Rohr, Gerlinde

Sportwissenschaftlerin, ehemalige Museumsleiterin | geb. am 26. März 1955 in Leipzig

Ihr Name ist eng mit dem Leipziger Sportmuseum verbunden, das sie 32 Jahre geleitet hat. Für ihr Museum, das am 31. August 1991 geschlossen wurde, hat Gerlinde Rohr gemeinsam mit Kollegen ‚zig Konzepte geschrieben, um es an einem neuen Standort wiederzueröffnen. Gelungen ist das bis heute nicht. Doch die ehemalige Leichtathletin kämpft als Mitglied des Fördervereins Sächsisches Sportmuseum Leipzig weiter, diese Vision auf dem Areal des ehemaligen Schwimmstadions zu verwirklichen.

Geboren wird Gerlinde Rohr am 26. März 1955 in Leipzig. Sie wächst als drittes Kind ihrer Familie in Neukieritzsch auf, geht dort zur Polytechnischen Oberschule, macht ihr Abitur am Gymnasium in Borna. Schon im Vorschulalter beginnt sie mit Turnen. Später wechselt sie in die Leichtathletik, gewinnt bei der Kreisspartakiade bis auf Werfen alle Disziplinen. Mittelstrecke wird ihre Spezialität. Sie trainiert bei der BSG Stahl Lippendorf, die sich dann in Industriesportgemeinschaft umbenennt (heute Sportfreunde Neukieritzsch). Mit 14 Jahren wird sie 1969 Übungsleiterin im Trainingszentrum.

Eine Ausstellung zum DDR-Sport


Sie interessiert sich für Sprachen. Sie wollte unbedingt ins Ausland und möglichst Chemie studieren. Beispielsweise in Bulgarien. Doch daraus wird nichts, weil ihr Bruder schon kurz nach ihrer Geburt im Westen lebt. Ihn zu verleugnen, lehnt sie ab. Deshalb studiert sie an der
Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) Sportwissenschaft und promoviert. Trainerin im DDR-Leistungssport darf sie nicht werden. So landet sie im September 1982 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sportmuseum, das damals zum Museum für Geschichte der Stadt Leipzig gehört. Es existiert seit 23. Juli 1977 in einer auf dem Hauptgebäude des Zentralstadions (heute Red-Bull-Arena) errichteten Zusatzetage. Schwerpunkte der ständigen Ausstellung mit damals rund 3.000 historischen Objekten sind die Sporttraditionen der Arbeiterklasse und die Entwicklung des DDR-Sports.

Es dauert nicht lange, bis sie Freude an der Arbeit im Museum gefunden hat, weil diese sehr vielseitig ist, mit Menschen ebenso wie mit Forschung zu tun hat. 1986 wird Rohr die Direktorin mit acht Mitarbeitern. Sie empfängt im damals einzigen Sportmuseum seiner Art hochrangige Gäste aus aller Welt. Der Sport ist für die DDR ein Türöffner für diplomatische Beziehungen. Da kommt ihr die Leidenschaft für Sprachen zugute. Sie entwickelt eine Führung auf Russisch und führt auch die Sportministerin Kanadas auf Englisch durch die Räume. Sie fasziniert, dass die Museumsarbeit vom Vorschulkind bis zu Seniorengruppen alle Generationen begeistert und sie auch mit Wissenschaftlern arbeiten kann. Gerlinde Rohr hat dutzende Sonderausstellungen und Präsentationen kuratiert.

Sportmuseum schließt aus politischen Gründen


Die Ausstellung „Lasst Kräfte sinnvoll walten“, erarbeitet zum 100-jährigen Jubiläum des Gewichthebens in Deutschland, ist die letzte. Am 31. August 1991 schließt das Museum aus politischen Gründen. Die Sichtweise auf den DDR-Sport ist nach der
Friedlichen Revolution nicht mehr zeitgemäß, muss grundlegend überarbeitet und neu bewertet werden. Dies kann Gerlinde Rohr nachvollziehen. „Gestört hat mich nur, dass dieses oder jenes Objekt gleich entfernt werden sollte“, erinnert sie sich. So gab es eine Initiative in der Stadtverordnetenversammlung, wertvolle Sammelobjekte zugunsten der Kultur zu verkaufen oder an die Deutsche Hochschule für Körperkultur abzugeben, die bereits in Abwicklung war. Ein Teil der damals 35.000 Sammelobjekte sollte einfach entsorgt werden. Schon zu DDR-Zeiten musste der ein oder andere Sportler aus der Ausstellung verschwinden, sobald er im Westen geblieben ist. Zum Glück gründet sich 1991 der Förderverein Sächsisches Sportmuseum, der ein Zerschlagen der Sammlung verhindern kann.

Visionen und Rückschläge für neues Sportmuseum


1993 fasst der Stadtrat zwar einen Grundsatzbeschluss, das Sportmuseum zu erhalten. Ein geeigneter Standort für das neue Sammlungs- und Dokumentationszentrum fehlt aber weiterhin. Fünf Jahre lang zieht es von Interim zu Interim. Historische Sportgeräte müssen zeitweise in konservatorisch ungeeigneten Räumen wie in einer Lagerhalle in Thekla, im
Torhaus Dölitz, in der ehemaligen Iskra-Gedenkstätte in Probstheida oder im Kellerbereich der DHfK untergebracht werden.

Rohr und ihr kleines Team nutzen die Zeit, um alles zu dokumentieren und die Sammlung zu erweitern. Inzwischen ist die hochkarätige Sammlung, die in Kellerräumen auf dem Gelände von Olympiastützpunkt und SC DHfK gestapelt ist, auf mehr als 95.000 Objekte angewachsen. Mehr als zehn Standorte werden geprüft. Der Stadtrat will das Museum nach wie vor in den ehemaligen Kassenflügel des Schwimmstadions integrieren und um einen Neubau ergänzen. Wann die Vision umgesetzt wird, ist allerdings offen.

Rohr musste viele Rückschläge verkraften. Sie gibt aber nicht auf. Und kann sich beim Hochwasser 2013 auf die Hilfe von Menschen aus dem Sportbereich verlassen, die helfen, die Sammlung vor möglichen Nässeschäden zu schützen. „Für mich war immer das Allerwichtigste, die Sammlung zu ergänzen und so zu dokumentieren, dass meine Nachfolger damit arbeiten können. Und künftige Generationen am authentischen Objekt Leipzigs Sportgeschichte erfahren.“

Sportroute trägt ihre Handschrift


Auch die
Sportroute trägt im Wesentlichen ihre Handschrift. Schon im Jahr 2003 wird eine „Sporthistorische Stadtroute“ konzipiert, die etwa 30 Stationen markiert, die herausragend für die über 500-jährige Sportgeschichte Leipzigs sind. Das Projekt ist Teil des Konzeptes für die Olympiabewerbung 2012. Das Konzept stammt von Sportmuseumschefin Gerlinde Rohr. Volker Rodekamp, der damalige Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums, greift die bereits 2000 erstmals entwickelte Idee auf. Mittlerweile wird die Sportroute Schritt für Schritt umgesetzt.

Im Ruhestand, den sie seit 2018 genießt, ist Gerlinde Rohr aktiv wie zuvor. Ihr detailreiches Wissen gibt sie gern weiter, etwa in Vorträgen bei Tagungen und Konferenzen. Sehr am Herzen liegt ihr der jüdische Sport, über den sie auch forscht. So begleitet sie ein Jugendprojekt mit der U-15-Mannschaft für den 1. FC Lokomotive Leipzig, bei dem die Historie des aus dem VfB Leipzig hervorgegangenen Vereins aufgearbeitet wird. Da werden jährlich Stolpervereine verlegt. „Der jüdische Sport in Leipzig ist ein Thema für mich, das ich weiterführen möchte.“ Viel Raum nimmt ihre Arbeit für das Friedrich-Ludwig-Jahn-Museum in Freyburg (Unstrut) ein. Dort arbeitet sie seit 2017 als Vizepräsidentin mit daran, die Sammlung zu erhalten. Der Verein ist Träger des Museums.

Gerlinde Rohr nimmt sich mehr Zeit für das aktive Sporttreiben, um bis ins hohe Alter fit zu bleiben. Seniorenwettkämpfe macht sie aber nicht mehr. Sie trainiert beim SSC Leipzig, ist Übungsleiterin einer allgemeinen Sportgruppe. Und dreht gerne ihre Runden auf Inlinern und Skiern. Und will natürlich auch Zeit für die beiden Töchter und ihre Familien mit drei Enkeln haben.

Stand: 30.06.2025

Bildergalerie - Rohr, Gerlinde

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