Karl Heine will Plagwitz über den heute nach ihm benannten Kanal bis nach Hamburg führen, weswegen später der Lindenauer Hafen entsteht. Da ist es nicht weit hergeholt, dass ein imposantes Industriedenkmal an einen großen Ozeandampfer erinnert. Gemeint ist die heutige Konsumzentrale in der Industriestraße, die sich unweit des Karl-Heine-Kanals befindet. Der Bremer Architekt Fritz Höger, der durch das Chilehaus in Hamburg bekannt ist, entwirft die Konsumzentrale. Die erinnert an ein Schiff, etwa durch das flache Dach, das einer Kommandobrücke ähnelt. Höger baut im Inneren viele maritime Elemente ein. Dazu gehören Treppengeländer, die einer Reling nachempfunden sind.
Genossenschaft bietet Lebensmittel für weniger gut Betuchte
Es mag wohl Zufall sein, dass der spätere Leipziger Konsum im Restaurant „Zum Dampfschiff“ in Plagwitz seinen Ursprung hat. 68 Männer und Frauen gründen dort am 3. Februar 1884 den Consum-Verein für Plagwitz und Umgegend. Sein Ziel ist es, relativ preiswerte und gute Lebensmittel, aber auch Waren für Haushalt und Gewerbe für die nicht so gut betuchte Bevölkerung anzubieten. Das wird mit Großeinkauf, aber auch Eigenherstellung möglich. Die Idee: Die Mitglieder erwerben Geschäftsanteile von 50 Mark (entspricht heute ca. 460 Euro) und haften für Verluste des Unternehmens. Gleichzeitig erhalten alle aktiven Mitglieder eine Rückvergütung ihrer Anteile über ihre Einkäufe sowie eine Gewinnbeteiligung an der Genossenschaft.
Ein erster Laden in der Weißenfelser Straße
Der erste, nur 16 Quadratmeter große Laden öffnet noch im Gründungsjahr 1884 in der Weißenfelser Straße. Ein zweites Geschäft entsteht in Kleinzschocher. 1890 folgen neue Filialen in Plagwitz, Leutzsch und in der Südvorstadt sowie eine eigene Bäckerei/Fleischerei in Connewitz.
1891 wird Plagwitz schließlich nach Leipzig eingemeindet. Der Verein nennt sich nun in „Konsumverein Leipzig-Plagwitz und Umgegend“ um. Nach 1900 entstehen die ersten Kaufhäuser. Ausführlich ist die Geschichte der Leipziger Konsumgenossenschaft im Buch „Knackwurst, Kümmelschnaps und Küsse. Geschichten aus 135 Jahren Konsum Leipzig“ beschrieben, das 2019 im Verlag Leipzig Media GmbH erschienen ist.
Mehr Platz für ein florierendes Unternehmen
Das Unternehmen floriert und wächst rasch. Der Platzbedarf für Lager, Verwaltung und Werkstätten steigt. Das 1895 errichtete Verwaltungsgebäude in der Plagwitzer Steinstraße (später Jahnstraße, heute Industriestraße), in dem sich auch eine Molkerei, eine Bäckerei, eine Metzgerei und Kaffeerösterei befinden, wird in den 1920er Jahren zu klein und daher abgerissen. Der Neubau ist ein 180 Meter langer mit Klinkern verkleideter Stahlbetonskelettbau entlang der Industriestraße. Er entsteht in mehreren Bauabschnitten, um den Geschäftsbetrieb nicht zu gefährden. Am 28. Juli 1930 wird die neue Konsumzentrale eingeweiht. Fertig ist sie da noch nicht. Bis 1933 folgen mehrere Erweiterungen im sechs Gebäude umfassenden rechteckigen Komplex. Neben Verwaltungs-, Lager- und Werkstatträumen gibt es Laderampen, einen Gleisanschluss sowie eine unterirdische Tiefgarage. Das Lagerhaus bleibt unvollendet.
Höger gestaltet den Neubau so, dass er horizontal wirkt, wie inzwischen aus dem Stadtteilpark Plagwitz gut zu sehen ist. Das Gebäude besticht durch langgestreckte Fensterbänder mit gewölbten Scheiben, die sich über die Fassade erstrecken. Die speziell gewölbten Fensterscheiben sorgen für besondere Licht- und Spiegeleffekte im Inneren.
Wie ein vorbeifahrendes Schiff
Der wie ein Trichter geformte Haupteingang wird durch gebogene Mauerkanten betont. Der Bau mit sogenannten „Schüsselglas-Scheiben“ ist waagerecht gegliedert. Auch dadurch erzeugt die Fassade den Eindruck eines vorbeifahrenden Schiffs mit aufgesetzter Führungsbrücke.
Im Erdgeschoss befindet sich die große Schalterhalle, in den Obergeschossen werden Büroräume untergebracht. Das Treppenhaus besticht mit türkisblauen Wandfliesen sowie seinem zinnoberroten Geländer. Auf dem „Oberdeck“ tagt der Aufsichtsrat in einem Sitzungsraum, zugleich ist ein großer Versammlungssaal entstanden. Auch die Fassade des später entstandenen Lagerhauses greift mit waagerechten Lichtbändern und Bullaugen-Fenstern das Schiffsmotiv auf.
Verwaltungssitz wird zur Expo 2000 saniert
Den Zweiten Weltkrieg übersteht die Konsumzentrale weitgehend unbeschadet. Auch zu DDR-Zeiten ist der Komplex Sitz der Genossenschaft. 1991 fusionieren die Konsumgenossenschaften der Stadt Leipzig, des Kreises Leipzig und des Kreises Delitzsch zur heutigen Konsum Leipzig eG. Ihr Verwaltungssitz bleibt die Konsumzentrale, die dringend saniert werden muss. Da kommt die Weltausstellung Expo 2000 gerade recht. Die Sanierung der Konsumzentrale wird Teil des EXPO-Projektes: „Plagwitz auf dem Weg ins 21. Jahrhundert“. So entstehen auf rund 30.000 Quadratmetern attraktive Büro- und Gewerbeflächen. Dazu gehören auch die zwei liebevoll restaurierten Festsäle.
Für den Konsum ist das aus mehreren Gebäuden bestehende Areal allerdings zu groß. Deshalb schreibt die Genossenschaft einen Investorenwettbewerb aus, um es zu verpachten. Die MIB Konsumzentrale Leipzig GmbH gewinnt den Wettbewerb, kümmert sich fortan um die Bewirtschaftung und Sanierung des Geländes. Ihr Ziel ist es, die oberirdischen Geschosse der sechs Gebäudeteile vollständig in ihrer Struktur zu erhalten. Gleichzeitig entstehen moderne Büros, die heutigen Anforderungen entsprechen. Die Entwürfe dazu stammen vom Architekturbüro W&V Architekten GmbH. Neu entstanden sind auch grüne Inseln im Innenhof als Aufenthaltsbereich. Das einst eingeschossige Lager wird um einen Neubau erweitert und aufgestockt. Der Komplex der Konsumzentrale steht unter Denkmalschutz. Alle Originalpläne vom Bau sind erhalten. Viele Originaldokumente sind im Sächsischen Wirtschaftsarchiv zu finden, das bis 2026 ebenfalls in der Konsumzentrale beheimatet ist.
Stand: 14.09.2025