Regelmäßig gibt es in Leipzig Diskussionen, ob der Wilhelm-Leuschner-Platz wirklich ein Schauplatz der Friedlichen Revolution ist. Am Reformationstag 1965 gehen jedoch hunderte junge Leute friedlich gegen das Verbot von mehr als 40 populären Musikgruppen auf die Straße. Diese Beat-Demo auf dem Leuschner-Platz hat bislang in der Leipziger Erinnerungskultur keinen besonderen Platz. Erst in den letzten Jahren wird sie aus der Vergessenheit geholt. Dabei ist das Aufbegehren der Jugend 1965 der größte Protest nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953. Die Staatsmacht marschiert am 31. Oktober 1965 mit Hunden und Kalaschnikows auf und reagiert mit brutaler Härte.
Das Archiv Bürgerbewegung Leipzig hat das Ereignis näher erforscht. Dabei ist die Ausstellung „ALL YOU NEED IS BEAT: Jugendsubkultur in Leipzig 1957-1968“ entstanden, die zuerst im Neuen Rathaus zu sehen ist. Mittlerweile kann sie als Wanderausstellung gebucht werden. Sie zeigt am Beispiel der Leipziger Band „The Butlers“, wie sich die Situation für Beatfans in den frühen sechziger Jahren gestaltet.
Neue Freiheit mit Gitarrenbands
Mit dem Bau der Mauer ab 13. August 1961 ist die DDR vom Westen abgeschnitten, die Jugend nun weit entfernt von ihren Musikidolen. Viele junge Leute ziehen sich daher ins Private zurück. Die DDR-Führung will sie zurückerobern, öffnet ihre Jugendpolitik ab 1963. Es dürfen sich Gitarrenbands gründen, die Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend organisiert sogar Konzerte auf den Straßen. Das staatliche Musiklabel Amiga bringt Beatles-Schallplatten heraus.
Wer lange Haare hat oder mit dem Kofferradio unterwegs ist, wird Mitte der 1960er Jahre in der DDR dennoch schnell als Asozialer abgestempelt. Hardlinern der SED-Führung um den späteren Parteichef Erich Honecker passt die neue Freiheit für die Jugendlichen nicht. Die Furcht, dass sie vom Westen beeinflusst werden und nicht mehr kontrollierbar sind, sitzt tief. Da kommt es bei einem Konzert der Rolling Stones in Westberlin am 19. September 1965 zu massiven Ausschreitungen mit Dutzenden Verletzten. Das ist für die DDR-Staatsmacht ein willkommener Anlass, hart durchzugreifen.
Nach Spielverbot greift Staatsmacht hart durch
Im Herbst 1965 erteilt die Leipziger Kulturbehörde 44 von 49 örtlichen Bands, die angeblich westlich-dekadent sind, ein Spielverbot. Betroffen sind auch „The Butlers“ um Bandleader Klaus Renft. Doch es kommt zum Protest. Plötzlich tauchen Flugzettel gegen das Verbot der Beatgruppen auf. Mitgeteilt wird, dass es auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz einen Protest geben soll. Lehrer in den Schulen warnen ihre Schüler, sich an der Aktion zu beteiligen. Sie könnten sogar von der Schule fliegen, heißt es. Hunderte Jugendliche demonstrieren am Reformationstag dennoch friedlich gegen das Verbot. Die Aktion beginnt am Vormittag, 10 Uhr, auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz. Mehr als 2.500 Menschen finden sich ein, davon etwa 500 bis 800 Beatfans, die an ihrem Äußeren deutlich zu erkennen sind.
Die Staatsmacht ist gut vorbereitet. Zwei Wasserwerfer stehen bereit. Die Volkspolizisten marschieren mit Hunden auf. Sie sind mit Kalaschnikows bewaffnet – die Polizei patrouilliert und treibt die Menge später auseinander. Auch die Staatssicherheit ist im Einsatz. Es gibt wenig Gegenwehr, die jungen Leute flüchten. Die Polizei jagt ihnen hinterher. Nach kurzer Zeit ist der Platz geräumt. Die DDR-Presse spricht später von einem „Gammler-Aufstand“.
Viele Jugendliche landen in der Stasi-Untersuchungshaftanstalt in der Beethovenstraße, werden dort gedemütigt und geschlagen. Auch die Haare werden ihnen abgeschnitten. Aus der Untersuchungshaftanstalt werden am nächsten Tag viele junge Männer nach Regis-Breitingen umquartiert. Dort betrieb die DDR ab 1962 eines ihrer berüchtigten „Arbeits- und Erziehungskommandos“, in denen nicht angepasste Jugendliche umerzogen werden sollten.
Haft und Arbeitserziehung im Tagebau
267 Jugendliche kommen laut Archiv Bürgerbewegung zeitweilig in Haft. Mehr als hundert werden mit „Arbeitserziehung“ im Braunkohletagebau-Gebiet im Süden von Leipzig bestraft. Wie viele es genau sind, darüber gibt es allerdings unterschiedliche Angaben. Einen Prozess gibt es nicht – nur gegen die vermeintlichen Rädelsführer. Nach der Entlassung werden der Betrieb und die Stasi am Arbeitsort informiert, so dass die Einflussnahme und Überwachung weitergehen. Das hat viele Biografien der unpolitischen jungen Leute, die nur Musik hören wollten, beeinflusst.
„The Butlers“ entstehen erst 1992 in neuer Formation. Der Bandleader gründet eine neue Klaus-Renft-Combo. Die wird bis zum endgültigen Verbot 1975 zur Symbol-Band für viele Menschen in der DDR, die unangepasst sind. Mittlerweile gibt es in Leipzig sogar eine Renftstraße. Sie befindet sich am soziokulturellen Zentrum Anker Leipzig.
Stand: 25.02.2025