Torgau

Torgau (Sachsen) | PLZ 04860

In 500 Jahren neuzeitlicher sächsischer Geschichte einen Knotenpunkt ohne Bezug zur Stadt Torgau zu finden, fällt schwer. Wer Torgau sagt, spricht von der Hauptstadt, von der früheren sächsischen – auch wenn das nicht einmal allen leidenschaftlichen Sachsen (und den schönen Sächsinnen) bewusst ist. Umso beeindruckender ist ein historischer Streifzug durch die malerische Kleinstadt an der Elbe im Nordwesten des heutigen Freistaats Sachsen.

Hoch über der Elbe Schloss Hartenfels


Breite Flüsse bilden seit Urzeiten recht eindeutige Grenzlinien. Befanden sich die Ufer in akzeptabler Entfernung voneinander, war am Flussübergang eine Funktion im aufblühenden Handel vorgezeichnet. Und bot ein Felsgebilde ausreichend Platz, um eine Burg darauf zu errichten, rundete sich das Zusammenspiel gesuchter Standortvorteile ab. So geschehen in Torgau.

Auf einer Porphyrkuppe hoch über der Elbe entstand im 14. Jahrhundert eine Burganlage. Sie wurde zu einem geschlossenen Ganzen ausgebaut. Der sächsische Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige (1503 – 1554), in Torgau geboren, machte daraus ein Schloss, das der damaligen sächsischen Residenzstadt ihr Gepräge gab. Aus der Burg wurde ein Schloss, Hartenstein genannt. Wandmalereien aus der Werkstatt Lucas Cranachs illustrierten die fürstliche Pracht. Vom Baustil her hinterließ die Frührenaissance bis heute sichtbare Spuren. Herausragend ist der Wendelstein auf dem Schlosshof. Die Wendeltreppe zu den oberen drei Etagen des prunkvollen Gebäudes – einst zu einem Ballsaal führend – ruht allein an der Fassade und an den äußeren, tragenden Säulen des Treppenturms. Diese Konstruktion ist von einmaliger Eleganz, bietet sie doch im Unterschied zu zentral gestützten Wendeltreppen an anderen Orten die Gelegenheit, durch den freien Raum in der Mitte die sich nach oben windende Spirale der Sandsteinstufen nahtlos und in freier Prachtentfaltung zu verfolgen.

Zentrum der Reformation


Bedeutung erlangte Torgau nicht nur wegen seiner Bauten allein, sondern vor allem wegen seiner Schlüsselstellung in der Reformation. Kein Geringerer als
Martin Luther persönlich weihte 1544 die Schlosskapelle als ersten protestantischen Kirchenneubau. Der zentrale Platz im Kirchenraum gebührt der Kanzel. Von dieser Stelle aus wird nach der Glaubenslehre Gottes Wort verkündet, und heutige Besucher erleben in Torgau den Ort, der für immer mit dem Namen des Reformators Luther und der Strahlkraft des von ihm bewirkten geistigen Umbruchs verbunden ist. In Torgau konnte Luther wirken, weil der Kurfürst als Förderer der Reformation hervortrat.

Doch alle Schönheit des Schlosses Hartenfels und alle geistesgeschichtliche Ausstrahlung genügten nicht, eine andere Begleiterscheinung der frühen Neuzeit zu überdecken – dynastische Streitigkeiten und daraus folgende Schlachten und Kriege. In der Schlacht von Mühlberg 1547 unterlag Johann Friedrich der Großmütige den kaiserlichen Truppen. Die zwei Linien des sächsischen Herrscherhauses der Wettiner – Ernestiner und Albertiner – trennten sich noch weiter, indem nach der Schlacht die Residenz von Torgau nach Dresden wanderte. Auf das gute „torgisch Bier“ wollte der Dresdner Hof allerdings nicht verzichten, und so wurde der edle Gerstensaft regelmäßig elbaufwärts geliefert.

Festungszeit und Friedensgeste


Dann zog lange Zeit Stille in Torgau ein, einer Stadt, die in der (Welt)Geschichte der Reformation eigentlich jedes Recht besitzt, immer in einem Atemzug mit dem viel populäreren
Wittenberg genannt zu werden. Erst Kaiser Napoleon erkannte in seinem Expansionsbestreben den Wert der Stadt Torgau, die sich rund um Schloss Hartenfels ausbreitet. Diese runde Form der historischen Kernstadt und die strategische Lage an der Elbe schien für einen Ausbau zur Festung geradezu prädestiniert. So geschah es, und die Flankenkasematte Bastion VII blieb als Relikt der Festungszeit bis heute erhalten.

Garnisonstadt Torgau – diese Rolle wirkte bis weit über die Napoleonischen Kriege hinaus. Und wieder war es ein militärgeschichtliches Ereignis, das Torgau einen Platz in den Geschichtsbüchern sicherte: Im April 1945, in der Agonie des Nazireichs, war der verbliebene NS-Machtbereich – einer ablaufenden Sanduhr in der äußeren Form und im Ereignisverlauf nicht unähnlich – in der Mitte bereits so weit eingeschnürt, dass sich die amerikanischen Truppen von Westen und die sowjetischen von Osten zielstrebig näherkamen. Ihre Begegnung auf deutschem Gebiet und die Aufspaltung des Nazi-Restreichs in zwei Teile war damit vorgezeichnet. Nur die Stelle des historischen Zusammentreffens der Alliierten war unklar; es sollte Torgau sein, am 25. April 1945.

Nach anfänglichen Verständigungsschwierigkeiten, ob es denn wirklich Vorhuten der US Army und der Roten Armee waren, die in beide Richtungen Signale über die Elbe sandten, oder ob nicht beide einer finalen deutschen Kriegslist aufsaßen, verständigten sich die Verbündeten eindeutig, worauf sich – was für ein Markstein der Militärgeschichte! – nicht herbeigeeilte hohe Generäle auf der gesprengten Straßenbrücke über die Elbe die Hand reichten, sondern untere Ränge kämpfender Verbände, die die Hauptlast des verlustreichen Feldzuges getragen hatten. In jedem Jahr ist deshalb der Elbe Day vor allem eine Manifestation, die zum Frieden gemahnt und bis vor wenigen Jahren noch von hoch betagten Teilnehmern und Augenzeugen beider Seiten besucht werden konnte.

Unterhalb von Schloss Hartenfels erinnert ein sogleich 1945 errichtetes steinernes Monument an die historische Begegnung an der Elbe – dank nachgebildeter Flaggen mit Hammer und Sichel und mit dem Sternenbanner. Doch schon zur Einweihung Ende 1945 waren keine Amerikaner präsent, der Kalte Krieg zeichnete sich ab und prägte die Entwicklung des folgenden knappen halben Jahrhunderts.

Juwel der sächsischen Landesgeschichte


In der Renaissancestadt Torgau gab es immer viel zu besichtigen – das prächtige historische Rathaus, die Begräbnisstätte von Luthers Ehefrau
Katharina von Bora in der Stadtkirche St. Marien, die stillen Seitenstraßen, kurzum: eine Stadtstruktur wie aus dem Geschichtsbuch. Dem Denkmalschutz eröffnete sich ein reiches Betätigungsfeld. Schon in der DDR-Zeit profitierte Torgau von seinem reichen Erbe und der Chance, Touristen ein außergewöhnliches Panorama entrollen zu können. Doch die nahezu durchgängige Renovierung des Torgauer Stadtbildes fiel erst in die Jahre seit der Wiedererlangung der deutschen Einheit. Drei Ereignisknoten verhalfen der Stadt zu gebührender überregionaler Bekanntheit – die Reformations-Dekade mit dem Schlüsseljahr 2017, der Tag der Sachsen 2018 und die Sächsische Landesgartenschau 2022. Letztere wurde im Unterschied zu den meisten vergleichbaren Veranstaltungen nicht zentrumsfern angelegt, sondern sie schmiegt sich entlang des historischen Glacis regelrecht an die Altstadt und holt die Gartenkultur mit neuen Anlagen und Baumpflanzungen unmittelbar an die sehenswerten Sachzeugen einer ereignisreichen Stadtgeschichte heran.

Stand: 09.07.2022

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