Liebe auf den ersten Blick ist es wohl nicht. Ein paar Vorbehalte hat Volker Rodekamp schon, als er im Juni 1996 Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig wird. Zu seinem Wirkungsbereich gehört das Völkerschlachtdenkmal, das er 1992 zum ersten Mal sieht. Und als furchterregend und sperrig empfindet, wie er sagt. Plötzlich gehört er zu den Bauherren, die diesen monströsen Klotz sanieren und ihm zu einer neuen Identität verhelfen sollen. Fast 23 Jahre arbeitet Volker Rodekamp schließlich im Dienst der Leipziger Historie. Und publiziert fleißig Beiträge über die facettenreiche Geschichte der alten Handels- und Messestadt Leipzig. Nach wie vor ist er in verschiedenen Gremien und Stiftungen aktiv.
Ein ausgeprägtes Interesse für Geschichte
Geboren wird Volker Rodekamp am 24. August 1953 in Bielefeld. Dort wächst er auf, geht zur Schule und macht am Max-Planck-Gymnasium 1973 ein neusprachliches Abitur und das große Latinum. Als Kind liest er viel Entdecker-Literatur, um die Welt zu erkunden, und entwickelt als Schüler ein ausgeprägtes Interesse für Geschichte. An der Universität Braunschweig studiert er zunächst Volkswirtschaftslehre, erkennt aber schnell, dass ihm dies keine Freude bereitet. Nach zwei Semestern wechselt er an die Universität Münster, um sich seinen Leidenschaften zu widmen. Er studiert Ethnologie, Volkskunde und Publizistik. An der Universität promoviert er 1980 auch. Seinen ersten Job nimmt er anschließend als Volontär am Rheinischen Freilichtmuseum Kommern an. Museumsprojekte machen ihm seitdem viel Spaß.
Er bewirbt sich in Minden, wo er als 28-Jähriger im Jahr 1983 die Leitung des Museums für Geschichte, Landes- und Volkskunde übernimmt. Dort versucht er, mit frischen Ideen die Strukturen zu verändern und das Museum aus dem Dornröschenschlaf zu wecken. Rodekamp gelingt dies gut, so dass ihm drei Jahre später die Leitung des Kulturamtes übertragen wird. In Minden fühlt er sich mit seiner Familie zwar wohl, wird aber von seinem Freund, einem gebürtigen Leipziger, angesprochen, etwas für die Einheit Deutschlands zu tun. Familiäre Kontakte in den Osten Deutschlands hat Rodekamp nicht.
Neubau des Museums wird ein Meilenstein
1995 sucht das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig einen neuen Direktor. Er bewirbt sich und bekommt den Job, sich um die Entwicklung des Alten Rathauses, das Völkerschlachtdenkmal sowie um Schillerhaus und Co. zu kümmern. Im Juni 1996 tritt er seinen Posten als Direktor an, die Ehefrau und die beiden Söhne folgen später. Vorher ist er oft hier, um die künftige Entwicklung des Museums bereits zu beeinflussen.
Ein Meilenstein wird der Neubau des Stadtgeschichtlichen Museums, das mit dem Haus Böttchergäßchen gute Bedingungen bekommt. Eingeweiht wird der 22 Meter hohe funktionale Museumsneubau im März 2004. Magazine, Werkstätten, ein Sonderausstellungsbereich, Bibliothek und Fotothek, ein Kindermuseum sowie Arbeitsräume für die Mitarbeiter sind nun unter einem Dach vereint. Endlich ist es möglich, museale Abläufe zu optimieren, umfangreiche konservatorische Arbeiten durchzuführen und neue Ideen im „Geschichtslabor“ zu entwickeln.
„Die Sammlungen des Museums sind großartig und ungewöhnlich für ein Stadtmuseum. Doch die konservatorische Pflege vieler Exponate war bedenklich“, sagte er damals. Es gibt zwölf Magazine an verschiedenen Standorten, an denen die Objekte unter teilweise widrigen Bedingungen gelagert worden sind. Die „treusorgende Verwaltung des städtischen Schatzes“ wird zur Herausforderung, kann aber im neuen Haus konservatorisch und wissenschaftlich besser organisiert werden. Zugleich beginnt sein Team damit, das Wissen des Museums digital verfügbar zu machen. Im Alten Rathaus kann die Dauerausstellung zum alten Leipzig erweitert und überarbeitet werden.
Rodekamp prägt mit seiner Handschrift viele Ausstellungen. Er ist wortgewandt, improvisiert gern und benötigt kein Papier, um eine Rede zu halten. Dabei verkündet er oft seine Leidenschaft für die neue Heimatstadt Leipzig, in der er mehr als die Hälfte seines Berufslebens verbringt. Das Ergebnis der Arbeit Rodekamps und seines Teams: Das Museum ist ein lebendiger und barrierefreier Ort in der Stadtgesellschaft geworden. Im Dezember 1996 ist es gelungen, die Hieronymus-Lotter-Gesellschaft als Fördergesellschaft des Museums zu gründen.
Völkerschlachtdenkmal wird „demokratisch umarmt“
Ein Kraftakt wird die Sanierung des Völkerschlachtdenkmals. In den 1990er-Jahren wird – angeregt durch den ehemaligen Nikolaikirchenpfarrer Christian Führer – diskutiert, das Völkerschlachtdenkmal kontrolliert verfallen zu lassen. Doch engagierte Bürger setzen sich für das Denkmal ein. „Eine Restaurierung allein wäre nicht gelungen“, konstatiert Rodekamp. Deshalb musste das „oft ideologisch missbrauchte Denkmal“, das in dieser Zeit oft Demonstrationsziel von Antidemokraten um den Hamburger Neonazi Worch ist, sich neu erfinden. Es entstehen Initiativen wie das Festival Courage zeigen. Im Juli 1999 beschließt der Stadtrat mit einer „Leipziger Erklärung“, das Völkerschlachtdenkmal „demokratisch zu umarmen“, wie Rodekamp gegenüber der Leipziger Volkszeitung sagt, und im Sinne europäischer Versöhnung und gemeinsamer Geschichte zu entwickeln.
2001 entsteht die Stiftung Völkerschlachtdenkmal, um den Sanierungs-Kraftakt transparent und unabhängig vom städtischen Haushalt zu stemmen. Dadurch lassen sich Drittmittel besser einwerben. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, das sanierte Denkmal hat sich zum beliebten Ausflugsziel entwickelt „Dass wir das mit vielen Partnern in zwei Jahrzehnten geschafft haben“, sagt Rodekamp, „ist eine wahnsinnige Erfolgsgeschichte. Und darauf bin ich ebenso stolz wie auf die Wertschätzung des Denkmals über die Grenzen der Stadt hinaus.“
2010 bis 2014 leitet Rodekamp als Präsident den Deutschen Museumsbund. Nicht umgesetzt ist bis heute die Eröffnung eines modernen Sportmuseums. Das bedauert Rodekamp sehr. Mit Gerlinde Rohr, der damaligen Chefin des Sportmuseums, kann er zumindest einige Akzente setzen – etwa bei der Entwicklung der Sportroute Leipzig, die nach und nach umgesetzt wird. Das ist ein gutes Beispiel für sein Credo: Rodekamp hat stets dafür plädiert, aus dem Refugium Museum „auszubrechen“ und sich in vielfältiger Form in den Alltag der Menschen einzubringen.
Eine neue Aufgabe am Kyffhäuser-Denkmal
Ende März 2019 beendet Rodekamp seinen Dienst als Museumschef. „Gemessen an der Geschichte Leipzigs ist das eine kurze Zeitspanne, die aber unglaublich prägend war“, betont Oberbürgermeister Burkhard Jung beim Empfang im Alten Rathaus und spricht sogar von einer Ära. Zwei Jahre nach seinem Abschied bei der Stadt kümmert sich Rodekamp noch als Geschäftsführer der Stiftung Völkerschlachtdenkmal um die weitere Entwicklung des Areals. Im „Unruhestand“ betreut er weitere Projekte. Etwa bei der Leibniz-Gemeinschaft in Berlin. Dort sitzt er im Senatsausschuss Evaluierung, der große deutsche Forschungsmuseen in ganz Deutschland bewertet. Nach acht Jahren lief diese Tätigkeit im Senat im Oktober 2025 allerdings aus. Eine Wiederwahl ist laut Satzung nicht noch einmal möglich.
Seit 2021 ist Rodekamp zudem wissenschaftlicher Berater der Stiftung Kyffhäuser. Für die Kyffhäuser Burganlagen hat er ein Entwicklungskonzept erarbeitet. Momentan entsteht dort ein neues Besucherinformationszentrum. „Da kann ich viele Erfahrungen, die ich in Leipzig gesammelte habe, für die künftige Entwicklung des Kyffhäuser-Denkmals weitergeben“, so Rodekamp.
Stand: 28.07.2025