Weichert, Michael

Gastronom, Politiker, Kommunikator | geb. am 22. Dezember 1953 in Neuenbürg

Er ist wohl ein Hans Dampf in vielen Gassen. Bei Michael Weichert ist dies positiv gemeint. Er bringt Leute zusammen, ist in unzähligen Initiativen und Vereinen engagiert und bei vielen Premieren in der Leipziger Kulturszene anzutreffen. Durch sein jahrelanges Engagement als bündnisgrüner Abgeordneter ist er gut vernetzt.

Diese Kontakte setzt Weichert, der eine Schwäche für schicke Brillen hat, gern ein, um Leipzig voranzubringen. Der Marienbrunner, der die Beraterfirma Weichert Consult betreibt, ist zugleich Honorarkonsul von Bosnien-Herzegowina und steht dem Förderverein des Zoo Leipzig vor. Als Mitbegründer des Stammtisches Politik-Wirtschaft-Medien knüpft er ebenfalls viele Kontakte.

Nach Ausbürgerung Biermanns aktiv gegen den DDR-Staat


Geboren ist der Pfarrerssohn am 22. Dezember 1953 in Neuenbürg, was im Schwarzwald, etwa zwölf Kilometer südwestlich von Pforzheim, liegt. Mit seinen Eltern kommt er im Alter von vier Monaten vom Westen in den Osten. Dort gilt er als Außenseiter, muss als Kind viel einstecken. Frühzeitig merkt er, wie wichtig es ist, dass sich jemand engagiert. Und schwänzt schon mal die Schule, um eine spannende Rede von
Herbert Wehner im Deutschen Bundestag verfolgen zu können. Weichert verweigert sich den Jungen Pionieren und der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Mit seiner Meinung hält er nicht hinterm Berg und eckt oft an. Das führt zur Konsequenz, dass er kein Abitur machen darf. Seit 1961 lebt Weichert in Leipzig. 

Der junge Mann lernt Gasmonteur, verweigert den Dienst bei der Nationalen Volksarmee. Das Gefängnis bleibt ihm damals erspart. Es folgt ein Crash-Kurs am Theologischen Seminar, an der er die Hochschulreife erlangt sowie ein Theologiestudium, bei dem er jedoch exmatrikuliert wird. Er stellt einen Ausreiseantrag, wird bespitzelt durch die Staatssicherheit und mehrfach verhaftet. Er schlägt sich als Tankwart und Garagenmeister durchs Leben.

Aktiv gegen den DDR-Sozialismus wird er, als die SED-Führung im November 1976 den Liedermacher Wolf Biermann ausbürgert. Er schreibt sogar ein Gedicht, das er persönlich an SED-Generalsekretär Erich Honecker telegrafiert. Doch „in seinem Kopf kommt die Wende“, er will den Staat verändern, ohne die eigene Familie zu gefährden. Den Facharbeiter als Kellner sowie den Gaststättenleiternachweis in der Tasche, steht er ab 1983 schließlich in der Gartenkneipe „Hans Beimler“ hinterm Tresen, der späteren und heutigen Sternhöhe in Möckern.

Über das Neue Forum in die Politik


Weichert engagiert sich in Umweltgruppen. Die politische Karriere beginnt als Gründungsmitglied des „Neuen Forums“, das sich mit weiteren Bürgerrechtsbewegungen für die ersten freien Wahlen in der DDR 1990 zum Bündnis 90 zusammenschloss. Drei Jahre später vereint das Bündnis sich mit den Grünen, um die Fünf-Prozent-Hürde auf Bundesebene zu nehmen. Weichert gehört ebenfalls zu den Gründern des Bürgervereins Möckern-Wahren. 15 Jahre lang sitzt er von 1994 bis 2009 schließlich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat, um Leipzig in einer sehr spannenden Zeit zu gestalten. 2004 holt er schließlich ein Mandat und geht als Landtagsabgeordneter in die Politik. 

Zwischendurch wird er ab Januar 2003 Geschäftsführer bei der Bio City Leipzig auf der Alten Messe. „In meiner Kneipe steckte zwar viel Herzblut, als Kneiper wollte ich aber nicht in Rente gehen“, erinnert er sich. In der Bio City Leipzig organisiert er die Eröffnung mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schroeder sowie Tage der offenen Tür. Dann wird er nahezu überrascht, dass Bündnis 90/Die Grünen den Sprung in den sächsischen Landtag geschafft haben. 2004 holt er ein Mandat und geht als Landtagsabgeordneter nach Dresden. Nebenbei führt er anderthalb Jahre lang die Arbeit für ein europäisches Projekt bei der Bio City Leipzig zu Ende. Weichert wird Berufspolitiker, bis 2014 der Wiedereinzug in den Landtag misslingt. Für die Grünen will Weichert 2006 sogar Oberbürgermeister in Leipzig werden, unterliegt aber dem SPD-Mann Burkhard Jung.

Ein „Türöffner“ für viele Firmen


Die Arbeit in der eigenen Beraterfirma Weichert Consult, die Firmen und Institutionen unterstützt, Kontakte zur Politik und Kultur zu knüpfen, geht weiter. So organisiert er für das Jubiläum eines traditionsreichen Leipziger Handwerkbetriebes die Veranstaltung samt Catering und Festredner aus der Politik. Für die Hotellerie und Gastronomie castet er schon einmal Azubis in Spanien, als 2012/13 die Jugendarbeitslosigkeit besonders hoch ist und in Leipzig dringend Nachwuchs gebraucht wird. Und auch in Bosnien-Herzegowina fungiert er als „Türöffner“ für hiesige Firmen und die
Universität Leipzig, um für gemeinsame Projekte wie in der Abfallwirtschaft Fördermittel sowie die Finanzierung hinzuzubekommen.

Viel Herzblut für den Leipziger Zoo


Viel Zeit widmet der begeisterte Rennrad- und Motorradfahrer Weichert dem Ehrenamt, wobei ihm vor allem die Präsidentschaft im Zoo-Förderverein sehr am Herzen liegt. Seit 2014 hat er dieses Amt inne und ist mittlerweile mit 1.300 Mitstreitern dabei, zusätzliche Spenden und Tierpatenschaften für den Leipziger Zoo zu akquirieren. Regelmäßig wird beispielsweise Glühwein auf dem
Leipziger Weihnachtsmarkt verkauft. Inzwischen kann der Förderverein dem Zoochef Jörg Junhold und seinem Team Jahr für Jahr mehr als eine Million Euro zur Verfügung stellen. „Artenschutz und der weltweite Verlust an Biodiversität treiben uns an. Arten- und Klimaschutz gehören zusammen. Das passt für mich zur Ehrfurcht vor dem Leben, also meiner christlichen Erziehung“, bekennt Weichert.  Der Mitbegründer des Städtepartnerschaftsvereins Leipzig-Travnik ist auch regelmäßig bei Bürgerreisen in die Partnerstadt dabei. Privat ist der kulturinteressierte Weichert, der als Jugendlicher auch Komparse ist, häufig bei Premieren im Opernhaus, den Leipziger Kabaretts oder im Krystallpalast-Varieté anzutreffen. Schon in der „Sternhöhe“ hat er regelmäßig Kabarett-Auftritte mit dem Kabarett academixer oder der Leipziger Pfeffermühle organisiert. 

Stand: 17.12.2023

Bildergalerie - Weichert, Michael

Synagogendenkmal / Große Gemeindesynagoge

Gottschedstraße 3 / Ecke Zentralstraße | Ortsteil: Zentrum-West

Umsäumt von niedrigen Sträuchern stehen 140 Bronzestühle an der Gottschedstraße, die die meisten Leipziger als Kneipenmeile kennen. Einladend sehen sie nicht gerade aus. Sie gehören zu einem begehbaren Denkmal, das die beiden Leipziger Architekten Anna Dilengite und Sebastian Helm für das Eckgrundstück Gottschedstraße/Zentralstraße geschaffen haben. Es erinnert an die Große Gemeindesynagoge, die während der Novemberpogrome in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 in Brand gesteckt und zerstört wird. Die leeren Stühle sind voller Symbolik. Die Nationalsozialisten haben nicht nur ein bedeutendes Gebäude unweit des Promenadenringes zerstört. Auch die Menschen, die in die Synagoge zum Gebet kommen, sind fort. Ausgegrenzt, verfolgt, vertrieben, ermordet. Stege führen nun hinein in die Reihen. Besucher sollen sich durchaus mal setzen, verweilen und vor allem nachdenken. Sich an diesem Gedenkort mit der Geschichte der ehemaligen Großen Gemeindesynagoge beschäftigen. Durch diese Gestaltung wird auch das räumliche Vakuum des Ortes schmerzhaft bloßgelegt.

Eine Synagoge auch für Messebesucher


Die Große Gemeindesynagoge wird auch
„der Tempel“ genannt. Das Gotteshaus ist die älteste und bedeutendste Synagoge Leipzigs und wurde nach Plänen von Otto Simonson, einem Schüler von Gottfried Semper, mit etwa 1.600 Plätzen auf einem trapezförmigen Grundriss konzipiert. Das Gebäude muss groß genug sein, um auch von den jüdischen Handelsleuten, die regelmäßig zur Leipziger Messe in die Stadt kommen, genutzt zu werden. Die Grundsteinlegung erfolgt am 9. September 1854. 

Ein Jahr später, am 10. September 1855, kann Rabbiner Adolf Jellinek es bereits einweihen. Das im maurischen Stil errichtete Gotteshaus ist stilprägend für den Synagogenbau in Deutschland in dieser Zeit. Bei seiner Weihe wirkt der Thomanerchor mit. Die Gemeinde ist liberal. Sogar eine Ladegast-Orgel gibt es ab 1868. Diese liberale Ausrichtung führt allerdings zu Akzeptanzproblemen mit den zugewanderten orthodoxen Juden. Deshalb wird für sie die Ez-Chaim-Synagoge in Apels Garten 4/Otto-Schill-Straße errichtet, die in der Reichspogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 ebenfalls zerstört wurde. 

Gedenkstein erinnert an die Zerstörung


Um an die Zerstörung der Großen Gemeindesynagoge zu erinnern, wurde am 18. November 1966 an der ehemaligen Nordfassade ein Gedenkstein aus Cottaer Sandstein aufgestellt. Der Leipziger Bildhauer
Hans-Joachim Förster entwarf ihn. Das Grundstück der ehemaligen Synagoge diente viele Jahrzehnte als Parkplatz und Standort einer Trafostation. Nach der Friedlichen Revolution im Herbst `89 gibt es Restitutionsansprüche.

Bereits im Juni 1994 beschließt der Stadtrat, in der Gottschedstraße eine würdige Gedenkstätte für die mehr als 13.000 ermordeten und verfolgten Leipziger Juden zu errichten. Doch das Vorhaben zieht sich hin, da komplizierte Grundstücksfragen zu klären sind. So bemüht sich auch die Jewish Claims Conference als Sachwalterin erbenlosen jüdischen Besitzes um das Grundstück. Sie zieht ihre Ansprüche dann aber zurück. 

1997 wird die Stadt Leipzig Eigentümerin der Fläche. Gemeinsam mit der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig lobt sie einen sachsenweit offenen anonymen Wettbewerb aus, zu dem auch internationale Künstler eingeladen sind. Die Leipziger Architekten Anna Dilengite und Sebastian Helm gehen zwar nicht als Sieger aus dem Wettbewerb hervor. Favoriten der Jury sind zunächst ein strenger Kubus aus Beton und Glas sowie alternativ ein Labyrinth aus Glasplatten, auf denen die Namen aller ermordeten Leipziger Juden stehen sollen.

Doch Dilengite und Helm überzeugen mit ihrem Entwurf den Stadtrat. Die Gedenkstätte für verfolgte, ausgegrenzte und ermordete jüdische Bürger wird am 24. Juni 2001 im Beisein des israelischen Botschafters in Deutschland, Shimon Stein, eingeweiht. „Die Menschen sollen sich auf die Stühle setzen und beim Aufstehen die Erinnerung mitnehmen“, sagte er damals.

Brodyer Synagoge bleibt erhalten


An der Grundstücksgrenze steht eine Wand aus Sichtbeton mit Texten in englischer, deutscher und hebräischer Sprache auf jeweils drei Bronzetafeln. Wie die Synagoge aussieht, können auch Nichtsehende in Braille-Schrift ertasten.

Von den Leipziger Synagogen ist lediglich die Brodyer Synagoge in der Keilstraße, die 1904 in ein Wohnhaus hinein gebaut wurde, in ihrer ursprünglichen Funktion erhalten geblieben. Dort konnten beherzte Anwohner im November 1938 den Brandherd löschen. Die Inneneinrichtung sowie Fernster wurden dennoch demoliert. Das Gebäude der Brodyer Synagoge wird „arisiert“, dient danach als Seifenfabrik und wird im Oktober 1945 wieder als Synagoge geweiht. Heute ist sie die Gemeindesynagoge der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig.

Stand: 17.12.2023

Bildergalerie - Synagogendenkmal / Große Gemeindesynagoge

Historisches Bildmaterial - Synagogendenkmal / Große Gemeindesynagoge

Lehmann-Grube, Hinrich

Jurist, Politiker, ehemaliger Oberbürgermeister Leipzigs | geb. am 21. Dezember 1932 in Königsberg; gest. am 6. August 2017 in Leipzig

Er pflegt einen Politikstil, der Leipzig voranbringt. Mit preußischer Disziplin und sächsischem Pragmatismus prägt Hinrich Lehmann-Grube die Stadtverwaltung von Leipzig, der er von 1990 bis 1998 vorsteht. Leipzig ist für Lehmann-Grube, der in Königsberg/Ostpreußen geboren wird, zwar nicht die Heimat. Er nennt es aber stets „sein Zuhause“. Der seit 1958 aktive Sozialdemokrat wird nach der Friedlichen Revolution `89 von seiner Partei gebeten, sich bei den ersten demokratischen Kommunalwahlen in der DDR im Mai 1990 um einen Sitz in der Stadtverordnetenversammlung und auch um das Amt des Oberbürgermeisters von Leipzig zu bemühen. Noch vor der Wahl, im April 1990, wird Lehmann-Grube Bürger der DDR – um das Signal auszusenden, dass Leipzig für ihn keine Zwischenstation ist. Und der promovierte Jurist wird zum „Glücksfall für Leipzig“. Darüber sind sich selbst seine politischen Gegner einig. Er regiert über Parteigrenzen hinweg mit dem „Leipziger Modell“ und bringt damit das Gemeinwesen voran.

Hinrich Lehmann-Grube wird 1932 in Königsberg als Sohn eines Kinderarztes geboren. Seine Mutter entstammt einer Hamburger Familie, die sich sehr aktiv in der Sozialdemokratischen Partei engagiert. Als Flüchtling kommt Lehmann-Grube nach Ende des Zweiten Weltkrieges nach Hamburg und besucht dort die Schule. 1951 macht er in der Hansestadt Abitur und studiert anschließend Jura. Seit 1956 ist Lehmann-Grube aktives Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Seine Frau Ursula heiratet er im Jahre 1957.

Oberstadtdirektor will von Hannover weg


Beruflich zieht es den Volljuristen in die Verwaltung und Politik. Zehn Jahre lang arbeitet er für den Deutschen Städtetag in Köln, anschließend 12 Jahre als Beigeordneter der Stadt Köln. Im Jahr 1979 wird „LG“, wie er in Leipzig oft genannt wird, Oberstadtdirektor der Stadt Hannover. Mit der dortigen Kommunalverfassung ist er allerdings unzufrieden. Denn diese weist ihm „die Rolle des buckelnden Verwaltungschefs“ zu, wie er einmal in einem Interview mit der
Leipziger Volkszeitung sagt. Deshalb kommt ihm der Ruf der Leipziger SPD, die sich zunächst als SDP in der DDR gründet, gerade recht. Am 19. März 1990 treffen sich die Mitglieder des Leipziger SPD-Stadtvorstandes, um die Wahlschlappe bei den DDR-Volkskammerwahlen vom 18. März auszuwerten. Für Anfang Mai sind die Kommunalwahlen in Leipzig anberaumt, der SPD fehlt noch ein Spitzenkandidat. An diesem Abend kommt die Rede auf einen gewissen Lehmann-Grube, der von Hannover wegwill. Wie der Zufall es will, ist beim Lindenauer SPD-Ortsverein gerade ein Heimvolkshochschulkurs aus Springe bei Hannover zu Gast. Dabei ist auch Ursula Lehmann-Grube, die gefragt wird, ob sie sich denn eine Kandidatur ihres Mannes vorstellen kann? Der Ausgang ist bekannt: Das Ehepaar packt Hab und Gut zusammen, kommt in Leipzig zunächst in einem ehemaligen Stasi-Gästehaus in Stötteritz unter.

Mit einem weit über dem DDR-Durchschnitt liegenden Ergebnis wird die SPD in Leipzig die stärkste Partei bei der Kommunalwahl. Sie holt 45 Mandate. Am 6. Juni 1990 wird Hinrich Lehmann-Grube mit 76 Prozent der abgegebenen Stimmen zum neuen Oberbürgermeister gewählt. Damit beginnt der Aufbau einer effizienten Verwaltung. In seiner Antrittsrede verweist der neue erste Mann auf die schlimme Ausgangslage in Leipzig, die sich beispielsweise im Zustand der Infrastruktur und Gebäude, der Umwelt, der Verkehrswege sowie der hohen Arbeitslosigkeit nach verschiedenen Betriebsschließungen zeigt. Für viele ist das damals ein Grund, Leipzig zu verlassen und in den Westen abzuwandern. Er kommt hierher.

„Leipziger Modell“ bringt die Stadt voran


Lehmann-Grube muss nach seinem Amtsantritt die Verwaltung völlig neu aufbauen. Sein Politikstil, nicht zuerst parteipolitisch zu denken, sondern über die Parteigrenzen hinweg an der Lösung von Problemen gemeinsam zu arbeiten, wird zunächst in anderen westdeutschen Städten belächelt. Doch eben dieses „Leipziger Modell“ bringt die Stadt in den Anfangsjahren nach der Friedlichen Revolution voran. Es gilt, Entscheidungen wie am Fließband zu treffen, auch unpopuläre. Aber es gibt halt keine sozialdemokratischen oder christdemokratischen Wasserrohre, die repariert werden müssen. Dabei ist der leidenschaftliche Bratsche-Spieler Argumenten recht aufgeschlossen. Er kann sich auch revidieren, wie langjährige Weggefährten berichten.

Ist Lehmann-Grube von einer Sache überzeugt, bleibt er standhaft. Es ist eine Eigenschaft, die nur wenigen Politikern eigen ist. Ein Beispiel dafür ist die damals umstrittene Verlagerung der Leipziger Messe in den Norden Leipzigs. Er argumentiert, dass diese am alten Standort nicht konkurrenzfähig sei. Der Rat stimmt letztlich mit nur wenigen Gegenstimmen zu. Die Eröffnung des Neuen Messegeländes und des Congress Centers Leipzig bezeichnete er im Nachhinein als „schönsten Moment“ seiner Arbeit. Es gibt natürlich auch Rückschläge und Niederlagen. Kalt erwischt wird er Mitte der 1990er-Jahre von der Nachricht über den finanziellen Zusammenbruch der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB).

„LEIPZIG KOMMT!“ wird mehr als ein Slogan


Das Bad in der Menge liegt ihm nicht. Bei Dingen, die das Leipziger Selbstverständnis betreffen, hält er sich zurück. Aber er trägt wesentlich dazu bei, dass die Menschen Gestaltungskraft und Selbstvertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit zurückgewinnen. „LEIPZIG KOMMT!“ wird in jener Zeit mehr als ein Slogan. Lehmann-Grube sieht es als besonderen Vertrauensbeweis an, dass die Leipziger ihn – trotz einer damals verbreiteten Anti-Wessi-Stimmung – am 26. Juni 1994 in direkter Wahl im Amt bestätigen.

Am 30. Juni 1998 wechselt Lehmann-Grube in den Ruhestand und lebt mit Ehefrau Ursula in einem Mehrfamilienhaus am Johannapark. Seine Nachfolge als Oberbürgermeister tritt am 1. Juli 1998 Wolfgang Tiefensee an, der zuvor als Lehmann-Grubes Stellvertreter sowie als Beigeordneter für Jugend, Schule und Sport tätig war. Am 14. Juli 1999 wird Hinrich Lehmann-Grube in Anerkennung seiner Verdienste zum Ehrenbürger ernannt. Quasi ein Ehren-Leipziger nicht durch Geburt, sondern weil er die Stadt prägt(e).

Der verdiente Politiker erliegt am 6. August 2017 auf der Palliativstation des St. Elisabeth-Krankenhauses in Connewitz einem Krebsleiden. 

Die Stadt organisiert jährlich ein Hinrich-Lehmann-Grube-Symposium, das dem Austausch zwischen Stadtverwaltung, Stadtrat und den kommunalen Unternehmen dient. Im Gespräch ist, einen Teil des Roßplatzes nach Lehmann-Grube zu benennen.

Stand: 17.12.2023

Bildergalerie - Lehmann-Grube, Hinrich

Leder, Ronny Maik

Geologe, Paläobiologe, Museumsdirektor | geb. am 30. März 1977 in Ilmenau

Der moderne Mann trägt Hut. Das zelebriert Ronny Maik Leder regelrecht. Etwa, wenn der Direktor des Naturkundemuseums Leipzig Gäste zur Museumsnacht begrüßt oder den ehemaligen Bowlingtreff auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz als neues Domizil der Sammlungen präsentiert. Bis der einstige Freizeittreff als modernes Museum eröffnet, braucht es allerdings einen langen Atem. Den hat Leder wohl nicht immer. Oft ist er ungeduldig und möchte alle bürokratischen und finanziellen Hürden, die dem Mammut-Projekt in den Weg gelegt werden, schnell beiseite rücken. Doch der Wissenschaftler muss Zwänge hinnehmen. Nach jetzigem Zeitplan wird das Naturkundemuseum wohl frühestens 2029 am Wilhelm-Leuschner-Platz öffnen.

Ein Platz in der Champions League


Leder ist voller Leidenschaft und hartnäckig, wenn es um sein Ziel geht, dem Naturkundemuseum ein neues Zuhause zu geben. Das liegt wohl auch daran, dass er als Skilangläufer („Ich liebe Schnee!“) und begeisterter Rennradfahrer viel Ausdauer hat. Dem Naturkundemuseum will er einen Platz in der Champions League verschaffen und hat dafür auf Grundlage eines existierenden Masterplanes die Konzeption ausgearbeitet. „Seit ich das erste Mal im Naturkundemuseum war, sage ich, dass es mein großer Traum ist, dort zu arbeiten“, bekennt er.

Das macht er als Direktor seit dem1. Dezember 2016 – im alten Domizil in der Lortzingstraße am Goerdelerring. Geboren ist Leder 1977 im thüringischen Ilmenau. Aufgewachsen im Thüringer Wald zieht es ihn oft in die Natur. Mit den Eltern geht er Beeren und Pilze sammeln, stöbert in den Naturlexika seines Großvaters. Schon als Kind wird ihm klar, dass seine Zukunft etwas mit Naturkunde zu tun haben soll. An der Polytechnischen Oberschule setzt er sich energisch dafür ein, dass ein Molchteich renaturiert wird. Daraus entwickeln sich Projektwochen. Nach dem Abi am Professor-Carl-Fiedler-Gymnasium in Suhl studiert er an der Universität Leipzig in den Jahren 2000 bis 2005 Geologie und Paläontologie. Dort wird er auch als Studentenvertreter aktiv, organisiert Proteste, weil der Studiengang Geowissenschaften gekürzt werden soll.

Haie sind sein Spezialgebiet


Leder wird Mitarbeiter der Geologisch-Paläontologischen Sammlung der Universität Leipzig, die beispielsweise Fossilien aus Meeresablagerungen der Tertiärzeit im südlichen Leipziger Raum aufbewahrt. Bis 2014 arbeitet er dort und promoviert parallel als Paläobiologe, der ausgestorbene Organismen erforscht. Für seine Doktorarbeit zieht es ihn nach Washington in die USA – ans weltgrößte Naturkundemuseum, das Smithsonian. Leders Spezialgebiet sind Haie und die fossile Fischfauna. Der Wissenschaftler entwickelt neue Techniken für die Klassifizierung fossiler Haifischzähne. Auslöser für den Amerika-Aufenthalt ist eigentlich seine Frau Sabrina, die dort die US-Filiale einer deutschen Firma aufbaut.

Vor seiner Rückkehr nach Leipzig arbeitet Leder am „Florida Museum of Natural History in Gainesville“ (USA) als Post Doc und kurze Zeit auch als Assistenzprofessor. In den USA bleiben wollten Leder und seine Familie nie, obwohl er die dortige großartige Forschungsinfrastruktur sehr schätzt. Dort arbeitet er beispielsweise mit am Projekt idigbio, das die digitale Aufarbeitung der Sammlungsbestände vorantreibt. Doch er will zurück, seinen Traum für ein modernes Museum leben. Erfahrungen mit Museumsarbeit hat Leder da schon. Für das Museum der Westlausitz in Kamenz konzipiert Leder 2011/12 gemeinsam mit Jens Czoßek die Sonderausstellung „Tropenparadies Lausitz – Klimawandel im Tertiär“.

Neue Ausstellung soll ein Besuchermagnet werden


Für Leipzig hat Leder, der verheiratet ist und drei Kinder hat, buchstäblich einen „Rucksack voller Ideen“. Die Pläne für das neue Museum sind sehr ambitioniert. Der Museumschef will mit den wertvollen Sammlungen seines Hauses weit über die Stadtgrenzen hinaus ausstrahlen. „Es entsteht ein attraktives Haus, etwas völlig Neues. Ich glaube fest daran, es wird ein Besuchermagnet“, sagt er im Interview mit der
Leipziger Volkszeitung nicht unbescheiden. 

Wer sich die Konzeption anschaut, wird daran wohl wenig Zweifel haben. Leder hat für das Ausstellungskonzept mit seinem Team mehr als 400 Themenkomplexe entwickelt. So will er beispielsweise prähistorische Lebenswelten, die Kunst der Präparation sowie das beeindruckende Spektrum Leipziger Wissenschaftshistorie in verschiedenen Inszenierungen beleuchten. Ins Blickfeld gerückt wird die Tiefseeexpedition, die der Leipziger Zoologie-Professor Carl Chun 1898 mit dem Forschungsschiff Valdivia startet. Da gibt es spannende Exponate im Leipziger Museum. „Das Thema ist von hoher Attraktivität für die Besucher. Ich war überrascht, dass dies in Leipzig bisher wenig präsent ist.“ 

Moderne Tierpräparation rückt in Blickpunkt


Das neue Haus will ebenso an
Herman Ter Meer als Wegbereiter der modernen Tierpräparation erinnern. Selbstverständlich wird es dort Dioramen geben. „Es gibt optische Möglichkeiten, Dioramen sehr unterhaltsam zu gestalten, ohne den Bezug zur Historie zu verlieren“, blickt er voraus. Die Präparate Ter Meers gehören zu den Highlights der Leipziger Sammlung. Das Museum besitzt ebenfalls wertvolle Präparate, die Eduard Poeppig während seiner großen Amerikareise gesammelt hat. Eine Rolle spielt auch einer der Gründer des Museums, Emil Adolf Roßmäßler, der als Vater der Aquaristik gilt.

Erzählen will Leder außerdem die Geschichte des „Mammuts von Borna“. Das wird 1908 in einer Lehmgrube am Wyhra-Ufer entdeckt. Das nahezu vollständig erhaltene Mammutskelett wird schließlich von Ende 1909 an in der Prähistorischen Abteilung des Leipziger Museums für Völkerkunde zu Leipzig aufgebaut und ist dort bis zur Zerstörung in der Bombennacht vom 4. Dezember 1943 die Attraktion. Theoretisch könnte es dank moderner Technik rekonstruiert werden, der Leipziger Paläontologe Johannes Felix hat es einst millimetergenau vermessen. „Ich möchte das Skelett aber keineswegs rekonstruieren, sondern die Geschichte erzählen, wie die Reste im Bauschutt geborgen worden und letztlich in ganz Deutschland verstreut sind“, nennt Leder ein weiteres Beispiel. Für die Strategie der neuen Ausstellung wird das Naturkundemuseum bereits 2021 mit dem Sächsischen Museumspreis ausgezeichnet.

Neues Naturkundemuseum soll 2029 fertig sein


Das Museum sollte zunächst in die Halle 7 der ehemaligen
Baumwollspinnerei ziehen. Doch der Stadtrat zieht die Notbremse, weil sich das Haus nach genaueren Untersuchungen nicht eignet und die Kosten für den Ausbau zu hoch sind. Im Oktober 2020 wird dann beschlossen, den ehemaligen Bowlingtreff als Museum auszubauen. Dabei handelt es sich um ein ehemaliges unterirdisches Umspannwerk, das 1986/87 zur Freizeitsportstätte umgeplant und um das Oktagon, ein achteckiges Eingangsbauwerk, erweitert wurde. Das Museum soll etappenweise bis 2029 öffnen, das Oktagon mit Räumen für die Verwaltung wahrscheinlich schon etwa früher. 

Leder lässt sich viel einfallen, um für die Sammlung zu werben. Er hatte auch die Idee für den Videopodcast „School’s out!?“, den das Naturkundemuseum Leipzig seit März 2020 produziert. Entstanden in der Corona-Schließzeit, richtet er sich hauptsächlich an wissbegierige Kinder und Jugendliche. Der Podcast ist aber auch geeignet, damit neugierige Erwachsene Inhalte vertiefen oder neue Forschungsgebiete kennenlernen können.

Stand: 17.12.2023

Bildergalerie - Leder, Ronny Maik

Heizkraftwerk Leipzig Süd

Bornaische Straße 120 | Ortsteil: Lößnig

Es ist das „sauberste Heizkraftwerk“ der Welt. Mehr als 5.000 Besucher wollen sich von dieser Ankündigung überzeugen, mit der die Leipziger Stadtwerke für das neue Heizkraftwerk Leipzig Süd in der Bornaischen Straße 120 werben. Das wird mit einem Bürgerfest am 23. Oktober 2023 offiziell eingeweiht. Zu diesem Zeitpunkt ist es allerdings schon einige Monate am Netz. Das Heizkraftwerk ist Ende 2022 in den Dauerbetrieb gestartet – vorerst mit Erdgas. Der kommunale Energieversorger kündigt an, dass in den modernen Anlagen bereits in zwei Jahren Wasserstoff zum Einsatz kommen soll – zumindest als Beimischung. „Damit sichern wir die Energieversorgung und liefern zugleich einen wichtigen Beitrag zum Erreichen unserer Klimaziele“, sagt Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung bei der Eröffnung. Die Stadtwerke haben in das Projekt über 180 Millionen Euro investiert.

In der Anlage an der Bornaischen Straße kommen zwei moderne, hocheffiziente Gasturbinen zum Einsatz. Sie befinden sich in einem neu errichteten bronzegoldenen Gebäude. Diese Turbinen sollen das Erdgas besonders sauber verbrennen, heißt es. Garantiert seien „kaum messbare Luftschadstoffe, die weit unter dem Niveau der gesetzlich zulässigen Grenzwerte liegen“, teilen die Stadtwerke mit. Spezielle Katalysatoren sorgen dafür, die wesentlichen Emissionen von Stickstoffoxiden und Kohlenmonoxid zu reduzieren.

Turbinen können grünen Wasserstoff verbrennen


Rund 60 Meter hoch und weithin sichtbar ist der neue „Koloss von
Alt-Lößnig„. Dieser Wärmespeicher (Fassungsvermögen: rund 43.000 Kubikmeter Wasser) speichert die im Kraftwerk erzeugte, aber nicht sofort benötigte thermische Energie. Bei Bedarf wird sie ins Fernwärmenetz eingespeist. Dabei kann die Anlage laut Stadtwerken sehr schnell auf den Energiemarkt reagieren. Das Kraftwerk läuft nur dann auf vollen Touren, wenn nicht genügend Heizwärme aus Sonnen- oder Windenergie zur Verfügung steht. An kalten Wintertagen kann es den Fernwärmebedarf für ein Drittel der Leipziger Haushalte liefern. In diesen sogenannten Dunkelflauten stellt das Kraftwerk Strom und gleichzeitig Wärme bereit. 

Die Siemens-Gasturbinen sind dafür ausgelegt, von Anfang an hohe Anteile von grünem Wasserstoff zu verbrennen. Dieser wird mit Strom aus Solar- und Windkraft erzeugt. Die Herstellung ist allerdings derzeit noch sehr energieintensiv und teuer. Diese technologische Option ermöglicht es jedoch, die Strom- und Wärmeerzeugung perspektivisch vollständig auf erneuerbare Technologien umzustellen. Die Leipziger Stadtwerke wollen sich ab 2025 an einem vom Bund geförderten Entwicklungsprojekt beteiligen – gemeinsam mit dem Turbinen-Hersteller Siemens Energy und der Leipziger Hochschule für Technik Wirtschaft und Kultur (HTWK). Das kündigt Projektmanager Thomas Brandenburg bei der Eröffnung an, die wie ein Volksfest gefeiert wird. Das Unternehmen bedankt sich damit bei Anwohnern auch für die Erschwernisse der Bauphase. Wann grüner Wasserstoff im kommerziellen Betrieb genutzt werden kann, ist derzeit unklar. Das hängt von der Verfügbarkeit des klimaneutralen Gases zu wettbewerbsfähigen Preisen ab. Notwendig ist zudem, eine Wasserstoff-Pipeline zu errichten.

Kraftwerksareal hat lange Historie


Das Areal an der Bornaischen Straße hat eine lange Geschichte für die Energieversorgung Leipzigs. 1895 entsteht zwar in der Eutritzscher Straße auf dem Gelände der ersten städtischen Gasanstalt das erste Elektrizitätswerk Leipzigs. Doch um die Jahrhundertwende kommt der industrielle Aufschwung in Fahrt. Die Bevölkerung wächst rasant, in kurzer Zeit wird eine große Anzahl neuer Firmen, Verwaltungsgebäude und Wohnungen gebaut. Das Elektrizitätswerk Nord stößt an seine Grenzen. Die Erzeugerleistung reicht nicht aus, um den Strombedarf zu decken. Ein zweites Elektrizitätswerk wird daher benötigt.

Die Stadtverordneten entscheiden sich im Februar 1908 für das Gelände im Leipziger Süden, auf dem vorher einmal eine Ziegelei angesiedelt war. Ausschlaggebend ist die Nähe zu den Gleisen der Bahnlinie Leipzig-Altenburg, aber auch zum Schacht Dölitz in der Friederikenstraße. Dort wird Braunkohle gefördert, die zunächst mit Pferdewagen transportiert wird. Eine Zeitlang existiert sogar eine von der Leipziger Firma Bleichert Werke gebaute offene Drahtseilbahn als Transportmittel. Die wird aber stillgelegt als sich Beschwerden der Anwohner über eine Staubbelastung häufen. Die Kohle wird danach per Eisenbahnwaggons angeliefert. Nahe gelegen ist die Mühlpleiße, der Kondensationswasser entnommen werden kann.

Im August 1908 beginnen die Bauarbeiten, im April 1910 geht das neue Kraftwerk mit einem 75 Meter hohen Schornstein in Betrieb. 1925 wird es erweitert. Nach dem Zweiten Weltkrieg ordnet die Sowjetische Militäradministration eine weitgehende Demontage der Kraftwerksanlagen als Reparationsleistung an. Später wird die Anlage als Ernst-Thälmann-Kraftwerk ausgebaut. Im April 1963 kommt es im Maschinenhaus zu einem Großbrand, der den Totalausfall des Werkes nach sich zieht. Danach wird es wieder aufgebaut. 1994 entsteht noch ein mit Erdgas befeuerter Dampferzeuger. Das Kraftwerk wird 1996 stillgelegt, das Gelände aber weiterhin von den Leipziger Stadtwerken genutzt.

Stand: 17.12.2023

Bildergalerie - Heizkraftwerk Leipzig Süd

Gormsen, Niels

Architekt, Städteplaner, Baubürgermeister | geb. am 9. August 1927 in Rottweil; gest. am 10. Juli 2018 in Borna

In Leipzig bricht er wahrhaftig zu „neuen Ufern“ auf: Für Niels Gormsen ist nicht nur die von der Bürgerschaft initiierte Freilegung von Pleißemühlgraben und Elstermühlgraben eine Herzensangelegenheit. Schon im reifen Alter von 63 Jahren kommt der Stadtplaner von Mannheim an die Pleiße. Er folgt 1990 einer Bitte des neuen Leipziger Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube, weil in Leipzig ein Dezernent für Stadtentwicklung gesucht wird. Nach seinen Ausscheiden aus der Stadtverwaltung bleibt Gormsen hier und vor allem aktiv. Bis ins hohe Alter hinein und allen körperlichen Einschränkungen zum Trotz nimmt er als wacher Zeitgenosse am städtischen Leben teil. Selbst im Krankenbett greift er noch zum Telefonhörer, um seine Meinung kundzutun. Viele Leipziger haben ihn in Erinnerung, wie er mit über 90 Jahren im „Rolli“ zu Veranstaltungen kommt. Und dort ab und an ein „Nickerchen“ macht.

Aus Niederlage wird eine Chance


Geboren wird der deutsche Architekt und Städteplaner in Rottweil. In Königsfeld im Schwarzwald besucht er das Gymnasium. Von 1951 bis 1958 studiert Gormsen Architektur an der Technischen Hochschule Stuttgart sowie an der Königlich-Technischen Hochschule Stockholm. In Stuttgart arbeitet er als Assistent am Lehrstuhl für Städtebau. Von 1962 bis 1972 leitet er das Stadtplanungsamt von Bietigheim/Württemberg. 1973 wechselt er zur Stadt Mannheim und übernimmt dort das Amt eines Baubürgermeisters. Er gilt als anerkannter Fachmann, die Kompetenz des Parteilosen ist über alle Parteigrenzen hinweg unbestritten. Oft wird er als „Baubürgermeister mit dem grünen Herzen“ bezeichnet. Dennoch wird er 1988 nicht wiedergewählt. Die SPD erhebt Anspruch auf den Posten, um ein Parteimitglied unterzubringen.

Doch aus dieser Niederlage wird eine Chance. Der neue Leipziger Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube erfährt, dass in Mannheim ein fähiger Stadtplaner nach einer neuen Tätigkeit sucht und holt Gormsen 1990 an die Pleiße. Das wird zwar keine leichte Aufgabe. Gerade lief der legendäre Dokumentarfilm „Ist Leipzig noch zu retten?“ im DDR-Fernsehen, der ein eher düsteres Bild von der Messestadt mit vielen zum Teil unbewohnbaren Gründerzeithäusern und vielen maroden Bauten zeichnet. An der Rettung Leipzigs mitzuwirken, wird für Gormsen sowohl Herausforderung als auch ein großes Lebensglück. Mit seiner Erfahrung und viel Geschick versucht er Förderprogramme anzuzapfen, die in den Folgejahren die Sanierung eines Großteils des Denkmalbestands ermöglichen. Investoren geben sich in diesen Jahren im Neuen Rathaus buchstäblich die Klinke in die Hand, um beim Aufbau Ost mitzuwirken und freilich daran zu verdienen. Zu ihnen gehört auch ein gewisser Jürgen Schneider. Der Baulöwe, der später wegen seiner kriminellen Energie verurteilt wird, hat dennoch die Sanierung vieler Gebäude in Leipzig auf den Weg gebracht.

Gormsen ist stolz auf Projekte, die mit seiner Hilfe angeschoben und realisiert werden können. Etwa auf die neue Leipziger Messe, den Umbau des Hauptbahnhofs, das Paunsdorf-Center sowie die Initiative „Pleiße ans Licht“ mit seiner ehrenamtlichen Tätigkeit für den Neue-Ufer-Verein. Natürlich macht er sich in Leipzig nicht nur Freunde: Für „Keksrollen“-Eckhäuser und den Umbau des Hauptbahnhofs wird er damals von einigen beschimpft.

Der Höhepunkt eines Berufslebens


In seiner Amtszeit schafft er mit seinen Mitarbeitern wesentliche Grundlagen für eine geordnete städtebauliche Entwicklung der alten Messestadt nach der
Friedlichen Revolution. Leipzig beschert ihm, wie er einmal in einem Interview sagt, „den Höhepunkt des Berufslebens“. Die Stadt nennt er ein bisschen euphorisch „eine späte Liebe“. 

Nach der Pensionierung 1995 engagiert er sich für das Leipziger Neuseenland, eine Seenlandschaft, die anstelle früherer Tagebaue entsteht. Oft genug erhebt er seine Stimme, wenn wieder einmal in seinen Augen falsche Weichenstellungen im Städtebau gemacht werden. Und engagiert sich in durchaus spektakulären Aktionen, etwa um die Sprengung der Abraumförderbrücke im Tagebau Zwenkau zu verhindern und diese als Denkmal zu retten. Das klappt zwar ebenso wenig, wie der Erhalt der Kleinen Funkenburg. Interne Aufforderungen, sich als Ex-Stadtbaurat nicht öffentlich in Belange der Stadtentwicklung einzumischen, weist er zurück. „Ich bin ein freier Bürger“, sagt er. 2017 kritisiert er das Verfahren zur künftigen Gestaltung des Wilhelm-Leuschner-Platzes. In einem offenen Brief an Oberbürgermeister Burkhard Jung wirft er der Stadtverwaltung eine Missachtung des bürgerschaftlichen Engagements vor.

Bücher über den Wandel Leipzigs


Gemeinsam mit dem Fotografen
Armin Kühne publiziert er Bücher über den Wandel Leipzigs. Gormsen hat die Idee, die sanierte Stadt, mit dem Zustand der Stadt zu seiner Amtsübernahme 1990 zu vergleichen. Kühne, der Leipzig seit Jahrzehnten fotografisch detailreich dokumentiert, hat dafür genau die geeigneten Bilder. Weil sich für den Erstling kein Verlag interessiert, finanziert Gormsen die erste Auflage des Buches privat. Später werden seine Bücher zum Verkaufsschlager des Verlages Edition Leipzig.

Gormsen selbst veröffentlicht ebenfalls Skizzenbücher. Seine künstlerische Ader als Architekt verwirklicht er in unzähligen Zeichnungen. Eine von der Kongresshalle am Zoo wird sogar das Logo des gleichnamigen Fördervereins. Und er organisiert „mit Schlips und Kragen“ Radtouren, die nahezu legendär werden. Nach dem Tod seiner Frau Traute, die in Mannheim lebte, heiratet er im Januar 2017 seine langjährige Leipziger Weggefährtin Hella Müller. Er ist Gründungsmitglied und langjähriger Vorsitzender und Ehrenvorsitzender des Fördervereins Neue Ufer. Außerdem engagiert er sich als Ehrenvorsitzender der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung. Geehrt wird er sowohl mit dem Bundesverdienstkreuz als auch dem Verdienstkreuz des Freistaates Sachsen.

Vier Wochen vor seinem 91. Geburtstag stirbt er bei einem Krankenhausaufenthalt in Borna. Sein Nachlass befindet sich heute im Stadtarchiv Leipzig. Dabei handelt es sich um Skizzenbücher, Aufsätze, Vorträge, Briefe und Fotos, die von seiner Kreativität und seinem Engagement für die Stadt zeugen. Mit der Schenkungsurkunde wurde geregelt, dass der Nachlass erst nach dem 1. Januar 2029 öffentlich zugänglich und nutzbar sein wird, um private Belange der Familie und anderer Weggefährten zu schützen.

Stand: 17.12.2023

Bildergalerie - Gormsen, Niels

Fontana, Eszter

Musikwissenschaftlerin, Autorin | geb. am 21. April 1948 in Budapest

Für die Leipziger Notenspur hat sie gerade den Telemann-Soundwalk mitentwickelt, der im November 2023 präsentiert wurde: Eszter Fontana, die in Ungarn gebürtige Musikwissenschaftlerin, ist unermüdlich im Ehrenamt, um Leipzig voranzubringen. „Ich habe ein großes Herz, da passen viele rein“, sagt sie ein wenig schelmisch. Die Gesellschaft brauche das Ehrenamt, gerade jetzt. Jener Telemann-Soundwalk ist Bestandteil der Notenspuren-App, bei der der Schumann-Verein Leipzig und der Notenspur Leipzig e.V. mit dem Kulturamt der Stadt Leipzig kooperieren. Ziel ist es, interessierte Musikliebhaber auf die Spuren berühmter Komponisten und mit ihnen verbundener authentischer Orte zu schicken.

Das wiederum ist Professorin Fontana, die viele Jahre lang das Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig geleitet hat, sehr wichtig. Voller Leidenschaft kann sie erzählen, um Menschen die reichhaltigen Musiktraditionen Leipzigs nahezubringen. Sie spielt Cello, tritt mit dem Leipziger Lehrerorchester auf. Wichtig ist ihr ebenfalls das Projekt „Europäische Notenspuren“. Dafür hat sie die Ausstellung „Reisende Musiker“ sowie didaktisches Material für die Arbeit in Schulen entwickelt. Hintergrund: Künstler reisen viel von Auftritt zu Auftritt. Das war schon früher so, als es noch keine Flugzeuge und keinen Intercity gab. Clara Schumann beispielsweise hat pro Jahr – so hat sie ermittelt – bis zu 9.000 Kilometer zurückgelegt. „Mit der Kutsche! Das ist eine unglaubliche Leistung mit den Reisemöglichkeiten von damals“, gerät die Professorin ins Schwärmen. Ein wichtiger Antrieb, ob nun als Wissenschaftlerin oder Ehrenamtlerin, ist stets ihre Neugier.

Internationale Preise fürs Lebenswerk


Für ihr Lebenswerk wird sie 2021 von der renommierten Amerikanischen Musikinstrumenten-Gesellschaft mit dem Curt Sachs Award ausgezeichnet. Damit würdigt die Gesellschaft die herausragenden Leistungen der Professorin um die wissenschaftliche Erforschung von Musikinstrumenten. Geehrt wird sie 2013 von der Galpin Society in Oxford mit dem Anthony Baines Memorial-Preis. Seit 2004 ist sie zudem Vorstandsmitglied der Ständigen Konferenz Mitteldeutsche Barockmusik, mittlerweile die Vizechefin. Zum Ehrenamt gehört auch die langjährige Präsidentschaft des Internationalen Verbandes der Musikinstrumentenmuseen.

Die in einer Musikerfamilie geborene Ungarin interessiert sich schon als Kind für alte Instrumente.1966 kommt sie nach Leipzig. Hier beginnt sie eine vierjährige Ausbildung als Restauratorin für Musikinstrumente am Musikinstrumentenmuseum in Leipzig. Nach dem Studium kehrt sie zurück nach Budapest, um am Ungarischen Nationalmuseum zu arbeiten. Dort leitet sie die Sammlung für Musikinstrumente und Uhren. Sie gibt auch Seminare für Restauratoren, Instrumentenbauer und Musikstudenten in Budapest. Fontana promoviert 1993 an der Franz-Liszt-Musikakademie ihrer Heimatstadt.

25 Jahre später kehrt sie zurück nach Leipzig, um ab 1995 als Direktorin das Musikinstrumentenmuseum zu leiten. Das wird eine spannende Zeit.

Die Aufgabe, die legendäre Sammlung konzeptionell ins neue Jahrtausend zu führen, neu zu erschließen und Personalprobleme zu lösen, bringt viel Arbeit. Wichtig ist ihr, die Sammlung einer breiten Bevölkerung zugänglich machen. „Ein Museum ohne Besucher ist kein Museum“ wird zu ihrem Credo. Das gelingt ihr zusehends, auch durch das von ihr entwickelte Klanglabor. Gemeinsam mit ihren Kollegen Eva-Maria Hoyer (Museum für Angewandte Kunst) und Claus Deimel (Museum für Völkerkunde) wird sie gar als Bauherrin aktiv, um die komplexe Sanierung des Grassimuseums am Johannisplatz voranzubringen. Dabei hilft ihr das technische Wissen, das sie schon als Restauratorin erworben hat.

Bei den „Wunderfindern“ für Kinder engagiert


Bis zu ihrer Emeritierung 2013 unterrichtet sie Organologie, Akustik und Paläographie an der
Universität Leipzig. Nahezu zehn Seiten lang ist die Liste ihrer Bücher und Beiträge in Sammelwerken als Autorin, Co-Autorin oder Herausgeberin. Besonders stolz ist sie, dass das als Co-Autorin verfasste Fachbuch „Historische Lacke und Beizen auf Musikinstrumenten in deutschsprachigen Quellen bis 1900“ bereits in fünfter Auflage erscheint. Der Leipziger Musikgeschichte ist die Publikation „600 Jahre Musik an der Universität Leipzig“ gewidmet. Der Begräbniskapelle des Freiberger Domes heißt ein weiteres, ihr sehr wichtiges Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse bereits in zweiter Auflage publiziert sind.

Sie ist Gründungsmitglied des Notenspur Leipzig e.V., dort die Stellvertreterin von Werner Schneider. Eszter Fontana engagiert sich außerdem bei der Stiftung Bürger für Leipzig, vor allem beim Projekt „Wunderfinder“. Das kümmert sich mit einer individuellen Bildungspatenschaft darum, dass Kinder aus schwierigen Verhältnissen ihre Startchancen verbessern können. „Schon im Museum habe ich mich bemüht, Kindern altersgerecht Musik nahezubringen. Doch viele haben zu Hause kein Instrument oder keinerlei Berührung dazu“, erzählt sie. Auch in ihrer Heimat bleibt sie aktiv: Dort will sie mit einem Verein den ehemaligen Gasthof zum „Schwarzen Adler“ in Székesfehérvár (Stuhlweißenburg) vor den Verfall bewahren, damit dieser künftig wieder für vielfältige kulturelle Veranstaltungen genutzt werden kann.

Als Wissenschaftlerin sehr gefragt


Eszter Fontana genießt ihren Ruhestand, der alles andere als ruhig ist. Sie war bis 2002 mit einem Ingenieur verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter. „Langeweile kenne ich nicht“, sagt sie. Und als Wissenschaftlerin ist sie nach wie vor international gefragt. So leitet Fontana eine Forschergruppe mit 25 Menschen in ganz Europa, die den Lebensweg von
Paul de Wit (1852-1925) erforscht. Der Musikverleger und Sammler hat maßgeblich dazu beigetragen, den Grundstock für das Leipziger Musikinstrumentenmuseum zu legen. Das Team hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kenntnisse über Leben und Werk de Wits neu zu bewerten. Das Fachbuch soll im Dezember 2025 erscheinen.

Stand: 17.12.2023

Bildergalerie - Fontana, Eszter

Capa-Haus

Jahnallee 61 | Ortsteil: Lindenau

Es ist ein geschichtsträchtiger Ort: Vom Eckhaus Jahnallee 61 im Leipziger Westen geht das legendäre Bild „The Last Man to Die“ („Der letzte Tote des Krieges“) um die Welt. Es zeigt Raymond J. Bowman, der bei den letzten Kämpfen zwischen der US-Army und der deutschen Wehrmacht sein Leben verliert. Die US-Army befreit Leipzig am 18. April 1945 von der Naziherrschaft. Der amerikanische Kriegsfotograf Robert Capa (1913-1954) begleitet sie und schießt jene berühmte Serie mit Fotos. Sie entsteht bei Kämpfen zwischen der anrückenden 2. Infanteriedivision der US Army und deutschen Soldaten, die am Elsterflutbecken letzten Widerstand leisten. Das Foto mit Bowman wird im Time Magazine veröffentlicht. Heute trägt das Gebäude den Namen Capa-Haus und wird mit einer Ausstellung im Erdgeschoss zum Ort gelebter Erinnerung, in der es auch regelmäßig Veranstaltungen gibt. Möglich wird dies durch eine Kooperation des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig und des Hentrich & Hentrich Verlags, der im Erdgeschoss des Eckgebäudes Räume bezieht. Hier arbeitet die Verlegerin Nora Pester mit ihrem Team.

Bürgerinitiative kämpft für Erhalt des Hauses


Es war eine „Rettung in höchster Not“, wie
Anselm Hartinger, der Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums, betont und ist dem Eigentümer dankbar, die Initiative zu unterstützen. Das Gründerzeithaus gegenüber vom Straßenbahnhof Angerbrücke stand jahrelang leer und war nach mehrfachem Besitzerwechsel nach der Friedlichen Revolution in einem schlechten baulichen Zustand. 2011 gab es sogar eine Abrissgenehmigung der Stadt Leipzig. In der Silvesternacht 2011/12 fängt der Dachstuhl des Nachbarhauses in der Luppenstraße Feuer – damit schien das Schicksal der Immobilie endgültig entschieden.

Es ist der Bürgerinitiative Capa-Haus, die sich um den Leipziger Kabarettisten Meigl Hoffmann, den Historiker Volker Külow, Christoph Kaufmann von der Fotothek des Stadtgeschichtlichen Museums sowie Ulf-Dietrich Braumann vom Bürgerverein Lindenau gründet, zu verdanken, dass die Rettung des Gründerzeithauses gelingt. Sie startet am 3. Januar 2012 eine deutsch-amerikanische Petition an den Oberbürgermeister der Stadt Leipzig und fordert, „dieses wichtige Gebäude im Interesse zukünftiger Generationen als Mahnmal gegen den Krieg zu retten.“ Nach vielen Presseveröffentlichungen wird die Initiative gehört. Das Bauamt der Stadt Leipzig nimmt eine erste Notsicherung vor. Im September 2012 wird das Haus an die L&S-Immobiliengruppe verkauft, die 2014 eine denkmalgerechte Sanierung des Hauses sowie der beiden Nachbargebäude startet. Es entstehen 40 Wohnungen sowie Gewerbeeinheiten.

Museum, Bürgerinitiative und Verlag vereinen Netzwerke


Die Bürgerinitiative richtet einen Ausstellungsraum „War is over“ im Erdgeschoss des Gebäudes ein, der während der Öffnungszeiten des beliebten
Café Eigler bis 2021 regelmäßig zugänglich war. Doch das Café muss als Folge der Corona-Pandemie schließen. Das Stadtgeschichtliche Museum, die Bürgerinitiative Capa-Haus sowie der Verlag Hentrich & Hentrich für jüdische Kultur und Zeitgeschichte vereinen ihre Netzwerke, um die inzwischen überarbeitete Ausstellung wiederzueröffnen und ab September 2023 im kleinen Saal regelmäßig Veranstaltungen anbieten zu können. Dafür wurde eigens die gemeinnützige Firma Capa Culture gGmbH gegründet.

Im Begegnungszentrum wird das Leben Robert Capas verdeutlicht, der erst 1946 US-Staatsbürger wird. Die Schau erinnert zudem an Capas Partnerin Gerda Taro (1910–1937). Sie war ebenfalls Kriegsfotografin und starb mit nur 26 Jahren im Spanischen Bürgerkrieg. Das Stadtgeschichtliche Museum kann nun in Lindenau einen Ort der gelebten Partizipation und der Erinnerung an Krieg, Befreiung und NS-Herrschaft anbieten. Regelmäßig am 18. April ist das Capa-Haus Schauplatz einer bewegenden Gedenkzeremonie an die Opfer des Zweiten Weltkrieges, die eine zentrale Rolle für die deutsch-amerikanischen Beziehungen im Raum Leipzig spielt. Der Bürgerinitiative Capa-Haus gelang es auch, die Identität des letzten Kriegstoten von Leipzig zu klären.

Das Capa-Haus, zwischen 1909 und 1910 nach einem Entwurf von F. Otto Gerstenberger als Miethaus in Reformstil-Architektur errichtet, diente zunächst als Wohnhaus für den Goldschmied Oskar Menzel jun. In den Räumen des heutigen Cafés befanden sich zuvor die „Konditorei und Kaffeehaus des Westens“, anschließend die Anger-Tanzbar und später die Tanzbar „Melodie“.

Stand: 17.12.2023

Bildergalerie - Capa-Haus

Historisches Bildmaterial - Capa-Haus

Asisi, Yadegar

Panoramakünstler, Architekt, Hochschullehrer | geb. am 8. April 1955 in Wien

Ein Ehren-Leipziger ist er allemal: Yadegar Asisi, der in Berlin lebt und sein Atelier in Berlin-Kreuzberg hat, ist zumindest in Leipzig und Halle aufgewachsen. Und mit der Eröffnung seines 360-Grad Panoramas „Mount Everest“ am 24. Mai 2003 in einem ehemaligen Gasometer der Stadtwerke Leipzig begann für ihn eine ungeahnte Erfolgsgeschichte, die auf ewig mit der Messestadt verbunden bleiben wird. Im heutigen Panometer in der Leipziger Richard-Lehmann-Straße 114 läutet er die Renaissance eines Mediums aus dem 19. Jahrhundert – gepaart mit moderner Technik der Gegenwart – ein. 

Leipzigs Panometer bezeichnet Asisi stets als seine „Experimentierstube“. Von hier aus beginnt der Siegeszug für weitere Panoramen in Berlin, Lutherstadt Wittenberg, Dresden und Pforzheim. Auch im französischen Rouen zeigt er ein inzwischen geschlossenes Rundbild. Neue Standorte werden 2023 in Wien und 2024 in Konstanz eröffnen. Weitere Ideen will er in den nächsten Jahren umsetzen, solange es die Gesundheit zulässt, sagt er, und ist dabei immer für eine Überraschung gut.

Familie emigriert aus dem Iran


Seine Wurzeln hat die Familie Asisi im Iran. Yadegar wird während der Flucht der Mutter mit seinen vier älteren Geschwistern aus dem Iran nach Europa in der österreichischen Hauptstadt geboren. Sein Vater, ein kommunistischer Offizier, gehört zu jenen, die der Schah von Persien hinrichten ließ. Die Familie landet in der ehemaligen DDR, wo Asisi an der TU Dresden von 1973 bis 1978 zunächst ein Architekturstudium absolviert. Als Emigrant kann er die DDR verlassen und begibt sich für ein knappes Jahr in den Iran der Revolutionszeit. Ein Jahr später kehrt er nach Deutschland zurück, um bis 1984 an der Westberliner Hochschule der Künste (inzwischen Universität Berlin) ein Studium der Malerei zu beginnen. Und wird schließlich einer der ersten, die Zeichnen mit Architekturpräsentation kombinieren. Dabei kreiert er illusionistische Räume und wendet sich Rauminstallationen zu.

Seine künstlerische Berufung findet er im Panorama. Hier kann er seine Erfahrungen als Zeichner, Maler, Architekt und Erschaffer von Illusionsräumen bündeln. So entstehen 1995 vier Panoramen für Berlin, die im Zuge der Umgestaltung zentraler Orte wie Potsdamer und Pariser Platz, Alexanderplatz und Schlossplatz gezeigt werden. Die Idee: In Rotunden wird der Masterplan anschaulich, die Berliner können über die künftige Gestaltung ihrer Stadt mitreden. Es wird ein Erfolg und die Vision geboren, in seiner alten Heimatstadt Leipzig sein erstes 360-Grad-Bild mit etwa 3.500 Quadratmetern Bildfläche umzusetzen. Das Großpanorama „Everest“ zeigt den Berg, der auf Nepali Sagarmatha („Stirn des Himmels“) genannt wird, inmitten der majestätischen Hochgebirgslandschaft des Himalayas. Das Panorama war von 2003 bis 2005 und dann wieder in einer Neuauflage 2012/2013 im Panometer zu sehen.

Klare Position voller Demut und Menschlichkeit


Asisi verblüfft mit seinen überdimensionalen Panoramabildern nicht nur Millionen Besucher, sondern bezieht darin auch klare Positionen zu Menschlichkeit, Demut sowie politischem Fehlverhalten. Sein Antikriegs-Bild „New York – 9/11“ trifft auf viel Interesse – vor allem bei jungen Leuten, was ihn in seiner Arbeit bestärkt, wie er in Interviews betont. Das Bild gestattet als Momentaufnahme einen Blick auf die Stadt New York am Morgen des 11. September 2001. Es ist 08.41 Uhr, kurz vor den Attentaten – die Betrachter sind ebenerdig als Fußgänger auf den Straßen Manhattans unterwegs. „Wenn man auf diese Stadt schaut und weiß, dass sich die Welt in den nächsten fünf Minuten verändern wird – das ist überall und jederzeit gültig“, sagt er und nennt es: „Dieses absolute Gefühl, von jetzt auf gleich kann alles vorbei sein.“

Asisi will keine Antworten anbieten. Bevor die Besucher das Rundbild erreichen, passieren sie verschiedene Installationen, die sich mit den in den Folgejahren entstandenen Kriegen weltweit auseinandersetzen. So laufen sie über gezeichnete Striche auf dem Boden, die für die namenlosen Toten stehen. Denn es sind nicht nur jene bekannten 2.996 Menschen (inklusive der 19 Attentäter), die am 11. September 2001 sterben mussten und an deren Namen im New Yorker National 11 Memorial erinnert wird. Dem Künstler ist es wichtig, die oft vergessenen Seiten des Leids zu zeigen, zu dem der „Krieg gegen den Terror“ führt.

Asisi hat bis 2023 acht 360-Grad-Panoramen im Leipziger Süden präsentiert, etwa vier Millionen Ausstellungsbesucher mit seiner Kunst erreicht. Dabei erweisen sich Naturpanoramen als besondere Renner. Wie etwa „Carolas Garten“. Die Besucher nehmen dabei auf der 15 Meter hohen Plattform die Perspektive eines Insekts ein. Sie sehen eine gigantische Biene, die eine Kamillenblüte bestäubt und Nektar sammelt. So nutzt der Künstler neben Zeichnungen auch Bildmaterial aus Elektronenmikroskopie, Makrofotografie und Stacking-Technik.

Blick vom Kirchturm auf die Völkerschlacht


Dem Gedenken an die Völkerschlacht bei Leipzig widmet Asisi das erste Leipziger Panorama: „Leipzig 1813“. Vor den Toren der wohlhabenden Handelsstadt kämpft 1813 mehr als eine halbe Million Soldaten um die Vorherrschaft in Europa, rund 100.000 Menschen sterben. Es ist aber nicht das heroisierende Schlachtengetümmel, das er zeigt. Diese Art von Darstellungen interessieren ihn nicht. Vom Turm der
Thomaskirche aus eröffnet er dem Betrachter vielmehr einen Blick auf die Straßen der Innenstadt, auf Chaos und Gedränge im Moment einer der größten Niederlagen Napoleons (2013 bis 2015). Es wird ein Erfolg – der Leipziger Stadtrat diskutiert Jahre später, ob jene Szene künftig als Ausstellung in einer etwa 30 Meter hohe Rotunde auf der Alten Messe gezeigt werden kann. Das könnte das Völkerschlachtdenkmal als „martialisches Nationaldenkmal“ kritisch reflektieren. Asisi wäre dazu bereit – ein positives Signal von der Stadt steht aber aus. 

Was in den nächsten Jahren für Panoramen folgen, ist offen. Angekündigt ist die „Kathedrale von Monet“ – ein Panorama, dass die Franzosen in Rouen nahezu „ausflippen“ ließ: Dort thematisiert er die Errungenschaften der Malerei in der Epoche des Impressionismus. Ausgangspunkt ist dabei die Gemäldeserie von Claude Monet zur Kathedrale von Rouen aus den Jahren 1892 bis 1894.

Asisi gibt Zeichenkurse


Inzwischen hat er eine neue Leidenschaft entdeckt: Yadegar Asisi gibt Zeichenkurse und produziert Filme für die Reihe „Sehen & Gestalten“, die auf Youtube abrufbar sind. Dort redet er einmal pro Woche über das Zeichnen, seine Panoramakunst, die Gesellschaft, das Menschsein und die Herausforderungen unserer Zeit. Er macht Mut und ist positiv überrascht von den vielen Reaktionen und den Menschen, die ihm ihr Leben, ihre Ängste, ihre Wünsche, ihre Gedanken erzählen. „Zukunft denken“ ist ein Lebensmotto des Künstlers.

Stand: 29.11.2023

Bildergalerie - Asisi, Yadegar

Historisches Bildmaterial - Asisi, Yadegar

Cospudener See

Städte Leipzig, Markkleeberg und Zwenkau | Angrenzende Ortsteile: Knauthain, Großzschocher, Gemarkung Lauer im Südwesten der Stadt Leipzig, Markkleeberg und Zwenkau

„Costa Cospuda“ ist sicherlich selten zu hören. Aufgrund seines Mittelmeerflairs hat der Cospudener See als der für die Leipziger sehr nahe gelegene Badesee am südlichen Stadtrand dieses Attribut verdient. Der „Cossi“, wie ihn viele liebevoll nennen, hat sich zum Publikumsmagneten entwickelt und bietet das ganze Jahr über vielfältige Reize. Den fast elf Kilometer langen asphaltierten Rundweg um den See nutzen zahllose Radfahrer, Inlineskater und Spaziergänger. Besonders an den Wochenenden wird es daher eng.

Segler und Surfer nutzen die Winde


Hauptziel der Erholungssuchenden ist die etwa 436 Hektar große Wasserfläche, die Platz für zahlreiche Wassersport- und Freizeitaktivitäten bietet. Typisch für den See sind Segler und Windsurfer, die sich den anspruchsvollen Winden von Frühjahr bis in den Herbst stellen. Zunehmend prägen Stand-Up-Paddler das Bild vom See, in dem es sich laut EU-Badegewässerrichtlinie bei sehr guter Wasserqualität schwimmen lässt. Der „Cossi“ ist ein Modellprojekt, welches eindrucksvoll beweist, wie aus einer Bergbaufolgelandschaft ein attraktiver Naherholungsort werden kann.

Der ehemalige Braunkohltagebau fördert bis zum 20. April 1990 etwa 87 Millionen Tonnen Rohbraunkohle, bevor er nach massiven Forderungen aus der Bevölkerung stillgelegt wird. Dafür hat sich auch die Bürgerinitiative „Stoppt Cospuden“ stark gemacht, die die Fläche buchstäblich dem Bagger abgerungen hat.1993 beginnt die Flutung des Restlochs mit Grundwasser und Wasser aus den Tagebauen Zwenkau, Profen und Schleenhain. Leipzig, Markkleeberg und Zwenkau eröffnen den See als Korrespondenz-Projekt der EXPO 2000, die den Wandel in den Mittelpunkt stellt und auch an verlorene Orte erinnert, die wie Cospuden, Prödel oder Lauer dem Energiehunger der DDR weichen müssen.

Pier 1 ist das Herzstück


Mit dem
Hafen Zöbigker, auch Pier 1 genannt, ist auf der Markkleeberger Seite das wassertouristische Zentrum des Sees mit skandinavisch anmutenden Gebäuden entstanden. Zahlreiche weiße Segelboote ziehen schon von Weitem die Aufmerksamkeit auf sich. Wer Lust hat, kann von hier aus mit Wassertretern, Ruderbooten und Kanus den See erkunden. In den Wassersportschulen erlernen Interessierte Tauchen, Segeln und andere Sportarten bei professionellen Anbietern wie dem Club Nautique. 

Vom Hafen aus starten die Rund- und Sonderfahrten mit den Motorschiffen MS Cospuden und MS Neuseenland, dem Charter- und Hochzeitsschiff. Von der Terrasse der Restaurants aus können Gäste den Sonnenuntergang beobachten. Einen Panoramablick haben Gäste der Außensauna ebenfalls und direkten Seezugang bietet die Sauna im See als regionale Besonderheit.

Es gibt ebenfalls einen Wasserwanderrastplatz am Oststrand samt „Cospudener Combüse“ mit Bootsverleih und kulinarischen Angeboten. Einladend ist die Strandbar Seeteufel im weißen Gebäude in Nähe eines viel zu kleinen Spielplatzes. Golfspieler finden in Sichtweite ebenfalls ihr Paradies.

Turm auf Bistumshöhe bietet schöne Aussicht


Der
Aussichtsturm Bistumshöhe, sichtbar im Südwesten des Sees, besitzt eine Höhe von 35 Metern. Bei der Stahl-Holz-Konstruktion haben sich die Architekten von Schloten und Schornsteinen einer Industrielandschaft inspirieren lassen. Erklommen werden kann der Turm, der eine gute Sicht auf den benachbarten Freizeitpark Belantis mit der Pyramide und der Achterbahn Huracan und den See selbst bietet, über eine Wendeltreppe. Auf der Shambala-Bistumshöhe gibt es eine Crêperie, in welcher kulinarische Leckerbissen zubereitet werden. Shambala steht als Ort für Gemeinschaft und Begegnungen, auch Konzerte und Lesungen werden hier angeboten. 

Auf dem Rundweg geht es auf einer kleinen Safari unter anderem vorbei an zahlreichen Gehegen, in denen Bisons, Rehe, Hirsche oder Esel zu beobachten sind. Eine Schäferin hält Ziegen und Schafe in wandernden Gattern.

Von Leipziger Seite aus erfolgt der „Eintritt“ zum See über die Kelchsteinlinie, über die auch der Bus vom Ziegeleiweg zum See fährt. Beim EXPO-Pavillon am Parkplatz beginnt die Erlebnisachse und ein weiterer Weg, der im Zuge der Neugestaltung des ehemaligen Waldgebietes Lauer auch zum Waldsee führt. Die Lauer mit ihren alten Bäumen, sumpfigen Flächen und Teichen war seit jeher ein beliebtes Ausflugsziel für die Leipziger. Zur Expo 2000 wurden sechs runde Gärten angelegt, von denen aber nur noch Reste existieren. Lediglich der von einer Hecke umschlossene Paradiesgarten ist noch gut zu erkennen. In einem Arboretum können auch Holz-Versteinerungen besichtigt werden. Verschwunden ist am Ende der Erlebnisachse auch der Wasserspielplatz, der bei Kindern sehr beliebt war.

Am Nordstrand gibt es die Hacienda Cospuden, die für größere Firmen- und Privatevents gebucht werden kann. Unterschiedliche Kioske wie „Strandblick“ oder „Beachlounge“ versorgen die Strandbesucher. Neu entstanden ist ein durch zwei Schilder separierter FKK-Bereich. Einen Hundestrand gibt es ebenfalls. Ein behindertengerechter Badesteg ermöglicht Rollstuhlfahrern den barrierelosen Zugang ins Wasser. Die Städte Leipzig und Markkleeberg wollen die Infrastruktur weiter ausbauen, etwa einen Camping-Caravan-Stellplatz einrichten und die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr verbessern.

Kanal zum Zwenkauer See bleibt Vision


Noch trennen den Cospudener See mehr als 500 Meter von seinem Nachbarn, dem
Zwenkauer See. Eigentlich sollen beide Seen über den Harthkanal und eine Harthschleuse miteinander verbunden werden. Doch es gibt Probleme mit dem Boden, der aufwändig verfestigt werden musste. Mittlerweile sind die Kosten für die Seenverbindung nahezu explodiert. Der Tagebausanierer LMBV will die Verbindung aufgeben – doch die Politik drängt weiterhin darauf und sucht Lösungen. Ob und wann der Kanal realisiert wird, ist offen.

Die Vision bleibt eine Verbindung für Paddler, die vom Leipziger Stadthafen bis hinein in den Zwenkauer See fahren können. Bislang ist das nur über einen elf Kilometer langen Wasserweg über den Floßgraben und das ehemalige Waldbad Lauer bis in den „Cossi“ hinein möglich. Um den Eisvogel bei der Brut zu schützen, ist das Befahren allerdings nur zu eingeschränkten Zeiten gestattet. Private Motorboote sind auf dem See verboten, was Naturschützer auch künftig beibehalten wollen. 

Im Sommer lädt das TH!NK? Festival, eines der größten elektronischen Musikveranstaltungen im mitteldeutschen Raum, zehntausende Musikfreunde an den Nordstrand. 

Jährlich lockt das beliebte Freizeit- und Badeparadies Cospudener See, an dem sich Sachsens längster Sandstrand befindet, über 500.000 Besucher an.

error: Dieser Inhalt ist geschützt! Es ist nicht gestattet, diesen Inhalt zu kopieren. Vielen Dank für Ihr Verständnis.