Seiten werden mit Reliefs geschmückt. Das Wagner-Denkmal soll am Ostufer des Elsterbeckens aufgestellt werden. Hipp erhält den Auftrag. Seinen Entwurf muss er allerdings überarbeiten, damit alles gigantischer ausfällt. Der Denkmalsplatz wird um eine Umfassungsmauer erweitert, auf der weitere 19 Reliefs Szenen aus Wagners Opern darstellen sollen. Am 6. März 1934 legt Reichskanzler Adolf Hitler den Grundstein. Nach seinem Willen soll es fortan „Richard-Wagner-Nationaldenkmal des Deutschen Volkes“ heißen. Tausende Sänger begleiten den Festakt musikalisch. Am 22. Mai 1938 – dem Geburtstag Wagners – ist die Weihe geplant. Die Arbeiten verzögern sich aber, wohl auch wegen fehlender Materialien.

Baufirma gibt Einzelteile an Privatpersonen ab


Hipp arbeitet fast bis zum Kriegsende an seinem Denkmal, das die Stadt Leipzig komplett bezahlt hat. Alle plastischen Arbeiten führt der Künstler selbst aus. Nach dem Krieg lehnt es die Stadtverwaltung allerdings ab, die politisch belasteten Werke anzunehmen. Es ist zwar keine NS-Kunst, wie der Leipziger
Richard-Wagner-Verband später formuliert. Hipp wird aber von den Nationalsozialisten vereinnahmt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Aufstellung des Monumentes nahezu undenkbar. Nach den Zerstörungen setzt die Stadtverwaltung andere Prioritäten.

Hipp kann die Lagergebühren nicht aufbringen. Die bauausführende Marmor-Kiefer AG gibt daher Einzelteile des Kunstwerkes an Privatleute ab. 1976 kauft beispielsweise die Stadt Bayreuth die Reliefs „Spinnstube“ und „Siegfrieds Tod“. Sie sind in die Stadtmauer eingelassen. Einige Reliefs stehen in einem Privatgrundstück am Chiemsee.

Wasserfontäne soll wieder sprudeln


Der Richard-Wagner-Hain bleibt von Kriegseinwirkungen weitgehend verschont. Nur in der großen Ufertreppe sind noch Einschusslöcher von den Kampfhandlungen der letzten Kriegstage zu sehen. In der DDR wird die Anlage bepflanzt. Auf der Ostseite entstehen Universitätsgebäude, die heute zum
Campus Jahnallee gehören. Teile der Parkanlage und die Denkmalsfundamente wurden in den 1950er Jahren beseitigt.

Inzwischen hat die Stadt Leipzig die Anlage auf der Westseite des Elsterbeckens denkmalgerecht und unter Wahrung der Bausubstanz saniert. Die Uferterrassen und die Ufertreppe wurden nach achtmonatiger Bauphase am 21. Dezember 2022 eingeweiht. Ziel ist es, sie als Zeitzeugnis zu erhalten. Deshalb werden Freiflächen, wie die Wiese, auch nicht bepflanzt. Geplant ist, die seit 2004 kaputte Wasserfontäne künftig wieder sprudeln zu lassen. Die andere Seite des Elsterbeckens in Höhe des Universitätsgebäudes soll ebenfalls erneuert werden. Wann, ist allerdings noch unklar.

An den jungen Wagner erinnert heute das von Stephan Balkenhol geschaffene Richard-Wgner-Denkmal am Promenadenring. Mit dem Umbau des Areals Matthäikirchhof soll es in den kommenden Jahren besser zur Geltung kommen.

Stand: 19.03.2024

Bildergalerie - Richard-Wagner-Hain

Historisches Bildmaterial - Richard-Wagner-Hain

Richard-Wagner-Dauerausstellung

Nikolaikirchhof 2 | Ortsteil: Zentrum

Er wird geliebt und gehasst. Mit seiner Musik bewegt Richard Wagner die Menschen, als Mensch und mit seinen politischen Ansichten irritiert er sie eher. Unbestritten ist jedoch: Der Schöpfer unvergleichlicher Musikdramen wie „Tristan“ und „Parsifal“ gehört zu den größten Genies des 19. Jahrhunderts. Die Grundlagen für die Entwicklung seiner Persönlichkeit werden in Sachsen gelegt, vor allem in Leipzig und Dresden.

Eine Dauerausstellung „Der junge Wagner 1813 bis 1834“ in der Alten Nikolaischule, seinem einstigen Schulgebäude, widmet sich Jugend, Ausbildung und dem Frühwerk Wagners. In der Alten Nikolaischule befindet sich auch die Richard-Wagner-Aula. Um jene klassizistisch gestaltete Aula wurde das Gebäude der Nikolaischule 1827 erweitert. In ihr dürfte der junge Richard daher Musikunterricht gehabt haben. Möglicherweise wird dort auch sein außergewöhnliches musikalisches Talent erkannt. Die Aula ist heute der einzige authentisch erhaltene Ort der Erinnerung an das Wirken des jungen Wagners in Leipzig. Weder sein Geburtshaus am Brühl noch das Alte Theater, die Aufführungsstätte vieler Werke, gibt es noch. Getauft wird Richard Wagner in der Thomaskirche. Die Kulturstiftung Leipzig sieht die Ausstellung über den jungen Wagner als eine notwendige Ergänzung des Wagnermuseums in Bayreuth, das den Fokus auf den reifen Komponisten legt.

Stiefvater ist ein Multitalent


Geboren wird Richard am 22. Mai 1813 in Leipzig auf dem Brühl im
Gasthof „Zum Roten und Weißen Löwen“. Eine 1937 von Fritz Zalisz geschaffene Gedenktafel für das Geburtshaus von Richard Wagner erinnert heute noch daran. 

Sein Vater Friedrich, ein Polizeiaktuar und leidenschaftlicher Theaterliebhaber, verstirbt ein halbes Jahr nach Richards Geburt am Lazarettfieber, das er sich offenbar während der Völkerschlacht bei Leipzig zugezogen hat. Die Mutter Johanna Rosine Wagner heiratet am 28. August 1814 den Schauspieler, Lustspieldichter und Porträtmaler Ludwig Geyer. Der Stiefvater ist ein Multitalent, sichert mit Porträtaufträgen des Dresdener Hofes und des bayerischen Königs den Lebensunterhalt. Daher kann auch Johanna Rosine mit ihren sieben Kindern zu Ludwig Geyer nach Dresden ziehen.

Geyer, der auch Sänger ist, führt ein gastliches Haus. Dort verkehrt häufig der Komponist Carl Maria von Weber, der im Dezember 1816 nach Dresden berufen wird. Durch ihn wird Richard, der bis zu seinem 14. Lebensjahr den Familiennamen Geyer führt, inspiriert, die Musikerlaufbahn einzuschlagen. Vor allem der „Freischütz“ wird für ihn zum Schlüsselerlebnis. Stiefvater Ludwig Geyer stirbt schließlich am 30. September 1821. Richard kommt zunächst in die Obhut seines Onkels Karl Geyer in Eisleben. Als der nach einem Jahr wieder heiratet, geht die Zeit Richards in Eisleben zu Ende. Er wird Schüler in Dresden an der Kreuzschule. Weihnachten 1827 kehrt er mit der Mutter nach Leipzig zurück. Ab 21. Januar 1828 beginnt die Ausbildung an der Nikolaischule.

Die Dauerausstellung stellt zwar das Wirken des jungen Wagners in Leipzig in den Mittelpunkt. Es werden aber auch andere Stationen seiner Jugend beleuchtet. Bevor er als 21-jähriger Leipzig im Juli 1834 verlässt, ist er ein ausgebildeter Komponist und Dirigent, der bereits auf eine erstaunliche Zahl von Kompositionen verweisen kann.

Wagner ist ein fauler Schüler


Dabei ist Richard Wagner ein schlechter Schüler, wie er selbst in seinen Erinnerungen schreibt. „Ich verließ Dresden und die Kreuzschule, und kam nach Leipzig. Auf der dortigen Nikolaischule setzte man mich nach Tertia, nachdem ich auf der Dresdner Kreuzschule schon in Sekunda gesessen, dieser Umstand erbitterte mich so sehr, daß ich von da an alle Liebe zu den philologischen Studien fahren ließ. Ich ward faul und liederlich.“ Durch die Zurückstufung, heißt es in der Ausstellung, ist sein Verhältnis zur Nikolaischule von Anfang an gestört.

Zu Ostern des Jahres 1830 verlässt Wagner die Nikolaischule und wechselt in die Thomasschule. Auch dort wird ihm mangelndes Interesse vorgeworfen. Am 23. Februar 1831 lässt Wagner sich ohne Schulabschluss an der Universität Leipzig als „Student der Musik“ immatrikulieren. Auch dort betrachtet er die Philosophie- und Ästhetikvorlesungen meist als Nebensache.

Sein Hauptinteresse gilt in den Jahren 1828 bis 1832 musikalischen Studien sowie dem turbulenten Treiben der Studenten. Großen Einfluss haben die Gewandhauskonzerte und die Schätze der Bibliothek seines Onkels Adolf Wagner im Königshaus am Markt. Die Leipziger Unruhen von 1830 – eine Folge der Pariser Julirevolution – haben ebenfalls Auswirkungen auf die geistige und politische Entwicklung des jungen Mannes. „Mit einem Schlage wurde ich Revolutionär“, so Wagner, der sich an den durch Studenten und Handwerksgesellen ausgelösten Unruhen beteiligt.

Begeisterung für Beethoven geweckt


Im
Alten Gewandhaus hört der junge Wagner das erste Mal Ludwig van Beethoven und begeistert sich ebenfalls für Wolfgang Amadeus Mozart. Vom Gewandhausmusiker Gottlieb Müller erhält er Harmonielehre, anfangs heimlich. Und manchmal geht der junge Wagner dort auch nur widerwillig hin und ist undiszipliniert. Dennoch vermittelt Müller Richard wichtige handwerkliche Grundlagen, die diesen in die Lage versetzen, eigene Musikstücke zu komponieren. Von Thomaskantor Theodor Weinlig, der seine musikalische Begabung fördert, bekommt er ab Spätsommer 1831 ein knappes halbes Jahr lang Unterricht auf dem Gebiet des Kontrapunkts. Wagner besucht zudem Garten- und Freiluftkonzerte in verschiedenen Lokalen der Leipziger Vorstädte.

Die Ausstellung will vor allem eins zeigen: Ein junger Mann hat unter sehr schwierigen Bedingungen seinen Weg gesucht und gefunden. Und stellt dabei das lange vernachlässigte Frühwerk des Komponisten in den Mittelpunkt. Ganz im Sinne des Werbeslogans „Richard ist Leipziger“. Dafür steht seit 2013 auch das Richard-Wagner-Denkmal von Stephan Balkenhol im Promenadenring. An den reiferen, erfolgreichen Künstler erinnert zusätzlich die Richard-Wagner-Büste hinter dem Opernhaus am Schwanenteich.

Die Dauerausstellung „Der junge Wagner 1813 bis 1834“ entsteht in Regie von Konzertpianist Rolf-Dieter Arens, langjähriger Rektor der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ in Weimar. Der Leipziger Maler und Grafiker Heinz-Jürgen Böhme hat sie gestaltet und konzipiert, ebenso wie die von der Kulturstiftung Leipzig herausgegebene Begleitbroschüre. Die Schau verfügt über 13 Hörstationen, die die Stationen Wagners vertiefen und auch das Leipzig seiner Zeit aufleben lassen. Etwa das damalige Gewandhaus. Es gibt auch einen Audioguide mit Führungen in Englisch, Französisch, Russisch, Italienisch, Polnisch und Tschechisch. Die Dauerausstellung ist ebenso wie die Alte Nikolaischule Teil der Leipziger Notenspur, die auf einem Rundgang authentische Wirkungsstätten berühmter Komponisten bündelt. Sie hat fünf Tage in der Woche geöffnet und kann auch während der jährlichen Museumsnacht Halle und Leipzig besucht werden.

Stand: 06.05.2024

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Poser, Steffen

Historiker, Denkmalsleiter | geb. am 20. Juli 1962 in Leipzig

Vom Eingang an der Straße bis zur Aussichtsplattform des Völkerschlachtdenkmals sind es 500 Stufen, die vor allem oben ziemlich eng werden. Wie oft Steffen Poser diese Stufen erklommen hat, vermag er nicht konkret zu sagen. Mehrere tausend Male bestimmt. Seit 1991 Jahren leitet er das Völkerschlachtdenkmal. Dort hat er inzwischen sein halbes Leben verbracht und erlebt, wie der nach der Friedlichen Revolution zunächst ungeliebte Koloss in neuem Glanz erstrahlt. Anfang der 1990er-Jahre wollen einige Leipziger das jahrelang der Industrieabluft ausgesetzte kaputte, schwarze Denkmal einem „kontrollierten Verfall“ aussetzen, damit dieses nicht weiter das Stadtbild „verschandelt“ und verschwindet. Doch es kommt zum Glück anders, auch dank des Engagements vieler Bürger im Förderverein Völkerschlachtdenkmal.

„Es ging uns auch um eine moralische Sanierung“, so Poser. Zur Einweihung in der Kaiserzeit 1913 dürfen es die Besucher lediglich demutsvoll anschauen. Erst später wird es Aussichtspunkt, jedoch sowohl im Nationalsozialismus als auch in der DDR ideologisch missbraucht. Heute sind alle willkommen und eingeladen, sich mit dem Koloss auseinanderzusetzen. „Das Völkerschlachtdenkmal ist eingeschränkt barrierefrei für alle Besucher da“, so der Denkmalschef. Lediglich ganz nach oben auf die Plattform schaffen es nicht alle, da hier in die engen Wände kein Fahrstuhl eingebaut werden kann.

Statt Zahnarzt wird er Fremdenführer


Geboren wird Steffen Poser im Juli 1962 in Leipzig. Er wächst in
Reudnitz auf, besucht die Nikolaischule am Täubchenweg, macht 1981 sein Abitur an der Thomas-EOS. Schon als Schüler arbeitet er bei einem Ferienjob im Völkerschlachtdenkmal. Am Gymnasium der meist kirchlich geprägten Thomaner trifft er auf besonders linientreue Lehrer, wie er sagt. „Das war schwer zu verkraften.“ Er hat den Wunsch, Zahnarzt zu werden. Nach dem Grundwehrdienst bei der Nationalen Volksarmee im Jahr 1983 wartet er auf einen Studienplatz, doch der wird ihm verwehrt. In der Studienlenkung bietet man ihm lediglich ein Studium als Hochschullehrer für Marxismus-Leninismus an – er lehnt ab.

Poser arbeitet da schon beim Museum für Geschichte der Stadt Leipzig (heute: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig) als Fremdenführer, erklärt seinen Gästen das Denkmal in Probstheida. Das Museum delegiert ihn schließlich zum Fernstudium an die Humboldt-Universität in Berlin. Dort macht er gemeinsam mit seinem langjährigen Kollegen Christoph Kaufmann seinen Abschluss als Historiker. Mit der Friedlichen Revolution beginnt eine spannende Zeit – auch am Denkmal. Das Team hält zusammen, repariert auch mal am Wochenende kaputte Stufen, damit es keine Unfälle gibt. Eine Herausforderung wird nicht nur die Sanierung. „Niemand hat sich intensiv mit der wirklichen Geschichte des Denkmals beschäftigt“, erinnert sich Poser. In der DDR ist es geprägt von der deutsch-russischen Waffenbrüderschaft sowie progressiven Traditionen des deutschen Volkes. Historische Unterlagen gibt es im Völkerschlachtdenkmal kaum noch, fast alles ist wohl schon bei der Befreiung Leipzigs durch die US-Armee verschwunden, der Rest dann in der DDR-Zeit. „Deshalb war es nötig, in verfügbaren Archiven Wissen zu sammeln und zu erklären, was das Denkmal mit der Völkerschlacht bei Leipzig zu tun hat“, so Poser. Zunächst wird eine Ausstellung in der Ruhmeshalle entwickelt, um aufzuklären. Und es wird diskutiert, ob die millionenschwere Sanierung des Denkmals – das mehr als ein Aussichtsturm sein muss – überhaupt sinnvoll ist. Das Ergebnis ist bekannt, das Völkerschlachtdenkmal zieht jährlich tausende Leute aus nah und fern an. So kamen im Jahr 2023 über 290.000 Besucher ins Völkerschlachtdenkmal und 96.000 weitere in das angeschlossene FORUM 1813.

Historiker erklärt die Völkerschlacht


Steffen Poser ist ein fleißiger Mensch. Er hat verschiedene Bücher rund um die Völkerschlacht und den steinernen Riesen geschrieben. Sein Hauptwerk ist das vom Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig herausgegebene dicke Buch über das Denkmal. Poser erklärt zudem in einem weiteren Buch „In Schutt und Asche begraben“ den historischen Verlauf der Schlacht. Wer mit Feldherren, Gefechtsorten, Waffen sowie militärischen Begriffen durcheinanderkommt, kann weiterhin eine Art kleines Lexikon nutzen, das unter dem Titel „Völkerschlacht in Stichworten“ erschienen ist. Darin sind beispielsweise die umliegenden Dörfer verzeichnet, die unfreiwillig ins Zentrum des blutigen Gemetzels rückten. Erworben werden kann ein Schuber mit fünf Büchern, in dem ebenfalls ein Kurzführer durchs Denkmal sowie eine Beschreibung der Exponate des im Jahr 1999 eröffneten Forum 1813 enthalten ist. Der Historiker Poser hat ebenfalls Texte transkribiert, um sie für die Nachwelt verständlich zu machen. „Erinnerungen aus meinem Leben“ geht dabei auf Schilderungen von
Walter Bartsch zurück, der am 18. Oktober 1913 seine Eindrücke zur Hundertjahrfeier der Schlacht schildert. Herausgekommen ist eine Beschreibung, wie die Leipziger Innenstadt sowie die Feststraße zum Völkerschlachtdenkmal für die Einweihung aufwändig herausgeputzt werden, ergänzt um historische Fotos.

Ganz wichtig ist Poser das neue Besucherzentrum sowie die Ausstellungen im Denkmalsinneren, darunter die zur jüngsten Baugeschichte in den Katakomben, die derzeit nur für Gruppen zugänglich ist. Persönlich genießt er die Konzerte im Völkerschlachtdenkmal, die aufgrund der Akustik sehr besonders sind. Dort tritt nicht nur der Denkmalchor auf, es gibt auch musikalische Intermezzi. Wie zur Museumsnacht Halle und Leipzig im Jahr 2024 die Performance des Leipziger Schlagzeugensembles Improvising Percussion Sextett.

Kurator für Waffen und Münzen


Natürlich kümmert sich Steffen Poser nicht nur ums Völkerschlachtdenkmal. Im Museum ist er als Kurator Militaria und Numismatik tätig. Zur Militaria-Sammlung gehören 1.500 Objekte inklusive Orden und Ehrenzeichen. Grundstock dafür ist der Fundus des 1827/28 aufgelösten städtischen Zeughauses. Es sind auch Waffen dabei, darunter aus der Völkerschlacht, die gut gesichert aufbewahrt werden. Münzen und Medaillen, Aktien und Wertpapiere gilt es ebenfalls zu betreuen. 10.000 Objekte von Ende des 13. Jahrhunderts bis zur Gegenwart sind im Depot.

Steffen Poser hat ebenfalls die Ausstellung im Schillerhaus neu konzipiert, die am 1. April 2023 eröffnet wurde. Die Idee: Viele Menschen haben kaum noch einen Bezug zu Friedrich Schiller und seinen Werken. Doch der kommt 1785 in einer schwierigen Lebenssituation nach Leipzig-Gohlis. Er ist krank, hat seinen verhassten Job hingeworfen, Behörden sind ihm auf den Fersen, er hat Schulden, Pech mit den Frauen. „Das ist eine Lebenskrise, die jeder nachvollziehen kann“, so Steffen Poser. Doch Schiller hat Glück, lernt Gleichgesinnte um Gottfried Körner kennen, die ihn fördern und so für jenen schönen Sommer in der Landidylle im damaligen Dorf Gohlis sorgen. „Die unverhoffte Freundschaft reißt ihn aus seiner unbefriedigenden Lebenssituation und versetzt ihn in eine Hochstimmung des Glücks. Dieser beseligende Rausch inspiriert ihn im Sommer 1785 zu seiner berühmten Ode ‚An die Freude’, die später von Beethoven in seiner 9. Sinfonie vertont wurde“, sagt Poser. 

Kürzlich hat sich Steffen Poser auch intensiv mit dem Tod auseinandergesetzt. „R.I.P. – Die letzte Adresse“ heißt eine im Jahr 2024 eröffnete Sonderschau im Haus Böttergäßchen, die er gemeinsam mit Ulrike Dura kuratiert hat. Der ledige Historiker ist leidenschaftlicher Kleingärtner, der sich in seiner Parzelle in der „Grünen Gasse“ entspannt.

Stand: 07.05.2024

Bildergalerie - Poser, Steffen

Ostfriedhof

Oststraße 119 / Zweinaundorfer Straße | Ortsteil: Anger-Crottendorf

Die Gräber sind zwar etwas versteckt am Friedhofsrand: Der Leipziger Ostfriedhof ist die einzige Begräbnisstätte der Stadt, die ein muslimisches Grabfeld anbietet, das den Bestattungsregeln des Korans entspricht. Die Gräber sind so ausgerichtet, dass die Toten mit Blickrichtung gen Mekka gebettet werden können. Nicht erlaubt ist allerdings, die Toten in weiße Leichentücher zu hüllen und ohne Sarg beizusetzen, wie es die islamische Tradition eigentlich vorschreibt. Das gestattet das sächsische Bestattungsgesetz nicht. Seit 1997 ist es Muslimen möglich, auf dem Ostfriedhof die letzte Ruhe zu finden. Diese Grabanlage ist durch Hecken abgeschirmt, so dass die Angehörigen den Abschied entsprechend ihres religiösen Ritus ungestört ausführen können.

Viele der Gräber sind schlicht gehalten und nur mit dem Namen des jeweiligen Verstorbenen versehen, da ein üppiger Grabschmuck im Islam nicht üblich ist. Einige passen sich allerdings den hiesigen Gepflogenheiten an und bepflanzen ihre Gräber. Der Ostfriedhof, mit etwa 19,8 Hektar nach dem Südfriedhof der zweitgrößte kommunale Friedhof in Leipzig, bietet noch reichlich Platz auch für muslimische Bestattungen, die in unberührter Erde erfolgen sollen.

Eine Besonderheit sind ebenfalls zahlreiche russisch-orthodoxe Gräber. Nach der Oktoberrevolution 1917 sind viele Menschen, die dem Adel oder dem Bürgertum angehören, aus Russland geflohen. Einige zieht es damals nach Leipzig, da es hier seit 1913 die Russische Gedächtniskirche mit der Gemeinde St. Alexi gibt.

Leipzig und der ehemalige Dorffriedhof wachsen


Entstanden ist der 1879 eröffnete Ostfriedhof zunächst als einfacher Dorffriedhof für
Reudnitz und später Anger-Crottendorf. Die Kirchgemeinde St. Trinitatis lässt gleich am Eingang Oststraße eine Trauerhalle errichten, die nicht mehr vorhanden ist. Deshalb wird er auch Trinitatisfriedhof genannt. Ein Verwaltungsgebäude steht aber noch. Leipzig entwickelt sich Anfang des 20. Jahrhunderts immer mehr zur Großstadt, der rasante Zuwachs bei der Bevölkerung lässt die Zahl der Begräbnisse daher ansteigen. Zu Beginn der 1940er Jahre wird die Fläche um mehr als das Doppelte erweitert. Prägend für das Aussehen sind Rundbögen, die es bis heute gibt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sind Bombenschäden auf dem Friedhof zu beklagen. Notleidende Anwohner nutzen einige Freiflächen zum Anbau von Kartoffeln und anderem Gemüse. Auf dem Ostfriedhof ruhen zahlreiche bekannte Leipziger Persönlichkeiten. Dazu gehört Hermann Eduard Förster, der damals in Reudnitz eine Klavierfabrik betreibt. Mit seinem nahezu zwei Meter großen Marmorstein ist die letzte Ruhestätte von Peter Degner, einem bekannten Leipziger Original, nicht zu übersehen.

Ehrenmal für die Opfer des Krieges


Mehrere Gedenkstellen und Mahnmale, an denen an Jahrestagen regelmäßig Kränze niedergelegt werden, prägen das Bild des parkähnlichen Areals. So wird an die Deserteure der Deutschen Wehrmacht erinnert, die standrechtlich auf dem
Schießstand Bienitz bei Rückmarsdorf erschossen worden sind. Ein sowjetischer Ehrenhain entsteht 1947 zum Gedenken an die gefallenen sowjetischen Soldaten. Sehr imposant kommt das polnische Ehrenmal für die Opfer des Zweiten Weltkrieges daher. Es ist wahrscheinlich das monumentalste und gewaltigste Mahnmal auf dem Ostfriedhof. Mit Bronzetafeln erinnert es an 478 polnische Opfer aus Leipzig. Auf einer benachbarten Fläche stehen gewölbte Bronzetafeln, auf denen die Namen und Daten von Zwangsarbeitern stehen. Darüber hinaus erinnert ein Gedenkort an die Opfer der NS-Euthanasie und Kinder-Euthanasie.

Imposant ist die von Oberbaurat Otto Wilhelm Scharenberg neu errichtete Kapelle, die am 24. April 1902 öffnete. Durch die hohen Bäume am Eingang der Kapelle wirkt sie von weitem etwas versteckt. Im Inneren erwartet die Trauernden ein echter Schatz: ein Glockenspiel aus Meissner Porzellan. Es besteht aus sechs Glocken und ist das älteste Porzellanglockenspiel in Leipzig. Seit 1950 ist es zu bestimmten Tageszeiten sowie auf Wunsch bei Trauerfeiern zu hören. Der Ostfriedhof eignet sich sehr gut für Spaziergänge. Bestattungen unter Bäumen sind dort ebenfalls möglich.

Stand: 20.10.2023

Ökobad Lindenthal

Am Freibad 3 | Ortsteil: Lindenthal

Es ist eine Idylle am Stadtrand: Schilfgras bewegt sich im Wind, Seerosen blühen im Wasser, Frösche quaken. Flusskrebse schwimmen hier ebenso wie verschiedene Fische. Zwischen Seerosen, Schilf und anderen Wasserpflanzen können sich Badende im Ökobad Lindenthal erfrischen – und das alles ohne chemische Zusätze. Die Gemeinde Lindenthal hat damals aus der Not eine Tugend gemacht. Weil Geld für die Sanierung des ehemaligen Freibades fehlte, haben sie nach Südtiroler Vorbild eine einzigartige Badelandschaft geschaffen.

Das Ökobad öffnete am 11. September 1998 – als deutschlandweit erstes seiner Art. Zur Eröffnung erklang Georg Friedrich Händels Wassermusik. Mittlerweile hat Leipzigs kleinstes Freibad trotz der benachbarten Seen im Norden Leipzigs eine große Fangemeinde. Und die feierte am 29. Juni 2024 eine große Tradition: 100 Jahre Freibad in Lindenthal. An diesem Tag durften alle für 100 Cents rein.

Die Dorfjugend in Lindenthal erfrischt sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts im Sandteich. Aus diesem entsteht zwischen 1922 und 1924 ein modernes Volksbad. Eine 50-Meter-Bahn für Wettkämpfe darf ebenso nicht fehlen wie ein Sprungturm, ein Planschbecken sowie Toiletten und Umkleidekabinen. Das Bad wird rege genutzt – auch für den Schwimmunterricht. In der 1970er-Jahren wird der Verfall der Anlage allerdings immer sichtbarer – die Baukapazitäten für eine notwendige Modernisierung fehlen wie in vielen Bereichen der DDR. Der Sprungturm muss gesperrt und abgebaut werden. Um die Attraktivität des Bads zu erhöhen, wird nach der Friedlichen Revolution zwar einiges investiert. 1992 entsteht eine 40-Meter-Großwasserrutsche. Es fließt Geld für Duschen, Kiesstrand und Liegewiese, Toiletten, Sauna und Umkleidekabinen. Dadurch kann das Bad jedoch nicht gerettet werden. Bevor es dann 1995 schließt.

Pilotprojekt mit wissenschaftlicher Unterstützung


Nachdem alle Versuche, das Bad auf konventionelle Weise zu sanieren, aus finanziellen Gründen scheitern, wagt die damalige Gemeinde Lindenthal das Experiment mit einer ökologischen Anlage. Ohne Unterstützung des Freistaates Sachsen, lediglich aus Eigenmitteln, entschließt sich der Gemeinderat im Frühjahr 1998 für den Umbau der Becken zum ökologischen Badeteich. Die Pläne stammen vom Architekturbüro Torsten Markurt aus
Lützschena-Stahmeln.

Es wird ein Pilotprojekt, das seinesgleichen sucht. Wissenschaftlich begleitet wird es damals vom Zoologischen Institut der Universität Leipzig. Statt der üblichen Filtration mit Flockungs- und Desinfektionsmitteln setzt das Lindenthaler Bad auf die Selbstreinigungskraft der Natur. Die Gemeinde, die zum 1. Januar 1999 nach Leipzig eingemeindet wurde, investiert drei Millionen Mark in den Umbau. Nach der Startphase im September 1998 geht es im Mai des folgenden Jahres so richtig los. Dennoch wird es ein Testbetrieb – die Zahl der Besucher wird zunächst auf 300 begrenzt. Badleiter Rainer Lademann und sein Team müssen den Wartenden oft erklären, warum sie nicht in die Anlage hinein dürfen.

Natur sorgt für reines Wasser


Wasserpflanzen und Mikroorganismen sorgen für die biologische Regeneration des Badeteichs. Fast 10.000 Pflanzen entziehen dem Wasser unerwünschte Nährstoffe. Mikroben und tierisches Plankton „fressen“ Schwebestoffe, Algen und schädliche Bakterien einfach auf. Für eine zusätzliche Reinigung sorgt eine Wurzelraum-Kläranlage.

Das Schwimmbad hat eine Größe von etwa 5.000 Quadratmetern. Zum Baden steht eine Fläche von 2.200 Quadratmetern bereit. Neben dem Baby- und Kleinkinderareal gibt es einen ausgedehnten Nichtschwimmerbereich, der durch eine Brücke von der Tiefzone getrennt ist. 2016 sanieren die Leipziger Sportbäder das Ökobad von Grund auf. 6.000 neue Pflanzen kommen ins Biotop, die Stege werden erneuert. Seitdem unterstützt auch eine Kiesfilteranlage die ökologische Wasserreinigung.

Hygiene der Gäste ist sehr wichtig


Für das Funktionieren der Badeanlage tragen die Gäste eine große Verantwortung. So sollte vor dem Sprung ins Wasser eine gründliche Körperhygiene erfolgen. Abgesperrte Beckenbereiche dienen der Regenerierung und müssen daher unberührt bleiben. Die Wasserqualität wird wöchentlich vom Leipziger Gesundheitsamt geprüft. Daher kann es an heißen Sommertagen mit viel Publikumsverkehr durchaus passieren, dass der Zugang begrenzt werden muss. Für Kinder gibt es neben der großen Liegewiese auch einen Spielplatz in Schiffsform.

Stand: 17.07.2024

Bildergalerie - Ökobad Lindenthal

Historisches Bildmaterial - Ökobad Lindenthal

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